Der Traum von der perfekten Form

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7 —— Zu diesem Buch

14 —— Hüte —— Caroline Felber 38 —— Metallbau —— Thomas Sonderegger 62 —— Keramik —— Angela Burkhardt-Guallini 86 —— Strickmode —— Marlis Candinas 110 —— Möbel —— Heinz Baumann 134 —— Weben —— Silja Eggenschwiler 158 —— Skientwicklung —— Simon Jacomet 182 —— Schmuck —— Simone Gugger 206 —— Drechseln —— Gisela Müller 230 —— Keramik —— Cornelia Trösch 254 —— Schuhe —— Anita Moser 278 —— Leder —— Fiona Losinger 302 —— Schmuck/Automaten —— Roger Weber

329 —— Nachwort —— Adrian Knüsel

335 —— Anhang


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Bei einer Präsentation ihrer neueren Arbeiten auf einer Vernissage verblüfft schon der erste Eindruck. Was für eine unglaubliche Vielfalt im Erscheinungsbild, in Formen und Farben, in Stil, Technik und Oberflächenbehandlung angesichts der Tatsache, dass alles von einer einzigen Hand stammt! Ein wahres kulturgeschichtliches Panorama tut sich auf. Da gibt es Anklänge an antike Vorratsgefässe, feines, helles japanisches Teegeschirr mit filigranen Lochmustern, geradezu vorzeitlich anmutende Skulpturen, die sich als Dosen mit Deckel entpuppen, schimmernde Schalen wie aus Kupfer gehämmert... und doch ist alles untereinander zu einer Einheit verbunden durch eine gestalterische Freizügigkeit, die in ihrer Konzentration auf das Wesentliche immer den entscheidenden Punkt der Intention trifft. Durch eine heiter-ironische Note, die so manchen alltäglichen Gegenstand in ein neues Licht rückt. Durch ein farbliches oder formales Detail, das den Blick aufs Ganze zu immer weiteren Horizonten entführt.

Das Atelier am Berg —— Cornelia Trösch wusste «immer schon», dass sie Töpferin werden wollte. Es gab noch eine musikalische Alternative, aber sie verlief sich. Anregungen bezog sie als Kind aus den «Du»-Heften und von den Zürcher Künstlern, die im Elternhaus ein und aus gingen. Ohne dass es ihr bewusst war, wuchsen in ihr Formen und Farben, und Möglichkeiten entfalteten sich. Auch das Haus spielte (und spielt) eine Rolle. Es steht an diesem besonderen Berg mit dem klangvollen Namen, der auch noch ganz anders ist, als man gemeinhin denkt: der Zürichberg. Bis vor gut hundert Jahren war Fluntern ein Ort mit dörflicher Struktur, in dem natürlich auch das Handwerk seinen Platz hatte. Kleinbetriebe gebe es immer noch, sagt die Keramikerin, wenigstens im unteren Teil, auch wenn es immer weniger werden. Nicht nur die Universität und die Technische Hochschule nehmen mehr und mehr (Wohn-)Raum in Anspruch. Der Eingang mit dem Schriftzug «Töpferei» über dem einen Fenster, der etwas verwunschene Vorgarten mit den Jahr für Jahr üppig blühenden Rosen, die sie pflegt – sie sind quartierbekannt. Ja, sagt sie, hier bin ich verwurzelt, aber ich bin immer

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auch für Neues offen; das gehört einfach zum Leben. Und damit hat wohl auch die Vielfalt ihres Werks zu tun.

Lehrjahre, Experimente —— Das Handwerk hat sie im Bernischen gelernt, als «Hörnlimalerin» – eine Technik, die nach ihrem Gerät, dem Malhorn, benannt ist. Sie hätte damals schon lieber gedreht als gemalt, aber für ein Mädchen war das kein Thema! Den Plan, sich mit moderner Gebrauchskeramik zu etablieren, verwirklichte sie nicht. Zu rasch und zu klar erkannte sie, dass ihr die Konzentration auf eine bestimmte – und dadurch auch einschränkende – Linie das Erproben all der Formen und Ideen in ihr letztlich verwehren würde. Die Lust, dabei immer wieder sich selbst herauszufordern, ist ihr bis heute geblieben. Sie geht gern an die Grenzen – und darüber hinaus. Was dann? Ich muss einsehen, dass es so nicht funktioniert, aber das hält mich nicht von neuen Versuchen ab. Sie blickt entschlossen. Schaut man sich in ihrer Töpferei um, so glaubt man ihr aufs Wort. Es sind nicht allein technische oder formale Experimente, die sie verlocken. Sie lotet auch Ideen aus. So etwa mit der Teekanne, diesem klassischen Tongefäss. Da gibt es die weissen, zarten Porzellankännchen mit ebenso zarten Trinkschalen neben geradezu futuristisch schnittigen Krügen, dann robust wirkende bauchige Kannen, die wohlige Gemütlichkeit evozieren und sie mit wenigen Details auch gleich wieder aufbrechen, und schliesslich verfremdete Monsterchen, die an Elefantenfüsse erinnern, fast ungeschlacht, aber umso liebenswerter – und zugleich wundersam ironisch. Ähnliches ist bei den Dosen mit Deckeln zu beobachten. Auch hier gibt es den «Elefantenfuss», und er hält gleich noch eine Besonderheit bereit: Hebt man den sorgfältig passend ausgeschnittenen Deckel ab, kommt manchmal eine golden glänzende oder leuchtend rote Innenseite zum Vorschein – eine Überraschung, die wiederum etwas Ironisch-Heiteres an sich hat. Übrigens gibt es diese Deckelgefässe in allen Grössen, von winzig – wobei sie an Meerschnecken erinnern – bis imposant, mit Abhängen und Schrunden wie bei einem Bergmassiv.

