Ein Versuch

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Genforschung zwischen den Fronten

Florian Fisch Nachwort von Gottfried Schatz


Inhalt

1. Kapitel

Vernalisation Wie sich meine persönliche Einstellung zur Gentechnik entwickelte

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Atome der Vererbung – Das einfache Konzept des Gens wird durch die Forschung täglich faszinierender

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«Das alte Gen-Dogma entpuppte sich als viel zu simpel.» Interview mit Florianne Koechlin, prominenter Gegnerin der Gentechnik

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2. Kapitel

Erntedank Warum sich niemand für die Ergebnisse des umstrittenen Gentech-Feldversuchs interessierte

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Gentechnik durch die Augen der Journalisten Wie die Medien unsere Wahrnehmung der Gentechnik prägen

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«Wir wollten den Ball flach halten.» Interview mit Olaf Kübler, ehemals Präsident der ETH

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3. Kapitel

Bodenbearbeitung Weshalb Christof Sautter den Gentech-Weizen im Freiland studieren wollte

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Eine kleine Kulturgeschichte des Weizens Von zwei Revolutionen und einer Renaissance auf den Äckern

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«Man hat mir diese Kompetenz gegeben.» Interview mit Philippe Roch, ehemals Direktor des Bundesamts für Umwelt, Wald und Landschaft BUWAL

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4. Kapitel

Aussaat Das Bewilligungsverfahren für Christof Sautters Feldversuch: eine unendliche Geschichte

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Pflanzenzucht im 21. Jahrhundert – Die Gentechnik ist eine präzise Gehilfin der Züchtung

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«Das Bundesgerichtsurteil war schwer zu akzeptieren.» Interview mit Stefan Kohler, Anwalt der ETH für den Feldversuch

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5. Kapitel

Pflanzenschutz Wie Christof Sautter seinen Feldversuch gegen Protest und Politik verteidigen musste

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Vom Versichern und Warnen – Der vielfältige Umgang der Wissenschaftler mit dem Risiko

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«Die Wissenschaft hat ihre beobachtende Rolle aufgegeben.» Interview mit Monika Kurath, Soziologin und Expertin für Gentechnik-Debatten

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6. Kapitel

Ernte Wie sich der Gentech-Weizen im Feldversuch verhalten hat

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Die Ernährung der Welt – Sämtliche Mittel sind notwendig, um vom Hunger nicht besiegt zu werden

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«Das billigste Instrument ist und bleibt die Pflanzenzüchtung.» Interview mit Peter Stamp, Agro­nomie­professor am Institut für Pflanzenwissenschaften der ETH

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Nachwort von Gottfried Schatz

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Anhang Chronologie der Ereignisse, Gesetzestexte, Quellen, Über die Autoren, Personenregister

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1. Kapitel

Vernalisation*

Wie sich meine persönliche Einstellung zur Gentechnik entwickelte «Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unmögliche, für Furchtsame das Unbekannte, für Denker und Tapfere das Ideal.» Victor Hugo

«Ist Ihr Buch pro oder kontra Gentechnik?», fragte mich die Dame des Verlags, bei dem ich zuerst anklopfte. Es ist zum Verrücktwerden. Jeder, der sich zur Gentechnik irgendwie äussert, muss sich sofort zu einem der beiden Lager bekennen. Pro oder Kontra, Agrarmulti oder Biobauer, Böse oder Gut. Genau gegen dieses Schwarz-Weiss-Denken möchte ich in diesem Buch anschreiben. Der Leidensweg des ETH-Forschers Christof Sautter, der zwischen den Fronten in Ruhe gute Wissenschaft betreiben wollte, zeigt beispielhaft, wohin diese Polarisierung führt. Dazwischen stehen bedeutet aber nicht gleichgültig sein. Im Gegenteil, es heisst, seine wohlbegründete Meinung gegen beide Seiten zu verteidigen. Dazwischen stehen heisst ebenso wenig, sich genau auf halbem Weg zwischen Pro und Kontra auszuruhen. Die Wahrheit richtet sich nicht nach politischen Ideologien. * Vernalisation: «Für den Frühling bereit machen.» Die jungen Pflänzchen der Winterweizen-Sorten brauchen ein paar Tage lang kalte Temperaturen, damit sich im nächsten Frühling Blüten bilden können.

1. Kapitel:  Vernalisation

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Das vorliegende Buch ist demnach auch nicht neutral. Es nimmt Stellung für eine Partei, die sich schwertut, ihre Position klar zu vermitteln: die Wissenschaft. Sie ist schon lange meine Leidenschaft. Wissenschaft entdeckt Neuland und überprüft Vorurteile. Sie ist die menschliche Tätigkeit, die sich der Wahrheit am meisten nähert. Wissenschaftler sind aber nicht gescheiter als andere, sondern schlicht strenger mit sich selbst – oder, ehrlicher gesagt, mit ihren Kollegen. Die Kritik ist Teil ihrer Methode. Sie überprüfen ihre eigenen Vermutungen, sie debattieren hitzig über die Schlussfolgerungen und versuchen langsam und gemeinsam alle Fakten zu einer Theorie zusammenzuführen. Was kann es Schöneres geben?

Moral der Technik Gentechnik ist natürlich nicht Wissenschaft, sondern wie ihr Name sagt: eine Technik. Sie wurde von Biochemikern und Biophysikern entwickelt und wird von Ökologen und Bioethikern kritisch beurteilt. Sie ist eine Technik wie jede andere – mit dem Unterschied allerdings, dass die Gentechnik Lebewesen verändert. Dabei denken die meisten wohl sofort an Pflanzen und Tiere. Möglicherweise sogar an eine Kuh ohne Kopf aber mit zwei Hintern, wie jene im Logo des Basler Appells gegen Gentechnologie. So etwas macht man doch nicht! Die real existierende Gentechnik ist viel bodenständiger. Gentechnisch veränderte Bakterien stellen Insulin für Diabetiker her. Die Entwicklung von Medikamenten geschieht mit Hilfe von Versuchsmäusen, die mit Gentechnik zu Modellen für menschliche Krankheiten gemacht werden. Gentechnik ist aus der Forschung nicht mehr wegzudenken. Selbst bei der Bestimmung des Verwandtschaftsgrads von Fledermäusen oder der Entwicklung von mit DNA-Fragmenten arbeitenden Computern ist sie involviert. Biotechnologen sind keine Unmenschen. Sie möchten die Gentechnik anwenden, weil sie ungeahnte Möglichkeiten bietet, die wir zu unserem Vorteil nutzen können, nicht weil wir sie zu unserem Nachteil missbrauchen können. Ganz anders als die Atombombe wurde die Gentechnik nicht entwickelt, um Zerstörung zu bringen. Es ging zuerst darum, das Leben zu verstehen. Schnell wurde aber entdeckt, dass man mit den veränderten Lebewesen auch praktische Dinge wie Insulin herstellen kann. 8

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Die Wünschbarkeit dieser Produkte sollten wir beurteilen, nicht, auf welche Art sie hergestellt wurden.

