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»Keine Fregatte nimmt uns mit ins Weite wie ein Buch.«
Diogenes
Magazin
Emily Dickinson
Am Zeitungskiosk nur die übliche Langeweile? »Das Diogenes Magazin macht Spaß. Viel hochkarätiger geht es nicht.« Buchmarkt
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Illustration: © Sempé
Robinsons Insel aus dem Roman ›Robinson Crusoe‹ von Daniel Defoe (Diogenes Taschenbuch 21364)
Die Insel Lilliput aus dem Roman ›Gullivers Reisen‹ von Jonathan Swift (Diogenes Taschenbuch 22590)
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Sommer 2010
Diogenes
Magazin
Zu Besuch bei John Irving
Sommer-Reisen Im Périgord mit Martin Walker Am Nordpol mit Ian McEwan Couch-Surfing mit Arnon Grünberg In Istanbul mit Yadé Kara Sommer-Spaß Spiele, Tests, Kreuzworträtsel
1410 Bücher oder Reisedestinationen:
Diogenes Magazin
D Bitte frankieren
Diogenes Verlag AG Diogenes Magazin Sprecherstrasse 8 8032 Zürich Schweiz
›Die Schatzinsel‹ aus dem gleichnamigen Roman von Robert Louis Stevenson (Diogenes Taschenbuch 20701)
Pergamente (Hintergrund): © Fotolia.com
Die ChairmanInsel aus dem Roman ›Zwei Jahre Ferien‹ von Jules Verne (Diogenes Taschenbuch 20440)
Martina Borger Paulo Coelho Friedrich Dönhoff Arnon Grünberg John Irving Miranda July Yadé Kara Doris Lessing Loriot Ian McEwan Jean-Jacques Sempé Maria Elisabeth Straub Martin Walker Urs Widmer
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www.diogenes.ch Euro 4.– /sFr 7.–
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Loriot
Fußball – ein Spiel für Intellektuelle?
Wim Wum Wim Wum Wim
Buchtipp
Früher waren mehr Tore Hinterhältige Fußballgeschichten
von Friedrich Dürrenmatt, Jaroslav Hašek, Loriot, Luciano De Crescenzo, Urs Widmer, Nick Hornby, Erich Hackl, Martin Suter und anderen
Wum Wim Wum Wim Wum Wim Wum Wim Wum Wim Wum Wim Wum
Diogenes
detebe 23748, 304 Seiten
Wim Wum Wim Wum
spielt Fußball Diogenes
Wim Wum
detebe 23728, 64 Seiten
Illustration: © Sempé
Wum
Ich habe einige wichtige Fragen … Na, dann schieß los … nein-nein … ich meine: Nun frag schon! Wim, wie viele Männer gehören eigentlich zu einer Fußballmannschaft? Elf. Und wie viele Bälle haben die? Einen. Einen? Das ist ja wahnsinnig unergiebig! Du, die haben aber ’ne Menge zu tun! Die müssen den Ball doch ins Tor kriegen! Na und? Na, da stehen doch die anderen davor … Welche anderen? Die andern elf. Haben die auch ’nen Ball? Nein! Aber womit spielen die dann? Das ist doch alles völlig sinnlos! Nein-nein, die müssen den Ball ja auch ins Tor schießen. Wieso? Ich denke, die haben keinen Ball!? Das ist doch derselbe, Mensch!! Derselbe Mensch? Derselbe Ball! Na, 22 erwachsene Männer werden doch wohl den einen lumpigen Ball in dieses blöde Tor schießen können! In zwei, Wum, in zwei Tore! Aber man kann doch nicht einen Ball gleichzeitig in zwei Tore schießen! Nein-nein, die einen wollen ja auch nur, dass der Ball in das andere Tor geht! Und wissen die einen, dass die anderen den Ball in das eine Tor schießen wollen, während die anderen vermuten, dass die einen den Ball im anderen Tor benötigen? So ist es! Siehst du, das ist wieder so ein kompliziertes Spiel für Intellektuelle!
Magazin
Das Diogenes Magazin erscheint 3 x im Jahr als Abo (3 Ausgaben) für nur € 10.– (D /A) oder sFr 18.– (CH) (Weitere Länder auf Anfrage) So können Sie das Diogenes Magazin abonnieren: per Abo-Postkarte per E-Mail: diogenesmagazin@diogenes.ch per Fax +41 44 252 84 07
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Illustrationen: © Loriot
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Diogenes Diogenes
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Amuse-Bouche
Sommerzeit – Lesezeit: Endlich Zeit zum Lesen! Wenn man nicht andauernd gestört würde. Deshalb schenkt Ihnen das ›Diogenes Magazin‹ ein elegantes »Bitte nicht stören«-Schild – und zwar ein Faksimile des Türschilds aus dem New Yorker Plaza Hotel, das Georges Simenon zeitlebens benutzte, um in Ruhe seine Romane zu schreiben.
Foto Yves Debraine: © Time Magazine, New York; Foto Titelseite: © Everett Irving
Leider war jemand schneller als Sie und hat das Türschild schon herausgenommen.
Die Tochter Marie-Jo vor Simenons Arbeitszimmer mit dem berühmten ›Do not disturb‹Schild, Échandens, 1958. Die Szene wurde für den Fotografen gestellt, für seine Kinder hatte Simenon nämlich immer Zeit.
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Ersatz für das leidige
Editorial Zur Sommer- und Reisezeit haben wir eine Diogenes Anzeige von 1969 ausgegraben, als der Diogenes Verlag auch satirische Reiseführer im Programm hatte. Die Anzeige erschien in der Flughafen-Revue Zürich-Kloten.
John Irving 4 Ein Besuch bei der amerikanischen Literaturikone – mit einem sehr persönlichen Gespräch über Irvings Vater, den er nie gekannt hat, seine überwundene Krebserkrankung, sein Schreiben und seinen neuen Roman.
Miranda July 20 Fragen & Antworten
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Friedrich Dönhoff 14 Fragen & Antworten
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Werner Kühnel 82 verrät, warum er leidenschaftlich Diogenes Taschenbücher sammelt.
Schaufenster Leserbriefe Impressum / Vorschaufenster 2
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Foto: © Jonathan Torgovnik / Getty Images
Interviews
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Diogenes Magazin Nr. 4
Illustration oben: © Paul Flora; Foto links: © Steve Outram / Getty Images; Illustration Mitte: © Sempé; Foto rechts: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag
Inhalt
Istanbul – mit Yadé Kara 24 Yadé Kara lädt ein zu einem Rundgang fernab der Touristenfallen durch die Metropole am Bosporus, die Europäische Kulturhauptstadt 2010.
New York – mit Sempé 34 Die gigantische Metropole mit ihren klitzekleinen, ewig gehetzten Bewohnern und ihrem unverwüstlichen Charme. Ein Portfolio als Hommage.
Spitzbergen – mit Ian McEwan 68 Eine Reise in den hohen Norden im Jahr 2005 brachte Ian McEwan auf die Idee zu seinem neuen Roman Solar. Ein Bericht über den Faktor Mensch in der Klimarechnung.
Europa – mit Arnon Grünberg 30 Berlin, Prag, Stainach-Irdning in der Steiermark, Strobl am Wolfgangsee und Budapest – Stationen von Arnon Grünbergs Odyssee als Couchsurfer. Was das ist? Lesen Sie selbst.
Rubriken Denken mit Arthur Schopenhauer 78
Périgord – mit Martin Walker 62 Im Périgord, so heißt es, macht Gott Ferien. Martin Walker, dessen Krimis im Périgord spielen, erklärt weshalb. Die einsame Insel 53 Die klassische Frage ist: »Welches Buch würden Sie auf die einsame Insel mitnehmen?« Wir haben fünf Autoren gefragt. Und um es ihnen bequemer zu machen, durften sie mehr als nur ein Buch mitnehmen.
Sommerspiele
Literarisches Kochen Mit Martin Walker
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Owl’s Eye Wenn Bibliotheken heiraten
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Top 10 Jazz-Antidepressiva von Peter Rüedi
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Das erste Mal Doris Lessing
73
Wer schrieb hier? Gewinnspiel
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Mag ich – Mag ich nicht Christoph Poschenrieder
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Lesefrüchtchen
Keine olympischen Sommerspiele 40 dieses Jahr, dafür aber Diogenes Sommerspiele für Ihre Ferien: Inseln-Raten, Zahlenspiel, ein großes Kreuzworträsel (Büchergutschein im Wert von ¤ 1000.– zu gewinnen!), ein Psychotest, durch den Sie endlich erfahren, welcher Frauen- oder Männertyp Sie sind (mit Lesetipps), und vieles mehr. Diogenes Magazin
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eiten
Auf seiner letzten Lese- und Pressetour in Deutschland im Februar 2006 (›Bis ich dich finde‹) schrieb John Irving den letzten Satz seines neuen Romans ›Letzte Nacht in Twisted River‹ auf, der jetzt endlich erscheint.
sz ier Jahre HotelHAV G MB UR Raffles
Titelgeschichte
Ariel Leve
John Irving und wie er die Welt sieht John Irving schreibt epische, drastische, von seiner ungewöhnlichen Kindheit geprägte Romane. Ariel Leve hat John Irving in seinem Ferienhaus in Ontario besucht und mit dem Schriftsteller gesprochen: über seinen verschwundenen Vater, wie er mit elf Jahren verführt wurde und im Leben eine zweite Chance bekam – und natürlich über Irvings neuen Roman.
Foto links: © Jonathan Torgovnik / Getty Images
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or Beginn der Reise erfahre ich Näheres. Ein Hinweis seiner Assistentin lautet: »John betonte, dass Sie in einem offenen Boot fahren, deshalb sollten Sie für alle Fälle Regenbekleidung mitnehmen.« Und ein Rat: Verlangen Sie einen bestimmten Fahrer, der den Weg vom Flughafen Toronto zu dem kleinen Hafenbecken in Pointe au Baril, Ontario, kennt. Von dort wird mich ein Boot zu dem abgelegenen Ferienhaus bringen, wo die Irvings im Moment wohnen – John, seine Frau Janet und ihr gemeinsamer Sohn Everett. Die Überfahrt von dem kleinen Hafen zu ihrer Insel dauert zehn Minuten, und als wir näher kommen, steht auf dem Anleger ein tropfnasser Labrador, wedelt mit dem Schwanz und bellt. »Dickens!«, ruft Irvings achtzehnjähriger Sohn Everett fröhlich, der mich mit zwei Freunden in
Empfang nimmt. Eine großgewachsene elegante Frau mit langen Beinen taucht auf und stellt sich freundlich als Johns Frau Janet vor. Wir betreten das Haus durch eine Fliegengittertür, die in die Küche führt. Dort macht Janet mich mit ihrem Mann bekannt.
»Bei ihm stehen die Ideen hintereinander aufgereiht, wie Flugzeuge auf einer Startbahn«, sagt Janet über ihren Mann John. John Irving ist leibhaftig eine ebenso beeindruckende Erscheinung wie in seinen Büchern. Da steht einer der bedeutendsten lebenden amerikanischen Schriftsteller in Bermudas
und einem ärmellosen Top und schneidet Gemüse. Man erkennt ein paar Tätowierungen: die Namen Colin und Brendan (so heißen Irvings erwachsene Söhne aus seiner ersten Ehe) auf einem Arm, Janet und Everett auf dem anderen sowie eine Ringermatte auf der Innenseite des rechten Unterarms. Irving hat sich seinen Platz im Pantheon amerikanischer Schriftsteller verdient. Über zehn Millionen Exemplare seiner Bücher wurden in mehreren Dutzend Sprachen weltweit verkauft. Er hat zwölf Romane verfasst, darunter Garp – und wie er die Welt sah, für den er 1980 mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde, Gottes Werk und Teufels Beitrag (für sein Drehbuch nach dem Roman bekam er 2000 einen Oscar), und 1989 Owen Meany, in dem sich Irving mit Themen wie Schicksal, soziale UngeDiogenes Magazin
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rechtigkeit und seinem anhaltenden Zorn über den Vietnamkrieg beschäftigt. Mit 67 ist Irving rank und schlank. Man zeigt mir ein kleines Zimmer, in dem er täglich zwei Stunden lang an verschiedenen Fitnessgeräten trainiert. An einer Wand hängen Springseile und diverse Fotos von ihm als aktiver Ringer und, später, als Ringertrainer. Irving entdeckte diesen Sport mit vierzehn für sich und wurde 1992 in die National Wrestling Hall of Fame aufgenommen, die US-Ruhmeshalle des Ringersports. Ringer und Schriftsteller sein – beides erfordert höchste Disziplin und ein Auge für Details. John Irving kam 1942 als John Wallace Blunt in Exeter, New Hampshire, zur Welt. Seine Eltern ließen sich 1944 scheiden, als er zwei war, und seine Mutter verbot seinem leiblichen Vater jeden Kontakt mit John. Bis in seinem sechsten Lebensjahr sein Stiefvater Colin Irving auftauchte, lebte der kleine John in einem reinen Frauenhaushalt. Diese Frauen empfand er als angenehm, doch Männern gegenüber hegte er einen ihm unverständlichen Groll. Durch seine Mutter kam er zum Ringen. Sie brachte ihn in die Sporthalle und sagte: »Wenn du dich weiter mit Leuten schlagen willst, solltest du lernen, was du da tust.« Etwa zu der Zeit fing er an zu schreiben. Früh in seinem Leben und auch später in seiner Laufbahn hatte er das Gefühl, zwischen allen Stühlen zu sitzen. »Für meine literarischen Freunde war ich ein bornierter Sportler«, sagt er, »und meine Ringerfreunde sahen mich als schrägen Künstlertypen.« In der schlichten offenen Küche bereitet Irving das Abendessen vor. Er ist pausenlos in Bewegung, hockt sich hin und öffnet die Herdtür, um einen prüfenden Blick auf die mit Parmesan überbackenen Auberginen zu werfen, dann springt er rasch auf und kümmert sich um das schwarz werdende Hähnchen im Grill. Noch während er kocht, räumt er auf, systematisch und sorgfältig. Offenbar ist er im Leben genauso gut organisiert wie in seinen Gedanken. 6
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Letzte Nacht in Twisted River ist Irvings zwölfter Roman. Als er Janet kennenlernte, erwähnte er seine Idee von einem Buch über einen Koch und dessen Sohn auf der Flucht; das war 1986.
