GRASWurzel - Ausgabe April 2011

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GRASwurzel Periodicum der GRAS Ausgabe April 2011

Auch auf

deiner Uni

Ă–H-Wahlen

24.-26.Mai 2011


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So ist die GRAS

Editorial:

GRAS - da denken viele Menschen an ein Genussmittel oder das grüne Zeug das aus dem Boden wächst. GRAS steht aber auch für „Grüne & Alternative StudentInnen“ - eine große Gruppe von Studierenden, die die Unis und die Welt verändern wollen. smilla Basisdemokratische Strukturen

Feminismus

Die AktivistInnen der GRAS treffen sich zumindest einmal in der Woche auf einem Plenum um das aktuelle (bildungs)politische Geschehen zu diskutieren und Aktionen zu planen. Dabei erhebt diese Runde den Anspruch, basisdemokratisch zu agieren und allen Meinungen gleich viel Raum zu geben. Im Gegensatz zu anderen Fraktionen gibt es bei uns keine hierarchische Organisationsstruktur und auch keine Mehrheitsbeschlüsse. Alle Entscheidungen werden im Konsens getroffen, jedeR einzelne AktivistIn hat ein Vetorecht. Viele glauben, dass die Basisdemokratie in der GRAS umständlich und chaotisch ist, doch das Gegenteil ist der Fall: dadurch dass es keine Kampfabstimmungen oder Putsche geben kann und alle AktivistInnen selbstbestimmt arbeiten können, verläuft unsere Arbeit sehr harmonisch.

Zentrales Thema für uns ist die feministische Arbeit. Wir versuchen aktiv Sexismen, Mackergehabe und patriarchale Strukturen aufzudecken und aufzubrechen sowohl innerhalb als auch außerhalb der GRAS. Die Diskriminierung von Frauen hat System und muss deshalb auch systematisch bekämpft werden. Dabei geht es nicht nur um gleichen Lohn für gleiche Arbeit oder ähnliche Forderungen, sondern um das Aufbrechen der dahinterliegenden Mechanismen, der Vorurteile und Rollenbilder. Die GRAS setzt sich die für eine offensive Frauenpolitik und aktive Frauenförderung ein.

Fundi & Realo Wir versuchen in unserer Politik weiter als bis übermorgen zu denken, viele unserer Ziele sind utopisch formuliert. Wir finden es wichtig, sich nicht an den kleinen, sondern an den großen Veränderungen unserer Gesellschaft zu orientieren. Wir sind aber nicht bereit zu warten obs irgendwann besser wird, wir wollen aktiv mitgestalten und die Verantwortung für unsere eigenen Angelegenheiten übernehmen. Dazu ist es nötig, auch kurzfristige, konkrete Forderungen zu stellen. Fundi & Realo sind für uns also kein Widerspruch, vielmehr bedingen sie einander.

Antifaschismus Die Ereignisse rund um den WKR Ball zeigen uns jedes Jahr, dass Österreich immer noch stark faschistisch und nationalsozialistisch geprägt ist. Auch dass ein dritter Nationalratspräsident gedultet wird, der einer rechtsextremen Organisation angehört zeigt, dass es keinen antifaschistischen Grundkonsens gibt und Österreich seine Geschichte immer verdreht, statt aufgearbeitet hat. Die GRAS steht für aktive AntifaArbeit sowohl was antifaschistische Aufklärung als auch die Zerschlagung rechtsextremer und faschistischer Strukturen betrifft.

Ökologisch nachhaltig Die Forderung, ökologisch und nachhaltig zu handeln, ist in aller Munde. Dass diese Forderung je-

Liebe Leser*in, das Format ist vertraut, das Papier alltäglich und die sommerlichen Farben überall - und trotzdem lässt sich die GRASwurzel nicht in die gewohnten Schemata einordnen: Genau so wenig wie die GRAS selbst. Denn wir wollen Verkrustungen aufbrechen, Grenzen durchkreuzen und Verhältnisse zum Tanzen bringen. Die Themen sind so vielfältig wie die etlichen Inhalte, die wir in der GRAS in den letzten Monaten heiß diskutiert haben. Die spannendsten haben wir für dich herausgegriffen und in Artikel geformt. Wir wollen mit ihnen Fragen aufwerfen, die vielleicht so noch nicht gestellt wurden. Wir wagen uns an ernste und theoretische Themen heran, aber nicht ohne Humor. Manchmal reichen unsere Vorstellungen ins Utopische, oftmals versuchen wir zu provozieren. Und wenn du anderer Meinung bist als wir, dann hoffen wir, dazu anzuregen, zu argumentieren. Denn damit haben auch wir uns viel Mühe gegeben. Herausgekommen ist dabei die druckfrische GRASwurzel! Bunt, geballt und mit Fröschen, Wüste und Salat wünschen wir dir viel Spaß beim Lesen, Diskutieren und Planschen,

doch weit über Mülltrennung, CO2-Reduktion und Biolebensmittel hinausgeht und eines radikalen Paradigmenwechsels bedarf, ist vielen Menschen und PolitikerInnen nicht bewusst. Die GRAS steht für eine ökologisch-nachhaltige Politik, die sich nicht auf Handlungsmöglichkeiten wohlhabender IndustriestaatsbewohnerInnen beschränkt, sondern sich den globalen und sozialen Herausforderungen stellt.

Emanzipatorische und kritische Bildung Bildung wirkt emanzipatorisch und ermöglicht den Menschen, sich kritisch mit gesellschaftlichen Verhältnissen auseinanderzusetzen. Sie stellt eine wichtige Rahmenbedingung für soziale Absicherung, Gesundheit und Demokratie dar und ist über die sozialen und kulturellen Rechte der UNO als Grundrecht verankert. Bildung muss allen Menschen, ohne Hürden wie Studiengebühren oder Zugangsbeschränkungen zugänglich sein. Ebenso muss die Freiheit der Hochschulen und ihrer Angehörigen garantiert sein - nur unabhängige und kritische Bildung kann auf die Veränderung bestehender Verhältnisse hinwirken.

Antikapitalistisch Dass das vorherrschende kapitalistische System wenigen nützt und die meisten ausbeutet ist kein Geheimnis. Für uns geht es dabei aber nicht um die Schatten der Globalisierung oder eine vielzitierte „Turbo“-Variante des Kapitalismus. Aus unserer Sicht lässt sich dieser auch nicht zähmen. Kapitalismus ist ein System, das nur aufgrund der ungerechten Verteilung überhaupt funktioniert, es begründet Macht und gesellschaftliche Verhältnisse und ist inzwischen schon lange in alle Lebensbereiche vorgedrungen. Nur ein Systemwechsel kann zum Ende ökonomischer Unterdrückung und zur Freiheit aller Menschen führen.

Impressum: Herausgeberin: GRAS - Grüne und Alternative StundentInnen MitarbeiterInnen: Lisa Breit, Maria Clar, Kay Dankl, Teresa Dopler, Flora Eder, Stefan Esterer, Sabine Helmberger, Sigrid Maurer, Jannis Menn, Petra Sieber, David Untersmayr, Sebastian Woesz (Layout), Bernhard Zöchmeister Herstellungs- und Erscheinungsort: Bzoch GmbH Druck & Verlag, Kupferschmiedgasse 7, 2201 Hagenbrunn-IG Fotos Seite 5: CC, flickr.com strassenstriche.net und rejflinger Seite 8: CC, flickr.com Brian Gratwicke Seite 12: CC-by-sa 3.0/de, flickr.com Matthias Voss

Deine GRAS

Wasn das, ÖH? Die ÖH ist die gesetzliche Interessensvertretung aller Studierenden. Klingt langweilig? Ist es aber nicht! smilla Die gesetzliche Grundlage für die Arbeit der ÖH ist das HochschülerInnenschaftsgesetz. Es regelt die Struktur der ÖH, die Vertretungsebenen und wofür sie zuständig ist. Die ÖH ist dazu verpflichtet, die allgemeinen und studienbezogenen Interessen der Studierenden zu vertreten. Das bedeutet, dass die ÖH auch ein allgemein politisches Mandat hat. Die GRAS steht dafür, dieses Mandat auch zu nutzen, denn Studierende waren an gesellschaftlichen Veränderungsprozessen immer stark beteiligt. Wir verstehen es als unsere Pflicht, solidarisch auch bei Themen aktiv zu werden die nicht direkt mit Bildungspolitik zu tun haben. Deshalb engagieren wir uns innerhalb der ÖH zB gegen das menschenverachtende Asylrecht, bringen Öko- und Nachhaltigkeitsbroschüren heraus und beteiligen uns aktiv an HomoBiTrans-Veranstaltungen. Die GRAS steht auch für eine offene und partizipative ÖH – wir wollen, dass alle mitgestalten können. Das Gerücht, dass nur fraktionierte Studierende in der ÖH mitarbeiten können ist falsch.

Verzerrtes Wahlergebnis Die ÖH gliedert sich an den Universitäten in vier Ebenen: Die Studienvertretung auf Ebene deiner Studienrichtung, die Fakultätsvertretung auf Ebene der Fakultät*, die Universitätsvertretung auf Ebene der Universität und die Bundesvertretung. Davon können seit 2005 nur mehr die Studienvertretung und die Universitätsvertretung direkt gewählt werden, die Fakultätsvertretung und die Bundesvertretung werden aus den jeweils unteren Ebenen beschickt. Das

führt zu starken Verzerrungen bei den Wahlergebnissen, denn Stimmen von kleineren Universitäten sind wesentlich mehr wert als Stimmen von großen Universitäten. So benötigt eine Fraktion an der Kunstuniversität Linz ca. 900 Stimmen für ein Mandat, an der Boku sind über 6.000 nötig. Außerdem wurde 2005 unter Schwarz-Blau ein absurdes Sonderrecht für den rechtsextremen RFS eingeführt: Wenn eine Fraktion an mindestens sechs Universitäten gemeinsam antritt und 1000 Stimmen erreicht, erhält sie ein Mandat. Damit widerspricht der Wahlmodus dem demokratischen Grundprinzip der Gleichwertigkeit aller Stimmen. Studierende haben durch den Beschickungsmodus keine direkte Gestaltungsmöglichkeit, wer sie auf Bundesebene gegenüber der Politik vertritt wenn an ihrer Universität ihre Wunsch-Fraktion nicht antritt. Ebenso kann es sein, dass du auf Universitäts- und Bundesebene gerne unterschiedliche Fraktionen wählen möchtest, mit dem derzeitigen Wahlrecht geht das nicht. Die GRAS setzt sich deshalb für die Wiedereinführung der Direktwahl aller Ebenen der ÖH ein.

Strukturelle Diskriminierung Ein weiteres großes Problem im Wahlrecht der ÖH ist, dass Studierende aus Nicht-EWR-Staaten nach wie vor nicht passiv wahlberechtigt sind, also selbst nicht für die Studienvertretung kandidieren dürfen. Es ist bezeichnend, dass obwohl auf Fachhochschulebene diese strukturelle Diskriminierung nicht mehr

besteht sich der Gesetzgeber bisher nicht dazu bemüßigt fühlte diesen Unrechtszustand zu beenden.

Für eine laute und kämpferische ÖH! Die letzten beiden Jahre waren bildungspolitisch sehr turbulent – die #unibrennt-Proteste, die Flucht von Wissenschaftsminister Hahn nach Brüssel, die verspätete Einsetzung der ebenso inkompetenten Ministerin Karl, der Hochschuldialog, das Sparpaket mit der Streichung der Familienbeihilfe für über 24igJährige und nun schon wieder ein neuer Minister. In diesen zwei Jahren hat die GRAS an vielen Universitätsvertretungen und in der Bundesvertretung kräftig mitgemischt. Wir haben die ÖH wieder sichtbar gemacht und damit die Interessen der Studierenden ins Zentrum der Diskussion gerückt. In der bildungspolitischen Debatte ist klar: ohne die ÖH läuft da nix. Diese erfolgreiche Arbeit wollen wir weiterführen, denn wir brauchen eine laute, kritische und kämpferische Vertretung. Damit wir das tun können müssen wir gewählt werden – wir hoffen auf deine Stimme! * Diese Ebene heißt eigentlich §-12-Organ, sie muss nicht zwingend eingerichtet werden und kann sich auch auf eine andere Organisationsebene wie zB Departments beziehen.