Von der Skepsis zum Staunen Für viele Leute spielt die Tatsache, dass Gentechnik ins Erbgut von Lebewesen eingreift, aber sehr wohl eine Rolle. Gentechnik steht in ihren Augen für den respektlosen Umgang mit dem Leben, der Natur oder der Schöpfung. Vor meinem Biologiestudium empfand ich die Haltung der Biotechnologen ebenfalls als arrogant. Es war die Zeit, als das erste künstlich geklonte Säugetier, das Schaf namens Dolly, zur Welt kam. Dass Klone genauso wie eineiige Zwillinge Individuen sind, lernte ich erst später. Damals kamen auch Tomaten als erste gentechnisch veränderte Pflanzen auf den Markt – und erwiesen sich als Flop. Dies deutete auch ich zunächst als Versagen der Gentechnik. Als während einer meiner ersten Vorlesungen die Professorin für Pflanzenbiologie auf die emotionsloseste Art die Grundlagen der Gentechnik erklärte, bestätigte dies meine Skepsis. Monate später regte sich der Professor für Pflanzenbiologie über den WWF auf, der gegen Gentechnik sei und damit in Kauf nehme, dass Regenwald zugunsten von Ackerland abgeholzt werde. Ich wiederum regte mich über den Professor auf, der die Gentechnik als einzige Rettung darstellte. Dann kam das Bioethik-Seminar, wo wir gemeinsam mit Theologen über embryonale Stammzellen nachdachten. Für die Sicht vieler Theologen, dass ein Embryo ein Mensch ist, hatte meine Biologie-Kollegin kein Verständnis: «Das sind doch nur Zellen!» Natürlich haben beide recht. Wer beim Wort Embryo eine Kugel aus 64 Zellen unter dem Mikroskop vor Augen hat, sieht die Realität anders als jemand, der sich dabei das herzige Kind vorstellt, das einmal daraus werden könnte. Das Mikroskop veränderte nach und nach auch meine Haltung. Die Forschungspraktika, bei denen ich selber Zellen kultivierte, DNA isolierte und Bakterien gentechnisch veränderte, hinterliessen ihre Spuren. Wenn die Stammzellen des Embryos mit Signalstoffen dazu gebracht werden, sich in Nervenzellen zu verwandeln, dann kann das doch nicht dasselbe sein, wie wenn einem Kind die Kehle durchgeschnitten wird. Das eine ist Medizin, das andere Mord. Wenn es hart auf hart 1. Kapitel:  Vernalisation

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kommt, scheinen auch viele Laien dieser Differenzierung zuzustimmen: Künstliche Befruchtung und Abtreibung innerhalb einer festgelegten Frist werden heute weitgehend akzeptiert. Ich habe während meines Studiums gelernt, dass Gene keine Schilder tragen, auf denen steht, ob sie aus einer Maus oder einer Tomate stammen. Die biologische Evolution ist ein chaotischer Prozess, der nur im Nachhinein zielgerichtet erscheint. Sowohl die menschliche DNA als auch die des Weizens besteht zum grössten Teil aus Gerümpel, das für das Überleben keine Funktion hat. In fast jedem Erbgut befinden sich Leichen von prähistorischen Viren, die aus irgendeinem Grund dort stecken­geblieben sind, die aber auch nicht zu stören scheinen. Ganze Teile des Erbguts von Pflanzen haben sich verdoppelt, andere Teile gingen verloren. Gene überlappen sich, sind zerstückelt und wahllos vorwärts oder rückwärts im Erbgut aufgereiht.

Ist Bio wirklich Öko? Die Vorstellung von der unversehrten Natur, die durch den Menschen kaputt gemacht wird, ist falsch. Wir Menschen sind Teil der Natur. Wie alle anderen Lebewesen verändern auch wir unsere Umwelt. Es liegt in der Natur von Lebewesen, die Natur zu verändern. Allerdings sind wir Menschen eine relativ neue Erscheinung der Erdgeschichte, und dennoch üben wir heute einen grossen Einfluss auf die Umwelt aus. Doch die Umwelt wird sich an den Einschlag des «Meteoriten Mensch» anpassen. Was uns betrifft, sollten wir unsere Anstrengungen auf das Über­ leben unserer eigenen Spezies legen. Da wir einseitig von der Umwelt abhängig sind, sollte es unser ureigenstes Interesse sein, unsere natürliche Lebensgrundlage zu erhalten. Wir brauchen fruchtbaren Boden, sauberes Wasser und ein temperiertes Klima. Aus dieser Einsicht heraus war ich früher WWF-Mitglied, wählte die Grünen und kaufte Bio-Produkte. Ich wollte ein Zeichen setzen gegen die verrückte Idee, die Ressourcen dieser Welt seien unbegrenzt. Dazu stehe ich noch heute. Mit den drei typischen Etiketts für diese Haltung – WWF, Grün und Bio – kann ich mich aber je länger je weniger identifizieren. Ihre Anhänger machen sich die Sache zu einfach. Es gibt nicht die gute Natur und die böse Chemie. Das Botulinumtoxin (Botox) 10

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aus einer Bakterie ist zehn Millionen Mal giftiger als der chemische Kampfstoff Sarin. Über die Gefahr natürlicher Cholera-Bakterien besteht kein Zweifel, während sich beim synthetischen Bisphenol-A, das als Weichmacher in Plastik benutzt wird, die Experten immer noch darüber streiten. Weder ist chemisch das Gegenteil von natürlich, noch sind synthetisch hergestellte Moleküle gefährlicher als natürliche Moleküle. Die Technik entwickelt sich rasant und mit ihr die Welt. Wir fliegen mit Blutverdünner im Körper und dem Smartphone in der Tasche um den Erdball. Die Landwirtschaft hingegen muss die traditionellen Werte bewahren. Was in der geheizten Druckluftkabine 10 000 Meter über Meer auf den Teller kommt, darf keine Technik enthalten. Je weniger wir unsere Abhängigkeit von den biologischen Grundlagen spüren, desto mehr soll uns der Bauer daran erinnern, wie man im Einklang mit der Natur lebt. Dass gerade das Abholzen von Wäldern und die gezielte Aussaat von Nutzpflanzen enorme Eingriffe in die Umwelt sind, verdrängt der moderne Städter. Zweifellos haben die Pioniere des Bio-Landbaus eine wichtige Wende eingeleitet. Zum Glück produziert die Schweizer Landwirtschaft heute grösstenteils nach den Kriterien der integrierten Produktion. Das heisst, so viel synthetische Spritzmittel und Kunstdünger wie nötig, aber so wenig wie möglich. Der vollständige Verzicht auf chemische Hilfsmittel hingegen führt zu einem durchschnittlich um ein Viertel reduzierten Ertrag. Das braucht mehr Fläche. Wir übersehen zudem gerne, dass auch «natürliche» Spritzmittel giftig sind. Als schlimm erweisen sich die von Bio-Weinbauern gegen Pilzkrankheiten eingesetzten Kupferpräparate, die nicht abbaubar sind und sich im Boden aufkonzentrieren. Die Bio-­Richtlinien sind eine gute Inspirationsquelle für eine ökologische Landwirtschaft, dürfen aber nicht stur als die letzte Wahrheit betrachtet werden.

Was ist ein Schaden? Abgesehen vom Glauben, dass Gentechnik ein verbotener Eingriff in die Natur oder Schöpfung ist, gibt es auch pragmatische Argumente dagegen: Die Landwirtschaft, die gentechnisch veränderte Pflanzen einsetze, brauche mehr Gift. Die Industrie monopolisiere das Saatgut, verhindere mit Patenten die Entwicklung und treibe die Kleinbauern in armen Ländern 1. Kapitel:  Vernalisation