Erfolg bedeutet für Irving, dass er sich ganz dem Schreiben widmen konnte. Seine Berufung wurde sein Beruf. »Bei ihm stehen die Ideen hintereinander aufgereiht, wie Flugzeuge auf einer Startbahn«, sagt Janet voller Hochachtung für das Talent ihres Mannes. Als sie sich kennenlernten, war Janet Turnbull im Vorstand und Verlegerin des Buchverlags BantamSeal. Das war fünf Jahre nach Irvings Scheidung von seiner ersten Frau Shyla, mit der er 17 Jahre verheiratet gewesen war. Er und Janet verliebten sich rasch ineinander und heirateten ein Jahr später. Janet ist zwölf Jahre jünger als er. Irving ist inzwischen in der privilegierten Lage, dass er schreibt, während Janet sich um sämtliche Details und die Geschäfte kümmert. Als sie darüber sprechen, wie das funktioniert, erläutert sie, schon eine defekte Küchenmaschine könne ihn auf die Palme bringen. »Dann wird er ganz ungehalten und richtig wütend, fast ir-
rational. Ich habe dann das Gefühl, herbeieilen und das Problem lösen zu müssen.« Irving gibt zu, dass er leicht wütend wird. »Als Kind hatte ich auch genug Gründe, wütend zu sein. Na und? Ich brauche sehr lange, um Dinge zu verarbeiten, besonders solche, die mich emotional und politisch bewegt haben. Ehe ich über diese Dinge schreibe, versuche ich, eine gewisse Distanz zu gewinnen, weil ich weiß, dass ich deswegen so eine Wut im Bauch habe.« Seinen Vietnamroman Owen Meany schrieb er viele Jahre nach dem Krieg, und Gottes Werk und Teufels Beitrag konzipierte er ganz bewusst als historischen Roman, um sich aus dem politischen Gezeter um das Thema Abtreibung herauszuhalten. In letzter Zeit hat er sich aus Konflikten mit anderen ganz herausgehalten. »Irgendwann nach der Wahl von George Bush sagte ich zu Janet: ›Dinnerpartys mit Republikanern sind für uns gestrichen, weil ich nicht höflich und nett bleiben kann. Und wenn jemand etwas sagt, aus dem eine republikanische Mentalität spricht, werd ich ihn mit einem Scheiß-Hühnerknochen bewerfen.‹ Und das ist mir ernst.« Was er davon hält, seinen Zorn in den Griff zu bekommen? Ein schiefes Lächeln huscht über sein Gesicht. »Ich habe ihn immer im Griff«, flüstert Irving. »Ich werde nie so wütend, dass ich die Beherrschung verliere. Vielleicht habe ich das beim Ringen gelernt, aber ich weiß, wie ich es anstellen muss, dass es so aussieht, als hätte ich die Beherrschung verloren, als wäre ich total ausgerastet.« Er schüttelt den Kopf. »Aber ich raste nie aus.« Das Essen wird auf der Veranda angerichtet. Irving sitzt am Kopfende des Tisches. Er erzählt, wie sich sein Leben 1978 änderte, als er Mitte 30 war und Garp – und wie er die Welt sah veröffentlicht wurde. Er gibt zu, dass er damals wegen der Zerrüttung seiner ersten Ehe an einem Tiefpunkt angelangt war und seinen Erfolg und sein Glück nicht feiern konnte.
Foto: © Jonathan Torgovnik / Getty Images
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Im Nachhinein hält er es für gut, dass er nicht zu früh erfolgreich war. Vor Garp hatte er schon drei Romane geschrieben (Lasst die Bären los!, Die wilde Geschichte vom Wassertrinker und Eine Mittelgewichts-Ehe) und ging davon aus, dass er weiterhin unbeachtete Romane veröffentlichen, Englisch unterrichten und Ringer trainieren würde. Der Erfolg von Garp bedeutete, dass er sich ganz dem Schreiben widmen konnte; seine Berufung wurde sein Beruf. Während Everett den Tisch abräumt, kommen wir auf die Gesundheit zu sprechen, und Irving erzählt, dass im April 2007 bei ihm Prostatakrebs diagnostiziert wurde. Die Prognose war düster. Man teilte ihm mit, sogar nach einer radikalen Prostatektomie gebe es eine 30-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass der Krebs zurückkehre. Glücklicherweise ist das nicht eingetreten. Man sagte ihm auch, es bestehe eine 70-prozentige Wahrscheinlichkeit, nach der Operation inkontinent und sexuell dysfunktional zu sein. Auch das sei nicht eingetreten. »Der brenzligste Teil des Eingriffs …«, setzt Irving an, und Janet schlägt die Hände vors Gesicht. »Man muss nicht alles erzählen«, sagt sie leise. »Aber nein, nein, die Geschichte ist gut«, fährt er begeistert fort. »Ich mag diese Stelle. Sie verpassen einem einen Katheter, eine unangenehme Erfahrung. Ich komme also aus dem Krankenhaus zurück, gehe in die Küche – und der Hund wirft einen einzigen Blick auf diese Art Gummischlauch, den er offenbar für ein Hundespielzeug hält, und stürzt sich darauf. Ich denke: ›O Gott. Nicht mal ich könnte so was schreiben, und man würde es mir durchgehen lassen.‹ Es ist doch eine großartige Szene: Da kommt ein Mann mit einem Katheter aus dem Krankenhaus, und der Hund reißt es raus. Ich bin regelrecht erstarrt, konnte mich kaum bewegen, hatte Schmerzmittel genommen. Janet parkte gerade den Wagen, ich war hilflos, und da kommt Dickens auf mich zu.
Dieses große, fünfunddreißig Kilo schwere Fellknäuel aus geballter Energie stürmt durch die Küche.« Zum Glück brachte Irvings Sohn Colin den Hund in der Küchenmitte zu Fall.
Sportler und Schriftsteller zu sein, erfordert höchste Disziplin und ein Auge für Details. »Es ist ein tolles Gefühl«, fährt Irving ernst fort, »wenn man so eine Diagnose bekommt und noch mal davonkommt. Als würde einem eine Kugel am Ohr vorbeifliegen. Man denkt: ›Okay – noch mal Glück gehabt.‹«
Was änderte sich durch die Diagnose? »Ich war schon immer ein morbider Mensch«, sagt er. »Dadurch wurde mir klar, wie gern ich noch länger hier verweilen wollte – als Vater und für Janet. Damit sie nicht übers Ohr gehauen werden. Doch die Sterblichkeit spielt in jedem meiner Romane eine große Rolle. Für irgendwen ist die Uhr immer abgelaufen.« In den Romanen geschehen schreckliche Dinge unter häufig grotesken Umständen und auf für uns unerklärliche Art und Weise. Letzte Nacht in Twisted River kann sich mit Garp – und wie er die Welt sah messen; das Buch wird Irvings treue Leser nicht enttäuschen. Es umspannt fünf Jahrzehnte und war, wie er bekennt, strukturell das anspruchvollste seiner Bü-
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Foto links: © Jonathan Torgovnik / Getty Images
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cher. Er befindet sich heute an einem Punkt, wo er nichts mehr beweisen muss und ist, wie die von ihm geschaffenen Figuren, für die Unwägbarkeiten des Lebens anfällig. Am nächsten Morgen frühstücken wir gemeinsam. Irving versenkt ein paar Eier in einem Topf mit kochendem Wasser und stellt die Eieruhr auf sieben Minuten. Selbst im Kühlschrankinneren herrscht Ordnung: Die Milchkartons stehen auf einer Seite in Reih und Glied, der Saft steht auf der anderen. Nach dem Essen gehen wir hinüber in den Schreibschuppen. Irving schreibt sieben Tage die Woche, acht Stunden täglich, ab sieben Uhr morgens. Er beginnt seine Romane mit dem letzten Satz und arbeitet sich nach vorn. Auf seinem hölzernen Schreibtisch ist alles an seinem Platz. »Hören Sie sich das an«, sagt er und macht seine IBM-Schreibmaschine an. Sie klingt wie ein Traktor. In dem Haus der Familie in Vermont stehen sechs von der Sorte, damit er eine andere benutzen kann, falls eine kaputtgeht. In einem Becher stehen Textmarker – mit denen er beim Umschreiben, was er ständig macht, die Stellen farblich hervorhebt, damit seine Assistentin nicht durcheinanderkommt. Mit Reißzwecken an der Wand befestigt hängt ein maschinengeschriebenes Zitat des Dichters Rilke: »Kunst-Werke sind von einer unendlichen Einsamkeit.« Auf die Frage, was er – von seinen Büchern abgesehen – im Falle eines Brandes retten würde, falls er nur einen einzigen Gegenstand mitnehmen könne, zeigt er auf ein Foto seines leiblichen Vaters, den er nie kennenlernte, im Alter von 24 Jahren in seiner Uniform aus dem Zweiten Weltkrieg. Es ist die erste Fotografie seines Vaters, die er zu Gesicht bekam. »Als ich dieses Bild sah, war mein ältester Sohn Colin bereits älter als mein Vater (auf diesem Foto war), und ich dachte, ich sähe meinen Sohn vor mir.« »Das ist meine Mutter«, fährt er fort und deutet auf ein bräunliches, sehr altes Foto. Dann zeigt er auf Fo-
tografien seines Vaters mit ihm als kleinem Kind. Als er die Wahrheit über seinen leiblichen Vater erfuhr, war Irving 36. Seine Mutter gab ihm diese Fotos, als er sich von seiner ersten Frau scheiden ließ, mitsamt Briefen, die sein Vater während des Krieges aus China geschrieben hatte, und
»Es ist ein tolles Gefühl, wenn man so eine Diagnose bekommt und noch mal davonkommt. Als würde einem eine Kugel am Ohr vorbeifliegen.« sagte: »Jetzt, wo du deine Frau verlässt, wirst du diese Briefe verstehen.« Doch mehr wollte sie nicht dazu sagen. Er wusste, dass es seinen Vater gab, er wusste, wer er war, dass er lebte und im Krieg Pilot gewesen war. Doch dem kleinen John sagte seine Mutter nur: »Ich rede einfach nicht über ihn, mein Schatz«, und das sagte seine Großmutter auch. Daraus schloss Irving, dass sein Vater ein Monster war und sie ihn, John, nur beschützen wollten.