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Zugangsbeschränkungen – eine verschleierte Diskussion Aufnahmeprüfungen, Studiengebühren und verschärfte Studieneingangsphasen kay

So wird der Ruf nach Zugangsbeschränkungen häufig mit dem Hinweis verbunden, dass die hohen DropOut-Quoten an den Universitäten gesenkt werden müssen. Um trotz knapper Hochschulbudgets die AbsolventInnenzahlen zu steigern, sollte die Zahl der Studienabbrüchen reduziert werden. Als Ursache für Studienabbrüche führen die BefürworterInnen von Aufnahmeprüfungen gerne die angeblich fehlende Motivation oder unzureichende „Begabung“ der Studierenden ins Feld. Daher müsse schon vor oder unmittelbar nach Studienbeginn die Eignung der Studierenden gemessen und die „Untauglichen“ ausgesiebt werden. Abgesehen davon, dass der schwammige Begriff der „Begabung“ in den meisten Fächern unpassend erscheint – wer würde schon von einer Begabung zum Soziologie- oder Jusstudium sprechen? – übersieht diese Argumentation, dass viele Studierende erst im Zuge des Studiums ihr Potenzial entfalten. Weitaus bedenklicher an dieser Argumentation ist aber, dass die Studierenden für das Phänomen des Studienabbruchs selbst verantwortlich gemacht werden. Die realen Gründe für die schwerwiegende Entscheidung, ein Studium abzubrechen, werden damit bewusst verschleiert. Eine Studie des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung belegte, dass vor allem finanzielle Probleme und zeitintensive Erwerbstätigkeit neben dem Studium zu Studienabbrüchen führen. Der Studienabbruch ist also kein persönliches Armutszeugnis der Betroffenen, sondern Ausdruck und Folge eines vergleichsweise studierendenfeindlichen Umfelds. Viele Studierende befinden sich in einem Teufelskreis aus Finanznot, in der Folge ausufernder Berufstätigkeit, Studienzeitverzögerungen, dem Verlust von Beihilfen und schließlich dem Abbruch des Studiums. Die Kürzungen bei der Familienbehilfe verschärfen das Risiko eines unfreiwilligen Studienabbruchs. Ein zentrales Problem liegt in den unrealistisch niedrigen Mindeststudienzeiten. Denn wer das Hauptstudium nicht innerhalb der Mindeststudienzeit plus Toleranzsemester abschließt, verliert den Anspruch auf Studienbeihilfe, Familienbehilfe und diverse Stipendien. Die Mindestzeit plus Toleranzsemester sieht für Diplomstudien nur 10 Semester vor, während der Durchschnitt der tatsächlichen Studienzeit bei 12,5 Semester liegt. Bei Bachelorstudien sind 7 Semester vorgesehen, der reale Schnitt liegt jedoch bei 8,5 Semester; bei Doktoratsstudien sind es 7 gegenüber 9 Semester. Die Diskrepanz zwischen den erwarteten und den tatsächlichen Studienzeiten liegt häufig in der Überfrachtung der Studienpläne. Rein formal entspricht ein Hochschulstudium einem Vollzeitjob mit 40 Arbeitsstunden pro Woche. Mit Hilfe von ECTSPunkten (European Credit Transfer System) sollten

Mehr, schneller, kürzer! Was der Leistungsdruck an der Uni mit der Marktwirtschaft zu tun hat jannis Ja, liebe Politik, wir haben verstanden: Leisten sollen wir, möglichst viel, möglichst klaglos, möglichst billig. Angenehm ist das nicht und daher verlässt sich die Politik auch nicht einfach darauf, dass wir dieser Aufforderung freiwillig nachkommen: Sie installiert jede Menge Instrumente um diese Leistung zu erzwingen.

Aufnahmeprüfungen, Studiengebühren und verschärfte Studieneingangsphasen – alles nur irregeleitete Ansätze, die von der Bundesregierung nach dem Zufallsprinzip vorgebracht werden? Wohl kaum. Denn in der Diskussion rund um Zugangsbeschränkungen tauchen regelmäßig wiederkehrende Argumente auf, während andere Fakten gezielt verschleiert werden.

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Ressource für die Zukunft der Nation zu sein ist eine ungemütliche Angelegenheit.

Dementsprechend wächst der Leistungsdruck. Das ist unangenehm, für viele Menschen sogar so sehr, dass sie psychisch oder körperlich krank werden (siehe Factbox). Das ist der Politik bekannt, wird aber in Kauf genommen. Klingt gemein, ist es auch, bleibt die Frage: Warum tut sie das? Wofür wird hier eigentlich geleistet? Und warum wird dieser Leisungszwang so rücksichtslos gegen die Bedürfnisse der Menschen durchgesetzt? Auch hier sind die PolitikerInnen nicht um eine ehrliche Antwort verlegen: Es geht um Wettbewerbsfähgikeit, der „Standort Österreich“ soll nach vorne gebracht werden.

der Arbeitsaufwand von Lehrveranstaltungen gemessen und die Anforderungen des Curriculums an den Idealwert von 30 ECTS-Punkten (ca. 750 Arbeitsstunden) angepasst werden. Die Realität ist jedoch weit davon entfernt. Mit der Implementierung des Bologna-Systems wurden zahlreiche vierjährig angelegte Diplomstudien auf dreijährige Bachelorstudien komprimiert, ohne dass die Studieninhalte der kürzeren Dauer angepasst geworden wären! Die Abspeckung der Curricula auf ein studierbares Maß scheiterte am Widerstand der Universitäten und einzelner Lehrender, die nicht bereit waren, Lehrinhalte aus

ihrem Fach zu kürzen. Heute sind die meisten Curricula noch immer hoffnungslos überfrachtet. Mit ein Grund ist, dass die Work-Load-Erhebungen zur Bemessung den studentischen Aufwandes nur halbherzig durchgeführt werden und kaum zu Veränderungen in der Gestaltung von Lehrveranstaltungen und Studienplänen führen. Als GRAS setzen wir uns auf lokal- wie bundespolitischer für studierbare Curricula, seriöse LV-Evaluierungen und für die Aufhebung der Mindeststudienzeiten ein!

RektorInnenbestellungen und ihr Echo Kommentar toni Wir haben uns schon daran gewöhnt, dass neu RektorInnen nicht mehr vom letzten halbwegs demokratisch legitimierten Gremium der Uni, dem Senat gewählt werden, sondern von einer Gruppe von Menschen, die zur Hälfte von der Uni und zur anderen Hälfte von der Regierung bestellt wurden. Auch schafft es hin und wieder eine Frau, einen solchen Posten zu bekommen – dass es bisher erst vier Frauen gelungen ist, zur Leitung einer staatlichen Uni in Österreich berufen zu werden ist, wird vielleicht noch als Fußnote erwähnt. Auffallend ist dabei jedoch, dass es die Frauen sind, die sich der Frage stellen müssen, ob sie ihren Posten nur deshalb bekommen haben, weil sie eine Frau sind – so geschehen zum Beispiel im Interview mit der zukünftigen RektorIn der TU Wien im der Wiener Zeitung (vom 5. März 2011). Niemand würde auf die Idee kommen, einen neuen Rektor zu fragen, ob er nur deshalb Rektor geworden ist, weil er ein Mann ist In diesem Fall ist es normal anzunehmen, die Bestellung wurde aufgrund seiner Qualifikation getroffen.

Die Studierenden fungieren als Mittel für diesen Zweck. Sie sind Humankapital, das für die Leitungsebene von Behörden und Unternehmen ebenso vorgesehen ist wie für technisch anspruchsvollere Berufe in der Wirtschaft. Da die Studierenden diese Rolle als Ressource für Staat und Kapital innehaben, wird mit ihnen als Kostenfaktor kalkuliert. Es soll mit so wenig Geld wie möglich so viel Leistung wie möglich aus ihnen herausgeholt werden. Jeder Euro, der in über den Arbeitsmarkt nicht verwertbare Ausbildung investiert wird, ist nach dieser Rechnung einer zu viel.

Bildung für Alle? Kein Ziel für diesen Staat Es geht in den sogenannten „Wissensgesellschaften“ also keinesfalls darum, allen Menschen so viel Wissen wie möglich zu vermitteln. Stattdessen wird Bildung in einen Selektionsprozess eingebettet, der über Konkurrenz funktioniert. Das bedeutet, dass gerade jene Menschen, die mehr Mühe haben mit dem Lernen und eigentlich mehr Zeit und Hilfe bedürften, schon früh aus den Bildungseinrichtungen ausgeschlossen werden. Sie werden als anspruchlose und billige Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt gedrängt. Der relativ geringen Anzahl an AbsolventInnen höherer Schulen steht die Vielzahl der

Heute ist es umgekehrt: Auch wenn es hin und wieder marktbedingt zu Engpässen kommt (wer kann schon wissen, was die Unternehmen in ein paar Jahren gerade an Arbeitskräften nachfragen?), so belegen die Arbeitslosenzahlen aller Ausbildungsniveaus doch eindrucksvoll, dass es genug von allem gibt: BilliglöhnerInnen mit Hauptschulabschluss genauso wie Menschen mit Diplom oder DoktorInnentitel. Reserven ausschöpfen braucht da keineR mehr. Trotzdem ist der Staat mit den Leistungen des Bildungssystems notorisch unzufrieden und will dieses „optimieren“: Noch mehr Leistung soll geschaffen und erzwungen werden – wie könnte es in einem Konkurrenzsystem auch jemals genug davon geben?

Standortnützlicher Studi zu sein ist kein Glück, sondern ein Pech Menschen gegenüber, denen eine höhere Bildung verwehrt wurde – und das Größenverhältnis beider Kollektive wird in Bildungsreformen immer wieder dem tatsächlichen Bedarf der Nation angepasst, der sich am Arbeitsmarkt herausstellt.

Uni-Reformen: Die Ressource Bildung wird ihrem aktuellen Zweck angepasst Seit einiger Zeit macht sich die Politik daran den Bildungsbereich zu reformieren: Der Staat will sparen. Wenn der Staat spart, dann schränkt er nicht sich ein, sondern andere, nicht nur im Bildungsbereich. Er versucht die Effizienz zu erhöhen: Studierende sollen billiger und schneller studieren, jünger auf den Arbeitsmarkt gedrängt werden. Und was führt all diese Leistungen zuverlässiger herbei als konsequenter Zwang durch mehr Konkurrenz? Diese Umstrukturierungen werden nicht als bedauerliche Folge leerer Staatskassen angesehen, sondern als längst überfällige Reformen. Diese Bildungsreformen sind in etwa das Gegenteil dessen, was vor rund 40 Jahren unter diesem Namen bekannt wurde – und trotzdem folgen sie derselben Logik. Auch damals war die Staatsmacht mit ihrem Humankapital unzufrieden. Österreich legte nach dem Krieg einen kometenhaften Aufstieg

Geht mensch einmal davon aus, dass Männer nicht automatisch zum Rektor geboren werden und Frauen die dafür nötigen Fähigkeiten von Haus aus fehlen, ist die Erklärung für die bestehende ungleiche Verteilung in diesen Ämtern in den Umständen der Karriere und in offenbar ungleich Verteilten Aufstiegschancen zu suchen. Nicht nur die Fähigkeiten und Leistungen der Männer sind entscheidend, auch die Vorstellungen, Normen und Bilder davon, was es zur RektorIn braucht müssen mit betrachtet werden. Diese Maßstäbe jedoch sind davon geprägt, was wir alle seit je her kennen: dem Mann als Rektor. Nehmen wir uns also die Zeit zum Nachdenken; Erkennen wir, dass es nicht nur um die Personen geht, die zur Wahl stehen, sondern auch um die gesellschaftlichen Normen, an denen sie gemessen werden. Beginnen wir damit, die neuen Rektoren zu fragen, ob sie ihr Amt nur bekommen haben, weil sie Männer sind – denn diese Frage liegt weit näher an der Realität, wie den Frauen zu unterstellen, ihre einzige Qualifikation wäre ihr Geschlecht.

als Kapitalstandort hin, weshalb das alte Bildungssystem nicht mehr funktional war: Das Kapital fragte mehr gut ausgebildete Arbeitskräfte nach, dementsprechend wurden die Bildungsinstitutionen ausgebaut und plötzlich durften auch Menschen studieren, die vorher noch als „unbegabt“ gegolten hatten. Dies lief unter dem Motto „Bildungsreserven ausschöpfen“.

Die Unibrennt-Bewegung verwendete die Rolle der Bildung als Standortfaktor häufig als Argument gegen die Bildungsreformen. Ein Spruch wie „Unsere Bildung, eure Zukunft“ zeugt vom Bewusstsein über die Unverzichtbarkeit der Gebildeten als Ressource der Nation. Weil die Bildung so wichtig wäre für Österreichs Zukunft, könne die Regierung doch nicht ausgerechnet in diesem Bereich sparen – und die Studierenden als zukünftige Schlüsselarbeitskräfte nicht so schlecht behandeln. Da täuschen sie sich leider gewaltig. Gerade weil die Politik um die Wichtigkeit der Ressource Bildung im internationalen Standortwettbewerb bescheid weiß, wird der Druck auf die Studierenden erhöht. Es ist ihre Rolle als Ressource der Nation, die sie zu spüren bekommen. Eine Politik, die den Leistungsdruck nachhaltig bekämpfen will, kommt daher nicht daran vorbei, die Rechnung des Staates mit seinem Humankapital anzugreifen – also die Systemfrage zu stellen.

Factbox: Laut einer repräsentativen Studie des „Fokus“ leiden 36 Prozent der Studierenden unter starken Prüfungsängsten. 24 Prozent der angehenden AkademikerInnen fühlen sich durch hohe Leistungsanforderungen stark belastet. Eine Studie an der HU-Berlin kommt zum Ergebnis, dass der Aufwand in den neuen Bachelor-Studiengängen gestiegen und die Studierbarkeit gesunken ist. Der gestiegene Leitungsdruck erhöhe den “Stress- und Angstpegel” in den Bachelor-Studiengängen, so Kathrin Wodraschke von der Psychologischen Studierendenberatungsstelle Wien. Die Anzahl der Studierenden, die psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, ist in Wien von 2291 im Jahr 1991 auf 4008 im Jahr 2008 gestiegen. Österreichweit sind es etwa 12‘000. Eine Studie der „Techniker Krankenkasse“ zeigt, dass 27% der Studierenden unter Schlafstörungen leiden, 16% unter depressiven Verstimmungen, 14% unter Herzrasen, Kreislaufbeschwerden und Schwindel, 9% unter Ängsten und Phobien und 8% unter Atembeschwerden und Händezittern. Laut einer Studie des deutschen Studentenwerks nahm der Anteil gesundheitlich geschädigter Studierender zwischen dem Jahr 2000 und 2006 um 4% auf 19% zu. 10% der den Studierenden verschriebenen Medikamente sind Antidepressiva.