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in eine Abhängigkeit. Das sind Probleme, deren wir uns in jedem Fall annehmen sollten. Nur haben sie kaum etwas mit der Gentechnik an sich zu tun. Wieso soll diese also verboten werden? Weshalb konzentrieren sich ihre Gegner nicht darauf, Gesetze gegen Gifte und Monopole und für eine freie Entfaltung der Kreativität zu erlassen? Und selbst bei vermeintlich eindeutigen Schäden durch Gentechnik muss die komplexe Sachlage berücksichtigt werden. Die meistbenutzte gentechnisch produzierte Eigenschaft in Pflanzen macht diese gegen das Unkrautbekämpfungsmittel Glyphosat (von Monsanto als «Roundup» gehandelt) tolerant. Der kurzfristig denkende Bauer, der Jahr für Jahr die gleiche gegen Unkrautbekämpfungsmittel tolerante Soja aussät und Glyphosat präventiv spritzt, verursacht einen sicheren Schaden. Durch die Monokultur und den massiven Einsatz von Glyphosat erschafft er ein Ökosystem, in dem Glyphosat-resistente Unkräuter und spezialisierte Soja-­Schädlinge gedeihen. Beide werden zum Problem. Der Einsatz von Glyphosat kann aber auch positive Folgen haben. Der umweltbewusste Bauer hat mit den Glyphosat-toleranten Pflanzen ein tolles Werkzeug. Er muss nicht präventiv gegen Unkräuter vorgehen, sondern kann zuwarten und schauen, ob ein Einsatz wirklich nötig ist. Ein anderer kann auf das Pflügen zur Unkrautbekämpfung verzichten, womit er die Bodenstruktur und die Bodenorganismen schont. Traktorfahrten können so eingespart werden, und der Ausstoss von Treibhausgasen wird reduziert. Der Unterschied zwischen der kurzfristigen und der langfristigen Strategie erklärt auch, wie gegensätzliche Studienresultate entstehen können. Je nachdem, in welchem Landwirtschaftssystem die gentechnisch veränderten Pflanzen zum Einsatz kommen, werden ihre ökologischen Auswirkungen positiv oder negativ beurteilt. Die Gentechnik wird mit anderen Ellen gemessen als andere Techniken. Sie muss perfekt sein. Sonst könne es sein, warnen viele, dass gentechnisch veränderte Pflanzen wie der japanische Staudenknöterich bald ganze Landstriche überwuchern. Tatsächlich sind invasive Pflanzen in der Schweiz ein grosses Problem, das hat aber wiederum nichts mit Gentechnik zu tun. Die Neuzuzüger sind durch die natürliche Aus­lese gestärkte Pflanzen, die auf einmal keine natürlichen Feinde mehr haben. 12

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Im Gegensatz dazu ist der Weizen ein durch die menschliche Auslese entstandener Schwächling, der Schädlinge regelrecht zum Angriff einlädt. Deswegen ist die biologische Schädlingsbekämpfung viel gefähr­ licher für die Biodiversität als die Gentechnik. Die kolumbianische Aga-Kröte zum Beispiel, die zur Bekämpfung von Zuckerrohrschädlingen nach Australien gebracht wurde, breitet sich heute beinahe ungehindert aus. Die Einführung der paraguayanischen Schlupfwespe zur Bekämpfung von Maniokschädlingen in Afrika hingegen wurde zum Erfolg und wird von den Gegnern der Gentechnik gefeiert. Gerade der unterschiedliche Erfolg solcher Beispiele zeigt, dass die Gefahr der unkontrollierten Ausbreitung durch ein wohlüberlegtes Vorgehen minimiert werden kann. Über gentechnisch veränderte Nutzpflanzen ist noch dazu besonders viel praktisches Wissen vorhanden. Als das Nationale Forschungsprogramm (NFP 59) zu Chancen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen 2012 seine Resultate publizierte, durfte niemand überrascht sein. Die Gentechnik berge keine Risiken, die über jene der konventionellen Pflanzenzucht hinausgingen, heisst es im Schlussbericht. Die Zulassung neuer Pflanzensorten müsse immer als Einzelfall beurteilt werden. Das heisst nicht, dass das NFP 59 die Studien mit anderen Schlussfolgerungen weggelassen hätte. Es heisst nur, dass bisher in keiner Studie etwas gefunden wurde, was an der Gentechnik an sich schlecht ist. Die jeweilige Anwendung zählt.

Händler des Zweifels Die Gegner der Gentechnik, die sich selbst gerne als Kritiker bezeichnen, weigern sich, diese Differenzierung zur Kenntnis zu nehmen. Sie verwirren die Laien, indem sie die verschiedenen Probleme immer wieder in ­einen direkten Zusammenhang mit der Gentechnik rücken. Sie sagen, das NFP 59 behaupte, die Gentechnik sei ohne Risiken. Sie behaupten, die Gentechnik sei unverträglich mit einer nachhaltigen Landwirtschaft. Das stimmt alles nicht. Diese Verwirrungsstiftung – ob absichtlich oder unabsichtlich – erinnert an die Kampagnen, welche die Ölindustrie gegen den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel geführt hat. Sie hat mit dazu geführt, dass das Schweizer Stimmvolk 2005 einem fünfjährigen Verbot (Moratorium) gegen gentechnisch veränderte Pflan1. Kapitel:  Vernalisation

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zen in der Landwirtschaft zugestimmt hat. Dass dieses Moratorium im gentech-skeptischen Europa vor allem als Marketinginstrument für die Schweizer Landwirtschaft dient, wurde schon immer mehr oder weniger offen gesagt. Inzwischen wurde das Moratorium vom Parlament bereits zwei Mal verlängert – bis Dezember 2017. Beim ersten Mal lautete die Begründung, man müsse die Resultate des NFP 59 abwarten. Bei der zweiten Verlängerung, es brauche Zeit, die Regelungen für ein Nebeneinander von gentech-freier und gentech-nutzender Landwirtschaft auszuarbeiten (Koexistenzverordnung). Doch weshalb ist die Koexistenz überhaupt ein Problem? Die Reinhaltung von Sorten ist eine alte Kunst der Pflanzenzüchter, die auch auf gentechnisch veränderte Pflanzen anwendbar ist. Und gentechnisch ver­ änderte Pflanzen bergen ja keine grösseren Risiken als konventionell ­gezüchtete Sorten. Wieso soll man die Warenflüsse also noch stärker ­trennen? Es geht hier um die Angst vor imaginären Gefahren. Wir be­ treiben einen riesigen Aufwand für eine rein symbolische Deklaration der Gentechnik. Dabei sollte man konkrete Umweltprobleme lösen. Viel sinnvoller wäre es, alle Energie in eine umfassende und standardisierte Öko­ bilanz zu stecken, damit der geneigte Konsument einfach sehen kann, welcher Apfel den kleinsten ökologischen Fussabdruck hinterlässt.

Fehlende Notwendigkeit Ich weiss, die Konsumenten und Stimmbürger wollen keine Gentechnik. «Gentechnisch veränderte Sorten bieten heute der Schweizer Landwirtschaft keinen offenkundigen Vorteil», betonen sowohl das NFP 59 als auch die zuständigen Bundesämter wieder und wieder. Warum also soll ich mich aufregen? Warum habe ich mich als Doktorand gemeinsam mit zwei Kollegen im Abstimmungskampf gegen das Moratorium stark gemacht? Es war ein hoffnungsloser Versuch, uns als junge Forscher Gehör zu verschaffen. Wir schafften es sogar, von einem Journalisten des «Tages-­ Anzeigers» interviewt zu werden. Meine Aussage «Ein Moratorium wäre bestimmt das falsche Signal» brachte es sogar zum Titel. Nicht sehr originell und offensichtlich auch nicht sehr wirksam. Es ging mir schon damals mehr um das Signal und weniger um konkrete Anwendungen. Ich bin zwar nach wie vor der Überzeugung, dass 14