»Hören Sie sich das an«, sagt Irving und macht seine IBM-Schreibmaschine an. Sie klingt wie ein Traktor. »Es wäre ein Trost gewesen, wenn er im Krieg gefallen wäre – aber sie sagten nur: ›Nein, es hat einfach nicht funktioniert, und wir wollen nicht darüber reden.‹« Jahre später hörte er, dass sein Vater gelegentlich bei einem seiner Ringkämpfe zusah. Hoffte Irving, dass er irgendwann mal auftauchte und sich vorstellte? »Das hoffte ich immer. Ich dachte, er würde es tun. Und ich fragte mich, warum er es nicht tat.«
Wir stehen immer noch vor den Fotos. »Ich fragte mich immer: Warum tut er’s nicht?, doch meine Mutter war da sehr resolut. Bestimmt hat sie ihm knallhart klargemacht: ›Nein. Wenn du mich verlässt, siehst du ihn nie wieder.‹ Aber ich steckte damals auch nicht in ihren Schuhen – es war 1941, und sie war schwanger.« Hat er je nach ihm gesucht? Er antwortet prompt. »Nein.« Dann fügt er hinzu: »Die Antwort darauf ist einfach. Wenn meine Mutter unglücklich gewesen wäre – wenn sie nicht wieder geheiratet hätte oder wenn sie ein Arschloch geheiratet hätte –, hätte ich ihn garantiert gesucht. Doch ich liebte meinen Stiefvater. Nicht meiner Mutter zuliebe habe ich ihn nicht gesucht. Er wäre leicht zu finden gewesen. Er war beim Militär – ich kannte seinen Namen und seinen Dienstgrad. Doch ich wollte meinen Stiefvater nicht hintergehen. Er war wirklich gut zu mir gewesen. Ich wäre mir vorgekommen, als hätte ich zu ihm gesagt: ›Du bist nicht gut genug, ich will meinen richtigen Vater haben.‹ Dieser Mann trat nämlich in einem enorm wichtigen Zeitpunkt in mein Leben.« Irving lebte mit seiner Mutter, Frances Winslow, und seiner Großmutter – »ein ziemliches Ekelpaket« – zusammen, als seine Mutter wieder heiratete. Colin Irving, sein Stiefvater, war ein ruhiger und ausgeglichener Mensch. »Und er konnte gut mit mir umgehen. Er war eine Barriere, ein Schutz zwischen mir und meiner aufbrausenden Mutter«, sagt er. »Etwas Besseres als er hätte mir nicht passieren können.« 2001 nahm ein Kind aus der zweiten Ehe seines leiblichen Vaters Kontakt zu ihm auf. Er fand eine neue Familie. Damals war sein Vater, John Blunt, seit fünf Jahren tot. Als Kind drohte er manchmal seiner Mutter, wenn sie ihm nicht von seinem Vater erzählte, würde ihn das als Schriftsteller nur noch mehr anstacheln, weil er ihn und die Umstände, unter denen sie damals geschwängert wurde, selbst erfinden müsse. Sie sagte nur: »Tu das, mein Lieber.« Und das tat er. In Garp – Diogenes Magazin
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und wie er die Welt sah besteigt die Mutter einen hirngeschädigten, sterbenden Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg, um sich zu schwängern. Als seine Mutter ihm die Briefe überreichte, wurde er dadurch, wie er sagt, zum ersten Mal mit der Tatsache vertraut, dass sein Vater gar kein Monster war, sondern sehr vernünftig und nett klang. Doch dann seufzt Irving resigniert. Inzwischen war er geschieden, musste für zwei Söhne Unterhalt zahlen, und warum er keinen Kontakt aufnahm, erklärt er mit den Worten: »Ich dachte: ›Ich kann in meinem Leben nicht noch mehr Gefühlsstress gebrauchen.‹« Sein Roman Bis ich dich finde erschien 2005, und damals gab er einige autobiographische Details über seine Kindheit preis, vor allem über seinen sexuellen Missbrauch – auch wenn er den Begriff nie gebrauchte. Notzucht ist das falsche Wort für das, was damals geschah, daran lässt er keinen Zweifel: »Ich wurde von einer Frau über zwanzig sexuell initiiert.« Damals war er elf Jahre alt. »Ich mochte sie ungeheuer gern. Ich fühlte mich nie genötigt, hatte nie Angst; das Wort Missbrauch benutze ich nicht.« Irving ist sich bewusst, dass diese Frau damals ins Gefängnis hätte wandern können, hatte aber nicht das Gefühl, von ihr gepeinigt zu werden. »Als sie ein neues Leben begann und wegzog, fehlte sie mir, weil ich sie sehr gern hatte. Als ich später eigene sexuelle Beziehungen einging, waren sie weniger befriedigend. Denn mit einem gleichaltrigen Mädchen herumzumachen war nicht halb so interessant wie mit dieser Frau. Und dann hatte ich ein Problem, dachte ich – und ein Geheimnis. Ich fühlte mich viel mehr zu Frauen hingezogen, die älter waren als ich. Ich hab mich unendlich oft in die Mütter diverser Freundinnen verknallt, was ich als völlig unpassend empfand. Ich durchlebte eine Phase, in der ich Frauen attraktiv fand, die fünf, zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre älter waren als ich. Sie sahen es mir regelrecht an, glaubte ich. Fast so, als könnten sie 10
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meine Vorgeschichte lesen und wüssten, dass ich ihnen als älteren Frauen nicht widerstehen konnte. Ich schämte mich. Doch nach der Geburt meines ersten Kindes hörte das alles auf, und ich dachte plötzlich: ›Meine Güte, was ist wirklich wichtig? Du musst alles in deiner Macht Stehende unternehmen, damit diesem Kind nicht das Gleiche widerfährt wie dir.‹ Und damit war die Sache erledigt.« Er wartete lange, um darüber zu schreiben. In Bis ich dich finde legte er schließlich die nötige Distanz zwischen sich und seine Erlebnisse. »Ich konnte Mrs. Machado viel komplexer und schrecklicher machen, als es die Frau, die mich verführt hat, je war.«
Als er die Wahrheit über seinen leiblichen Vater erfuhr, war Irving 36. Ich gebe zu bedenken, dass der Begriff »verführt« recht milde und hochherzig ist. »Sie fand, dass sie nett zu mir war. Zweifellos liebte sie mich und wollte sich um mich kümmern. Und ich tat ihr leid – weil ich ein so kaputtes Familienleben hatte. Fast jedem Erwachsenen, den ich kannte, war klar, dass ich ein äußerst verschlossenes und eigenartiges Kind war.« Als ich wegen seiner versöhnlichen Einstellung nicht lockerlasse, sagt er: »Sie hat mir nicht wehgetan. Sie hat mich nicht in den Schwitzkasten genommen oder so was.« Er verweist noch einmal auf den reinen Frauenhaushalt, auf die, die den Laden schmissen – seine Mutter, seine Tanten und seine Großmutter. »Ich war von diesen nie um eine Antwort verlegenen, wortgewandten, äußerst selbstsicheren und gutaussehenden Frauen umgeben, die einfach alles bestimmten. Und das reichte vielleicht aus, um mich zu dem jungen Mann zu machen, der ich wurde, auch wenn ich die erwähnte Erfahrung nie gemacht
hätte. Verstehen Sie, was ich meine? Diese Powerfrauen meiner Kindheit hätten ausgereicht, selbst wenn mich diese Mittzwanzigerin nicht verführt hätte. Ich hatte also schon früh den Eindruck, dass Männer Reißaus nahmen. Entweder wurden sie herumgeschubst, oder sie suchten das Weite.« Für große Teile von Irvings Werk charakteristisch sind Erinnerung und das Vergehen der Zeit. Ihm ist aufgefallen, dass sein Kurzzeitgedächtnis nachlässt. Seine Romane enthalten so viele komplexe Details, dass er den Roman, an dem er gerade schreibt, heute häufiger durchlesen muss, als es früher der Fall war. Er muss schwerer daran arbeiten. Wenn ihn eins auf die Palme bringt, dann ist es Faulheit. »Als ich einmal einen begabten Sportler, ein Naturtalent, kennenlernte, der faul war und nicht hart an sich arbeitete«, er redet leiser, »da hab ich ihm nichts Gutes gewünscht. Ich sagte: ›Gebt mir den Typ, der an einen Pitbull erinnert und bis zur Erschöpfung rackert – und dann seht euch an, wie der Kampf ausgeht.‹« Kritiker, die seine Romane nicht bis zum Schluss lesen, bringen ihn ebenfalls zur Weißglut. »Jemand hat das Recht, meine Arbeit nicht zu mögen. Damit habe ich kein Problem. Ich bin bewusst ein altmodischer Schriftsteller, und viele Kritiker halten sich viel auf ihre Modernität zugute. Mich überrascht nicht, dass zeit meines Lebens das ästhetische Argument vorgebracht wird, weniger sei mehr. Solange ich schreibe, waren für die Kritik immer minimalistischere Werke der Gipfel der Perfektion. Und ich habe dazu eine sehr zynische Ansicht – dass sie faul sind, dass sie lieber einen kurzen als einen langen Roman lesen, und dass sie lieber dem Understatement den Vorzug geben. Wenn ein Kritiker meine expliziten Sexszenen nicht mag – es gibt genug puritanische Menschen, die sich über die drastischen Details beklagen. Stimmt, sie sind drastisch. Und zwar aus gutem Grund. Wenn ich zart besaitete Personen – die Wächter des
Foto: © Jonathan Torgovnik / Getty Images
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guten Geschmacks – so richtig ärgern kann, dann tue ich das auch.« Es bleibt, wie er findet, noch viel zu sagen. Er hat ein Publikum, Leser, die auf ihn zählen und zu denen er loyal steht, wohlwissend, dass sie sich auf seine neuen Bücher freuen. Das treibt ihn an und sorgt dafür, dass er weiterarbeitet. »Es ist zu einfältig, zu glauben, einzig die halbwegs präzisen Schilderungen dessen, was dem Autor tatsächlich widerfahren ist, seien die autobiographischen Elemente eines Romans. Die Beschreibungen dessen, was einem hoffentlich nie widerfahren wird, die Schilderung deiner Ängste – das halte ich für ebenso autobiographisch.« Indem er seine Ängste austreibt, sie in seine Romanfiguren gießt, lernt er mit ihnen umzugehen. Seine Ängste und Sorgen lähmen ihn nicht, sondern treiben seine Arbeit voran. »Das stimmt«, bestätigt er skeptisch, »was aber nicht zwangsläufig bedeutet, dass man nachts gut schlafen kann.« Eine Woche nach unserem Interview nagt in mir immer noch die Neugier, welche Beziehung Irving zu sei-
ner Mutter hatte und welche Bedeutung sie heute noch in seinem Leben spielt. Seine Stimme klingt am Telefon genau wie im direkten Kontakt – ernst und direkt. Sie sei neunzig, bei guter Gesundheit und immer noch mit seinem Stiefvater verheiratet. Sie wohnen in South Carolina, wo er und seine Halbgeschwister die beiden besuchen. Ich bohre nach, taste mich vor, wobei ich den Begriff »Aussöhnung« verwende.
Mit Reißzwecken an der Wand befestigt hängt ein Zitat von Rilke: »Kunst-Werke sind von einer unendlichen Einsamkeit.« Das irritiert ihn. »Dieses Wort«, sagt er, und ich höre die Frustration heraus. Es folgt das Eingeständnis, er habe an Depressionen gelitten. Er spricht mit der Selbstsicherheit eines
Menschen, der es gewohnt ist, dass man seinen Worten Aufmerksamkeit schenkt, wenn er etwas zu sagen hat. Er erzählt immer eine Geschichte. Er berichtet, er habe versucht, Antidepressiva zu nehmen, sie aber wieder absetzen müssen, weil sie die für seine Arbeit unabdingbaren verschlungenen Denkprozesse unterbrechen. Gewöhnlich leide er nicht an Depression, wie er klarstellt – nur wenn er einen Roman beende. Er hänge emotional an den Figuren, daher bedeute das Ende eines Romans immer auch ein Stück Trauerarbeit. »Für mich ist Depression ein unnötiger Luxus. Krebs – der kann einen runterziehen.« Eine »altmodische, unzeitgemäße« Auffassung, wie er zugibt. Und dann, mit unnachahmlicher Präzision, schließt er den Kreis. »Und deshalb strebe ich nicht nach Aussöhnung. Ich brauche sie nicht. Ich muss nicht meinen Frieden mit irgendwas machen. Ich verspüre kein Bedürfnis, irgendwas in Ordnung zu bringen. Ich muss nur meine Aufmerksamkeit den Menschen schenken, die sie am meisten brauchen.« Diogenes Magazin
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PSYCHOLOGIE HEUTE
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Am nächsten Tag erreicht mich eine ausführliche E-Mail. Irving erklärt, dass er am Telefon seine Schwierigkeiten habe, nicht gern telefoniere, sondern lieber schreibe. »Wenn ich meine Mom treffe«, schreibt er, »gehen wir liebevoll und herzlich miteinander um, und mit meinem Stiefvater bin ich schon immer gut zurechtgekommen. Meine Mutter war im Umgang mit anderen Menschen noch nie pflegeleicht. Sie ist sehr deutlich und unverblümt. Mit ihrer offenen Art hatte ich noch nie Probleme, sondern damit, was sie lieber für sich behalten wollte.« Er befasst sich wieder mit dem Wort »Aussöhnung« und erklärt, womit er nicht ausgesöhnt ist: »Mit meinem Heimatland.« Er bezweifelt, dass sich das jemals ändern wird. Letzte Nacht in Twisted River ist sein zweiter Roman, in dem eine Hauptfigur die USA verlässt und nach Kanada zieht. Der erste war Owen Meany. »Ich fände keinen Frieden, würde mich nicht wohlfühlen, wenn ich nicht in den Vereinigten Staaten wohnen würde«, schreibt er. »Weder als Künstler noch als Liberaler würde ich den Entschluss fassen,
in den USA zu leben, doch ich stamme von hier, und hier sind meine Familie und meine Freunde. Dennoch würde ich sagen, dass die fehlende Aussöhnung zwischen mir und meinem Heimatland eine viel tiefere Kluft darstellt als die zwischen meiner Mutter und mir; mit dieser fehlenden Aussöhnung, diesem Gefühl einer tiefen Entfremdung zwischen mir und meinem Heimatland, komme ich sehr schwer zurecht. Mein Land ist mir oft peinlich, unangenehm; ich verabscheue aggressiven Patriotismus, doch ich bin Amerikaner und lasse mich nicht vertreiben.« Irving sagt, dass er zurzeit nur an die ersten beiden Kapitel seines neuen Romans denken kann, mit dem er begonnen hat. Er befürchtet, vor Beginn seiner Lese- und Pressereisen für Letzte Nacht in Twisted River nicht mehr mit dem dritten anfangen zu können.
Und die E-Mail schließt mit den Worten: »Als ich gerade die ersten zwei, drei Kapitel eines älteren Romans geschrieben hatte, sagte eines Abends – das war kurz nach dem Abendessen – ein Freund zu mir: ›Würdest du mir vorlesen, was du geschrieben hast?‹ Ich sprang vom Tisch auf, um die Seiten zu holen. Janet sagte zu dem Freund: ›Hast du drei Stunden Zeit?‹ – ›So lange dauert das nicht!‹, widersprach ich. ›Vielleicht zweidreiviertel Stunden‹, sagte Janet. Der Freund bekam kalte Füße und verabschiedete sich; ich blieb noch stundenlang auf und las mir selbst laut vor.«
Buchtipp
John Irving on Tour
Buchtipp
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Aus dem Englischen von Hans M. Herzog. Zuerst erschienen im ›Sunday Times Magazine‹
September 2010 Hamburg, Köln, Stuttgart, Zürich Sonntag, 12. September 2010 Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen Eine Geschichte von John Irving Mit vielen Bildern von Tatjana Hauptmann
Illustration: © Edward Gorey / Edward Gorey Charitable Trust
Diogenes
40 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-01102-9
John Irvings erstes Kinderbuch, hinreißend illustriert von Tatjana Hauptmann. Das Abenteuer eines tapferen kleinen Jungen, der schlecht träumt und mitten in der Nacht mit seinem Vater auszieht, ein gespenstisches Geräusch zu suchen und zu verjagen.
