Die Weltwoche, Ausgabe 48/08

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Archetypen: Claude Lévi-Strauss, Piraten, Victoria‘s Secret Nummer 48 — 27. November 2008 – 76. Jahrgang Fr. 5.90 (inkl. MwSt.) – Euro 3.90

Schweizer Glücksdroge

New York feiert Pipilotti Rist als Lichtgestalt in der Krise. Ein Nachmittag mit unserer Weltkünstlerin. Von Daniele Muscionico

Es droht eine Grosse Depression

Nationalbank-Vize Philipp Hildebrand redet Klartext. Von Carmen Gasser

Die Kindheitsräuber

HarmoS, Politik und Pädagogik: Wie der Staat die Familien aushebelt. Von Philipp Gut


roger federer Meister des Tenniscourts. Gewinner unzähliger Grand-Slam-Titel. Rekordhalter als Nummer eins der Weltrangliste. Vorbild. Mentor. Phänomen. Er wird der grösste Spieler aller Zeiten genannt. Von den grössten Spielern aller Zeiten.

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Intern Während sich in Downtown Manhattan die Brooker nach einem besonders schlechten Tag mit dem Härtesten betranken, berauschte sich in Midtown die New Yorker Kulturelite an ­einer supersoften Videoinstallation, die wie ­eine Glücksdroge wirkte. Pipilotti Rist hat für das MoMA eine Arbeit realisiert, die das Stadt­ gespräch ist. Unsere Kulturredaktorin Daniele Muscionico, die mit der Künstlerin einige ­biografische Gemeinsamkeiten teilt, traf Rist in New York und begleitete sie. Dass sie dem ­Phänomen dieser Ausnahmeerscheinung nie­ mals auf den Grund kommen würde, war klar.

Notenbanker gehören zu einer verschwiegenen Zunft. Ihre Aussagen sind vage, ihre Deutungen orakelnd, Extrempositionen selten. Umso über­ raschter war Wirtschaftsredaktorin Carmen Gasser, als SNB-Vizepräsident Philipp Hilde­ brand für einmal sehr deutliche Worte fand. Während 90 Minuten sprach er in seinem ver­ täfelten Büro in Bern über die Risiken in den kommenden Monaten für die Konjunktur, den Abgrund, an dem das globale Finanzsystem

Deutliche Worte: Nationalbanker Hildebrand. nach dem Zusammenbruch der Investment­ bank Lehman Brothers stand, und die Krise, in der sich die Schweiz befindet. Seite 42 Stadtgespräch in New York: Künstlerin Rist.. Ebenso klar wurde auch, dass die Schweizerin den Menschen offenbar genau das gibt, wo­ nach sie sich sehnen: positive Alternativen zu einer Weltsicht, deren Zentrum der DowJones-Index ist. Seite 32

Letzte Woche erschien die erste Folge des Fort­ setzungsromans «Doppelpass», den Charles Lewinsky während eines Jahres exklusiv für die Weltwoche schreibt. Ein Afrikaner kommt illegal in die Schweiz und sucht seinen Vetter Tom, der am Birkenweg wohnt. Lesen Sie ­ in dieser Ausgabe Folge 2. Seite 70.

Seit Sartres Tod gilt der Anthropologe, Ethno­ loge und Philosoph Claude Lévi-Strauss als ­ der einflussreichste Intellektuelle Frankreichs, wichtiger als Foucault, Bourdieu, Aron oder Lacan. Am 28. November kann er seinen hun­ dertsten Geburtstag feiern. Sein nach wie vor äusserst lesenswertes Hauptwerk «Traurige Tropen» wird nicht zu Unrecht mit Montai­ gnes «Essais» verglichen. Als einziger Schwei­ zer Journalist konnte Jürg Altwegg, Korrespon­ dent und Frankreich-Spezialist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, mit dem alles andere als interviewfreudigen Claude Lévi-Strauss meh­ rere Gespräche in Paris führen. Eines davon, worin es um die wichtigen Themen und Be­ griffe des Denkers geht, wird in der Weltwoche erstmals abgedruckt. Seite 52

Seit 2001 arbeitete Bruno Ziauddin, Jahrgang 1965, für die Weltwoche in unterschiedlichen Funktionen, zunächst als Ressortleiter Gesell­ schaft, dann als stellvertretender Chefredaktor, schliesslich als preisgekrönter Journalist und Buchautor. Seine letzte Veröffentlichung über das nicht immer spannungsarme Zusammen­ leben von Deutschen und Schweizern traf ­einen Nerv und brachte dem Autor grenzüber­ greifendes Renommee ein. Ziauddin verlässt die Weltwoche, um sich in einer redaktionellen Führungsfunktion bei der Frauenzeitschrift Annabelle zu betätigen. Zuvor widmet er sich im Auftrag des Rowohlt-Verlags seinem zwei­ ten Buchprojekt. Wir danken ihm herzlich für seine hervorragenden Leistungen und wün­ schen ihm alles Gute. Ihre Weltwoche

Weltwoche Nr. 48.08

Titelbild-Illustration: René Habermacher, Bildvorlage: Gabriela Maj (Getty Images); Bild Intern: Severin Nowacki (Dukas)

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krisen, die sie aus Eigeninteresse herbei­reden. Was passiert in der Schweiz? Nichts. Die Wirt­ schaftsministerin trat vor wenigen Monaten mit der Aussage hervor, es gebe keine Anzei­ chen für eine Rezession. Der Finanzminister ist dabei, sich nach seiner Krankheit wieder ein­ zuarbeiten. Der Bundespräsident weilt mit Vorliebe im Ausland. Der einzige Politiker, der sich öffentlich als Krisenhelfer anpreist, soll nach Kräften an einem Comeback gehindert werden. Die Nonchalance wirkt so beruhigend wie frivol. Eines bleibt klar: Auch in schweren Zeiten glaubt die Schweiz, als wohlorgani­ sierte Anarchie durchzukommen. Vielleicht ist genau das die Qualität.

Editorial

Wahlkampf Wenn Staaten schlechte Manager belohnen. Hugo Chávez in den Bundesrat? Lob des Aufsteigers. Von Roger Köppel

D

ie Verunsicherung hält an. Der Verlust des Vertrauens in die Banken ist gigan­ tisch. Kein Wunder. Wer durch Management­ fehler zuerst Milliarden verspekuliert und da­ für auch noch mit Staatshilfe belohnt wird wie jüngst die Citigroup, hat ­einiges wiedergutzu­ machen. Wie sicher ist mein Geld bei Leuten, die nicht mal mit ihrem eigenen Vermögen sorgsam umzugehen wussten? Mittlerweile sind die westlichen Industriegesellschaften in einer Art Geiselhaft der Grossbanken. Die ­Gesetze des Marktes bleiben ausser Kraft, die an der Misere mitbeteiligten Führungskräfte in ­ihren Positionen. In den USA drängen jetzt auch die seit Jahren falsch geführten Auto­ giganten an die staatlichen Tresore. Die Hilfe wird zu einer Fortsetzung des Missmanage­ ments mit anderen Mitteln führen. Alle Kleinund Mittel­unternehmer, die sich in den Stür­ men nach der Decke strecken müssen, sind zu Recht empört. Die unheiligste aller Allianzen, die Allianz zwischen Staat und Grosswirt­ schaft, breitet sich aus wie eine Krankheit.

I

n der Schweiz sind alle Politiker bundes­ ratstauglich ausser Christoph Blocher. Die FDP, die Blocher vor einem Jahr im Amt bestä­ tigen wollte, will ihn nicht mehr in der Regie­ rung haben. Die CVP, die vor einem Jahr ver­ sicherte, alle Amtsträger wiederzuwählen, berauscht sich an der eigenen Verhinderungs­ macht. Träte Hugo Chávez im Zweierticket mit dem Abgewählten an: Das Parlament stimmte für den Mann aus Venezuela. Alle sind sich einig: Blocher ist fähig, deshalb darf er nicht gewählt werden. So funktioniert in der Schweiz die Demokratie. Neu gedeutet im Sinne der Obrigkeit wird der Begriff der Kon­ kordanz: Es sollen nicht mehr alle relevanten Kräfte im Bundesrat versammelt werden, son­ dern nur Leute, die sich an die politischen Vor­ lieben der Mehrheit halten. Konkordanz wird zum Gesinnungstest für angehende Machtver­ walter. Die Elite verfügt, wen sie unter ihres­ gleichen dulden mag. Während sich die Gegner formieren, verliert die SVP die Nerven. Die Parteimitglieder fan­ gen an zu glauben, was sie in den Zeitungen lesen. Die unfreiwillige Opposition ist der Par­ teiführung, die angeblich nur um der Sache willen kämpft, zu anstrengend geworden. Die zweite Fraktionsreihe drängt nach vorn. Blo­ chers Hellebardentruppe, die mit sachlichen Weltwoche Nr. 48.08

Illustration: Alexandra Compain-Tissier

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Herbst der Ironien. Anliegen und grossem Erfolg respektlos gegen «die da oben» anrannte, hat sich innert kurzer Zeit in einen Hühnerhaufen von Karrieristen verwandelt. Im Schatten des Übervaters regen sich die gelierten Häupter der neuen Genera­ tion. Die SVP wird zu einer Partei, die sie früher nie werden wollte. Es ist ein Herbst der Ironien. Ausgerechnet die Zeitungen befeinden am heftigsten den Politiker, dem sie in den letzten zwei Jahrzehnten Auflagensteigerungen und ungezählte Schlagzeilen verdankten. Angesichts der Medienkrise müsste die Branche beten für einen Blocher im Bundesrat. Es wird nicht pas­ sieren. Die Motive des Parlaments liegen an­ ders: 1999 wurde Blocher nicht gewählt, um die SVP zu schwächen. Die SVP legte zu. 2003 wurde Blocher gewählt, um die SVP zu schwä­ chen. Die SVP legte noch mehr zu. 2007 wurde Blocher abgewählt, um die SVP zu schwächen. Die Taktik ging auf. Die Sieger werden sich ­hüten, ihre Strategie zu ändern.

D

ie Schweiz steht vor einer bedeutenden Wirtschaftskrise. Vielleicht sind wir bes­ ser aufgestellt als andere Länder, aber es macht den Anschein, als ob die Leute noch nicht er­ fasst haben, was unter Umständen auf sie zu­ kommt. Die Medien schwanken zwischen ver­ antwortungsvollem Zweckoptimismus und der Pflicht, die Realität so dar­zustellen, wie sie ist. In der Nachbarschaft ­vergeht kein Tag, ohne dass sich die Staats­chefs an die Bürger wenden. Reden, Programme und ­Finanzspritzen wer­ den verabreicht. Minister orakeln von System­

ob des Aufsteigers. Was haben Wallenstein und The Great Gatsby gemeinsam? Die Ge­ schichten handeln vom tragischen Aufsteiger, der an den Hierarchien zerbricht, die er durch Geschick und Selbstüberschätzung herausfor­ dert. Wir bilden uns ein, soziale Mobilität für eine allseits gewünschte Qualität zu halten. Das Gegenteil ist der Fall. Nichts macht die Leute misstrauischer als Leute, die ihre angestamm­ te Scholle verlassen haben. Während Jahrtau­ senden galt das heilige Gesetz der Ständeord­ nung. Wer als Bauer geboren wurde, starb als Bauer. Adlig war man lebenslänglich. Der Still­ stand beruhigte, und die Kränkungen, die Aufsteiger zwangsläufig bei denen hinterlas­ sen, die sie überholen, erzeugen giftigsten ­Widerstand. So lebt der Aufsteiger im ewigen Zweifrontenkrieg: bekämpft von oben, belau­ ert von unten. Die Welt verdankt Leuten, die es gewagt haben, aus den ihnen zugedachten Rollen auszubrechen, am Ende alles: Wohl­ stand, Fortschritt, Sicherheit. Aufsteiger sind Helden.

E

nde ohne Ende: Geht der Kapitalismus zur Neige? Erleben wir das Ende des «neo­ liberalen Zeitalters»? Muss das Verhältnis von Mensch und Staat neu überdacht werden? Ach, was. Die bewährten Einsichten bleiben richtig: Staaten sind problematische, wenn auch not­ wendige Machtansammlungen, denen wir misstrauisch begegnen müssen. Staaten wirt­ schaften auf Dauer schlechter als die erfolg­ losesten Unternehmen. Je grösser der Apparat, desto schwächer die Bürger. Vor den zahllosen Konjunkturprogrammen, die angekündigt werden, sollten wir auf der Hut sein. In Wirt­ schaftskrisen müssen die Bürger gestärkt ­werden, nicht die Beamten oder die Politiker. Steuersenkungen bleiben zwingend. Der Staat muss seine Kosten reduzieren. Kürzlich ver­ meldete das Wall Street Journal die jüngsten Wachstumsraten der New Yorker Stadtverwal­ tung. Gewaltig. Während die Firmen laufend Leute entlassen, rüstet der öffentliche Sektor auf. In der Schweiz behindert die direkte ­Demokratie ein ungebremstes Wachstum. Zum Glück.




Berlin: Streit ums Stadtschloss. Seite 22

«Angels»: Victoria’s Secret. Seite 50

Gerissen: somalische Piraten. Seite 20

Gutes Auge: Fotograf Pfeiffer. Seite 62

Aktuell

Hintergrund

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32 Schweizer Glücksdroge

Editorial

13 Kommentar Alpha-Frauen und ihre Männer

In New York wird Pipilotti Rist als Lichtgestalt in der Krise gefeiert. Worin liegt das Geheimnis ihrer Kunst?

14 Dienerin der Macht Die parlamentarische Aufsicht hätte Regierung und Verwaltung zu kontrollieren. Faktisch stützt sie, Bericht für Bericht, die herrschende Mehrheit 16 Schweiz Chefbeamter mit SP-Seilschaft

34 Kunsthandel Die Party geht weiter

38 Die Kindheitsräuber Das Schlagwort der Stunde heisst «Chancengleichheit». Mit ihm rechtfertigen Pädagogen den Eingriff in die Erziehung

19 Personenkontrolle Levrat, Giezendanner, Müri, Schmid

40 Bildung Das pädagogische Abc

20 Somalia Die Taktik der Piraten

41 Der Rebellenführer

22 Berlin Identitätsdebatte um das Stadtschloss

Was treibt Peter Spuhler an? Die einen sagen Rache. Ihm gehe es um das Wohl der SVP, sagt er selbst

25 Wirtschaft Armut selbst verschuldet 26 16 Fragen an Pirat Sugule Ali

42 Es droht eine Grosse Depression

28 Mörgeli Switzerland’s Next Bundesrat

Der Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank warnt vor einer Rückkoppelung der Krise auf die Bankenwelt

28 Bodenmann Der bonibefreite Eidgenoss

46 Chronik eines Sündenfalls

29 Medien Bodoni und Benton! 29 Fernsehkritik der reinen Vernunft Same procedure. . . 30 Leserbriefe

Eine zweiteilige Serie über die UBS, vorsichtige Banker, Zwänge und die Koinzidenz von Ereignissen 48 Banken Profilsucht des Beamten

50 Keusche Sexiness Es ist die Modeschau der Superlative: die Show des Dessouslabels Victoria’s Secret

Weltwoche Nr. 48.08

Bilder (im Uhrzeigersinn): John Paul Filo (Landov, Keystone), SZ Photo (SV-Bilderdienst), Gian-Marco Castelberg, US Navy (AFP)


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Autoren in dieser Ausgabe Claude Baumann Das Buch des langjährigen Wirtschafts­ redaktors kommt zum richtigen Zeitpunkt: «Swiss Banking – wie weiter?». Die ­wichtigste Branche der Schweiz ist im totalen Umbruch. Gleichzeitig wundern sich viele, wie es so weit kommen konnte. In einer zweiteiligen Serie geht Baumann dem Fall der UBS nach und bewertet ihre Zukunftschancen. Teil 1, Seite 46 Andreas Kunz

«Die Gattung, die wir Mensch nennen, ist eine Art optischer Täuschung»: Philosoph Lévis-Strauss. Seite 52

Inlandredaktor Andreas Kunz besuchte die Delegiertenversammlungen der Zürcher SVP. Die Hinter­ gründe des Machtkampfs zwischen Christoph Blocher und seinem Herausforderer Peter Spuhler lesen Sie auf Seite 41.

Interview

www.weltwoche.ch

52 «Idee einer grossen Bescheidenheit» Claude Lévi-Strauss gilt als einer der einflussreichsten Intellektuellen überhaupt

Stil & Kultur 56 58 58 59 60 61 62 63 64 64 67 67 68

Kalter Truthahn Moderne Liebe Brot und Busen Namen Von Sandy Meyer-Wölden bis Cheryl Cole MvH Mein Rom Trend Ende einer Ära Luxus Wohlbehütet und behandschuht Im Gespräch Künstler Walter Pfeiffer Auto Dacia Sandero Wein Mosterei Möhl, Arbon Zu Tisch Wirtshaus «Zur Säge», Flüh SO Objekte EarSet 3 von B & O Impressum Bestseller

68 «Du schreibst zu viel über Sex» Der welsche Autor Jacques Chessex und sein Roman über ein Triebverbrechen 70 72 72 73 73 74 74 10

Doppelpass Folge 2 Jazz Chet Baker, Enrico Pier­anunzi Film «Der Junge im gestreiften Pyjama» Pop Amadou & Mariam Klassik Bassbariton Simon Keenlyside Darf man das? Zitate

Neuer Internet-Auftritt Die Gebrauchsanweisung zu unserer komplett überarbeiteten und neugestalteten Website finden Sie unter www.weltwoche.ch/neu

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Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Raphael Gaillarde (Gamma, Eyedea, Dukas)


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Kommentar

Alpha-Frauen und ihre Männer Von Bettina Weber _ Die Scheidung von Madonna und Guy Ritchie wirft die alte Frage auf: Verkümmern Männer im Schatten starker Frauen? Nicht alle.

seinem Beruf nachzugehen, also Filme zu drehen. Dass er nun verlauten lässt, Madonna sei eine Art Karrierebremse gewesen, zeugt von wenig Stil. Seine Filme waren einfach schlecht und erfolglos. Sie waren so schlecht, dass nicht einmal das Präfix «Ehemann von Madonna» etwas ausrichten konnte. Männer an der Seite von berühmten, erfolgreichen Frauen – wobei gerne das unsägliche Attribut «starke» Frauen verwendet wird, was suggeriert, solche Frauen seien nicht feminin – sind immer noch eine seltene Spezies. Und weil es immer noch unüblich ist, dass sie mehr Einfluss hat als er, ihr eher ein Mikrofon unter die Nase gehalten wird als ihm, vermischt sich bei solchen Konstellationen in der Öffentlichkeit (und in der Presse) Bewunderung mit Irritation oder gar Mitleid. So müssen sich dann Männer an der Seite von bekannten Frauen die spöttische Frage gefallen lassen, ob sie es jetzt seien, die abends die Kinder ins Bett bringen müssten. Oder wie das eigentlich sei, so als Mann, eine derart berühmte Gattin zu haben. Ursula von der Leyen, deutsche Familienministerin und Mutter von sieben Kindern, gab kürzlich unumwunden zu, dass dies anfangs weder für sie noch für ihren Mann eine einfache Situation gewesen sei.

Wo sind die Männer?

Zweite Geige: Madonna und Ex-Mann Ritchie.

U

nd plötzlich ging alles sehr schnell. Im Sommer waren Gerüchte über ein mögliches Ende der Ehe von Madonna und Guy Ritchie laut geworden. Es folgten die üblichen Dementis; Anfang August sagte Guy Ritchie zu Madonnas fünfzigstem Geburtstag gut hörbar in die Mikrofone, er liebe sie «very much». Kurz darauf war er bereits etwas weniger enthusiastisch und antwortete auf die Frage, wie es um seine Ehe stünde, mit «soviel ich weiss, gut». Mitte Oktober kam sie dann, die offizielle Bestätigung, dass sich das Paar trenne. Nur fünf Wochen später war die Scheidung amtlich. Danach wurde das Ehe-Aus der Queen of Pop umgehend einer detaillierten Analyse unterzogen. Beziehungsweise das achtjährige Eheleben, das der Trennung vorangegangen war. Sie habe in einer Art Plastik-GanzkörperAnzug zu nächtigen gepflegt, unter dem eine exklusive Anti-Aging-Creme besonders gute Wirkung habe entfalten können. Er hingegen sei lieber ins Pub gegangen. So amüsant die Details waren, so schnell waren die Rollen verteilt und die Meinungen gemacht: Hier die egozentrische Musikerin aus Amerika, dort der bodenständige Regisseur aus England. Hier der Superstar, dort ihr Anhängsel. Hier das Geld, dort der Habenichts. Und das alles bei Umkehrung der üblichen Vorzeichen. Was Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Anne-Christine Poujoulat (AFP)

die englische Presse zur Schlussfolgerung führte, dass er unter dem Erfolg seiner Frau gelitten habe. Dass er an ihrer Seite verkümmert sei. Von Sunday Times («Schüchtern erfolgreiche Frauen Männer ein?») über The Standard («Männer können nicht mit erfolgreichen Frauen umgehen») bis Daily Mail («Weshalb haben Männer vor erfolgreichen Frauen Angst?») herrschte Einigkeit: Das hatte nicht gutgehen können. So viel angeheirateter Erfolg verkraftet ein Mann nicht.

Ironische Form der Ehefrau Guy Ritchie hätte es wissen müssen. Als sie sich 2000 kennenlernten, war er ein vielversprechender Filmemacher, sie seit zwanzig Jahren Madonna. Nach der Hochzeit war er nicht länger Guy Ritchie, sondern der Mann, den Madonna geheiratet hatte. Sie wusste um diese Tatsache, natürlich, und stellte die Hierarchie auf den Kopf, als sie anlässlich der Filmpremiere von «Snatch» (Regie: Guy Ritchie), dem ersten gemeinsamen Auftritt nach der Vermählung, Arm in Arm mit ihrem Gatten erschien – in einem Blazer mit der Aufschrift «Mrs Ritchie». Vielleicht hätte er da schon erkennen können, dass seine Angetraute eine ironisierte Form der Ehefrau zu spielen gedachte. Dennoch hinderte ihn niemand daran, weiterhin

Der vielzitierte Spruch «Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau» gilt im umgekehrten Fall nicht. Das heisst: Man weiss nicht, wo die Männer erfolgreicher Frauen stehen sollen oder wollen. Nicht nur, weil es zu wenige gibt, die als Vorbilder dienen könnten. Sondern vielmehr deshalb, weil die meisten Männer an der Seite von mächtigen/berühm­ ten/erfolgreichen Frauen schweigen. Sie sind kaum je anwesend, an offiziellen Anlässen schon gar nicht. Ehemänner von Politikerinnen weihen keine Waisenhäuser ein und taufen keine Eisenbahnen. Sie taugen nicht zur Dekoration. Was macht Herr Calmy-Rey? Was Herr Leuthard und Herr WidmerSchlumpf? Sie halten sich diskret im Hintergrund. Auf die Spitze treibt es Joachim Sauer, Mann der mächtigsten Frau der Welt, von Angela Merkel. Interviews mit ihm laufen folgendermassen ab: «Sie sind Chemiker?» – «Ja.» – «An der Freien oder an der HumboldtUniversität?» – «Ja.» Sauer hat offensichtlich keinerlei Interesse, im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen. Das macht ihn nicht nur sympathisch, sondern auch souverän. Er überlässt das Feld seiner Frau, sie ist die Berühmte, die Wichtige, Einflussreiche. Auf den wenigen gemeinsamen Bildern, die es vom Ehepaar Merkel-Sauer gibt, sehen die beiden übrigens bemerkenswert entspannt und vergnügt aus. Und Sauer wirkt dabei keineswegs wie ein Zwerg neben der Kanzlerin. Er steht gern im Hintergrund. g Das macht ihn gross. 13


GPK

Dienerin der Macht Von Urs Paul Engeler _ Die parlamentarische Aufsicht hätte Regierung und Verwaltung zu kontrollieren. Faktisch stützt sie, Bericht für Bericht, die herrschende Mehrheit: eine staatsrechtliche Perversion.

Kampf um Wörter und Wendungen: Bundesrat Schmid, Ex-Armeechef Nef. In Bern gibt es eine Kommission, die seit Jah­ ren systematisch das Gegenteil dessen macht, was sie als ihr Ziel vorgibt. Sie heisst Geschäfts­ prüfungskommission (GPK) und hat soeben die Affäre Schmid/Nef untersucht – mit den Banalresultaten, die zu erwarten waren: keine Recherche, kaum Neuigkeit, Schonung der fehlbaren Behörden, Verwedelung mit poli­ tischer Schlagseite bis zur Wahl der Worte. Die flagrante Missachtung der Pflichten wird mit einem «an Fahrlässigkeit grenzend» vernied­ licht und in Nachsätzen gar entschuldigt. Die GPK, welche die Oberaufsicht ausübt über den Staatsapparat und die vorgibt, «die demokra­ tische Verantwortlichkeit der Bundesbehör­ den zu stärken» und «mehr Transparenz zu schaffen», agiert nicht als Instrument des ­Bürgers, sondern als Teil der Staatsmacht, also von oben herab. Sie ist der Verteidigungswall, an dem jede Kritik an den Magistraten und ­ihren Trabanten abprallt. Das war nicht immer so. Es gab eine Zeit, als routinierte und hartnäckige National- und Ständeräte in der GPK Einsitz nahmen, als ­unabhängige Juristen mit Biss das Sekretariat führten und als Bundesräte und Beamte die Inspektionen und Berichte des Ausschusses noch zu fürchten hatten. Erstmals sichtbar wurde der Bruch mit der stolzen Tradition, als das Gremium, das im Namen des Parlaments 14

die Exekutive zu kontrollieren hätte, von einem ehemaligen Regierungsmann eingesetzt wur­ de, um einen Nationalrat zu überprüfen und zu massregeln.

«Unmissverständliche» Klarstellung Am 21. Februar 2005 schrieb alt Bundesrat Kas­ par Villiger (FDP) mit dem Vermerk «persön­ lich/vertraulich» einigen Ständeräten ­ einen Brief, in dem er forderte, eine Subkommission der GPK «unter dem Vorsitz von Ständerat Hansruedi Stadler» (sic!) müsse die «unwah­ ren und ehrverletzenden Behauptungen», die SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli aufgestellt habe, untersuchen und widerlegen. Mörgeli hatte den Vorwurf geäussert, Villiger habe im Fall der Swissair seine Meinung geändert und die Milliardenhilfe gutgeheissen, weil ihm bei gütiger Mithilfe «entsprechende Mandate [...] in Aussicht gestellt wurden». Da Villiger kurz nach seinem Rücktritt in den Verwaltungs­ räten von Nestlé, Swiss Re und der NZZ Einsitz genommen hatte, glaubte Mörgeli den Ver­ dacht bestätigt, der FDP-Mann sei dank des einflussreichen Bankiers Rainer E. Gut, des Konstrukteurs der Swiss, zu diesen schönen Pöstchen gekommen. Die von Villiger namentlich benannte Un­ tergruppe der GPK, die bereits das SwissairDebakel und die Bundesinterventionen mit

einem lauen Berichtchen bemäntelt hatte, tat wie vom alt Bundesrat geheissen und verkün­ dete vier Wochen später ohne jede weitere Ab­ klärung, sie habe keinen Filz feststellen kön­ nen. Der Magistrat dankte befriedigt für diese «unmissverständliche» Klarstellung. Der Per­ silschein auf Befehl war der vorläufige Tief­ punkt der parlamentarischen Oberaufsicht oder, wie Ständerat Carlo Schmid (CVP, AI) ­damals entsetzt den Kopf schüttelte, «ein ­Vorgang ohne Präzedenz!». Dass die Räte die rechtsstaatliche Ordnung auf den Kopf stellten, hatte Wirkung. Die Fortsetzung folgte einen Monat später, als die GPK die «Affäre Borer» bewertete. In engster Kollaboration hatten 2002 die Ringier-Presse und der damalige Aussenminister Joseph Deiss (CVP) Thomas Borer, Botschafter in Berlin, zu Fall gebracht. Nach dreijähriger Mühe gelang es den Aufsehern, Deiss reinzuwaschen und den subalternen Pressechef als Schuldigen blosszu­ stellen. Die Kommission, die unvorein­genom­ men und unabhängig den Beamtenalltag zu überwachen hätte, pervertierte zum parteilich und politisch agierenden Gremium. Da die Riege in der Regel die herrschende Mitte-linksKoalition verteidigte und Angriffe der SVP ­abwehrte, mochte auch keiner der vielen hoch­ sensiblen Staatsrechtler je seine Bedenken an­ melden. Am 24. Oktober 2008 publizierte die GPK ihren vorletzten Rapport, «Humanitäre Hilfe der Direktion für Entwicklung und Zusam­ menarbeit (Deza) auf Sri Lanka nach dem Tsu­ nami». Er umfasst ganze sechs Seiten. Aus­ löser dieser Arbeit waren öffentlich gewordene Vorwürfe zweier Kaderleute vor Ort, in den Deza-Programmen versickere das Bundesgeld, es herrschten Misswirtschaft und Korruption. Das Bestreben der Kommission war allerdings

Energisch agierte die GPK in den letzten Jahren nur zweimal, beide Male, versteht sich, gegen SVP-Bundesrat Blocher. nie die seriöse Abklärung der fundierten Be­ anstandungen am unsorgfältig betriebenen Wiederaufbau, sondern die Abwehr der Klagen, weil «das Vertrauen in die humanitäre Hilfe der Schweiz im Allgemeinen auf dem Spiel stand». Man wollte der Kritik der SVP an der Entwicklungshilfe keine neue Nahrung geben. Weil sie nicht suchen wollte, hat die GPK auch «keine Hinweise auf schwerwiegende oder systematische Mängel» gefunden, was sie sel­ ber «mit Genugtuung zur Kenntnis» nahm. Um ihre Schönfärberei anzufertigen, haben die Kontrolleure nur die Deza-Leute angehört und die Finanzkontrolle (EFK) mit der Prü­ fung der Geldverteilung beauftragen lassen. Die EFK blätterte in zwei Gutachten, welche die Deza selbst zu ihrer Entlastung hat anfer­ tigen lassen, und meldete, nichts Verdächtiges Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Urs Bucher (EQ Images)


Mit keinem Wort erwähnt die tendenziöse Schrift, dass die Albaner, die wegen Mordes, Entführung, Raubs und weiterer Anklage­ punkte noch immer auf der aktuellen Fahn­ dungsliste von Interpol stehen, das Bundes­ gericht ausgetrickst und die ARK plump getäuscht haben. Bereits Internet-Recherchen hätten die Argumentation des Duos zum Ein­ sturz gebracht. Eine Stellungnahme des De­ partements wurde schlicht ignoriert. Mit dem zweiten Anti-Blocher-Opus verstieg die Kommission, die zum Tummelfeld für par­ lamentarische Anfänger und Hinterbänkler abgewertet wurde, sich in den nationalen Wahl­ kampf. Mit dem in einem Protokoll schriftlich fixierten Ziel, Blocher und der SVP vor dem 22. Oktober 2007 zu schaden, konstruierte die GPK im Sommer 2007 aus privaten Notizen des Bankiers Oskar Holenweger eine Komplott-

Persilschein auf Befehl: alt Bundesrat Villiger. Theorie. Sie kooperierte mit der Verwaltung, die zu kontrollieren gewesen wäre. Sie verletzte nachweislich das Amtsgeheimnis. Sie setzte ganz offiziell falsche Verdächtigungen frei. Die GPK, die Fehlleistungen aufzudecken hätte, produzierte selbst einen der grössten Skandale der jüngsten Zeit, den sie nun sorg­ sam vertuscht. Seit einem Jahr arbeitet die Kommission zwar an einer sogenannten Nach­ folgeuntersuchung ihres eigenen Flops. Auf Erkundigungen nach dem Stand der Analyse der Entgleisungen reagiert Juristin Beatrice Meli Andres, Chefin des GPK-Sekretariats, denkbar knapp: «Leider kann ich Ihre Fragen nicht beantworten.» Bedenken zur Befangen­ heit der Geheimgruppe, die in eige­ner Sache richten will, wehrt sie ebenso kurz ab: «Leider kann ich Ihre Fragen nicht beantworten.» Gleich reagiert Meli Andres auf die Zweifel an ihrer eigenen Unbefangenheit (sie hatte die GPK-Aktivitäten gegen Blocher lange Zeit an verantwortlicher Stelle im Stab des Bundesrats betreut und dann, völlig überraschend, in der Schlussphase die Seite gewechselt): «Leider kann ich Ihre Fragen nicht beantworten.»

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Keine Antwort auf drängende Fragen

rungen Schmids zur Affäre zu dokumentieren und auf Widersprüche zu untersuchen – die Arbeit durfte nicht einmal als Anhang zum Be­ richt erscheinen. Verzichtet wurde auch auf ­ eine Befragung der Zürcher Staatsanwaltschaft, die das Ver­ fahren gegen Nef führte und mit dem Departe­ ment wiederholt in Kontakt stand. Die GPK begnügtesich mit der bereits publizierten fünfseitigen Selbstverteidigungsschrift der Zürcher Justiz und drei, vier nach­gelieferten Notizen. Auch aus der von «10vor10» veröffent­ lichten Erklärung Nefs gegenüber den Sicher­ heitsprüfern, er habe Schmid «vollumfänglich über das eingestellte Verfahren . . . informiert», mochte die Kommission dem ­ abtretenden Bundesrat keinen Strick drehen. Schmid ent­ schuldigend, wurde der Text so ­interpretiert, dass dieser nicht ­diese Aussage Nefs, sondern mit dem Vermerk «eingesehen am 14.12.2007, Schmid» nur die Lektüre des ­Papiers bestätigt habe. Kritisiert werden darum die Prüfer, we­ niger der Bundesrat. Unbeleuchtet blieben die (möglicherweise freisinnigen) Vorinformations-Kanäle, die es Schmid erlaubten, bei seinem unwürdigen Rück­ trittsspektakel bereits verschmitzt zu lächeln, ihm drohe von diesem Bericht keine Gefahr. Vielleicht brauchte er auch gar keine Indiskre­ tionen, sondern nur den Erfahrungswert: g Greift die SVP an, hilft die GPK immer.

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festgestellt zu haben. Statt eines Kontroll­ berichts verbreiteten die vermeintlichen Auf­ passer mit Freude lediglich die Sicht der Ver­ waltung. Eigene Abklärungen wurden, weil «unverhältnismässig», vermieden. Als der Justizminister, in Abweichung vom korrekten schriftlichen Text seiner Rede, an der Albisgütli-Tagung der Zürcher SVP zwei Albaner mit Flüchtlingsstatus als Kriminelle und nicht als «mutmassliche» Übeltäter be­ zeichnete, Kritik an der Asyl-Rekursinstanz (ARK) übte und sich nicht umgehend entschul­ digte, widmete die GPK dem Vorfall im Juli 2006 einen besorgten 44-seitigen Bericht. Blo­ cher, so tadelte sie scharf, habe die Unschulds­ vermutung verletzt, die ARK in Misskredit ­gebracht und die Unabhängigkeit der Richter tangiert.

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Villiger unter Verdacht: Nationalrat Mörgeli. Weltwoche Nr. 48.08

Bilder: Monika Flückiger (EQ Images), Béatrice Devènes (Pixsil.com)

Mit allen Mitteln versuchte die GPK-Manage­ rin die Nachforschungen zur Wahl des Briga­ diers Roland Nef zum Armeechef und zur du­ biosen Rolle des verantwortlichen Bundesrats Samuel Schmid (BDP) im Sinne des angeschos­ senen Verteidigungsministers zu lenken: erst mit einer eigenmächtigen Interpretation des Mandats, dann mit der Standardausrede, für Abklärungen fehlten die Kapazitäten, schliess­ lich mit dem Kampf um Wörter und Wen­ dungen. SP-Nationalrat André Daguet (BE) ­hatte sich die Mühe gemacht, sämtliche Äusse­

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Schweiz

Macht der Zahlen Von Alex Baur _ Beim Solothurner Arbeitsamt hinterliess Walter Steinmann einen Millionenschaden. Bevor das aufflog, wechselte der Chefbeamte dank einer SP-Seilschaft in Leuenbergers Departement.

«Eine Kanone»: Ökonom Steinmann, Chefbeamter im Uvek. Als die Solothurner Regierung im Juli 2002 «vorsorglich» eine Schadenersatzklage gegen Walter Steinmann, den ehemaligen Leiter des Amts für Wirtschaft und Arbeit (AWA), und ge­ gen dessen Chefjuristen einreichte, rechnete kaum jemand mit einem Erfolg. Zwar hatten Finanzspezialisten nach Steinmanns Abgang ein Chaos beim AWA zutage gefördert, das nach einem Skandal roch. Ohne rechtliche Grundlage hatte der Chefbeamte diversen Pri­ vatfirmen zinslose Darlehen über 13,2 Millio­ nen Franken gewährt für Arbeitsprogramme, die zum Teil nie stattgefunden hatten. In der Kasse fehlten über 8 Millionen Franken. Bis dahin waren keine Fälle bekanntgeworden, in denen Beamte von der Justiz für ihre Fehlleis­ tungen finanziell zur Verantwortung gezogen worden wären. Die Bedingungen dafür sind streng: Fahrlässigkeit allein reicht nicht. Der Fall war brisant, weil Walter Steinmann als Star in seiner Branche galt. Seine «Pionier­ rolle» bei der Bekämpfung der Arbeitslosig­ keit hatte in den 1990er Jahren in den Medien breite Beachtung gefunden. Im Juni 2001, ­wenige Tage bevor das Debakel publik wurde, war der Chefbeamte als neuer Direktor des Bundesamtes für Energie ins Departement von Bundesrat Moritz Leuenberger (SP) ge­ wechselt. Einen Zusammenhang wies er aber weit von sich. 16

«Die Klage wird einzig zur Wahrung der Fris­ ten eingereicht», schrieb die Solothurner Re­ gierung in einer offiziellen Verlautbarung. Im Klartext: Mit dem «präventiven» rechtlichen Schritt wollten sich die Regierungsräte in ers­ ter Linie selber absichern.

Chaotisch geführtes Amt Sieben Jahre später liegt nun entgegen aller Erwartungen ein Urteil des Bundesgerichtes vor, das den Chefbeamten nicht nur zu einer Zahlung von 100 000 Franken Schadenersatz (plus rund 30 000 Franken Verfahrenskosten) verpflichtet. Der Prozess deckt einen erschre­ ckend sorglosen Umgang mit Steuergeldern in einem chaotisch und intransparent geführ­ ten Amt auf. Es stellt sich heute nicht nur die Frage, wie Steinmann und sein Stellvertreter – beide ohne jede Führungserfahrung – in ihr Amt befördert wurden. Es erscheint auch zwei­ felhaft, ob die Beschäftigungsprojekte, die später zum nationalen Standard erhoben wur­ den, tatsächlich so erfolgreich waren, wie be­ hauptet wurde. Um die Subventionstöpfe des Bundes anzuzapfen, wurden im AWA Erfolgs­ zahlen geschönt. Tatsächlich führten fast alle Programme zu nichts. Vieles lässt sich mangels Belegen nicht mehr genau nachvollziehen. In konkrete Zahlen fassen lässt sich unter dem Strich bloss der Schaden.