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man die Gentechnik als Hilfsmittel für eine nachhaltige Landwirtschaft nicht verschmähen sollte. Allerdings bin ich durch die Recherche zu diesem Buch auch etwas moderater geworden. Die ökologisch sinnvollsten Eigenschaften wie Dürre- und Salztoleranz sind gleichzeitig die komplexesten. Schnelle Lösungen sind wohl nicht in Sicht. Auch der Welthunger hängt weniger mit der Landwirtschaftstechnik als mit Landwirtschaftspolitik und internationaler Machtverteilung zusammen. Viel wichtiger als die Anwendung ist aber die Wertschätzung. Wissenschaftler streben nicht nach der Weltherrschaft, wollen nicht Gott spielen und sind auch nicht verrückter als andere Berufsleute. Sie lösen einfach gerne Probleme und glauben, damit Gutes zu tun. Sie wollen dafür nicht Reichtum, sondern vor allem Anerkennung. Nun wird ihnen gesagt, sie dürften drinnen im Labor schon forschen, aber jede Anwendung draussen in der realen Welt werde sowieso niemals akzeptiert. Wenn dann praktisch jeder Feldversuch in Europa von Vandalen heimgesucht wird, bleibt dem Forscher der Saft weg. Selbstverständlich müssen sich auch Wissenschaftler an moralische Normen halten, und selbstverständlich haben die Steuerzahler ein Mitspracherecht, was die Verwendung der Ressourcen angeht. Mitsprache muss aber mit vernünftigen Argumenten geschehen. Sonst reagieren Wissenschaftler wie damals an der Universität York in England, wo zwischen 2007 und 2010 ein Malaria-Projekt durchgeführt wurde. Das bisher einzige, dauerhaft wirksame Medikament gegen den Parasiten ist Artemi­ sinin. Es stammt aus den Blättern des Beifusses. Man züchtete eine Beifuss-Sorte mit einem höheren Artemisinin-Gehalt, um so die Versorgung zu verbessern und den Preis zu senken – ohne Gentechnik, wie seitens der Kommunikationsstelle des Projekts betont wurde. Nicht weil diese schlecht ist, sondern weil die Öffentlichkeit sie nicht wolle. Eine per­verse Verrenkung! Ironischerweise richtet sich die fundamentale Ablehnung der Gentechnik fast ausschliesslich gegen die Pflanzenwissenschaften. Kaum jemandem fällt ein, die medizinischen Entwicklungen zu kritisieren. Medizinforscher kommunizieren nicht annähernd so defensiv wie die Pflanzenforscher. Dabei stammen wesentliche Erkenntnisse, die heute auch der Medizin Nutzen bringen, aus Pflanzen. Bevor 1998 die Schweizer über 1. Kapitel:  Vernalisation

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die «Volksinitiative zum Schutz von Leben und Umwelt vor Genmanipulation» (Gen-Schutz-Initative) abstimmten, die Gentechnik an Tieren verboten hätte, gingen 3000 Forscher auf die Strasse. Die Initiative wurde abgelehnt. Sieben Jahre später mussten sich die Pflanzenwissenschaftler ­alleine gegen die Moratoriums-Initiative wehren. Ist die Erforschung von Krebs, Diabetes und Alzheimer wirklich wichtiger als eine langfristig gesicherte Nahrungsmittelproduktion?

Wider die Vernunft Die Bevölkerung glaubt lieber den Umweltaktivisten als der grossen Mehrheit der Wissenschaftler. Sie glaubt lieber, dass Gentechnik überflüssig, unkontrollierbar und gefährlich sei. Das entspricht der generell zunehmenden Skepsis gegenüber der Wissenschaft: Die Stiftung Konsu­ mentenschutz warnt vor Impfungen, und Schulbuchverlage lassen die Evolutionstheorie am liebsten gleich ganz weg, um einem Konflikt mit den Kreationisten auszuweichen. Und Medizin, die sich komplementär nennt, muss keinen Wirkungsnachweis erbringen, um von Krankenkassen finanziert zu werden. Das sind Luxusprobleme. Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft verursachen aber Hunger. Immer mehr Menschen müssen bei immer ­weniger Boden, weniger fossilen Energien und einem sich schnell ändernden Klima ernährt werden. Bereits heute sind die Schäden der konven­tionellen Landwirtschaft gross und konkret. Deswegen sollten wir mögliche Lösungen nicht von vornherein ausschliessen. Wenn wir es nicht schaffen, Fakten und Überzeugungen klar auseinanderzuhalten, wird es schwierig, auf kommende Krisen in demokratischer Art zu reagieren. Es gibt zumindest einen Silberstreifen am Horizont. Mark Lynas, ein bekannter britischer Klimaaktivist und Gentech-Gegner, hat sich zum Gentech-Befürworter gewandelt. An einer Fachtagung in Oxford 2013 ­entschuldigte er sich in aller Form: «Es tut mir leid, am Aufbau der Anti-­ Gentech-Bewegung in den 1990er-Jahren mitgewirkt und somit eine wichtige technologische Option dämonisiert zu haben, die zum Wohl der Umwelt eingesetzt werden kann und soll.» Das Bundesamt für Landwirtschaft hat zudem im Januar 2013 endlich die Koexistenzverordnung in die 16

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Vernehmlassung geschickt. Es wird bestimmt viel Widerstand dagegen geben, aber immerhin fängt damit die Planung für die Zeit nach dem Moratorium an. Einer Sache bin ich mir ziemlich sicher: Auch auf Schweizer Äckern werden eines Tages gentechnisch veränderte Pflanzen wachsen. Die Frage ist lediglich, ob wir die Entwicklung der zukünftigen Sorten selber mitbestimmen oder ob wir das Feld anderen überlassen. Wenn wir unsere eigenen Forscher ausbilden und sie in unserer Nähe arbeiten lassen, werden sie die Bedürfnisse unserer Bauern besser verstehen, als wenn wir das Saatgut aus fernen Gegenden importieren. Die Kommunikation zwischen Forschung, Entwicklung und Anwendung wird offener und flüssiger werden. Wenn wir am Ball bleiben wollen, müssen wir ­versprechen, dass es jungen Forschern nicht gleich ergehen wird wie Christof Sautter mit seinem Gentech-Weizen. Florian Fisch, August 2013

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Atome der Vererbung Das einfache Konzept des Gens wird durch die Forschung täglich faszinierender. Der Mann bestimmt das Geschlecht des Kindes – zumindest bei den Säuge­tieren. Gewinnt ein Spermium mit einem Y-Chromosom den Wettlauf zur Eizelle, entsteht ein Bube, gewinnt eines mit einem X-Chromosom, entwickelt sich ein Mädchen. Die genetische Basis des Geschlechts ist ein einziges Gen auf dem Y-Chromosom, das wenig originell auf den Namen «Sex-bestimmende Region Y» (SRY) getauft wurde. Wer es hat, entwickelt sich zum Mann. Während der ersten sechs Wochen im Mutterleib ist der Embryo noch geschlechtslos. Dann wird innerhalb von ein bis zwei Tagen das SRY-Gen für eine kurze Zeit aktiv, das entsprechende SRY-Protein wird produziert. Das Protein tut nichts anderes, als an verschiedenen Stellen des Erbguts den DNA-Strang in einem 70-Grad-Winkel zu knicken. Die daraus entstehenden Ecken beeinflussen die Aktivität vieler anderer Gene, wodurch sich unter anderem die Konzentration der Hormone Testosteron und Östrogen verändert, welche wiederum bestimmt, ob wir mit Hoden oder Eierstöcken zur Welt kommen und ob wir gute Chancen auf einen leichten Vorteil bei der räumlichen Orientierung oder beim sprachlichen Ausdruck haben.