Die Universität: ein Humankapitalveredelungsbetrieb.


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Frauenhandel in die sexuelle Ausbeutung Wie (gesellschaftliche) Strukturen diesen ermöglichen Frauenhandel in die sexuelle Ausbeutung bedeutet Gewalt, Zwang, Unterdrückung und Sexismus. Gesellschaftliche Strukturen ermöglichen diese Prozesse. Damit sich diese Formen der Diskriminierung und Menschenverachtung verringern, ist es wichtig sexuelle Themen im Allgemeinen zu enttabuisieren. Gesellschaftliche Strukturen sollten überdacht und aufgebrochen werden, um die Möglichkeit der Legitimierung von Unterdrückungsmechanismen zu verhindern. Das Wichtigste ist allerdings immer die Würde der betroffenen Frauen. Menschenhandel ist ein globales und viele Personen umfassendes Faktum. Auch in Österreich ist er Alltag. Einer der großen „Zielbereiche“ des Handels von Frauen ist vor allem jener der sexuellen Ausbeutung. Abgesehen davon, dass die breite Öffentlichkeit versucht, dem Thema so gut als möglich aus dem Weg zu gehen und es nicht zu berühren, werden die wenigen doch erfolgenden medialen Darstellungen nur äußerst isoliert skizziert. Es wird das Verständnis von „Prostitution als Sittenwidrigkeit“ deutlich. Zudem werden in der medialen Berichterstattung die Händler_innen, Zuhälter_innen und die Situation in den Herkunftsländern als die alleinigen „Schuldigen“ ausgemacht. Dass es Pull-Faktoren, wie eine Nachfrage und die dazugehörigen Personen, in Österreich gibt und diese maßgeblich an dem Handel beteiligt sind, wird ausgeklammert und einfach nicht behandelt. Auch gibt es keine oder kaum Darstellungen der betroffenen Frauen oder ein Hinterfragen wie es ihnen geht und was weiter mit ihnen geschieht. Dies müsste nicht der Fall sein, gibt es doch sehr wohl Darstellungen und Zahlen, welche die Thematik weniger verzerrt darstellen und eine dementsprechend ausgewogenere Berichterstattung ermöglichen würden. Beispielsweise hat die Nicht-Regierungsorganisation LEFÖ-IBF (Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels) ihre Zahlen und Statistiken dokumentiert und in einem Bericht, der eingesehen werden kann, veröffentlicht. LEFÖ-IBF betreute allein im Jahr 2009 182 Frauen, welche Betroffene des Frauenhandels waren. Dies sind allerdings auch nur die wenigen Fälle die bereits als Betroffene identifiziert wurden. Die Dunkelziffer dürfte erheblich größer sein. All jene, die bei Razzien oder Ausweiskontrolle keine oder eine gefälschte Aufenthaltsbewilligung haben, kommen in Schubhaft und werden nach kurzer Zeit in ihr Herkunftsland abgeschoben. Wie bspw. am 19.Jänner 2011, als eine junge Nigerianerin, welche als Betroffene von Menschenhandel identifiziert war und sogar gegen ihre Peiniger aussagen wollte, abgeschoben wurde. Dies widerspricht sogar den eigentlichen Regelungen.

Strukturelle Bedingungen begünstigen den Menschenhandel Frauen, welche identifiziert wurden oder sich bei den NGOs, Behörden, u.a. gemeldet haben, bekommen, vorausgesetzt sie verfügen über einen „illegalen Aufenthaltstitel“, 30 Tage Abschiebeschutz, um entscheiden zu können, ob sie in einem Strafprozess gegen ihre Menschenhändler_innen, Zuhälter_innen, etc. aussagen können und wollen. Wenn sie als Zeuginnen bereitstehen, dann tritt für sie §162 der Strafprozessordnung in Kraft, welcher besagt, dass sie Fragen, dessen Beantwortung eine Bedrohung für sie darstellen können, nicht beantworten müssen und/oder dass sie ihr Aussehen bis zu Nicht-

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Erkenntlichkeit verändern können – solange die Mimik des Gesichts noch erkennbar ist. Zudem können sie laut §69a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz eine Aufenthaltserlaubnis von sechs Monaten bekommen, welche bei Nicht-Abschluss des Verfahrens verlängert werden kann. Allerdings haben sie danach, seit Jänner 2010, keinen Anspruch mehr auf humanitäres Bleiberecht in Österreich und werden in weiterer Folge zumeist abgeschoben. Das ist ein Beispiel, wie die strukturellen Bedingungen in Österreich Frauenhandel in die sexuelle Ausbeutung begünstigen und ermöglichen. Diese Strukturen zeichnen sich bspw. dadurch aus, dass

• Menschen illegalisiert werden in ihrem Aufenthalt • • • • • • • • •

und damit von vielen elementaren Rechten ausgeschlossen sind, Asylsuchende in Österreich abgesehen von der neuen Selbständigkeit, wie der Sexarbeit vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, eheliche Abhängigkeitsverhältnisse mit Österreicher_innen bestehen können, da bei Scheidung oder Annulierung die Abschiebung drohen kann, es für die Rechtslage entscheidender ist, dass Personen illegal im Land sind, als dass sie Betroffene von Menschenhandel sein könnten, Asylsuchende ihren politischen Bezirk nicht mehr verlassen dürfen, Arbeitserlaubnisse von Arbeitgeber_innen abhängen, bei Verlust droht die Abschiebung, ein legaler Aufenthaltsstatus von der Einkommenshöhe abhängen kann, es zu wenig öffentliches Bewusstsein für die Thematik gibt, Sexarbeiter_innen nicht die gleichen Rechte wie andere Arbeitsgruppen haben, die Nachfrage besteht, patriarchale Strukturen dominieren, Behörden zu wenig sensibilisiert und geschult sind.

Ein ergänzender Grund besteht darin, dass nicht nur die allgemeine Nachfrage nach Sexarbeit besteht, sondern dass diese Nachfrage auf (für Konsument_innen) möglichst billige Gegenleistungen abzielt. Somit ist es „notwendig“, Frauen sexuell auszubeuten, da dies die kostengünstigste Variante für Freier darstellt. Dass betroffene Frauen in kriminelle Netzwerke hinein geraten geschieht meist unbewusst und nicht gewollt. Es kann durch Jobsuche und der Hoffnung, über Inserate und Agenturen zu einer Arbeit im Ausland zu kommen, passieren. Oft sind aber durchaus auch Personen aus ihrem persönlichen Umfeld, denen die Frauen eigentlich vertrau(t)en, dafür verantwortlich. Was nach einer Abschiebung mit den Frauen geschieht, ist großteils nicht klar. Meist müssen sie zurück in ihr Herkunftsland und manchmal kommen sie dort unter die Obhut von NGOs, die sich um sie kümmern. Ab da gehen meist alle weiteren Spuren verloren. Nichts desto weniger werden sie ihr Leben lang mit dem Geschehenen konfrontiert sein, und das nicht „nur“ durch Traumatisierung und den damit verbundenen psychischen Problemen, sondern auch durch eventuelle gesundheitliche Risiken, die sie eingegangen sind, körperliche Narben, o.ä. Des Weiteren besteht die nicht unwahrscheinliche Möglichkeit, dass sie durch ihr langes Wegsein und vielleicht das Wissen ihres sozialen Umfeldes über ihre Tätigkeit, stigmatisiert sind und nicht wieder im ursprünglichen Maße Akzeptanz finden. Somit kommen Frauen oft dahin zurück, wo sie vielleicht nichts und niemanden haben und werden in weiterer Folge oft neuerlich zu potentiell Betroffenen von Frauenhandel.

Mögliche Maßnahmen Am mittel- und langfristig effektivsten wäre es natürlich, wenn gesellschaftliche Strukturen, welche sexuelle Ausbeutung und den Handel in diese begünstigen, auf-

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7 brechen würden, so dass über weitere Maßnahmen nicht weiter nachgedacht werden müsste. Doch aus einem realistischen Blickwinkel betrachtet, muss angenommen werden, dass dies nicht so schnell der Fall sein wird. Die betroffenen Frauen benötigen unmittelbar Unterstützung. Es müssen sofort Handlungen gesetzt werden, die einen weiteren Ausbau des Menschenhandels erschweren und weiteren Frauen den Handel, die verächtliche Diskriminierung und Behandlung und die Ausbeutung ihrer Sexualität ersparen. Es handelt sich dabei um ein außerordentlich komplexes Thema, welches viel Sensibilität und Weitblick erfordert. Beispielsweise würde verstärkte Grenzkontrollen zur Folge haben, dass organisierte Kriminalität steigt, welche wiederum mehr potentiell Betroffene mit sich bringt. Oder eine reine Konzentration auf die Verbesserung der Situation in den Herkunftsländern würde die Nachfrage in den Zielländern ignorieren. Solange die Sexindustrie so lukrativ

ist und der Markt so groß werden Leute Möglichkeiten finden, diesen zu bedienen. Hinzu kommt, dass dies ein grenzüberschreitendes Problemfeld ist und somit vor allem auf internationale Zusammenarbeit gesetzt werden muss, während parallel regionale Aktionen gesetzt werden. Alles in allem geht es also darum, zu verstehen, dass an verschiedenen Ecken gleichzeitig angesetzt werden muss. Ein wichtiger Punkt wäre zum Beispiel, mehr Rechte für (freiwillige) Sexarbeiter_innen und die Enttabuisierung sowie die Aufhebung der Sittenwidrigkeit von Prostitution zu gewähren. Somit wird der Themenkomplex rund um Sexarbeit nicht mehr automatisch illegalisiert und für kriminelle Organisationen schwerer zugänglich. Als eine von mehreren Folgen würde dies die Verächtlichmachung von Sexarbeiter_innen einschränken. Auch wenn an dieser Stelle hinzugefügt werden muss, dass sich schon die sehr grundsätzliche Diskriminierung aufgrund der Kategorie Geschlecht auf dieses sehr weiblich dominierte Berufsfeld auswirkt.

Ein weiterer Punkt wäre die Legalisierung von Migrantinnen in der Prostitution. In Österreich werden von der Polizei aufgefasste Personen bzw. Prostituierte (sowohl Betroffene des Frauenhandels wie auch freiwillig in der Sexarbeit Tätige) mit illegalem Aufenthaltsstatus sofort in Schubhaft geschickt. Wenn sie dort nicht als Betroffene von Menschenhandel identifiziert werden, werden sie abgeschoben. Überhaupt müsste das Fremden- und Asylrecht überarbeitet sowie der Opferschutz (Opfer im strafrechtlichen Sinn) unbedingt als Problemlösungsmaßnahme in Betracht gezogen werden. Gesetzliche Veränderungen verbunden mit einer Bewusstseinsbildung in der gesamten Gesellschaft würde bereits Verbesserungen für viele Frauen nach sich ziehen. Deshalb ist es wichtig, dass das Thema behandelt und sichtbar gemacht wird.

Positioniert und Politisch Ein Streifzug durch die Geschichte feministischer Theorie und Wissenschaftskritik feder Feministische Theorie und Wissenschaftskritik gibt es, seitdem es feministische Bewegungen gibt. Ihre Ursprünge reichen daher mindestens bis zur französischen Revolution zurück. Eine ihrer zentralen Erkenntnisse ist, dass Wissenschaft männlich geprägt – und damit ein Feld feministischer Kritik – ist. Das heißt: Zugang zu Wissenschaft und damit die Möglichkeit, sie zu gestalten und aktiv zu verändern, blieb lange Zeit Männern vorbehalten. Im historischen Verlauf lässt sich das gut nachvollziehen: Frauen wurden erst ab etwa 1900 an europäischen Universitäten überhaupt zugelassen. Erst in den 70er Jahren kamen Frauen vermehrt an die Unis. Nicht zufällig fiel das beispielsweise in Österreich mit dem Öffnen des Hochschulzugangs und dem WiederErstarken der Frauenbewegung zusammen. Dass Wissenschaft männlich geprägt war und ist, zeigt sich aber nicht nur an der Anzahl männlicher Professoren und Rektoren, an der Anzahl wissenschaftlicher Publikationen von Männern und deren Netzwerken, Seilschaften etc., sondern auch in den Inhalten, in den Forschungsfragen und den Ausgangspunkten, den Axiomen und Paradigmen von Wissenschaft. Etwas genauer betrachtet – also unter die feministische Lupe genommen – können wir sehen: Das „Männliche“ gilt der Wissenschaft, also im universitären Rahmen entstandenem Wissen, Lehre und Forschung, durchwegs als Norm. Normen haben jedoch meist die Eigenschaft, dass sie uns gar nicht mehr auffallen; und dass sie von der Norm Abweichendes als „abnormal“ oder „anderes“ verstehen. Als solches wurden Frauen und „das Weibliche“ auch lange Zeit in der Wissenschaft begriffen. Eine der ersten Aufgaben, die sich feministische Wissenschaftskritik gesetzt hatte, war daher, die männliche Norm in der Wissenschaft aufzuzeigen und Frauen als Abwesende in deren Geschichte beziehungsweise ihre Benachteiligung in jenen Bereichen, wo sie sich beteiligen durften, sichtbar zu machen. Außerdem wichtig ist es, nach den Ursachen der Geschlechtertrennung und Unterdrückung von Frauen zu suchen. Lange Zeit davor galt, dass das Öffentliche politisch – und wissenschaftlich erforschbar – und das Private unpolitisch sei und damit die Wissenschaft nicht zu interessieren habe. Marxistische Feministinnen rückten demgegenüber jedoch die Untersuchung von Produktion und Reproduktion (Hausarbeit, Erziehung von