Als Walter Steinmann im Juli 1994 die Leitung des Solothurner AWA antrat, beschäftigte das Amt 40 Beamten. Vier Jahre später waren es (trotz Personalstopp) 223. Der vom Bund mass­ geblich mitfinanzierte Zuwachs ist zum Teil auf die Reorganisation der alten Arbeitsämter in regionale Arbeitsvermittlungszentren (RAV) zurückzuführen. Die Zielvorgabe, ein Beam­ ter auf hundert Arbeitslose, wurde aber weit überschritten. «Wir richteten mit der grossen Kelle an», sagt ein ehemaliger Mitarbeiter, «wenn ein Programm scheiterte, riss man ein neues an.» Das Wichtigste beim AWA sei ge­ wesen, dass «einfach etwas laufen» musste, wird ein Mitarbeiter im Urteil des Solothur­ ner Verwaltungsgerichts zitiert. Man habe «nie von Problemen, sondern nur von Lösungsvor­ schlägen» gesprochen, sagte der Zeuge, «dar­ in war Steinmann eine Kanone». Auch habe man alles darangesetzt, um gesprochene Kre­ dite auszuschöpfen, weil sonst Kürzungen ­gedroht hätten. Im Zentrum des Haftungsprozesses stehen 14,2 Millionen Franken, die das AWA 14 Fir­ men im Hinblick auf künftige Subventionen des Bundes vorstreckte. Die Chefbeamten überschritten damit nicht nur ihre Kompe­ tenzen. Sie gewährten die Darlehen zinslos und ohne jegliche Sicherheit, es fehlten sogar schriftliche Vereinbarungen über die Modali­ täten. Die «Vorschüsse» gingen stets von den maximal möglichen Zuschüssen des Bundes aus, die mangels Auslastung der Arbeitspro­ gramme oft gar nicht erreicht wurden. Und sie wurden in der «Schattenbuchhaltung» à fonds perdu unter der Rubrik «Ausgaben» verbucht. Bisweilen kassierten die Firmen auch doppelt, sowohl beim Kanton wie beim Bund. Nach Steinmanns Abgang standen beim AWA Forderungen von über 8 Millionen Franken offen. Insgesamt 1,35 Millionen Fran­ ken musste der Kanton in der Folge abschrei­ ben, weil die betroffenen Firmen illiquid ­geworden waren. Nachdem das Chaos publik worden war, räumte Walter Steinmann öffentlich Fehler ein: «Ich habe zu viel vertraut und zu wenig kontrolliert.» Wer etwas Neues riskiere, dem müssten auch Fehler zugestanden werden. Damit war die Sache für ihn erledigt. Doch die Gerichtsurteile lassen seine Rechtfertigung in einem anderen Licht erscheinen. Die buch­ halterischen Zahlenschiebereien erfolgten auf seine Anordnung. Steinmann wurde mehrfach vorgewarnt. Bereits 1998 rügte die Finanz­ kontrolle die «intransparente und ineffiziente» Buchführung des AWA, die «elementare Grundsätze» missachte. Konsequenzen hatte das kaum. Die Nachkontrolle erfolgte aller­ dings erst drei Jahre später, als der Chef be­ reits weg war. Im November 2000 ging die Software-­Firma Midimap Konkurs, der das AWA 933 549 Fran­ ken für angebliche Beschäftigungsprogramme Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Peter Klaunzer (Keystone)


vorgeschossen hatte, die nie durchgeführt wurden. Die Hauptverantwortlichen der Com­ puterfirma wurden später wegen Konkurs­ delikten und Urkundenfälschung verurteilt. Ein Verfahren wegen Betrugs zu Lasten des Kantons Solothurn wurde dagegen eingestellt. Die Kontrollen des AWA seien derart mangel­ haft gewesen, so die Begründung, dass von «Arglist» keine Rede sein könne. Im Jahr 2000 stand auch die Firma Comm Power – ein Stammkunde des AWA, dessen ­ Arbeitsbeschaffungsprojekte zur selben Zeit von mehreren Zeitungen als vermeintliches Vorzeigemodell gefeiert wurden – vor dem

Die Kontrollen des AWA seien derart mangelhaft gewesen, so die Begründung, dass von «Arglist» keine Rede sein könne. f­ inanziellen Ruin. Ein Jahr später stellte die Comm Power, die dem Kanton rund eine Viertel­ million schuldig blieb, ihre Geschäftstätigkeit ein. Walter Steinmann muss demnach gewusst haben, wie schlecht es um sein Amt stand, als er sich Anfang 2001 nach Bern absetzte. Mit dem Bundesamt für Energie (BFE) über­ nahm Steinmann ein Schlüsselressort in Leu­ enbergers Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Umwelt (Uvek). Die Entschei­ dungen, die hier getroffen werden, sind von nationaler Tragweite. War Steinmann der rich­ tige Mann für diese Aufgabe? Sieht man von seinem Engagement gegen die Kernenergie in jungen Jahren ab, hatte sich der Ökonom aus Niedergösgen bislang in Energiefragen nie hervorgetan. Auf seinen Leistungsausweis an­ gesprochen, erwähnt der Chefbeamte die kan­ tonale Energiefachstelle, die nützliche Tipps zum Stromsparen abgibt und im Solothur­ nischen dem AWA angeschlossen ist.

Ein mächtiger Freund Auffälliger sind die persönlichen Netzwerke des Sozialdemokraten Steinmann. Wie schon in Solothurn, wo er mit SP-Regierungsrat Rolf Ritschard einen einflussreichen Fürsprecher im Rücken hatte, konnte der Mann auch in Bern auf einen mächtigen Freund bauen: Ge­ neralsekretär Hans Werder (SP), der «starke Mann», der anstelle von Leuenberger das ­Tagesgeschäft bestimmt. Beide erlangten in Aarau die Matura und an der Universität ­Konstanz den Doktortitel. Von 1976 bis 1980 arbeiteten Werder und Steinmann zusammen als Assistenten im damaligen Institut für ­­Orts-,­ Regional- und Landesplanung, dem heutigen Netzwerk Stadt und Land (NSL) an der ETH Zürich. Mit Steinmann wurde beim Bundesamt für Energie nicht nur ein Generationen-, sondern auch ein Kurswechsel vollzogen. Sein Vorgän­ ger, Eduard Kiener, gehörte zwar ebenfalls der SP an. Doch als Maschineningenieur der alten Weltwoche Nr. 48.08

Schule interessierte sich Kiener vor allem für die «harten», technischen Fragen. Er galt als Befürworter der Kernenergie, doch die Politik überliess er den Politikern. «Steinmann dage­ gen ist ein dezidierter Kernkraftgegner geblie­ ben, im Kopf wie im Herzen», moniert der als «Atompapst» bekanntgewordene Ingenieur Michael Kohn, der ihn seit vierzig Jahren kennt, «doch die Alternativen, die er propa­ giert, sind weder technisch noch wirtschaft­ lich umsetzbar». Beim Thema Kernenergie sagt Walter Stein­ mann heute ausweichend: «Ich vertrete die Meinung des Bundesrates.» Will heissen: Die bestehenden Anlagen sollen weiter in Betrieb bleiben, über einen allfälligen Ersatz soll das Volk entscheiden. Damit das geschehen kann, müssten aber erst einmal Vorlagen auf dem Tisch liegen. Doch das Anliegen steht nicht auf der Prioritätenliste des BFE, ebenso wenig wie die (technisch gelöste) Entsorgung nuklearer Abfälle, was jeden Neubau faktisch blockiert. Wenn es sein muss, können Steinmanns ­Beamten allerdings schnell reagieren. Als der Stromriese Axpo im Juni 2005 eine Studie ver­ öffentlichte, die eine gravierende Stromlücke prognostizierte, zauberte das BFE den Plan für ein Gaskraftwerk aus dem Ärmel, das sich, im Gegensatz zu einem Atommeiler, zügig bauen lasse. Doch seither hat man vom Gasprojekt, das alle Massnahmen zur Eindämmung der CO2-Emissionen vernichten würde, nichts mehr gehört. «Man möchte die Kernenergie einfach vergessen», sagt Michael Kohn. Harten Diskussionen, dem Streit um das Prinzipielle geht Walter Steinmann konsequent aus dem Weg. Wie schon damals, während der Krise der 1990er Jahre, als in Solothurn ganze Industriezweige abstarben, verspricht er einen «dritten» Weg, der weder links noch rechts sein sollte. Sondern «innovativ». Beschäfti­ gungs- und Umschulungsprogramme statt Renten, Hilfe zur Selbsthilfe war damals sein Motto, das sich gut verkaufte. Doch was gut ­gemeint war, scheiterte an der Realität, wie die Gerichtsurteile nun aufzeigen. Heute plant Steinmann Sonnenkraftwerke und Windparks. Er ist ein leidenschaftlicher Verfechter der «2000-Watt-Gesellschaft». Dieses Sparszenario, das auf den Pulten des NSL­Institutes an der ETH Zürich designt wurde, sieht eine Senkung des Energiebedarfes um 70 Prozent und eine Reduktion des CO2-Aus­ stosses um gar 90 Prozent vor – ohne dass der Mensch dafür «auf die gewohnten Annehm­ lichkeiten» verzichten soll. Angesichts solcher Perspektiven scheint sich der Streit um die hässlichen AKW zu erübri­ gen. Sollten die theoretischen Zahlenspiele­ reien der Forscher allerdings nicht aufgehen, sind Folgekosten zu erwarten, die das Millio­ nendebakel von Solothurn als Petitesse er­ scheinen lassen. Nur wird Walter Steinmann g dann nicht mehr im Amt sein.

Personenkontrolle

Levrat, Giezendanner, Müri, Schmid, Augsburger Hat die Weltwoche etwa einen Einfluss auf die SP, ihren Präsidenten Christian Levrat und die UBS? Tatsache ist: Vor drei Wochen fragten wir Levrat in einem Interview, wie er seine ­Kritik an der UBS-Leitung vorbringen wolle, für seinen angekündigten Besuch an der Gene­ ralversammlung brauche er schliesslich eine Aktie. Ein wenig verdattert gab Levrat damals zu, «kein einziges» UBS-Wertpapier zu besit­ zen. Am Montag hat er den Makel behoben und sich eine Aktie gekauft. Dank dem SP-Prä­ sidenten stieg das Vertrauen in die Bank so­ gleich rasant an. Bis am Abend legte der Kurs um beeindruckende 21,4 Prozent zu. (aku) Die Meldung von letzter Woche, wonach der Aargauer SVP-Nationalrat und Fuhrhalter ­Ulrich Giezendanner kurz vor dem Konkurs gestanden habe und kein Unternehmer, son­ dern Geschäftsführer sei, hat, wie der Betrof­ fene sagt, zu Telefonanrufen von Journalisten und der «ganzen Fraktion» sowie zu «zwei­ hundert E-Mails und Briefen» geführt. Gie­ zendanner legt Wert auf die Feststellung, dass er nicht kurz vor dem Konkurs gestanden sei. Er gebe zu, dass er eine «Betreibung gehabt» habe, aber in früheren Jahren. Er sei auch nie «illiquid» gewesen, habe aber nach dem Bau eines grossen Terminals «Probleme» mit der «angespannten Liquidität» gehabt, worauf er mit vier verschiedenen Partnern verhandelt und seine Firma schliesslich mit den Lager­ häusern Aarau «zusammengeschlossen» habe. Die «operative Leitung» liege jetzt bei Letzte­ ren. Wir bedauern die Ungenauigkeit. Ein­ deutiger ist die Lage bei Giezendanners beiden Parteikollegen Felix Müri und Otto Laubacher (beide LU): Ihre Konkursverfahren sind akten­ kundig. (gut) Anfang Jahr erschütterte der Streit um Bun­ desrat Samuel Schmid «tout Berne» und spal­ tete die noble Gesellschaft der Hauptstadt in zwei Lager: hier die Stadtschützen, dort die Bernburger. Alt ­Regierungsrat Ueli Augsburger (SVP), heute Präsident der Stadtschützen, hatte in einem Artikel in der Gratiszeitung Berner Bär den Magistraten (damals noch SVP) als «Verräter» bezeichnet. Worauf Franz von Graffenried, ­ Präsident der Bernburger und Vertreter der ­ Sämi-Lobby, ankündigte, den Stadtschützen den schönen Burgerratssaal zur Durchführung ihres traditionellen Gross­ anlasses, der Zibeliade, zu sperren. Durch­ gesetzt haben sich Augsburger und die Schmid-Gegner: Am Zibelemärit-Montag ver­ sammelte die Prominenz sich fast lückenlos – im Burgerratssaal. Nur Franz von Graffenried fehlte. (upe) 19



Somalia

«Es macht ‹klonk›» Von Urs Gehriger_ Die somalischen Piraten haben ihre Entertechnik Captain Kidd und den iranischen Revolutionswächtern abgeschaut. Ihr Geschäft floriert, die Frauen am Horn fliegen auf die ­Freibeuter.

Mit Enterhanken gegen Stahlfestungen: Piraten entern im September die «MV Faina».

«Wie Fussballteams»: Piraten auf der «Faina».

«Wie kamen die bloss da hoch?», ist der erste Gedanke, wenn man Bilder des Supertankers «Sirius Star» sieht, über dem seit zwei Wochen die Piratenflagge weht. Am frühen Morgen des 15. November hat eine Handvoll somalischer Seeräuber die schwimmende Stahlfestung geentert. Seither sind sie in aller Munde, die Somalia-Piraten, dünn wie Strichmännchen, bewehrt mit Gewehr und Panzerfaust, die die grössten Frachter der Welt terrorisieren. 38 Schiffe haben sie allein in diesem Jahr entführt, 15 Kähne und 270 Crewleute sind bis heute in ihrer Gewalt. Und wöchentlich kommen neue dazu. Gefilmt hat sie niemand, und authentische Berichte über die kühne Enteraktion auf die «Sirius Star» lagen bis Redaktionsschluss ­keine vor. Wie aus den Schilderungen ehemaliger Geiseln jedoch erkenntlich wird, verläuft das Vorgehen der somalischen Piraten jeweils nach ähnlichem Muster. Es erinnert an die Taktik der iranischen Revolutionswächter der achtziger Jahre, die während des Golfkriegs Tankern und Containerschiffen mit Rennbooten auflauerten, die Schiffsgiganten stürmten oder mit schultergestützten Raketenwerfern und Maschinengewehren beschossen. Auch die Somalia-Piraten im Golf von Aden benutzen Glasfiber-Rennboote, die bis zu 30 Knoten schnell übers Wasser fräsen und dennoch

Kapitän Kidd. Der erste Schritt erfolgt mit einem Instrument, das schlicht geschmiedet und nach innen gebogen ist: dem Enter­haken. Der Klassiker aus Eisen, den im 17. Jahrhundert bereits die Freibeuter der englischen ­Krone auswarfen, verfängt sich in der Reling mit einem metallischen Geräusch. «Es macht ‹klonk›», beschreibt der Nigerianer Sammy Mwedekeli, ein Crewmitglied eines angegriffenen Flüssiggastankers, den Vorgang gegenüber dem Spiegel, «und schon klettern die Piraten über ein Tau nach oben, die Füsse von der Bordwand abgestemmt». Nicht selten bekommt die Mannschaft von den ungebetenen Gästen gar nichts mit. Denn diese greifen meist nachts an. Kein Schiff ist vor den Seeräubern sicher, schon gar nicht in Dunkelheit. Containerschiffe von der Länge eines Fussballstadions oder noch grössere ­Supertanker sind sogar besonders empfindliche Ziele. Sie fahren mit höchstens fünfzehn Knoten, so langsam wie ein Fahrrad, und ihre Deckflächen sind bei Nacht nur schwer zu kontrollieren. Zwischen der Wasseroberfläche und dem Schanzkleid eines mit Containern vollbeladenen Frachters liegen nur gut vier Meter – kein Problem für die geschmeidigen Piraten. Bis zu zehn Meter hohe Wände können sie mittels Tauen, Strick- oder Bambus­ leitern überwinden.

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kaum zu hören sind. Die Auspuffrohre der hochgezüchteten Aussenbordmotoren werden unterhalb der Wasseroberfläche angebracht und erzeugen nur ein dumpfes Blubbern. Normalerweise attackieren die Seeräuber bis maximal 200 Seemeilen vor der Küste und gehen auf kleine Beute. Aber im Fall der unter ­liberianischer Flagge laufenden «Sirius Star» mit 2 Millionen Barrel Öl an Bord im Wert von 80 Millionen Euro haben die Piraten die ­Dimensionen der modernen Seeräuberei gesprengt. 850 Kilometer weit draussen im Meer haben sie zugeschlagen. «Die Welt hat so etwas noch nie gesehen», kommentierte Andrew Mwangura vom Verband ostafrikanischer Seeleute. «Die somalischen Piraten haben den Jackpot geknackt.»

Die ungebetenen Gäste kommen nachts Seit längerem ist bekannt, dass nicht alle Seeräuber von der Küste, sondern von Mutterschiffen aus operieren, einer Art schwimmenden Basislager auf hoher See. Von da aus sind wohl auch die Entführer der «Sirius Star» gestartet. Die Angriffe erfolgen in der Regel von hinten. Achteraus kann von der Brücke am wenigsten bewacht werden. Haben sie einmal ans Schiff angedockt, unterscheidet sich ihre Technik kaum von derjenigen des legendären

Weltwoche Nr. 48.08

Bilder: US Navy (AFP), Jason Zalasky (US Navy, Reuters)


Sind die Steighilfen einmal verankert, klettern zwei bis vier Piraten hoch, die Kalaschnikow umgeschlungen. An Deck schleichen sie auf die Brücke oder zur Kapitänskabine, überwältigen die diensthabende Person und schalten den Funk aus. Mit Gegenwehr der Mannschaft müssen die Piraten selten rechnen. Auf den meisten Schiffen sind Waffen verboten. Das Letzte, was die Reedereien wollen, ist eine Schiesserei, die womöglich noch in einem Blutbad endet. Das wäre schlecht fürs Geschäft, denn es würde die lebenswichtigen Versicherungsraten in exorbitante Höhen treiben. Stattdessen lassen sie ihre Mannschaften instruieren, wie sie Angriffen vorbeugen können. Die Abwehrmassnahmen erinnern an den Hollywood-Knüller «Kevin – allein zu Haus»: ohrenbetäubende Sirenen, die Piraten in den Wahnsinn treiben sollen. Böllerschüsse, die wie Kanonendonner klingen. Stacheldrahtverhaue entlang der Reling. Oder Schmierseife an den Aussenwänden, damit die Seeräuber beim Einstieg ausrutschen. Kleinere Schiffe versuchen bisweilen, der Gefahr mit erhöhter Geschwindigkeit zu entrinnen. Doch auch diese Abwehr wissen die Piraten zu unter­ wandern: Sie verbinden zwei Boote durch ein Tau, bringen sie vor dem Schiff in Position und lassen den Bug des Opfers ins Tau fahren. Die Fangleine schleppt die beiden Piratenschiffchen mit und drückt sie längsseits an den

Rumpf des Schiffes, von wo die Angreifer an Bord klettern. Piraterei wird seit Jahren aus zahlreichen Weltgegenden gemeldet. Besonders in der Strasse von Malakka und vor Singapur gehen die Seeräuber oft skrupellos zu Werke und morden kaltblütig, was ihnen in den Weg gerät. Über solch brutale Behandlung berichten

Schiffsfirmen haben dieses Jahr mehr als dreissig Millionen Dollar Lösegeld bezahlt. Ex-Geiseln der somalischen Piraten selten. Von den rund 270 Verschleppten wurden bloss drei umgebracht, bei allen habe es sich um Unfälle gehandelt, berichtet die London Times. Die Seeräuber würden oft das Essen mit ihren Gefangenen teilen. Am Piratenhafen angekommen, würden die Geiseln während der Lösegeldverhandlungen in Hütten verteilt. Einige der Banden hätten sogar spezielle Küchen eingerichtet, wo westliches Essen gekocht werde. Immer wieder geben die Piraten an, Hunger und der Bürgerkrieg in Somalia zwinge sie zu Entführungen und Lösegeldforderungen. Doch die Seeräuberei ist längst zu einem hochlukrativen Industriezweig geworden. Die soma­lischen Piraten gebärden sich wie perfekte Geschäftsleute, und ihre Strategie zahlt

sich aus. Gemäss Chatham House, einem Think-Tank in London, haben Schiffsfirmen dieses Jahr mehr als dreissig Millionen Dollar Lösegeld bezahlt. Die Piratennester entlang der somalischen Küste hätten sich in kleine boom towns verwandelt, erzählen Ex-Geiseln. Sie berichten von neuen, schweren Geländewagen, in denen sich die Seeräuber bewegen, von Arbeitsteilung innerhalb der Banden, von Hightech-Experten, die im Internet ständig nach neuer, leichter Beute surfen. «Piraten sind die besten Kunden, die ich ­habe», zitiert das Magazin Wired den Besitzer einer Männerboutique in Garowe, einer Stadt im Landesinneren. «Sie kaufen die teuersten Hemden, Hosen und Uhren und mögen nicht einmal feilschen.» Das ziehe die Frauen an. «Girls fliegen auf Seeräuber», sagt der Boutiquebesitzer, «dem Geruch von teurem Parfüm und Dollarnoten kann keine widerstehen.» Ein politisches Motiv für ihre Taten ist nicht auszumachen. Geld, Abenteuerlust und Pres­ tige scheint die Küsten-Somalier immer wieder gegen die Seegiganten zu treiben. «Wir sind wie Fussballteams», erzählte ein Pirat in einem Interview mit der New York Times. «Wir kommen zusammen wie Chelsea oder Arsenal, jeder hat einen Job zu tun, und jedes Team will das beste sein.» 12 Fragen an den Piraten Sugule Ali: Seite 26

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Deutschland

Einbäume aus Ozeanien Von Andreas Krause Landt _ Das im Weltkrieg bombardierte und weggesprengte Berliner Stadtschloss soll wiedererrichtet werden. Um den Neubau dreht sich eine deutsche Identitätsdebatte.

Symbolische Wundheilung: das Berliner Schloss. Fünfhundert Jahre lang herrschten die Hohenzollern in und über Brandenburg, Preussen und Deutschland, als Markgrafen, Kurfürsten, Könige und zuletzt auch als Kaiser. Ebenso lang bauten sie an ihrer wichtigsten Residenz, dem Berliner Schloss. Im Zweiten Weltkrieg beschädigt, aber nicht zerstört und danach in der Hauptstadt der DDR gelegen, wurde der bedeutendste profane Barockbau nördlich der Alpen 1950 als Symbol des preussischen Absolutismus gesprengt. Verschwunden ist inzwischen auch der Nachfolgebau, der Volkskammersitz und Spasstempel Palast der Republik. 2002 hat der Deutsche Bundestag den Beschluss gefasst, ein Gebäude in der Kubatur des Schlosses mit drei barocken Aussenfassaden sowie dem Schlüterhof wiederzuerrichten. Am 28. November werden die Ergebnisse des Architektenwettbewerbs bekannt, ab 2010 wird gebaut. Die Simulation der Schlossfassaden hatte das Schloss 1993/94 wieder populär gemacht. Nach dem harten Bruch von 1945 lässt dies eine allmähliche Besinnung der Deutschen auf sich selbst erkennen. Obwohl seit einigen Jahren die Bemühungen um bauliche Rekonstruk­ tionen insgesamt zunehmen, reagieren aber viele sehr empfindlich auf das Berliner Schloss. Die öffentlich dominierenden Anhänger der zeitgenössischen Architektur bekämpfen es, 22

als fürchteten sie, dass in Deutschland ab jetzt nie wieder modern gebaut werden dürfte oder als stünde die Wiedereinführung der Monarchie bevor.

Welches Vorkriegsdeutschland? Dabei hat das Berliner Schloss meist nur nebenbei als fürstlicher Wohnsitz gedient. Es war vor allem Keimzelle des modernen Staates, und insofern ist das Bauvorhaben ein Zeichen für die innere Konsolidierung Deutschlands, das 1990 seine staatliche Souveränität wiedergewann. Die positive Besinnung auf die eigene Herkunft steht aber bei Medienintellektuellen und ängstlichen Politikern immer noch unter einem Grundverdacht. Das «Nie wieder Deutschland» der überschiessenden Vergangenheitsbewältigung wurde, wenn auch abgeschwächt, zum Common Sense einer paradoxen Nachkriegs­ identität: Es gehört zum guten Ton, sich nicht zu sich selbst zu bekennen. Der Schlosswiederaufbau ist dagegen der Versuch, die Brüche und Wunden, die Deutschland und seine Hauptstadt im 20. Jahrhundert erlitten haben, symbolisch zu heilen und sich an eine neue, vorsichtig sich selbst bejahende Identität heranzutasten. Dass Berlin 1991 wieder Hauptstadt wurde, gehört zu diesem Vorgang. Mit dem Schloss soll letztlich die Frage beantwortet werden, welches Vorkriegs-

deutschland in Zukunft gebraucht und gepflegt wird. Deshalb ist es auch so umstritten. Auf den vormaligen Präsidenten der Stiftung Preussischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, geht die Kompromissformel vom Humboldt-Forum zurück, die dem Schloss den politischen Durchbruch brachte, es aber auch mit einer sehr problematischen Nutzungsidee belastete. Als Museum für die Kunst und Kultur Afrikas, Asiens, Nord- und Südamerikas, bestückt aus den Sammlungen der Staatlichen Museen und der HumboldtUniversität, soll es ein Gegengewicht zur europäischen Kunstgeschichte bilden, die auf der nahen Museumsinsel zu sehen ist. Solche Ideen gefallen jenen Deutschen, die alles suchen und lieben ausser sich selbst. Wo sich fünfhundert Jahre europäischer Bau- und Kunstgeschichte konzentrierten, wünschen sie sich Einbäume aus Ozeanien. Aber ein Schloss, das nur aus Fassaden bestünde, das auf die vorhandenen Möbel und Kunstwerke, auf die Rückführung des berühmten Silberbuffets in den Rittersaal, das auf die schlüterschen Verbindungen zwischen aussen und innen gänzlich verzichtete, auf Eingänge, Treppenhäuser und Raumfolgen, ein solches Schloss wäre eine Absurdität. Ein Bau, der im Innern nichts mit den historischen Funktionen und Inhalten des Hauses zu tun hätte, wäre ein echter Schildbürgerstreich. Weil die von weit her geholte Nutzungsidee der geistigen Rückbesinnung so gänzlich unverdächtig war, machte sie die rein städtebauliche Rückbesinnung im Handumdrehen möglich. Die viel näherliegende Möglichkeit etwa, das Schloss wenigstens teilweise auch innen zu rekonstruieren und zum Sitz des Bundespräsidenten zu machen, wurde, wie jeder andere inhaltliche Bezug auf das Eigene, seltsamerweise nicht einmal diskutiert. Unter Berufung auf das Nutzungskonzept wird gelegentlich sogar von Mitgliedern der Jury lieber die historische Fassade und damit der letzte Rest der Wiederaufbauidee täglich neu in Frage gestellt. Lehmanns Nachfolger Hermann Parzinger hat sich derweil davon überzeugt, dass die Fassade auch ein minimales historisches Innenleben braucht. Braunschweig, wo man einem modernen Kaufhaus unter dem Namen «Schloss» ein paar alte Steine vorgesetzt hat, gilt mit Recht als abschreckendes Beispiel. Daher der unentschiedene Stand der Debatte vor Bekanntgabe des Wettbewerbsergebnisses: Die Nutzungsidee drängt von innen nach aussen, die Rekonstruktionsidee von aussen nach innen. Die Diskussion wird auch nach der Entscheidung der Jury unter Vorsitz des in Zürich Städtebau lehrenden Professors Vittorio Magnago Lampugnani weitergehen. Andreas Krause Landt ist Buchverleger (www.landtverlag.de) und Journalist. Weltwoche Nr. 48.08

Bild: SZ Photo (SV-Bilderdienst)


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Gemeinsames Durchhalten in Krisen.

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n einer früheren Kolumne habe ich darauf hingewiesen, dass Alleinerziehende nicht einfach als eine vom Schicksal getroffene Risi­ kogruppe für die Verarmung gesehen werden dürfen. Diese Aussage hat einiges Kopfschüt­ teln ausgelöst, weil doch klar feststeht, dass Geschiedene und/oder Alleinerziehende, vor allem Frauen, armutsgefährdet sind. Doch ­anders als bei einem Geburtsgebrechen oder einem Unfall haben sich geschiedene oder ­alleinerziehende Frauen bewusst dafür ent­ schieden. Damit die Leserinnen nun dem Ko­ lumnisten nicht Zynismus oder Schlimmeres an den Kopf werfen, sei deutlich gesagt, dass es sich hierbei sehr häufig um schmerzliche oder tragische Entscheidungen handelt. Aber solche müssen auch Ärzte fällen, die nur eine lebensrettende Spenderniere für drei todgeweihte Patienten zur Verfügung haben. Oder denken wir an jene Bahnverantwort­ lichen, die den ungebremst talwärts rasenden Werkzug absichtlich in eine Baustelle leiteten und damit bewusst drei Menschenleben opfer­ ten – um ein wahrscheinlich viel grösseres ­Unglück zu vermeiden. Ob eine Ehe weiter­ geführt werden soll oder nicht, ist in der Tat in vielen Fällen eine qualvolle Entscheidung zwi­ schen zwei Übeln: Weiterleben mit einem Part­ ner, der trinkt, spielt oder einfach gleichgültig geworden ist, in der Hoffnung, dass sich die Weltwoche Nr. 48.08

Bild: KPA (Keystone)

Lage bessert. Oder den Bruch offen vollziehen und sich ganz allein den Herausforderungen des Erwerbslebens und der Kindererziehung aussetzen.

Sklavenähnliche Abhängigkeit Doch weshalb können wir das nicht einfach den Betroffenen überlassen? Weshalb brau­ chen wir rechtliche Hürden für die Auflösung eines Ehevertrags? Ganz einfach deshalb, weil Vertragsbrüche dem Vertragspartner Schaden zufügen können, da er im Hinblick auf die Vertragserfüllung Investitionen gemacht oder Pflichten auf sich genommen hat. Ein Arbeits­ vertrag kann höchstens auf zehn Jahre abge­ schlossen werden, weil der Arbeitnehmer in eine sklavenähnliche Abhängigkeit geriete, wenn er sich auf Lebenszeit verpflichtet hätte. Demgegenüber soll jedoch der Ehevertrag gel­ ten, «bis der Tod euch scheidet». Warum ist das nicht unsittlich, im Gegenteil, vom Gesetz ge­ schützt? Der banale Grund ist, dass wir als Ge­ sellschaft ein hohes Interesse an «intakten Fa­ milien» haben. Ein weniger offensichtlicher Grund ist das Verhindern von «opportunisti­ schem Verhalten» des einen zum Schaden des anderen Ehepartners. Da sich die Umstände im Laufe der Zeit bekanntlich verändern, set­ zen sich die Ehevertragspartner erheblichen Risiken aus, wenn der eine plötzlich den Ver­

trag bricht, ohne auf die negativen Folgen für den andern zu achten. In der Literatur bekannt ist insbesondere der Effekt des «grüneren Grases». Dies betrifft vor allem wohlhabende, erfolgreiche Männer, die ihre älter gewordenen Gattinnen loswerden möchten, weil sie ei­ ner schöneren Jüngeren begegnet sind. Die «alte Gattin» – oft eine Studienkollegin – hat im Interesse der Familie auf ihre Karriere ver­ zichtet und die Kinder grossgezogen. 25 Jahre später steht sie nicht mehr «im grünen Klee», sondern vor miserablen Berufs- und Heirats­ chancen. Diese unverschuldete Schlechterstel­ lung kann vom Richter kompensiert werden, indem er den Vertragsbrüchigen zum Scha­ denersatz verurteilt. Weil der Ehemann damit rechnen muss, wird er es sich vielleicht zwei­ mal überlegen, ob das «neue Gras» wirklich so grün ist. Die vielgelobte Liberalisierung des Schei­ dungsrechts hat dazu geführt, dass die Schuld­ frage und die Schadenersatzpflichten in den Hintergrund gerückt worden sind. Beide Part­ ner können sich einfach auf eine Trennung ­einigen. Das kann durchaus als gesellschaft­ licher Fortschritt angesehen werden: Die Ge­ meinschaft respektiert die Privatautonomie der Ehepartner. So weit, so gut, doch jetzt kommt der Haken. Die Scheidungskosten ­werden, wie der Ökonom sagt, zumindest teil­ weise «externalisiert», will heissen, auf die ­Gesellschaft beziehungsweise die Steuerzahler abgewälzt. Das getrennte Weiterleben wird teurer und die Einkommenserzielung schwie­ riger, was dazu führt, dass das Verarmungs­ risiko steigt. Geschiedene landen nicht nur häufiger im Konkurs, sondern eben auch häufiger bei der öffentlichen Fürsorge. Denken wir das Ganze konsequent zu Ende, so folgt daraus, dass das Wissen um dieses soziale Auffangnetz die pri­ vaten Trennungskosten kleiner werden lässt. Der Schaden wird nicht mehr vom «Schuldi­ gen» übernommen, sondern von der Gesell­ schaft. Der Anreiz zum gemeinsamen Durch­ halten in Krisen, die in jeder Ehe auftreten, wird geschwächt. Es entsteht ein «moralisches Risiko», aus der Ehe auszubrechen, was man ohne die Versicherung durch die Sozialhilfe nicht getan hätte. Was folgt daraus? Eine erste Empfehlung geht in die Richtung, diese falschen ökonomischen Anreize im Eherecht und in der Sozialfürsorge zu korrigieren. Eine zweite zielt auf vorbeugende Beratungsan­ gebote zur Konfliktlösung, statt nachträglich die fahrlässig oder berechnend alleinerziehend Gewordenen finanziell und persönlich zu un­ terstützen. Prävention ist besser als Heilungs­ versuche, die erst noch perverse Anreize für Fehlverhalten setzen.

Silvio Borner ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Basel.

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16 Fragen an

Sugule Ali Seit Jahren machen somalische Piraten den Golf von Aden unsicher. Der Sprecher der Seeräuber erklärt, was man mit dem ukrainischen Frachter «Faina» vorhat, der russische Waffen geladen hat.

«Zwanzig Millionen Dollar, in cash»: «Küstenbewacher» Ali. Habt ihr den Angriff auf den ukrainischen Panzerfrachter «Faina» von langer Hand geplant? Nein. Wir sahen ein grosses Schiff und haben es gestoppt. Wie habt ihr die Waffen an Bord entdeckt? Sobald wir ein Schiff geentert haben, füh­ ren wir jeweils einen Kontrollgang durch. Wir durchsuchen alles. So haben wir die Waffen gefunden. Panzer, Flugabwehr­ kanonen, Artillerie. Waren Sie überrascht? Nein. Wir wissen mittlerweile, dass alles Mögliche übers Meer transportiert wird. Wir sehen Leute, die Abfall im Wasser ver­ senken. Wir beobachten Seemänner, die ­illegal in unseren Gewässern fischen. Uns entgeht nichts. Werden Sie die Waffen an Rebellen ver­ kaufen? 26

Nein. Wir wollen nicht, dass diese jemandem in Somalia in die Hände fallen. Somalia leidet seit Jahren an Zerstörung durch solchen Krieg. Wir wollen, dass das Leiden und das Chaos ein Ende haben. Wir werden die Waffen nicht ent­ laden. Wir wollen bloss das Geld. Wie viel? Zwanzig Millionen Dollar, in cash. Wir kön­ nen nichts anderes als Bargeld gebrauchen. Werden Sie verhandeln? Der gesunde Menschenverstand sagt, dass man über alles verhandeln kann. Die US-Navy hat das gekaperte Schiff um­ kreist. Haben Sie Angst? Nein, wir fürchten uns nicht. Wir sind auf alles vorbereitet. Wir kennen keine Angst, denn wir wissen, dass man nur einmal stirbt. Werden Sie den Geiseln ein Leid antun, wenn man Sie angreift?

Töten steht nicht auf unserem Plan. Wir wol­ len nichts anderes als Schiffe entführen und Lösegeld kassieren. Was werdet ihr mit dem Geld machen? Wir werden uns vor Hunger schützen. Ist das nicht etwas viel Geld, um sich vor Hunger zu schützen? Ja, aber wir haben viele Männer, und wir werden es unter alle verteilen. Sie haben insgesamt zwanzig Crewmit­ glieder in Ihrer Gewalt, darunter befindet sich sogar ein vierzehnjähriger Junge. Wie geht ihr mit den Geiseln um? Esst ihr mit ihnen? Spielt ihr Karten? Wir verkehren mit ihnen in würdevoller Ma­ nier. Wir sind alles Menschen. Wir sprechen mit ihnen, und weil wir uns am selben Ort aufhalten, essen wir auch mit ihnen. Wenn man Ihnen freies Geleit zusichern würde, allerdings ohne Lösegeld, würden Sie das Angebot annehmen? (Lacht) Wir fürchten uns weder vor Verhaf­ tung noch vor dem Tod oder solchen Din­ gen. Unser Feind ist der Hunger. Warum wollten Sie Pirat werden? Wir sind keine Seebanditen [das Wort «Pi­ rat» wird im Somalischen als «Seebandit» übersetzt, Anm. Red.]. Seebanditen sind die­ jenigen, die illegal in unserem Meer fischen oder Abfall ins Wasser werfen und Waffen durch unser Revier führen. Wir betrachten uns als Küstenwache. Wir patrouillieren durch unsere ­Gewässer. Das machen schliess­ lich alle Leute in ihrer Region. Ist es nicht ein Verbrechen, Leute mit einer Waffe zu entführen? Wenn man Unschuldige entführt, ist das ein Verbrechen. Aber Leute zu entführen, die ­illegale Aktivitäten ausüben, wie Abfall ab­ werfen und fischen, das ist kein Verbre­ chen. Welches Verbrechen hat denn das ukrai­ nische Schiff verschuldet? Es hat unser Revier durchkreuzt, mit all den Waffen an Bord, ohne eine Bewilligung einzuholen. Wie ist der Name Ihrer Gruppe? Wir heissen Central Region Coast Guard.

Sugule Ali war als Junge Ziegenhirte, lernte auf dem kleinen Boot des Vaters das Fischen und gilt heute als erfolgreichster Pirat der Region Puntland. Der ukrainische Frachter «Faina» mit 33 russischen Panzern an Bord wurde am 25. September 2008 auf dem Weg nach Kenia von rund 50 Piraten aufgebracht. Er wurde nach Harardhere entführt, einem Piratennest an der somalischen Küste, wo er mit anderen gekidnappten Schiffen noch heute vor Anker liegt. Die Lösegeldverhandlungen laufen noch. Nach ihrer Entführung war die «Faina» von US-Kriegsschiffen umzingelt worden, die das Entladen der Waffen verhindern sollten. Das Interview wurde am 29. September via Satelliten­ telefon geführt. Unterdessen ist der Kapitän der «Faina» an einem Herzinfarkt gestorben. Die Fragen stellte Jeffrey Gettleman, New York Times. Aus dem Englischen von Urs Gehriger Weltwoche Nr. 48.08 Bild: Ali Musa (AFP)


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Mörgeli

Bodenmann

Switzerland’s Next Bundesrat

Der bonibefreite Eidgenoss

Von Christoph Mörgeli

Von Peter Bodenmann _ Die Schweiz müsste den Finanzsektor umbauen und mithelfen, die Steueroasen der Welt zu versenken.