Laeiszhalle, Johannes-Brahms-Platz D-20355 Hamburg
Montag / Dienstag, 13. / 14. September 2010 Tanzbrunnen, Rheinparkweg 1 D-50679 Köln
Donnerstag, 16. September 2010 Theaterhaus T1, Siemensstraße 11 D-70469 Stuttgart
Samstag, 18. September 2010 Schauspielhaus Zürich, Rämistraße 34 CH-8001 Zürich
John Irving Letzte Nacht in Twisted River Roman · Diogenes
736 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06747-7
Endlich! Der neue Roman von John Irving. Die Odyssee eines Kochs und seines Sohns durch halb Amerika. Die Geschichte einer großen Liebe und vieler kleiner.
Diogenes Magazin
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Der SPIEGEL im Abo: www.spiegel.de/abo
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Cindy Sherman Spike Jonze Dave Eggers Jarvis Cocker David Shrigley u.a.
Interview
Miranda July Zurzeit hat Miranda July viel zu tun. Sie arbeitet an ihrem zweiten Kinofilm und ihrem ersten Roman, auf den alle nach dem Erfolg ihres Erzählbands ›Zehn Wahrheiten‹ sehnsüchtig warten. Zwischendurch hat Miranda July trotzdem Zeit gefunden, sich auf ein von Michael Higgins erdachtes Spiel einzulassen. 20 Freunde und Kollegen der Künstlerin wurden aufgefordert, ihr jeweils eine Frage zu stellen. Hier sind Miranda Julys Antworten.
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1. Cindy Sherman: Von all den Dingen, die du je freiwillig vor Publikum gemacht hast – wobei hattest du am meisten Angst? Miranda July: Bei meinen Auftritten im Vorprogramm von Punkbands, als mich noch niemand kannte. Egal, was ich mir einfallen lasse, in eine derart schreckliche Situation würde ich heute nicht mehr kommen. Manchmal waren die Leute so konsterniert, das Konzept ›Performance‹ für sie dermaßen fremd, dass sie sauer wurden und mich während meines Auftritts niederbrüllten. Ich hab mir unter den Zuschauern immer wenigstens eine Frau rausgesucht, die schaute, als wüsste sie, wovon ich rede. Dann konzentrierte ich mich ganz auf sie; so habe ich durchgehalten.
Foto links: © Autumn de Wilde / ICON / Dukas
2. Spike Jonze: Warum sind wir hier? »Wir« im Sinne von »die menschliche Spezies«? Oder bloß du und ich? Wir Menschen sind hier, weil es Perfektion nicht geben kann. Es muss immer irgendwelche Lebewesen geben, die unzufrieden sind, nicht stillhalten können, zu viel wollen. Gäbe es nur Tiere, Steine und Kopfsalat, hätten die Götter das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. 3. Dave Eggers: Du als Künstlerin, die mit verschiedenen Medien arbeitet – wenn du etwas siehst, das du in irgendeiner Form künstlerisch behandeln möchtest, weißt du dann schon automatisch, in welchem Medium? Normalerweise ja. Ich trage die Idee in mein Notizbuch ein und zeichne dann in die Ecke der Seite einen Kreis mit einem Buchstaben drin. S steht für »Story«, N für »Novel«, M für »Movie«, A für »Art«, P für »Performance« und B für »Business«. Das hört sich an, als wäre ich total pedantisch. Dabei kann man mit mir so viel Spaß haben! Ich bin völlig durchgeknallt! Party bis zum Umfallen! 4. Michel Gondry: Setzt du dir einen festen Rahmen dafür, wie
deutlich die Idee oder das Konzept in deinen Arbeiten vermittelt wird, und verschiebst du diesen Rahmen, wenn du zum Beispiel von Kunst zu Film wechselst? Über diese Frage habe ich in letzter Zeit häufig nachgedacht, da ich permanent zwischen einem Roman, einem Drehbuch und Skulpturen hin und her pendle. Jedes Medium hat einen anderen Verfeinerungsgrad, und der Trick ist, das zu respektieren. Literatur ist am subtilsten, so als würde man mit winzig kleinen Uhrmacherwerkzeugen arbeiten. Wenn ich mich dann wieder an mein Drehbuch setze, habe ich das Gefühl, dicke, unförmige Handschuhe zu tragen, aber unförmige Handschuhe eignen sich gut für symbolische Gesten. Und bei der Kunst ist es, als hätte man gar keine Hände, man lässt das Geheimnis einfach unausgesprochen. Was, wenn es funktioniert, wieder eine ganz eigene Art von Präzision ist. 5. Debra Singer: Was hast du dieses Jahr an deinem Geburtstag gemacht? Der ist im Februar, da war ich in den Bergen, bin früh aufgestanden und erst mal Rodeln gegangen. Ich weiß noch, wie ich über einen hohen Buckel geflogen, kopfüber im Schnee gelandet bin und mir gedacht habe: Wenn 35 so aussieht, soll es mir recht sein. 6. Daniel Birnbaum: Wie viel Uhr ist es auf der Sonne? Hot-o’clock. 7. Kate und Laura Mulleavy: Wie lautete das letzte Wort, das du ausradiert hast? Hot-o’clock. Ich war mir nicht sicher, ob man es so schreibt. 8. Hans Ulrich Obrist: Kannst du mir etwas über nicht verwirklichte Projekte von dir verraten? Ich habe eigentlich keinen großen Ideenüberschuss. Einige Ideen entwickeln sich ganz langsam, über viele Jahre hinweg, aber ich verlasse mich darauf, dass aus allen interessanten irgendwann mal etwas wird. Das kann
natürlich auch Naivität sein. Vielleicht werde ich nie meine eigene Avantgarde-Performance-Talkshow im Fernsehen bekommen, die sich irgendwo zwischen Frederick Weisman, Mister Rogers und American Bandstand bewegt. 9. Khaela Maricich: Nenn mir etwas, das du im Laufe der letzten zehn Jahre hinzugelernt hast. Ich habe zumindest ansatzweise gelernt, wie man sich streitet. Die Art von Streit, bei der man zuhört. Ich bin anderer Meinung, aber ich höre zu. Und Zuhören verändert dich, ob du willst oder nicht. 10. Harrell Fletcher: Wann kann man deiner subjektiven Meinung nach etwas – ein Kunstwerk, einen Film, ein Buch, eine Suppe, ein Lied, einen Spaziergang – gelungen nennen? Oder vielleicht anders gefragt: Wenn du ganz verschiedene Dinge aus meiner Aufzählung eben vor dir hättest, die du als gelungen empfindest – hätten sie alle etwas gemeinsam, was dir an ihnen gefällt? Oder ist Qualität in jedem Einzelfall etwas anderes? Ich glaube, es gibt gleich mehrere genreübergreifende Kriterien für Qualität, aber hier ist mein liebstes: Zuerst kannst du es nicht ab. Aber dann wächst du plötzlich, du entwickelst dich, und das Buch, die Suppe, der Song oder der Spaziergang werden zu etwas ganz Kostbarem – dem ersten Beleg für dein neues, klügeres Ich. 11. George Saunders: Warum Kunst? Warum Geschichten schreiben, Filme drehen? Warum macht man deiner Meinung nach Kunst? Na, jetzt setze ich mal alles auf eine Karte und sage: Wir tun es, weil das Leben so irre schön, seltsam, herzzerreißend, scheußlich usw. ist, dass wir den unbändigen Wunsch empfinden, es uns (selbst?) zu beschreiben, doch das können wir nicht! Wir schaffen es nicht! Und dann machen wir eben Kunst. Diogenes Magazin
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13. Chan Marshall: Stell dir vor, du müsstest ins Gefängnis. Welches Verbrechen hättest du begangen? Diese Frage nehme ich wörtlich: Ich bin mal festgenommen worden, als ich 18 war, wegen Ladendiebstahl. (Hallo, Mom!) Ich hatte eine Tube Neosporin-Wundsalbe geklaut. Ich hab sie mir in den Strumpf gesteckt. Als der Ladendetektiv mich am Arm packte, war ich so erschrocken, dass ich mir in die Hosen gemacht habe. Ich hatte ein Kleid an, darum bildete sich eine kleine Pfütze direkt unter mir, auf dem Boden. Aber davon ließen sie sich nicht beeindrucken. Ich musste auf die Wache, Fingerabdrücke abgeben, das volle Programm. Danach kaufte ich mir ein Orangeneis am Stiel, setzte mich auf den Bordstein, leckte mein Eis und heulte. 14. Matthew Higgs: Welche Frage würdest du dir selbst gerne stellen? Kann ich mal Pause machen? 15. Carrie Brownstein: Welches deiner täglichen Rituale beruhigt dich am meisten und warum? Ich esse jeden Morgen ein Ei, und wenn ich es aufhabe, denke ich fast jedesmal: Wenn ich jetzt eingesperrt werde und hungern muss, wird mich das Protein aus diesem Ei eine ganze Weile am Leben halten. 18
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16. Monet Zulpo-Dane: In deinem Garten verbuddelst du eine Zeitkapsel, die du zu deinem 90. Geburtstag wieder ausgraben willst. Was sind die fünf wichtigsten Dinge, die du einpackst? 1. Das Gefühl eines normalen Tages im Alter von 35 Jahren. 2. Ein Gespräch zwischen Mike [Mills] und mir darüber, was es zum Abendessen
geben soll. 3. Meine Eltern. 4. Meine Zähne. 5. Die Zeitkapsel, die du und ich vergraben haben, als wir 7 waren. 17. Lorrie Moore: Wie klappt’s denn mit dem Italienischen? Und damit mein ich nicht diesen Gondoliere. Molto male. 18. David Shrigley: Wie lautet deine Lieblingsbeschimpfung oder dein Lieblingsfluch? »Pud« kommt mir im Moment recht oft über die Lippen, ich hab’s gerade erst nachgeschlagen und herausgefunden, dass es Penis bedeutet. Als Fluch »fucklord«. Das hab ich von einem Freund aufgeschnappt. Manchmal setz ich noch ein »lord of fuck« drauf. 19. Jonathan Lethem: Wenn du in irgendeinem Kunstwerk leben müsstest, welches würdest du dir aussuchen? Ein Bild von Mamma Andersson mit dem Titel Leftovers. Du findest es im Internet. Drei Mädchen in einer hübschen, chaotischen Wohnung. Sie wirken entspannt; eins von ihnen ist nackt.
Buchtipp
Miranda July Zehn Wahrheiten Stories · Diogenes
Diogenes Taschenbuch detebe 23938, 272 Seiten
In Miranda Julys Erzählungen wird das Alltägliche wieder zum Wunder und das Skurrile so selbstverständlich wie Gespräche übers Wetter. Sechzehn Stories von bizarr bis sexy, von zärtlich bis verstörend. Auch als Diogenes Hörbuch
20. Joanna Newsom: Bitte nenn mir etwas, das anderen Leuten offenbar viel bedeutet, dir aber gänzlich gleichgültig ist, und etwas, das dir sehr wichtig, aber den meisten anderen eher gleichgültig ist. Punkt eins: Alkohol. Punkt zwei: Errata. Die sammle ich, seit ich klein bin, wahrscheinlich, weil meine Eltern einen Verlag haben. Errata sind Korrekturzettel, die einem Buch beigelegt werden, wenn es schon gedruckt ist. Es ist ein prima Sammelgebiet, denn man kann sich nicht auf die Suche danach machen, man stößt einfach zufällig darauf. In 25 Jahren habe ich erst etwa 12 gefunden.
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Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann Zuerst erschienen im INTERVIEW Magazine im August 2009. Courtesy of Interview, Inc., New York.
Foto: © Autumn de Wilde / ICON / Dukas
12. Jarvis Cocker: Du hast gesagt, die Wahl von Barack Obama sei so gewesen, als würden die USA das erste Mal ihre Periode bekommen. Kannst du das näher erläutern? Damit wollte ich sagen, dass es beides war, symbolisch und sehr real. Dass wir ihn gewählt haben, war ein Schock für mich, der meine Einstellung zur Zukunft verändert hat. Ich hatte das aufregende Gefühl einer neuen Verantwortung. Wirklich nicht unähnlich dem Gefühl, als ich das erste Mal meine Tage bekam, nur eben nicht privat, sondern als Nation! Aber ich weiß nicht, ob die Metapher wirklich standhält … Wollen wir als Nation etwa geschwängert werden? Wollen wir PMS? Tampons? Hm?
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Cindy Sherman ist Fotografin und Filmemacherin und lebt in New York. Spike Jonze lebt als Autor, Regisseur und Produzent in Los Angeles. Sein jüngster Film heißt Where the Wild Things Are. Dave Eggers ist Schriftsteller und Verleger. Michel Gondry hat gerade seine neue Sammlung mit Musikvideos veröffentlicht (Michel Gondry 2: More Videos, und arbeitet zurzeit bei Columbia Pictures an The Green Hornet). Debra Singer ist die Direktorin und Chefkuratorin von The Kitchen in New York. Daniel Birnbaum, Autor und Kurator aus Frankfurt war der Direktor der 53. Biennale in Venedig.
Kate und Laura Mulleavy sind die Gründerinnen und Designerinnen von Rodarte in Los Angeles. Hans Ulrich Obrist ist der Co-Director der Serpentine Gallery in London. Khaela Maricich von der Band The Blow lebt als Künstlerin in New York. Harrell Fletcher ist Direktor des Art and Social Practice Programs an der Portland State University in Portland, Oregon. George Saunders lebt als Dozent und Schriftsteller in Syracuse, New York. Jarvis Cocker ist ein kurzsichtiger Singer-Songwriter aus Nordengland. Chan Marshall a.k.a. Cat Power ist eine Singer-Songwriterin und lebt zurzeit in Los Angeles. Matthew Higgs ist der Direktor der White Columns, New York.