Innerhalb der feministischen Theorie und Wissenschaft gibt es selbstverständlich verschiedene Strömungen, die sich unterschiedliche Ziele setzen. So streben manche Feministinnen – von vielen „liberal“ oder „bürgerlich“ genannt – ein Ende der Unterdrückung von Frauen innerhalb von Staat und Kapitalismus an. Ihre Forderungen richte(te)n sich meist nach einem Frauenwahlrecht, gerechtem Lohn und gleichberechtigten Karrierechancen. Ausgehend von den USA und dem dortigen Kampf gegen Rassismus entwickelte sich ein anderer Ansatz, von vielen „black feminism“ genannt. Dieser weist darauf hin, dass sich mehrere Diskriminierungen, wie „class, race and gender“ verschränken können („Intersektionalität“). Feminismus sei also nicht fortschrittlich, wenn er sich nur für weiße, bürgerliche Frauen einsetze. Kindern sowie Liebe, Hege und Pflege) ins Blickfeld: Entlang dieser den Produktionsverhältnissen entsprungenen Trennlinie verlaufen auch die Geschlechtergrenzen. „Das Private ist Politisch“, war dem folgend einer der Slogans der Zweiten Frauenbewegung. Feministische Wissenschaftskritik sagte in einem weiteren Schritt der vermeintlichen „Objektivität“ der Wissenschaft den Kampf an. „Objektivität“ ist weder möglich noch wünschenswert: Denn spätestens bei der Untersuchung eines Forschungsobjektes wird dieses von der Forscherin beeinflusst. Auch die Antworten, die sich die Forscherin von der Untersuchung des Gegenstandes erwartet, hängen von ihrem Vorwissen, von ihrem Forschungsziel und von ihrer eigenen Sozialisation ab. Wer diesen Zirkel und dieses „Kraftfeld“ zwischen Subjekt und Objekt verleugnet, kommt der Wahrheit nicht näher. Feministische Wissenschaft ist demgegenüber positioniert, normativ und transformativ. Das bedeutet: Sie arbeitet auf eine Veränderung der Gesellschaft hin. Denn Wissenschaft darf nicht losgelöst von der Gesellschaft betrachtet werden – und beide bilden ein politisch heiß umkämpftes Feld. Denn: Beide sind veränderbar. Seit Ende der 1980er Jahre steht die Kritik an der Zweigeschlechtlichkeit, also der sogenannten „Heteronormativität“ besonders im Blickfeld feministischer Theorie. Mit ihr einher ging auch eine Umbenennung der Frauenforschung in Geschlechterforschung.

Ein anderer Ansatz nimmt besonders die Kategorien Mann und Frau in den Blickwinkel und kritisiert deren vermeintliche „Naturgegebenheit“. Geschlecht wird demgegenüber als eine soziale und dementsprechend veränderbare Kategorie begriffen. Manche darauf aufbauende Ansätze fordern die allgemeine Befreiung der Gesellschaft als Ganzes hin zu einem Verein freier Menschen und beziehen in ihre Überlegungen auch die Produktionsverhältnisse mit ein. Die Darstellung ist freilich nicht vollständig und die Übergänge fließend. Immer jedoch richten sich feministische Theorien und Wissenschaftskritik gegen Unterdrückung aufgrund der Kategorie Geschlecht in den unterschiedlichsten Ebenen der gesamten Gesellschaft – und gegen eine unkritische, das Bestehende konservierende, positivistische Wissenschaft. Besonders kritische Wissenschaften, die den Anspruch an Studierende stellen, viel Zeit für Reflexion aufzuwenden, verschwinden jedoch vermehrt aus den Lehrplänen. Dem will die GRAS sich entgegenstellen und kämpfen nicht nur im Wahlkampf für eine Überwindung des Männlichen als Norm, für Feminismus und feministische Theorie als Querschnittsmaterie in allen Lehrplänen. Wir stellen uns gegen Heteronormativität, binäre Geschlechterdefinition, Geschlechterstereotypen und Patriarchat und positionieren uns für eine offene und kritische Wissenschaft!


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Ökologisch leben - gesellschaftskritisch Denken Warum Öko-Mythen gefährlich sind und kollektives Handel notwendig ist stefan Fair Trade Bananen kaufen, nur Recycling Papier verwenden, zu einem nachhaltigen grünen Stromanbieter wechseln und nur mehr jeden zweiten Tag das Auto nutzen: So sieht gelebtes ökologisches Bewusstsein aus. Aber sollte es so aussehen? Spätestens seit im Jahre 1972 das bekannte Werk „The Limits of Growth“ des Club of Rome die Begrenztheit der Resourcen unserer Umwelt aufgezeigt hatte, ist das Thema Ökologie in unserer Gesellschaft ein Thema. Vorerst jedoch nur ein Randthema für wenige. Doch durch den sauren Regen, dem Ozonloch, diversen Umweltkatastrophen und letzendlich dem Treibhauseffekt entstand eine Ökobewegung. Deren Ziel: Regierungen und Politik zu einer nachhaltigen, umweltverträglichen Entwicklung zu bewegen.

Wir schreiben das Jahr 2011: Der Klimagipfel in Kopenhagen 2009 und in Cancun 2010 zeigen, dass Klimapolitik auf höchster politischer Ebene angekommen ist. Hochrangige VertreterInnen aller Ländern verhandeln gemeinsam mit dem Ziel eines Klimaabkommens. Auch wenn es so scheint, als würden die Verhandlungen zu keinem Ergebnissen führen: Der Emissionsrechtehandel (englisch: Cap and Trade), also der Handel mit Treibhausgasen ist ein Ergebnis vieler Verhandlungen. Die Ziele der Öko Bewegung scheinen also fast erfüllt zu sein: Das Bewusstsein ökologisch handeln zu müssen ist in den Köpfen vieler Menschen angelangt und auch die Politik der Staaten hat sich des Themas angenommen. Sehen wir uns jedoch an, wie „uns“ das Klimaproblem beschrieben wird.

Sitzen wir alle im gleichen Boot? Gegen den Klimawandel müssen wir alle kämpfen. Egal ob in Wien oder in Nairobi. Dagegen muss die Managerin einer Firma genauso wie der Kassierer im Supermarkt kämpfen. Denn: Betroffen sind wir alle von Klimawandel. So heißt es zumindest. Sieht mensch sich das Ganze etwas genauer an, zeigen sich Widersprüche. Wer in einem wirtschaftlich erfolgreichen Land lebt, ist vom Klimawandel weniger betroffen als andere. Die Stadt Hamburg kann sich höhere Dämme leisten, in Bangladesch sieht das anders aus. Doch auch Menschen mit unterschiedlichen Einkommen in Österreich werden durch klimabewusste Politik unterschiedlich beeinflusst. Wer nur 5% des Einkommens für Lebensmittel ausgibt, kann sich Bio & Fair Trade

leicht leisten. Bei einem Anteil der Lebensmittelkosten von 40%, werden steigende Nahrungsmittelpreise zum Problem. Auch der Umstieg auf ein ökologischeres Fahrzeug fällt Menschen mit höherem Einkommen naturgemäss leichter. Nicht nur die Staatszugehörigkeit oder das Einkommen macht einen Unterschied: Männer und Frauen trifft der Klimawandel unterschiedlich. Frauen werden immer niedriger entlohnt (egal ob in Paris oder in Bombay) und werden durch Preissteigerungen stärker getroffen.

Wir schalten das Licht ab und hey das Klima ist gerettet Wer kennt die Protestaktion nicht: An einem Tag zur gleichen Uhrzeit sollen weltweit die Lichter abgeschaltet werden, an einem Tag im Jahr soll sich mensch dem Konsum verweigern. Es geht also um die Betonung des ökologischen Individuums und dessen Verhalten. Wer sich an solchen Aktionen beteiligt und vielleicht auch noch den Fernseher ganz ausschaltet, statt nur auf Standby, beruhigt sein/ihr Gewissen und kann ansonsten ungestört weiterleben.

Ökologisches Denken als Systemkritik Warum konsequenter Umweltschutz die Systemfrage stellen muss Zu Beginn des 21. Jahrhunderts befindet sich die Menschheit in einer Entwicklung, die ihr in absehbarer Zeit jede Kontrolle über das Ausmaß der Zerstörung ihres Lebensraumes entreißen wird. Während die Umweltverschmutzung dramatische Dimensionen annimmt, bleibt der Verzicht auf viele energieintensive Innovationen oft die einzige politische Forderung. Die logische Verbindung der beiden beschämenden Fakten der Nachkriegszeit, der beispiellosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zugunsten weniger ProfiteurInnen bei gleichzeitiger Armut von Milliarden Menschen, wird gerne übersehen.

Klar ist aber: Die grossen Klimasünden wie schonungsloser Resourcenabbau, die Abhängigkeit vom Erdöl und der Raubbau an Tropenwäldern können so nicht gestoppt werden. Anstatt sich solidarisch mit anderen Menschen zu fühlen, gemeinsam und kollektiv Druck auf Parteien auszuüben oder gemeinsam alternative Strukturen aufzubauen, wird das eigene Gewissen beruhigt.

Siegelwahnsinn – aktuell an deiner Uni Gütesiegel stehen für Qualität und Sicherheit. Ein genauerer Blick lohnt sich jedoch sabine Die Werbeplakate von Jacobs (Kraft Foods) in den meisten Mensenbereichen Österreichs sind kaum zu übersehen. Ein offensichtlich mehr als zufriedener Afrikaner und ein Frosch „lächeln“ um die Wette, wobei die KaffeeproduzentInnen von Rainforest Alliance zertifizierten Produkten nicht viel zu lachen haben, denn soziale Standards werden bei RAc offensichtlich als vernachlässigbar angesehen.

Greenwashing für die Großen? Ein Vorwurf, den sich RAc immer wieder gefallen lassen muss, ist der des „Greenwashing für die Großen“ wie zB Kraft Foods. Auch nach Einschätzung von Greenpeace Marktcheck „wird lediglich erwartet, dass die Beteiligung an dem Zertifizierungs-Programm [RAc] es ermöglicht, auf dem freien Markt bessere Preise zu erzielen.“ Gründe für diese Einschätzung gibt es leider zur Genüge. Das Kontroll- bzw. Zertifizierungsverfahren von RAc entspricht nicht wie bei FAIRTRADE den international anerkannten Zertifizierungsstandards nach ISO 65. Im Fall von RAc bedeutet das, dass im Kontrollund Zertifizierungsnetzwerk (SAN), welches optimalerweise unabhängig von jener Gruppe operiert, die die Zertifizierungsstandards entwickelt, auch VertreterInnen von RAc sitzen.

Obwohl sich RAc nach eigenen Angaben vor allem „engagiert für den Schutz der sensiblen Ökosysteme, den Erhalt der Biodiversität und für die nachhaltige Sicherung der gemeinsamen Lebensräume von Mensch, Tier und Pflanze“, müssen die Produkte nicht nach den Kriterien des ökologischen Landbaus angebaut bzw bearbeitet werden. Die größten Defizite liegen aber sicher wie schon erwähnt vor allem im sozialen Bereich.

Mehr als nur professionellste Werbung? Im Gegensatz zu Fairtrade garantiert RAc den ProduzentInnen weder einen existenzsichernden Mindestlohn dh die Preise unterliegen dem oft stark schwankenden Weltmarktpreis, noch Sozialprämien, die die Entwicklung und Eigenständigkeit vor Ort vorantreiben sollen und von den Kooperativen selbstständig für verschiedene Projekte wie Schulen aber auch Anschaffung technischer Geräte, etc verwendet werden können. Was ArbeiterInnenrechte angeht, folgen Fairtrade wie auch RAc ua Richtlinien, wie sie die International Labour Organisation (ILO) erarbeitet hat. Bei genauerer Betrachtung scheint RAc aber Rosinenpickerei betrieben zu haben, denn zB Organisationsfreiheit, genauso wie das Recht auf Kollektivverhandlungen sind nicht Teil der auf jeden Fall zu erfüllenden critical criteria. Was bedeutet das also für das Endprodukt? Wer ein Fairtrade Produkt kauft, kann sicher sein, dass dieses Produkt zu 100% den Fairtrade Standards entspricht. Im Gegensatz dazu ist es bei entsprechender Kennzeichnung möglich, dass ein Kilo RAc-Kaffee nur 30% der sowieso schon relativ niedrig angesetzten RAc-Richtlinien erfüllt!

Diese „Richtlinien“ umfassen wiederum zehn Grundsätze, die, jeder einzelne, durch weitere Kriterien konkretisiert werden, aber nur 50% der jeweiligen bzw 80% der gesamten Kriterien müssen erfüllt sein. Damit ist es also bei dem oben angeführten Beispiel möglich, dass mehr als 700g des Kaffees unter konventionellen Bedingungen hergestellt werden, dass zB Überstunden eben nicht freiwillig sind oder Anbau sehr wohl in Gebieten „erlaubt“ ist, wo die Produktion negative Auswirkungen auf Nationalparks, Wildreservate,… etc hat. Die Kriterien, wie sie bei RAc auf den ersten Blick also so viel versprechend formuliert sind, verlieren damit relativ schnell ihren Glanz, da bei näherem Hinsehen klar wird, dass diese Produkte nicht wirklich garantieren, was sie suggerieren, und zwar sogar zu einem relativ hohen Prozentsatz!