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usic Star»; «Bauer, ledig, sucht»; «Schweizer Hits»; «Das Supertalent»; «Switzerland’s Next Topmodel» – was auf dem Boulevard für Schlagzeilen, bunte Bilder und Quoten sorgt, hat jetzt auch die Politik er­ reicht. Die Castings laufen auf Hochtouren. Be­ werben kann sich jeder. Die Schweiz sucht ihren nächsten Bundesrat. Am 10. Dezember steht das grosse Finale an. Alles ist möglich. Blut, Schweiss, Tränen. Nur die Gallenblase. Die ist weg. Was uns all diese Shows gezeigt haben: Man muss weder besonders gut singen können, um Music-Star zu werden, noch talentiert sein, um als Supertalent zu gelten. Schliesslich will sich das Publikum am Scheitern der Eitlen ergöt­ zen. Oder sich erfreuen an der Verwandlung des hässlichen Entleins zum nicht mehr ganz so hässlichen Entlein. Der Erfolg dieser For­ mate besteht vor allem im Menschen-wie-duund-ich-Faktor: Wenn es der schafft, könnte ich es auch schaffen. Dazu müsste man aller­ dings vom Sofa aufstehen. Und hier liegt der zweite Erfolgsfaktor des ganzen Casting-Brim­ boriums: Gemeinsam im Irrglauben zu schwel­ gen, dass sich eine Karriere fast wie im Traum und über Nacht ergibt – ohne zuvor besondere Leistungen erbringen zu müssen. Der Reiz von «Music Star» besteht darin, dass keiner weiss, wer am Ende gewinnen wird. Der Weg ist die Show. Insofern schwächelt das ak­ tuelle Format «Switzerland’s Next Bundes­ rat». Denn ein Teil der Jury (CVP, SP, Grüne) hat bereits vor dem 10. Dezember festgelegt, dass ein Mann «unwählbar» sei: Christoph Blocher. Warum eigentlich? Oder anders ge­ sagt: Was macht einen Bundesratskandidaten denn «wählbar»? Gibt es ein Stellenprofil? Einen Fähigkeitskatalog? Präzise Kriterien? Welches Leistungsprofil ist gefordert, um Ein­ sitz in die Regierung nehmen zu dürfen? Es erstaunt schon, dass die Frage, was ein Bundesrat können muss, kaum einmal auf­ taucht. Am Ende steht einfach ein Nachfolger fest. Im Vergleich dazu wirkt Roulette gerade­ zu seriös. Für einen grossen Teil der Bundes­ versammlung geht es eh nur noch darum, der SVP den maximal möglichen Schaden zuzufü­ gen. 1999 liess man deswegen den Kandidaten Blocher auflaufen. 2003 wählte man Blocher in den Bundesrat, um die Partei zu schwächen. 2007 wählte man ihn deswegen wieder ab. Da wünscht man sich plötzlich mehr Dieter Boh­ len in die Politik: unanständig, aber ehrlich. Der Autor ist Historiker und SVP-Nationalrat.

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Produktiver Finanzsektor: Globale Wechselstube im Iran.

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ie bedingungslose staatliche Übernahme von bankeigenen Schrott- und Gammel­ fleischkrediten führt in die Sackgasse. Selbst US-Finanzminister Paulson hat dies eingese­ hen. Einzige erkenntnisresistente Ausnahme bleibt die Schweizerische Nationalbank. Seit ihrer Gründung sitzen im Direktorium der Nationalbank nur Bürgerliche. Deren Par­ teien hängen finanziell an den Nadeln der bei­ den Grossbanken. So wären CVP und FDP ohne Taschengeld aus Portokassen von UBS und Cre­ dit Suisse längst bankrott. Inzucht schadet. Mit 68 Kriegsrechts-Milliarden – die Zahl 68 hat es offenbar in sich – greift die Schweiz der UBS unter die Arme. Keine Bank auf der ganzen Welt wird mit mehr Staatsknete unter­ stützt. Der Erfolg der Aktion spricht für sich: Der Wert der UBS hat sich seit der Rettungs­ aktion noch einmal halbiert. Spätestens im Januar 2009 wird die Natio­ nalbank eine weitere UBS-Rettungsaktion star­ ten. Wieder werden die Herren Roth, Hilde­ brand und Jordan zur Eile mahnen. Wieder werden Bundesrat und Finanzdelegation der eidgenössischen Räte weitere Milliarden in Nacht-und-Nebel-Aktionen absegnen. Am Ende aller Rettungsübungen wird der Staat die Grossbanken weitgehend überneh­ men müssen. So wie dies Kurt Schiltknecht in der letzten Weltwoche gefordert hat. Der Finanzsektor wird in dieser Krise brutal produktiver. In Zukunft werden weniger Men­

schen in den Büros der Banken arbeiten. Und pro Kopf weniger verdienen. Die damit ver­ bundenen Kosten für die Unternehmen und Haushalte werden sinken. Das ist eine mehr als gute Nachricht, wenn die reale Wirtschaft Wachstum, Beschäftigung und steigende Real­ einkommen schafft. So hat der ökologische Umbau des Kapitalis­ mus für zwei bis drei Jahrzehnte das Potenzial, einen neuen und halbwegs profitablen Zyklus der Kapitalakkumulation einzuläuten. Wind­ getriebener Solarkapitalismus anstelle des ­finanzgetriebenen Neoliberalismus. Peter Kurer darf aus Angst vor dem Knast nicht mehr in die USA fliegen. Derweil kna­ cken die Amerikaner lautlos Bundesrat Merz und sein Bankgeheimnis. Die Deutschen wer­ den nicht auf sich warten lassen. Die Schweiz müsste – wenn wir politisch noch die Hälfte ­aller Tassen im Schrank hätten – aktiv die Steuer­oasen dieser Welt mitversenken. Neu würden in Zürich und Genf grund­ solide, da bonibefreite Schweizer Bankbeamte die Gelder der Reichen dieser Welt verwalten. Und was diese Geizknäpper nach dem welt­ weiten Austrocknen der Steueroasen neu dem Fiskus abliefern müssten, hätten sie zuvor bereits an Verwaltungskosten eingespart. Noch ist die Krise zu wenig tief. Der Autor ist Hotelier in Brig und ehemaliger Prä­sident der SP Schweiz. Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Guido Van Damme (Document Iran, Dukas)


Medien

Fernsehkritik der reinen Vernunft

Bodoni und Benton

Same procedure as every year

Von Kurt W. Zimmermann _ Zeitungen sind wie Autos. Wer dauernd neue Modelle präsentiert, hat schon verloren.

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eute wollen wir zuerst dem Verleger Matthias Hagemann kräftig auf die Schulter hauen. Seine Basler Zeitung hat soeben den ­ European Newspaper Award gewonnen. Sie wurde zur schönsten Regionalzeitung Europas gewählt. Noch nie hat ein Schweizer Titel eine vergleichbare Auszeichnung bekommen. Noch vor vier Jahren war die Basler Zeitung in ihrer bleigrauen Tristesse eines der fadesten Blätter weitherum. Dann gab sie sich ein neues Layout. Seitdem kommt sie als dichtes und kompaktes Informationspaket daher, das mit vielen optischen Elementen angereichert ist. Der Leser soll den schnellen Eindruck gewinnen, das Blatt sei randvoll mit Seh- und Lesestoff. Damit liegt die BaZ im internationalen Trend. Zeitungen müssen sich deutlich von der Konkurrenz von Internet und Gratisblättern unterscheiden, wenn sie überleben wollen. Sie müssen ihre hohe Wertigkeit unterstreichen, indem sie sich äusserlich als geballte Ladung an Wortund Bildinformation darstellen und auf modischen Firlefanz verzichten. Die sogenannte Anmutung ist einer der wichtigsten strategischen Entscheide im Mediengeschäft. Das Layout muss die Positionierung eines Blattes klarmachen, bevor auch nur ein Artikel gelesen ist. Ein gutes Beispiel dafür ist der gezielt provinzielle Auftritt der Aargauer Zeitung – strategisch genau das Richtige für diesen Kanton. Ein schlechtes Beispiel ist die Berner Zeitung, die sich in der Bundesstadt im Mantel lustloser Beliebigkeit präsentiert. Neben der Basler Zeitung wurden in den letzten Jahren zwei weitere Schweizer Titel beim European Newspaper Award prämiert, allerdings in Unterkategorien. Das St. Galler Tagblatt und die NZZ am Sonntag sahen sich mehrmals für ihre klaren und kompakten Auftritte gerühmt. Beide Titel spiegeln ebenso den Trend der Gegenwart, dass eine Zeitung wie eine Zeitung auszusehen hat. Nur wenige gehen noch in die andere Richtung. Die Sonntagszeitung, die seit dieser Woche mit einem neuen Layout daherkommt, hat das soeben getan und sich vom Zeitungsstil wegund mit viel Farbeinsatz und Weissraum in Richtung Zeitschriftendesign bewegt. Das ist eher ungewöhnlich, kann aber strategisch Sinn machen. Man überlässt der NZZ am Sonntag vermehrt das gehobene Lesersegment und versucht sich dafür stärker im Mittelmarkt zu positionieren. Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Alessandro Della Bella (Keystone)

Von Gion Mathias Cavelty

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Europäische Auszeichnung: Verleger Hagemann. Weil die Entscheide zum äusseren Auftritt so wichtig sind, sind sie in den Verlagshäusern, wie in der Autoindustrie, in der Hierarchie hoch oben angesiedelt. Meistens entscheidet der Verwaltungsrat definitiv über Umbruch und Typografie. Falsche Entscheide können üble Folgen haben. Der seinerzeitige Niedergang der Weltwoche in den neunziger Jahren, das Abserbeln des Nachrichtenmagazins Facts und der Fehlstart des Gratisblatts .ch hatten auch mit ungeschickten Layout-Entscheiden zu tun. Allesamt waren sie für ihre Zielgruppe zu bieder und brav. Kriselnde Zeitungen erkennt man daran, dass sie andauernd ihr Äusseres ändern. So versuchte der Blick in den letzten Jahren, mit einer ganzen Reihe von Tenüwechseln den galoppierenden Leserverlust zu stoppen. Es war vergebens. Selbstbewusste Zeitungen hingegen erkennt man daran, dass sie sich nur selten neu einkleiden. Als etwa die NZZ im Jahr 2006 eines der wenigen Faceliftings in ihrer Geschichte vornahm, erklärte sie die Neuerungen detailliert ihren Lesern. Es gebe neuerdings nun ein paar bunte Bilder im Blatt, es gebe ein paar farbige Grafiken und Karten, die Titelschrift sei eine Bodoni, die Grundschrift eine Times Ten, die Tabellen seien in Benton gehalten. Es war gut, dass die NZZ ihren Lesern das Facelifting so detailliert erklärte. Sonst hätten die nichts gemerkt.

er 21. November ist ein ganz spezielles Datum: Die Menschheit begeht dann den Welttag des Fernsehens. Für dieses Jahr hatte ich mir etwas besonders Romantisches ausgedacht: ein Schlittenfährtchen hinauf zum «Dolder Grand», denn es waren 40 Zentimeter Schnee angekündigt. Gespannt wartete ich auf das Eintreffen des gebuchten Zweispänners, aber er kam nicht, es lag auch noch kein Schnee auf den Strassen. Meine gehobene Laune wollte ich mir dadurch aber nicht verderben lassen und orderte schliesslich ein Taxi, das meinen TV-Apparat und mich zuverlässig zum gewünschten Ziel brachte. Im «Dolder» hatte ich eine dem Anlass angemessene Suite reservieren lassen. Eine Weile blickte ich zum Fenster hinaus auf das hellerleuchtete Zürich, dann bestellte ich mir ein Kalbsmilken-Kefen-Sandwich aufs Zimmer, das ich nach seiner Lieferung auch sogleich verspeiste. Hernach machte ich mich im Bad etwas frisch. Beschwingt ging ich alsdann ins Schlafzimmer, wo ich die Flimmerkiste in verführerischer Pose aufs Bett gelegt hatte. «Du siehst umwerfend aus, Darling», flüsterte ich ihr zärtlich zu und begann, ihr Rückpanel zu tätscheln. «Liegst du bequem? Mir ist ganz heiss . . .  Lass mich schnell meinen Pullover und meine Hose ausziehen . . . so . . . und jetzt . . . ups, 21 Uhr 15! ‹Tag und Nacht› fängt an! Die Serie muss ich unbedingt noch verreissen, bevor sie abgesetzt wird. Die Drehbücher sind einzigartig peinlich. Das letzte Mal zum Beispiel, die Szene, in der dieser ganz liebe Aidskranke mit ganz grossen Augen und ganz trauriger Stimme gesagt hat: ‹Sit ich positiv bin, wott niemert meh öppis mit mer z tue ha. Ich gang jetz hei, und am beschte bliib i grad det›, und dann hat er noch einmal ganz fest gehustet und ist mit ganz hängenden Schultern abgezottelt. Und dabei hatte er dem schwulen dicken deutschen Pfleger noch Blüemli geschenkt! Und wie der gemeine Kardiologe immer das arme Negerli schikaniert, das in der Permanence als Putzfrau arbeitet – ach, ich habe schon wieder Tränen in den Augen vor Lachen! Magst du auch kucken?» Und so sahen sich mein TV-Gerät und ich die neuste Folge von «Tag und Nacht» im Hotelzimmerfernseher an und hatten viel Spass. Danach gingen wir artig schlafen. (Wer’s glaubt . . . ;-)) Nächster Welttag des Fernsehens: 21. November 2009. Übernächster Welttag des Fernsehens: 21. November 2010

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Leserbriefe «Ein Zweierticket der SVP wäre eine Alibiübung und ein Kniefall.»

Hans-Christian Müller

Aus heutiger Sicht, wo die Welt- und Finanz­ wirtschaft Kopf steht und das VBS gründlich reorganisiert werden muss, braucht es näm­ lich eine ausgewiesene Persönlichkeit mit Durchsetzungskraft in der obersten Führung des Landes. Eduard Würsten-Margadant, Stäfa Fragwürdige Transparenzstudie Nr. 45 – «Spenden ins Blaue»; Philipp Gut über Schweizer Hilfswerke

Bereit für das Amt: Bundesratskandidat Blocher. SVP riskiert Wählerabfall Nr. 47 – «Die letzte Schlacht», «Der siebte Mann»; Markus Somm und Urs Paul Engeler über die Kandidatur von Christoph Blocher Nicht die Starrköpfigkeit eines alten Mannes, sondern ihr Dilemma zwingt die SVP, Chris­ toph Blocher in einem Einerticket aufzustel­ len, um nicht ihre Glaubwürdigkeit zu verlie­ ren. Verzichtet sie darauf, riskiert sie den Ab­ fall der Wähler, die sie vor Jahresfrist gewon­ nen hat. Ein Zweierticket wäre eine reine Alibi­ übung und müsste, wie ein anderer Einervor­ schlag auch, als Kniefall vor Darbellay & Co. gesehen werden. Zu beheben haben das Pro­ blem die Mitteparteien, so sie dessen Tragwei­ te überhaupt erkennen können. Sie haben es ja auch geschaffen. Hans-Christian Müller, Zürich Vor einem Jahr hat das Parlament Christoph Blocher aus dem Bundesrat abgewählt. Dies obwohl sein Leistungsausweis unbestritten war. Kritisiert wurde jedoch sein Stil, seine Art zu kommunizieren. Offenbar hatte er mit sei­ ner Direktheit, soliden Sachkenntnis und Kompromisslosigkeit viele Leute beleidigt. Heute stellt sich Blocher erneut zur Wahl. Er weiss, dass er praktisch keine Chance hat, da er durch die gleichen Parlamentarier gewählt werden müsste, die ihn zuletzt abgewählt ha­ ben. Oder ist das Wahlgremium inzwischen vielleicht reifer geworden? Klar, die Schweiz wird auch ohne Blocher in der Landesregie­ rung nicht untergehen. Aber EU-Mitglied wäre sie schon lange. Walter John, Kirchdorf 30

Christoph Blocher weist bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass man ihn als den erfahrensten, besten und tüchtigsten Mann in jeder Situa­ tion bezeichnet. Wer allerdings am 19. Novem­ ber «Talk täglich» auf Tele Züri verfolgt hat, wo Blocher mit seinem MaschinengewehrMundwerk mit dem schlauen Fuchs Markus Gilli diskutierte, dem müssen Zweifel kom­ men, ob Blocher als Kandidat für den vierten Mann im Bundesrat der geeignetste ist. Er fiel Gilli immer wieder ins Wort mit den Worten: «Warten Sie jetzt!» Ich erwarte immer noch den Zweiervorschlag Blocher/Mörgeli, damit die Vereinigte Bundesversammlung in diesen schweren Rezessionszeiten etwas zu lachen hat. Hans Scholl, Zürich Als Parteiloser stelle ich fest: Dem Schweizer Volk sind die naiven Freudenausbrüche ei­ niger Gegner von Christoph Blocher nach des­ sen überraschender Abwahl und die Konster­ nation der Vereinigten Bundesversammlung noch in klarer Erinnerung. Neutral und sach­ lich betrachtet war es eine unwürdige und un­ verdiente Abwahl eines verdienten Parlamen­ tariers und fachlich bestens ausgewiesenen Magistraten. Real betrachtet war es eine emo­ tionsgeladene Entscheidung, die kaum als ehrliche Glanzleistung des Parlaments in die Geschichte der Eidgenossenschaft eingehen wird. Wenn die Bundesversammlung ernst ge­ nommen werden will, sollte ihr die Möglich­ keit gegeben werden, auf ihren damaligen Entscheid in aller Ruhe zurückzukommen.

Die Weltwoche stützt sich bei ihren unhaltbaren Vorwürfen gegenüber den grossen Schweizer Entwicklungsorganisationen vorbehaltlos auf einen unzulänglichen Bericht zweifelhafter Herkunft. Philipp Gut wirft den Hilfswerken mangelnde Transparenz und unzureichende Information der Öffentlichkeit über die Ver­ wendung der Spendengelder vor. Helvetas, aber auch alle anderen grossen Hilfswerk, in­ formieren ihre Mitglieder und Spender regel­ mässig über ihre Tätigkeit mit einer Vielfalt von Publikationen. Und nicht zuletzt gelten für Helvetas, wie für alle anderen von der Zewo zertifizierten Hilfswerke, strenge Vorschriften für eine transparente und öffentliche Darle­ gung der Jahresrechnung. Nachhaltigkeit und Effizienz sind wesentliche Erfolgsfaktoren für eine wirkungsvolle Entwicklungszusammen­ arbeit. Helvetas hat Modelle zur Wirkungs­ messung entwickelt, die sowohl bei der Direk­ tion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) wie bei internationalen Entwicklungs­ agenturen als wegweisend gelten. Die Verfas­ ser der angeblichen Transparenzstudie haben es abgelehnt, mit den untersuchten Hilfswer­ ken einen methodischen Dialog zu führen, und stützen ihre Bewertung ausschliesslich auf die Auswertung der Internetauftritte. Gut erachtete es offenbar ebenfalls als unnötig, die Entstehung des fragwürdigen Rankings zu hinterfragen. Stefan Stolle, Leiter Kommunikation & Fundraising, Helvetas Fantasievolles Geschichtchen Nr. 47 – «Gesammelter Klatsch»; Anekdoten zur Weltwoche von Hildegard Schwaninger Einen grösseren Schwachsinn habe ich lange nicht über mich gelesen. Der besagte Theolo­ giekurs fand immer montags und donnerstags um 19 Uhr statt und hatte folglich auf die Ab­ gabe von Artikeln am Dienstag nicht den ge­ ringsten Einfluss. Klara Obermüller, Redaktorin 1980–1996 Korrigendum Das Bild zum Artikel «Helvetische Missge­ burt» in der letzten Ausgabe der Weltwoche (Nr. 47/08) handelt es sich nicht um den bespro­ chenen Panzer 68, sondern um das Vorläufer­ modell, den Pz 55/57 Centurion. Wir entschul­ digen uns für die Verwechslung. Die Redaktion Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Valeriano Di Domenico (EQ Images)


Eine Sonderveröffentlichung von Mercedes-Benz.

TrueBlueSolutions. Der Weg zur emissionsfreien Mobilität.

Die Zukunft hat begonnen. Was kommt nach Benzin und Diesel? Was treibt morgen und übermorgen die Automobile an? Die Konzernforschung der Daimler AG entwickelt für Mercedes-Benz nicht nur alternative Treibstoffe und neuartige Antriebe — TrueBlueSolutions vereint alle nachhaltigen Aktivitäten mit dem Ziel der emissionsfreien Mobilität. Von Daniel Faldo

F600 Hygenius: erstes Forschungsfahrzeug mit speziell für die Brennstoffzelle entwickeltem Karosserieund Designkonzept

«Nach unserer Überzeugung wird es künftig nicht die eine Technologie als Königsweg zur nachhaltigen Mobilität geben. Stattdessen erwarten die Kunden massgeschneiderte Lösungen, die ihren Anforderungen gerecht werden», sagt Thomas Weber, Vorstandsmitglied der Daimler AG und verantwortlich für die Konzernforschung sowie die Entwicklung der Mercedes-Benz Cars. Die Mercedes-Benz Formel für die Zukunft lautet «Faszination und Verantwortung». Denn automobile Leidenschaft und ökologische Verantwortung müssen nicht im Widerspruch stehen. Schon seit Langem zählt Mercedes-Benz nicht nur beim Design, der Sicherheit und dem erlebbaren Fahrspass zu den Trendsettern, sondern auch bei der Umweltverträglichkeit. Deshalb engagiert sich Mercedes-Benz intensiv für die Entwicklung neuer Treibstoffsorten. Als zukunftweisend erweist sich biologischer Diesel. Die Daimler AG startete 2003 in Indien ein entsprechendes Forschungsprojekt. Die ungeniessbare Jatropha-Nuss braucht we-

der Pestizide noch Dünger — und der Treibstoff steht nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. Eine ebenso «saubere» Alternative ist Erdgas. Bereits jetzt kann das Kompaktmodell B 170 NGT BlueEFFICIENCY mit Erdgas betrieben werden. Im Vergleich zum B 170 mit Ottomotor stösst dabei die Erdgasvariante bis zu 17 Prozent weniger CO2 aus. Als Energieträger der Zukunft gilt Wasserstoff. Bereits 1975 präsentierte Mercedes-Benz als erste Automobilfirma der Welt einen mit Wasserstoff betriebenen Transporter mit Hydridspeicher als Versuchsfahrzeug. Wasserstoff ist das leichteste Element der Erde und nahezu unbegrenzt vorhanden. Sein Einsatz in einer Brennstoffzelle erweist sich als besonders effizient. Die Zelle erzeugt Strom, wenn durch sie Wasserstoff und Sauerstoff geleitet wird. Aus dem Auspuff entweicht lediglich Wasserdampf. Bereits 1994 zeigte Mercedes-Benz das erste Forschungsfahrzeug mit dieser innovativen Technologie. Seitdem ist die Leistungsfähigkeit

kontinuierlich gesteigert worden. Für die Studie F600 Hygenius konnten die Entwickler die Brennstoffzellen-Pakete (Stacks) noch einmal um 40 Prozent verkleinern und gleichzeitig 30 Prozent mehr Leistung aus ihnen holen. Die gesamte Technik fl iesst nun in die B-Klasse F-CELL. Mercedes-Benz wird dieses Modell als erstes Serienautomobil mit BrennstoffzellenAntrieb schon 2010 in einer Kleinserie auf den Markt bringen. Zurzeit hat Mercedes-Benz die weltweit grösste Brennstoff zellen-Flotte im Einsatz. Mehr als 100 Fahrzeuge sorgen mit ihren inzwischen rund vier Millionen Testkilometern für eine erfolgreiche Weiterentwicklung. So gelang den Mercedes-Benz Ingenieuren der Durchbruch bei der Kaltstartfähigkeit der Brennstoffzelle. Das verbesserte System springt selbst bei Temperaturen von minus 25 Grad Celsius zuverlässig an. Mit diesen und anderen Innovationen macht Mercedes-Benz nicht nur einen weiteren grossen Schritt in Richtung Serienreife, sondern verbessert auch die Effizienz des Antriebssystems deutlich.

Sauberer Antrieb

Die Brennstoffzelle liefert nicht nur saubere Energie für den Antrieb des Forschungsfahrzeugs, sondern dient bei Bedarf auch als mobiles Kraftwerk: Ihre elektrische Leistung von 66 kW reicht aus, um mehrere Einfamilienhäuser mit Strom zu versorgen.

UMWELTSCHUTZ: Meilensteine von Mercedes-Benz.

1969

Auf der Frankfurter IAA stellt Mercedes-Benz den Elektro-Versuchsbus OE 302 vor. Der Elektromotor speist sich aus einer Batterie, die von einem Diesel-GeneratorAggregat aufgeladen wird — ein Beispiel für hybride Antriebstechnologie.

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1981

Auf der IAA präsentiert Mercedes-Benz den Forschungs-PW «Auto2000», der wahlweise von einer Gasturbine, einem Dieselmotor oder einem Benzinmotor mit Zylinderabschaltung angetrieben wird und der Er forschung umweltfreundlicher Antriebe dient.

Weitere Informationen: www.truebluesolutions.ch

2006

Das in den USA und Kanada angebotene Mercedes-Benz Modell E 320 BlueTEC ist das erste und einzige Dieselfahrzeug, das die strenge US-Abgasnorm BIN 8 erfüllt. Es verbraucht bis zu 30 Prozent weniger als vergleichbare Fahrzeuge mit Ottomotor.


Schweizer Glücksdroge In New York wird Pipilotti Rist als Lichtgestalt in der Krise gefeiert. Die Eröffnung einer gigantischen Rauminstallation im Museum of Modern Art versetzte Banker und Modeköniginnen ins Delirium. Worin liegt das Geheimnis dieser Kunst? Und wer ist die Person dahinter? Von Daniele Muscionico Gott ist tot, gemeuchelt an der Wall Street, Gott ist tot, es lebe der Künstler. Wenn New York ein Stossgebet spricht, ist das der Refrain. Die Stadt hat eine neue Kirche eingeweiht, ­eine neue Religion ausgerufen, einen neuen Katechismus etabliert: den Kult um die Künstlerin Pipilotti Rist im Mutterschiff der Moderne, dem Museum of Modern Art, MoMA. Pipilotti ist nicht nur der charismatischste, sondern auch der erfolgreichste Schweizer Kunstexport der Gegenwart. Die Eröffnung ihrer berauschenden Installation «Pour Your Body Out (7354 Cubic Meters)» im überdimensionierten Atrium des Museums war das gesellschaftliche Grossereignis des Jahres von der West- bis zur Ostküste. Es versammelten sich in dieser Nacht an der 53. Strasse in Midtown 2000 geladene Gäste im Gesamtwert von einigen Milliarden Dollar, angeführt von Henry R. Kravis, einem der erfolgreichsten Investmentbanker, der stündlich, so rechnete ein Wirtschaftsmagazin nach, 51 369 Dollar verdienen soll. Sein auf geschätzte zwei Stunden anberaumter Gottesdienstbesuch im MoMA hatte folglich den Gegenwert von mehr als 100 000 Dollar. Nicht eingerechnet die Taxispesen. Mr Kravis lebt, wenn er in New York weilt, in seinem 26-Zimmer-Penthouse an der Park Avenue.

Rockefeller war da, Ono nicht Nur Yoko Ono liess sich entschuldigen. Ono war Pipilottis erster Kuss aus einer anderen Welt, ein Fenster in die Kunst, auf Fluxus und Happening, gemeinsam mit John Lennon und den Beatles ihr Vorbild und Idol als Mädchen. Doch die Übrigen waren gekommen: die wertvollen Trustees, die Financiers des MoMA wie David Rockefeller jr.; die amerikanischen Künstler Brice Marden, Marylin Menter und Jon Kessler; der Pontifex der New Yorker Kunstkritik, der mehrfach für den Pulitzer-Preis nominierte Jerry Saltz; oder Filmstars wie Kim Cattrall, die «Samantha»-Darstellerin von «Sex and the City». Zwischen van Gogh und Miró waren sie die Zeugen der Entfesselung eines visuellen Gedichtes, eines Farb- und Klangrausches mit meditativem Hinterhalt. «Pour Your Body Out» ist eine assoziative Bilderzählung und ozeanische Raumskulptur und versteht sich als Aufforderung an die Besucher, ihren Körper wie in der gleichnamigen Yoga-Übung mit dem Raum (7354 Kubikmeter) zu verbinden. Kunst als osmotische Körpererfahrung, als 32

Häutung und Zellteilung in einer anderen Dimension. Teure Männer streiften sich die Schuhe ab, und Damen lösten sich aus der Umklammerung ihrer Handtäschchen. Man legte sich auf Pipilottis überdimensioniertem Sofa-Auge auf den Rücken und liess sich in Bilder fallen – die in Amerika üblicherweise rezeptpflichtig sind oder im Giftschrank lagern. Die Kamera, der man folgte, trudelt wie eine beschwipste Wespe durch rosa Tulpenfelder, ändert ihren Aggregatszustand und kippt in die Blütenkelche. Aussenwelt wird Innenwelt, der Verstand explodiert, eine junge Frau ist Blume, Schwein, Wurm, Natur; euphorische Erdbeeren, wollüstige Tulpen, steife Brustwarzen, tropfendes Menstruationsblut ; Und über allem ein pochender Sound, der an der Hirnrinde nagt, beschwichtigt und alarmiert gleichzeitig. Die Besucher gossen sich aus in einen anderen Seinszustand, kehrten sprachlos wieder zurück – und meinten nur: «Wow!» Andere wussten sich etwas deutlicher zu artikulieren: «This is amazing!» Ungleich beredter der Generalkonsul der Schweiz, Daniel Haener, nach einem Kusswechsel mit dem Star: «Der Raum war noch nie so schön!» Glenn D. Lowry, der versatile MoMA-Direktor, schlang sich und seinen orangen Schal um den Star und beteuerte vor den Kameras: «She is great!» Klaus Biesenbach, der MoMA-Kurator, spielte die Dargebotene Hand und erklärte den Trustees das Werk mit Begriffen wie «partizipatorische Kunst» und «Relational Aesthetics». Kleinkinder stellten sich wie ferngesteuerte Spielzeuge bei der Künstlerin an und hauchten beseelt: «Thank you Pipilotti!» Der Singersongwriter Rufus Wainwright brachte das Glücksgefühl der vielen und die Wunderkraft der rätselhaften Raumbilder auf den Punkt, als er sagte: «Das ist genau das, was ich an diesem Tag sehen will, nach dem vergifteten Stock Market und dem Irankrieg-Gerede. Dies hier erinnert mich an den positiven, psychedelischen Lifestyle der sechziger und siebziger Jahre. Wir sollten unbedingt mehr davon haben.» Mehr davon haben wollte Wainwright wohl auch deshalb, weil an diesem Abend in Manhattan eine andere Kennziffer für Glück fatal ins Torkeln geraten war. Der Dow-JonesIndex war auf unter 8000 Punkte gefallen. Und nur 24 Stunden später würde die New York Times dem Gespenst der Deflation einen prominenten Platz auf der Frontseite widmen.

Keine Frage: An den Herren Charles Dow und Edward Jones kommt keiner vorbei in Zeiten wie diesen. Doch ebenso wenig an Pipilotti Rist, der Hoffnung in hoffnungsarmen Wochen, dem Kontrapunkt zum Zerfall jener Werte, für die der Aktienindex das Mass aller Dinge ist. Doch wer seinen Taufnamen Elisabeth in einen frühkindlichen, albernen Fantasienamen umwendet; wer sich, wie in New York, in einer indischen Polizeiuniform, geschneidert aus einem Tischtuch, dem Jetset präsentiert, der muss auf die Welt als eine verrückte blicken. Als eine trostlos öde und arme. Pipilotti steht für Utopie, für Freiheit und Sinnlichkeit. Ihre Kunst ist ein emanzipatorischer Aufruf, sich aus der Knechtschaft der Normen, Ängste und Konventionen zu befreien. Ihre positive Strategie arbeitet mit aufklärerischem Witz und will unseren Verstand mit unseren Instinkten versöhnen. Alles und jedes soll neu zur Disposition gestellt werden, was uns unsere Kirchenväter und Übermütter aus dem gesellschaftlichen und dem individuellen Körper ausgetrieben haben.

Leichtigkeit des Scheins Doch wieso Kultfigur? Rist gehört als solche zur Spezies des genialen Ausnahmemenschen, den wir uns selber erfinden, wie wir uns jeden Helden erfinden – das Idol. Pipilotti ist eine Marke und eine Projektionsfigur, ein Löschund Ablasspapier für unsere persönliche Mutlosigkeit und Feigheit vor dem Freund. Eine New-Age-Eklektikerin auch, sicher. Aber sie bedient unsere populären Fantasien und unsere Ansprüche an die auratische Wirkung von Kunst. Denn nur aus der innigen Produktionsgemeinschaft zwischen Künstler und Publikum entsteht ja die charismatische Figur, die Strahlkraft, die nie bloss aus der künstlerischen Leistung resultiert, sondern mehr noch aus dem empathischen Künstlersein selbst. Durch Auftritt und Inszenierung. Dabei soll nicht vergessen gehen, ihre Leichtigkeit des Seins ist vor allem eine Leichtigkeit des Scheins. Dessen Herstellung in Kombination mit Rists Anspruch auf Perfektion, das ist Schwerstarbeit. Dass die Bilderwelt von «Pour Your Body Out» auf drei Screens derart organisch mit der Architektur des Hauses zu einem Neuen, Dritten verschmilzt, ist das Ergebnis reinster Technikbesessenheit. «Pour Your Body Out» ist die sechste Variante in sieben Jahren Vorarbeit. Die Wirkung der Schwerelosigkeit macht vergessen, wie lange Weltwoche Nr. 48.08


«Thank you Pipilotti!» Künstlerin Rist am 19.  November in New York. Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Gabriela Maj (Getty Images)

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die Künstlerin und ihr vierköpfiges Zürcher Team an der Installation gegrübelt haben. Einen ganzen Monat in New York noch, wo Rist und ihr Team nicht nur einmal mit den Ge­ setzen der Gewerkschaften kollidierten: Wer darf auf welche Leiter steigen? Und wann? Was ist, wenn um 16 Uhr gewerkschaftlich Arbeitsschluss ist, das Team aber die Nacht durcharbeiten sollte? Die Wirkung der Schwerelosigkeit macht auch vergessen, dass die Bilder und Töne megalomanische acht Terabyte (10 hoch 12 Bytes) schwer sind. Die ganze Produktionstechnik ist der teuerste Posten bei einem Gesamtaufwand von über einer Million Dollar. So viel, hört man inoffiziell, kostet die Installation. Denn noch nie in der Geschichte des Mediums wurde wohl eine derart komplexe und anspruchsvolle Arbeit realisiert, von Rists Team und später auch von externen Computerspezialisten, die die Datenmenge wochenlang pixelgenau auf die sieben im Raum verteilten Projektoren umgerechnet haben. Am Opening blieb all dies unerwähnt. Über eine Million Besucher werden «Pour Your Body Out» bis Anfang Februar 2009 gesehen haben, geht man von den Eintrittszahlen aus, die das MoMA jeden Tag für sich beanspruchen kann — bis zu 15 000 Menschen. Die Installation, so wird bereits gemunkelt, ist der neue Showstopper, und die Bilder von van Gogh und Miró, die in Sonderausstellungen gleichzeitig mit ihr zu sehen sind, werden es im Kampf um Aufmerksamkeit schwer haben. Direktor Glenn D. Lowry jedenfalls diktierte bereits am Eröffnungsabend den Medien seine haltlose Begeisterung in den Notizblock: «Die Arbeit hat alle unsere Erwartungen übertrof-

Van Gogh und Miró werden es im Kampf um Aufmerksamkeit schwer haben. fen.» Er schien das geahnt zu haben. Während der election night war Pipilotti Stargast der Lowry-Family. Die Dame des Hauses kochte selbst, und dann sass die muntere Runde kauend vor dem Fernseher und war selbstverständlich geeint für Barack Obama. Pipilotti, das war in New York bisher nur der Mythos, den man als Kunststudent studiert, oder aber jenes Gesicht, das sich 2000 in der Installation «Open My Glade» auf der elektronischen Anzeigetafel am Times Square zur Schau gestellt hatte. Die Künstlerin in vermeintlicher Geiselhaft eines Bildschirms oder als Gefangene hinter einer der zahllosen Glasscheiben des urbanen Molochs. Doch wer ist sie wirklich? Als Kind war sie gewiss eine, die wie keine war, Erwachsene vor den Kopf stiess mit ihrer Fantasie und Lebhaftigkeit. Elisabeth, das Mädchen, war dorfbekannt. Sie war die Tochter einer sozial engagierten Mutter und eines Haus34

Kunsthandel

Die Party geht weiter Wer langfristig in Kunst investiert, liegt noch immer richtig, sagt Dirk Boll, Christie’s-Direktor Schweiz. Von Daniele Muscionico

«Grosse Dynamik»: Christie’s-Direktor Boll. In der Finanzkrise zwischen Oktober 2002 und Januar 2003 wuchs der amerikanische Kunstmarkt um fast das Doppelte. Weshalb ist es dieses Mal anders? Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung waren auch bislang schon wirtschaftliche Entwicklungen auf dem Kunstmarkt spürbar. Teilweise sind konjunkturelle Abschwächungen aber durch die Erschliessung neuer Marktregionen überkompensiert worden. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. In welchem Ausmass ist der Schweizer Kunstmarkt betroffen? Das ist heute noch nicht abschliessend zu beurteilen; die Schweiz neigt aber generell nicht zu übermässigen Amplituden. Eine Antwort werden die Zürcher Auktionen der kommenden Woche geben. Man hofft nun auf frischen Wind aus dem Osten. Was hat der Osten, was der Westen offenbar nicht mehr hat? In den jungen Marktwirtschaften gibt es eine grosse Dynamik, teilweise wegen des grossen Nachholbedarfes, teilweise weil dort die staatliche Regulierung noch unterentwickelt ist. Ganz generell waren Käufer aus Russland und Asien sowie die künstlerische Produktion dieser Regionen wichtige Impulse für die internationalen Märkte und Sammler. Man denke nur an die Ausstrahlung der Sammlung Sigg in Bern 2005.

Philips de Pury hat eine Filiale in Moskau eröffnet; Sotheby’s wird in Katar tätig sein. Plant Christie’s eine Expansion? Christie’s war das erste internationale Unternehmen, das in der Golfregion präsent war. Nach der Eröffnung eines Büros in Dubai führen wir dort seit Mai 2006 überaus erfolgreich Auktionen von internationaler moderner und zeitgenössischer Kunst sowie von Uhren und Schmuck durch. Der Umsatz dieser Auktionen hat sich von Saison zu Saison verdoppelt. Der Umsatz durch Sammler aus der Golfregion hat sich seit 2005 vervielfacht. Welche Künstler sind derzeit schwieriger zu verkaufen? Wenn man konstatiert, dass die Auktion mit Werken von Damien Hirst im September einen Höhepunkt des Angebots von Werken dieses Künstlers darstellte, wäre es wenig verwunderlich, nun festzustellen, dass sich in den New Yorker Herbstauk­ tionen Werke von Hirst einer geringeren Nachfrage ausgesetzt sahen. Gibt es ewige Werte, Künstler und Kunstwerke, die krisenresistent sind? Es gibt Künstler, die zum Kanon der Kunstgeschichte gehören; die werden immer ihren Markt finden. Ist das Œuvre abgeschlossen, erleichtert dies die kunsthistorische Einordnung und damit die Einschätzung einer langfristigen Marktbedeutung. Wie muss man das Phänomen des reinen Art-Investors verstehen? Das ist trotz aller Krise ein nicht uninteressantes Feld, denn manch einer wäre heute ganz zufrieden, wenn er sein Geld in Kunst angelegt hätte. Sehr viele Menschen waren beim Investieren in Kunst bislang schon sehr erfolgreich, vor allem, weil sie es als Langzeit-Investment sehen. Hat Art-Investment Tradition? Es ist eindeutig eine neue Erscheinung, die zusammenfällt mit dem Umstand, dass die Beschäftigung mit Kunst nicht mehr einem kleinen Kreis von Bildungsbürgern vorbehalten ist, sondern ihre Bedeutung als Zeitgeistphänomen für breite gesellschaftliche Schichten gefunden hat. Andererseits wissen wir von Spekulationen auf Nebenmärkten schon seit dem Goldenen Zeitalter; die Tulpenkrise ist da ebenso eine Vorgängererscheinung wie Rembrandt, der seine eigenen Werke auf Auktionen bebot, um die Nachfrage zu stimulieren. Weltwoche Nr. 48.08 Bild: Christies


arztes, der ihr erklärte, dass die Menschen in Afrika schöner seien als in Europa. Sie war Teil einer Bande von fünf Geschwistern, die wohl das genossen, was man eine antiautoritäre Erziehung nennt, eine Anleitung zur Selbstverantwortlichkeit. Elisabeth war das Mädchen, das im leeren Indoor-Schwimmbad der Eltern hauste, weil dort der Bass am tollsten dröhnte, wenn sie ihre Beatles-Platten abspielte. Sie war die Gymnasiastin, die Männer sammelte, die Platten sammelten, und die beschloss, in Zukunft nur noch Schwarz zu tragen, an jenem Tag, als ihr Gott, John Lennon, ermordet wurde. Auf einem Zettel am Anschlagbrett der

Glück, Lust, der Körper, Freiheit, das sind Rists ganz und gar anachronistische Motive. «Pour Your Body Out»: Still der Installation im Museum of Modern Art.