Das Magazin für Leser \\
Carrie Brownstein von der Band Sleater-Kinney ist Musikerin, Schauspielerin und Autorin. Sie lebt in Portland, Oregon. Monet Zulpo-Dane arbeitet bei Green For All in Oakland, California. Lorrie Moore unterrichtet an der University of Wisconsin-Madison. Ihr neuster Roman heißt A Gate at the Stairs. David Shrigley ist Künstler und lebt in Glasgow. Jonathan Lethem ist Schriftsteller und lebt in Brooklyn. Sein jüngster Roman hat den Titel Chronic City. Joanna Newsom spielt Harfe und Piano und lebt als Singer-Songwriterin in Kalifornien.
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Jetzt 1x kostenlos und unverbindlich lesen! Einfach online bestellen unter
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Schaufenster
Martin Suter Nr. 1 Seit Monaten steht Martin Suters Roman Der Koch auf allen Bestsellerlisten, fünf Wochen war er sogar auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Die Redaktion des Branchenmagazins Schweizer Buchhandel kann sich nicht daran erinnern, dass in den vergangenen 30 Jahren jemals ein Titel eines Schweizer Autors auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste gestanden hat. Eines ist jedenfalls klar, in der Geschichte des Diogenes Verlags sind noch nie in so kurzer Zeit so viele Exemplare von einem Roman verkauft worden.
Donna Leon auf allen Kanälen Zweimal im Jahr fragt die Diogenes Presseabteilung für die Verlagsvorschau und den Veranstaltungskalender alle Autoren an, ob es etwas zu berichten gibt. Donna Leon antwortete diesmal sehr ironisch und humorvoll auf die Anfrage mit dieser Liste von weltbewegenden Events und Auszeichnungen, die demnächst für Schlagzeilen sorgen werden. Ausstellungen: Der Einfluss der Romane Donna Leons auf Caravaggios spätere Portraits. Villa Borghese, Rom, Januar bis März 2011. TV-Verfilmung: Guido Brunetti und Emma Bovary. WDR, 28. August 2011. Kino-Verfilmung: Krieg und Frieden und Pasta und Risotto. Diesen Sommer im Kino.
Theater: Katzen, Hunde, Dachse und Guido Brunetti, Schubert Theater, New York, Juni 2011. Auszeichnungen / Preise: Nobel (Biochemie), Booker, Pulitzer, Opus Dei und Beginn des Seligsprechungsverfahrens des Heiligen Stuhles. Neue Hörbücher: Donna Leon spricht über Dachse, bis Ihnen das Hören und Sehen vergeht. Hörspiele: Dachse und ihr Einfluss auf die grossen Schlachten des Ersten Weltkrieges. Events: Dachse-Befreiungstag 13. April 2011. Vermischtes: Cover Stories in Gente, Gala, Glückspost, Hello!
Twitter Niemand weiß eigentlich, für was Twitter gut sein soll, außer vielleicht die, die es so oft benutzen, dass sie vor lauter kurzen Meldungen keine Zeit mehr zum Lesen haben. Bei Penguin ist jetzt ein Nebenprodukt der Twittermode als Buch erschienen: Twitterature, The 20
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World’s Greatest Books Retold Through Twitter. Die Herausgeber Alexander Aciman und Emmett Rensin haben »gezwitscherte« Inhaltsangaben mit maximal 140 Zeichen zu 60 Werken der Weltliteratur gesammelt. Hier einige Beispiele: »Typing feels weird today«
Illustration Frosch: © Tomi Ungerer; Illustration Mann: © Roland Topor; Foto Leon: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag
Die Diogenes Website www.diogenes.ch wurde vom Multimedia-Magazin Anthrazit (www.anthrazit.org) zu einer der acht besten Schweizer Websites des Jahres 2010 in den Bereichen Kunst / Kultur / Film / Musik gewählt. Aber wie sagte Tomi Ungerer: »Lorbeeren stechen, wenn man sich draufsetzt.« Für Sommer 2010 ist eine Überarbeitung der Diogenes Website geplant, die die Benutzerfreundlichkeit weiter verbessern soll.
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(Kafka, Die Verwandlung); »My family won’t stop fighting the Capulets. Life should be a party. Make love, not war!« (Shakespeare, Romeo und Julia); »For that matter, who gets shot in the pool? Gatsby and the American Dream are dead« (Fitzgerald, Der große Gatsby). Folgende Diogenes Autoren twittern übrigens: Paulo Coelho, Andrej Kurkow, der Dalai Lama und neu Tomi Ungerer.
Worstseller
Der Bücher-Bus ›Emil‹ Dass die Konterfeis unserer Autoren Schaufenster von Buchhandlungen schmücken, ehrt uns weiterhin und verliert doch angesichts der neu eroberten Werbefläche ein wenig an Bedeutung: ein Oldtimer-Linienbus, der 35 Jahre in Wales im Einsatz war und nun bereits mehr als 1000 km durch Westfalen schaukelte. Möglich macht dies die Besitzerin der ungewöhnlichen Buchhandlung auf Rädern: Elke Großelohmann. Nichts schreckte diese bewundernswerte Frau in ihrer 10jährigen Vorbereitungszeit, bis BücherBus ›Emil‹ endlich auf Reisen gehen
konnte durch die buchhandlungslosen Orte der süddeutschen Republik. Sie machte sich auf nach Maastricht, um ihren ›Emil‹ zu erwerben, schiffte ihn ein, paukte für den benötigten LKWFührerschein, ließ neben dem Originalinventar den Bibliotheken-Bauer die Regale einbauen und macht nun Bücherfreunde und Teeliebhaber glücklich, die ihr Tässchen im ersten Stock zum Schmökern serviert bekommen. Wir sagen: Danke, Frau Großelohmann, und allzeit gute Fahrt. Unsere Autoren mögen Ihnen Schutzheilige auf allen Wegen sein!
Illustration: © Chaval; Fotos: © Privat
Vor einem Jahr wurde im Diogenes Magazin Nr. 1 die Diogenes Worstsellerliste 2008 veröffentlicht. Aber nicht nur einige Bücher verkaufen sich miserabel, auch Hörbücher. Hier also die Top 5 der schlechtest verkauften Diogenes Hörbücher des vergangenen Jahres, eine Liste von großartigen Autoren und Aufnahmen – und schmerzlich tiefen Verkaufszahlen: 1. Die Bibel – Hiob (5 Ex.) 2. Patricia Highsmith, Kleine Geschichten für Tierfreunde (9 Ex.) 3. E.B. White, Wilbur und Charlotte (11 Ex.) 4. Anton ¢echov, Ein unnötiger Sieg (16 Ex.) 5. Puškin, Pique Dame (26 Ex.) Eine Liste, die vielleicht eine Anregung ist, die Ohren für Neues und Unbekanntes zu öffnen: »Willst du nur hören, was du schon gehört?« (Goethe)
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Maigret-Sammler
Die Buchhandlung Flinker gibt es leider längst nicht mehr, die Zürcher Ausgabe der Werke Schopenhauers hat Diogenes aber im Schopenhauer-Jahr neu aufgelegt – leider nicht mehr mit den beiden Zitaten auf dem Schuber.
Die Welt als Wille …
Schopenhauer-Jahr Was haben Maigret und Schopenhauer gemeinsam? Eigentlich nichts, außer dass das italienische Bestseller-Autorenduo Fruttero & Lucentini beide in einem schönen Essay von 1985 erwähnen: »Zwei Dinge vor allem bleiben für uns stets mit dem Zauber des Quai des Orfèvres verbunden. Das eine, auf der Seite des Justizpalastes, sind die Büros der Kriminalpolizei, aus deren Fenstern Kommissar Maigret, Pfeife zwischen den Zähnen, noch jahrhundertelang auf die Seine und den Verkehr auf dem Pont-Saint-Michel hinunterblicken wird. Das andere, zum Pont-Neuf hin, auf Nummer 68, hinter einer schmalen Tür und einem noch schmaleren Schaufenster, ist der tiefe, labyrinthische, schlecht beleuchtete Laden von Martin Flinker: die älteste deutschsprachige Buchhandlung von Paris. (…) Als gegen Ende der siebziger Jahre der Diogenes Verlag in seinen Taschenbüchern die eigene Zürcher Ausgabe der Werke Schopenhauers in zehn Bänden 22
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veröffentlichte, zu einem bescheidenen Preis, samt einer in der Kassette mitenthaltenen kostbaren Sammlung von Aufsätzen und Würdigungen über den Autor, da gelang es uns ganz und gar nicht, diese nicht geschenkt zu bekommen. ›Nehmt sie mit der Empfehlung des Herausgebers oder des Autors‹, sagte Martin Flinker. ›Und mir‹, fügte er augenzwinkernd hinzu und deutete auf den Tisch mit den Neuheiten, ›mir tut bloß den Gefallen und fragt nie wieder nach diesem Zeug da.‹ Dann setzte er die Brille auf und las uns, sich entzückt die Hände reibend, die beiden Zitate aus Parerga und Paralipomena vor, die der Verleger genialerweise als Epigraph auf die Kassette gesetzt hatte: ›Weil die Leute, statt des Besten aller Zeiten immer nur das Neueste lesen, verschlammt das Zeitalter immer tiefer in seinem eigenen Dreck‹ und: ›Das Neue ist selten das Gute: weil das Gute nur kurze Zeit das Neue ist.‹«
Immanuel, Karl und Arthur pokern. Arthur gewinnt.
Foto: © Privat; Illustration: F. K. Waechter
Im letzten ›Diogenes Magazin‹ wurden die ersten Maigret-Sammler gezeigt, die dem Verlag nach Abschluss der 75-bändigen Edition ein Foto ihrer Maigret-Edition geschickt hatten. Bis heute sind unglaubliche 478 Fotos eingeschickt worden, dieses zum Beispiel zeigt Hermann Baus aus Köln. Die schönsten Fotos in einer digitalen Diashow können bestaunt werden auf: www.diogenes.ch: http://merky.de/df7122 oder auf youtube: http://merky.de/a33ecb.
Der Titel von Arthur Schopenhauers Hauptwerk, Die Welt als Wille und Vorstellung, gehört wohl zu den am meisten verballhornten überhaupt. Diese kleine Blütenlese hat Christoph Poschenrieder gesammelt, dessen Schopenhauer-Roman Die Welt ist im Kopf in der Presse hochgelobt wird: Die Welt als Wiese und Vorsehung Neue Zürcher Zeitung Die Welt als Willy und Vorstellung Berliner Tagesspiegel, Artikel über die SPD Die Welt als William und Vorstellung Die Zeit, Artikel über Shakespeare am Berliner Ensemble Die Welt als Zelle und Vorstellung Süddeutsche Zeitung Die Welt als Kindergeburtstag und Wahnvorstellung Süddeutsche Zeitung Die Welt als Masse und Serie Weltwoche, Zürich Die Welt als Wille und Wechselstrom Frankfurter Allgemeine Zeitung Die Welt als Wille und Autounfall Leipzig-Almanach Die Welt als Hasard und Vorstellung Zeitschrift für Deutsche Philologie Die Welt als Fläche und Vorstellung Frankfurter Rundschau Die Welt als Pille und Vorstellung Süddeutsche Zeitung Magazin Die Welt als Wille und Vorurteil Der Standard, Wien
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IM SOMMER 12. August – 18. September 2010
Hélène Grimaud
Luzern
Pierre Boulez
Claudio Abbado
KKL Luzern
«Eros» lautet das Motto im Sommer 2010 – die Liebe beflügelt das Programm. Berühmte Liebespaare der Musikgeschichte stehen im Zentrum: Mit Beethovens «Fidelio» stimmen Claudio Abbado und das LUCERNE FESTIVAL ORCHESTRA das Hohelied der unverbrüchlichen Treue an. Esa-Pekka Salonen bringt Wagners «Tristan und Isolde» in der Regie von Peter Sellars zur Aufführung. Die anrührende Liebestragödie von Romeo und Julia erklingt in der Vertonung von Sergej Prokofjew, Pelleas und Melisande begegnen uns in Werken von Fauré und Sibelius. Die französische Pianistin Hélène Grimaud interpretiert als «artiste étoile» Klavierkonzerte von Beethoven und Schumann. Die Berliner und die Wiener Philharmoniker, das Gewandhausorchester und das Concertgebouworkest, Nikolaus Harnoncourt, Mariss Jansons, Simon Rattle, AnneSophie Mutter, Maurizio Pollini und Thomas Quasthoff sind zu Gast in Luzern. Und Pierre Boulez erarbeitet mit seiner LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Werke von Mahler und Strawinsky: eine musikalische Liebeserklärung.
Anteil der Arbeitgeber, die angeben, bei der Einstellung von Hochschulabsolventen Wert auf gute Noten zu legen, in Prozent: 41
MeiréundMeiré
Bestellen Sie Ihre Karten ab Mittwoch, 7. April 2010 im interaktiven Saalplan unter www.lucernefestival.ch
Anteil der Arbeitgeber, die angeben, bei der Einstellung von Hochschulabsolventen Wert auf „Persönlichkeit“ zu legen, in Prozent: 90
Weitaus mehr als nur Zahlen.