Von Erbsen zu Molekülen Die Gene wurden in den 1860er-Jahren von Gregor Mendel entdeckt. Der österreichische Mönch fand heraus, dass erbliche Eigenschaften – zum Beispiel die Farbe der Erbsen oder ob sie schrumplig sind oder nicht – ­unabhängig voneinander vererbt werden. Diese «Atome der Vererbung» ­wurden erst 50 Jahre später auf den Namen «Gene» getauft, nach dem griechischen Wort für Abstammung – wobei man damals noch nicht wusste, wie sie Eigenschaften vererben können. Das Gen war ein Konzept ohne physische Entsprechung. Die Träger der Gene, die Chromosomen im Zellkern, kannte man zwar schon, man wusste aber noch nicht, wozu sie gut sind. Erst viel später liess sich bestimmen, an welchen Stellen in den Chromosomen die Gene sitzen. Noch viel später fand man heraus, dass eine saure Substanz in den 18

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Chromosomen mit dem chemischen Namen DNA die Trägerin der Gene sein muss. Zwar konnten die Forscher noch nicht recht glauben, dass ein chemisch derart langweiliger Molekülfaden die komplexe Information des Lebens tragen kann. Doch dann gelang es 1953 dem englischen Biophysiker Francis Crick und seinem US-amerikanischen Postdoktoranden James Watson, die Röntgenbilder der DNA richtig zu interpretieren. Durch die Entdeckung der geschraubten Strickleiter­struktur der DNA (Doppelhelix) wurde auf einmal klar, wie die Information gespeichert und, vor allem, wie sie kopiert werden konnte. Die Sprossen der Strickleiter enthalten die Information als eine Abfolge von vier Molekülen mit den Anfangsbuchstaben A, T, G und C. Das SRY-Gen ist also eine Abfolge von Buchstaben oder, wie der Name sagt, eine Region der DNA. Bei der Zellteilung werden die Sprossen der Strickleiter in der Mitte durchtrennt und mit einem neuen, genau passenden Strang ergänzt. Jede Zelle erhält somit wieder eine vervollständigte Strickleiter. Diese schlichte Antwort auf die komplexe Frage nach der Speicherung und Vererbung von Information löste eine anhaltende Euphorie unter Biologen aus und mündete direkt in die moderne Molekularbiologie.

Die Sprache der Gene Bald folgten die Entdeckungen schnell aufeinander. Man erkannte, wie die Buchstabenfolge der Gene in eine andere, chemisch äusserst vielfältige Buchstabenfolge übersetzt werden: in Proteine. Im SRY-Gen steht also, wie das SRY-Protein zusammengesetzt werden soll, damit es einen 70-Grad-Winkel zustande bringt. Der dazugehörige genetische Code – quasi das Wörterbuch der DNA-Sprache zur Übersetzung in die Protein-Sprache – wurde schnell entschlüsselt. Bemerkenswert dabei ist, dass von der primitivsten Bakterie bis zum komplexen Weizen fast alle Organismen den gleichen universellen Code benutzen. Das hat zu einem einfachen Modell geführt, wonach jeweils ein Gen die Information für ein Protein enthält. Die DNA sitzt im Zellkern und wartet darauf, verdoppelt oder gelesen zu werden. Die Proteine erledigen den Rest. Sie sind die molekularen Maschinen, die Mädchen für alles. Manche verdauen, andere stützen und wieder andere helfen beim Sehen, Bewegen oder Denken. 1. Kapitel:  Vernalisation

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Dieses vereinfachte Gen-Modell ist alles, was man braucht, um Gentechnik zu betreiben. Biotechnologen können mittels bestimmter ­ Pro­teine die Gene eines Lebewesens ausschneiden, verdoppeln und in ein anderes Erbgut einfügen. Dank dem universellen Code versteht im Prinzip jede Zelle jedes Gen. Es gehört inzwischen zum ABC eines j­eden Biologiestudenten, Gene zu isolieren, zu verändern und zu vermehren. Mit dem Gen-Modell können unterschiedliche Eigenschaften von ­Lebewesen und deren Vererbung wunderbar erklärt werden. Ein s ­ olides ­Fundament auch für die parallel zur Gentheorie entwickelte Evolutionstheorie.

Enorme Komplexität Der streitbare Evolutionsbiologe Richard Dawkins hat in seinem berühmten Buch «Das egoistische Gen» 1976 zur Verbreitung des Konzeptes beigetragen, dass aus evolutiver Sicht Lebewesen lediglich die Vehikel ihrer Gene sind. Dieser Ansatz, wonach wir von den Genen kontrolliert werden, löste viel Kritik und Unbehagen aus. Dawkins selbst widerspricht dieser Art von Gen-Determinismus allerdings ausdrücklich: «Wir trotzen den Genen jedes Mal, wenn wir Schwangerschaften verhüten.» Eine andere Kritik richtete sich gegen die anfängliche Hypothese, dass ein Gen genau ein Protein definiert. Den Biologen war aber schon lange bewusst, wie viel komplexer die Vorgänge in den Zellen sind. Gene haben keine klaren Anfänge und Enden, sie können sich überlappen, und sie stecken manchmal vorwärts und manchmal rückwärts in der DNA. Selbst fertiggestellte Proteine können nachträglich noch verändert werden. Durch diese ungeheure Komplexität können aus rund 20 000 menschlichen Genen während eines Lebens in allen Zellen geschätzte fünf Millionen unterschiedliche Proteine hergestellt werden. Gewisse Abschnitte in der DNA dienen als molekulare Schalter, die markiert und dadurch zum Ablesen freigegeben oder gesperrt werden können. Diese Eigenschaften bezeichnet der Begriff Epigenetik, mit der griechischen Vorsilbe für «darüber». Dass es diese Mechanismen gibt, war schon lange klar. Es war allerdings eine Überraschung, als man 2003 bei Mäusen Hinweise darauf fand, dass die epigenetischen Zustände gewisser Schalter auf die nächste Generation vererbt werden können. Die 20

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Idee kam auf, dass unser Verhalten die Gene verändern kann. Die Belege dafür sind bisher allerdings sehr dünn gesät. Mit oder ohne Schalter: Die Gene bleiben die Träger der Erbinformation. Und je mehr Details wir über sie in Erfahrung bringen, desto faszinierender werden sie.

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«Das alte Gen-Dogma entpuppte sich als viel zu simpel.»

Interview mit Florianne Koechlin, prominenter Gegnerin der Gentechnik in der Schweiz Florianne Koechlin ist die grüne Eminenz der schweizerischen Gentech-­ Gegner. Sie ist Geschäftsführerin des Blauen-Ins­tituts und dessen ein­zige ständige Mitarbeiterin. Als freischaffende Biologin informiert sie Nichtregierungsorganisationen über die neuesten Entwicklungen in der Gentechnik. An der Gründung des Basler Appells gegen Gentechnologie und der Schweizer Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) war sie massgeblich beteiligt. Die Achtundsechzigerin stammt aus einer Basler Chemiker-Familie, studierte Chemie und Biologie und politisierte für die kommunistischen Progressiven Organisationen der Schweiz (POCH). Sie sass unter anderem im Stiftungsrat des WWF Schweiz, war im Ini­ tiativkomitee der Gen-Schutz-Initiative und unterstützte die Ini­tiative zum Gentech-Moratorium. Heute betätigt sich die ehemalige Lehrerin als Buchautorin. Die Wege von Christof Sautter und Florianne Koechlin kreuzten sich mehrmals. Der ETH-Forscher versuchte die Aktivistin vom Widerstand gegen seinen Feldversuch abzubringen und organisierte dazu ein 22

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Treffen im Bahnhofbuffet Olten. Während des Feldversuchs und des ­vorangegangenen Bewilligungsverfahrens war Koechlin Mitglied der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausser­ human­bereich, welche die Durchführung des Versuchs erst guthiess und dann ablehnte. Koechlin nahm zudem an den von der ETH initiierten und von der Stiftung Science et Cité durch­geführten Gesprächen am runden Tisch teil, die zwischen 2004 und 2006 stattfanden. Ich treffe Florianne Koechlin in ihrer Privatwohnung, dem Sitz des Blauen-Instituts, zu dem sie mich nach anfänglichem Zögern, einiger E-Mail-Korrespondenz und einem klärenden Telefongespräch eingeladen hat. Die Aktivistin legt Wert darauf, nicht als Verhinderin des Versuchs dazustehen. Das Gespräch verläuft freundlich, aber ein gewisses Misstrauen mir gegenüber bleibt. Erst im Verlauf des Interviews merke ich, wie eindeutig Koechlin mich der Befürworterseite zuordnet. Sie weiss, dass ich als Redaktor für eine Broschüre der Akademien der Wissenschaften Schweiz zur Bedeutung der Gentechnik in einer nachhaltigen Landwirtschaft tätig war. Koechlin zeichnet das Interview ebenfalls auf.