Offen wie ein Liebesbrief: Interview auf dem Sofa-Auge.

«Open My Glade»: Rists Installation am Times Square, New York, 2000. Weltwoche Nr. 48.08

Bilder: MoMA, Caspar Friedrich, Hauser & Wirth; Bild S. 37: Walter Bieri (Keystone)

Schule tat sie ihre Trauer kund und forderte die Kollegen und Kolleginnen auf, gleichfalls in Schwarz zu gehen. Und John nie zu vergessen. Fortan sollte man sie Elisabeth John rufen – bis zur Pipilotti war es nicht mehr weit. Wer sie an diesem Abend im MoMA dann tatsächlich und zum ersten Mal live zu Gesicht bekam, ehrlich bis auf die Knochen, mit unerschöpflicher Geduld jede Frage beantwortend, junge Fans und Kunststudenten um ihre Meinung bittend, sich den Teufel um gesellschaftliche Konventionen scherend, der weiss, was das Wichtigste ist, um Kult zu sein: Glaubwürdigkeit. Pipilotti ist glaubwürdig, identisch mit dem, was sie tut. Sie verstrickt sich nicht in die Geschmacksgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts und noch weniger in die eines Zeitgeists. Und Erwartungen seitens des Kunstmarktes sind ohnehin keine Kategorie, die auf ihrem Radar erscheint. Das ist ihre grosse Stärke – und ihre Schwäche auch, vielleicht. Kritiker bezeichnen ihre Arbeit als Wohlfühlkunst und nörgeln an der vermeintlich überschaubaren geistigen Bohrtiefe. Wer das so sieht, hat nichts gesehen. Und noch weniger von den Motiven der Künstlerin begriffen. Pipilotti ist eine visionäre Grossromantikerin, eine utopische Philanthropin. Doch das Entscheidende an ihrem Werk ist: Es hält unbedingt an einem Glücksbild fest, während die Postmoderne schon längst dabei ist, uns alle Glücksgründe und jedes Glücksversprechen im Namen der Aufklärung haarklein zu widerlegen. Glück, Lust, der Körper, Freiheit, das sind Rists ganz und gar anachronistische Motive und Motivationen, mit welchen sie seit je Kunst macht. Wie Nam June Paik behandelt auch sie Pixel wie Farbpigmente, und ihre Themen sind Topoi der Kunst. Doch was sie seit den achtziger Jahren macht, geht als Kritik an den hochkünstlerischen Normen weiter. Mit ihrem zwölfminütigen «Pickelporno» (1992) fällt sie international zum ersten Mal 35


auf und gewinnt wichtige Preise. Sie kritisiert die Humorlosigkeit, mit der die Körperlichkeit, Intimität und die weibliche Befindlichkeit seit den siebziger Jahren künstlerisch usurpiert werden. «Eindrücke verdauen» (1993) nimmt sie wörtlich, verwendet verzerrte Aufnahmen einer Magenendoskopie und steckt den bullaugigen TV-Monitor in einen kanariengelben Badeanzug. Frech-feministisch dringt sie auf ihren Kamerafahrten immer weiter in Körperhöhlen und die menschliche Psyche vor.

Kurzes Gastspiel an der Expo 02 1996 wird sie von einem der internationalen Global Player der Galerienwelt entdeckt und unter seine Schirmherrschaft gestellt: Pipilotti wird eine Künstlerin der Galerie Hauser & ­Wirth in Zürich. Ein Jahr später ist an der Biennale von Venedig ihre Videoarbeit «Ever Is Over All» zu sehen. Die dort preisgekrönte Installation wird ihr nächster Meilenstein und ihr Durchbruch als wegweisende Künstlerin. Die junge Frau, die mit grosser Lust und einer Fakellilie bewaffnet Autos demoliert – freundlich gutgeheissen von einer Polizistin –, geht als Bild für das Wesen von Rists Arbeit um die Welt. Poesie und Angriffslust, Flower-Power wortwörtlich genommen. Die Kritik ist sich einig, der Film gehört zu den spannendsten Arbeiten des Kunstsommers.

Ihr Gastspiel als Direktorin der Expo 02 ist nur kurz. Nach ihrem Rücktritt zieht sie sich auch aus der Öffentlichkeit zurück und verlegt ihren Wohnsitz nach Los Angeles, einem Ruf ihres Künstlerfreunds Paul McCarthy folgend. Sie unterrichtet an der University of California. Wieder in der Schweiz, beginnt sie ihren ersten Spielfilm, «Pepperminta», für den sie mit Chris Niemeyer das Drehbuch schreibt und selber Regie führt. Der Film, ein Märchen oder contemporary fantasy, erzählt die Reise eines Mädchens (Noemi Leonhardt als Zehnjährige und Ewelina Guzik als Dreissigjährige), das den utopischen Auftrag besitzt, die Menschen von ihren Ängsten zu befreien. «Pepperminta» kommt nächsten Frühling in die Kinos. Ihre Autorin hat mittlerweile auch Japan erobert, das wichtige Hara-Museum in Tokio präsentierte letztes Jahr die erste grosse Einzelschau in einem japanischen Haus. Der Ausstellung überschrieben ist der von der Künstlerin selber gewählte Titel, «Karakara». Das Wort steht sowohl für Kargheit als auch für sorgenfreies Lachen. In dieser Zweideutigkeit spiegelt sich Pipilottis Anspruch, theoretischen Konzepten mit einer humorvollen Leichtigkeit zu begegnen. Diese Leichtigkeit und ihr Humor machten sie in New York denn auch zur beliebten Tischpartnerin an den legendären Galas des ­MoMA, den Abendessen, an welchen die Gelder ge-

sammelt werden, die das Überleben des Museums sichern. Politics made in USA. An der Gala für die Förderung von afroamerikanischer Kunst war die Schweizerin Ehrengast von MoMA-Trustee Peter Norton, dem legendären Computerguru. Norton wurde nach seinem Rückzug aus dem Business bekannt als Saint Peter, ein Wohltäter und bekennender Buddhist. An diesem Abend wurden 500 000 Dollar gespendet, und dazu spielten (schwarze) Jazzlegenden wie der Schlagzeuger Roy Haynes und der Bassist Bob Cranshaw. An der Gala für den australischen Oscar-Gewinner und Regisseur Baz Luhrmann, veranstaltet von der Filmabteilung des Museums, sass Pipilotti neben dem MoMA-Financier David Rockefeller junior und kam schon bald zum Schluss: «Der ist ja wie mein Vater. Ein totaler Umweltschützer.» Dass innert weniger Stunden eine satte Million an Spendengeldern gesammelt wurde, erstaunte niemanden, der sich die Gästeliste bereits bei Tageslicht besehen hatte.

«Besser als die Kirche» Anna Wintour war anwesend, die mächtigste Frau der Modebranche und Chefin der Vogue in Amerika. Auch Miuccia Prada, die Inhaberin des Modekonzerns. Pipilotti hatte sich bereit erklärt, etwas zur Verschönerung des Anlasses beizutragen. Wintour beschied, dass man das

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«Homo Sapiens Sapiens»: Rists Installation an der Biennale in Venedig, 2005. Angebot nur annehmen werde, wenn das Bild auf Farben verzichte. Denn die Vogue hatte als Dekoration für die Gala teuerste AboriginesStoffe organisiert. Pipilottis Kunst sollte sich bitte schön zurückhalten. Später äusserte sich die Prada-Dame immerhin sehr schmeichelhaft über die Installation: «This is better then the church!» («Homo Sapiens Sapiens» in der Chiesa di San Staë in Venedig, an der Biennale

2005). Doch auch das stimmte Pipilotti nicht milde, als es darum ging, mit den beiden wichtigen Mädchen auf einem Foto zu posieren. In dieser Hinsicht ist sie strikt: Sie macht keine Werbung für Mode. Und noch ehe es sich die beiden Fashion-Göttinnen versahen, war die Künstlerin abgetaucht, wortwörtlich, zwischen den schönen Beinen der schönen Damen hindurch floh sie ins Freie.

Pipilotti wurde in den neunziger Jahren als Madonna der Videokunst bezeichnet; man orientierte sich an ihren prismatischen Auftritten, an ihrer augenscheinlichen Lust, das zu tun, was andere nicht einmal zu denken wagen. Die Künstlerin eine Schwester der kalkulierenden Geschäftsfrau, die ihren Körper zum Tempel und zum Warenhaus macht? Wie falsch das Bild heute ist – und möglicherweise schon damals war –, konnte feststellen, wer sie am Eröffnungsabend im MoMA beobachtet hat. Pipilotti ist das schiere Gegenteil des stählernen «Material Girl». Pipilotti ist flüssig, offen wie ein Liebesbrief und ganz ohne Kalkül. Für jeden Bewunderer schlug sie sich einen Funken Mitgefühl aus der Brust und einen Anflug von Interesse, ein Lächeln auch noch nach Stunden, eine ehrerbietige Verbeugung, ein dankpflichtiges Wort. In ihrer schnurgeraden Art wird sie später erklären: «Was nützt es, wenn einer ein Sozi ist, aber den anderen am Tisch dann nicht die Butter reicht?»

«Pour Your Body Out» ist im MoMA New York bis 2. Februar 2009 zu sehen. In Zürich, im Theaterhaus Gessnerallee, zeigt die «Pepperminta»-Protagonistin Ewelina Guzik mit Phil Hayes (alias Peter Tate in «Giacobbo/Müller») die Performance «Where Were We», bis 2. Dezember 2008.


Tendenz zur Gleichschaltung Am Wochenende stimmen vier weitere Kantone über den Beitritt zu HarmoS ab. Das Schlagwort der Stunde heisst «Chancengleichheit». Mit ihm rechtfertigen Pädagogen und Politiker den Eingriff des Staates in die Erziehung der Kleinsten. Die Eltern werden ausgehebelt. Von Philipp Gut

Kindheit verstaatlichen?

Zwangsschule HarmoS

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Von oben eingeleitete Reform: Graubünden, Thurgau, St. Gallen und Zürich entscheiden über HarmoS. Florian hat erst mit drei Jahren zu sprechen begonnen. Deshalb fanden seine Eltern, der Kranzschwinger Martin Grab und seine Frau Monika aus Rothenthurm (SZ), es wäre besser für den Buben, wenn er noch nicht in den Kindergarten müsste. Doch die Behörden sahen das anders, sie drohten den Grabs mit einer Busse. Florian, das dritte von fünf Kindern, wurde am 24. Juli fünf Jahre alt – acht Tage vor dem Stichtag zum Eintritt in den neuerdings obligatorischen Kindergarten. Der Stichtag wurde in den letzten Jahren mehrfach versetzt: Erfasst werden immer jüngere Kinder. Aufgrund der neuen Regel wäre der sich etwas verspätet entwickelnde Knabe im Kindergarten der Jüngste gewesen. Auch den halbstündigen Schulweg betrachteten die Eltern als Problem. «Ob ein Kind 38

vier- oder sechsjährig ist, macht im Strassenverkehr einen Unterschied», sagt Mutter Monika Grab. Und ihr Mann, der Kranzschwinger: «Wir behalten unseren Buben doch nicht zu Hause, bis er Schnauz und Bart hat.» Eltern wie die Grabs irritiert, dass sie «nichts zu sagen haben»: «Wir sind nicht gegen eine freiwillige frühere Einschulung, aber gegen den Zwang», so Monika Grab. «Unsere Meinung zählt nichts. In einem Jahr ist unser Bub reif, er wird aufholen. Kinder sind doch nicht alle gleich!» Die Schulratspräsidentin stieg nicht auf die Argumente der Eltern ein. Per eingeschriebenen Brief teilte sie den Grabs mit: «Falls Sie sich dennoch über die Ablehnung des Gesuchs hinwegsetzen sollten und Ihr Sohn nach den Ferien nicht in den Kindergarten eintreten

sollte, sehen wir uns gezwungen, Ihnen gemäss Art. 47 der Volksschulverordnung eine Busse anzudrohen.» Andere Eltern, sagt Monika Grab, dächten wie sie. «Aber sie geben auf, weil sie am Schluss eine Busse bezahlen müssen.» Tatsächlich blieb es nicht bei Drohungen. An der Familie Holdener aus Unteriberg hat man ein Exempel statuiert. Auch die Holdeners wollten sich die frühere Einschulung nicht vorschreiben lassen. Der Ermessungsspielraum für die Busse liegt zwischen 500 und 5000 Franken. Bezahlen mussten die Holdeners 4000 Franken. Die Abschreckungswirkung blieb nicht aus. «Nachher wurde es ziemlich ruhig», sagt Edgar Holdener. Heute schickt der Rebell seine Kinder in eine Privatschule. Weltwoche Nr. 48.08


Die Beispiele der Familien Grab und Holdener aus dem Kanton Schwyz könnten Schule machen, wenn mit HarmoS flächendeckend die obligatorische Einschulung der Vierjährigen kommt. Für viele überraschend stimmte die Bevölkerung des Kantons Luzern am 28. September dem Referendum gegen den Beitritt zum Konkordat zu, mit 61,4 Prozent Ja- zu 38,6 Prozent Nein-Stimmen. Es war die erste Abstimmung über die umstrittene Zentralisierung der Volksschule und in doppeltem Sinn ein Unfall. Die federführende Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hätte HarmoS lieber ohne lästige Urnengänge eingeführt. Und die Behörden rechneten nicht mit einer Niederlage. Zwei Tage vor der Abstimmung verkündete der Luzerner Bildungsdirektor Anton Schwingruber (CVP) im Vor­ gefühl eines sicher geglaubten Triumphes, dem Entscheid komme «gesamtschweizerisch ­Sig­nalcharakter» zu. Nach der unverhofften ­Niederlage sagte Schwingruber, er rechne «nicht mit einer Signalwirkung auf andere Kantone».

«HarmoS ist nicht progressiv»

Am kommenden Sonntag entscheiden vier weitere Stände, Thurgau, St. Gallen, Graubünden und Zürich. Mit Ausnahme von Zürich, wo im Kantonsrat das sogenannte Behördenreferendum ergriffen wurde, gingen die Referenden aus einer breiten Volksbewegung hervor. Im Thurgau kamen in zwei Wochen 4700 Unterschriften zusammen (das Quorum für das Zustandekommen des Referendums lag bei 2200). Im Kanton St. Gallen unterschrieben 9364 Personen, in Graubünden 4733. In Luzern hatte das Referendumskomitee in zwei

Die HarmoS-Gegner erhalten Schüt­zenhilfe von Erziehungswissenschaftlern. Monaten 14 300 Unterschriften gesammelt – über 11 000 mehr als nötig. Kurz vor der Abstimmung vom nächsten Wochenende haben die HarmoS-Gegner Schüt­ zenhilfe von Erziehungswissenschaftlern erhalten. In der Sonntagszeitung meldeten die Professoren Urs Haeberlin, Winfried Kronig (beide Freiburg), Georg Feuser (Zürich) und Walter Herzog (Bern) Bedenken an. Allerdings nicht, ohne gleich auch Bedenken gegen die Bedenken anzumelden. Georg Feuser bedauert, «dass die Falschen Nutzniesser des erforderlichen Protests sind». Die Falschen, das heisst die SVP, die das Thema zur Profilierung ihres Oppositionskurses verwendet. Walter Herzog: «Weil sich die SVP gegen HarmoS eingeschossen hat, scheint man in der Öffentlichkeit anzunehmen, HarmoS sei progressiv – was es ganz und gar nicht ist.» Weltwoche Nr. 48.08

Der «Protest» der Professoren bleibt ­allerdings merkwürdig beschränkt. Sie stören sich an vorgesehenen Bildungsstandards und damit verbundenen Tests. Herzog kritisiert die «wirtschaftliche Reform der Schule» – als ob HarmoS bessere Leistungen und liberale, freiheitlichere Bedingungen brächte. Zu erwarten ist eher das Gegenteil – und es erstaunt, dass nicht mehr «progressive» Köpfe ihr Veto einlegen. Das Grundproblem der Reform wird kaum diskutiert: ihr in rechtlicher und demokratischer Hinsicht fragwürdiger Ursprung und ihr Zwang zur Uniformierung. HarmoS ist der vorläufige Höhepunkt einer wachsenden Beeinflussung der Pädagogik durch die Politik. Mit der Reform erweitert der Staat seinen Zugriff auf die Erziehung. Beim Luzerner HarmoS-Nein hat sich gezeigt, dass sich die Bevölkerung vor allem gegen die Einschulung der Vierjährigen wandte. Es gab einen regelrechten Aufstand der Eltern (Weltwoche 39/08) – sehr zum Ärger der Obrigkeit. CVP-Regierungsrat Schwingruber stellte die über 60 Prozent des Stimmvolks, die gegen HarmoS ­votiert hatten, als Opfer einer «verwerflichen» Kampagne hin. Die Regierung hätte «umfassender» und besser «informieren» sollen. In anderen Weltgegenden nennt man so etwas gelenkte Demokratie. Die Reform ist von oben eingeleitet worden, und sie soll notfalls von oben durchgedrückt werden. EDK-Präsidentin Isabelle Chassot (CVP, FR) drohte für den Fall, dass einzelne Kantone den Beitritt zum HarmoS-Konkordat ablehnen, der Bund werde auf der Grundlage der neuen Bildungsartikel einschreiten und selber für die gewünschte «Zentralisierung» sorgen. Volksabtimmungen als Hindernis und Alibi. Die Designer der flächendeckenden Reform sehen das Heil der Schule in einer Vereinheitlichung unter staatlichem Zwang. Die grundsätzliche Frage, ob Harmonisierung und ­Homogenität bessere Voraussetzungen für Schüler und Lehrer bringen als eine Kultur der Vielfalt und der kreativen Freiräume, stellt sich kaum jemand (mehr). Der ehemalige NZZRedaktor Roger Friedrich nahm in seinem Blatt eine dissidente Haltung ein, als er vor zwei Jahren schrieb: «Die föderalistische Struktur ist in ihrer Flexibilität und Anpassungsfähigkeit eben viel moderner, als die Dogmatiker der einen, alleinseligmachenden und zentral durchzusetzenden Schulwahrheit glauben.»

Eigene Bürokratie in Bern Doch woher rührt eigentlich der Drang zum Zwang? Urheberin der Vereinheitlichung ist die Erziehungsdirektorenkonferenz EDK. Aus dem ursprünglichen Konsultativorgan ist ein Apparat mit Generalsekretariat und eigener Bürokratie in Bern geworden. Die EDK gibt

längst nicht mehr nur «Empfehlungen» an die in Bildungsfragen souveränen Kantone ab, sondern erlässt verbindliche Vorschriften. Generalsekretär Hans Ambühl und der Geschäftsleitung unterstehen die Abteilung Kommunikation, die Abteilung Recht, die Abteilung Ressourcen, die Abteilung Qualitäts­ sicherung, der Koordinationsbereich obliga­

Es gibt Ständige Kommissionen, Fachkonferenzen, Koordinationskonferenzen. torische Schule, der Koordinationsbereich Sekundarstufe II und Berufsbildung, der Koordinationsbereich Hochschulen, der Koor­ dinationsbereich Kultur und Gesellschaft, ­Internationale Organisationen sowie das Informations- und Dokumentationszentrum IDES. Das Generalsekretariat beschäftigt 50 Mitarbeitende mit 42 Vollzeitstellen. Neben der Plenarversammlung der EDK gibt es einen Vorstand und einen Planungsstab. Neben der Konferenz der Erziehungsdirektoren gibt es vier Regionalkonferenzen und Regionalsekretäre. Die Sekretäre bilden selber wiederum eine Konferenz, die KDS (Konferenz Departementssekretäre). Neben der KDS gibt es die DSK (Kommission Departements­ sekretäre). Es gibt Ständige Kommissionen, Fachkonferenzen, Rektorenkonferenzen, Koordinationskonferenzen. Es gibt den Schweizerischen Fachhochschulrat (FHR), es gibt die KIUV (Kommission Interkantonale Universitätsvereinbarung) und die KFHV (Kommis­sion Interkantonale Fachhochschulvereinbarung). Es gibt Arbeits- und Begleitgruppen, es gibt Anerkennungskommissionen. Es gibt eine ganze Reihe von «Projektorganisationen» auf der «Basis temporärer Mandate». Und so weiter. Die EDK hat ihren Einfluss in den letzten Jahren schleichend ausgebaut, angefangen bei der 1995 in Kraft getretenen Interkantonalen Vereinbarung über die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen, mit der die Kantone ­einen wichtigen Teil ihrer Schulhoheit ab­ gaben. Der Trend zur Gleichschaltung besteht nicht nur im Inland. Das Historische Lexikon der Schweiz stellt fest: «Aber erst der Druck von aussen (Europäische Integration und Globalisierung) bewirkte Ende des 20. Jahrhunderts eine nun oft überstürzt in Angriff genommene Angleichung der kantonalen Schulwesen.» Weitreichende Änderungen des schweizerischen föderalistischen Bildungssystems gehen auf internationale Beschlüsse zurück, ohne dass darüber je eine öffentliche Debatte und eine Mitbestimmung der Betroffenen, geschweige denn eine Abstimmung stattgefunden hätten. Das war so bei der Bologna-Reform der Hochschulen, die von den Bildungsminis39


Bildung

Das pädagogische Abc Die Diskussion über Erziehung ist von modischen Schlagwörtern geprägt. Eine Übersetzungshilfe. Von Peter Keller Antiautoritäre Erziehung – Es gibt keine Erziehung ohne Autorität. Wie es ist, ohne Autorität den Schulalltag zu überstehen, erlebt der Post-68er-Lehrkörper heute mehr, als ihm lieb ist. Bildungsfern – Beschönigend für Unterschicht, Proll, Krawall-TV-Konsument. Um diese Kinder aus «bildungsfernen» Haushalten schwirrt heute ein Heer von Sonderpädagogen und Therapeuten. Mit ziemlich erfolgsfernen Resultaten. Chancengleichheit – Neomarxistischer Ansatz. Ob «bildungsfern» oder aus studiertem Haus, ob vermögend oder Fürsorgeempfänger – alle sollen die gleichen Chancen bekommen. Nur: Eine freiheitliche Gesellschaftsordnung zeichnet sich durch ihre Vielfalt aus, die auch unerwünschte Unterschiede zulassen muss. Wer Gleichheit durchsetzen will, landet schnell bei totalitären Methoden. Disziplin – Von 68er-Pädagogen zum Unwort erklärt. Lateiner wissen mehr: disci­ pulus ist der Schüler, jemand, der «geistig aufnimmt». Und «Student» kommt von studiare, «sich bemühen». Dem Erfolg geht Leistung voraus. Erziehungsdirektion – Ein begriffliches Auslaufmodell. Heute heisst das entsprechende Departement in den meisten Kantonen «Bildungsdirektion». Damit dispensiert man sich vom Erziehungsauftrag, den die Schule zu erfüllen hätte. Ob sie es will oder nicht. Fächerübergreifender Unterricht – Eng verwandt mit dem Ruf nach «vernetztem Denken». Letztlich bleibt der Lehrer aber ein mehr oder weniger begabter Solist. Ganzheitlich – Das Kind soll «ganzheitlich» in all seinen Fähigkeiten und Veranlagungen gefördert werden. Das ist wunderbar – aber so unendlich ambitiös, dass am Ende derart grundlegende Dinge wie die Rechtschreibung und das Kopfrechnen auf der Strecke bleiben. Hochbegabt – Wie ein guter Freund jeweils zu sagen pflegt: Es gibt wesentlich mehr Eltern von hochbegabten Kindern als hochbegabte Kinder selbst. Das Drama des hochbegabten Kindes, das sich so furchtbar langweilt in der Regelklasse, ist ein Mythos. Wer sich langweilt, ist selber langweilig. Mozart hat sich nie gelangweilt. Er komponierte. Schon mit fünf Jahren ein Menuett und Trio für Klavier. Also kompo40

tern der Europäischen Union beschlossen wurde. Und es ist so im Fall des «integrativen Unterrichts», der Auflösung der Sonder- und Kleinklassen und ihrer Eingliederung in die Regelschule – eine Massnahme, die auf die sogenannte Salamanca-Erklärung der Unesco von 1994 zurückgeht. Das bildungspolitische Schlagwort der Stunde heisst «Chancengleichheit». Es soll die Ausdehnung der staatlichen Erziehungsmacht legitimieren, insbesondere die Erfassung der Kleinsten. Von der EDK über die Sozialdemokraten und Freisinnigen bis zur deutschen CDU-Familienministerin Ursula von der ­Leyen herrscht Konsens. Sogar der als konservativ geltende Bildungspublizist Bernhard Bueb («Lob der Disziplin», «Von der Pflicht zu führen») sagte in einem Zeitungsinterview: «Es braucht auch eine staatliche Betreuung zwischen sechs Monaten und drei Jahren.»

Das Leben «konstruieren»

Ambitiös: Grundstufe in Zürich. niert, ihr unterforderten Hochbegabten! Koedukativer Unterricht – Der Versuch, das biologische Geschlecht von Jungen und Mädchen umzuprogrammieren. Im Soziologenslang heisst das doing gender. Nur die Kids spielen nicht mit. Die Mädchen träumen noch immer von Barbie-Puppen, während sich die Knaben raufen. Rechtschreibreform – Ziel war es, die Recht­schreibung zu vereinfachen, um «Chancengleichheit» herzustellen für nichtdeutschsprachige und «bildungs­ ferne» Menschen. Das Ergebnis ist eine totale Verunsicherung für alle, die mit deutscher Sprache zu tun haben. Insofern ist das Gleichheitspostulat tatsächlich erfüllt. Verhaltensauffällig – Eigentlich: ungezogener Dreinquassler. Nur fehlt meistens der Mut, diesen Sachverhalt im Eltern­ gespräch auch so zu benennen. Wohlfühlpädagogik – Das Kind soll vor Niederlagen und Konfrontationen bewahrt werden. Aber auf die Dauer kann man Menschen nicht vom realen Leben abschirmen. Zappel-Philipp – «Ob der Philipp heute still, wohl bei Tische sitzen will?», so heisst es im Kinderbuchklassiker von Heinrich Hoffmann. Heute attestiert man dem Jungen ein Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) – und stellt ihn mit Ritalin ruhig.

Politik, Verwaltung und Wissenschaft arbeiten Hand in Hand. Die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften organisierte vor einer Woche eine Tagung zum Thema «familienergänzende Kinderbetreuung». Schon in der Ankündigung hielt die Akademie fest, es stelle sich «heute nicht die Frage, ob familienergänzende Betreuung im Vorschulalter grundsätzlich gut oder schlecht» sei. Es gehe nur noch darum, die Ausgestaltung zu regeln. In einem begleitend herausgegebenen Dossier schreiben zwei Forscherinnen des Zürcher Marie Meierhofer Instituts für das Kind: «Wenn wir Chancengerechtigkeit von Kindern voranbringen und erreichen wollen, müssen wir die entscheidenden ersten Lebensjahre bildungspolitisch anerkennen und pädagogisch sinnvoll nutzen.» Derzeit werde «der Frühbereich als Bildungszeit empirisch, konzeptuell und praktisch gleichermassen vernachlässigt». Ludwig Gärnter vom Bundesamt für ­Sozialversicherungen spricht gar von einer «Aufsichtspflicht» des Staates «im Bereich der ausserfamiliären Kinderbetreuung».Der Büro­ krat listet eine ganze Reihe von «Argumenten» für ein «finanzielles Engagement des Staates» auf. Statt für eine Ausweitung der staatlichen ­Erziehungsfunktion plädiert der Kinderpsychologe Allan Guggenbühl für eine «bescheidene Schule». «Riesenreformen» wie HarmoS brächten «meist nichts». Der Pestalozzi-Kenner Arthur Brühlmeier bezeichnet es als «Unglück», dass sich die Wissenschaft seit den sechziger Jahren der Schule angenommen hat. Sie versuche das Leben nach einheitlichen Prinzipien zu «konstruieren». Für den ehemaligen Lehrerbildner kann Erziehung «aber nur gelingen, wenn wir uns in unserer täglichen Arbeit als freie, selbstverantwortliche Meng schen fühlen und einbringen können». Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Christine Bärlocher (EX-Press)


Der Rebellenführer Was treibt Peter Spuhler an? Die einen sagen Rache. Ihm gehe es um das Wohl der Partei, sagt er selbst. Der Machtkampf in der SVP ist im vollen Gang. Von Andreas Kunz

gen ihn aus dem Blocher-Lager stetig zuge­ nommen. Unternehmerlegende Blocher gegen den ­erfolgreichen Aufsteiger Spuhler. Protestan­ tische Selbstaufgabe gegen hedonistischen Pragmatismus. In der SVP herrscht ein Tita­ nenkampf. Der Ausgang des Duells bestimmt die Zukunft der Partei. Allzu glaubwürdig ist Politprofi Peter Spuhler in der Rolle des Un­ schuldslamms nicht. Auch ihm werden Ambi­ tionen als Parteiführer oder Bundesrat nach­ gesagt – trotz aller Dementis. Spuhler weiss: Würde er den Finger heben, wäre er vom Parla­ ment gewählt.

«Blocher ist erfüllt von seinem Auftrag»

«Ich bin ein grosser Fan von ihm»: SVP-Nationalrat Spuhler. Es begann mit seiner Aussage, dass Blocher für die Partei eine «Hypothek» werden könnte. Dann verhinderte er im September Blochers vorzeitige Nominierung zum Bundesrats­ kandidaten. Vor dem Fraktionsentscheid vom Donnerstag brachte er sich nun erneut als Geg­ ner einer Blocher-Nominierung in Stellung. Der Weltwoche sagt Peter Spuhler: «Ich werde immer in die Anti-Blocher-Ecke gestellt. Aber jeder weiss: Ich bin ein grosser Fan von ihm.» Tatsache ist: Kein anderes SVP-Mitglied hat den Parteipatron öffentlich jemals härter kri­ tisiert als Spuhler. Will der Rebellenführer die SVP nun endgül­ tig von ihrem Übervater lösen und sein Nach­ folger werden? «Wenn Blocher bei der Bundes­ ratswahl Chancen hätte, wäre ich der Erste, der ihn wählen würde», sagt Spuhler. Basis und Fraktion der SVP wollten aber zurück in den Bundesrat. «Eine Kandidatur von Blocher des­ avouiert diesen Entscheid», sagt Spuhler. Es benötige ihn auch nicht als Druckmittel. «Wir würden Maurer, Baader oder Amstutz auch ohne Blocher durchbringen», sagt Spuhler. Selbst wenn Spuhlers Behauptungen stim­ men sollten: Warum geht er mit seiner Kritik derart dezidiert in die Öffentlichkeit? Spielt er damit nicht den gegnerischen Parteien in die Hände, die den Blocher-Entscheid unbedingt der SVP überlassen wollen? Herumgeboten Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Severin Nowacki (Dukas)

wird eine Anekdote, die den Konflikt der beiden Alphatiere begründen soll: Anfang Jahr sollte Spuhler Vizepräsident der SVP werden – wegen seines Verwaltungsratsmandats bei der UBS habe ihn Blocher jedoch verhindert. Um seine Wahl abzusichern, habe Spuhler sogar bei der Bankenkommission um grünes Licht gebeten. Trotzdem blieben Blochers Zweifel über eine mögliche Verwicklung in das aufkommende UBS-Desaster bestehen – das Mandat ging an Walter Frey.

«Immer nur sachlich kritisiert» Christoph Blocher wollte vor dem Frak­tions­ entscheid vom Donnerstag über seine Bundes­ ratskandidatur keine Stellungnahme abgeben. Der angeblich übergangene Spuhler sagt: «Ich habe den Entscheid nach reiflicher Überlegung selber gefällt.» Um den Posten anzunehmen, habe es ihm schlicht an der nötigen Zeit ge­ fehlt. Zwar habe er mit Blocher darüber «sehr offen diskutiert», von einer Zusage habe ihm der Strategiechef aber nie abgeraten. Sowieso möge er die Diskussion «nicht auf der persön­ lichen Ebene führen». Er habe Blocher «im­ mer nur sachlich kritisiert». Und seine Aussa­ ge, dass Blocher eine «Hypothek» für die Partei werden könnte, sei sowieso bloss eine Antwort auf die Frage einer Journalistin gewesen. Trotz­ dem hätten die «diffamierenden Angriffe» ­ge-

Die Kontrahenten bringen ihre Gefolgschaft in Stellung. Sichert man Spuhlers Anhängern Anonymität zu, reden sie von einem Blocher, der «unter einer Käseglocke mit lauter Schul­ terklopfern lebt». Er instrumentalisiere die Partei für einen «persönlichen Rachefeldzug», sein Eigenlob («Ich bin der Beste») und die «blinde Treue» seiner Verehrer erinnere an ­eine «Sekte». In den Fraktionssitzungen habe sich Blocher mit seinen «rechthaberischen Auftritten» unbeliebt gemacht. Die unklaren Zuständigkeiten zwischen ihm und Partei­ präsident Toni Brunner haben dem Vernehmen nach auch zum Rücktritt von Generalsekretär Yves Bichsel geführt. Vor allem aber: Ohne ­jegliche Diskussion hätten Blocher, Parteiprä­ sident Toni Brunner, Christoph Mörgeli und Ueli Maurer im Alleingang die Strategie mit Blocher als Bundesratskandidaten festgelegt – und sich damit über den Entscheid der Frak­ tion gesetzt, die sich am 30. September deut­ lich für eine Rückkehr in die Regierung ausge­ sprochen habe. Von Blochers Gefolgschaft will sich niemand zu den Vorwürfen äussern. Einzig Ueli Maurer sagt: «Wir befinden uns in einer schwierigen Phase.» Die SVP sei in einem «Ablösungspro­ zess von Blocher, der noch Jahre dauern wird». Seine Kritiker würden ihm ihren Aufstieg ver­ danken, es fehle ihnen aber an «Format, Hin­ gabe und Fleiss, um in seine Fussstapfen zu treten». Das vielkritisierte «Missionarische» in Blochers Auftritten gehört für Maurer zu seiner Persönlichkeit. «Er ist erfüllt von sei­ nem Auftrag. Der Willen, dem Land zu helfen, sitzt tief in ihm drin.» Am Montagabend sass Christoph Blocher an der ­Delegiertenversammlung der Zürcher SVP im Albisgütli direkt vor der Bühne, mitten­ drin, am einzigen Tisch mit der Aufschrift «Gäste». Nach seiner Wahl spricht er gewohnt überlegen, eindringlich und witzig. Kurz zu­ vor sagte Christoph Mörgeli ins Publikum: «Die aufkommende Wirtschaftskrise erfordert unseren besten Mann. Landesinteressen ge­ hen vor Parteiinteressen. Entweder stehen wir zu unserer Politik als Partei, oder wir gehen als g Einzelkämpfer unter.» 41


«Sehr heftige Krise» Der Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank sieht die Schweiz erstmals in der Rezession, warnt vor einer Rückkoppelung der Krise auf die Bankenwelt und wünscht sich einen Schulterschluss der Schweizer Politik. Ein Gespräch mit Philipp Hildebrand. Von Carmen Gasser Herr Hildebrand, so etwas gab es in der Schweiz noch nie. Letzte Woche senkte die SNB den Zinssatz überraschend um ein ganzes Prozent, innert der letzten sechs Wochen wurden drei Zinskürzungen verkündet. Wie dramatisch ist die Situation, dass die SNB zum Zweihänder greift? Die wirtschaftliche und konjunkturelle Situation weltweit hat sich in den letzten Wochen derart verschlechtert, dass die Risiken für die Schweiz stark zugenommen haben. Gleichzeitig korrigierten sich die Inflationsaussichten in den letzten ­Wochen massiv nach unten. Jetzt gilt es zu verhindern, dass es erneut starke Rückkoppelungseffekte auf das globale Finanzsystem gibt, die zu einem Extrem-Szenario führen könnten. Also noch mehr Bankenpleiten, Arbeitslosigkeit, Depression? Wir stehen zweifelsohne inmitten einer sehr heftigen Krise. Der schwersten ­Krise seit den dreissiger Jahren. Wie gesagt, das Ganze könnte sich noch einmal verschärfen durch eine Rückkoppelung auf den Finanzsektor. Da liegt die ganz grosse Gefahr. Und genau hier muss die globale Geld- und Wirtschaftspolitik aggressiv und überzeugend ansetzen. Es geht darum, einen weltweiten Wirtschaftskollaps zu verhindern? Das Ziel muss es sein, zu verhindern, dass wir in eine Dreissiger-Jahre-Dynamik fallen. Das hat erste Priorität. Es braucht eine aggressive, global abgestützte Geld- und Fiskalpolitik. Unsere Zinssenkung ist ein kleiner Teil davon. Auf dem Wirtschaftsgipfel vor zehn Tagen wurde dies klar erkannt. Auf oberster Staatschefebene wurde grünes Licht gegeben, um zu vermeiden, dass das, was jetzt so oder so kommt, sich noch einmal rückkoppelt, auf den Finanzsektor. Wie das dann konkret geschehen wird, muss jedes Land selber festlegen. Das heisst, nur ein internationales Vorgehen mit massiven Stützungsmassnahmen der Wirtschaft kann einen Dreissiger-Jahre-Kollaps abwenden? Davon scheint man aber noch weit entfernt. Es sind viele Programme in Planung. Zwar ist noch nicht ganz klar, was in den USA gemacht wird, aber die kommenden Massnahmen werden auf jeden Fall sehr weit ­gehen. Die Schweiz hat sehr rasch ein erstes Paket zur Unterstützung der Wirtschaft 42

«Aggressive, global abgestützte Geld- und Fiskalpolitik»: Nationalbanker Hildebrand. Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Gian-Marco Castelberg


bekanntgegeben. Es ist ein sehr schönes Beispiel dafür, dass man in die richtige Richtung geht, vor allem indem man versucht, nicht primär über Steuersenkungen einzugreifen, sondern vermehrt über Infrastrukturprojekte. Ist das vom Bundesrat kürzlich vorgestellte Konjunkturpaket von 340 Millionen nicht ein Tropfen auf den heissen Stein? Das Paket geht in die richtige Richtung. Ich bin überzeugt, dass die Investitionen in den Infrastrukturbereich richtig sind. In Schnellschussaktionen Steuern zu ­senken, funktioniert in einem Umfeld wie dem heu­ tigen kaum. Es ist ein natürlicher Reflex in Zeiten grosser Unsicherheit, dass alles, was an Kaufkraft gewonnen, gespart wird. Ihre Einschätzung ist viel dramatischer, als noch vor ein paar Monaten. Was hat zu diesem Wandel geführt? Wenn man die Wirtschaftsprognosen für Deutschland oder Europa zwischen dem dritten und vierten Quartal analysiert, dann sieht man Revisionen, wie ich sie noch nie erlebt habe – innerhalb weniger Wochen fast zwei Prozent. Die Schweiz ist eine kleine, sehr offene Volkswirtschaft und wird in einem solchen Umfeld zwangsläufig sehr stark tangiert sein. . . . sehr stark tangiert? Wann immer man Aussagen zur Lagebeurteilung der Schweiz macht, muss man die internationalen Entwicklungen anschauen. Die grossen Wirtschaftsblöcke Japan, Europa und die USA stecken in ­einer Rezession, das gab es seit Jahrzehnten nicht mehr. In diesem Umfeld wenig erstaunlich, erleben auch Entwicklungsländer, insbesondere Asien und China, sehr starke Wachstumskorrekturen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Prognosen in diesen drei Regionen auch für 2010 nicht viel besser sind. Es gibt keine Evidenz, dass die Kehrtwende bereits eingetreten ist. Sprechen wir von einer Rezession, Defla­tion oder gar einer Depression, wie in den dreissiger Jahren, in die die Schweiz steuert? Wir stehen vor einem deutlichen Wirtschaftsabschwung und werden im nächs­ ten Jahr negative Wachstumsraten haben. . . . übersetzt heisst das, wir befinden uns in einer Rezession. Warum nehmen Sie das R-Wort nicht in den Mund? Es gibt in der Schweiz keine offiziell anerkannte Definition, was eine Rezession ist. Gemäss der offiziellen Definition in den USA bedeutet eine Rezession zwei aufeinanderfolgende Quartale mit negativem Wachstum. Wann wurde Ihnen eigentlich zum ersten Mal klar, dass da etwas ganz Grosses auf uns zukommt? Ein einschneidendes Erlebnis für mich war der 9. August 2007, mein letzter UrlaubsWeltwoche Nr. 48.08

Bilder: Chris Hondros (Getty Images), Eric Feferberg (AFP)

«Es gibt verschiedene Theorien»: das Ende von Lehman Brothers am 15. September in New York. tag. Ich mag mich noch an all die Dinge erinnern, die man bei solchen Ereignissen im Kopf behält. Da habe ich Spannungen am Geldmarkt gesehen, quasi über Nacht, in ­einer für mich noch nie dagewesenen Form. Das war ein derartiger Schock im System, den man nicht einmal während der AsienKrise gesehen hatte. Seit über einem Jahr dauert die Krise nun an. Wann war die Situation am kritischsten? Durch die Pleite von Lehman Brothers am 15. September waren wir sehr nahe an einem Punkt, an dem das globale Finanzsystem schlicht nicht mehr funktionierte, wir standen sozusagen am Abgrund. Es gibt EU-Politiker, die der Meinung sind, dass die Amerikaner Lehman Brothers pleitegehen liessen, da die Hälfte der Assets der

Bank in Europa lagen, im Gegensatz zu einer AIG? Was genau passierte, ist bis jetzt nicht vollends klar. Es gibt verschiedene ­Theorien. Ich habe die gesamten Hearings gelesen. ­Dar­aus geht nicht klar hervor, was der Grund war. Offiziell wird gesagt, dass es aus rechtlichen Gründen keine andere Möglichkeit gab. Seit Wochen rätselt man, wie schlecht es der UBS und der Credit Suisse wirklich geht. Die UBS und die Credit Suisse sind stark von der globalen Krise tangiert. Der Markt sieht jetzt die Konsequenzen der Krise und hat Angst, dass es Rückkoppelungen auf die Banken geben könnte. Der Aktienkurs kann sich den globalen Entwicklungen nicht entziehen. Aber wir haben hoffnungsvolle Zeichen, dass sich die Lage für die UBS seit dem

«Globale Entwicklungen»: Krisengipfel der G-20-Staaten Mitte November in Washington. 43


Massnahmenpaket entschärft hat. Die UBS war Mitte September in einer schwierigen Situation, man muss jetzt Geduld haben. EBK-Direktor Daniel Zuberbühler scheint da anderer Meinung. Er erklärte jüngst, dass die UBS möglicherweise zusätzliche Staatshilfe benötige, da das Massnahmenpaket nicht ausreiche. Genau so hat er das nicht gesagt. Es scheint mir wichtig, dass jetzt alle Beteiligten auch die notwendige Geduld haben, die bereits erfolgten dezidierten und breit angesetzten Massnahmen wirken zu lassen. Noch einmal – wir sind in der grössten Finanzkrise seit den dreissiger Jahren. Da soll man nicht erstaunt sein, dass über Nacht keine Wunder geschehen. Gerade mitten in der Krise müssen alle Beteiligten die notwen-

der besser geht. Auch in der Schweiz werden Stimmen laut, die für eine solche Lösung plädieren und vorschlagen, im Fall einer Ver­ staatlichung, die SNB mit der Leitung der Bank zu betrauen. Eine Variante für Sie? Diese Frage müssen Sie mit den Politikern diskutieren. Im Rahmen unseres Mass­ nahmenpaketes hat der Staat ganz klar gesagt, man will keinen operativen Einfluss nehmen. Die UBS ist nach wie vor im freien Markt, der Staat ist noch nicht Aktionär. Die toxischen Papiere, welche die SNB von der UBS abgekauft hat, haben mittlerweile fünf Milliarden an Wert eingebüsst. Müssen die Kantone in Zukunft mit niedrigen Dividenden der SNB rechnen? Das ist eine Diskussion, die verfrüht ist. Weshalb kann die SNB diese Operation durch-

Die UBS hat ein Bonus-Malus-System eingeführt, allerdings ohne Höchstgrenzen. Was halten Sie davon? Grundsätzlich geht das UBS-Modell in die richtige Richtung. Ich bin überzeugt, dass noch viele Änderungen vor uns stehen. Die SNB ist stark involviert in das Financial Stability Forum (FSF), das internationale Richtlinien ausarbeitet, um die Langfristigkeit und Risikofaktoren bei Kompensations­ modellen ein Thema werden zu lassen. Wir werden unseren Beitrag leisten und hoffen, dass diese Richtlinien im Frühjahr 2009 von den G-20-Staatschefs verabschiedet werden. In den USA wurden den Verantwortlichen von Lehman Brothers in öffentlichen Hearings die Leviten gelesen. Sollte man dies nicht auch in der Schweiz einführen?