Das Wirtschaftsmagazin brand eins. Jetzt abonnieren: www.brandeins.de
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Reise-Special
Yadé Kara
Istanbul alla turca Yadé Kara ist in der Türkei geboren, wuchs in Berlin auf und wurde mit ›Selam Berlin‹, ihrem Hauptstadtroman aus westberliner-türkischer Sicht, bekannt. Zwischen Berlin und Istanbul pendelnd, kennt und versteht sie diese beiden Welten, die Welten voneinander trennen, wie keine andere. Wer könnte uns für diese bunte, duftende, so lebendige und moderne Stadt zwischen Okzident und Orient also besser begeistern? Ein Tag mit ›Dolmus‹, ›Keyif‹ und jeder Menge ›Güle, Güle‹ …
Foto links: © Steve Outram / Getty Images; Foto: © Michael Maeyer
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stanbul alla turca beginnt für mich im Dolmus. Es ist eine Art Sammeltaxi für 10 bis 12 Fahrgäste. Ich nehme die Strecke Bakirköy–Taksim, wo ich mich mit Serpil und Sema treffen werde. Es sind alte Bekannte aus Berlin , die jetzt in Istanbul leben und arbeiten. Ich versuche einen der hinteren Sitze zu bekommen, doch ätsch!, ich bekomme einen mittleren Sitz, d.h. die Rolle des Kassierers im Dolmus zu übernehmen. »Aaammaann! Üüfff!« (typische Istanbuler Laute für »Neeewillichnicht«). Nachdem alle Sitzplätze besetzt sind, startet der Fahrer durch enge Seitenstraßen Richtung MarmaraMeer. Von hinten werde ich gleich an der Schulter angetippt, ich strecke automatisch meine Hand nach hinten aus, ohne mich dabei umzudrehen, und schon liegt ein Fünf-Lira-Schein auf der Hand, weitere Münzen folgen von anderen Fahrgästen, ich reiche alles nach vorne zum Fahrer hin, er
gibt mir das Wechselgeld, ich reiche es weiter nach hinten und so geht das eine Weile. Kleingeld ist schmutzig, das Erste, was ich im Restaurant Sütis machen werde: Hände waschen!
Übersetzt heißt es: »Mein Leben, mein Zuckerstückchen, meine Schöne …« – das gehört einfach zum Umgangston jeder Istanbulerin. In einer Seitenstraße des TaksimPlatz hinter dem französischen Konsulat hält der Dolmus an, ich stürze raus und gehe rasch zum Blumenstand der Roma am Taksim Platz, denn Serpil hat heute Geburtstag. In fast allen Reiseführern, die man im Westen bekommt, findet man Fotos von Roma, die am Taksim-Platz
Blumen verkaufen. Sie blicken lächelnd in die Kamera, ihre Kopftücher leuchten bunt, und ihre Goldzähne blitzen. Im Blumenmeer wirken sie farbenfroh und exotisch. Aber diese Roma sind seit tausend Jahren Bewohner dieser Stadt, keine Exoten, sondern ein fester Bestandteil des täglichen Stadtbildes von Istanbul. Es ist eines dieser vielen »romantischen« Klischees, die man gerne im Westen pflegt: Istanbul als Brücke zwischen Ost und West, das Tor zum Orient, das Andere, Geheimnisvolle und Exotische. Und das im Zeitalter von iPod und Internet. Sorry, aber die Roma gehören so selbstverständlich zu Istanbul wie Tee, Simit (Sesamkringel) und die Hagia Sophia. Eine bunte Oase aus Nelken, Rosen, Tulpen, Schleierkraut empfängt mich mitten im vorbeirauschenden lauten Verkehr von Taksim. Ich grüße kurz Ahmet Bey, den ältesten Roma am Blumenstand, den ich Diogenes Magazin
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vor einiger Zeit für einen IstanbulBeitrag interviewt habe. Er winkt mir zu, lächelt aus einem dunklen unrasierten Gesicht und lädt mich zum Teetrinken ein. Ich danke höflich, stecke mir eine weiße Rose an die Jacke und kaufe einen großen Lilienstrauß. Weiter geht’s zu Sütis, ein zweistöckiges Café oder besser gesagt »Puddingladen«, das Spezialitäten wie Kaymak (Creme), Kadayif (süße Fadennudel) und Frühstück anbietet. Die Decke dieses Etablissements ist mit Kronleuchtern, Bildern und Goldfarben dekoriert. Es ist einer dieser auf alt und klassisch gemachten Läden, die irgendwie zu Istiklal Caddesi passen. Mit einem lauten »Aaaaahhh, Canim, Sekerim, Güzelim …« werde ich von Sema und Serpil empfangen. Übersetzt heißt es: »Mein Leben, mein Zuckerstückchen, meine Schöne …«, das gehört einfach zum Umgangston unter Istanbulerinnen. Küsschen, 26
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Küsschen, lautes Gekicher, Gelächter, ich reiche Serpil die Blumen, nochmals Küsschen, Küsschen, große Gesten, und es dauert eine Weile, bis wir Weiber uns beruhigt haben. An lauten Gefühlsausbrüchen scheint sich hier niemand zu stören, man ist ja schließlich in Istanbul an große dramatische Gefühle in der Öffentlichkeit gewöhnt. Ähnlich wie die Prügelszenen, Beschimpfungen und Drohungen im Istanbuler Verkehr. Wir finden einen Fensterplatz im zweiten Stock. Durch die hohen offenen Fenster dringt eine sanfte Brise herein, wir schauen auf das bunte
»Mehr als vierhundert Liebeslieder gibt es über Istanbul und über das Verliebtsein in dieser Stadt«, erklärt Sema und stimmt sehr leise ein melancholisches Lied an. Sie hat eine schöne Stimme. Ich höre ihr zu, lehne mich zurück, schlürfe langsam Tee und mache einen auf Keyif (arabisches Wort, das »Laune, Zufriedenheit, sich Berauschen« bedeutet). Ich schaue mich um, viele der anderen Gäste wirken ausgelassen, essen und reden angeregt. Schwarzweiß gekleidete Kellner servieren auf vollen Tabletts dampfende Teegläser. Kein Wunder, hierzulande nimmt man Keyif sehr ernst, es ist ein Teil des täglichen Lebens, und Istanbul ist die Hauptstadt von Keyif. Es wird keine große Überraschung sein, dass man in Istanbul dazu neigt, alles Leichte, Machbare, das mit dem geringsten Aufwand, zu bevorzugen. Also wenn da zehn Stufen zu erklimmen sind, sucht man sofort nach einem Fahrstuhl, als wären diese
Foto Teegläser: © Ava – Fotolia.de; andere Fotos: © Michael Maeyer / Yadé Kara
Treiben unten auf der Istiklal Caddesi. Das Frühstück wird serviert. Der Tee ist gut, die Simit knusprig frisch, die Oliven fleischig und mild gewürzt, Kaymak und Honig eine Sünde! Sema erzählt von ihrer Arbeit, sie ist Sängerin, und sie hat eine Vorliebe für alte Istanbuler Tangolieder, die sie aus der Grammophonzeit rüber in die CD-Zeit geholt hat. Mit Serpil zusammen arbeitet sie an alten Aufnahmen aus den dreißiger und vierziger Jahren.
Foto Yadé Kara: © Micheal Maeyer; andere Fotos: © Michael Maeyer / Yadé Kara
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Stufen ein Minenfeld; oder wenn die Istanbuler einen Film sehen können, anstatt die Romanvorlage zu lesen, dann stürzen sie sich auf die Kinosessel und sind dabei noch heimlich stolz, dass sie was für ihre Bildung getan haben. Ha! Wenn einer gerade bei der Arbeit ist, dann sagt man kolay gelsin (es möge dir leichtfallen). Damit gibt man im Grunde dem persönlichen Komfort den Vorzug vor guter Arbeit, Qualität. Wenn es eine Sache gibt, die Istanbuler gut
Fleck in Istanbul, wo so viele Kirchen, Moscheen, Geschäfte, Schulen, Konsulate, Cafés, Galerien, Restaurants so dicht aneinandergerückt sind wie auf dieser Flaniermeile. Im kühlen Schatten der alten prächtigen Häuser gehe ich Richtung Tünel. Unterwegs zähle ich die vielen neuen »westlichen« Cafés wie Starbucks, Roberts Coffee, Gloria Coffee etc., die auch hier ihre Krallen ausgestreckt und mit ihren durchgestylten Interieurs etwas von der alten, morbi-
kennen, dann ist es ihre Keyif-Komfortzone. Es ist schon fast krankhaft, wie Istanbuler alles nach der Leichtigkeit einschätzen und aussuchen. Serpil winkt dem Kellner, es wird nochmals frisch gebrühter Tee in Tulpengläsern serviert, da klingelt plötzlich ihr Handy, reißt uns aus unserer Keyif-Stimmung und bringt uns auf den geschäftigen Boden der Megametropole Istanbul zurück. Die beiden müssen los! Sie treffen sich mit einem Musiker. Küsschen, Küsschen, Güle, Güle … Draußen weht eine angenehme frische Brise, der Frühlingstag lädt zum Schlendern auf der Istiklal Caddesi ein. Istiklal Caddesi, eine Flaniermeile, früher eine exklusive Geschäftsstraße mit Griechen, Armeniern, Italienern, Aramäern, Arabern, Bulgaren etc., die beste Mischung aus Orient und Okzident. Aber das ist eine andere Story. Jedenfalls gibt es kaum einen anderen
den Atmosphäre dieser Straße weggenommen haben. Im Nehmen sind diese Geschäftsketten Profis. Na ja, wenn es sich herumspricht, dass Istanbul angeblich mehr Cafés und Restaurants hat als New York, dann ist es ja kein Wunder, dass sich solche FranchisingFirmen auf diese Stadt stürzen. Ein typisches Istanbuler Markenzeichen sind die zahlreichen Kebabläden. Hier gibt es nur wenige große Bibliotheken, wo hochnäsige Besserwisser und Bücherwürmer sich verkriechen und arrogant auf die Ignoranz ihrer Mitbürger blicken können, dafür gibt es umso mehr KebabRestaurants. Ein Fest für Kalorien, Fett, Hitze, Salz, Saucen, Schweiß und Zucker – all das, wonach jeder Säuger, jeder Urjäger schon immer gelechzt hat! Etwa die Hälfte der Istanbuler Bevölkerung ist unter dreißig. Jeden Tag eröffnen neue Clubs, Bars, Cafés, entstehen Trends und Moden. »Made in Istanbul« ist angesagt im Möbeldesign.
Das Bermuda-Dreieck der Istanbuler Szene: Taksim, Beyoglu und Tünel. In diesen Gegenden sind Cafés und Clubs auf Terrassen und Dächern mit Aussicht angesagt. In Berlin und London sind viele Clubs in schwarze, verrauchte Kellergeschosse verbannt! Istanbul dagegen setzt auf Weite, Farbe, Höhe, und die Rechnung geht auf! Die Aussichten sprengen alle Blickgrenzen, wie zum Beispiel im Café 360 oder Leb-i-Derya. Die blaue Stunde am Abend auf diesen Terrassen bringt einen in einen Schwebezustand. Beim Tünel angekommen, fühle ich mich ein wenig erschöpft, eigentlich Diogenes Magazin
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sind es diese vielen Eindrücke von Geschäften, Geräuschen und Betriebsamkeit auf der Istiklal Caddesi, die meine Augen und Beine ermüden. Spontan entscheide ich mich für einen Aufenthalt auf dem Wasser, denn ich brauche diesen Blick vom Meer auf die Stadt, damit komme ich in die »Istanbul-Stimmung«. Also auf nach Karaköy. Mit der sehr kurzen alten U-Bahn am Tünel ist es nur ein Katzensprung. Am Hafen von Karaköy empfängt mich der Geruch von gegrilltem Fisch, für mich ist dieser appetitanregende Geruch ein typischer Istanbul-Geruch. Der Dampfer fährt langsam in den Hafen ein, ich bin aufgeregt, voller Erwartung und frage mich: Warum sind diese riesigen fahrenden Dampfer so sexy? Ich möchte gleich als Erste aufs Deck rennen. Brummende Motoren, das Klappern auf den Holztreppen, die Rufe des Teejungen, der laute Pfiff kündigen die Abfahrt an. Der Dampfer macht einen weiten Bogen, und los geht es nach Kadiköy auf die asiatische Seite. Aach, Wind in meinem Haar, blauer Himmel und Sonne über mir, das Rauschen der Wellen in meinem Ohr, ja, die Fähre bringt mich fort, fort von allem, weg vom Festland, weg von den Massen, weg vom Verkehrschaos, weg von der Enge der Busse, Autos und Häuser. Wind, Wellen, Simit und Tee, darüber kreischende Möwen, ja, das ist das »Istanbul-Gefühl« für mich. Eine Fahrt mit der Fähre ist mehr als ein Transport, es ist eine Transformation, die ich erfahre, wenn ich den Bosporus überquere. In der Ferne Paläste, Kuppeln, Moscheen unter einem klaren blauen Himmel. Ein atemberaubendes Panorama und das Gefühl, dass ich mich durch diese Szenerie bewege, als würde ich in einem früheren Jahrhundert leben. Es ist einmalig auf diesem Planeten, und das meine ich wirklich so: Nirgendwo auf der Welt können Sie über eine Brücke fahren und sagen: »Schau, jetzt bin ich in Asien und jetzt wieder in Europa, Asien, Europa, Asien, Europa,
Asien …« – »Schschscht, ist ja gut, jeder tut es am Anfang, aber bitte nicht so laut!« Leider kann man auf den Brücken nicht zu Fuß gehen, sogar Selbstmörder müssen erst einmal den halben Weg fahren, bevor sie aus dem Auto aussteigen … Aber das ist wieder eine andere Story. Ich begreife nicht, warum die Istanbuler nicht verstehen, dass sie in einer einmaligen Stadt leben, und viele Istanbuler rümpfen die Nase über die »Europäische Kulturhauptstadt 2010«. Kein Wunder, denn Istanbul war schon immer eine imperiale Stadt, Hauptstadt von drei großen Reichen, Residenzstadt etlicher Kaiser, Kriegsherren und Sultane und Zentrum kultureller Vielfalt, wie keine andere Stadt in Europa. Da soll nun das »Jahr der europäischen Kulturhauptstadt« es zu einem Kulturenzentrum erheben? »Pahhh!«, höre ich viele Istanbuler sagen und dabei mit den Schultern zucken, »vielleicht für die Westler, aber das ist Istanbul ja egal, bei 2500 Jahren Historie im Rücken. Vielleicht sind die Events im Jahr 2010 nur eine Fußnote in der Geschichte dieser Stadt?«
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Buchtipp
Yadé Kara Cafe Cyprus Roman · Diogenes
Diogenes Tasschenbuch detebe 24029, 384 Seiten AUGUST
Hasan, Türke mit Berliner Schnauze, ist im pulsierenden London angekommen und will hier Fuß fassen. Ein Roman farbig wie die Stadt selbst mit ihrer unglaublichen Mischung von Menschen und Kulturen.