Florian Fisch: Frau Koechlin, Sie stammen aus einer Chemiker-­ Familie und haben sich gegen die Gentechnik gewandt. Hatte Ihre politische Aktivität irgendwelche familiären Konsequenzen? Florianne Koechlin: Ja, wahrscheinlich schon. Das zeigte sich aber schon früher. 1968 war ich 20. Das war ein wichtiges Jahr für mich. Auch Polizistentöchter und Juristensöhne hatten damals Probleme mit ihren Eltern. Mein späteres Engagement gegen Atomkraftwerke und noch später gegen die Gentechnik muss in diesem Licht gesehen werden. Das Thema Gentechnik spielte bei uns zu Hause aber keine grosse Rolle.

Waren Ihre Eltern anderer Meinung? Wie es heute ist, weiss ich nicht, aber damals sicher, ja.

Was gab den Ausschlag dafür, dass Sie sich gegen die Gentechnik gewandt haben? Oje, das ist eine Riesenfrage. Es waren die Heilsversprechen, die in den 70er-Jahren gemacht wurden: Man nimmt ein Gen, flickt es in die Zelle, und das Problem ist gelöst. Das Gen-Dogma ist eine recht simple, hoch elegante, aber, wie sich herausstellte, viel zu einfache Lösung für die Pro­ 1. Kapitel:  Vernalisation

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bleme dieser Welt. Wie auch bei der Atomenergie sind es ein paar wenige, die bestimmen. Eines der wichtigsten Argumente gegen die Gentechnik ist für mich noch heute die Patentierung von Lebewesen. Es gibt noch andere, aber das sind im Grossen und Ganzen die Argumente, die auch in der ersten Gen-Schutz-Initiative 1998 formuliert wurden. Wir waren gegen die Patentierung und gegen Freisetzungen.

Das sind bereits etliche Gründe. Wenn es aber eine ökologisch sinnvolle, gentechnisch veränderte Pflanze gäbe, wären Sie dann immer noch dagegen, diese Pflanze zu nutzen? Das ist nicht die Frage. Sobald es um Agro-Gentechnik geht, heisst es sofort: «Die Forschungsfreiheit wird beschnitten!» Die wird nicht beschnitten. Im Labor dürfen sie machen, was sie wollen. Die Forschungsfreiheit wird an einem ganz anderen Ort tangiert. Die einen erhalten Geld, die anderen nicht. Ich begreife nicht, warum in der Schweiz das Füllhorn dermassen über der Gentechnik ausgeschüttet wird, ganz nach dem Motto: Gentechnik ist die Antwort, aber wo ist das Problem. Die Forschung sollte vermehrt zusammen mit den Bauern nach Lösungen für konkrete Probleme suchen. Ich finde die Vergabe von Forschungsgeldern aus dem Elitehäuschen da oben höchst fragwürdig. Es sollte partizipativer entschieden werden.

Die Erfahrung zeigt aber, dass die Forschung am erfolgreichsten ist, wenn die Wissenschaftler selbst die Qualität der Forschung bewerten. Deshalb hat man von der Politik relativ unabhängige Institu­ tionen wie den Nationalfonds gegründet. Einverstanden. Aber gerade das Nationale Forschungsprogramm zu Nutzen und Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen, das NFP 59, wurde vom Bundesrat bestimmt. Gleichzeitig stagnieren die Forschungsbei­ träge für das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau in Frick seit zehn Jahren. Wo bleibt das NFP 60 zur Ökoforschung? Sie hat in der Vergangenheit so grosse Sprünge gemacht und hat ein so grosses Potenzial. Die Forschung sollte dringend die Komplexität der Ökosysteme mit einbeziehen und Bodenfruchtbarkeit und Artenvielfalt studieren. Die Moratoriumsinitiative wurde 2005 in sämtlichen Kantonen ange­ nommen. Die Leute wollen also eine naturnahe, gentechfreie Landwirtschaft. 24

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Man hat damals nicht über ein permanentes Verbot, sondern über ein fünfjähriges Moratorium abgestimmt. Im Abstimmungskampf betonten die Befürworter der Initiative, man solle diese Pause nutzen, um mehr über die Risiken zu erfahren. Wenn dann herauskommt, dass die gentechnisch veränderten Pflanzen nicht gefährlicher sind als andere Züchtungen, dann muss man das Verbot doch auslaufen lassen. Es ging damals auch ausdrücklich darum, ob wir Agro-Gentechnik wollen oder nicht. Es war eine Art Fiebermessung in der Bevölkerung. Die Forschung inklusive Freisetzungen ist weiterhin erlaubt. Ich bin zwar kein Risikofreak, aber es fehlen immer noch Langzeitstudien zu den gesundheitlichen Risiken, oder sie werden von der Industrie geheim gehalten. Das ist auch ein Vorwurf, den ich dem NFP 59 mache. Ein paar Gen-Enthusiasten wollten in einer Literaturstudie zeigen, dass Gentechnik keine Risiken birgt. Es ist eine Schönwetterstudie, die als irrelevant abtut, was nicht ins Bild passt. Weder wurde darin angegeben, nach welchen Kennworten die Studien ausgewählt noch in welchem Zeitrahmen diese recherchiert wurden. Das würde in jeder Diplomarbeit verlangt. Ich kenne einige Literaturstudien, die sehr wohl gesundheit­ liche und ökologische Risiken aufzeigen.

Apropos Partizipation: Sie wurden von der ETH zu Gesprächen am Runden Tisch eingeladen. Sie haben zuerst abgelehnt, dann aber ­einen zweiten Anlauf selbst initiiert. Warum? Ich erinnere mich nicht mehr genau daran. Einige waren anfangs da­ gegen, weil sie überzeugt waren, dass dabei nicht viel herauskommen könne. Die Interessen waren zu unterschiedlich. Mir selber lag daran, ins Gespräch zu kommen. Es hat mich interessiert, ob es möglich ist, die Überlegungen, Argumente und Ziele der jeweils anderen Seite besser zu verstehen – wir ihre und sie unsere. Ich frage mich, ob es gelungen ist.

Sie sagen, die Gentechnik brauche es nicht. Ist nicht gerade der Mangel an guten Pflanzensorten das Problem? Natürlich braucht es mehr gute Pflanzen, doch mit herkömmlicher Züchtung ist noch vieles herauszuholen. In der Schweiz sind vor allem die massive Überdüngung, der Verlust an Artenvielfalt und die knapper werdenden Ressourcen ein Problem. 1. Kapitel:  Vernalisation

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Dann könnte doch eine gentechnisch veränderte Pflanzensorte, die trotz wenig Dünger einen guten Ertrag liefert, sinnvoll sein. Das ist ein gutes Beispiel. Das hat man uns schon vor 30 Jahren versprochen. Seither wurden Milliarden in das Projekt gesteckt – ohne grosse Erfolge. Im Gegenteil: Viel wichtiges Wissen über herkömmliche Pflanzenzüchtung ging verloren. Heute wird die konventionelle Züchtung von Hülsenfrüchtlern wie zum Beispiel Klee als Gründünger wieder aktuell. Ohne Gentechnik wären wir schon viel weiter.