Die Ausnahme von der Regel oder doch eher die regelmäßige Ausnahme? Aber bestimmt ist dieses Siegel ein absoluter Sonderfallein fahler Nachgeschmack bleibt allemal und die Frage drängt sich auf: Ist der/die bewusste KonsumentIn vielleicht doch nur die Rettung in der Krise weil ein schier grenzenloser Markt?

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Konsequente Maßnahmen zur Einleitung einer zukunftsfähigen Entwicklung müssen viel weiter gehen als die Konzepte, die von den Regierungen der Welt bisher vorgelegt wurden. Fundierten Lösungsansätzen ist immanent, dass sie bestehende Herrschaftsstrukturen und Ungerechtigkeiten kritisieren. Klimawandel und Umweltzerstörung sind zu einem wesentlichen Teil der sozialen Ungleichheit geschuldet. Wenn es einen weltweit gültigen, fairen Mindestlohn und gleich hohe Unternehmenssteuern gibt, werden viele energieintensive Gütertransporte, die aufgrund des fatalen Steuersenkungswettlaufs der Globalisierung und durch große Unterschiede in den Produktionskosten rentabel sind, obsolet. Wenn südamerikanische Kleinbäuerinnen dank der gestiegenen Kaufkraft in der lokalen Bevölkerung ihre traditionell im Einklang mit der Natur produzierten Lebensmittel vor Ort verkaufen können, müssen sie nicht ihre Lebensgrundlage, den Regenwald, für die Kultivierung von Soja für die industrielle Massentierhaltung zerstören. Eine für viele wünschenswerte und angesichts der dramatischen Entwicklung des Klimawandels dringend notwendige Hinwendung zu einer nachhaltigen Lebensund Produktionsweise ist daher auf eine Stärkung

david

der demokratischen Strukturen und der Solidarität angewiesen. Dies scheint in der freien Marktwirtschaft jedoch kaum realisierbar zu sein. Unser derzeitiges Wirtschaftssystem basiert auf der ständigen Steigerung des Konsums von Gütern, deren industrielle Massenproduktion geradewegs in den ökologischen Kollaps führt. Die Annahme, dass hohes quantitatives Wirtschaftswachstum langfristig zu mehr Wohlstand führt, ist in vielerlei Hinsicht falsch. Effizienzsteigerungen im Energieverbrauch konnten bisher nicht annähernd mit den Wachstumsraten mithalten, wodurch evident wird, dass die Menschheit im industriellen Zeitalter auf Kosten späterer Generationen und des ökologischen Reichtums unserer Erde lebt. Zusätzlich zeigt der dramatische Anstieg der Armut in der Welt, dass die unreflektierte Förderung der Interessen der Wirtschaft für den Großteil der Menschen statt des erhofften Wohlstands eine nachhaltige Zerstörung ihres Lebensraums und ihrer Zukunftschancen zur Folge hat. Diese Überlegungen verlangen eine Absage an Konzepte, die einseitig den Verzicht auf die Befriedigung bestimmter ökologisch bedenklicher Bedürfnisse fordern und gleichzeitig die gesellschaftspolitischen Konsequenzen, die sich aus ihrer kompromisslosen Umsetzung ergeben würden, verhindern wollen. Der Plan, die ständig steigenden Schadstoffemissionen des (Individual)Verkehrs zu verringern, würde beispielsweise durch eine Argumentationsweise, die nur auf die Reduktion der tatsächlich mit dem Auto zurückgelegten Wege abzielt, unweigerlich zum Scheitern verurteilt werden. Höhere Mineralölsteuern haben vor allem zur Folge, dass Bevölkerungsschichten mit besserem Einkommen ihren Beitrag zum Klimawandel weiter steigern, da sie aufgrund der für sie nur unwesentlich steigenden Kosten kaum auf die Annehmlichkeiten eines Autos verzichten werden. Ohne gleichzeitige konsequente Förderung öffentlicher Verkehrsmittel geht der umweltpolitische Lenkungseffekt dieser Maßnahme fast völlig verloren. Dabei könnte die zweckgebundene Verwendung der Mehreinnahmen zur Senkung der Ticketpreise im Schienen- und Busverkehr auch entscheidend zur Emanzipation von Bevölkerungsgruppen beitragen, die bisher aufgrund der hohen Kosten kaum von riesigen öffentlichen Infrastrukturinvestitionen profitieren konnten, sie aber dennoch mittragen mussten. Auch der Vorschlag, die Verhinderung der aus ökologischer Perspektive schlimmsten Fehlentwicklungen allein in die Verantwortung von Privatpersonen zu übergeben, die durch bewussteres Einkaufen und Verzicht auf klimaschädigende Handlungen Impulse setzen sollen, ist zynisch. Er kann nur jenen nutzen, die das System der Unterdrückung und unkontrollierten Umweltzerstörung aufrecht erhalten wollen, da er den Regulationsbedarf im System der freien Marktwirtschaft verkennt. Die allermeisten Menschen können von ihrem Einkommen gerade ihren täglichen Bedarf decken und haben nicht die Möglichkeit, mit ihren Konsumausgaben auf Produktionsbedingungen einzuwirken. Hinsichtlich einer stärkeren Emanzipation dieser Bevölkerungsgruppen von in der Gesellschaft verankerten Überzeugungen, wie beispielsweise die starke Überbewertung der Bedeutung von Fleisch für die Ernährung, kann hier mit Aufklärung über die Auswirkungen

von Konsumgewohnheiten ein nicht unwesentliches Potential für Veränderungen lokalisiert werden. Diejenigen jedoch, die sich der Verantwortung des/ der Einzelnen bewusst sind und zusätzlich den finanziellen Spielraum haben, wenn auch oft unter schwierigen Bedingungen nachhaltig einkaufen und leben zu können, sind vom Stillstand bei den großen Rahmenthemen besonders frustriert. In Anbetracht der derzeitigen Stagnation bei internationalen Klimaabkommen ist die Gefahr groß, auch diese engagierten Menschen für den aktiven Kampf gegen die Zerstörung unseres Planeten zu verlieren. Die enge Verflechtung von Umwelt-, Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik macht deutlich, dass zur Lösung unserer gewaltigen Probleme endlich eine kritische Haltung notwendig ist, die den Widerspruch zwischen dem Kapitalismus inhärenten Marktmechanismen und einer nachhaltigen, fairen Entwicklung als evident betrachtet und dazu bereit ist, die Notwendigkeit systemischer Veränderungen zu artikulieren. Im Bewusstsein der gesellschaftspolitischen Relevanz konsequenter ökologischer Lösungsansätze wird der Umweltpolitik schließlich eine neue Bedeutung zukommen.


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„Tiere essen“ – MEHR als ein Plädoyer für das Essen von Hunden Jonathan Safran Foer hat mit seinem Buch „Tiere essen“ (Kiepenhauer & Witsch 2010) US-AmerikanerInnen wachgerüttelt und tourt aktuell durch Europa sabine „Für die ökologisch Gesinnten wird es Zeit anzuerkennen, dass Hundefleisch ein reales Nahrungsmittel für realen Umweltschutz ist.“ Und weiter mokiert sich Foer über unsere Entrüstung: „Seien wir nicht so sentimental. Hunde gibt es massenhaft, sie schaden uns nicht, sind leicht zu kochen und schmackhaft;“ Mit einem philippinischem Rezepttipp „Geschmorter Hund nach Hochzeitsart“, wird das Kapitel geschlossen… oder erst geöffnet? (Foer 39-40) „Tiere essen“ hat etwas Unsichtbares, die Perspektive zu wechseln, soll Fleischkonsum wieder zu dem machen, was es ist: Tiere essen. Auf 300 Seiten hält Foer kein Plädoyer, auf Fleisch „zu verzichten“. Vielmehr fordert er eine verantwortungsbewusste Lebensweise, angestoßen durch die Geburt seines Sohnes, vielleicht durch das Erinnertwerden an zukünftige Generationen, möglicherweise auch die Angst vor der Frage „Warum habt ihr nicht… damals?“

„Tiere essen“ ist eine Sammlung von Vorwürfen, nett verpackt aber doch ein nüchterner Bericht über Massentierhaltung. Vorwürfe, die auf unsere Ignoranz abzielen, einer Industrie zu erlauben, sich so weit zu entfernen von jeglicher „Menschlichkeit“, BäuerInnen zu zwingen, sich so weit von ihrer eigentlichen Arbeit zu entfremden – jene Industrie, die uns ernährt. Nüchterne Tatsachen werden zu brutalen Anklagen, Unwissenheit als Entschuldigung nicht anerkannt. Fakten wie etwa 80% „Beifang“ bei Garnelenfischerei sind nicht neu, Bilder von Rindern am Haken, noch bei Bewusstsein, Schweinen mit angeknabberten Ohren und Schwänzen sind uns schon lange bekannt, willkürliche, fast perverse gesetzliche Bestimmungen zur „artgerechten“ Haltung wie 27x27cm pro Masthähnchen sind offenbar hinlänglich akzeptiert und trotzdem, durch Foer´s persönliches Enga-

gement zu einem Thema, das uns alle angeht, schafft er einen neuen Zugang zur Frage – Was essen wir da eigentlich? Die Idylle, in die sich so viele FleischkonsumentInnen flüchten, vom kleinbäuerlichen Hof, wo Kühe Namen haben, glückliche Hühner im Mist scharren und Schweine sich in freier Natur im Dreck suhlen, gibt es kaum noch, so Foer. Das Angebot an Fleisch dieser Art ist verschwindend klein, dass das JaNatürlich! Schweinchen Babe das Gegenteil für Österreich suggeriert, macht Tatsachen nicht weniger richtig. Über 98% des Fleischkonsums in Deutschland stammen aus Massentierhaltung – eine ernüchternde Zahl. 8.000.000 Schweine „leben“ in Österreich – Wo werden DIE wohl sein? Eigentlich ist die Antwort aber auch eher zweitrangig – sie sind ja keine Hunde.

Die Würde Des Schweins Ist Unantastbar Reinhard Mey

In einer engen Box war es, auf Beton und standesgemäß, daß sie die Glühbirne der Welt entdeckte. Sie war das Ferkel Nummer vier, drei and‘re lagen über ihr, so ein Gedränge, daß sie fast erstickte. Schon nach zwei Wochen Säugakkord kam jemand und nahm Mutter fort. Doch noch als die Erinnerung schon verblaßt war, fiel‘n manchmal dem jungen Schwein der Mutter Worte wieder ein: Die Würde des Schweins ist unantastbar,

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Warum? Die Unverständlichkeit des rassistischen Normalzustands ethuil Die restriktive und menschenverachtende Fremdenrechtspolitik und ihre ständig verschärften Gesetze(snovellen) können nicht oft genug angeprangert werden. In fast regelmäßigen Abständen kommen Verschlechterungen für Menschen, die in Österreich leben wollen, aber nicht die passende Staatsbürger_innenschaft haben. Stückchenweise – damit es auch ja keinen zu großen Aufschrei gibt – werden die Auflagen strenger, Grenzen enger gezogen und Mauern verfestigt. Und dies kann, obwohl es offiziell keine österreichischen Außengrenzen mehr gibt, durchaus so bezeichnet werden. Die Grenzen und Mauern sind ganz stark in den Köpfen – und dort scheinen sie einzementiert. Anders kann nicht erklärt werden, warum beispielsweise im Zug von Wien nach Kärnten die Ausweise kontrolliert werden und auf Nachfrage verwundert geantwortet wird „das ist normal und gehört sich so seitdem innerhalb der EU die Grenzen geöffnet wurden“. Täglich werden Menschen, die „nicht ausschauen als wären sie von da“ kontrolliert – ob sie denn die Erlaubnis haben sich frei in Österreich bewegen zu dürfen. Da kann einer ja nur Übel werden, wenn an diese – und noch mehr – Widerlichkeiten gedacht wird. Ausländer_innenfeindlichkeit und Rassismen findet mensch überall und ständig. Sie verfolgen eine direkt sobald die eigene Wohnung verlassen wird… Nein, eigentlich schon in der Wohnung, wenn die Post nachfragt, ob denn das Paket bei der Nachbarin abgegeben werden kann, denn „sie ist zwar eine Jugoslawin, aber eh nett“, oder wenn nach Einbrüchen die Zeug_innen gefragt werden, ob „die Täter denn ausländisch ausschauen“. Da wären wir wieder beim „ausschau‘n“. Warum ist das so wichtig? Und was heißt es? Inwiefern sagt es was darüber aus wo ich geboren wurde? Und warum ist das nochmal wichtig? Wieso macht mich das aus? Und warum muss betont werden, dass wer nett ist, wenn nicht automatisch eine österreichische Grenze rund um die Biographie dieses Menschen gezogen werden kann? Warum wird im Gegenzug nicht gesagt „Das ist eine Österreicherin, aber eigentlich eh nett.“?