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Serie
Hingehen? Die Festivalisierung der Kultur
Lesefrüchtchen
Juli 2009 Fr. 17.50 / € 11.00
Ab sofort veröffentlichen wir an dieser Stelle auch Ihre Lieblingssätze aus einem Diogenes Buch. Bitte mailen an: msc@diogenes.ch Oktober 2009 Fr. 17.50 / € 11.00
Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921
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Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921
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Dossier:
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Illustration: © Tomi Ungerer
März 2010 Fr. 17.50 / € 11.00
Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921
SCHWEIZER MONATSHEFTE 976
Stop – mein Konto!
Und der Ernstfall? Die Schweiz & die Sicherheit
Dossier:
Dossier:
Dezember 2009 Fr. 17.50 / € 11.00
Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921
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Eigenwillig! Die Stärken der Schweiz
»Ich lese nicht viel. Wegen meiner Brille hält man mich für einen Intellektuellen, der darauf brennt, nach Feierabend Kierkegaard zu lesen oder Bleistiftnotizen in Aufsätze über Hegel zu schreiben. Das ist aber ein Irrtum. Mein erstes Buch las ich mit achtzehn. Und zwar nur, um die Mädchen zu beeindrucken. Ich war ein guter Sportler, aber das glaubt mir niemand.« Woody Allen in einem Interview mit dem ›Zeit-Magazin‹
über Athen. Tatsächlich waren die Spartaner der Schrift prinzipiell so abgeneigt, dass die Gesetze Spartas absichtlich ungeschrieben blieben und ein allgemeines Verbot für beschriftete Grabsteine erlassen wurde, mit nur zwei Ausnahmen: für Soldaten, die in der Schlacht gefallen, und – nach einem Text von Plutarch – Priesterinnen, die im Amt gestorben waren.« Paul Cartledge, ›Ancient Greece‹, Oxford University Press, 2009
»›Glänzend wie geputzte Schuhe.‹ Albert Blanz in der Grünen Woche.« Fiktive Rezension von Ror Wolf zu seinem Buch ›Raoul Tranchirers Mitteilungen an Ratlose‹
»Oft liest man mehr als wie genug.« Wilhelm Busch, ›Die fromme Helene‹
»Das Leben ist ein so widerwärtiger, ekelhafter, sich dahinschleppender Unsinn, ein so banaler, sinnloser, unerklärlicher Quatsch, dass er selbst den Vergleich mit einer Müllgrube nicht aushält, die gegraben wurde, nur um mit allem möglichen Unrat gefüllt zu werden.« Anton ¢echov, ›Ein unnötiger Sieg‹ »Für die Spartaner zählten Taten, nicht Worte. Dies ist Teil der Erklärung dafür, wieso wir nur sehr wenige schriftliche Quellen zur spartanischen Geschichte haben – jedenfalls relativ wenige, verglichen mit der Anzahl zugänglicher Quellen
»Einmal hat Senta ein Buch gegessen. Aber es war ein schlechtes Buch. Sie hatte also recht.« Leon de Winter über seinen Hund Senta in einem Interview mit dem Magazin ›Dogs‹ »Ich habe mir beim Schreiben immer die schönsten Frauen vorgestellt und fühlte mich eigentlich nach den ersten Eindrücken um meinen Traum betrogen. Denn so ist es überhaupt nicht. Als Schriftsteller hat man gar nicht diesen RockstarFaktor. Das Publikum ist wirklich ernsthaft interessiert an der Literatur, aber nicht an dem Typen, der schreibt.« Benedict Wells in einem Interview mit dem ›Donaukurier‹, Ingolstadt
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Reise-Special
Arnon Grünberg
Couchsurfing Berlin, Prag, Stainach-Irdning in der Steiermark, Strobl am Wolfgangsee und Budapest – Stationen von Arnon Grünbergs Odyssee als Couchsurfer. Was das ist? Lesen Sie selbst.
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Darum habe ich mich bei Couchsurfing.com angemeldet. Was ich tue, dient meinem Zweck, leben zu lernen. Lernen, das heißt: sehen, wie andere es machen. Und auch: in den Sachen anderer Leute herumschnüffeln. Sicherheitshalber unternehme ich diese Reise mit meinem Freund Sander. Gastgeber oder andere Couchsurfer könnten aggressiv werden. Der Gratisaspekt erweist sich dabei als eher untergeordnetes Detail. Der eigentliche Reiz des Couchsurfens liegt im Kontakt. Wobei ich hinzufügen
muss, dass ›Kontakt‹ für die meisten Beteiligten nicht unbedingt erotisch besetzt ist.
Berlin Das erste Bett steht in Berlin, in der Wohnung von Guy und Marianne in der Manfred-von-Richthofen-Straße. Guy ist Franco-Kanadier und laut Couchsurfing-Profil Liebhaber von dunklem Bier. Wer Marianne ist, muss sich erst noch herausstellen. In der Wohnung empfängt uns eine 21-jährige, schlicht gekleidete junge Frau,
Foto : © Marion Nitsch
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m Winter 2007 hörte ich zum ersten Mal etwas von Couchsurfing (www.couchsurfing.com). Es bedeutet, kurz gefasst, dass man umsonst bei Fremden übernachtet. Die Website bringt Leute, die ein Bett suchen, mit solchen zusammen, die ein Bett anzubieten haben. Ich komme gern in die Wohnungen anderer Leute, es macht mir Spaß, unter fremden Duschen zu stehen. Doch achtundvierzig Stunden später möchte ich am liebsten wieder weg sein. Ein Bett mit Zukunft gleicht einem Sarg.
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auch sie aus dem französischsprachigen Teil Kanadas. Sie ist in Berlin, um Deutsch zu lernen. Weit und breit allerdings leider kein Guy. Dafür jedoch fünfzig leere Bierflaschen in der Küche. Auf die Frage, wann Guy nach Hause kommt, antwortet Marianne: »Das kann spät werden.« Wie sie mir
Lektion eins beim Couchsurfing: Mach das Beste aus allem, was dir begegnet.
Foto: © Mandy Janke – Fotolia.com
sagt, logiert in der Wohnung vorübergehend auch noch eine zweite Marianne, die Marianne deux genannt wird. Ich sage: »Ich muss noch mal los, bin gleich zurück, ich kauf noch schnell ein Handtuch.« Mehr als ein Bett darf man nicht erwarten. Um sieben Uhr erscheint Marianne deux. Ebenfalls Franco-Kanadierin. Marianne deux sagt, sie ist glücklich. Von Guy weiterhin keine Spur. Gegen Mitternacht bieten Sander und ich an, im Wohnzimmer auf einer Matte zu schlafen, damit Marianne deux das Bett haben kann. An der Wand hängen Fotos der blonden Krankenschwester, der eigentlich diese Wohnung gehört. Erst ging sie nach Indien, jetzt arbeitet sie in der Schweiz. Brüderlich liegen wir schließlich zu dritt nebeneinander. Wir sprechen noch etwas Französisch, aber ich kann mich nicht mehr auf die richtigen Verwendungen in den verschiedenen Zeiten konzentrieren. Lektion eins des Couchsurfens: Mach das Beste aus allem, was dir begegnet. Stell keine Fragen. Fragen sind kein Beitrag zum Glück.
Prag Das zweite Bett steht in der Wohnung von Martina in Prag 7. Sie wohnt im dritten Stock. Ab acht Uhr abends sind wir willkommen. Sander und ich
wuchten meinen Schrankkoffer die Treppe hinauf. Im Wohnzimmer liegen zwei Matratzen mit drei Couchsurfern. Es riecht nach Aschenbecher, Schweißfuß und Bananen. Martina hat rotes Haar und ist ziemlich dick. Sie ist fünfundzwanzig, sieht aber älter aus. In ihrem Couchsurfing-Profil steht, dass sie raucht wie ein Schlot. Was sie verschwiegen hat, ist, dass sie von Bananensaft-Cocktails mit Rum lebt. Ich komme mit einem jungen Australier ins Gespräch, der fünf Tage auf dem Flughafen von Prag übernachtet hat, bevor er Unterschlupf bei Martina fand. Mitten auf seiner Weltreise ging ihm das Geld aus. Der moderne Obdachlose ist eine dekadente Spezies. Neben ihm liegt ein Pärchen. Er aus Frankreich, sie aus Spanien. Der Unterschied zwischen Liegen und Sitzen ist fließend. So wie auch unklar ist, wo der Pyjama beginnt und die Jeanshose endet. Ich würde sagen: Die Jeanshose ist der Pyjama.
Anders als diese Äußerung nahelegt, hat Martina eine feste Stelle in einem Werbebüro. Sie selbst nennt sich ›Sklavin des Kapitalismus‹. Ihr wäre es lieber gewesen, fährt sie fort, die Revolution von 1989 hätte erst 1990 stattgefunden, dann hätte sie wenigstens noch eine Auszeichnung der sozialistischen Kinder- und Jugendorganisation bekommen. »Und du?«, fragt sie. »Bist du Geheimagent oder so was?« Ich nicke. »Und wenn du mir verrätst, was du genau machst, musst du mich bestimmt ermorden, was?« »Welches Datum wäre genehm?«, frage ich. Die Kombination von Bananensaft und Rum macht auch mir langsam zu schaffen. Martina lacht kurz und leicht gruselig auf. »Überrasch mich«, sagt sie. Mich beschleicht das wehmütige Gefühl, dass sie es ernst meint.
Noch ein Tag bei Martina in Prag Der Unterschied zwischen Vertrauen zur Menschheit und Nihilismus ist oft nur minimal. Martina hat uns ihre Hausschlüssel gegeben. Wir müssen in ein anderes Zimmer umziehen, dürfen aber noch eine Nacht bleiben. Heute Morgen hat sich herausgestellt, dass wir im Bett von Martinas Mitbewohner geschlafen haben. Beim Aufwachen entdeckte ich einen Pyjama, auf dem ich gelegen hatte. Ich
»Warum hast du dich zum Couchsurfen angemeldet?«, frage ich Martina. »Früher musste ich in eine Bar, um Leute zu treffen«, sagt sie. »Jetzt kommen sie zu mir. Ich kam zu Verabredungen auch immer zu spät. Jetzt komme ich nie mehr zu spät.« »Habt ihr Hunger?«, frage ich. »Kann ich euch zu einem Essen in einem guten Restaurant einladen?« Diese Matratzengruft ist schön und gut, aber bevor ich mich dazu lege, möchte ich doch noch was Leckeres essen. »Ich geh nicht mehr aus dem Haus«, sagt Martina. »Ich will betrunken werden und high, außerdem habe ich schon gegessen.«
Beim Aufwachen entdeckte ich einen Pyjama, auf dem ich gelegen hatte. Ich roch alten Schweiß. roch alten Schweiß. Schmutzphobie ist der kleine Bruder des Todes. Vergiss jede Schmutzphobie. Das Leben ist schmutzig. Bevor Martina von der Arbeit zurückkommt, machen wir uns an den Diogenes Magazin
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Stainach-Irdning M. ist Logopädin und W. ist Arzt. Sie haben angeboten, uns vom Bahnhof im österreichischen Stainach-Irdning in der Steiermark abzuholen. W. hat etwas von einem ergrauten Skilehrer. Im Vorraum ihrer Villa in Stainach werden uns Pantoffeln gereicht. Fünf Minuten später sitzen wir bei Kir Royal zusammen im Wohnzimmer. »Die Crème de Cassis ist selbstgemacht«, sagt M. »Sie machen selbst Johannisbeerlikör?«, frage ich. Nicht umsonst habe ich mich folgendermaßen beschrieben: »Reinlich, harmlos und höflich.«
als reinlich beschrieben hast. Ich mag keine Dreckspatzen.« Nach meinem Tod keine Ansprachen. Nur sechs Worte: Der Mann, der kein Dreckspatz war. »Esst ihr Rindfleisch?« »Ja, schon«, sage ich. Wir setzen uns zu Tisch. »Das Gericht hier heißt Tafelspitz«, erklärt W. »Dazu trinke ich gern ein Bier.« Sander, mein Reisebegleiter, greift tüchtig zu. Was unseren Gastgebern sichtlich gefällt. Zu guter Letzt bekomme ich das Kinderzimmer, Sander das Gästezimmer. Das Bett sieht herrlich aus. Die Kissen sind dick aufgeschüttelt wie im besten Hotel. Ich ziehe die Pantoffeln aus. »Brauchst du noch irgendetwas?«, ruft M. »Nein, danke«, rufe ich zurück. Ich bin das reisende Kind für Eltern im Herbst ihres Lebens, die sich ohne größere Umstände noch einmal um jemanden kümmern möchten.