Wären Sie trotzdem grundsätzlich gegen eine solche Pflanze, nur weil sie gentechnisch verändert ist? Von welcher Pflanze sprechen Sie? Ich höre nur immer wieder viele Versprechungen. Der hypothetische Erfolg bringt uns nicht weiter.

Angenommen, es würde tatsächlich jemand eine schöne Biosorte mit Gentechnik weiter verbessern, würden Sie diese dann akzeptieren? Von mir aus. Sie müssen aber bedenken, dass Genmanipulationen nur einen winzigen Teil der Züchtung ausmachen, und diese wiederum ist nur ein winziger Schritt auf dem Weg zum Markt.

Andere sagen, dass der biologische Landbau nicht funktioniert, weil die Erträge tiefer sind als im konventionellen. Bis jetzt.

Glauben Sie, dass die Ertragslücke einmal überwunden wird? Das weiss ich nicht. Ich sage nur, dass die industrielle Landwirtschaft die Umwelt nachhaltig geschädigt hat. Die Umweltprobleme müssen jetzt prioritär angegangen werden. Die Aussage, dass die Gentechnik mehr ­Ertrag abwirft und weniger Pestizide erfordert, wurde in den USA durch Metastudien, also Neuanalysen von Daten mehrerer Untersuchungen, ­widerlegt.

Gerade der biologische Landbau ist doch auf resistente Sorten angewiesen. Wieso schliesst man ausgerechnet dort die Gentechnik aus? Das hat nichts mit Ideologie zu tun. Die Biozüchtung wird immer unter Berücksichtigung der Umwelt und standortgerecht durchgeführt, zum Beispiel von Peter Kunz mit seinem Verein Getreidezüchtung. Es ist wie eine Umweltverträglichkeitsprüfung.

Ignorieren die Biotechnologen also die Umwelt? 26

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Gentransfers werden im Labor gemacht. Natürlich wird nachher in der Umwelt geprüft. Die Gentechnik vermag komplexe Umweltinteraktionen nicht genügend zu berücksichtigen.

Stört es Sie, dass Gentechnik hauptsächlich von grossen Firmen betrieben wird? Natürlich stört mich das. Vor allem wegen der Patente. Diese fördern die Konzentration des Saatguthandels auf wenige Hersteller. Die Patente machen die Bauern abhängig, weil sie das Saatgut nicht selbst vermehren können. Zudem verhindern sie den freien Austausch genetischer Ressourcen, der durch den normalen Sortenschutz gewährleistet ist. Auch die Forscher erhalten durch Patente einen Tunnelblick auf die Gene. Gemäss dem Gen-Dogma bestimmen die Gene das Leben. Gene stehen am Anfang von allem, und wir sind quasi ihre Marionetten. Das klang früher noch viel extremer: Es gibt das Homosexuellen-Gen, das Leseschwächen-Gen – es herrscht ein unglaublicher Determinismus. Man ist, was einem die Gene diktieren.

Es waren doch vor allem die Medien, die diese Ein-Gen-für-allesTheorie dankbar verbreiteten. Nein, lesen Sie einmal die Literatur von James Watson und Francis Crick, den Entdeckern der Doppelhelix. Das Homosexuellen-Gen und das Leseschwächen-Gen wurden durchaus an Kongressen und in der Fachlite­ ratur diskutiert. Man kann nicht den Medien die Schuld für das extrem reduktionistische und deterministische Weltbild geben.

Ich habe Watson und Crick zwar nicht gelesen, bin aber noch nie auf einen Gen-Deterministen gestossen, wie Sie ihn beschreiben. Die deterministischen Klänge der Anfänge sind inzwischen vielleicht ­etwas gedämpft. Klar sind Gene enorm wichtig, und die Genforschung der letzten 30 Jahre hat enorm viele Einsichten auf molekularer Ebene gebracht. Das Bild wurde nicht nur komplexer, sondern das alte Gen-­ Dogma entpuppte sich als viel zu simpel. Es gibt nicht ein Gen, das nur ein Protein herstellt und nur eine Funktion ausübt. Es ist auch keine Einbahnstrasse, an deren Anfang das Gen steht. Da gibt es Rückkopplungen. Gene sind Teil eines Netzwerks. Dazu kommt die Epigenetik. Am Ende bestimmt die Zelle, wann welches Gen aktiv ist. Das ist eine Umkehrung der Hierarchie. 1. Kapitel:  Vernalisation

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Heute weiss man, dass der Informationsfluss von Genen zu den Proteinen zwar nicht der einzige ist, aber dass es übers Ganze gesehen trotzdem eine klare Richtung gibt. Ich gebe Ihnen recht, es ist ein sehr wichtiger Informationsfluss, aber es ist kein lineares, monokausales Modell, sondern ein Netzmodell. Nur schon der Gen-Begriff wurde immer schillernder. Ein Gen kann mehrere Funktionen haben. Sein Anfang und Ende sind unscharf. Die benutzten Metaphern orientieren sich an Computern und zementieren eine einseitige Denkrichtung.

Sie sagen, Pflanzen seien keine Roboter. Warum nicht? Eine Pflanze spult nicht einfach reflexartig ihr genetisches Programm ab. Sie kommuniziert zum Beispiel mit Duftstoffen. Sie kann aus Erfahrung lernen und sich erinnern und ist folglich mehr als ein Roboter.

Lernen und Erinnern sind aber Prozesse, für die das Gehirn verantwortlich ist. Menschen haben ein Gehirn, Pflanzen nicht. Das unterscheidet uns doch? Selbstverständlich sind Pflanzen anders. Doch nur weil die Pflanze kein Gehirn hat, kann sie trotzdem kommunizieren und Netze aufbauen und deshalb ein moralisches Subjekt sein. Sie ist keine Sache.

Das ist ja auch einer der Gründe, weshalb Sie gegen Patente sind. Warum soll ein Patent die Pflanze zu einer Sache degradieren? Ich möchte zuerst eine Frage stellen: Die Akademien der Wissenschaften Schweiz sagen in einer neuen Broschüre, eine gentechnisch veränderte Pflanze sei völlig natürlich. Gleichzeitig soll die Pflanze aber eine absolut neuartige Erfindung und daher patentierbar sein. Das ist doch ein Widerspruch.

Ich persönlich denke, dass eine konventionell gezüchtete Sorte und eine mit Hilfe von Gentechnik gezüchtete Sorte gleich natürlich oder künstlich sind. In beiden Fällen soll der Aufwand des Herstellers belohnt werden. Die eine kann man patentieren und die andere nicht. Warum?

Für die andere gibt es einen Sortenschutz. Welche Rolle spielt es für die Würde, ob die Pflanze sortengeschützt oder ­patentiert ist? Natürlich spielt es eine Rolle. Wenn Sie eine Uhr erfinden und beweisen können, dass Sie sie erfunden haben, dass sie neuartig ist und eine Fach28

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person – also ein Uhrmacher – sie nachbauen kann, dann erlaubt man ­Ihnen, sie zu patentieren. Aber genau darin unterscheiden sich Lebewesen von Uhren. Lebewesen sind keine Erfindungen und können nicht von Fachpersonen nachgebaut werden.

Jeder Züchter – also eine Fachperson – kann doch die gleichen zwei Sorten miteinander kreuzen. Aber das ist doch keine Erfindung, sondern eine Entdeckung.