All das soll nur die rassistische Grundhaltung in Österreich skizzieren und kann durch eine Menge von Beispielen erweitert werden. Diese Haltung (und nein, nicht jede bedeutet Rückgrat oder kann positiv interpretiert werden) beschließt seit Jahren unmenschliche Fremdenrechtspakete und ist überall auf der Straße zu finden. Warum es so wichtig ist „woher die Wurzeln kommen“ und warum „Wurzeln“ überhaupt benötigt werden – außer um die eigene Suppe zu kochen – versteh ich nicht. Was veranlasst Menschen dazu, dass sie andere daran hindern wollen in der gleichen regionalen Gegend leben zu wollen? Und warum sollen Menschen nicht dort leben, wo es ihnen gut (besser) geht und wo sie sich vielleicht in dem Moment wohl fühlen?

Ja, es stimmt, viele fühlen sich gar nicht wohl als „Ausländer_in in Österreich“ – wie auch, bei den Bedingungen und Diskriminierungen die sie vorfinden. Aber sie müssen aus verschiedensten Gründen hier leben. Warum sollen sie nicht können? Warum können sie nicht selbst entscheiden aus welchen Gründen auch immer sie wo leben wollen? Und warum wollen so wenige, dass sich Menschen „hier“ wohl fühlen? Die Kritik, dass in diesem Text zwar viele Fragen aufgeworfen werden, aber keine Antworten gegeben werden hat durchaus seine Berechtigung. Ich möchte ihn damit zurückweisen, dass diese Fragen viel zu selten gestellt werden. Ich möchte sie hiermit dem nächsten Schwall ausländer_innenfeindlicher Floskeln entgegenstellen.

Grenzen können gar nix!


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Wien will keine Wägen

Der Traum vom Wohnen im Grünen

Seit geraumer Zeit kämpft die Wagengruppe „Treibstoff“ für einen dauerhaften Standplatz und Legalisierung des Wagenlebens. Die Stadtregierung blockiert, eine langfristige Lösung ist nicht in Sicht. lisa Wagenleben unser Auf 12m² wohnt Xandi in ihrem ausgebauten LKW. Auf 12m² hat sie alles Nötige und Unnötige untergebracht. Auf 12m² schläft sie, wärmt sie ihr Abendessen, empfängt sie FreundInnen. Das Leben im Wagen ist mühsam, eine Herausforderung und vor allem unglaublich spannend und abwechslungsreich.

Stadtrat Michael Ludwig (SPÖ) brüste sich lediglich damit, „sich für alternative Wohnformen einzusetzen und Wagenleben ermöglicht zu haben“, erklärt die Myrjam. Sein Mediensprecher Christian Kaufmann betont stellvertretend, jede und jeder könne in Wien

Vorurteilen bis hin zu miet- und steuerrechtlichen Nachteilen gibt es da eine große Bandbreite von Gegenargumenten – und das Faktum, dass Wien nicht eine schrumpfende, sondern eine sich ziemlich dynamisch entwickelnde Stadt ist, macht es auch nicht

Seit drei Jahren ist Xandi Teil der Wagengruppe „Treibstoff“, eine von drei Wagengruppen in Wien. Ihren Ursprung hatten die Wagenplätze in der Kimmelgasse, im elften Wiener Gemeindebezirk, auf einer gemieteten landwirtschaftlichen Fläche. Im Sommer 2009 wurden sie von der Baupolizei mit der Begründung geräumt, dass die Wägen Bauwerke wären und einer Baugenehmigung bedürften, wobei die Fläche kein Bauland sei. Es erfolgte eine Aufspaltung in drei Gruppen, die einen zogen sich in die Hafenzufahrtsstraße zurück, die anderen starteten Besetzungen – zunächst in der Baumgasse und danach im 3. Bezirk, unter einer Autobahnbrücke. Der einzige „legale“ Wagenplatz mit entsprechendem Nutzungsvertrag befindet sich im Lobauvorland, zwei Wagengruppen sind zurzeit dort stationiert. Neben der Grundstücksgrenze wurde eine 24-Stunden Großbaustelle angelegt, die seit Jahren in Planung war aber in den Verhandlungen nicht von der Stadt Wien erwähnt wurde.

Seit Anfang Dezember bewohnt die Wagengruppe „Treibstoff“ ein Grundstück in der Krieau, das sich im Besitz des Sportamtes der Stadt Wien befindet, vom Trabrennverein gepachtet ist und seit Jahren nicht genutzt wird. Wie lange sie hier bleiben können ist ungewiss. „Wir versuchen uns durch die Situation nicht einschränken zu lassen“, betont die Wagenplatzbewohnerin Myriam. „Was aber trotzdem eine Einschränkung ist, ist dass wir uns keine Infrastruktur aufbauen können. Würdest du wissen, dass du in drei Monaten auch noch hier stehst, würdest du anfangen, einen Garten anzulegen, Wägen auszubauen oder einen Gemeinschaftsraum zu schaffen.“ Sie sehe den Wagenplatz als kulturellen Anlaufpunkt, als Raum um Projekte zu verwirklichen. Doch für die regelmäßig stattfindenden Diskussionsabende und Workshops fehlt momentan sowohl Zeit, als auch Energie – Ressourcen die die BewohnerInnen dafür aufwenden, ihren täglichen Lebensraum zu sichern.

Einhaltung der Gesetze Die Stadtregierung scheint wenig Interesse zu haben, eine konstruktive Lösung zu finden – Wohnbau

Wer träumt nicht vom trauten Eigenheim am Lande, mit Blick auf Wald, naturbelassenes Gewässer und freie Flur? Die Bauweise des freistehenden Einfamilienhauses ist traditionell als Idealbild in unserer Gesellschaft verankert. Doch in Anbetracht der aktuellen Bevölkerungsdichte und Sozialstruktur stellt sich die Frage, ob diese Siedlungsform noch zeitgemäß und vor allem zukunftsfähig ist. petra Wenngleich ihnen in der öffentlichen Debatte nur wenig Beachtung geschenkt wird, sind Fragen der Siedlungsentwicklung und Raumplanung Paradebeispiele für Spannungsfelder der nachhaltigen Entwicklung. Charakteristisch für Nachhaltigkeit ist, dass sie eine soziale, ökonomische und ökologische Dimension sowie eine zukunftsorientierte Sichtweise prägen. Im Bereich der Siedlungsentwicklung führt die sogenannte Streusiedlungsbildung bzw. Suburbanisierung zu einem komplexen Gefüge aus Folge- und Wechselwirkungen der drei Bereiche.

Problematik der Streusiedlungsbildung Dass Mülltrennen als Minimum an Umweltengagement langsam in unseren Köpfen angekommen sein sollte, ist vorauszusetzen. Aber wird nun auch unsere traditionell idealisierte Lebensform, das Einfamilienhaus im Grünen, zum ökologischen faux pas? Die folgenden Argumente sollen keineswegs ein Plädoyer für großflächige Versiegelung in Ballungszentren sein – es geht vielmehr um eine kompakte, kontrollierte Siedlungsentwicklung. Das freistehende Einfamilienhaus ist im Vergleich zu sämtlichen alternativen Bauweisen wie Mehrfamilienhäusern, Atrien, Reihenhäusern oder Geschossbauten nicht nur Spitzenreiter im Bereich des Baulandbedarfs, sondern auch bei Energieverlust, Infrasturkturaufwand und Versorgungswegen.

Die dritte, unter dem Namen „Treibstoff“ formierte Gruppe, erlebte den Höhepunkt des Konflikts mit der Stadt Wien am 21. Oktober 2010, als das von ihnen bewohnte Grundstück mittels eines Großaufgebots der Polizei geräumt wurde. Die Wägen konnten erst zwei Monate später am Abschleppplatz abgeholt werden, die Kosten beliefen sich auf mehrere tausend Euro. Ziel der ins Leben gerufenen Aktionstage, die zwischen 3. bis 6. Dezember 2010 stattfanden, war es deshalb, Bewusstsein für alternative Wohnformen zu schaffen und Forderungen an die Stadt Wien zu artikulieren. In der am letzten Tag abgehaltenen Pressekonferenz wurde die Forderung nach Gesprächsterminen bei zuständigen PolitikerInnen laut.

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Blickpunkt Ökologie Der erhöhte Flächenverbrauch, die Zerschneidung und Versiegelung der Landschaft bedingen einen Verlust an wertvollem Grünland, Ausgleichsflächen und Habitaten, was wiederum Einbußen im Bereich der Biodiversität nach sich zieht. Durch längere Wege ergibt sich ein verstärktes Verkehrsaufkommen (primär beim motorisierten Individualverkehr, sprich Privat-PKW), das öffentliche Verkehrsnetz bleibt in peripheren, dünn besiedelten Wohngegenden in der Regel spärlich. Folgen sind erhöhte Emissionsbelastung (Schadstoffe, Lärm) und weitere Versiegelung zur Errichtung der nötigen Infrastruktur. Einfamilienhäuser weisen im Vergleich zu ihrer Wohnfläche eine sehr große Oberfläche und folglich den höchsten Wärmeverlust bzw. Heizungsbedarf auf. Aus energetischer Sicht sind sie damit die ineffizienteste Bauweise – denn je kompakter, desto geringer wäre der Verlust.

Kostenpunkt Wirtschaftliche Einbußen ergeben sich aufgrund von Ineffizienzen exakt aus denselben Faktoren.

Gesellschaft und Soziales Das Angebot an kulturellen, sozialen und freizeitbezogenen Einrichtungen ist auf Grund einer zu gerin-

gen Nachfrageintensität in der Regel eingeschränkt, auch die Nahversorgung bricht im dünn besiedelten Raum häufig zusammen. Als Folge des verstärkten Verkehrsaufkommens ergeben sich gesundheitliche Belastungen sowie Lärmbelästigung. Flächenverlust und „Zersiedelung“ bedingen einen Mangel an Erholungsraum oder beeinträchtigen dessen landschaftliche und ökologische Qualität. Ein Mangel an lokalen Arbeitsplätzen zwingt die Bevölkerung, entweder weite Strecken zu pendeln oder am Stadtrand zu wohnen. Da gänzliche „Stadtflucht“ aufgrund der hohen Kosten auf wohlhabende Schichten begrenzt ist, entstehen in peripheren urbanen Gebieten häufig Problemviertel, was die soziale Segregation weiter anfacht.

Zukunftsperspektiven. Einerseits erfordert eine kompakte Siedlungsstruktur Steuerungsmaßnahmen von Seiten der Raumplanung wie Einschränkung von Baulandreserven über den Flächenwidmungsplan, Baulückenschließung oder Recycling von Brachflächen. So wirkungsvoll mensch damit auf institutioneller Ebene ansetzen könnte, so groß sind derzeit allerdings die Mängel in der qualitativen Umsetzung und Koordination der Raumplanung. Für eine zukunftsfähige Entwicklung ist es aber auch wichtig, mittels Anreizen zum Wohnen in gewachsenen Lebensräumen auf gesellschaftlicher Ebene anzusetzen und über die Folgen einer unkontrollierten Siedlungsentwicklung aufzuklären. Das Ergebnis soll keinesfalls eine uniformierte Geschossbauweise mit maximaler Effizienz sein und den Trend zur Urbanisierung weiter anheizen. Es geht vielmehr um eine kontrollierte Entwicklung, die ökologischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und landschaftsästhetischen Ansprüchen langfristig gerecht werden kann.

Von der Kommodifizierung des Wohnens „so wohnen und leben, wie sie und er das will“. Wie in allen Wohn- und Lebensbereichen sei jedoch „die Einhaltung der geltenden Gesetze, die die Grundlage unserer Gesellschaft bilden, und die Einhaltung der gesellschaftlichen Spielregeln die zentrale Voraussetzung“. Das gelte für alternative Wohnformen genau so wie für Bewohnerinnen und Bewohner einer Kleingartensiedlung. Ludwigs Vorschlag sei, so Myrjam, alle drei Wagengruppen in der Lobau, auf einem Grundstück, mit drei verschiedenen Mietverträgen unterzubringen: „Am liebsten wäre ihm ein ‚Wagenghetto’, also alle an einem Fleck, schön weit irgendwo draußen“. Dass es völlig unterschiedliche Menschen sind, die sich für ein Leben im Wagen entschieden haben, sei ihm dabei egal. „Das einzige positive Echo, das es gegeben hat, war ein Gespräch mit der Maria Vassilakou“, erklärt Myrjam weiter. Die Agentur für Zwischennutzung, die im rot-grünen Koalitionsabkommen eingerichtet wurde sei gerade am Entstehen, ein Forschungsprojekt zum Thema Wagenplätze angedacht. Die „Agentur für Zwischenuzung“ sei ein Wunschprojekt, bestätigt auch Jutta Kleedorfer, Projektkoordinatorin für Mehrfachnutzung. Damit diese sinnvoll agieren kann, bestehe allerdings die Notwendigkeit eines ausgeglichenen Verhältnisses von „Angebot und Nachfrage“. Während die Nachfrageseite sehr groß sei, würde sich die Angebotsseite „eher bedeckt“ halten: „Von alten

einfacher.“ Das Forschungsprojekt soll die Menschen über das Wagenplatzleben aufklären und die möglichen Vorteile für die Stadt darlegen, im Zentrum stehe die Betrachtung des „Phänomens Wagenplatz“. Konkrete Entwürfe würden jedoch noch nicht vorliegen.

Alles nur heiße Luft „Geredet haben sie immer schon viel, was sie gerne mit uns machen wollen, aber etwas Konkretes ist bis jetzt noch nicht passiert“, bringt es Myriam auf den Punkt. Ihr Wunsch ist es, eine längerfristige Lösung durchzusetzen, Wagenleben zu legalisieren, Zwischennutzung möglich zu machen. Am Beispiel anderer europäischer Länder zeigt sich, wie brachliegende Grundstücke und unbewohnte Häuser belebt oder durch kulturelle (Wohn)-Projekte bereichert werden können. Der Wagenplatz steht für eine „gelebte Utopie“, eine alternative und selbstverwaltete Wohnform, die den BewohnerInnen ein kreatives und solidarisches Zusammenleben ermöglicht.