Es wird kalt. Zeit für Fondue.

dige Ruhe bewahren. Denn nur so bleiben wir auch in Zukunft handlungsfähig. Was, wenn die UBS mittlerweile zu einem Schnäppchenpreis von einem Konkurrenten übernommen wird? Es gibt ein paar Hürden. Die 54 Milliarden Dollar, welche die SNB der UBS für die ­illiquiden Wertpapiere zahlt, müssen bei einem Verkauf der Grossbank zurückbezahlt werden. Zudem stellt sich die Frage, wer in diesem Umfeld stark genug ist. Viele Banken, die nicht von der Subprime-Krise betroffen sind, da sie auf das Konsumkreditgeschäft fokussiert waren, sehen nun, dass sie durch die Abschwächung der Weltwirtschaft Probleme bekommen könnten. In Deutschland und in den USA sollen Banken verstaatlicht werden, bis es ihnen wie44

führen? Weil sie als Notenbank langfristig orientiert ist. Insofern spielen für uns kurzfristige Wertschwankungen keine Rolle. In der Geschichte der SNB gab es stets riesige Schwankungen in der Bilanz, wie etwa beim Anstieg des Goldpreises von 200 auf 800 Dollar oder mit den seit Jahrzehnten grossen Wechselkursschwankungen. Aber das ist etwas, das wir absorbieren können. Sie wissen, wir haben nach wie vor beträchtliche Ausschüttungsreserven in der Höhe von 17 Milliarden Franken in unserer Bilanz. Sie geben also Entwarnung für die Kantone und den Bund? Wir haben immer gesagt, allfällige kurz­ fristige Verluste trägt die SNB, in der langen Frist tragen auch die Kantone und der Bund ein Risiko.

Die Schweiz hat eine andere Gesetzeslage und vor allem eine andere Tradition. Bei uns finden solche Hearings grösstenteils hinter geschlossenen Türen statt. Es ist eine Entscheidung des Parlaments, ob man diese öffentlich machen will oder nicht. Nach den Zinssenkungen liegt es nun an den Banken, ob sich Konsumenten, Hausbesitzer, Mieter und Unternehmen günstiger finanzieren können. Was, wenn die Banken besseren Bedingungen nicht weitergeben? Da muss man jetzt den Markt spielen lassen. In der Vergangenheit hat sich das System stets bewährt, und die Leitzinssenkungen haben zu verbesserten Kreditbedingungen geführt. Man muss den Banken jetzt eine Chance geben, und vor allem braucht es von Seiten aller Beteiligten etwas Geduld. Weltwoche Nr. 48.08


Eine Kreditverknappung könnte noch mehr Druck auf die Wirtschaft und die Arbeitsplätze ausüben. Sehen Sie erste Anzeichen dafür, dass Schweizer Banken den Kredithahn zudrehen? Weltweit sehen wir leider in vielen Regio­ nen nicht nur eine Kreditverknappung, sondern eine Kreditkrise. In sehr vielen Ländern funktionieren die Kreditmärkte praktisch nicht mehr. Besonders in den USA, aber auch in Ländern wie Brasilien oder Indonesien. In der Schweiz haben wir diesen Zustand bislang zum Glück nicht. Die Hälfte unseres Bankensystems ist nicht direkt von der Subprime-Krise betroffen, das hilft natürlich. Allerdings können wir uns nur auf Datenreihen bis Ende September beziehen. Wir können

Was hat die Finanzkrise bei Ihnen verändert? Den Rhythmus, das Arbeitspensum, die Nachtruhe. Ein Grossteil der Telefonschaltungen fanden und finden noch immer in der Nacht statt, aufgrund der Zeitverschiebung, wenn es darum geht, mit den amerikanischen Kollegen Informationen auszutauschen. Seit dem August 2007 sind wir alle extrem gefordert, ich mache mir auch um meine Mitarbeiter Sorgen. Das spürt man physisch. Noch nie standen die Schweizer Notenbanker derart im Zentrum der Aufmerksamkeit. Werden Sie mittlerweile auch privat häufig auf die Finanzkrise angesprochen? Es ist schon eine andere Ausgangslage als früher. Ich merke das vor allem im Zug, wenn ich von Zürich nach Bern zur Arbeit fahre. Man wird zwar nicht direkt angespro-

ne Immobilienkrise hatten, die damals von den Banken bezahlt wurde. Natürlich bleibt eine Restunsicherheit, die sich erst zeigt, wenn sich die Konjunktur abschwächt. Wenn Sie einen Wunsch hätten, wie würde dieser lauten? Ich wünsche mir, dass sich die Schweizer Politik auf einen Schulterschluss besinnt. Unser Land steht mit dieser Krise zwangsläufig vor grossen und komplexen Herausforderungen. Um diese zu bewältigen und die sich daraus ergebenden Chancen auch letztlich wahrnehmen zu können, braucht es den Mut, vom Modus der alltäglichen Politik abzukommen und auf einen vereinten Krisenbewältigungsmodus umzustellen. Wie erklären Sie eigentlich Ihrer ­achtjährigen Tochter, was Sie machen?

nicht ausschliessen, dass sich die Kredit­ lage auch in der Schweiz in den kommenden Monaten verschärfen wird. Stark getroffen ist die Schweizer Exportwirtschaft. Wie erklären Sie sich, dass der Franken auf einmal so stark ist? Wir hatten den Safe-haven-Effekt, viele flüchteten sich in den Schweizer Franken, während gleichzeitig in grossen Mengen Carry-Trades aufgelöst wurden. Wir hatten die Exporteure seit längerem davor gewarnt, sich zu sehr auf die Stabilität des Wechselkurses zu verlassen. Doch ist die Situation insgesamt gesehen nicht so dramatisch. Da der Dollar stärker geworden ist, während der Euro schwächer wurde, ist das Wechselkursgefüge aus Schweizer Sicht relativ stabil geblieben.

chen, denn die Leute sind sehr höflich in der Schweiz und wir sind es uns gewohnt, dass selbst die Bundesräte mit dem Zug fahren. Aber man spürt, dass man anders angeschaut wird als früher. Immobilienmärkte in Miami und ­ Chicago haben die Welt schliesslich in eine Krise gestürzt. Könnte dies auch in der Schweiz passieren? Wir sehen in der Schweiz, mal abgesehen von gewissen Regionen wie dem Genfersee, Zürich und Umgebung und den paar berühmten Skiorten, keine Übertreibungen. Das Bild wird natürlich durch die hohe Zuwanderung beeinflusst. Aber wir haben ­keine Hinweise auf extreme Entwicklungen. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass wir vor noch nicht allzu langer Zeit selber ei-

Meine Tochter hat in letzter Zeit nicht verstanden, warum ich so oft weg bin. Ich ­habe ihr erzählt, ich sei so etwas wie ein Feuerwehrmann, der viel zu tun hätte, weil es überall brennt. Das wollte sie auch nicht so recht akzeptieren. Als ich ihr sagte, dass wir letztlich auch Familien und kleinen Kindern helfen würden, mit dem, was wir machen, hat sie es verstanden. Wenn auch immer noch etwas unwillig.

Weltwoche Nr. 48.08

Philipp Hildebrand ist Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank. 2003 wurde er ins Direktorium der SNB gewählt, 2007 wurde er Vizepräsident. Zudem ist der 45-Jährige Mitglied der Group of Thirty, einer hochkarätigen internationalen Verbindung aus Notenbankern und Wissenschaftern.

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Chronik eines Sündenfalls Noch immer fragt sich ein Grossteil der Bevölkerung, wie es mit der UBS so weit kommen konnte. Eine zweiteilige Serie über vorsichtige Banker, finanzielle Würste, Zwänge und die Koinzidenz von Ereignissen, die eine globale Krise hervorriefen. Von Claude Baumann und Kent Barton (Illustrationen) Als der Kurs der Aktie auf fast zehn Franken fiel, war dies ein Fanal. Damit wies die grösste Bank des Landes vergangene Woche einen Bör-­ senwert auf, welcher deutlich unter das Eigen-­ kapital gefallen war. Die Investoren hatten ihr Urteil über die UBS gesprochen, und dies hatte wenig mit der ökonomischen Realität der Bank zu tun, welche zumindest in der welt-­ weiten Vermögensverwaltung noch immer über eine vergleichsweise solide Position ver-­ fügt. Es ist das fehlende Vertrauen, welches den Kurs der UBS ins Bodenlose fallen, dann wieder hochschnellen lässt, wie Anfang dieser Woche, als die Aktie um mehr als 20 Prozent stieg. Gross ist die Nervosität, gering der ­Glaube an die UBS. «Ohne das Vertrauen der Anleger ist mittelfristig jede Banca rotta, also bankrott», konstatiert der emeritierte Zürcher Finanzprofessor Hans Geiger.

und meinte weiter: «Wer weiss schon, was in drei Monaten ist.» So scheint es, dass die UBS nicht aus der Rücklage herauszukommen vermag. Noch ­immer steht ein Grossteil der Bevölkerung ­fassungslos vor der Frage, wie es überhaupt möglich war, dass ein so solides Unternehmen in die Tiefe stürzen konnte. Führte die Gier der Manager zur Destabilisierung der Bank? Oder war die Chefetage angesichts der unvermittelt auftretenden Krise einfach überfordert? Über-­ fordert vom Abstraktionsgrad, den das globale Geldgewerbe in den letzten Jahren erreichte? Anfang dieser Woche gaben die drei ehe­ maligen UBS-Spitzenleute und vollamtlichen Verwaltungsratsmitglieder Marcel Ospel, Ste-­ phan Haeringer und Marco Suter bekannt, auf 33 Millionen Franken ihrer Gehälter zu ver-­ zichten. Von dieser Summe trägt der frühere Präsident Ospel mehr als zwei Drittel. Bereits Anfang November hatte der ehemalige Kon-­ zernchef Peter Wuffli auf zwölf Millionen Franken verzichtet. Ihr Entscheid erfolge frei-­ willig und bedeute kein Schuldeingeständnis im rechtlichen Sinne, liessen die drei Ex-Top-­ manager weiter verlauten. Und sie seien sich bewusst, dass sie mit heutigem Wissen ver-­ schiedene Entscheide anders fällen würden. Muss die Geschichte, nämlich der Sündenfall der UBS, nun neu betrachtet werden?

Als der Sündenfall begann

Marcel Ospel, ehemaliger UBS-Präsident. Eine Bankrotterklärung für die UBS? Ist das denkbar? Die drei Schlüssel im Logo standen einst für Solidität, Globalität und Prosperität. Wofür stehen sie heute noch, nachdem seit Wochen eine Negativmeldung die andere jagt und immer noch schlechtere Befürchtungen auftauchen? Es sei nicht auszuschliessen, dass der Staat nochmals einspringen müsse, sagte der Direktor der Eidgenössischen Banken-­ kommission, Daniel Zuberbühler, am Sonntag 46

Die amerikanischen subprime mortgages, jene zinsvergünstigten Hypothekarkredite an Schuldner schlechter oder fehlender Kredit-­ würdigkeit (subprime), gelten rückblickend als Auslöser der Krise. Der St. Galler Privatban­ kier Konrad Hummler hat diese verbrieften Hypotheken einmal mit Würsten verglichen, die «Gammelfleisch» enthalten. «Die Entwicklung im Finanzsystem über die letzten Jahrzehnte hat viel mit dem Aufbau einer gigantischen Wurstproduktion gemein-­ sam», erklärt er. «Während früher reale Ein-­ zelstücke – Hypotheken oder Geschäftskredite sozusagen als Filets oder Haxen – platziert wurden, wurden diese schönen Stücke mit der Zeit immer mehr zerhackt, vermengt, gewürzt und verpackt. Und statt mit Würsten arbeitete die Geldindustrie mit CDOs (Collateralized Debt Obligations) oder ABS (Asset-Backed ­Securities).» So heissen die Instrumente, wel-­ che die Illusion des risikolosen Gewinns nährten – begünstigt durch tiefe Zinsen in den USA, die üppig vorhandene Liquidität der Investo-­

Peter Wuffli, Ex-CEO. ren, die Passivität der Aufsichtsbehörden und die nie hinterfragte Rolle der Kredit-­RatingAgenturen, die den ständig neuen Spekula­ tionsvehikeln willig ihren Qualitätsstempel aufdrückten. Diese «finanziellen Würste» liessen sich so lange gewinnbringend verkaufen, bis der be-­ rechtigte Verdacht aufkam, es könnte sich um faule Kredite, also «Gammelfleisch» handeln, das – um bei dem Bild zu bleiben – in die Pro-­ duktion eingeschleust worden war. Das erwies sich als Stolperstein für die UBS. Der Niedergang des Unternehmens befrem-­ det nicht nur wegen seiner Geschwindigkeit, sondern auch deshalb, weil der Konzern nie ­etwas anderes sein wollte als eine «langweilige Bank», wie der britische Finanzkolumnist Ian Kerr einmal festgestellt hatte. Tatsächlich war die UBS lange Zeit darauf bedacht, bei ihren Geschäftsaktivitäten nur kalkulierbare Risi­ken einzugehen, nachdem sie aus eigenem Ver-­ schulden klug geworden war: Ihr Engagement beim US-Hedge-Fund LTCM im Herbst 1998 hatte zu einem Milliardenverlust geführt und die gerade fusionierte UBS in ihrem Aufbau massiv zurückgeworfen. Darum gebärdeten sich die operativen Lenker der Bank – Marcel Ospel und später Peter Wuffli – zumindest ­einige Jahre lang so risikoscheu. Ospel lieb­ äugelte zunächst als Konzernchef und später Weltwoche Nr. 48.08


als Verwaltungsratspräsident zwar immer mal wieder damit, die UBS unter die Topbanken an der Wall Street zu positionieren – 1999 dachte er eine Zeitlang sogar an eine Fusion mit der Investmentbank Merrill Lynch – doch im Grunde blieb er in den wichtigsten Geschäfts-­ entscheiden bodenständig schweizerisch. Auch Peter Wuffli, der den Konzern ab Ende 2001 leitete, galt als ein äusserst vorsichtiger

«Die Subprime-Kredite kamen nicht zufällig im Jahr 2003 gross in Mode.» Banker. Warum ausgerechnet dieses Duo an der Spitze der UBS die Bank schliesslich nahe an den Abgrund geführt hat, ist ein Rätsel. ­Peter Wuffli war für eine offizielle Stellung-­ nahme nicht erreichbar. Gegenüber der Weltwoche liess er immerhin verlauten: «Es ist nicht an mir, die Vorgänge in der UBS in den letzten Jahren zu beurteilen. Das Kapitel UBS ist für mich abgeschlossen, und ich habe dazu öffent-­ lich nichts mehr zu sagen. Ich hatte schon wäh-­ rend meiner aktiven Zeit immer grösste Mühe mit Besserwisserei von Ehemaligen aus exter-­ ner Perspektive. In diesen Chor möchte ich nicht einstimmen.» Den Wendepunkt markierte das Jahr 2003. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase, spekta-­ kulären Firmenskandalen in den USA und den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte sich die Welt auf eine lange Rezession eingestellt. Ausserdem drohte ein kriegerischer Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und dem Irak. «Vieles», schrieb die Neue Zürcher Zeitung im Januar 2003, «deutet auf eine tiefe Krise der Finanzmärkte hin», und das Blatt von der Fal-­

John Costas, früherer Investmentbanking-Chef. Weltwoche Nr. 48.08

kenstrasse sah «kaum Anzeichen einer bal-­ digen Erholung». Die psychologische Kehrt-­ wende kam jedoch rascher als erwartet. Einige Tage vor dem Ausbruch des Irakkriegs, im März 2003, stiegen die Börsenkurse plötzlich wieder. Und als am Fernsehen die ersten Bilder vom Angriff der amerikanischen Armee zu sehen waren, legten die Kurse auf breiter Front zu. Wie so oft an den Finanzmärkten, zählten kaum mehr Fakten, sondern die Erwartung zukünftiger Profite. Und das hiess im Falle des Irak-Konflikts: Der Krieg ist Teil der Lösung, der erste Schritt, diese geopolitische Lage in den Griff zu bekommen. Diese Aussicht beflü-­ gelte die Börse und ebnete den Boden für Spe-­ kulationen im grossen Stil. «Die SubprimeKredite kamen nicht zufällig im Jahr 2003 gross in Mode», erinnert sich Rainer Skierka, Finanzanalyst bei der Bank Sarasin.

genannt, und peilte sehr vermögende Privat-­ kunden an. Um diesem Investitionsvehikel einen grossen Aktionsradius zu ermöglichen, lockerte die UBS sogar bislang gültige Risikobestimmungen. Dies geht aus einer Verlautbarung vom Okto-­ ber 2004 an Aktionäre und Finanz­analysten hervor. Darin gab die Bank bekannt, dass sie

Marktführerin Credit Suisse Es war die Credit Suisse (CS), welche damals ­erfolgreich und aggressiv in diesem Geschäft expandierte. Zwischen 2003 und 2005 stieg die zweite Schweizer Grossbank zur Marktführe-­ rin auf: Der Gesamtmarkt war damals innert kurzer Zeit von 100 auf fast 500 Milliarden Dollar angewachsen. Zeitweilig hielt die CS ­einen Anteil von zehn Prozent an diesem Busi-­ ness. «Es war ein lukratives Geschäft mit sehr hohen Margen», erinnert sich Paul Calello, heute Investmentbanking-Chef der CS. Die UBS hingegen pflegte damals ihren Ruf als «langweilige Bank». Erst Ende 2004 stieg sie, sehr behutsam, in das Subprime-Business ein. Den Anstoss gab der damalige UBS-Händ-­ ler Michael Hutchins. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte er auf fallende Zinsen spekuliert und so einen Haufen Geld verdient. Später gelang ihm mit der Verbrie-­ fung von Hypothekarkrediten ein weiterer Coup. Er ortete ein grosses Potenzial, und so schlug er 2004 seinem Vorgesetzten, dem da-­ maligen Investmentbanking-Chef der UBS, John Costas, vor, einen Hedge-Fund zu grün-­ den, um diesem Geschäft eine grössere Dimen-­ sion zu geben. Mit diesem Ansinnen stiess er bei der UBS-Spitze zunächst auf Widerstand, da die Banker in der Zürcher Zentrale nicht ­bereit waren, höhere Risiken einzugehen. Dann geschah etwas Unerwartetes: John Costas, der US-Star im UBS-Investmentban-­ king drohte mit Kündigung, und die Invest-­ mentbank Morgan Stanley war auf der Suche nach einem neuen Chef. UBS-Chef Wuffli ­befürchtete, bei einem Abgang von Costas Dutzende von amerikanischen Kunden zu ver-­ lieren. Also versuchte er, sich mit dem Chef ­Investmentbanking zu arrangieren. Man offe-­ rierte dem Amerikaner die Leitung eines neu zu gründenden Edel-Hedge-Fund. Costas er-­ hielt sogar die Erlaubnis, die besten Händler der UBS mitzunehmen. Das neue Vehikel hiess Dillon Read Capital Management, kurz DRCM

Marcel Rohner, Konzernchef. die Bemessung ihrer Risiken im Finanz­geschäft revidiert habe. Den Entscheid in dieser un-­ scheinbaren Meldung begründete die UBS mit der stark wachsenden Bedeutung sogenannter Asset-Backed Securities (ABS). In dem Schrei-­ ben fallen zwei Dinge auf: Der Methoden-­ wechsel war von der Eidgenössi­schen Banken-­ kommission, der Aufsichtsbehörde der Banken, genehmigt worden. Und dies bedeutete, dass es in dieser Sache vorgängig auch einen Be-­ schluss des UBS-Verwaltungsrats gegeben ­haben musste. Das bestätigt die UBS: «Die ­Modelländerung wurde vom Risikoausschuss der Konzernleitung, vom Verwaltungsratsprä-­ sidium und von der Bankenkommission ge-­ nehmigt.» Es war also die UBS-Spitze selber, die 2004 ein verstärktes Risikoengagement im amerikani­schen Geschäft mit Kreditderivaten absegnete. Sie hätte also über die Risiken in-­ formiert sein müssen.

Fehlende Gesamtsicht Weshalb ist dies unterblieben? Dafür gibt es verschiedene Gründe: Erstens bestand der Ver-­ waltungsrat der UBS damals nur aus ­ einer Handvoll Finanzexperten, die es versäum­ten die kritischen Fragen zu stellen. Zweitens: Mit seinem dreiköpfigen Chairman’s Office hatte UBS-Präsident Ospel so etwas wie einen Kom-­ mandostand innerhalb des Verwaltungsrats 47


geschaffen. Es liesse sich auch sagen: Die­ses kleine Gremium besass ein (zu) geringes Mass an Kontrolle. Später, als die UBS die ­Vorgänge rund um die Subprime-Krise untersuchte und für die Aktionäre einen Bericht abfasste, wurde gewissermassen protokollarisch festgehalten, dass eine Gesamtsicht der Subprime-Risiken nicht existierte und das Thema in der Zürcher Zentrale auch zu wenig diskutiert wurde. Als praktisch erste Amtshandlung zerschlug der neue UBS-Präsident Peter Kurer das Chairman’s Office des Vorgängers. Marcel Ospel selber war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Falsche Sicherheit macht leichtsinnig Im Jahr 2005 legte der Hedge-Fund DRCM von Manhattan aus los, und da die Erträge zu-­ nächst üppig flossen, verdienten manche aus Costas’ Team bis zu 50 Millionen Dollar im Jahr. Doch schon 2006 begannen die Preise für Eigenheime in den USA erstmals seit langem zu sinken; es kündigte sich das Ende der Party an. «Die Entwicklung der Immobilienpreise ist schwerfälliger und damit berechenbarer als Aktienkurse», sagte der Yale-Professor Robert Shiller. Die fallenden Preise hatten zur Folge, dass erste Hausbesitzer in Zahlungsnot gerie-­ ten und Banken wie Credit Suisse oder Gold-­ man Sachs aus dem Geschäft ausstiegen. Nicht so die UBS. 2006 wurde mit über zwölf Milliarden Fran-­ ken Gewinn noch zum Rekordjahr für die Bank, und nichts schien die Zuversicht trüben zu können. «Wir haben gute Aufträge», sagte Konzernchef Wuffli, «das Investitionsklima ist nach wie vor gut.» Der Optimismus des Chefs und die smarten Jungs von Costas – oft wurde später diese Kombination als krisenver-­ schärfendes Element gegeisselt. Nicht ganz zu Recht. Innerhalb der UBS existierte eine Trup-­ pe von Investmentbankern, die an einem zwei-­ fachen Malus litten – sie hatten es nicht bis in Costas’ Entourage geschafft und blickten mit Neid auf deren ­ finanziellen Erfolg. Hinzu kam, dass die Handelserträge innerhalb der UBS nach dem Über­tritt der besten Köpfe zu Costas massiv zu schrumpfen drohten. Schlecht für die Boni der Verbleibenden, und so galt es, gegen den zu erwartenden Wohlstandsverlust etwas zu unternehmen. Was lag da näher, als es Costas und seinen Leuten gleichzutun und in die gleichen Ge-­ schäfte zu investieren? Nun rächte sich, dass niemand die fehlgeleiteten Bewertungen ­(Triple-A) der Rating-Agenturen hinterfragte und so auch die damit einhergehende Potenzie-­ rung der Risiken. Berauscht von der Vorstel-­ lung, dereinst zur Nummer eins an der Wall Street aufzusteigen, merkten die UBS-Leute nicht, dass der US-Immobilienmarkt am Dre-­ hen war und DRCM seine Engagements bereits abbaute. In Zürich, in der UBS-Zentrale, wähnten sich die Chefs in falscher Sicherheit. In Tat und Wahrheit befanden sich die faulen 48

Banken

Profilsucht des Beamten Der Finanzplatz hat ein grösseres Kommunikationsproblem. Eine Task-Force muss her. Von Claude Baumann An sich war Daniel Zuberbühlers Aussage unmissverständlich. Nüchtern betrachtet, sei es nicht auszuschliessen, dass der Staat bei der UBS nochmals einspringen müsse, erklärte der Direktor der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK) am Wochen­ende in der Sonntagszeitung. Weiter sagte er: «Wenn man die Marktentwicklung anschaut, ist es tatsächlich eine offene Frage, ob unser Massnahmenpaket ausreichen wird. Wer weiss schon, was in drei Monaten ist.» Angesichts dieser klaren Sprache war es kaum verwunderlich, dass Zuberbühlers Feststellungen sogleich neue Spekula­tionen über den wahren Zustand der grössten Schweizer Bank nährten und als Ankündi-­ gung für ein Hilfspaket verstanden wurden, wie dies etwa SP-Ständerätin Simo­netta Sommaruga im Tages-Anzeiger ausführte. Bei der UBS hielt man Zuberbühlers Äus-­ serungen zunächst für einen «kommuni-­ kativen Unfall», den man nicht kommen-­ tieren wollte; am Montag beeilte sich dann ein Sprecher zu erklären: «Die UBS sieht für den Moment keine Notwendigkeit ­einer weiteren Kapitalspritze.» Die EBK selber unterstrich, dass sich diese Frage im Mo-­ ment nicht stelle. Direktor Zuberbühler habe im Interview darauf hingewiesen, dass angesichts der Erfahrungen der letz-­ ten Monate und je nach Entwicklung der

Situation an den Finanzmärkten eine der-­ artige Massnahme für die Zukunft ­ auch nicht a priori ausgeschlossen werden könne, sagte EBK-Sprecher Tobias Lux. Hin­ter den Aussagen stecke keine Strategie. In der Bankbranche selber sorgten die kritischen Töne aus dem Büro der Aufsichts-­ behörde für Ärger, da im Moment eher ver-­ trauensbildende Massnahmen erwünscht sind. In der Tat deuten Zuberbühlers Aus-­ sagen auf ein altes und tiefgreifendes Pro-­ blem auf dem Schweizer Finanzplatz hin: Man spricht nicht mit einer Stimme, oder anders gesagt: Die Rollenabgrenzung zwi-­ schen den wichtigsten Institutionen, näm-­ lich Bundesrat, Nationalbank und Banken-­ kommission, ist unklar. So herrscht der Eindruck einer gewissen Profilierungs-­ süchtigkeit. Mal prescht die SNB in Sachen Regulation vor oder nimmt die Kantonal-­ banken ins Gericht, dann wieder relativiert Bundesrätin Doris Leuthard in ihrer Funk-­ tion als Volkswirtschaftsministerin jegliche Rezessionsanzeichen in diesem Land oder geht auf Tauchstation, während nun der EBK-Direktor mit seinen Statements für mehr Verwirrung als Aufklärung sorgt. Und schliesslich relativiert Philipp Hildebrand, seines Zeichens Vizedirektor der Schweize-­ rischen Nationalbank, Zuberbühlers Aus-­ sagen, indem er gegenüber der Weltwoche erklärt: «Genau so hat er [Zuberbühler] das nicht gesagt» (s. Interview Seite 42).

Instabiles Bild

Lagebeurteilung: EBK-Chef Zuberbühler.

Mit seiner verzettelten Lagebeurteilung nimmt der Schweizer Staat seine politische Verantwortung zu wenig wahr und über-­ trägt so auf den Schweizer Finanzplatz ein instabiles Bild, wodurch dieser umso ver-­ wundbarer wird, nicht zuletzt auch gegen-­ über den notorischen Attacken aus dem Ausland. Die jüngsten Turbulenzen sind ein wei-­ terer Beweis dafür, dass die Schweiz eine Task-Force für den Schweizer Finanzplatz braucht, ein Expertenteam mit Vertretern aus Politik, Finanzbranche, inklusive Schweizerischer Nationalbank, Behörden und weiterer einflussreicher Persönlich-­ keiten. Ein solches Gremium könnte mit einer Stimme und zeitlich koordiniert die Positionen der Schweiz im In- wie auch im Ausland verdeutlichen. Denn Handlungs-­ bedarf besteht an allen Enden. Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Yoshiko Kusano (EQ Images)


Die Zentrifugalkräfte der Krise erfassten auch die Teppichetage der Bank: Konzernchef Peter Wuffli quittierte den Job, nachdem er in der Nachfolgeregelung im Verwaltungsrat nicht berücksichtigt worden war, an seiner Stelle übernahm Marcel Rohner das Ruder.

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Kredite unter dem Radar. Die Kreditrisiken waren teilweise bis zur Unkenntlichkeit ver-­ brieft, so dass manche Banker nicht mehr in der Lage waren, die Bonität eines Schuldners wirklich zu überprüfen Im Frühjahr 2007 dämmerte es Costas vollends, dass die Subpri-­ me-Kredite am Ende waren. Doch Wuffli wählte

zur Schadensbegrenzung den Weg des gerings-­ ten Widerstands: Der DRCM-Fond wurde dicht gemacht und Costas’ Crew wieder in die Bank transferiert. Der Rest ist Geschichte, die spätere Subprime-Krise erfasste die UBS mit unvermuteter Wucht und stürzte die Bank in die Tiefe.

Dann mussten weitere Konzernleitungsmit-­ glieder gehen, und nach wiederholten Milliar-­ denabschreibern verliess auch der Architekt der UBS, Marcel Ospel – der Mann mit dem ausgeprägten Trieb für Machterhaltung – das Unternehmen. Er hatte die Bank ähnlich do-­ miniert wie einst ein Alfred Schaefer die SBG, auch wenn Ospel die Kultiviertheit, das leiden-­ schaftliche Interesse an Geschichte und Kunst des grossen Gestalters der Bank abgeht. Beide haben sie für die Firma einen Quantensprung vollbracht: Schaefer hat in den sechziger Jah-­ ren die alte SBG zur grössten und internatio-­ nalsten Schweizer Bank gemacht; Ospel die UBS zur globalen Bank und grössten Vermö-­ gensverwalterin weltweit. Schaefer gilt als grösster Schweizer Banker des 20. Jahrhun-­ derts; für Marcel Ospel dürften die historischen Urteile dereinst wesentlich unvorteilhafter ausfallen. Nächste Woche: Der Neuanfang. Wohin Peter Kurer die UBS steuert.

Was, wenn immer mehr Leute in Ihre Region ziehen? Müssen dann die Schulen in Ihrer Gemeinde vergrössert werden?

Dranbleiben. Mit dem Tages-Anzeiger inklusive täglichem Regionalbund. Für die Regionen «Stadt Zürich», «Zürcher Oberland», «Zürcher Unterland», «Zürichsee linkes Ufer und Sihltal» oder «Zürichsee rechtes Ufer». www.tagesanzeiger.ch/abo

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Keusche Sexiness Es ist die Modeschau der Superlative, gerade weil so wenig Stoff zu sehen ist: die alljährliche Show des Dessouslabels Victoria’s Secret. Von Nadja Knup 1965 wurde Bob Dylan während einer Presse­ konferenz gefragt, für welche kommerziellen Zwecke er sich verkaufen würde. «Damen­­un­ terwäsche», antwortete er. Fast vierzig ­ Jahre später hielt er Wort und trat in einem Werbe­ spot für den amerikanischen Wäschegiganten Victoria’s Secret auf. Später kam dann zwar auch noch Cadillac, aber da ging es wahr­ scheinlich bloss um Geld. Beim Spot für Victoria’s Secret hingegen ging es um die halb­ nackte Adriana Lima. Das brasilianische Super­ model schwebt nur mit Unterwäsche, High Heels und riesigen Engelsflügeln bekleidet durch einen venezianischen Palazzo, während Dylan mit teuflischem Spitzbärtchen und düsteren, kajalumrundeten Augen im Hinter­ grund herumlungert und «Love Sick» lechzt. Das Konzept von Victoria’s Secret ist so simpel wie erfolgreich: Letztes Jahr wurde mit dem wenigen Stoff 5,6 Milliarden Dollar Umsatz gemacht.