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Assoziationen —— Das archaisch anmutende Wassergefäss – weiss glasiert, mit blauen Einsprengseln und umgestülptem Rand –, dessen ursprüngliches Braun stellenweise sichtbar bleibt, wirkt mit den wie eingesunkenen Henkeln, als hätte es Jahrhunderte unter der Erde gelegen... Cornelia Trösch auf diese Andeutung hin: Das Töpfchen habe ich, was weiss ich wie oft, mitgebrannt, es hält offensichtlich einiges aus, es ist aus einer robusten Tonmischung, aber von uralt keine Spur... Nicht dass wir es ernsthaft vermutet hätten, es war nur so eine Idee, die sich beim Anblick aufdrängte. Im Vergleich dazu scheinen die ätherischen Porzellanschalen in Weiss geradezu zu schweben. Eine knifflige Arbeit, diese Lochmuster, meint die Töpferin, ich würde verrückt, wenn ich immer so arbeiten müsste. Das zarte Teegeschirr bildet eine Art Gegenstück – oder Ergänzung – zu den dunkelbraunen, fast roh anmutenden Gefässen, die an antike Öl- und Weinbehälter erinnern. Es ist auf Anhieb ersichtlich, dass hier eine ganz andere Art Arbeit gefragt ist: Diese Krüge stellen allein schon ihrer Grösse wegen besondere Anforderungen an die Stabilität ... Ist sich Cornelia Trösch der Anziehungskraft alter Fundstücke bewusst, die von der Zeit und der Erde gezeichnet sind, in der sie lagen? Die bedeutungsvoll sind, weil sie eine lange «persönliche» Geschichte haben und dadurch ein Wissen von längst vergangenen Zeiten ausstrahlen? Darauf angesprochen, dass auch ihre Arbeiten eine Geschichte erzählen, die uns berührt, reagiert Cornelia Trösch spontan: Zwar lege sie es nicht darauf an, Geschichten zu konstruieren, aber es freue sie, wenn eine solche beim Betrachten aufglimme ...

Der Pfirsichstein —— Dann erzählt sie eine eigene Geschichte, das Ergebnis ihrer stets wachen Neugier, und deutet auf eine aufregend gemusterte Schale. Abgesehen von der Farbgebung – auch hier hell, blau, und rötlichbeige –, schillert das Muster eigenartig unerklärlich. Verglichen mit den «japanischen» Porzellanschalen wirkt es spontan, irgendwie «natürlich». Es ist mit einem Pfirsichstein eingedrückt, erklärt Cornelia Trösch. Einen sol-

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chen habe ich mir mal näher angeschaut, als einen unter vielen, denn ich esse gerne Pfirsiche, und plötzlich gedacht: Der ist ja toll gemustert, warum nicht ausprobieren, was sich daraus für ein Muster ergibt, und wenn ja, ein brauch- und auch brennbares... Dass sie einen regelrechten Ruck gespürt hat beim Anblick eines, zugegeben, besonders schön gerippten Pfirsichsteins, solches ist ihr vertraut. Da weiss ich mit einem Mal, das ist es, das musst du probieren... Also hat sie angefangen, den Kern über kleine Probestücke zu rollen, um zu sehen, wie’s aussehen könnte. Und da steht nun die wunderbare Schale, aussen blau gemustert, innen mit einer zarten Glasur versehen. Schaut man sie von etwas weiter weg an, sieht sie aus wie von einem kostbaren Stoff umhüllt, Brokat oder etwas Exotisches, Arabisches. Ottomanen und Buntglas aus Jemen fallen einem ein, bis hin zu verführerisch duftenden Aromen. Den als Ersten benutzten Pfirsichkern findet sie übrigens immer noch am schönsten – aber er nutzt sich ab. Zeit, dass die nächste Pfirsichernte kommt ...

Handwerk, Material —— Der Ton wird in der Regel eingekauft und dann nach eigenen Vorstellungen verändert. Cornelia Trösch benutzt dazu vor allem Chamotten, Quarz und Eisenhammerschlag. Ton ist auch bei Weitem nicht gleich Ton. So verträgt zum Beispiel nicht jede Tonsorte mehrmaliges Brennen. All dies macht das Ausprobieren so interessant. Glasuren stellt Cornelia Trösch selbst her, aber sie glasiert nicht besonders gerne, sondern überlässt dies dem Holzofen. Der lässt der Brennware beim gleichmässigen Brennen eine ganz besondere Oberflächenbehandlung zukommen: Ascheglasur bildet sich von allein, indem sich schwebende Ascheteilchen fortwährend auf den unglasierten Ton legen. Besonders schön ist dies auf den flachen, weit ausladenden Schalen in Braun- und Beigetönen zu sehen. Daher also dieser eigentümliche sanfte Glanz! Der Brand im Holzofen ist allerdings Knochenarbeit. Er dauert bis zu vierzig Stunden, die Endtemperatur beträgt 1300 Grad, und spätestens ab 1100 Grad ist höchste Konzentration erforderlich...