Welche verheerenden Auswirkungen großangelegte Immobilienspekulation auf die gesamte Weltwirtschaft haben kann, ist spätestens seit Sommer 2008 einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Die Erkenntnis, dass sich Fehlentwicklungen am Immobilienmarkt jedoch keineswegs nur auf die USA und die spanische Mittelmeerküste beschränken, scheint sich in Österreich jedoch noch nicht durchgesetzt zu haben. david Das grundlegende Problem, das sich in dem Konflikt zwischen der Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Wohnen und der marktwirtschaftlichen Nutzung des Wohnraums äußert, ist nämlich systemimmanent. Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht und da Wohnraum im Gegensatz zu anderen Konsumgütern nicht so einfach substituiert werden kann, befindet sich die Marktmacht klar auf Seiten der AnbieterInnen. Aktuelle sozioökonomische Entwicklungen, die die Nachfrage weiter steigern, tragen zusätzlich dazu bei, dass die Position der Wohnungssuchenden geschwächt wird. Doch nicht nur die wachsende Zahl an Singlehaushalten und der steigende Anspruch an die Lebensqualität tragen zu den hohen Teuerungsraten am Immobilienmarkt bei, auch in Österreich hat die Spekulation ihren Anteil an dieser für einkommensschwache Schichten dramatischen Entwicklung. Während jedeR neunte WienerIn aktiv auf Wohnungssuche ist, stehen allein in der Bundeshauptstadt 80 000 Wohnungen leer. Dieser Umstand treibt die Kosten für Miete und Eigentumswohnungen nach oben, weshalb sich in die jährlichen Wertsteigerungen für Immobilien gerade in den letzten Jahren durchaus

mit jenen am Aktienmarkt messen können. Auch ohne die ganz große Bedrohung einer Blasenbildung werden so die Handlungsspielräume für immer breitere Bevölkerungsschichten eingeschränkt. Der durchschnittliche österreichische Haushalt muss bereits ein Drittel seines Einkommens für Wohnkosten ausgeben, und dieser Anteil kann bei einkommensschwachen MieterInnen durchaus auf bis zu 50% anwachsen. Obwohl diese Fakten eine dramatische Situation widerspiegeln, kam es bisher jedoch kaum zu vehementen Forderungen an die Politik. So steht mensch in Österreich Hausbesetzungen noch immer eher ablehnend gegenüber, und eine öffentliche Debatte über eine mögliche Inanspruchnahme von über einen bestimmten Zeitraum leer stehenden Immobilien ist nicht einmal vorstellbar. Dabei wäre es dringend notwendig, eine rasche Verbesserung der Situation zu erreichen. Teuerung lässt sich sehr schwer wieder rückgängig machen, weshalb frühzeitig versucht werden sollte, auf ImmobilienbesitzerInnen beispielsweise über Strafsteuern auf ungenutzten Wohnraum Druck auszuüben. Das sozialpolitische Instrument der Wohnbeihilfen kann gegenwärtig nur die Symptome einer ansonsten kaum regulierten Entwicklung lindern.

Dass die Wohnbeihilfe ein wichtiges Instrument zur ansatzweisen Entkopplung des Wohnungsmarktes vom freien Spiel der Marktkräfte ist, bleibt unbestritten. Ohne eine Erweiterung ihres BezieherInnenkreises bei gleichzeitiger angemessener Besteuerung von Immobilienvermögen kann sie jedoch kaum etwas an der gegenwärtigen Situation, die zu einer immer stärkeren Konzentration des Immobilienbesitzes in den Händen weniger Personen führt, ändern. Aktuell können zudem nur Menschen Wohnbeihilfe beantragen, die mindestens fünf Jahre legal in Österreich gelebt haben und über ein monatliches Mindesteinkommen von 752,94€ (mit regionalen Unterschieden) verfügen. Diese Bedingungen sind diskriminierend und gerade für Studierende schwer zu erfüllen. Hinzu kommt noch, dass BewohnerInnen von Studierendenheimen keinen Anspruch auf Wohnbeihilfe haben. Der kurze Blick auf die gesetzlichen Bestimmungen zeigt unmissverständlich, dass Österreich trotz historischer Vorbildwirkung im sozialen Wohnbau aktuell weit von einem offenen und fairen Umgang mit dem Recht auf Wohnen entfernt ist.


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Die treibende Sehnsucht der Kritik

„Froschleich“ ein Artenporträt

Eine Expedition durch die „Eiswüste der Abstraktion“ als Plädoyer für Theoriearbeit und Kritik. feder Wie einen Zahnarztbesuch. So sehen wohl viele StudentInnen Theoriearbeit: Notwendig, aber grausam. Sich durch lange Wälzer „durchzuquälen“, „abgehobene“ Diskussionen zu verfolgen oder „besserwisserisch“ Zitate aus bilderlosen Büchern von sich zu geben, scheint schon lange nicht mehr en vogue zu sein. Vielen scheint offensichtlich die „Eiswüste der Abstraktion“1 zu kalt, der Weg zu weit und das Ziel zu ungewiss. Warum eigentlich? Einerseits kann dieser Umstand mit verschulten Lehrplänen und ihren unkritischen Inhalten erklärt werden. Universitäten können ihren Zweck nicht selbst bestimmen und sind fremden Zwecken unterworfen, die beispielsweise von Staat und Markt vorgegeben werden. Außerdem stehen StudentInnen – aber auch Lehrende – unter immer größerem finanziellen Druck, sodass das Interesse für Theorie und Kritik neben Job und Freizeit selten gesät wird oder wächst. Jedoch hat eine hohe oder geringe Wichtigkeit, die der Theoriearbeit und der Kritik an ihr, von Studierenden und Forschenden zugewiesen wird, immer auch mit gesamtgesellschaftlichen Tendenzen zu tun. Daher kann dies mit einer allgemeinen Problematik in Verbindung gesetzt werden, nämlich der Herabwertung kritischen Denkens, den Ressentiments gegenüber Intellektuellen sowie der Angst vor der Komplexität der Verhältnisse. Diese Vorurteile, auch Antiintellektualismus genannt, sind kein neues Phänomen; vielmehr sind sie alte Freundinnen der schlechten Verhältnisse, in denen „die Bereitschaft, Unzufriedenheit mit fragwürdigen Zuständen auf die zu projizieren, welche die Fragwürdigkeit aussprechen“2 immer höher wird, je fragwürdiger die Zustände eben sind. Antiintellektualismus, und seine Koppelung an die Produktionsverhältnisse, lässt die Unis genauso wenig unberührt wie andere gesellschaftliche Prozesse. Er schlägt sich auch auf Inhalte der Forschung wieder. Er ist Teil – also Symptom und stabilisierendes Element – eines allgemeinen Prozesses. Dieser kann hier am Beispiel der Sozialwissenschaften illustriert werden: Festzustellen ist zunehmend die Abwendung von historisch-dialektischen Theorien, die in den 70er Jahren zumindest einmal ein anerkannter Teilbereich von Sozialwissenschaften waren, hin zu „harten“ Wissenschaften, die dem „fact finding“ verschrieben sind. Diese tendieren danach, eher die Erscheinungen als das Wesen von Gesellschaften zu beobachten. Die Erscheinungen werden danach hübsch geordnet, in Kategorien gruppiert und tabellarisch dargestellt. Das Resultat: Eine Wissenschaft, die statisch, formal und „hart“ ist, und vorgibt, objektiv und gebrauchsfertig nur mehr an der „Realität“ zu erproben zu sein. Das Problem dabei: Notwendig kapituliert eins dabei immer wieder vor der Frage nach dem Wesen, dem Sein der Gesellschaft, der Komplexität der Welt – und vor dem eigentlich einleuchtendem „Fakt“, „daß Gesellschaft nicht als Faktum sich festnageln läßt“3. Bleiben wir beim Beispiel des Antiintellektualismus: Phänomene wie dieser können mit den hier als „positivistisch“ bezeichneten Methoden nur schwer begriffen werden: Äußerungen von Antiintellekturalismus, wie gängige Unterstellungen, dass Studierende ja nur faul seien und lieber demonstrierten anstatt zu arbeiten, würden erforschbar sein. Das Wesen des Antiintellektualismus hingegen, das zu einem Teil aus oben beschriebener Projektion besteht, würde nicht erkannt werden.

Man fragt also nach der Erscheinung von Gesellschaft und nicht, wie sie tatsächlich ist. Davon profitiert dann auch „die vorwaltende Ideologie“4 – also nicht zuletzt eben auch der Antiintellektualismus selbst. Dialektische Theorien hingegen ließen sich den Widerspruch zwischen Wesen und Erscheinung nicht ausreden5. Widersprüche sollen hier miteinander konfrontiert und nach ihren Beziehungen untersucht werden. Beispiele dafür wären, wie gezeigt, das Verhältnis von Wesen und Erscheinung, von Handeln und Denken, von Begriff und Sache, von Subjekt und Objekt – und damit auch von Forscherin und Erforschtem, von Gesellschaft und Wissenschaft. Anerkannt wird also die wechselseitige Vermittlung von Forscherin und Erforschtem. So beeinflusst oder „präformiert“ die Forscherin das Erforschte nicht nur bereits durch den Akt der Forschung. Das Ergebnis ist von etlichen Faktoren abhängig, wie beispielsweise der Sozialisation der Forscherin, ihrem Vorwissen, ihrer Tagesverfassung, der angewandten Methode, den finanziellen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, dem aktuellen Stand der Forschungstechniken etc. „Objektiv“ kann also Forschung so betrachtet niemals sein. Auch kann nicht zeitlose Gültigkeit für das Ergebnis beansprucht werden. Durch die Anerkennung des Prozesshaften können die Widersprüche nebeneinander stehen und in Beziehung gesetzt werden. Das bedeutet aber nicht, dass ihre Ergebnisse nicht wahr sein können. Im Gegenteil: Wird nach der Beziehung zwischen Widersprüchlichem gesucht, kann auf diese Weise der Wahrheit näher gekommen werden, als mit positivistischen Theorien, deren Ergebnisse bereits nach nur einer Falsifikation vom Tisch gefegt würden. Diese Theorien versagen also, wenn es darum geht, dass in sozialwissenschaftlichen Sätzen logische Widersprüche auftreten können. Maschinen können Menschen genauso ihrer Freiheit berauben, wie sie die Befreiung der Menschen von dem Zwang, zu arbeiten bringen könnten. Sie sind also fortschrittlich und regressiv in einem. Einander widersprechende Forschungsergebnisse können also auch auf eine widersprüchliche Gesellschaft verweisen. Diese ohne Widersprüchlichkeit erfassen zu wollen, würde auf Kosten der Wahrheitsfindung gehen. Theorien, die auf die Komplexität der Widersprüchlichkeit verzichten, führen zu einer Fortschreibung dessen, was ohnehin bereits ist. Denn: Kritik anzubringen, wird mit ihren Methoden schwierig. Das hängt nicht zuletzt mit der Unterstellung der gesamten Gesellschaft unter Zwecke, die marktwirtschaftlichen Kriterien und Zwecken der Selbsterhaltung der Individuen unterworfen sind, zusammen. Ein fataler Prozess: Denn Vernunft – als Konzept, das eigentlich bestimmen sollte, welche Zwecke und Mittel wünschenswert sind –, wird instrumentell einem anderen Zweck unterstellt, und damit dieser Fähigkeit beraubt. Dadurch schwindet auch ihr kritischer Stachel. Eine (Sozial)Wissenschaft, die purem Fact Finding verschrieben ist, die Besonderes unter Allgemeinem subsumiert und nur die Erscheinungen statt das Sein von Gesellschaft beobachtet, verkommt selbst zu einer Funktion dieser Gesellschaft, von der sie eben lieber schweigt anstatt sie kritisch in die Zange zu nehmen.

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oder die Schöpfungsgeschichte in sieben Wochen

Eine solche Forschung ist also notwendigerweise konservativ in dem Sinne, dass sie Bestehendes affirmiert. Sie ist also nicht neutral, auch wenn sie es selbst gerne vorgibt. Der Kern der Kritik am Postivismus ist also, „daß er (...) der treibenden Sehnsucht, daß es endlich anders werde, sich sperrt und vorliebnimmt mit den sinnverlassenen Trümmern“6. Deswegen ist die Kritik aber gleichzeitig auch ein Plädoyer für Forschung und Lehre, die kritische Auseinandersetzung mit komplexen Sachverhalten und deren gesellschaftlicher Rückgebundenheit nicht scheut, die Widersprüchlichkeit erträgt und deren wahren Kern erkennt. Mittels einer kritischen Vernunft und dem Ziel einer befreiten Gesellschaft könnte dann endlich gesagt werden: So wie es ist, bleibt es nicht!