Diamant-BH aus 4000 Steinen Bei solchen Zahlen kann man sich getrost ein paar Extravaganzen gönnen. Zum Beispiel eine Horde Supermodels, die das Unternehmen als sogenannte Victoria’s Secret Angels repräsen­ tieren. Oder einen 30-Sekunden-Werbespot während des Super Bowl für 2,7 Millionen Dol­ lar. Oder aber eine Fashion Show, die alle ande­ ren Modeschauen wie bil­lige Kompromisslö­ sungen aussehen lässt. Letz­tes Jahr haben das Spektakel siebeneinhalb Millionen Menschen mitverfolgt. Die Victoria’s Secret Show ist keine einfache Modeschau, sondern ein Gross­ereignis, «der Lingerie-Event des Jahrhunderts», wie die erste Show 1995 von der Presse genannt wurde. Bloss dass sich «der Jahrhundert-Event» seit­ her jedes Jahr aufs Neue selbst übertrifft. Mehr als acht Monate arbeiteten die Designer letztes Jahr an den Kostümen der Models, Schuh­ könig Christian Louboutin kreierte ­ eigens für die Show 75 High-Heel-Sonder­modelle, und ein 42-köpfiges Team schuftete Monate, bloss um die elf Engelsflügel zu fertigen, mit denen die «Angels» über den Catwalk schwebten. Um die ganze Bagage aus Kostümen und Kartons voller Make-up von New York zur Show nach Los Ange­ les zu transportieren, musste das Unternehmen ein DC-9-Cargo-Flugzeug chartern.Und dann ist da natürlich auch immer das Unterwäscheset, das alljährlich von einem Juwelier gefertigt wird. Dieses Jahr besteht der Diamant-BH aus rund 4000 Steinen, darunter zwei 100-karätige schwar­ ze Diamanten. Ein nettes Weihnachtsgeschenk für schlappe 5 Millionen Dollar. 50

Natürlich werden für ein solches Spektakel nicht irgendwelche Models verpflichtet. Man wählt jene, die für den Laufsteg zu dick sind, oder, charmanter ausgedrückt: zu kurvig. An knochigen Kinderkörpern kommt ein Dia­ mant-BH ja auch nicht optimal zur Geltung. Für Victoria’s Secret laufen deshalb jene Mo­ dels, die nicht anecken, die einem durch­ schnittlichen Schönheitsideal entsprechen und gesund aussehen. Sind sie noch nicht be­ rühmt, sind sie es spätestens nach der Show, den Medien sei Dank. So viel geballte Publizi­ tät gibt’s sonst auf dem Laufsteg nicht einmal an den Prêt-à-porter-Schauen von Paris und Mailand. Sex sells, das gilt für die Mode genau­ so verlässlich wie in allen anderen Bereichen. Ohne Victoria’s Secret wäre Heidi Klum wahr­ scheinlich heute noch eines von Millionen Ka­ talogmodels. Stattdessen lief sie 1997 für Victoria’s Secret über den Laufsteg und mu­ tierte über Nacht zum Über-Model – zum Model, das Millionen macht. Victoria’s Secret schafft das Kunststück, Sex zu verkaufen und doch so ganz und gar asep­ tisch daherzukommen. Es ist kein Zufall, dass Heidi Klum als Aushängeschild dient, sie ist patent, sauber, brav. Da gibt es keine Skandale, keine Abstürze, Abgründe sind der Welt von Victoria’s Secret fremd. Man verkleidet Frauen als Engel und verschleiert so die Botschaft, um die es bei Dessous geht: um Verführung und um Sex. Das mag einen grossen Anteil des Er­ folges ausmachen: Frauen, die Victoria’s Secret tragen, dürfen sich ein wenig frivol fühlen, sexy sogar, aber eben nur ein bisschen, man ist schliesslich anständig. Victorias Secret ist qua­ si familientauglicher, keuscher Sex. Im Unter­ schied etwa zur britischen Marke Agent Provo­ cateur, die diesbezüglich viel ehrlicher, viel direkter ist: Ihre Werbungen sind verrucht, die Frauen schauen provozierend in die Kamera, sie spielen mit der Macht, die ihnen die Des­ sous verleihen. Was sie tragen, ist nicht exorbi­ tant teuer oder herzig, sondern deutlich. Frau­ en in Agent Provocateur fordern, Frauen in Victoria’s Secret nicht. Dennoch wird die amerikanische Federal Communications Commission jedes Jahr mit Beschwerden überschüttet, eine Strafe wurde jedoch noch nie verhängt. Nur einmal wurde die Show abgesagt – und das ausgerechnet we­ gen zu viel nackter Haut: Nachdem Janet Jack­ son beim Super Bowl 2004 ­während der LiveÜbertragung mit ihrer entblössten Brust für Furore sorgte, verzichtete Victoria’s Secret noch mehr Haut öffentlich freizulegen. Als

Victoria’s Secret 2007 wieder auf der Leinwand auftauchte, wurde der Spot mit 103,7 Millio­ nen Zuschauern zum meistgesehenen der Ge­ schichte.

Cashcow in Unterwäsche Zu verdanken hat die Welt Victoria’s Secret der Schamhaftigkeit von Roy Raymond. Er fand es schlicht peinlich, für seine Frau Unterwäsche zu kaufen. Er sah Handlungsbedarf und eröff­ nete 1977 die erste Lingerieboutique, die voll­ kommen auf Männer als Käufer ausgerichtet war. Victoria’s Secret nannte er den maskulin eingerichteten Shop im viktorianischen Stil und liess die sexy Ensem­bles wie Kunstwerke in Rahmen an die Wand hängen. Der Mann traf seine Wahl und konnte die Suche nach Grösse und Farbe danach der Verkäuferin im Hinterzimmer überlassen. Offenbar war Roy nicht der Einzige, der gerne für seine Frau Un­ terwäsche kaufte. Im ersten Jahr machte Victoria’s Secret eine halbe Million Dollar Um­ satz, und fünf Jahre nach der Gründung verk­ aufte Roy seine mittler­weile sechs Läden für vier Millionen Dollar. Ein schlechtes Geschäft, wie sich später zeigen sollte. Victoria’s Secret flog hoch, Roy Raymond fiel tief: Sein neues Projekt ging bankrott, er selbst wurde später im Alter von 47 Jahren tot in der San Francisco Bay gefunden. Für den Käufer hingegen zahlte sich Victoria’s Secret aus. Als Leslie H. Wexner den Wäsche­ laden 1982 kaufte, war er bereits mit seinem Damenbekleidungsunternehmen The Limited erfolgreich – bloss Unterwäsche fehlte noch in seinem Portfolio. Wexner hatte die ­Vision, den leidigen weissen Baumwollschlüp­fer zu einem Stück Fashion zu machen, experimentierte mit Farben, Formen und später mit Neuerungen wie nahtloser Wäsche oder Gel-gepolsterten Push-up-BHs und revolutionierte damit kur­ zerhand die amerikanische Damenunterwä­ sche. Heute macht «Limited Brands» jährlich rund 10 Milliarden Dollar Umsatz – gut die Hälfte davon durch Victoria’s Secret. Die winzigen Stoffmengen mit dem poli­ tisch korrekten Image haben ihn gemäss dem Magazin Forbes auf Platz 147 der 400 reichsten Amerikaner katapultiert.

Die Victoria’s Secret Fashion Show wird am Mittwoch, 3. Dezember, um 22 Uhr Ortszeit auf CBS übertragen. Im Internet Hören Sie diesen Artikel auf www.weltwoche.ch/audio Weltwoche Nr. 48.08


«Angels»: Victoria’s Secret Fashion Show in Miami Beach, 2008. Weltwoche Nr. 48.08

Bilder: (2) Jeffrey R. Staab (CBS, Landov, Keystone)

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«Idee einer grossen Bescheidenheit» Claude Lévi-Strauss gilt als einer der einflussreichsten Intellektuellen überhaupt. Ein exklusives ­Gespräch zum hundertsten Geburtstag des Ethnologen und Philosophen über seine Vorstellung vom Menschen, die Bedeutung Marx’ und die Besonderheiten der japanischen Küche. Von Jürg Altwegg Sie wurden am 28. November 1908 in Brüssel geboren. Hat die Tatsache, einer jüdischen Familie zu entstammen, Sie geprägt? Ich kann nicht sagen, dass mich die Zuge­ hörigkeit zu einer jüdischen Familie ge­ prägt hätte. Gewiss, mein Grossvater war sehr gläubig und hatte grosse Ehrfurcht vor der Religion, aber seine Frau war sehr libe­ ral. Meine Eltern, meine Tanten, ­ meine Onkel – die übrigens nicht alle Juden wa­ ren – gehörten zu den Ungläubigen, und für mich war die Religion etwas, was man als soziale Geste respektieren muss, um den Grossvater nicht zu kränken. Meine Eltern waren ungläubig, und ich war und bin es ebenfalls. In den zwanziger Jahren, als Student, ­waren sie politisch engagiert. Was bedeu­ tete es ­damals, Sozialist zu sein? Wir wollten, wie viele Jugendliche, die Welt verbessern. Mehr Gerechtigkeit, mehr Frieden, mehr Brüderlichkeit, ein verbes­ sertes Gleichgewicht. Na ja, das war ganz und gar ideologisch, utopisch. Es war eine intellektuelle Illusion: der Glaube, dass die soziale Ordnung gedacht und nach gewissen rationalen Prinzipien gestaltet werden kann. Sie arbeiteten für den Sozialisten Georges Monnet, der später Minister ­wurde. Ja, ich musste meinen Lebensunterhalt früh selbst verdienen. Mein Vater war Porträtmaler, und das war nicht sehr ein­ träglich. Zuerst arbeitete ich als Rund­ funksprecher. Dann hörte ich, die Partei suche einen intellektuell beschlagenen Sekretär für Monnet, der selber über keine ideologische Bildung verfügte. Mei­ ne damaligen Kenntnisse der Doktrin ­waren besser als die vieler anderer, denn ich hatte «Das Kapital» mehrmals gelesen, und die Lektüre ist ja nicht gerade leicht. Ich ging dann zwar 1935 nach Brasilien, aber innerlich war ich immer noch voller Enthusiasmus. Ich hoffte, dass man mich nach Paris zurückholen und in ein Minis­ terkabinett berufen würde, um zu den leitenden Leuten zu gehören. Das ist nicht eingetreten, die Abwesenden sind immer im Unrecht. Glücklicherweise – denn das wurde zu einem entscheidenden Element meiner beruflichen Laufbahn. Sonst wären Sie Politiker geworden? Das ist sehr wahrscheinlich. Wenn mich Georges Monnet, zum Minister geworden, 52

gerufen hätte, wäre ich ihm gefolgt und viel­ leicht Direktor seines Kabinetts geworden. Wären Sie ein guter Minister geworden? Na hören Sie, das wäre die langfristige Per­ spektive gewesen, und im Rückblick der Jahre muss ich sagen: Nein, ich wäre ein sehr schlechter Politiker gewesen. Was hat Sie dazu bewogen, 1935 nach Brasi­ lien zu gehen? Ich hatte gleichzeitig Recht und Philosophie studiert. 1931/32 war ich bei der Armee, im Jahr darauf begann ich meine Laufbahn als Lehrer, und so sehr ich meinen Unterricht im ersten Jahr mit Begeisterung gestaltete, so sehr wurde mir im zweiten Jahr bewusst, dass ich keine Lust hatte, Jahr um Jahr eine kaum veränderte Vorlesung zu wiederholen. Und seit meiner Kindheit hatte ich grossen Gefallen an Abenteuern. Das äusserte sich in bescheidenem Rahmen in Camping-Expe­ ditionen. Ich reiste also nach Brasilien, um Ethnologe zu werden, die Welt zu sehen und mit einer Natur, die noch unberührter, noch wilder war als die, die ich kannte, in Berüh­ rung zu kommen. War die Ethnologie und ihre Ausbreitung mit der Entwicklung des Kolonialismus ­verknüpft? Das hängt von der Perspektive ab. Die ethno­ logische Neugierde ist etwas sehr Altes. Es gab sie bei den Griechen, mit Herodot, der sich für die Bräuche und Sitten der Völker interessierte. Sie entwickelte sich während der Renaissance weiter – mehr mit den gros­ sen Entdeckungsreisen als mit dem Beginn des Kolonialismus. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass sich die Ethnologie im 19. Jahr­ hundert im Schatten des Kolonialismus ent­ wickelte. Es war einerseits die Präsenz von Verwaltern, Missionaren, Militärs, welche es den Ethnologen ermöglichte, ihre For­ schungen vor Ort zu betreiben. Anderseits erleichterte es die kolonialistische Perspek­ tive, die sogenannt primitiven Völker zum Gegenstand des theoretischen Denkens zu machen. Sie waren keine Subjekte, sondern Objekte der kolonialen Herrschaft, und man konnte sie leichter als solche betrachten. Es gab also ein Zusammentreffen von Ethno­ logie und Kolonialismus; aber es ­waren von allem Anfang an ebenfalls die Ethnologen, die – obwohl sie im Schatten der Kolonia­ listen in diese fernen Länder eindrangen – die kolonialistische Herrschaft kritisierten. Sie waren die Ersten, die etwas zum Schutz

der Bräuche, Überzeugungen, ­Institu­tio­nen, welche der Kolonialismus zu zerstören trach­ tete, unternahmen. Ihren Anstrengungen ist es zu verdanken, dass die Völker, die in­ zwischen unabhängig geworden sind, die Erinnerung an ihre Vergangenheit finden können. Es gibt da zwiespältige Zusammen­ hänge. Die Entwicklung der Ethnologie wurde vom Kolonialismus begünstigt, gleich­ zeitig aber denunzierte sie ihn und kämpfte gegen seine Folgen. Sie haben sehr viel über Mythen geschrieben. Was ist eigentlich ein Mythos? Ein Mythos ist eine Geschichte, welche Völ­ ker, die nicht über die Schrift verfügen, er­ zählen, um sowohl ihre Herkunft wie auch den gegenwärtigen Zustand ihrer Lebens­ bedingungen zu erklären und um die Zu­ kunft ihrer Existenz zu rechtfertigen. Ne­ ben dieser zeitlichen Perspektive gibt es noch ­ eine andere: Der Mythos ist der Ver­ such, mit globalen, einheitlichen Mitteln auf verschiedenste Arten von Problemen, die auf spe­zielle Wissenschaften verweisen, zu reagieren. Was ich damit sagen will: Der

«Der Mythos versucht, eine totale Antwort auf Probleme zu geben.» Mythos beantwortet gleichzeitig die Frage, warum sich die Sonne in einer bestimmten Distanz zur Erde befindet (nicht zu nah, weil sonst die Erde verbrennen würde; nicht zu weit, weil sonst die ewige Nacht und der ewige Winter herrschen würden), und, wa­ rum es gut ist, seine Frau nicht zu nah – das wäre dann der Inzest – zu suchen, und nicht zu weit, weil man dann eine Fremde, die zur Feindin würde, ehelichen würde, sondern in der richtigen Distanz. Und so weiter. Der Mythos versucht, eine totale Antwort auf Probleme zu geben, zu deren Lösung wir spezifische Wissenschaften wie die As­ tronomie, die Meteorologie, die Soziologie haben. Lässt er sich in den primitiven Gesellschaften leichter analysieren als in den sogenannt ­zivilisierten? Wir haben eigentlich keine Mythen mehr – eben weil wir zur Lösung eines jeden Pro­ blems eine besondere Wissenschaft bemü­ hen. Der Anspruch einer totalen Erklärung des Universums und gleichzeitig der Ge­ Weltwoche Nr. 48.08


«Ich wäre ein sehr schlechter Politiker gewesen»: Denker Lévi-Strauss, 100. Weltwoche Nr. 48.08 Bild: Pascal Pavani (AFP)

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sellschaft ist uns verlorengegangen.Wenn man das streng weiterdenkt, bedeutet das, dass in den zeitgenössischen Gesell­ schaften das mythische Denken nicht mehr möglich ist – ausser in einem begrenzten Fall: der Geschichte. Was wir in Tat und Wahrheit von der Geschichte erwarten – ich spreche nicht von den Historikern, die Wissenschaftler sind, welche ich sehr respektiere –, was wir, die Menschen von der Strasse, durchschnittliche Leute, was

«Die Gattung, die wir Mensch nennen, ist eine Art optischer Täuschung.» wir von der Geschichte erwarten, ist, dass sie uns gleichzeitig die Vergangenheit erklärt und die Gegenwart und dass sie unsere Haltung bezüglich der Zukunft legitimiert, und dies in Funktion unserer Deutung der Vergangenheit. Für einen Franzosen ist der Sinn, den er der Fran­ zösischen Revolution gibt, ein anderer, je nachdem ob er politisch links oder rechts steht. Entweder hält er sie für den Beginn eines grossen Abenteuers, das weitergehen soll, oder aber für einen Irrtum, dessen Nachteile repariert werden müssen. Aus der zeitlichen Perspektive betrachtet, ha­ ben wir von der Geschichte eine noch sehr mythisch geprägte Vorstellung. Es gab dann das grosse Abenteuer des Struk­ turalismus. Sie haben ihn einmal als Mode bezeichnet. Was war er auch noch – eine Me­ thode, eine Philosophie, eine Ideologie? Er war sicher weder eine Philosophie noch eine Ideologie, aber mehr als eine Metho­ de.Was man Strukturalismus genannt hat, ist nichts anderes als der Versuch, im Bereich der Human- und Sozialwissen­ schaften erkenntnistheoretische Regeln anzuwen­den. Regeln, die in den – sagen wir fort­geschritteneren – wissenschaft­ lichen Disziplinen selbstverständlich sind. Das heisst: einerseits die Einsicht, dass wir es mit Erscheinungen, die sehr komplex sind, zu tun haben und dass es ­unmöglich ist, sie anzugehen, ohne sie zu verein­ fachen, gut zu vereinfachen. Und dass anderseits angesichts der extrem kom­ plizierten Phänomene, die in den Sozial­ wissenschaften noch sehr viel komplexer sind als in den Naturwissenschaften, die so kompliziert sind, dass wir sie beschrei­ ben müssen, ­ohne sie verstehen zu können – dass man immerhin, wenn man sich auf eine bestimmte Ebene der Beobachtung begibt, feststellen kann, dass die Bezie­ hungen zwischen den Erscheinungen sehr viel einfacher sind als die Phänomene selbst und dass es deshalb wichtig ist, zu­ erst die Beziehungen zwischen den Dingen 54

zu untersuchen, selbst wenn wir diese Dinge an sich nie in ihrer Tiefe werden verstehen können! Wir werden in den Human- und ­Sozialwissenschaften nie eine Exaktheit erreichen, welche sich mit der Wissenschaft­ lichkeit der Physiker oder Biologen verglei­ chen liesse. Die Natur unseres Forschungs­ objekts schliesst es aus – die Unmöglichkeit des Menschen, sich gleichzeitig als Subjekt und als Objekt zu denken. Sie haben sehr früh Marx gelesen. Aber ideo­ logisch hat der Marxismus Sie nie in Versu­ chung geführt? Na ja, in meiner sozialistischen Periode, in meinen sehr jugendlichen Jahren schon. Was ich von Marx bewahre, sind zwei Einsichten. Marx hat uns gezeigt, dass sich das soziale und das individuelle Bewusstsein selbst betrügt und ständig belügt. Marx stellt in den Sozial- und Human­wissenschaften eine Revolution dar, die mit der Revolution der Naturwissenschaften im 17. Jahrhundert vergleichbar ist, als Denker wie Locke und Descartes bemerkten, dass, wenn man so sa­ gen kann, die Gegebenheiten und Wahrneh­ mungen des unmittelbaren Bewusstseins, die Welt der Farben, Gerüche, Töne, eine trügerische, eine Illusion der Sinne sind. Dass man zum Verständnis der Welt tiefer gehen, zu dem, was sie die primären Gege­ benheiten nannten, vordringen muss: zum Raum, zur Bewegung, zur Dauer. lch habe den Eindruck, dass Marx für die Philosophie das Gleiche geleistet hat. Der andere wesent­ liche Aspekt ist die Methode der Modelle, die Marx als Erster in den Human- und Sozial­ wissenschaften angewendet hat. Ein Werk wie «Das Kapital» mit seinem Reichtum und seinen Komplikationen ist letztlich die Laborkonstruktion eines Modells der kapi­ talistischen Gesellschaft. Er hat das Modell funktionstüchtig gemacht und die Beobach­ tungen, die er an ihm machen konnte, mit der empirischen Wirklichkeit verglichen. Wie ist Ihre Beziehung zu Freud? So wie Marx, habe ich auch das Werk Freuds früh gekannt. Es spielte in meiner intellek­ tuellen Bildung eine grosse Rolle, und zwar aus den gleichen Gründen, die ich schon am Beispiel von Marx skizzierte, nämlich bezüglich des trügerischen Bewusstseins. Bei Marx ist es das kollektive, bei Freud das individuelle Bewusstsein. Wir kön­ nen nicht an der Oberfläche begreifen, was wirklich geschieht, man muss tiefer gehen – bis ins Unbewusste. Das ist für mich der Sinn von Freuds Lehre. Daneben die Idee, dass selbst in dem, was uns absurd und irra­ tional erscheint, ein Sinn stecken kann. Ich bin keineswegs der Ansicht, dass Freud die richtigen Gründe gesucht hat, aber diese in­ tellektuelle Operation, diese intellek­tuelle Revolution, ist letztlich das Gegenteil der Vorstellung, die man üblicherweise von

Claude Lévi-Strauss Kurz nach dem Tod von Jean-Paul Sartre veröffentlichte die Zeitschrift Lire eine Rangliste der einflussreichsten Intellek­ tuellen. Michel Foucault und Raymond Aron waren gut platziert – auf dem ersten Platz aber rangierte ein eher unpolitischer, konservativer Intellektueller: Claude LéviStrauss, Anthropologe, Ethnologe, Philo­ soph. Das erste Interview, das ich mit ihm führen konnte, fand im Collège de France statt. Das hier dokumentierte ­ Gespräch wurde vor seinem achtzigsten Geburtstag in seiner Wohnung in Paris aufgenommen – für den Norddeutschen Rundfunk. Es ist bisher nie gedruckt worden. Der hun­ dertste Geburtstag, den Lévi-Strauss am 28. November feiert, verleiht seinem Blick auf das Jahrhundert und den Menschen ­eine besondere Aktualität. Er hat als letzter grosser Intellektueller das 20. Jahrhun­ dert überlebt. Sein Werk ist eine Auseinan­ dersetzung mit den Strukturen und den Mythen, mit der Bedingtheit des Indivi­ duums und seiner Freiheit. In seiner ­Bedeutung wird es von Philosophen mit Freud und Marx verglichen. Jürg Altwegg

Freud hat. ln ihm steckt ein tiefer Rationa­ lismus mit sehr viel mehr Vernunft, als man anzunehmen gewohnt ist. Welche Vorstellung vom Menschen geht von Ihrem Werk aus? Wahrscheinlich die Idee einer grossen Be­ scheidenheit. Zunächst: dass es den Men­ schen auf Erden nicht immer gegeben hat. Dass er nicht immer existieren wird. Dies muss er in seinem Bewusstsein präsent ­haben – im Vergleich zu den Millionen von Jahren, die dem Universum gegeben sind, ist er sehr vergänglich. Weiter, dass die Gattung Mensch eine Art optischer Täuschung ist. Sie kommt daher, dass wir so gemacht sind, dass wir unsere eigene ­Realität durch ein Vergrös­ serungsglas ­sehen. Wenn man einen Wasser­ tropfen durch das Mikroskop betrachtet und das Objektiv verstellt, wird man in diesem Wassertropfen je nachdem kleine Tierchen sehen, die sich gegenseitig fressen und mit­ einander Liebe machen. Oder wenn man die Vergrösserung verstärkt, sieht man nur noch die Moleküle, aus denen sie bestehen, oder, bei noch stärkerer Vergrösserung, letztlich nur noch die Atome, welche die Moleküle bilden. Und das, was man heute das von die­ sen Tierchen Erlebte nennen mag, existiert nicht mehr. Alles, was uns wichtig, wesent­ lich erscheint, wofür wir kämpfen, woran wir glauben, hat nur auf einer gewissen Ebe­ ne der Betrachtung Sinn. Es ergäbe keinen Weltwoche Nr. 48.08


Sinn mehr, wenn wir uns nur als Zusam­ mensetzung von Molekülen und Atomen beobachten könnten. Und wenn wir uns im Massstab der unendlichen Räume, von denen Pascal sprach, sehen könnten, gäbe es ebenfalls keinen Sinn mehr. Lesen Sie Zeitungen? Aber ja. lch lese mindestens zwei, manch­ mal drei Tageszeitungen, die dritte kaufe ich, wenn ich die Metro nehme. Dazu kom­ men mehrere Wochenmagazine. Es ist mir wichtig, informiert zu sein, zu erfahren, was in der Gesellschaft geschieht.

Lévi-Strauss 1936 am Amazonas in Brasilien. Sind Sie ein aufmerksamer Beobachter? Ich glaube schon. Ein gleichzeitig aufmerk­ samer, leicht distanzierter und, sagen wir, nichtengagierter Beobachter. Ich habe mir die Verhaltensregel zu eigen gemacht, mich öffentlich nur zu Fragen zu äussern, zu ­ denen ich meiner Ansicht nach – zu Recht oder zu Unrecht – als Experte Stel­ lung nehmen kann. Und Reisen? Sie sind viel gereist. ­Ihre «Trau­ rigen Tropen», ein sehr schönes ­Reisebuch, beginnen mit dem berühmten Satz: «Ich verabscheue Reisen.» Wie ist es wirklich? ln den letzten Jahren bin ich erneut viel ge­ reist. Während der ganzen Periode, als ich die «Mythologica» schrieb, stand ich jeden Tag, auch samstags und sonntags, um halb sechs Uhr morgens auf, um zu arbeiten. Von Reisen konnte nicht die Rede sein. In den letzten zehn Jahren bin ich dreimal nach ­ Japan gereist, einmal nach Südko­ rea, nach Mexiko, nach Israel, und wahr­ scheinlich vergesse ich einige Länder, in denen ich war. In diesem Frühling will ich erneut nach Japan. Das Reisen um des Rei­ Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Rue des Archives (Keystone)

sens willen gefällt mir überhaupt nicht, die Vorstellung, dass man einen Flugplatz be­ treten, ein Flugzeug nehmen muss, um auf einem anderen Flugplatz am anderen Ende der Welt, welcher sich nicht vom Flughafen am Anfang der Reise unterscheidet, anzu­ kommen, diese Vorstellung erfüllt mich mit Grauen. Aber es gibt eine Reihe von Befriedi­ gungen und Interessen, für die ich all diese Mühsal auf mich nehme. Japan scheint Sie zu faszinieren. Und wie! Ich liebe Japan seit meiner Kindheit. Mein Vater interessierte sich wie alle Künst­ ler seiner Generation für japanische Stiche, er sammelte sie in einer Mappe, und meine ersten schulischen Belohnungen, wenn ich zum Beispiel den bes­ten Aufsatz der Klas­ se geschrieben hatte, bestanden darin, dass ich in seiner Mappe einen japanischen Stich aussuchen durfte; das war in meinem Un­ terbewusstsein stets präsent. Aber es kam so, dass ich meine erste Japanreise erst 1977 machen konnte, als ich bereits über siebzig Jahre alt war. Ich war begeistert – aus vieler­ lei Gründen. Erstens bin ich Amerikanist, und Japan befindet sich auf der anderen Sei­ te des Pazifiks. Wir wissen, dass die Völker, die sich in Amerika niederliessen, aus Asien kamen. Für mich war Japan somit auf der anderen Seite der Waage, und ich brauchte diese Kenntnis, um meine Vision der ame­ rikanischen Welt auszugleichen. Zweitens sagen mir die japanische Kultur, die Kunst, gewisse Aspekte des Alltags wie die Küche enorm zu. Und drittens erscheint mir Japan – ich weiss nicht, wie lange das noch dauern wird – als soziologisches Experiment, das mich leidenschaftlich interessiert. Ich halte Japan für das fast einzige Land, das ­ eine Art Gleichgewicht zwischen der nötigen Öffnung auf die westliche Welt und die in­ dustrielle Zivilisation und der Bewahrung ­seiner traditionellen Werte gefunden hat. Was interessiert Sie an der ­Küche Japans? Es ist diese Eigenschaft, die ich in der ­japanischen Kunst ebenfalls finde, die Sub­ stanzen in einem Zustand der Reinheit zu präsentieren und es dem Konsumenten zu überlassen, wie er sie mischen will. In allen Manifestationen des japanischen Alltags gibt es eine, man könnte fast sagen, Sturheit, mit der die Materie respektiert wird. Das kann die Holzschnitzerei sein oder die Farben in der Malerei. ln der Küche ist es der Respekt vor der tierischen oder pflanzlichen Materie, die fast ohne Veränderungen angeboten wird. Kommt es vor, dass Sie an den Tod denken? Ja, ja, ganz gewiss doch. Und was bedeutet er für Sie? Er ist etwas Irritierendes, Störendes. Denn ich würde gerne wissen, was in einem Jahr­ hundert geschehen wird, in fünf Jahrhun­ derten und in zwanzig Jahrhunderten. Aber g sonst nichts.

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Die Vernunft des Truthahns: Thanksgiving mit Indianern und K0lonisten, wie es der Maler Jean Leon Jerome Ferris Ende des 19. Jahrhunderts sah. 56

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Bild: Gem채lde von Jean Leon Jerome Ferris (1863-1930), (Bridgeman)


Stil & Kultur

Kalter Truthahn Von Daniele Muscionico

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er flämische Meister hat sich das so vor­ gestellt. Halbnackte Wilde mit aufstre­ bendem Kopfputz werden verköstigt von grossherzigen Siedlern, zum Dank für geleis­ tete Taten, Hilfe bei der Ernte vielleicht oder Schutz vor dem Bison. Man feiert Thanks­ giving. Obwohl: Der Maler ist nicht dabei ge­ wesen, und auch, dass er flämisch ist, gehört ins Reich der Fantasie. Jean Leon Jerome Ferris heisst der Künstler, der für dieses Bild verantwortlich ist. Und auch das ist, um wahr zu reden, falsch. Ferris war zwar ein begeisterter Amerikaner, das heisst Patriot des ausgehenden 19. Jahrhun­ derts. Er malte die umfassendste Serie grosser historischer Momente seines Landes, die von einem einzelnen Künstler bis heute erhalten ist. Doch dass er wusste, was er da festhielt, das ist ohne Mühe zu widerlegen. Die Darstellung des ersten Erntedankfests in der Geschichte Amerikas hat mit der Wahrheit wohl ebenso wenig zu tun wie Füsslis «Die drei Eidgenos­ sen beim Schwur auf dem Rütli» mit dem, was wirklich geschah. Vielmehr nicht geschah. Verbürgt ist immerhin, dass die Kolonisten der «Mayflower» ihre erste kleine Küsten­ siedlung «God’s Own Country» nannten, eine ­Behauptung, die sich zäh durch die Jahr­ hunderte gerettet hat. Erwiesen ist auch, dass die englischen Siedler nur dank der Hilfe der In­dianer aus dem Stamm der Wampanoags den ersten Winter in der Neuen Welt über­ haupt überlebten. Dank der Kenntnis der Ein­ geborenen also, und nicht dank der Waffen des ­Betens und Fastens, wie später gerüchteweise nach Europa sickerte. An Thanksgiving sollten die Retter geehrt und beschenkt werden – nach der Feier für den einen Gott selbstverständlich. Und wenn man dann später die Wilden um (Jagd-)Grund und Boden bringen würde, dann hätten sie, immer­ hin, wenigstens einmal in ihrem Leben ver­ nünftig gegessen. Obwohl: Die Vernunft des Truthahns wurde lange unterschätzt. Erst Benjamin Franklin sah die Sache richtig und hob den Vogel in den Adelsstand. Der Präsident war der Meinung, dass der Truthahn das ideale Wappentier sei für das Land, und er argumentierte: «Der Trut­ hahn ist ein bisschen eitel und ein bisschen dumm, dennoch couragiert genug, jeden Eng­ länder zu attackieren, der sich anschickt, die heimische Farm anzugreifen.» Dass der Vater einer Nation diese mit einem flugunfähigen Vogel vergleicht, das allein muss ein Grund sein, dieses Land zu lieben. Weltwoche Nr. 48.08

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Moderne Liebe

Brot und Busen Von Güzin Kar

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remde Menschen, die morgens im eigenen Schlafzimmer stehen, sind Notärzte oder Gestalten, die man nach einer durchtanzten Nacht versehentlich mit nach Hause genommen hat, wie den verwechselten Schal einer Unbekannten, obwohl man, als man ankam, keinen dabeihatte; und beim Morgenkaffee überlegt man, ob man das fuselige Teil – worunter Mann und Schal fallen – einfach wegwerfen soll oder zurück in den Klub bringen, in der Hoffnung, dass es zur rechtmässigen Besitzerin zurückfindet. Wer vermisst einen dicklichen jungen Mann in Arbeitskleidung? «Parkettservice.» – «Um sieben? Löst Parkett sich später am Tag auf?» – «Die meisten Kunden müssen später zur ­Arbeit.» – «Genau deswegen habe ich einen Schlüssel deponiert, damit Sie mich nicht ­wecken!» Nachbarin Fatma hat ihm meine Schlüssel vermutlich geschminkt und im Nég­ ligé übergeben, wie eine alte Puffmutter, und gesagt: «Schade, dass mein Parkett noch ganz ist, aber in der Pause, mein Täubchen, stärkst du dich hier mit Fatmas Würzbrot!» Dabei wogte ihr Busen unterm durchsichtigen Stoff. Bestimmt ist der Arme roten Kopfes davongestürmt. «Auch Kaffee?», frage ich, «ich arbeite übrigens zu Hause.» – «Hausfrau, was?», grummelt er, während er sein Werkzeug auspackt, «muss ja auch jemand machen. Wenn Sie mich fragen: Hausfrauen sind die einzigen echten Arbeiter.» Das ist einer der Menschen, die ungefragt eine Meinung zu allem haben, denke ich, zu Rheuma, Gicht und zu unbemannten Raumsonden. «Warum funktioniert es zwischen Männern und Frauen nicht?» Er staunt nicht einmal über meine Frage. ­«Frauen sind kompliziert, sie wollen immer alles verstehen», sagt er, «ob die Feuchtigkeit das Parkett ruiniert, wer wann gelogen hat und so. Männer sind einfacher gestrickt. Sie sehen ein Problem und wollen die Lösung. Uns geht’s am Hintern vorbei, wieso der Boden kaputt ist. Notfalls hauen wir dem WG-Kumpel eins in die Fresse, weil der eh immer alles kaputtmacht und ein Oberarsch ist.» Später gehe ich rüber zu Fatma und will ihr eins in die Fresse hauen, wegen allem. Sie aber drückt mich an ihre Brust. «Mein Täubchen, jetzt ruh dich schön aus, und Mama Fatma bringt dir dein Pausenbrot.» – «Bist du total bescheuert?» – «Nö, aber wenn ich Text, Brot und Busen schon parat hab, will ich alles auch einsetzen, egal, bei wem.» Frauen sind nicht nur kompliziert, sie sind auch unlogisch, aber ihr Würzbrot schmeckt echt scharf. Güzin Kar ist Drehbuchautorin und Regisseurin. Mehr von Güzin Kar auf www.guzinkar.com

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Namen Sandy Meyer-Wölden _ Man stand der Romanze ja von Anfang an skeptisch gegenüber. Nicht, weil sie 25 Jahre jünger ist als er. Auch nicht, weil sofort von Hochzeit die Rede war. Sondern weil sein neustes Gspusi überhaupt

niert wie ihre Eltern. Drei Stunden täglich unterhält er mit «Morning Becomes Eclectic» seine Fans. Dank Internet und Podcasts ist der kleine Sender mit dem herausragenden DJ längst weltweit berühmt. Selbst aus Austra­lien und Japan erhält KCRW inzwischen Spenden. Ende November verabschiedet sich Harcourt, «weil ich nur so viel verdiene, wie man bei einem öffentlichen Sender eben verdient, und 5-jährige Zwillinge habe, an deren Zukunft ich denken muss». Er wird sich als Experte für Filmmusik von Studios anheuern lassen und seine berühmte, unaufgeregte Stimme für Werbespots verkaufen. Verständlich. Aber wer begleitet uns in den Tag? (bs) Boy George _ Berühmt geworden ist Boy George mit seinem Hit «Do you really want to hurt me?». Das fragte der Callboy vielleicht auch, als er vom ehemaligen CultureClub-Sänger mit Handschellen im Schlafzimmer angekettet wurde. Der heute 47-jährige Boy George hatte den 29-jährigen Norweger in seine Londoner Wohnung geholt, um pornografische Aufnahmen zu machen. Dabei wurde auch gekokst, wobei Boy George plötzlich das Gefühl beschlich, der Callboy habe seinen Computer gehackt. Also kettete er ihn sicherheitshalber an. Im Morgengrauen konnte sich der junge Mann befreien und flüchtete in ei-

Bye-bye, Bobele: Sandy Meyer-Wölden. nicht dem beckerschen Beuteschema entsprach: Sie war blond. Das hätte Sandy MeyerWölden misstrauisch machen sollen. Becker hatte ja einst detailliert die Vorzüge von kaffeebrauner Frauenhaut erläutert; wenn man die einmal so richtig gespürt habe, wolle man nie wieder was anderes. Solche Qualitätspreisungen passen zu einem Mann, der in Besenkammern Kinder zeugt und danach von Samenraub spricht, er kann nicht anders, der Bobele. Und deshalb verarbeitet er jetzt seine Entlobung von Meyer-Wölden in der Bild-Zeitung. Wo er dann Dinge sagt wie: «Ich habe Freunde mit Lebenserfahrung, mit denen ich mich nicht über die nächste Party, sondern über Politik, Sport und Kultur unterhalte.» Man hat Verständnis, dass Meyer-Wölden angesichts derartiger Konversation im Hause Becker das nackte Grausen packte und sie das Weite suchte. Sie beendete die Beziehung aus der Ferne: per SMS. (bwe)

Fesselkünstler: Boy George.