Das heisst, weil ich die Pflanze «entdeckt» und nicht «erfunden» habe, verletzt das Patent die Würde der Pflanze? Weder erfinde ich sie, noch behaupte ich, ich könne sie ganz verstehen oder gar zusammenbauen. Bei einer Maschine kann ich das, aber nicht bei einer Pflanze. Sie bleibt ein moralisches Subjekt. Wenn ich eine Rose als patentierbar betrachte, gehe ich anders mit ihr um, als wenn ich davon ausgehe, dass sie kommunizieren kann und unter dem Boden ein Beziehungsnetz mit anderen Organismen bildet.

Sie kritisieren also die Denkweise des Patentanwalts und nicht die des Wissenschaftlers. Halt, das ist falsch. Der Wissenschaftler will es patentieren. Die Firma Myriad Genetics will ihre sogenannten Brustkrebs-Gene, Syngenta ihre Reis-Gene patentieren lassen – auch die Forscher wollen das.

Ja, weil sie von den Firmen dazu angehalten werden. Es gibt ganz wenige Wissenschaftler, die sich gegen die Patentierung wehren. Gene verändern sich im Laufe der Evolution und sind keine stabilen, gleich bleibenden, für alle Zeit beschreibbaren Gegenstände. Die Patentierung verstösst also prinzipiell gegen das, was ein Gen ist. Aber darüber könnten wir noch lange diskutieren. Ich frage mich: Wieso war die Agro-Gentechnik in den letzten 30 Jahren derart erfolglos? Über 95 Prozent aller gentechnisch veränderten Pflanzen produzieren ihr eigenes Insektizid, oder sie sind gegen das Herbizid Roundup von Monsanto resistent.

Es gibt durchaus noch andere Eigenschaften: zum Beispiel eine ­Virus-resistente Papaya, die auf Hawaii erfolgreich eingesetzt wird. Ja, das ist eine der ganz wenigen Ausnahmen. Weshalb besitzt nicht die Mehrheit der Pflanzen nützliche Eigenschaften? Nicht, weil die Industrie diese nicht möchte, sondern weil es nicht funktioniert. Es wären zu g ­ robe 1. Kapitel:  Vernalisation

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Eingriffe in ein sehr filigranes Netz von Wechselwirkungen. Die beiden bewährten Eingriffe berühren den normalen Stoffwechsel der Pflanzen offensichtlich kaum, sodass sie diesen nicht stören.

Da ignorieren Sie aber auch den mit Provitamin A angereicherten Golden Rice, der eine komplexe Eigenschaft mitten im Stoffwechsel der Pflanze zeigt. Der hat sich in der Umwelt aber noch nicht bewiesen.

Er konnte sich nicht beweisen, weil das bisher erfolgreich verhindert wurde. Jetzt kommen Sie mit der Verhinderungstheorie. In den USA herrscht kein Verhinderungsklima.

Der Reis ist auch nicht für die USA gedacht. Nein, aber zum Beispiel Weizen. Nur schon bis 2008 gab es über 800 Versuche mit transgenen Pilz-resistenten Weizen. Kein einziger dieser Weizen wurde bisher kommerzialisiert. Offenbar passierte das Gleiche wie beim Nationalen Forschungsprogramm NFP 59. Im Labor haben die transgenen Weizenpflanzen funktioniert. Sobald sie auf dem Feld standen, nicht mehr. Viele lieferten weniger Ertrag und wurden vom Mutterkornpilz befallen. Es stellte sich heraus, dass der Ort, wo das Gen integriert wird, eine Rolle spielt und sich die Umwelt direkt aufs Genom auswirkt – offenbar via Epigenetik. Das sind spärliche Resultate und eigentlich triviale. Das beobachtet man immer wieder. Die Gentechnik greift zu kurz.

Das bringt uns direkt zu Sautters Versuch, der vor dem NFP 59 stattfand. Leute wie er versuchen andere Eigenschaften zu erforschen. Dabei stossen sie in Europa auf grossen Widerstand, was junge Forscher von diesem Gebiet fernhält. Kein Wunder, kommt dabei nur heraus, was die Industrie macht. Ich sagte ja, selbst in den USA kam nichts heraus.

Vielleicht würde gerade das europäische Weltbild andere Eigenschaften hervorbringen. Das glauben Sie doch nicht im Ernst? Wir hielten Sautters Versuch einfach für ungeeignet. Warum hat er ihn gemacht? Er hat seinen Versuch als PR für die Gentechnik in der Schweiz aufgezogen. Ich weiss noch, wie er aktiv auf mich zukam – was ich sehr nett fand – und wir zusammen Kaffee tranken. Er zeigte mir einen grossen Artikel in der Boulevard-­ 30

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Zeitung «Blick» mit dem Titel «Die Schweiz kann X Tonnen Fungizide sparen dank dem Weizen von Sautter». Damit eröffnete er die ganze Diskussion. Ich selbst hätte mich gegen einen Freisetzungsversuch nicht gewehrt – aber ein Versuch ausgerechnet mit Weizen und ausgerechnet gegen die Pilzkrankheit Stinkbrand, die in der Schweiz kein Problem ist, weil es gute, resistente Sorten gibt! Mir war schleierhaft, wieso da so viel Geld hineinfliessen sollte. Dazu kamen noch zusätzlich eingebaute Resistenzen gegen ein Antibiotikum und ein Herbizid. Es war einfach kein geeigneter Versuch.

Sautter war ja einer der Ersten, die überhaupt Weizen gentechnisch verändern konnten. Er wollte den Versuch als Beispiel verstanden wissen … Ja, als Türöffner für die Gentechnik in der Landwirtschaft!

Nein, als Beispiel dafür, was man mit der von ihm entwickelten Technik machen kann. Es war seine Forschung … Klar war es seine Forschung, aber er darf nicht so naiv sein und meinen, dass er keine Debatte entfacht, wenn er damit an die Öffentlichkeit geht. Das wollte er offensichtlich, sonst wäre er damit nicht zum «Blick» gegangen.

Meines Wissens wollte er einfach in Ruhe seinen Versuch durchführen, stiess damit auf Widerstand und tat dann alles, um den Versuch zu retten. Sein Ziel war eine gute Fachpublikation. Mich interessiert die Person Sautter auch nicht wirklich. Von unserer Seite her war klar: Wir wollten keine genmanipulierten Pflanzen auf den Feldern der Schweizer Bauern.

Beisst sich Ihre Argumentation nicht in den eigenen Schwanz? Sie sagen, die Erforschung der Gentechnik bringt nichts, die Forscher dürfen aber nicht zeigen … Halt, forschen dürfen sie selbstverständlich schon.

Aber nicht draussen? Im Labor können sie machen, was sie wollen. Gegen Freisetzungsexperimente wehre ich mich auch nicht. Sobald das Produkt grossflächig angebaut wird, ist die Frage, ob die Gesellschaft die Risiken eingehen will. Ich sehe keinen Grund, weshalb in der Schweiz die Agro-Gentechnik erlaubt werden soll. Ich habe die Broschüre der Akademien der Wissenschaften 1. Kapitel:  Vernalisation

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Schweiz studiert, kann dem aber nicht zustimmen. Mehltau-resistente Kartoffeln versuchte man schon hundertmal gentechnisch herzustellen. Erstens kam dabei nichts heraus, und zweitens gibt es bereits Mehltau-­ resistente Sorten. Dass man ausgerechnet die von Monsanto patentierten, gegen Roundup resistenten Zuckerrüben in der Schweiz einführen will, begreife ich nicht. Das ist eine gigantische, weltweite Pestizid-Monokultur, mit der sie in den USA inzwischen gegen eine Wand laufen. Über 24 Pflanzenarten sind resistent gegen Roundup, das vor allem bei trans­ genen Pflanzen eingesetzt wird. Der grösste gentechnische Fortschritt der letzten Jahre ist, dass man weitere Herbizid-Resistenz-Gene hinzufügt.

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