Literaturtipps: Max Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2005 Max Horkheimer, Zur Kritik der Instrumentellen Vernunft, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2007 Theodor W. Adorno, Karl R. Popper, Ralf Dahrendorf, Hans Albert, Harald Pilot: Der Positivismus streit in der deutschen Soziologie, Sammlung Luchterhand, Darmstadt und Neuwied, 1976 Regina Becker-Schmidt, Identitätslogik und Gewalt, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis, Farbo Druck, Köln 1989

Marta kam mit einem leeren Einweckglas, an dessen Deckel noch etwas Leberpastete klebte, und hockte sich ans Ufer des Teiches. Der ganze Uferbereich war mit Laichschnüren bedeckt. Die Eier klebten zwischen Schilfhalmen und den faulenden, abgebrochenen Ästen der umstehenden Bäume. Andere hatten sich zu Klumpen geballt und trieben schaukelnd an der Wasseroberfläche. Marta blickte um sich, begann zögerlich mit einem Stecken im Schleimverband zu rühren, überwand schließlich ihren ganzen Ekel, fasste mit beiden Händen ins Wasser und wühlte in den Eiern. Die Schnüre klitschten ihr durch die Finger, rissen, und landeten teilweise am Ufer, wo sie zwischen Grashalmen vertrockneten. Marta war erst zufrieden, als sie fünf wohlgeformte und ungewöhnlich große Eier gefunden hatte. Sie wollte nur die besten Eier, aus denen die besten Kaulquappen schlüpfen sollten. Sie trennte die fünf Eier vom Rest und verschloss sie mit etwas Wasser im Einweckglas.

Fußnoten: 1 Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2003, S. 9 2 Theodor W. Adorno et al, Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Sammlung Luchterhand, Darmstadt und Neuwied, 1976, S. 18 3 ebendort 4 ebendort 5 ebendort 6 Positivismusstreit, S. 22

Als Aquarium diente das Terrarium der verstorbenen Ratten. Marta füllte es mit Wasser aus der Regentonne, legte Steine auf den Grund und setzte Wasserpflanzen und Algen dazu, die sie im Teich ausgerissen hatte. Die fünf Eier trugen jeweils einen schwarzen Punkt in der Mitte und waren von einer milchigen Schleimhaut überzogen. Am ersten Tag lagen die Eier ruhig zwischen den kleinen Blättern der Wasserlinsen und einem Schilfrohr. Die Sonne fiel durch das Fenster direkt auf den Laich, Marta betrachtete ihr Werk und war zufrieden. Am zweiten wuchs der schwarze Punkt beachtlich und die milchige Hülle wurde durchsichtiger. Am dritten Tag war der Punkt kein Punkt mehr sondern ein länglicher Körper, der sich ab und zu bewegte. Marta verbrachte den ganzen Tag am Aquarium und berührte mit den Fingern liebevoll die glitschige Eioberfläche. Sie schob das Aquarium zum Heizkörper, da ihr das Wasser kalt erschien und sie gelesen hatte, dass die Entwicklung von Kaulquappen in warmem Wasser schneller voranschreite. In der Nacht von dem zweiten auf den dritten Tag schlüpften vier Kaulquappen. Die fünfte hatte sich grau gefärbt und hing zwischen zwei Schilfhalmen noch immer in Embryostellung. Marta fischte die tote Kaulquappe ärgerlich mit einem Teelöffel aus dem Wasser und streifte sie an der Heizung ab, wo sie unbemerkt vertrocknete. Marta konnte die vier verbliebenen Kaulquappen schwer voneinander unterscheiden, gab ihnen aber dennoch Namen. Heinrich, Holger, Hermann und

teresa

Heinz lagen die meiste Zeit an Blätter oder Steine gepresst, schienen zu Martas Enttäuschung gelähmt und gaben nur ab und zu mit einem Schwanzschlag ein Lebenszeichen von sich. Marta langweilte sich und wirbelte Wasser, Sand und Pflanzen mit ihrer Hand durcheinander, sodass die vier Kaulquappen aus ihrer Starre gerissen mit der Strömung Runde um Runde an den Glaswänden entlang trieben. In der zweiten Woche wurden Heinrich, Holger, Hermann und Heinz lebendiger, schwänzelten durchs Aquarium und schabten an den Blättern und Stängeln. Die ersten Ausscheidungen in Form von kleinen Würstchen sammelten sich am Grund und Marta war stolz auf den gelungenen Verlauf ihres Versuchs. In der dritten Woche konnte man deutlich die Trennung von Kopf und Schwanz unterscheiden, wobei der Kopf kräftig wuchs und immer runder wurde. Heinrich, Holger, Herrmann und Heinz gewöhnten sich langsam an Martas Hand, sie spürte sogar ein Kitzeln wenn sich die kleinen Mundöffnungen eifrig an ihren Fingern bewegten. Marta durchblätterte einen Bilderband mit dem Namen „Der Frosch“, bewunderte die Fotos der überdimensionalen Kaulquappen in fortgeschrittenem Stadium und hoffte inständig, ihre Schützlinge würden den Bilderbandkaulquappen so schnell wie möglich ähneln. Sie kaufte eine Dose Fischfutter und streute davon täglich eine Handvoll ins Aquarium. Die Kaulquappen zogen das Fischfutter den Pflanzen vor und schnappten jedes Mal gierig nach den Flocken. Innerhalb dieser Woche wuchsen die Kaulquappen auf ein Doppeltes. In der vierten Woche brachen die Hinterbeine aus dem Körper. Marta entdeckte verzückt die Verwandlung, stahl aus Übermut ein Stück rohes Hühnerfleisch aus der Küche und legte es in das Aquarium. Die Kaulquappen schienen das am Rand treibende, rosa Brustteil zuerst nicht zu bemerken, begannen aber dann doch mit heftigen Bewegungen am Fleisch zu schaben. Innerhalb weniger Stunden war vom Huhn nichts mehr übrig. Wenig später zählte Marta drei Kaulquappen und fand die Vierte nicht wieder obwohl sie sämtliche Steine und Pflanzen umdrehte. Sie vermutete, dass es Hermann war, der seinen Brüdern zum Opfer gefallen war. Da Marta die Wiederholung eines solchen Unglücks nicht ausschließen konnte, beschaffte sie vom selben Teich einen Eimer lebendiger Kaulquappen, die, in natürlichen Verhältnissen aufgewachsen, nicht annähernd halb so groß waren wie Heinrich, Holger, und Heinz. Zögernd leerte Marta das erste, mit kleinen Kaulquappen gefüllte, Glas ins Aquarium und beobachtete mit Grauen wie diese zuerst durch die veränderte Wassertemperatur betäubt und anschließend von Martas Kaulquappen noch lebendig verzehrt wurden. Sie brauchte einige Zeit, um das schauerliche Schauspiel zu vergessen, betrachtete Heinrich, Holger, und Heinz anfangs misstrauisch, aber je öfter sie das Ritual wiederholte, desto gewöhnlicher schien es ihr. In der fünften Woche begannen Heinrich, Holger, und Heinz nachts an der Wasseroberfläche nach Luft zu schnappen und Marta bildete sich ein, das dumpfe Geräusch zu hören wenn sie gegen die Glaswand stießen. Sie deckte ab diesem Zeitpunkt das Aquarium nachts ab und stand regelmäßig auf, um mit einer Taschenlampe nach dem Rechten zu sehen.

In der sechsten Woche beschloss Marta, den Kaulquappen ewiges Tageslicht vorzutäuschen um die Entwicklungsbedingungen weiter zu optimieren. Sie befestigte bei Dämmerungseinbruch eine Infrarotlampe über dem Aquarium, stellte sie auf die höchste Stufe und bestrahlte die Kaulquappen die ganze Nacht lang. Am nächsten Morgen war das Wasser trübe und die Pflanzen ohne Ausnahme verunstaltet, manche schwammen mit dem Wurzelstock an der Wasseroberfläche, andere waren in lauter kleine Stücke zerbissen. Heinrich, Holger, und Heinz drehten unruhig Runde um Runde im Aquarium und hielten nur kurz Inne, als Marta ihnen ein Glas voll kleiner Kaulquappen servierte. In der siebten Woche bewegten sich die Kaulquappen fast ausschließlich mit Hinter-und Vorderbeinen fort, der Schwanz war beträchtlich geschrumpft. Marta hatte dieIdee, das Wasser mit Vitaminen zu versetzten, löste zu diesem Zweck eine Brausetablette mit der Packungsaufschrift „Gesunder Körper- gesunde Seele“ im Aquarium auf. Es geschah das erste Mal, dass, wenn Marta ihre Hand ruhig im Wasser ließ, Heinrich, Holger, und Heinz so heftig an ihrer Haut schabten, dass sie erschrocken zurückzuckte und sich den blutigen Finger in den Mund steckte. Ende der siebten Woche hatten sich die Kaulquappen in fertige Frösche verwandelt. Ihre Körper waren aufgebläht, die Haut voller Pilze und Verletzungen. Marta starrte ratlos auf ihre Zucht und konnte die Abneigung dagegen nicht leugnen. Sie hatte keine Lust mehr, die Frösche zu berühren, trug also Gummihandschuhe und hielt das Aquarium stets fest verschlossen Im Teich wimmelte es von kleinen, noch beinlosen Kaulquappen, die den Uferbereich so zahlreich bevölkerten, dass Marta teilweise den Grund nicht sehen konnte. Sie öffnete das Einweckglas und ließ Heinrich, Holger, und Heinz ins kalte Wasser plumpsen. Die drei zappelten kurz und machten Anstalten auf die Böschung zu klettern, waren aber zu lahm, wurden dann steif und blieben regungslos in den Grashalmen hängen, die sich vom Ufer aus ins Wasser beugten. Die vielen Kaulquappen, die durch die Störung zuerst geflüchtet waren, näherten sich wieder und begannen schließlich an Heinrich, Holger und Heinz mit ihren kleinen Mäulern zu schaben, so wie sie an allem in ihrer Reichweite schabten. Marta verfolgte das Schauspiel mit großen Augen. Die Kaulquappen bedeckten die Frösche bald vollständig und bildeten drei schwarze geschäftige Haufen. Die Wasseroberfläche schien durch den gefallenen Blütenstaub wie vergoldet, erste Himmelschlüssel stießen durch den noch kalten Boden. Als sie einen letzten Blick in den Teich warf, war von den drei Fröschen nichts mehr zu sehen, die Kaulquappen hatten sich wieder gleichmäßig am Ufer verteilt und ließen ihre kleinen schwarzen Körper in der Sonne glänzen. Teresa Dopler, Wien, 2.2011, Studium an der angewandten Kunstuniversität /Sprachkunst


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1 Abkürzung der Grünen & Alternativen StudentInnen? 2 Wieviel Prozent bei Garnelenfischerei werden als „Beifang“ tot wie der ins Meer geworfen? 3 Wo war der Klimagipfel 2010? 4 Von wem stammt der Ausdruck „Eiswüste der Abstraktion“? 5 Welche rechtliche Klausel in der Bauordnung würde die temporäre Nutzung von Brachflächen ermöglichen? 6 Wer schrieb „The Limits of Growth“? 7 Wie heißt wohl das Werk des US-Amerikaners Jonathan Safran Foer in der Originalfassung? 8 Wie viel Prozent des Fleisches in Deutschland kommen aus Massentierhaltung? 9 Wie viele Studierende in Österreich nehmen psychologische Hilfe in Anspruch? 10 Waagrecht: 36 Prozent der Studierenden leiden unter starker ...? Senkrecht: Wie bezeichnet eins jene Wissenschaften, die zu fact finding, Subsumtion von Besonderem unter Allgemeinem, und der Messung der Äußerlichkeiten statt des Inhalts und dem Sein tendieren? 11 Wie viele Jahre muss mensch legal in Osterreich leben, um Anspruch auf Wohnbeihilfe zu haben? 12 Wie nennt man die Praxis, großer Unternehmen, ihr „grünes“ (ök ologisch, sozial, …) Image mittels PR-Kampagnen aufzubessern? 13 Laut der Psychologischen Studierendenberatungsstelle Wien erhöht sich durch den gestiegenen Leistungsdruck in den BachelorStudiengängen der „Stress- und ...“ 14 Waagrecht: Welchen Anspruch auf Wohnbeihilfe haben Studierende? Senkrecht: Wo befindet sich der aktuelle Stellplatz der Wagen gruppe „Treibstoff“? 15 Wie werden Beschlüsse in der GRAS gefällt? 16 Abk. International Labour Organization 17 Einer der wichtigsten Grundsätze der GRAS? 18 Um eine demokratischere Mitbestimmung zu ermöglichen kämpfen wir für die Wiedereinführung der ... 19 Wie bezeichnet eins Ressentiments gegenüber jenen Menschen, die die Fragwürdigkeit der Verhältnisse auf den Punkt bringen und artikulieren? 20 Welches Wahlrecht haben Studierende aus Nicht-EWR-Staaten (noch) nicht? 21 Ist Kaffee mit dem Rainforest Alliance certified Siegel bio, fair oder eins von beiden? 22 Etwa 8.000.000 Menschen leben in Österreich – wie viele Schweine? In Millionen.

... und wann sind eigentlich ÖH-Wahlen? Vom 24.-26. Mai 2011 kannst du über die politische Ausrichtung deiner HochschülerInnenschaft mitentscheiden. Wer dich gegenüber der Regierung vertritt, wer sich für dich in politischen, sozialen und rechtlichen Belangen einsetzt, liegt in deiner Hand. GRAS wählen: Freier Hochschulzugang für Alle ++ Mehr Frauen in höhere Positionen der Unis ++ Studifreifahrt ++ Zeit zum Studieren statt arbeiten müssen ++ Gleichstellung aller Studis unabhängig von ihrem Geburtsort ++ Frauenquoten in Unigremien ++ Grundsicherung für alle Studierende

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