Nic Harcourt _ Die New York Times hält den Radiomann von der Westküste für den aufregendsten DJ des Landes. Der 48-Jährige legte auf KCRW im kalifornischen Santa Monica als Erster in den USA Coldplay, Norah Jones und David Gray auf. Aber wichtiger als die Namen, die er gross machte, ist den Hörern sein in­ stinktsicherer Musikmix aus Vertrautem und noch nie Gehörtem, der Teenager ebenso faszi-

nen Laden in der Nähe. So viel jedenfalls wurde am ersten Tag des Prozesses publik, der diese Woche in London begann. Vor zwei Jahren sorgte Boy George für Aufsehen, als er die Polizei rief, weil bei ihm eingebrochen werde. Als die Patrouille eintraf, fand sie zwar keinen Einbrecher, dafür jede Menge Kokain in der Wohnung. Boy George musste zur Strafe fünf Tage lang in New York die Strassen fegen, unWeltwoche Nr. 48.08

Bilder: Franziska Krug (Action Press, Dukas), Seth Wenig (Reuters)


ter den Augen der Kameras. Der Fesselkünstler selbst liess über seinen Anwalt nun mitteilen, er habe den Callboy zwar in seiner Gewalt gehabt, aber auf legale Weise – was immer das genau bedeutet. (ds) Cheryl Cole _ Sie war das erste Mitglied der britischen Mädchenband Girls Aloud und gilt heute in England als eine der erfolgreichsten Sängerinnen. Aufgewachsen in einer Sozialbausiedlung, dann zur «Miss» von Englands grösster Shoppingmall gekürt und nun mit einem Starfussballer verheiratet, erfüllt Cole – die gerne Hairextensions, falsche Nägel und Brillantdiademe trägt – zwar einige Vorstellungen von white trash. Aber wer sie kennt, etwa die Observer-Kolumnistin Barbara Ellen, sieht die 25-Jährige jedoch als «intelligente und selbstbestimmte Kämpfernatur». Nun wurde die bildhübsche Cole zur Zielscheibe

Mein Rom Unser Kolumnist erklärt die Ewige Stadt, in zwei Spalten. Back home und in anderer Mission findet man ihn zu zahm. Von Mark van Huisseling

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Kämpfernatur: Cheryl Cole. einer berühmten Geschlechtsgenossin. Gefragt, ob Cheryl Cole als neue Feministin durchgehen könnte, antwortete die australische Feministin Germaine Greer: «Nein, sie ist zu dünn und zu glatt.» Eine schlanke Silhouette als antifeministisches Statement? Vor solchem Unsinn hatte sich Germaine Greer früher gehütet und stattdessen gefordert: «Ich möchte einfach, dass Frauen glücklich sind.» Nach neuen Studien ist keine Bevölkerungsgruppe öfter von Gewalt, Armut, Krankheit und frühzeitigem Tod betroffen als übergewichtige Frauen. Ausserdem werden sie durch ihr Übergewicht ständig gestresst. Das wusste einst auch die noch heute ranke Germaine Greer. «Dünne Frauen», schrieb sie vor vierzig Jahren in ihrem Klassiker «Der weibliche Eunuch», «haben keine Ahnung, wie sehr sie von fetten Frauen beneidet werden.» (fkm) Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Gareth Cattermole (Getty Images) ; Illustration: Gregory Gilbert-Lodge

ergangene Woche war ich in Rom, nicht wegen eines Anlasses, einfach so, weil ­Tapetenwechsel eine gute Sache ist (und meine letzte Auslandsreise neun Tage zurücklag). Ich war Gast im Hotel «Hassler», aber nicht so, wie man jetzt vielleicht meint. (Das heisst, Roberto Wirth, der Besitzer und Direktor, hat mir ein Angebot gemacht; ich bin ein wenig bekannt mit Astrid, seiner Frau und Inneneinrichterin der Zimmer und Suiten.) Das «Hassler» ist in ziemlich jeder Zeitschriften-top-irgend­was-Hotel-Liste weit vorne (zum Beispiel in Travel + Leisure oder Condé Nast Traveller), das ist schön. Schöner aber ist der, sagen wir, old world luxury. Und dass das Haus oben an der Spanischen Treppe steht, weshalb die Stadt unter einem liegt, wenn man dort wohnt. An der Piazza di Spagna befindet sich ein ­Geschäft von Roberto Cavalli. Und in einem Restaurant daneben, das ein paar Tische und Stühle auf der Strasse stehen hat, sass the man himself, mit Eva, seiner Frau, sowie zwei Begleitern (Rom, leicht bewölkt, 18 Grad). Man trank Espresso. (Als ich ihn das letzte Mal traf, hatte er Cristal getrunken – und ich dann das Interview vorzeitig beendet.) In der aktuellen Kollektion, nebenbei, gibt es viele schwarzweisse Kleidungsstücke. Das gefällt mir nicht besonders, obwohl ich seine Mode für Frauen sonst mag (ist auch nicht schwierig als Mann, weil alles recht sexy). Ich habe es ihm aber nicht gesagt, ich meine, MvH hat auch einmal einen freien Nachmittag, nicht wahr? Zum Abendessen hatte der Concierge im «Dal Bolognese» an der Piazza del Popolo re-

servieren lassen. Das ist so etwas wie die Römer «Kronenhalle», nur mit gecasteten Gästen – jünger, besser aussehend, mehr Frauen. (Mein Verleger mag es nicht, wenn ich die «Kronenhalle» so darstelle, ich weiss. Und ich bin selbst ein Fan, aber den MvH-das-Auge-isst-mit-Award wird das Lokal vermutlich nie gewinnen.) Klar versuchte der Maître d’ mir einen Tisch in dem oberen Stock zu geben, im Sibirien oder meinetwegen Sizilien des Restaurants (wie wenn man als Deutscher in die «Kronenhalle» geht also). Klar konnte MvH das nicht erlauben. (Und nach unrömisch kurzer Wartezeit von zirka sechs Minuten hatte er einen Tisch im Parterre, wo man sitzen muss.) What else, wenn man zirka 62 Zeilen hat, um über die Stadt zu schreiben? Im Garten des «Hotel de Russie» kann man auch in der kalten Jahreszeit einen Aperitif nehmen (Wärmelampen). Bei «Schostal» (dal 1870) an der Via del Corso finden Männer von Welt passende Socken (hat Jarvis Cocker, ein Rockmusiker, der stilprägend sein soll, gesagt; Ihr Kolumnist ist ebenfalls Kunde). Und die romantic experience im Restaurant «Imàgo» im sechsten Stock des «Hassler» ist möglicherweise gleich gut wie im «La Pergola» des «Cavalieri Hilton». Zurück in Zürich war ich «Gastgeber» an der Vernissage von Freddy Reitz, einer Malerin, in der Galerie Muenchow. (Weitere Gastgeber: Claudia Lässer, Moderatorin, Tiffany von der Band T-E-A-R-S, Discjockey, und Oliver Muen­chow, Galerist.) Ich muss ehrlich sein, bis vor kurzem hatte ich noch nie etwas gehört von dieser Künstlerin aus Berlin. Doch ihre «Cowboy Pop Art» (Einladungstext) wird von Bill Clinton, Sharon Stone, Udo Walz und ein paar weniger Bekannten, die vermutlich mehr dafür bezahlen, gesammelt immerhin. Weiter ist sie so etwas wie ein Pop- oder wenigstens Medienstar, habe ich recherchiert. (Ist auch nicht schwer in Berlin, es gibt nicht genug Berühmtheiten – eine Zeitlang wurde sogar über einen Schweizer Botschafter geschrieben.) Mein Job war, die Malerin zu befragen. Die Rückmeldungen, die ich danach bekam, gingen ungefähr so: «Warum so zahm, MvH?» oder «Der ist ja ganz lieb in Echt, ganz anders als in der Kolumne – ist er ein Schwindler?» Ich sage dazu: «Danke. Und es war die Freddy-ReitzShow, nicht die MvH-Show. Man nennt das Anstand.» Wer mich buchen möchte für Interviews, nebenbei: geheimnisseBmarkvanhuisseling.ch. Zum Schluss konnte man eine Louis-Vuitton-Tasche, angemalt von Frau Reitz, gewinnen (vom Galeristen angegebener Wert: 8000 Franken). Sie ging an eine Frau, die jeden Tag von Basel nach Zürich fährt, um für die UBS zu arbeiten. Die Welt ist irgendwie doch gerecht.

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Trend

Ende einer Ära Von Alix Sharkey

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ie Modewelt erbebte letzte Woche, als Berichte die Runde machten, Anna Wintour werde als Chefredaktorin der Vogue abtreten. Da der Vertrag der 59-Jährigen ausläuft und sie einem brutalen Markt ausgesetzt ist, dürfte der Gedanke an den Ruhestand von Budgetkürzungen überschattet werden; ihr zweites Projekt, Men’s Vogue, ist von zehn Ausgaben im Jahr auf zwei gestutzt worden, und das jährlich erscheinende Fashion Rocks-Magazin wurde mitsamt prominentem Galakonzert eingestellt. Der Kioskumsatz der ­Vogue brach um 12 Prozent ein, während die direkte Konkurrentin Elle ihren Marktanteil um denselben Prozentsatz ausbauen konnte. Zeit für den Abgang, ­solange sie noch an der Spitze ist? Neunzehn Jahre lang war Wintour die bedeutendste Frau der Mode, eine Ikone, die durch ihre ultraschlanke Statur, den helm­artigen Bob und die überdimensionierte ­Chanel-Sonnenbrille unverwechselbar wurde und an den wichtigsten Laufstegen der Welt in der Mitte der ersten Reihe sass. Ihr sagenhafter Einfluss startete oder festigte die Karrieren von Marc Jacobs, John Galliano, Thom ­ Browne, Zac ­Posen, Alexander McQueen und ungezählten Models, Stylistinnen und Fotografen. Und er zahlte sich aus; die Ausgabe vom September 2004 hatte 832 Seiten – bis heute das umfangreichste Monatsheft aller Zeiten. Wintour steht vor sechs auf und macht Gymnastik, lässt sich die Haare fönen und wird zu ihrem Arbeitsplatz chauffiert, an dem sie jährlich 2 Mio. Dollar verdient. Ihre Arbeitswut, ihr eisiges Auftreten, rabiate ästhetische Standards und die Verachtung aller Technologie (sie diktiert E-Mail-Antworten und verbannte das Wort «Blog» von der Website der Vogue, weil es «vulgär» klinge) bilden die Grundlage für Meryl Streeps Figur Miranda Priestly in der Filmsatire «Der Teufel trägt Prada». Andere Vogue-Chefredaktorinnen wie ­Carine Roitfeld (Frankreich), Aliona Doletskaya (Russ­ land) und Priya Tanna (Indien) werden schon als Nachfolgerinnen gehandelt. Da aber Blogs und Reality-Shows im Fernsehen die einst ­absolute Autorität der Vogue an sich reissen, könnte ihre Funktion mit ihr zusammen unter­ gehen, und die stereotype Moderedaktorin – hochmütig, besessen, extravagant und elitär – könnte einem bescheideneren, vielseitigeren und zugänglicheren Modell Platz machen. Nur eins steht fest: Die Abdankung von nuclear Wintour signalisiert das Ende einer Ära. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach Illustration: René Habermacher

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Unverwechselbar: Vogue-Chefin Anna Wintour, 59. Weltwoche Nr. 48.08

Bildvorlage: Charles Sykes (Rex Features, Dukas)


Luxus

Wohlbehütet und behandschuht Von Jürg Zbinden Es gab eine Zeit, und sie ist noch gar nicht lange her, da zeugte gebräunte Haut von körperlicher Arbeit und damit von Gewöhnlichkeit. Heute frequentieren Ignoranten dem Rat besorgter Dermatologen zum Trotz die CitySolarien, während vorsichtigere Naturen sich Hals, Nase und Ohren mit Selbstbräuner einreiben. Wer wirklich auf der Höhe der Zeit ist, meidet Sommerwind und Wintersonne. Ein Teint von Noblesse ist vor den Unbilden des Alltagswetters konsequent zu schützen. Ideale «Bodyguards» zu diesem Zweck sind wie anno dazumal breitkrempige Hüte und Handschuhe.

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1 und 2 _ Nur die Dame von Welt wagt sich unter dieser gewagten Kreation auf Shoppingtour – in der Fifth Avenue von New York, auf der Düsseldorfer Königsallee (kurz: «Kö») oder dem Rodeo Drive in Los Angeles. Das gefiederte Gebilde stammt von Philip Treacy, dem König der Hutmacher. Zu kaufen gibt es sein Statement für den Kopf ebenfalls an einer berühmten Strasse, nämlich an der Bahnhofstrasse 25 in Zürich, bei Andi Stutz’ Fabric Frontline, für Fr. 1350.–. Das weinrote Samtwunder, ebenfalls ein original Treacy, kostet Fr. 1160.– und ist einmal mehr bei Fabric Frontline erhältlich. 2 3 _ Etwas weniger extravagant behütet ist die Frau mit dem ballonförmigen Modell in Grün (auch in Rot erhältlich) mit schwarzem Puschel von Mühlbauer. Den Hut aus Samtvelours gibt es bei Modestrom, Feldeggstrasse 53 in Zürich für Fr. 480.–. 3 4 und 5 _ Die ellenlangen Lammlederhandschuhe passen wie eine zweite Haut – ein ArtDéco-Gedicht. Das aufgestickte Bracelet aus metallisiertem Nappa-Kalbsleder ist derart raffiniert, dass es echtem Schmuck Paroli bieten kann. Allerdings sind die butterweichen Over-Elbows viel zu schade, um als ordinärer Wetterschutz benutzt zu werden. Bedingungslose Anschmiegsamkeit hat ihren Preis, wenn der Traditionsname Hermès für allererste Qualität bürgt: Fr. 1300.—. Sportlich schlicht sind hingegen die Reithandschuhe aus geschmeidigem Nubukleder. Schönes Detail: eine diskrete Verstärkung zum Schutz des kleinen Fingers. Wer noch kein temperamentvolles Vollblut sein Eigen nennt, kann wenigstens seinen Drahtesel beziehungsweise das Citybike bremsen. Fr. 770.—. Hermès, Bahnhofstrasse 31, Zürich. Weltwoche Nr. 48.08

Bilder: Mathias Zuppiger (3)

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Im Gespräch

«Der bestangezogene Schweizer? Roger Köppel» Den Künstler Walter Pfeiffer ehrt derzeit eine grosse Retrospektive im Fotomuseum Winterthur. Der leidenschaftliche Wanderer über stilvolle Landsleute, Tom Ford und den Weg zu Mama.

«Ich hasse das Wort ‹schwul›»: Fotograf Pfeiffer. Eine lange Durststrecke liegt hinter Ihnen. Haben Sie je an sich gezweifelt? Es gab Fallstricke, als ich beispielsweise ein Angebot einer höheren Schule erhielt, das mir ein Haus im Süden ermöglicht ­hätte. Heute bin ich froh, dass ich den Weg trockenen Brots gegangen bin und auf Armani, Gucci und Louis Vuitton verzichtet habe. Wann ging es wieder bergauf? Als das «Welcome Aboard»-Buch herauskam. In den neunziger Jahren habe ich ­eigentlich nur gemalt und gezeichnet und ganz wenig fotografiert, weil ich von der Kamera die Nase voll hatte. Ich suchte nach neuen Wegen, wo ich Fortschritte machen konnte. Was man bei mir von der Fotografie nicht behaupten kann: Seit 1971 ist eigentlich alles gleich geblieben. Ich drücke ab, und das ist es. Es kann sein, dass ich mich jetzt wieder vermehrt der ­Zeichnung, der Malerei oder sogar dem Film zuwende. 62

Ist es überhaupt noch spannend, Fotograf zu sein, wo man doch danach alles am Computer bearbeiten kann? Ich wehre mich gegen eine Nachbearbeitung meiner Fotos. Höchstens die Pickel werden wegretuschiert. Ich arbeite auch nicht für Redaktionen, die an meinen Fotos herummachen. Ich strebe ja keine Karriere als ­Modefotograf an. Die wichtigsten Eigenschaften eines Fotografen? Geduld und ein gutes Auge. Sie unterrichten an einigen Zürcher Schulen. Weshalb? Ich gebe nur Gastspiele. Um nicht im Elfenbeinturm zu verenden und noch am Puls der Zeit zu bleiben. Und weil ich die leuchtenden Augen brauche, die mich bewundern. In welchen Fotografen soll man investieren? In Klassiker oder dann in junge, unbekannte Fotografen. Und natürlich in mich.

Wer ist das schönste Model? Der Mann auf der Strasse. Ich sehe jeden Tag zwei oder drei, die mir den Atem rauben. Und Agyness Deyn. Weil sie so schön für mich posierte. Das beste Modemagazin? i-D und Achtung. Ich sehe gerne Magazine durch, aber ich hole mir meine Inspiration nicht aus Modeheften. Das geht bei mir rein und wieder raus. Ich muss nicht schauen, was die andern machen, das interessiert mich nicht. Was ich brauche, sind gute Leute um mich herum. Ihre drei grössten Ikonen? Jean Cocteau, Cecil Beaton und Andy Warhol. Sie haben soeben Tom Ford in London fotografiert. Wie war das? Er hat in Knightsbridge im Bentley mit Chauffeur gewartet. Ich war nervös und nahm mir vor, auf der Stelle davonzulaufen, falls er mich von oben herab behandeln ­würde. Aber die Befürchtung war umsonst, wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut. Er erlaubte sogar, dass ich ihn statt im Hyde Park in seinem town house fotografierte. Er war ganz ungekünstelt und hat sich hundertmal umgezogen, wie ich es gewohnt bin von meinen eigenen Models. Haben Schwule mehr Stil als Heteros? Schreiben Sie «Homosexuelle», ich hasse das Wort «schwul». Nein. Welche Schweizerin, welcher Schweizer hat am meisten Stil? Ursula Andress und Roger Köppel (Lacht). Reine Schmeichelei oder die Wahrheit? Die Wahrheit. Wenn ich ihn zufällig irgendwo antreffe, ist er immer sehr gut gekleidet. Im Anzug, hoffentlich von Brioni. Was halten Sie von Fitnessstudios? Nichts. Ich gehe jeden Tag schwimmen, das reicht. Ich kann gut nachdenken beim Schwimmen. Sie sind Hobbywanderer. Ihr liebster Wanderweg? Ich bin Profi! Man kann mir zum Beispiel auf dem Randen abpassen. Von da geht es nämlich heim zu Mama.

Die Fragen stellte Jürg Zbinden. Fotomuseum Winterthur: bis 15. Februar 2009. Vernissage: 28. November, ab 18 Uhr Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Gian-Marco Castelberg


Auto

Antikapitalismus auf Rädern Der Dacia Sandero ist nicht nur ein gutes Auto. Er ist vor allem auch eine gute Idee. Von Ulf Poschardt

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s war zweifellos die beste Fernsehreklame der letzten Jahre, mit der Dacia den neuen Sandero bewarb: Man sah Fidel Castro in einen Art Himmel für Revolutionäre einziehen. Vor­ bei am hadernden Lenin, am müden Gandhi und an Rosa Luxemburg, die mit Martin Luther Tischfussball spielt, betritt er die Veranda mit dem immer noch revolutionshungrigen Che, der vom erschöpften Karl Marx ermahnt wird: «Che, es sollte um die Bedürfnisse der Men­ schen gehen.» Castro stöhnt. Bizarr ist dieses Szenario auch, weil Castro noch lebt und weil dieser Spot im Sommer den Antikapitalismus Dacia Sandero 1.4 MPI Hubraum: 1390 ccm, Leistung: 75 PS Höchstgeschwindigkeit: 161 km/h Preis: 11 900 Franken

Weltwoche Nr. 48.08

der Finanzkrise vorwegnahm und die neue Popularität des Revolutionären nutzte. Zugleich verhöhnt er das Pathos der Revolu­ tion und ihr hehres Gerede, weil es um ein Produkt des kapitalistischen Alltags geht: den Dacia Sandero, den es für alle Menschen gibt, wie die Werbung betont. Und der für 11 900 Franken zu haben ist. Dafür gibt es ein solides Auto mit 75 PS, über vier Meter Kompaktwa­ genlänge und 320 Liter Kofferraumvolumen (bei umgelegter Rückbank 1200 Liter). Der Platz reicht für eine Kleinfamilie, der Fahr­ komfort – finden auch strenge Kritiker – sei akzeptabel. Mit dem Logan­Kombi hat Dacia einen Ver­ kaufshit gelandet. Nur der Logan mit Stufen­ heck ist weniger gefragt, der war wohl selbst Sparwütigen zu karg und sah aus wie seine eigene Entschuldigung. Der Kombi ist in Ber­ lin bei linken Klein­ und Jungfamilien angese­ hen. Er löst die Renault­Kangoo­Fraktion ab. Denn er bietet mehr Platz, mehr Antithese zu den PS­Spiessern, die mit viel Eleganz zeigen wollen, was sie sich alles leisten können. Und doch nötigt mir das Auto Respekt ab, weil in

ihm etwas radikal Funktionalistisches versteckt ist. Der Warenfetisch, für Marx ein Spiess­ geselle der Entfremdung wie der Ausbeutung, ist im Sandero auf das Wesentliche reduziert. Die Form folgt der Funktion, und diese Funk­ tion versteht sich nahezu ausschliesslich als sa­ loppen Wunsch, möglichst unbehelligt von A nach B zu gelangen – mit einer Technik, die wenig kostet und tendenziell ewig hält. Renault hat mit seiner Billiglinie Dacia, die in Rumänien produziert wird, beachtlichen Erfolg. Man hat vorausgeahnt, dass die Gesell­ schaft des 21. Jahrhunderts die schleichende Ästhetisierung auch des Kleinen nicht zwang­ haft mitmachen wird. Es ist eine Rückkehr zum Einfachen, die alle anderen europäischen Her­ steller etwas albern aussehen lässt, die diesen Trend verschlafen haben. Ein Produkt wie der Dacia Logan oder Sandero hätte auch anderen einfallen können, stattdessen haben die meisten grosse Autos gebaut. Der Sandero wird nie ein schickes Auto. Es mag stören, dass es ESP nicht einmal auf Wunsch gibt, dafür bekommt man ein neues, erzsolides Gefährt zum Preis eines gebrauchten. Keine Revolution, sondern das exakte Beherrschen des Marktes. Vorteil für Renault. Ulf Poschardt ist stellvertretender Chefredaktor der Welt am Sonntag in Berlin. Im Internet Hören Sie diesen Artikel auf www.weltwoche.ch/audio

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Wein

Zu Tisch

Château Stachen

Zaubern auf engstem Raum

Von Peter Rüedi

Diesmal geht es zu einem Küchenchef in der Nähe von Basel, der kocht, wie Karl Odermatt einst spielte. Von Julian Schütt

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er als Deutschschweizer im Tessin lebt, hat ein paar Vorurteile auszuhalten, zum Beispiel das, er befinde sich ständig in den Ferien. Ist nicht so, wie diese Kolumne beweist. Oder das, zwischen Airolo und Chiasso strahle pausenlos die Sonne über der Leichtigkeit des Seins. Ist auch nicht so, wie in Max Frischs «Der Mensch erscheint im Holozän» nachzulesen ist. Zu den Gemeinplätzen gehört die Zwangsverpflichtung des Zugereisten zu Merlot aus Boccalini und Polenta. Einen Merlot, der seinen Namen verdient, trinke ich gern aus einem Glas, und ich hasse Polenta. Fallen die Nebel in die Palmen vor meinem Fenster, erwacht bei mir – so viel innerhelvetische Interkulturalität muss sein – die Lust auf Blut- und Leberwurst mit Sauerkraut. Da stehe ich dann, da choucroute pour deux irgendwie nicht geht, abermals vor der Frage: Was setze ich meinen Gästen dazu zu trinken vor? Über das Thema der Mariage (welcher Wein zu welchen Speisen?) wurden Bibliotheken geschrieben. Was zu Sauerkraut passt, ist aus keiner zu erfahren. Zumindest nichts, was über diesen Ratschlag hinausginge: nur kein Wein, um den es schad wäre! Im Elsass wir uns Riesling tischen, was zwar hinging, wenn der genug Säure hatte, um dem Kraut die Stange zu halten. Zu hoch gegriffen war er allemal. Ging ich also wieder mal in mich, und da sitzt neben ein paar anderen Partialidentitäten auch ein Heimwehthurgauer, und der erinnerte sich des Getränks, das er in der Landbeiz orderte: Saft, nordostschweizerisch, deutsch Apfelwein. Der ist in der etwas ranzenklemmerischen Originalversion aus dem Bauernkeller zwar im Tessin nicht aufzutreiben, wohl aber in Halbliterflaschen der Firma Möhl aus Stachen bei Arbon. Drei Monate im grossen Holzfass gelagert, versetzt mit dreissig Prozent Süssmost – ein Industrieprodukt, versteht sich, aber ein fabelhaftes. Selbst die 32 Gramm Restzucker verträgt es, und vielleicht präsentiert Möhl dereinst auf der Welle der Cider-Mode mal eine spartanischere Version. Bis dahin scheint mir die Ehe zwischen Wurst und Kraut und Château Stachen im Himmel geschlossen. Mosterei Möhl Arbon: Saft vom Fass. 4 %. Fr.1.50 ­(moehlsaftBmoehl.ch)

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enn Karli der Grosse auf dem Platz war, kam es immer gut beim FCB. Also wird es auch gut kommen im Wirtshaus «Zur Säge» in Flüh, eine halbe Tramstunde ausserhalb von Basel, denn Karl Odermatt hat Platz genommen. Wie früher das Spielfeld überblickt er die ganze Gaststube, die allerdings familiär klein ist, so dass darin selbst Speisekarten Chichi wären. Die vife Gastgeberin Sandra ­Marugg Suter stellt einem das Menü (70 Franken) persönlich vor. Odermatt kann sich inzwischen auch mal zurückhalten, andern Legenden Auslauf geben. Zum Beispiel dem neuen James Bond, den seine Tischrunde als «untypischen», weil sprüchelosen 007 auseinandernimmt. Gelassen hört sich Karli die Demontage an. Ihm muss niemand sagen, er habe keine Sprüche drauf. Schon punktet er wieder mit seiner abgenützten Stimme, für die es eben nie ein Pendant zum Schienbeinschoner gab: «Es ist doch wie bei den Schnitzelbänken an der Fasnacht, ich will da keine halbe Theateraufführung, sondern einfach lachen.»

Felix Suter, eine Legende auch er, dessen abgelegene «Säge» seit zwanzig Jahren am Firmament der Michelinsterne und Gault-MillauPunkte leuchtet, Suter kocht so, wie Odermatt spielte: Am Schluss sieht alles ganz einfach aus. Die Technik wird nicht zelebriert, sondern effizient eingesetzt. Und er beginnt auf engstem Raum zu zaubern. Tatsächlich ist ­Suters Küche nicht viel grösser als eine Traktor­kabine. Aus dem Kleinen, Regionalen und Über­schau­ baren gewinnt er nicht nur hochwertige Produkte, die jedes Slow-Food-Herz höher schlagen lassen, sondern auch match­entscheidende Einfälle: Der gebratene Zander liegt auf einem Marroni-Chutney-Beet. Eine Tarte aus Randen begeistert genauso wie die Panna cotta aus Blumenkohl. Die saftig-zarte Mägenwiler Frei­ landpoularde kooperiert tadellos mit den knusprigen Kartoffeln aus Biel-Benken. Wie einst Karli Odermatt macht Felix Suter es einem leicht, sein Fan zu sein. Wirtshaus Zur Säge. Steinrain 5, 4112 Flüh SO, Tel. 061 731 15 77. Samstagmittags, montags und dienstags geschlossen.

Matchentscheidende Einfälle: Kochlegende Felix Suter in der «Säge» in Flüh. Weltwoche Nr. 48.08

Illustration: 20FIRST.de; Bild: Helmut Wachter



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Objekte

Impressum

Form und Funktion

Herausgeberin: Weltwoche Verlags AG, Förrlibuckstrasse 70, Postfach, 8021 Zürich

Um aus einem iPhone alles herauszuholen, müssen andere Hersteller als Apple ran. Zum Beispiel Bang & Olufsen. Von David Schnapp

Redaktion: Telefon 043 444 57 00, Fax 043 444 56 69, E-Mail: redaktionAweltwoche.ch E-Mail: leserbriefeAweltwoche.ch Verlag: Tel. 043 444 57 00, Fax 043 444 56 07, E-Mail: verlagAweltwoche.ch Internet: www.weltwoche.ch Abo-Service: Tel. 043 444 57 01, Fax 043 444 50 91 E-Mail: aboserviceAweltwoche.ch Jahresabonnement Inland Fr. 203.– (inkl. MwSt.) E-Mail-Adressen: vorname.nameAweltwoche.ch Gründer: Karl von Schumacher (1894–1957) Verleger und Chefredaktor: Roger Köppel Stv. Chefredaktor: Markus Somm Produktionschef: David Schnapp Redaktion: Daniel Ammann, Claude Baumann, Alex Baur, Hanspeter Born, Urs Paul Engeler, Urs Gehriger, Philipp Gut, Carmen Gasser, Pierre Heumann (Naher Osten), Andreas Kunz, René Lüchinger (Leitung Wirtschaft), Daniele Muscionico, Daniela Niederberger, Beatrice Schlag (Los Angeles), Julian Schütt, David Signer, Eugen Sorg, Peer Teuwsen (Leitung Kultur und Wissen), Mark van Huisseling, Bettina Weber (Leitung Gesellschaft)

Gesamtwirtschaftliche Vorteile: EarSet 3 von B & O.

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as iPhone hat, das weiss jeder, der eines besitzt, viele gute und einige weniger ­gute Seiten. Fast schon legendär schlecht ist der mitgelieferte Kopfhörer, der auch als Freisprechanlage genutzt wird. Die mangelnde Qualität hat gesamtwirtschaftlich gesehen Vorteile, sie eröffnet Zweitanbietern die Möglichkeit, mit besseren Produkten in die von Apple selbstgeschaffene Marktlücke vorzustossen. Im offiziellen Apple-Internet-Shop gibt es ­allein 22 Angebote im Bereich «Headsets und Kopfhörer». Es gibt ausserdem Schutzhüllen in allen Varianten, Lautsprecher und jede ­Menge Kabel. Eine ganze Industrie entwickelt mittlerweile Zubehör für iPhone und iPod. Kopfhörer sind dabei eminent wichtig. Zu den Anbietern im oberen Preis- und Qualitätssegment gehört die dänische Design-Hi-FiMarke Bang & Olufsen, die ihr EarSet 3 für das iPhone angepasst hat. Herausragendes Merkmal der Bügelkonstruktion des Kopfhörers ist ihre Drehfunktion. Horizontal lässt sich die Halterung um 360 Grad drehen, vertikal um etwa 180 Grad. So passt sich der Hörer perfekt der Anatomie an und würde sogar auf Prinz Charles’ Ohren wie angegossen sitzen. Brillenträger müssen die Bügel der Hörer an jenen der Sehhilfe vorbeifädeln, was nach zwei, drei Mal Aufsetzen gut gelingt. Dem flüchtigen Betrachter mag das EarSet ein bisschen wie Minia­ tur-Folterwerkzeug erscheinen, bei näherem Weltwoche Nr. 48.08

Hinsehen offenbart sich aber die Genialität der Verbindung von Form und Funktion. Die Audio-Qualität des Kopfhörers ist insgesamt ausgezeichnet. Für unseren Geschmack waren die Höhen und Mitten vor allem bei der Sprachwiedergabe wie etwa von Video-Podcasts etwas zu ausgeprägt. Das liegt wohl ­einerseits an der Bauweise des EarSet, die ­wegen der geringen Grösse der Lautsprechermuschel intensive Bässe nicht zulässt. Andererseits kann es aber auch an der Qualität der Quelle liegen, das heisst vor allem an der Komprimierung. Hochwertigere Sprachdateien wie Hörbücher tönten jedenfalls besser als stark komprimierte Dateien wie Podcasts des Schweizer Fernsehens. Manchmal telefoniert man mit seinem ­iPhone auch über das Freisprech-Set. Das ­ B-&-O-­Modell hat wie das Originalzubehör ­einen Druckknopf mit integriertem Mikrofon. Im Unterschied zum Apple-Set hört man aber den Satz «Was hast du gesagt, ich ver­stehe dich schlecht» nie. Allein dafür lohnt sich die Anschaffung. Um den eher hohen Preis zu rechtfertigen, ist noch anzufügen, dass ein schickes Etui aus echtem Leder mitgeliefert wird. Das hört man zwar nicht, aber man kann es sehen und riechen. So gesehen, ist der Kopfhörer aus Dänemark etwas für alle Sinne. Bang & Olufsen EarSet 3. Kopfhörer und Freisprech­ einrichtung. Frequenzbereich 50–20 000 Hz. Gewicht 31 g. Fr. 290.—. www.bang-olufsen.com

Redaktionelle Mitarbeiter: Miroslav Barták, Peter Bodenmann, Silvio Borner, Henryk M. Broder, Max Frenkel, James Hamilton-Paterson, Ludwig Hasler, Jörg Hess, Peter Holenstein, Wolfram Knorr, Albert Kuhn, Michael Maar, Sven Michaelsen, Dirk Maxeiner, Christoph Mörgeli, André Müller, Franziska K. Müller, Ulf Poschardt, Peter Rüedi, Kurt Schiltknecht, Oliver Schmuki (Leserbriefe), Markus Schneider, Wolf Schneider, Alix Sharkey, Sacha Verna (New York), Sami Yousafzai (Pakistan/Afghanistan), Jürg Zbinden, Bruno Ziauddin, Kurt W. Zimmermann Produktion: Philipp Anz Bildredaktion: Martin Berz (Leitung), Christophe Bosset, Catharina Hanreich, Gabriella Hohendahl (Assistentin) Layout: Claire Hulla (Leitung), Peter Aschmann, Rolf Mundwiler Infografik: Helmut Germer Korrektorat: Cornelia Bernegger und Rita Kempter (Leitung), Viola Antunovits, Gilbert Grap, Beat Kuttnig Internet: Andreas Thut (Leitung) Sekretariat: Miriam Schoch (Leitung), Inga-Maj Hojaij-Huber Verlagsleitung: Maike Juchler Marketing: Samuel Mollet Anzeigenverkauf: Christine Lesnik (Leitung), Angela Prisciantelli, Samuel Hofmann (Support) Anzeigeninnendienst: Silvan Leibacher, Laura Bazzigher, Tel. 043 444 57 02, Fax 043 444 56 07 E-Mail: anzeigenidAweltwoche.ch Internetverkauf: AdLink Internet Media AG Tarife und Buchungen unter: Tel. 044 914 92 70, Fax 044 914 93 70 E-Mail: sales-chAadlink.net Druck: Basler Zeitung, Hochbergerstrasse 15, 4002 Basel

Die Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion gestattet.

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Bestseller

Literatur

Belletristik

«Du schreibst zu viel über Sex»

1 (—) Carlos Ruiz Zafón:   Das Spiel des Engels (S. Fischer) 2 (1) Paulo Coelho: Brida (Diogenes) 3 (—) Susanna Schwager: Das volle Leben (Wörterseh) 4 (3) Franz Hohler: Das Ende eines ganz normalen Tages (Luchterhand) 5 (—) Elizabeth George: Doch die Sünde ist scharlachrot (Blanvalet) 6 (2) Charlotte Roche: Feuchtgebiete (Dumont 7 (4) Paul Wittwer: Giftnapf (Nydegg) 8 (8) Susanna Schwager: Das volle Leben (Wörterseh) 9 (7) Uwe Tellkamp: Der Turm (Suhrkamp) 10 (—) Anna Gavalda:   Alles Glück kommt nie (Hanser)

Sachbücher 1 (1) Roberto Saviano: Gomorrha (Hanser) 2 (3) Guinness-Buch der Rekorde 2009 (Bibliographisches Institut und F. A. Brockhaus, Mannheim) 3 (—) Jamie Oliver: Jamies Kochschule (Dorling Kindersley) 4 (9) Ruediger Schache: Das Geheimnis des Herzmagneten (Nymphenburger) 5 (5) Rhonda Byrne: The Secret – Das Geheimnis (Goldmann) 6 (3) Richard David Precht: Wer bin ich — und wenn ja, wie viele? (Goldmann) 7 (8) Markus Maeder: Vom Herzchirurgen zum Fernfahrer (Wörterseh) 8 (—) Marco Leuenberger, Loretta Seglias:  Versorgt und vergessen (Rotpunkt) 9 (—) Duden: Die deutsche Rechtschreibung (Bibliographisches Inst. und F.A. Brockhaus) 10 (7) Barack Obama: Hoffnung wagen (Riemann) Quelle: Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband SBVV/Media Control

Apropos: Fleisher Wer Botox sagt, denkt selten an Chopin. Leon Fleisher (Jahrgang 1928) aber kann nach fast 40jähriger Pause wieder auftreten, da seine rechte Hand dank Botox-Injektionen wieder gesund wurde. Am Luzerner Pianofestival zeigte er seine Kunst, von der bis dato nur mehr zerkratzte Langspielplatten erzählten. Fleisher zelebrierte am Sonntag mit einer Gelassenheit Bach, die Angela Hewitts zappliges Spiel vom Mittwoch vergessen machte. Alsbald zeigte er, wie bei Chopin aus einer Übung der Ruhe eine ungeheuerlich singende Schlichtheit entstehen kann. Jean-Ives Thibaudets schmucke Versuche vom Vorabend waren schnell vergessen. Zu bemitleiden der Hörer, den bei Fleisher die motorische Beschränkung störte. Aus der Rührung, den alten Mann am Klavier zu sehen, wurde schnell Bewunderung. (bez) 68

Der grosse welsche Autor Jacques Chessex hat einen Roman über eines der schlimmsten Schweizer Triebverbrechen geschrieben. Ein Hausbesuch. Von Pia Reinacher In Frankreich wird er vorbehaltlos gefeiert. Seinen Westschweizer Landsleuten aber ist der reizbare Dichter nach wie vor unheimlich. Jacques Chessex, einer der wichtigsten Schweizer Schriftsteller, verstört mit seiner Lust an Exzessen, Skandal und Tabubruch – und fasziniert durch die Kühnheit seiner literarischen Experimente. Jetzt legt er gleich zwei Proben seines bekannten Temperamentes vor: Mit dem Roman «Der Vampir von Ropraz» rekonstruiert er eines der schlimmsten Sexualverbrechen, das sich in der Schweiz ereignet hat. Mit der Autobiografie «Pardon mère» liefert er ein ebenso geistreiches wie verstörendes Protokoll einer halbinzestuösen Mutter-Sohn-Beziehung. Besucht man den Schrifsteller, sticht sofort die arrangierte Symbolik des Ortes ins Auge. Nichts ist zufällig, alles das Resultat einer durchdachten Regieführung. Vom Salon auf der Vorderseite seines Hauses in Ropraz im Schweizer Jura fällt der Blick in den Garten auf hohe Tannen und kugelige Thujabäume. Dass er das Gezähmte und das Wilde, das Weibliche und das Phallische liebe, muss Jacques Chessex bei diesem Ausblick nicht lange erklären. Auf der Rückseite aber, nur ein paar Schritte vom Eingang entfernt, liegt der rechteckig angelegte Dorffriedhof von Ropraz. Wir sitzen in Chessex’ Studierzimmer. Seine eifersüchtige Katze hat er in den Garten verbannt, wo sie noch ein wenig kratzbürstig weitermiaut. Überall hängen Bilder, darunter viele erotische Tableaus – und wo keine Bilder sind, ist jeder Zentimeter mit Büchern gefüllt. Jacques Chessex, der viele Jahre an einem Lausanner Gymnasium unterrichtete, ist ein gieriger Leser. Alles verschlingt er ohne Unterschied: Philip Roth, Harold Brodkey, Gabriel García Márquez, Mario Vargas Llosa oder Peter Schneider, sein Büchergestell spiegelt ein Panorama der Weltliteratur. Der 74-jährige Intellektuelle ist ein geistreicher Kopf, der ohne Zögern auf den Kern der Dinge zu sprechen kommt. Sein Talent, Tabus zu brechen, demonstrierte er in seinen Romanen, die keine falsche Scheu kennen und moralische Übereinkünfte lustvoll demontieren. Chessex zeigte sich als detailbesessener Forscher, der die Geheimnisse hinter den Dingen ergründen will, vor allem auch hinter der lackierten gesellschaftlichen Fassade. Kein Zufall, dass «scruter» eines seiner Lieblingsverben ist, ein Wort, das nicht nur «sehen» und «beobachten» meint, sondern auch «sondieren» und «enthüllen».

Der Erfolg seines Erstlings «L’Ogre» (1973) («Der Kinderfresser») ist nicht zuletzt auf die Radikalität zurückzuführen, die man diesem ruhigen Intellektuellen gar nicht ansieht. Mit erbarmungsloser Konzessionslosigkeit verfolgt er den Kampf des Helden gegen den kastrierenden, dominierenden Vater. Der junge Lausanner Gymnasiallehrer wird weit über den Tod hinaus vom Über-Ich des tyrannischen Oberhaupts verfolgt, das ihm die Nähe zu anderen Menschen und die Liebe zu einer Frau vergällt. In späteren Romanen geniesst es Chessex, durch pornografische Passagen, die ab und zu auch ins Triviale kippen, den braven Bürger zu schrecken. Und selbst im abgebrühten Paris kam es vor vier Jahren beim Erscheinen des Romans «L’Eternel sentit une odeur agréable» (2004) zu erhitzten Debatten – der Geschichte der sexuellen Initiation des jungen Jules-Henri auf der Jagd nach dem Duft erotischer Damen. Mit derselben provozierenden Detailfreudigkeit, mit der sich Chessex sonst in seiner Lyrik dem Gesang einer Nachtigall widmet, würdigt er hier respektvoll die Laster eines Libertins.