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Wenn nicht Glasieren, was macht sie dann am liebsten? Aufbauen, Tonwürste kneten und übereinanderlegen, eine Form entstehen lassen. Dabei kann sie ihren Hang zu formalen und technischen Herausforderungen ausleben. Ausprobieren, was möglich ist, etwas von allen Seiten ausleuchten, eine Form, eine Technik, ein Muster... Nicht immer gelingt es, manches entspricht nicht ihren Anforderungen oder geht kaputt, ist nicht zu gebrauchen. Das muss sie wegwerfen. Wiederverwenden kann man es nicht, wenn es einmal gebrannt ist. Das eine oder andere missratene Kind jedoch behält sie und lässt es in der Werkstatt stehen. Manchmal ergibt sich daraus sogar eine neue Idee.

Anerkennung —— Cornelia Trösch bot ihre Arbeit anfangs auf Märkten an, was nicht schlecht funktionierte, aber sehr anstrengend war. Heute verkauft sie auf Ausstellungen, direkt ab Werkstatt und neu auch im «einsA», einem Ladenlokal, das sie mit den beiden Keramikerinnen Therese Müller und Gabriele Reinhard in Zürich führt. Das Einkommen, sagt sie, liegt bei den meisten von uns weit unter dem, was an Aufwand und Innovation in dieser Arbeit steckt. Auch wenn man Leben nicht allein nach klingender Münze berechnet, ist dies belastend. Und die Anerkennung? Die Schweizer Keramikszene ist überschaubar, und sie bewegt sich auf hohem Niveau. Cornelia Trösch findet es jedoch schade, dass sie sich so bereitwillig dem Markt unterwirft, auch wenn dies vom wirtschaftlichen Standpunkt her begreiflich ist. In Asien, wo Massenware ebenso verbreitet sei wie im Westen, habe man es dennoch fertiggebracht, dass beides nebeneinander bestehen und weiterwachsen könne. Dass es in der Schweiz anders aussieht, dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass Keramik ein Nischendasein führt und den gebührenden Platz in der Kunst noch immer nicht gefunden hat. Zu oft wird sie als Kunsthandwerk mit einem Hauch irdener, falsch verstandener «Natürlichkeit» und rückwärtsgewandter Vergangenheitsverklärung umflort. Um dem abzuhelfen, müsste es mehr Institutionen geben, die sich einsetzen, die entsprechende Sammlungen aufbauen, Ausstellungen organisieren und Keramik

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auch an Kunstauktionen anbieten. Es ist ein Teufelskreis: Breites Interesse kann sich nur dann entwickeln, wenn das Publikum den Stellenwert erkennt, das innovative Potenzial keramischer Arbeiten muss ihm also nahegebracht werden. Wenigen ist es gegeben, ästhetische Qualität von alleine zu erkennen, aber man kann und sollte dies fördern. Weltberühmte Künstler wie Picasso, Matisse oder Miró haben einen Massstab vorgegeben.

Das Zentrum —— Immer wieder führt der Exkurs auch zurück auf diese «Töpferei» im städtischen Umfeld. Das Atelier ist eine wahre Fundgrube. Die zahlreichen Winkel und die Raumhöhen im alten Stadthaus sind klug genutzt, auch der grosszügige Grundriss. Es herrscht eine eigenartige Stimmung, sodass man gar nicht mehr weggehen, sondern sich bis in alle Ewigkeit umschauen möchte, die Hände um die warme Teeschale gelegt, deren Form sich so ideal anschmiegt – um beispielsweise jene ausladende, flache Schale zu bewundern, die sich beim Brennen ganz leicht verzogen hat, nur um eben jene Winzigkeit, die sie zu etwas Ausserordentlichem macht. Oder das geschwungene Gefäss, dessen Muster, von schräg unten, aus einiger Entfernung betrachtet, an Landschaften erinnert, wie sie uns in fernöstlichen Tuschezeichnungen begegnen, das aus der Nähe aber muschelartig wirkt, wie Perlmutt. Innen schimmert ein unbeschreibliches Blau... Solche Kostbarkeiten zu realisieren, erfordert viel Zeit. Sie zu geniessen und zu würdigen ebenfalls. Kein Wunder, dass Völker, bei denen Meditation eine lange Tradition hat, auch über eine hochstehende zeitgenössische Keramikszene verfügen. Und hat es nicht etwas Heiter-Ironisches, dass sich solche Gedanken in Cornelia Tröschs Atelier am Zürichberg, im wirtschaftlichen Zentrum der Schweiz einstellen?

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