Zuneigung und Abhängigkeit Der Schriftsteller arbeitet mit dem autobiografischen Material seiner turbulenten Kindheit. Verblüffendes Ergebnis ist die vor ein paar Monaten erschienene Erzählung «Pardon mère», das Dokument einer wilden Hassliebe zu seiner calvinistisch geprägten Mutter. Es ist das Protokoll einer lebenslangen Zuneigung und Abhängigkeit, wie es seinesgleichen in der zeitgenössischen Literatur sucht. Die Mutter nämlich steuerte sein ganzes Leben, sie war die moralische Instanz, die leibhaftige Verkörperung des Gewissens, auf die der Sohn abwechslungsweise mit Gehorsam und Grenzüberschreitung reagierte. Lucienne Vallotton, die sich auch durch schlimmste Schicksalsschläge nicht beugen liess, stammte aus einer angesehenen Familie in Vallorbe, zu der auch der Maler Félix Vallotton gehörte. Ihre Mischung aus Hartnäckigkeit, Würde, Scham und Lebensklugheit war es, mit der sie sich Respekt verschaffte. Ihre gleichzeitige Abwehr gegenüber den Genüssen des Körpers und eine durch calvinistische Nüchternheit geprägte moralische Rigidität legten den Grundstein für die Ambivalenz des Sohnes, der in seinen Büchern hin und her schwankt zwischen der Feier sexueller Obses­ sion und religiösen, selbstkasteienden AnWeltwoche Nr. 48.08


Arrangierte Symbolik des Ortes: Autor Chessex. wandlungen. Noch heute imitiert er mit leichtem Schalk seine uralte Mutter, die seine Romane der sexuellen Inhalte wegen scheinbar nicht las, aber bestens über alle skandalisierenden Details orientiert war. «Du schreibst einfach zu viel über Sexualität», pflegte sie ihn energisch zu massregeln. Sie schämte sich deswegen vor ihren Freundinnen in Lausanne, mit denen sie Bridge spielte. Die calvinistisch-spröde Neigung verhinderte andererseits nicht einen robusten Überlebenssinn. Chessex erzählt amüsiert, wie sie ihn einmal heftig tadelte wegen eines Bildes, das seine hinlänglich bekannte NeiWeltwoche Nr. 48.08 Bild: Lea Crespi

gung für allerlei Begierden illustrierte, ihn aber überschwänglich lobte, als sie erfuhr, dass er es für 30 000 Franken verkaufen konnte. Jacques Chessex’ literarisches Universum kann nur wirklich verstehen, wer Einblick in seine traumatisierende Biografie gewinnt. Alles nämlich hat zeichenhafte Bedeutung, selbst die Wahl seines Wohnortes. Mit schwarzem Filzstift skizziert er die Lage seines Hauses auf einen kleinen Zettel, um die Symbolik des Ortes zu verdeutlichen. Auf der linken Seite des Friedhofs führt ein Schmiedeeisentor zum Dorf hin – auf der Gegenseite aber öffnet er sich zu einem Wäldchen, das im Volksmund «Paradies» genannt wird. Der

Schriftsteller hat sich das abgeschiedene Dorf, das auf halber Strecke zwischen Lausanne und Freiburg liegt, als etwas bizarre Heimat ausgesucht (seit bald dreissig Jahren lebt er hier). Mit der Preissumme des Prix Goncourt erbaute er sich genau da ein Haus, wo sich vor bald hundert Jahren eine der schlimmsten Verbrechergeschichten der Schweiz zugetragen hatte. Direkt gegenüber Chessex’ Haustür liegt das heute noch geschmückte Grab einer jungen, hübschen Frau aus Ropraz, die 1903 Opfer eines nekrophilen Monsters aus der Umgebung wurde. Die grausige Geschichte ging damals rund um die Welt und wühlte die Bevölkerung während Jahren auf. Zwei Tage nach der Beerdigung lag der Sarg offen, die Leiche war geschändet. Der Fall wiederholte sich beim Tod zweier weiterer Frauen. Hinter dem «Vampir von Ropraz» vermutet man einen reichen Bauer der Umgebung, ins Gefängnis geworfen aber wurde ein armer Tölpel. Wer allerdings an der finsteren Oberfläche des Schauerromans hängenbleibt, verkennt den ursprünglichen Impuls des Autors. Viel mehr als um den Skandal dieses Ausnahmeereignisses geht es Chessex darum, unter dem dünnen Firnis von Zivilisation das «Andere» zu entlarven, das geballte Böse, mit aller Kraft Gebändigte, das Triebhafte, nie ganz Überwundene, welches den Kern der menschlichen Existenz besetzt. Schon früh antwortet der Schriftsteller auf die Frage, warum er schreibe, mit einer erstaunlichen Erklärung: «J’écris parce que j’ai peur de la mort. J’écris contre la peur, contre la mort.» Gewiss, die Beschäftigung mit der Absurdität des Todes ist eine der Triebfedern seines Schreibens. Dass der literarische Akt aber ein Kampf gegen den Skandal des Todes ist, ein unfreiwilliger Selbstrettungsversuch, versteht erst, wer um den Tod seines Vaters und die schwierige Ehe seiner Eltern weiss. Pierre Chessex, brillanter Volkskundler und Historiker, Direktor eines renommierten Gymna­ siums, nahm sich 1956 auf dem Höhepunkt seiner Karriere das Leben. Aussergewöhnlich ist, wie der Sohn das Trauma verarbeitet. Er versöhnt den Tod und die Leidenschaft, den Abgrund, die Bedrohung und die Verlockung in einer riskanten Inszenierung. Er heilt den beängstigenden Riss, der seine Identität erschütterte, indem er sich in aller Ruhe mitten ins Zentrum eines bedrohlichen und gleichzeitig heiter leuchtenden Universums begibt – und es da nicht nur aushält, mehr noch: daraus für sein künstlerisches Schaffen enorme Energie bezieht. Es ist ein hochriskanter Balanceakt, mit dem die überwältigenden psychischen Kräfte gebannt und erst noch in fruchtbare Bahnen gelenkt werden. Jacques Chessex: Der Vampir von Ropraz. Nagel & Kimche. 96 S., Fr. 23.90 Jacques Chessex: Pardon mère. Grasset. 218 S., Fr. 36.10

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Roman

Die Verlobung «Doppelpass»: Auch wenn sich ein Fussballer verlobt – Politik ist wichtiger. Folge 2. Von Charles Lewinsky «Keita?», fragte der Taxifahrer in die Gegensprechanlage hinein. Er musste es drei und vier Mal wiederholen, bis er endlich eine Antwort bekam. «Einen Augenblick», sagte eine Frauenstimme und dann, nach einer Pause: «Sie können den Zähler ruhig schon laufen lassen.» Im Hintergrund hörte man Musik und Gelächter. Die Fenster des Hauses waren hell erleuchtet. Hinter den Vorhängen bewegten sich Menschen, und selbst im Schattenriss war zu ­sehen, dass sie alle Gläser in der Hand hatten. Als dann die Tür geöffnet wurde, schwappten ­ Musik und Lärm heraus wie aus einem angestochenen Fass. Was immer hier gefeiert wurde: Es war kein kleines Fest. Eidenbenz hatte die lauteste Stimme von allen, und das war ihm in seiner Karriere schon oft nützlich gewesen. In Versammlungen oder Fernsehdiskussionen konnte er damit andere Meinungen einfach übertönen, konnte seinen Gegnern so lang ins Wort fallen, bis sie entnervt aufgaben und ihn reden liessen. Der ­Blocher hatte das auch immer so gemacht, und vom Blocher konnte man nach wie vor etwas lernen. Dabei hatte Eidenbenz eine sympathische, joviale Stimme, eine «Onkelstimme», wie er es selber nannte, und ihre Lautstärke war seiner Meinung nach das Beste, was man als Politiker haben konnte. «Ich brauche keinen Lautsprecher», sagte er gern. «Ich bin selber ­einer.» Und dann lachte er das schallende Lachen, das zu seinem Markenzeichen geworden war. Jede Silbe wie ein eigenes Wort. Wenn der Giacobbo ihn parodierte, dann schob der nach jedem Satz so ein Lachen ein. Es war gut, wenn man parodiert wurde. Das hiess, dass man bekannt war, und nur wer bekannt ist, ist auch beliebt. Und man konnte beweisen, dass man Humor hatte. Obwohl der Giacobbo ja eigentlich der Falsche war, um ihn nachzumachen, dieses schmale Handtuch. Einmal war er bei dem in der Sendung Promi-Gast gewesen, und auf die Frage, wie ihm denn seine Parodie in dem Einspiel­ filmchen gefalle, hatte er geantwortet: «Sie sollten das den andern machen lassen, den Müller. Für einen Eidenbenz haben Sie einfach nicht die Postur.» Da waren die Lacher dann wieder auf seiner Seite gewesen. Eidenbenz, der Städter, hatte eine Figur wie ein Kranzschwinger, und er machte sich gern noch breiter, indem er die Hände in die Hüften 70

stützte, nicht mit den Handflächen nach ­innen wie ein beleidigter Schwuler, sondern mit den Handrücken, wie es die Buben auf dem Spielplatz machen, wenn sie mit anderen Streit ­suchen. «Man muss die Ellbogen ausfahren», sagte er, wenn ihn jemand darauf ansprach. Jetzt stand er in dieser herausfordernden ­Pose unter der Tür. Die anderen, die hinter ihm aus dem Haus gewollt hatten, mussten warten und wirkten dadurch wie sein Hofstaat. «Also, Keita», sagte Eidenbenz, ohne sich umzu­drehen, «geniess deine Verlobung noch! Aber nicht zu gründlich. Da muss ich als dein Vereinspräsident darauf bestehen. Nicht dass du morgen im Training vor lauter O-Beinen nicht mehr laufen kannst.» Er lachte sein ­Eidenbenz-Lachen, und die Leute im Hausgang wieherten das Echo, selbst die, die keine Ahnung hatten, wovon eigentlich die Rede war. Er machte ein paar Schritte auf den Kiesweg hinaus, und die andern, wie wenn man den Korken aus der Flasche zieht, strömten hinter ihm her aus dem Eingang: Keita, seine Claudia und die paar Journalisten, die absichtlich zufällig von der Party erfahren hatten. Das Fernsehen hatte mal wieder nur die Weicheier von «Glanz & Gloria» geschickt, keinen vom Sport und keinen von der «Tagesschau». Das war ­natürlich gegen ihn, Eidenbenz, gerichtet, aber von solch kleinen Nadelstichen liess sich ein Mann wie er schon lang nicht mehr aus der Ruhe bringen. Schon lang nicht mehr. «Feiert noch schön!», rief er also und drehte sich, weil er eine Kamera klicken hörte, doch noch einmal um. «Und vergesst nicht, ein paar

auf mein Wohl zu trinken. Ihr wisst ja, was ich mag.» Das war wieder für einen Lacher gut, denn dass Eidenbenz nur Bier trank und nie etwas anderes, das gehörte zu seinem öffentlichen Bild. Eidenbenz sagte immer «öffentliches Bild» und nie «Image». Warum sollte man einen englischen Ausdruck verwenden, wenn es ein gutschweizerdeutsches Wort für etwas gab? «Machen wir!», rief einer der Journalisten zurück, und Eidenbenz grüsste ihn mit hochgerecktem Daumen. Der Mann war zwar nur von dem lokalen Käseblatt, aber in ein paar Jahren schrieb so einer vielleicht bei der Weltwoche, und dann zahlte es sich aus, nett zu ihm gewesen zu sein. Obwohl sie die Weltwoche ja so oder so in der Tasche hatten. «Tut mir leid, dass ich so früh wegmuss. Aber die Pflicht ruft. Die Politik macht auch wegen einer Verlobung keine Pause. Schon gar nicht jetzt, wo es einen Bundesrat zu wählen gibt.» Da war er schon beim Gartentor. «Du wärst auch ein guter Kandidat, Keita!», setzte er noch hinzu, und schon lachten wieder alle. Man musste nur mit den Leuten umgehen können. Der Taxifahrer war ein schmächtiger Mann, mit einem Schnurrbart, der viel zu gross für sein Gesicht war. Ein Ausländer. Kosovare oder so etwas. Bei sich zu Hause hatten sie keine ­Autos, und bei uns fuhren sie Taxis. «Sind Sie Herr Keita?», fragte der Fahrer. Ein Akzent, den man mit dem Messer schneiden konnte. Eidenbenz, der es gewohnt war, dass man ihn erkannte, lachte nur und wollte einsteigen. Aber der Mann mit dem zu grossen Schnurrbart Weltwoche Nr. 48.08 Illustration: Andreas Gefe


stellte sich ihm in den Weg und blockierte die Tür. «Ich bin für einen Herrn Keita», sagte er. «Ist schon in Ordnung», sagte Eidenbenz. «Der Keita wohnt hier. Aber der will nicht ­wegfahren. Der feiert heute Verlobung. Gestern die beiden Tore und heute eine schöne Braut. Ein richtiger Glückspilz.» Er lachte sein ­Eidenbenz-Lachen, aber der Taxifahrer lachte nicht mit. «Ich hoffe, es ist in Ordnung», sagte er ängstlich. «Sonst bekomme ich Ärger mit der Zentrale. Vielleicht sollte ich besser . . .» «Wenn ich sage, es ist in Ordnung, dann ist es auch», unterbrach ihn Eidenbenz. «Nehmen Sie lieber Ihre Mappe da weg!» Er sass in Autos nicht gern hinten. Er brauchte den Überblick. Es gab ja eigentlich keinen Grund, sich mit dem Taxifahrer zu unterhalten. Aber Eidenbenz war einfach nicht der Typ, der stumm ­neben jemandem sitzen konnte, ohne wenigstens den Versuch zu machen, ihn für sich zu gewinnen. Einmal, im vollen Morgenzug nach Bern, war er sogar mit dem Kondukteur in ein Gespräch geraten. So ein alter GewerkschaftsSozi war das gewesen und hatte eine dumme Bemerkung gemacht von wegen dem GratisGA erster Klasse. Er hätte sich ja über den Mann beschweren können, ihm richtig einen reindrücken, aber er hatte lieber mit ihm diskutiert. Bis Bern hatte der kein einziges Billett mehr kontrolliert, und bei der nächsten Wahl, darauf wäre Eidenbenz jede Wette eingegangen, hatte er bestimmt nicht mehr ohne zu überlegen die SP-Liste eingeworfen. Kleinvieh macht auch Mist. Weltwoche Nr. 48.08

«Sie wissen ja, wer der Keita ist», sagte Eidenbenz. «Nein», sagte der Fahrer. Drehte nicht einmal den Kopf, sondern stierte ins Halbdunkel hinaus, als ob er seine Brille zu Hause vergessen hätte. «Tom Keita», sagte Eidenbenz. «Der beste Spieler vom FC. Gegen Basel hat er zwei Tore gemacht. Die Gigi Oeri hat fast eine Herzbaracke gekriegt. Aber bei der macht das nichts. Sie kriegt ihre Pillen ja mit Rabatt.» Er lachte sein Lachen, aber der Fahrer liess sich immer noch nicht anstecken. Fuhr stur fünfzig, obwohl hier überhaupt kein Verkehr war. Hatte seine Fahrprüfung wahrscheinlich auf einer Schafweide gemacht. Von der Schweiz wusste der überhaupt nichts. Hatte noch nie etwas von Gigi Oeri gehört und vom Keita auch nicht. «Interessieren Sie sich nicht für Fussball?» «Hab ich nicht gern», sagte der Fahrer unter seinem Schnurrbart hervor. «Nach einem Spiel sind die Fahrgäste immer so laut. Einmal hat einer in den Wagen gekotzt. Direkt auf das Polster.» «Muss einer von denen gewesen sein. Wenn unsere Mannschaft so spielen würde wie die, würde mir auch schlecht.» Mit einfachen Leuten musste man handfeste Sprüche machen. Träf. Das predigte er seinen jungen Leuten immer wieder. Nicht klug daherschwafeln, bloss weil man studiert hatte. Dem Volk aufs Maul schauen. Das hatte schon der Luther gesagt, und der Mann wusste, wovon er redete. Hatte schliesslich auch eine Aussenseiterpartei zur Mehrheit geführt, wenn man so wollte. Genau wie damals der Blocher.

Der Taxifahrer lachte nicht. Wahrscheinlich hatte er den Witz gar nicht verstanden. Heutzutage liessen sie jeden Taxi fahren, der knapp mit Messer und Gabel essen konnte. Einmal hatte Eidenbenz sogar einen erwischt, der wusste nicht einmal, wo der Bahnhof war. Man sagt ja, dass jemand nur Bahnhof versteht, aber der verstand nicht einmal das. Musste es sich auf dem Stadtplan zeigen lassen. Aber die Taxiprüfung bestanden. Wahrscheinlich hatte ihn so ein Weltverbesserer aus reinem Mitleid durchkommen lassen. Eigentlich konnte es Eidenbenz ja egal sein, ob ihn der Taxifahrer mochte oder nicht. Ein Ausländer ohne Stimmrecht. Aber das war jetzt wie ein Spiel für ihn. Er griff also in die Tasche, wo er immer ein paar von den Gutscheinen bereithatte, und sagte: «Hier. Wenn Sie das an der Kasse abgeben, bekommen Sie ein Freibillett.» Der Taxifahrer wartete bis zum nächsten Lichtsignal. Erst als dort rot war und er angehalten hatte – er zog sogar die Handbremse an, obwohl die Strasse überhaupt nicht abschüssig war –, streckte er die Hand aus. Er sah sich den Zettel an, so langsam und gründlich wie einer, der über das Alphabet nicht weit hinausgekommen ist, und fragte dann: «Fussball?» «Ich bin der Präsident», sagte Eidenbenz. «Der Präsident vom besten Fussballklub der Schweiz.» Der Fahrer steckte den Gutschein sorgfältig in seine Brieftasche. Unterdessen war es wieder grün geworden, und hinter ihnen hupte einer ungeduldig. Erst beim nächsten Licht­ signal ging ihr Gespräch weiter. «Wenn Sie der Präsident sind», sagte der ­Taxifahrer, «dann kennen Sie vielleicht den Herrn Eidenbenz.» Eidenbenz lachte sein patentiertes Lachen. «Doch», sagte er, «den kenne ich ganz gut. Wir trinken regelmässig ein Bier zusammen.» «Dann können Sie mir sicher sagen . . .» Der Taxifahrer stierte in den Verkehr hinaus wie ein Kurzsichtiger. «Dann können Sie mir ­sicher sagen: Ist das wirklich so ein Arschloch, wie man überall hört?» Als er bei seiner Sitzung ankam, musste sich Eidenbenz zur Fröhlichkeit zwingen. Er schüttelte ein paar Hände, klopfte auf ein paar Schultern und setzte sich dann an seinen Platz, wo ein grosses Helles schon bereitstand. Er nahm einen tiefen Schluck, wischte sich den Schaum vom Mund und fragte: «Also, Leute, es geht um unseren Kandidaten für den Bundesrat. Soll ich euch gleich sagen, was wir beschliessen, oder wollt ihr zuerst ein bisschen diskutieren?»

Folge 3 des Fortsetzungsromans in der nächsten Weltwoche.

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Jazz

Film

Die gerettete Zunge

Herzlos bis ins Herz

Von Peter Rüedi

Der Kinderbuch-Bestseller «Der Junge im gestreiften Pyjama» wurde verfilmt. Nur wie? Von Wolfram Knorr

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icht nur im Jazz, aber da vor allem, gibt es eine Vielzahl von Musikern, deren Leben ihre Kunst verdunkelte. Jazz als Lebensform, die im totalen Engagement ins Hier und Jetzt jede Grenzüberschreitung erlaubte: nicht erst, aber vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren waren Drogen allgegenwärtig auf der Szene. Sie gehörten zur urbanen, «existenzialistischen» Ausstattung eines «tragischen» ­Lebensgefühls, das sich nicht so sehr von den Sucht-Apotheosen der «poètes maudits» des 19. Jahrhunderts unterschied. Chet Baker war der James Dean der Jazztrompete, nur dass ihm kein Unfalltod die ewige Jugend bewahrte. Sein Sturz aus einem Amsterdamer Hotelfenster 1988 beendete ein Leben mit vielen Toden und vielen Wieder­ geburten. Er war ein radikal Unbehauster, ­dessen einzige Heimat seine Musik war. Die trotzte er einem beispiellos chaotischen Leben ab, verfolgt von der Polizei ebenso wie den Drogenhändlern, immer kurzfristig auf Betriebsmittel angewiesen und somit zu jedem Kontrakt mit kleinen Plattenlabels und provinziellen Konzertveranstaltern bereit, oft genug mit lokalen Partnern weit unter seinem Niveau. Natürlich korrodierte ein solches Leben auch die Musik, in der riesigen Menge von Aufnahmen ab 1960 gibt es einige, auf denen er sehr brüchig, ja desolat klingt. Insgesamt aber ist erstaunlich, wie viel starke, intakte, «heile» Musik ihn überlebt hat. «Die gerettete Zunge» (Elias Canetti), sozusagen. Aus der Vielzahl von neu oder wieder veröffentlichten Aufnahmen dieses Jahres ist eine besonders eindrücklich, die Baker 1979/1980 in Rom mit dem damals noch wenig bekannten italienischen Pianisten Enrico Pieranunzi eingespielt hatte. Unaufgeregt, einfach, sicher in der fast ansatzlosen, warm fliessenden Intonation, die Band auf der Höhe ihrer Aufgabe. Und, ungewöhnlich für Baker, der sonst die immer gleichen Standards interpretierte: Er spielt lauter schöne Eigenkompositionen von Pier­ anunzi. Mit einer Ausnahme: die x-te Version seines Erkennungssongs «Ma Funny Valentine» im Duo, mit fahler Stimme fast geflüstert von diesem hinfälligen Magier der Intimität.

Chet Baker, Enrico Pier­anunzi: Soft Journey. EGEA SCA 140

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Holocaust für Kinder: Bruno, Sohn eines KZ-Leiters, will in die Gaskammer.

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arf man das? Den Holocaust als Folie für ein Märchen benutzen? Schlimmer: mit dem KZ als Hänsel-und-Gretel-Hexenhaus spielen? Der irische Schriftsteller John Boyne, 37, hat’s gemacht – und einen Weltbestseller gelandet. In 28 Sprachen wurde er übersetzt und von der Kritik hymnisch gefeiert, denn «The Boy in the Striped Pyjamas» ist ein «Holocaustbuch für Kinder» (Guardian). Das äusserste Grauen an kindliche Naivität zu binden, löst extreme Betroffenheitsreize aus, die jede ­kritische Distanz verbieten. Der neunjährige Bruno, der mit Schwester Gretel den Eltern aus dem schönen Berlin in die Provinz folgen muss, wo der Papa die Leitung eines KZs übernimmt, stösst draussen hinter Stock und Stein auf ein stacheldrahtumzäuntes Lager. Ein gleichaltriger, verhärmter Junge sitzt dort in einer Ecke, als hätte er auf Bruno gewartet. Shmuel trägt schmutzige, gestreifte Kleidung, die Bruno für einen Pyjama hält. Überhaupt ist der Nazi-Filius goldig. Auschwitz nennt er «AusWisch» und den Führer «Furor». Wie hintersinnig so ein Kleiner sein kann! Klar, dass ein solcher Wurf, den mehr Erwachsene als Kinder goutiert haben dürften, verfilmt werden würde. Aber was beim Lesen durch subjektive Vorstellungen noch einigermassen akzeptabel bleibt, wird durch die objektiven Bilder zur puren Peinlichkeit, die kindliche Optik zur Verlogenheit. So lernt Bruno

im Haus einen KZ-Häftling kennen, der von einem blonden SS-Offizier bei jeder Gelegenheit angebrüllt wird, ohne dass Bruno einmal fragt, warum. Shmuel und Bruno führen «idyllische» Gespräche, kein Wachsoldat behelligt sie, und Brunos Wohnsituation ist vollends ­absurd (mit Sicht aufs KZ). Regisseur Mark Herman («Little Voices») inszenierte für alle, die Gewissenhaftigkeit und Ordentlichkeit in der Betroffenheitsbereitschaft brauchen, um betroffen zu werden. Deshalb ist alles märchenhaft, damit niemand meckern kann. Zum Beispiel über Bruno und Gretel (!), die nicht zur Schule gehen, sondern von einem Hauslehrer traktiert werden, der ihnen strammes NaziZeugs einbläut; oder über Bruno, der auch einen «Schlafanzug» tragen will, im Gegensatz zu Shmuel, der nicht so feine Klamotten wie Bruno will. Shmuel will nicht aus dem Lager raus, dafür Bruno rein, damit er dort – der Rassenwahn frisst seine Kinder – in der Gaskammer enden kann. Das ist bis ins Herz hinein herzlos. Mark Herman hat seinen Film mit allen Klischees von Nazis, KZ-Häftlingen und naiven Kindern wie mit pawlowschen Klingelzeichen gefüttert. Entsprechend das Resultat: Wie aus einem Computer, der Menschenleben in unmenschlichen Zeiten simuliert. The Boy in the Striped Pyjamas. Regie: Mark Herman. Grossbritannien, 2008 Weltwoche Nr. 48.08

Bild: Lukács Dávid (Miramax)


Pop

Klassik

Reine Verzauberung

Halbe Stimme, ganze Kunst

Weltmusik ist eine Art Kübel für den Rest. Alle Jahrzehnte gibt’s eine grosse Ausnahme. Amadou & Mariam sind eine. Von Albert Kuhn

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eltmusik ist ein seltsamer Begriff. So was wie ein Kübel für den Rest. Etwa ­alle Jahrzehnte gibt’s eine grosse Ausnahme. Herz und Brieftasche der privilegierten Welt­ regionen öffnen sich für einen Moment einem Künstler oder einer Band der gewöhnlichen Welt. Man erinnert sich an die Gipsy Kings in den Achtzigern und an den Buena Vista Social Club in den Neunzigern. Und natürlich an die kürzlich verstorbene Myriam Makeba, die in den sechziger Jahren in unsere Hitparaden kam, Tourneen machte, später auch auf klei­ nern Bühnen. Einmal in eine Basler Nobel­ hotelbar, wo sich gut aufgelegte Herren einen Spass daraus machten, Eiswürfel in Frau Ma­ kebas Dekolleté zu werfen. Weltverachtend. Nun scheinen auch die nuller Jahre ihre Weltmusik-Ausnahme gefunden zu haben. ­Time Out jubelte 2005: «Das World-Album des Jahres!» Und der Londoner Observer schrieb: «Dies ist der spritzigste Afro-Pop-Blues, der je abgezapft wurde.» Es geht um das Duo Ama­ dou & Mariam aus Mali. Beide erblindet mangels Behandlung, trafen sie sich 1977 in einem Blindeninstitut in Ba­ mako, wo sie Brailleschrift studierten. Und ­begannen, zusammen Musik zu machen. Ma­ riam sang als Kind an Hochzeiten und traditi­ onellen Festen, Gitarrist Amadou war schon als Teenager Gitarrist bei den in Westafrika le­ gendären Les Ambassadeurs. Mariam und Amadou heirateten 1980, be­ gannen im selben Jahr aufzutreten, zogen aber bald in die Küstenstadt und Musikmetropole Abidjan. Dort erschienen ihre Songs auf Kas­ setten, die auch daheim in Mali grossen Erfolg hatten. Sie wurden nach Paris eingeladen und konnten dort um die Jahrhundertwende drei Alben aufnehmen. Weltmusikstar Manu Chao fand das Duo umwerfend und bat, ihr nächstes Album produzieren zu dürfen. Es hiess «Di­ manche à Bamako» (2005) und bedeutete den Durchbruch. Wie’s weiterging, kann man fast erraten: Die Kollaboration des aktuellen Al­ bums «Welcome to Mali» geschah mit dem englischen Rekordhaber in Sachen Anzahl Musikprojekte: Damon Albarn (Blur, Gorillaz, China-Oper etc.), der vor Jahren schon in Mali recherchierte. Das Telefoninterview mit Amadou wird zur Lektion in Bambara, der grössten Sprache Ma­ lis. Amadou übersetzte die Songtitel: «Mago­ sa» heisst «Situation de donner», «Sebeke» «Faire le travail», «Djuru» «La dette d’argent». Und «Sabali», Titel des ersten Songs, bedeutet «Patience». Es gehe darum, dass man sehr viel Weltwoche Nr. 48.08 Bild: Warner Music

erreichen und haben könne – wenn man ­Geduld habe. Der Song wird eröffnet von ­Mariams Stimme, dazu Geigen, klingt wie aus einem billigen Radio. Dann mixt Albarn elek­ tronische Pizzicati rein, Mariam nun in hoher Stimmlage, sich antwortend in tieferer, der Song nimmt sich Zeit, wird voller und voller, scheint aber dauernd in der heissen Luft Afri­ kas zu hängen, sprüht Charme und Melancho­ lie, ist reine Verzauberung. «Ce n’est bas bon» hat eine ähnliche Stim­ mung, befasst sich aber mit Politik: «L’Hypo­ crisie dans la Politique» singt Amadou und Mariam antwortet: «Sens pas bon, sens pas bon, nous n’en voulons pas.» In sichtbar kras­ sen Weltsituationen ist Texten das Leichteste. Ebenso leicht ist aber diese Musik aufgenom­ men. Sie ist eine reiche Ernte, hat aber immer dieses Schwebende, Exquisite, Vergängliche, Anmutige. So wie sich die Musik des Westens nun schon seit Generationen auf afrikanische Rhythmen eingelassen hat, lässt sich dieses Duo auf die Produktionsweisen der westlichen Popmusik ein. Das Resultat ist zauberhaft, ein Weihnachtsgeschenk an die Welt. Oh, ruft Amadou zum Schluss ins Telefon: Der Album­ titel sei als Einladung gedacht.

Amadou & Mariam: Welcome to Mali. Warner

Von Christian Berzins

W

as will ein fünfzigjähriger Opernsänger, der zu den besten der Welt zählt, noch erreichen? Bassbariton Simon Keenlyside sagt: «Natürlich will ich so gut wie möglich singen: Belcanto, Lieder und blablabla. Aber das Tolls­ te ist, wenn ich dem Willen des Komponisten und des Librettisten wirklich entspreche. Das heisst aber, dass ich für gewisse Werke nicht alles geben darf, was ich könnte – ich habe dem Werk zu dienen.» So banal das tönt, es ist ein riskantes Spiel. «Es wäre egoistisch, immer die ganze Stimme zu geben. Ihr Kritiker würdet das natürlich gerne hören, dann könntet ihr schreiben: ‹Was für eine Stimme!› Aber darum geht es nicht, entscheidend ist die Rolle.» Dummerweise ist auch zu viel Rollenidentifikation etwas Ge­ fährliches, denn wenn Keenlyside auf der Bühne zu sehr zu Pelléas wird, jubelt die Galerie. Dann muss er sich wehren und sagen: «Halt, halt, ich kann auch anderes, ich bin nicht Pelléas!» Den Fans ist nichts lieber als einer, der mit Haut und Haaren in seiner Rolle aufgeht. Keenlyside: «Während einer Aufführung gebe ich alles, was in meinem Körper und in meinem Kopf ist. Sie müssen mich dann von der Bühne zerren. Aber wenn es aus ist, dann bin ich ein­ fach nur ein normaler Mensch, der überhaupt nichts zu tun hat mit diesen Charakteren.» Wer so denkt, singt nicht mehr fürs Publi­ kum. «Ein grosser Ballkünstler spielt das gan­ ze Leben Fussball. Erst als Kind und dann vor einem riesigen Publikum. Aber er spielt nicht für die Fans. Nur wer echt singt, singt gut. Kommt dann der Applaus, muss man dankbar sein. Es ist eine Lüge, zu sagen, Applaus sei nicht wichtig. Jeder liebt ihn – und ich bin dankbar, dass ich viel Applaus erhalte.» Und dann erzählt er von früher, als seine Dankbarkeit nicht ehrlich war und das Publi­ kum es merkte. Zürcher Opernfreunde erin­ nern sich an den famosen William Shimell, ein Don Giovanni der frühen neunziger Jahre, dessen Arroganz und Ironie vor dem Vorhang brutal waren. Keenlyside wurde ihm immer ähnlicher, ruhelos faustisch zog auch er zehn Monate im Jahr durch die Welt. «Jetzt ist alles anders. Ich habe geheiratet und das Glück, mein Leben ordnen zu können.» Noch heute liegt aber in seiner Höflichkeit ein diabolischer Zynismus. Sonntag, 30.11., Opernhaus Zürich, 11 Uhr, Lieder von Ravel und Schumann

Ehepaar: Gitarrist Amadou, Sängerin Myriam.

Christian Berzins ist Musikkritiker der Mittellandzeitung.

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Zitate

Darf man das? Leser fragen, die Weltwoche antwortet Darf man in der gotischen Abteikirche von La Chaise-Dieu in der Auvergne scheinbar konzentriert den Ausführungen des Guide über die Totentanz-Fresken zuhören, gedanklich aber beim Décolleté der blonden Touristin nebenan verweilen? René Brunner

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«Die Frage stellen heisst sie beantworten», sagte Bild-Verleger Axel Springer zu Äusserungen, bei denen das Fragezeichen reine ­Koketterie ist. Herr Brunner, Sie waren so beglückt, dass Blondinen-Busen Ihnen immer noch näher gehen als Totentänze, dass Sie es den Weltwoche-Lesern mitteilen wollten. Sie fühlten sich triebgesteuert, lebendig, männlich, jung. Und Sie waren begeistert über Ihre schauspielerischen Fähigkeiten, die Sie, sorry, mit rund dreieinhalb Milliarden Männern teilen. Je nach Studie denken Männer zwischen 200- und 7000-mal am Tag an Sex. Das macht zahlreiche imaginäre Kopulationen pro ­Stunde, was wiederum notgedrungen Tarnung erfordert. Schreiben Sie uns wieder, wenn Sie ­eine Frage haben. Beatrice Schlag

KLIMAWATT AG, Generalvertretung EuroCave Seestrasse 18, 8802 Kilchberg Telefon 044 716 55 44, Fax 044 716 55 66 info@klimawatt.ch, www.klimawatt.ch

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Strasse/Nr. Weltwoche

Ihre Fragen zum modernen Leben mailen Sie uns bitte an darfmandasBweltwoche.ch. Oder schreiben Sie an Redaktion Weltwoche, Förrlibuckstrasse 70, Postfach, 8021 Zürich. Jede veröffentlichte Zuschrift wird mit einem Weltwoche-Abonnement honoriert. Nicht veröffentlichte Fragen können nicht beantwortet werden.

24.11.2

PLZ/Ort Telefon

In der stabilen Schweiz denkt man in grösseren Zeiträumen und hat einen langen Atem. Das tägliche Stammblatt der Republik, die züchtige Neue Zürcher Zeitung erscheint seit 228 Jahren. Dagegen ist die Weltwoche ein junger Hüpfer, in dieser Woche feiert sie erst ihren 75. ­Ge­burtstag. Sie war und ist ein Blatt, wie es nicht mehr viele gibt: eigensinnig, stur, erfrischend. Die Welt, 23. November 2008

Auch Geburtstage kann man vergessen. Selbst jenen der Weltwoche, welche heute vor 75 Jahren erstmals erschienen ist. Der jetzige Verleger, Besitzer und Chefredaktor, Roger Köppel, steht eigentlich nicht im Ruf, die Werbetrommel in eigener Sache ruhen zu lassen. Eine freundliche Erinnerung an das Jubiläum seines Blatts haben wir jedoch nicht erhalten. Darum folgt hier nun eine hastige Geburtstagsnotiz. Köppel teilt eine Tatsache mit dem Mitgründer des Blatts, Kurt von Schuhmacher [sic!]. Beide haben vor ihrer Verlegerkarriere bei der Neuen Zürcher Zeitung gearbeitet. Schuhmacher während acht Jahren, sein später Nachfolger etwa gleich lange. Neue Zürcher Zeitung, 21. November 2008

Ainsi, le 10 novembre dernier, Rainer-Marc Frey, fraîchement élu au conseil d’admini­ stration, vendait un million de ses titres UBS pour une valeur de 17,7 millions de francs! Un geste inadmissible aux yeux du banquier privé Jacques Rossier. «En tant qu’administrateur, s’il y a bien une action qu’il n’aurait pas dû vendre c’est bien celle-là», déclarait-il il y a quelque temps à la Weltwoche. Tribune de Genève, 24. November 2008

Für neue Empörung aber sorgte in Pristina eine vertrauliche Analyse, die das Berliner Institut für Europäische Politik im Auftrag der Bundeswehr verfasste. Darin hiess es, der Kosovo sei ein «polykrimineller Multifunk­ tionsraum». In dem Papier, aus dem die Schweizer Weltwoche im Februar zitierte, heisst es, Drogen-, Menschen- und Waffen­ handel seien die einzigen wachsenden Wirtschaftssektoren. Richter und Staatsanwälte würden eingeschüchtert oder bestochen; Angst und Korruption hätten auch die höchsten Ebenen internationaler Organisationen im Kosovo erfasst. Süddeutsche Zeitung, 24. November 2008 Weltwoche Nr. 48.08

Illustration: Miroslav Barták


Platin-Club

Weltwoche-Spezialangebot ELISABETH – Die wahre Geschichte der Sissi. Als Weltwoche-Abonnent/-in profitieren Sie von 20 % Rabatt auf den Vorstellungen vom Sonntag, 14.12.2008, und Freitag, 19.12.2008

Foto: Herbert Schulze Das Schicksal der Kaiserin Elisabeth von Österreich, besser bekannt als Sissi, hat die Menschen wie kaum ein zweites berührt. Bis heute ist ihr Mythos weit über die Grenzen Europas hinaus lebendig. Die atemberaubende Lebensgeschichte der schönen Kaiserin gastiert noch bis zum 4. Januar 2009 im Theater 11 in Zürich. Musik, die ans Herz geht, prunkvolle Kostüme und grandiose Bühnenbilder machen das erfolgreichste deutschsprachige Musical zum einzigartigen Erlebnis. Kaum jemand hat sie vergessen: die wunderbaren Sissi-Filme der fünfziger Jahre. Doch Kaiserin Elisabeth von Österreich war eine weitaus vielschichtigere Persönlichkeit, als dieses romantisch verklärte Bild vermuten lässt. Als der junge Kaiser Franz Joseph sich in die bildhübsche Sechzehnjährige verliebt, scheint für Elisabeth ein Traum in Erfüllung zu gehen. Doch mit für ihre Zeit ungewöhnlicher Selbständigkeit strebt die starke, junge Frau nach Verwirklichung und Unabhängigkeit. Ihr unbändiger Freiheitsdrang steht jedoch im Gegensatz zum strengen höfischen Protokoll und den Anordnungen ihrer unnachgiebigen Schwiegermutter. Zusehends empfindet Elisabeth den Kaiserhof als einen goldenen Käfig. Als der verführerische

Tod in ihr Leben tritt, wird die Geschichte der schönen Kaiserin zu einem überwältigenden Drama. Ein wahres Wechselbad der Gefühle erwartet die Zuschauer, bis sich schliesslich in einem ergreifenden Finale das Schicksal dieser bemerkenswerten Frau erfüllt ... Nach seiner Weltpremiere am 3. September 1992 in Wien eroberte das ergreifende und auch sarkastische Musical-Libretto «ELISABETH» die Herzen von über acht Millionen Menschen weltweit. Das Erfolgsmusical von Michael Kunze und Sylvester Levay basiert auf der Originalproduktion der Vereinigten Bühnen Wien und wurde bisher in zehn Ländern, unter anderem Ungarn, Schweden, Deutschland und Japan, gespielt. Nun entführt das Stück mit Gänsehautgarantie, welches sich auf die Tagebücher der Kaiserin Elisabeth stützt, auch das Schweizer Publikum auf eine schicksalhafte Reise, bei der sich jeder Zuschauer auf die eine oder andere Weise selbst wiedererkennt. Die fesselnde Inszenierung wird auch Sie unweigerlich in ihren Bann ziehen. «ELISABETH» bringt Ihnen Sissis Schicksal nahe wie nie zuvor: hochdramatisch, zeitgemäss und unvergesslich!

Weltwoche-Spezialangebot Als Weltwoche-Abonnent/-in profitieren Sie von 20 % Rabatt für die Vorstellungen vom Sonntag, 14.12.2008, 19.30 Uhr und Freitag, 19.12.2008, 19.30 Uhr Um vom Rabatt zu profitieren, laden Sie Ihr persönliches Kennwort unter www.weltwoche.ch/platinclub herunter und bestellen Ihre Tickets über Ticketcorner, Telefon 0900 800 800 (Fr. 1.19/Min.) oder beziehen Sie Ihre Tickets bei einer Ticketcorner-Vorverkaufsstelle (Bearbeitungsgebühr entfällt). Max. 4 Tickets pro Bestellung und nur solange Vorrat.

Das Musical «ELISABETH» gastiert noch bis zum 4. Januar 2009 im Theater 11 in Zürich. Weitere Informationen finden Sie unter www.elisabeth-musical.ch.


Napoleon Bonaparte, Breguet-Kunde seit 1798.

Classique - Ewiger Kalender - 5327BA w w w. b r e g u e t . c o m M o n t r e s B r e g u e t S A , 1 3 4 4 L’ A b b a y e ( V a l l é e d e J o u x ) , Te l . 0 2 1 8 4 1 9 0 9 0 PA R I S – C A N N E S – G E N F – W I E N – L O N D O N – N E W Y O R K – L O S A N G E L E S – D U B A I – M O S K A U – S I N G A P U R – T O K Y O – S E O U L


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