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»Nein, er ist von der Nachbarin«, sagt M. »Außerdem sagen wir in der Welt der Couchsurfer ›Du‹.« Ich nehme einen Schluck Kir Royal. »Und warum empfangt ihr wildfremde Leute zu Hause?« M. lacht allerliebst. »Unser Sohn war couchsurfen in Mexiko«, sagt sie. »Und ich bin eine besorgte Mutter. Da hab ich mir ein Profil auf couchsurfing.com zugelegt. So konnte ich sehen, wo er war, denn er hat überall Bemerkungen hinterlassen. Nach einiger Zeit dachte ich: Warum empfangen wir selbst eigentlich niemanden? Unser Sohn findet das komisch, aber natürlich verbietet er es uns auch nicht. Und wir haben so nette Couchsurfer kennengelernt. Ein Amerikaner auf Weltreise, zwei Ungarn mit einem Cello. Nur Raucher mag ich nicht.« Ich erzähle, dass wir gerade von einer Kettenraucherin kommen. »Ja«, sagt M., »was mir an deinem Profil gefallen hat, war, dass du dich
Für Strobl am Wolfgangsee zeigt die Couchsurfing-Website keine Einträge. Bis in diesen Winkel Österreichs ist das Phänomen noch nicht vorgedrungen. So hoffe ich, nach meiner Gratislesung vor jungen Buchhändlern, bei einem von ihnen unterschlüpfen zu können. Die jungen Buchhändler haben sich zu einer Tagung nach Strobl zurückgezogen, um über ihren Berufsstand zu diskutieren. Mein Reisebegleiter ist optimistisch. »Sie werden sich um dich schlagen«, sagt er. Ich bin eher skeptisch. Seit 1998 hat sich niemand mehr um mich geschlagen. Mein Vorschlag am Ende der Lesung sorgt unter den Buchhändlern für Verwirrung, eine Verwirrung, die sich von Argwohn kaum unterscheiden lässt. »Haben Sie kein Geld fürs Hotel?«, fragt ein junger Mann. »Das ist es nicht«, sage ich. »Aber ich muss nun mal eine Woche bei Fremden übernachten.« Ich habe für mein Leben Spielregeln aufgestellt, die ich nicht übertreten möchte. »Wir werden uns aufdrängen müssen«, sagt mein Freund Sander. Wir
Foto: © Kawa – Fotolia.com
Abwasch. Es sind vor allem Aschenbecher und Gläser. Die anderen Couchsurfer sind am Morgen gegangen. Um acht Uhr betritt Martina die Wohnung. Sie wirft ihre Tasche in die Ecke, reißt den Kühlschrank auf und beginnt leise zu weinen. Da steht man dann mit seinem Geschirrtuch über der Schulter. »Was du brauchst, ist ein richtiges Steak«, sage ich. »Ich will nach China«, sagt Martina schluchzend. »Ich bin in meiner asiatischen Phase.« Wir nehmen sie mit in die Bar des Hotel Josef. Alle sieben Minuten trinkt Martina ein Glas Rum. Sie will betrunken werden, wird aber nur immer nüchterner. Sie sagt: »Ich trinke nur tschechischen Rum. Tschechischer Rum ist der Rum des Arbeiters.« Das bleibt von Solidarität übrig. Besser als nichts. Nach neun Rum geht Martina zu Piña Colada über. Ich ertappe mich bei Erstaunen und sogar einer gewissen Ehrfurcht. Ein moralisches Dilemma tut sich auf. Martina gewährt uns ein Bett für die Nacht, müssen wir sie nicht vor dem Absturz bewahren? Allein schon aus Eigeninteresse. Wer trägt sie nach Hause? Im Restaurant Chez Marcel stößt eine Bekannte zu uns. Sie hat ein Kind aus einer früheren Beziehung und ist jetzt verheiratet mit einem schnauzbärtigen Mann, der zwanzig Jahre älter ist als sie. Sie zeigt uns die Hochzeitsfotos. Mit jedem Glas Wein nimmt ihr Konservatismus andere, überraschende Formen an. Sie murmelt: »Ich liebe euch, bedingungslos.« Wie viele Menschen kann man bedingungslos lieben? Dutzende. Mindestens. Martina selbst scheint die Prinzipien des Couchsurfens überall zu verwirklichen. In ihrer Wohnung. In ihrem ganzen Leben. Couchsurfen bis zum bitteren Schluss. Nenne es praktischen Idealismus. Die Bekannte begleitet uns zu Martinas Wohnung. Ihr Kind und ihr schnauzbärtiger Mann sind verreist. Heute Abend ist sie die vierte Couchsurferin.
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setzen uns zu Buchhändlern an den Tisch und lassen Schnaps auffahren. Zwei Buchhändler verabschieden sich schnell, doch beim Rest siegt die Neugier über den Argwohn. »Wenn ihr einen Autor persönlich kennt, könnt ihr seine Bücher dann besser verkaufen?«, frage ich. »Ja, klar«, sagen die Buchhändler. »Und wenn der Autor neben euch im Bett gelegen hat?« Der Verkauf erweist sich, wie oft, auch hier als entscheidendes Argument. »Du kannst zu mir aufs Zimmer«, sagt J. »Ich hab fünf Brüder, ich bin das gewöhnt.« J. verkauft nicht nur Bücher, sie ist auch fanatische Turnerin. Als ich mir die Zähne putze, schlüpft sie schnell in ihre Nachtwäsche: ein schwarzes TShirt und eine Radlerhose. Dann fängt sie an zu erzählen. Auch ihre Mutter ist begeisterte Turnerin. Bei der anstehenden Fußball-EM in Wien wird J. im Stadion vor jedem Spiel gymnastische Darbietungen bringen, die leider nicht im Fernsehen übertragen werden. Ihr Freund und sie wollen nächstes Jahr heiraten, aber ihre Eltern sind nicht glücklich darüber, weil er nichts mit Turnen am Hut hat. »Warum machst du das hier eigentlich?«, fragt sie plötzlich. »Um einen Titel von Ian McEwan zu paraphrasieren«, antworte ich. »Der Trost von Fremden ist besserer Trost.« Und ich füge hastig hinzu: »Und jetzt müssen wir schlafen.« Über Turnen darf man nicht bis zum frühen Morgen reden.
Foto: © Dreadlock – Fotolia.com
Budapest »Bahnhof Keleti, stehe unter der großen Uhr«, teilt Violka uns per SMS mit. »Trage Sonnenbrille, roten Mantel und bin groß.« Der Mantel ist nicht rot, doch der Rest stimmt. Violka hat zwei Mitbewohnerinnen, und aus unerfindlichen Gründen können wir noch nicht in die Wohnung. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren wir in ein Café gegenüber der größten Synagoge der Stadt. »Das
ist das Judenviertel«, sagt Violka und schaut mich vielsagend an.
Mein Traum: Couchsurfen bis an mein seliges Ende. Sie hat Deutsch auf Lehramt studiert, doch der Beruf war die Hölle. Jetzt arbeitet sie in einem Reisebüro. Wir warten auf Orsolya. Von ihr stammt die Idee, Fremde zu beherbergen: das Leben ein nicht enden wollender Logierbesuch. Die Euphorie von 1989 ist verflogen und hat der großen Flucht aus der Realität Platz gemacht. »Ich lese nie Zeitungen«, hat Judith in Strobl gesagt. »Nur Bücher. Ich will in meiner eigenen, heilen Welt leben.« Was viel über Bücher sagt.
sches Restaurant, wo natürlich die örtliche Schnapsspezialität probiert werden muss. Im Grunde ist Couchsurfen Alkoholismus mit Rollkoffer. Beim Hauptgang wird Orsy auf einmal ernst. »Was ist euer süßester Traum«, will sie wissen. Was könnte das sein? In einem Versuch, freundlich und zugleich witzig zu sein, sage ich: »In sieben Städten mit sieben Frauen sieben verschiedene Kinder zu zeugen.« Mein Misstrauen der Menschheit gegenüber hat sich nicht gegeben, doch bin ich bereit, das vorübergehend zu vergessen. Vielleicht ist das mein süßester Traum: Couchsurfen bis an mein seliges Ende. Auch in Bagdad scheint es Couchsurfer zu geben. Adnan Salih zum Beispiel, der sich auf der Website folgendermaßen vorstellte: »I wish to explore the western world I love to meet the good and funny people and I wish to make a real friendship with the people that I enjoy.« Orsy schläft in Violkas Zimmer, so dass mein Reisebegleiter und ich in ihr Bett kriechen können. Auf der Toilette trage ich Grund Nummer 51 ein: »Der Geruch der Schweißfüße von Fremden.« Aus dem Niederländischen
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von Rainer Kersten
Und über die Art, wie sie gelesen werden. Wer sich enttäuscht von der Welt abwendet, macht nur noch für Pyjamapartys die Tür auf. Orsolya lässt auf sich warten, und inzwischen reißen Sander und ich Witze, die wir schon die ganze Woche über erzählen. Für Violka jedoch sind sie neu. Sie lacht herzlich. Orsolya, die schließlich doch noch dazukommt, nennt sich Orsy. Sie arbeitet für eine japanische Firma der Autozulieferindustrie. Die Wohnung in einem Außenbezirk von Buda strahlt eine freundliche, osteuropäische Melancholie aus. Auf der Toilette prangt eine Liste mit fünfzig Gründen, das Leben zu lieben. Orsy sagt: »Wenn euch noch einer einfällt, schreibt ihn auf jeden Fall dazu.« Die dritte Mitbewohnerin heißt Marta. Marta hat Zahnschmerzen. Mit Violka und Orsy gehen wir in ein traditionelles ungari-
Buchtipp
Arnon Grünberg Mitgenommen
Roman · Diogenes
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Magischer Irrealismus à la Grünberg: ein südamerikanisches Land im Chaos, ein loyaler Major, der ein Kind raubt, um seine Ehe zu retten, und alles verliert, ein Mädchen, das offiziell tot ist und doch sehr alt wird.
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Portfolio
lllustrationen: © Sempé
Jean-Jacques Sempé, der geniale Karikaturist, hat unser Bild von Paris und Frankreich so geprägt wie kein anderer. Doch neben Paris gibt es noch eine zweite Stadt, die Sempé fasziniert: New York. Fast 100 Cover hat Sempé für das legendäre Magazin ›The New Yorker‹ in den letzten 30 Jahren geschaffen – und damit eine einzigartige Hommage an die amerikanische Metropole.
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Diogenes Magazin
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Buchtipp
Sempé in New York Diogenes
Zum ersten Mal: alle New Yorker-Cover von Sempé in einem Band. Für jeden Karikaturisten ist es die höchste Weihe, in den erlauchten Kreis der Zeichner des New Yorker aufgenommen zu werden. Bis heute hat Sempé fast einhundert Cover für den New Yorker gezeichnet.
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D Diogenes Magazin
lllustrationen: © Sempé
320 Seiten, Broschur ISBN 978-3-257-02116-5
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New in New York Patricia Highsmith Elsies Lebenslust Diogenes Taschenbuch 23420, 480 Seiten
Elsie Tyler ist unwiderstehlich: zwanzig Jahre alt, von zu Hause ausgerissen, auf der Suche nach dem Glück im New Yorker Greenwich Village, hübsch, sprühend vor Lebenslust. Doch Leidenschaften, die sie auslöst, werden ihr zum Verhängnis.
New York Golden Age F. Scott Fitzgerald Der große Gatsby Diogenes Taschenbuch 23692, 256 Seiten
›New York, New York‹ von Frank Sinatra oder ›Manhattan‹ von Woody Allen: Unzählbar sind die künstlerischen Hommagen an den Big Apple. Und unzählig sind auch die New-York-Romane. Hier stellen wir Ihnen sechs vor.
Auf seinem Anwesen in Long Island gibt Jay Gatsby sagenhafte Feste und hofft, seine verlorene Liebe zurückzugewinnen. Zu spät merkt er, dass er sich von einer romantischen Illusion hat verführen lassen …
New York Green Card Hans Werner Kettenbach Hinter dem Horizont Diogenes Taschenbuch 21452, 304 Seiten
Der Deutsche Frank Wagner hat den Atlantik überquert in der Hoffnung, den Horizont der Alten Welt hinter sich zu lassen und endlich das Zentrum des Lebens zu finden. Doch ist New York die Erfüllung seiner Sehnsucht?
New York Love Georges Simenon Drei Zimmer in Manhattan Diogenes Taschenbuch 20378, 224 Seiten
Eine große Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, die sich in einer Bar in Manhattan treffen. Einer der wenigen Romane von Georges Simenon, die mit einem Happy End aufwarten.
New York Noir Jason Starr Ein wirklich netter Typ Diogenes Taschenbuch 23433, 272 Seiten
Nie war der arbeitslose New Yorker Schauspieler Tommy Russo so gut wie in seiner selbstausgedachten Rolle als vielversprechender Star kurz vor dem Durchbruch. Ein Roman über einen pathologischen Lügner, der an sich selbst glaubt – bis zum bitteren Ende.
Sex and NY City
Foto: © Diogenes Verlag
Adam Davies Froschkönig Diogenes Taschenbuch 23934, 384 Seiten
Ein modernes Großstadtmärchen um einen jungen Mann, der in Manhattan überfordert ist – im Job und in der Liebe. Ein tragikomischer Liebesroman für alle, die Liebesromane hassen.
New York lesen
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Inseln -Raten Haben Sie im Geographieunterricht immer gut aufgepasst? Dann ist das folgende Rätsel bestimmt ein Kinderspiel für Sie: In sechs Diogenes Romanen werden die abgebildeten Inseln zu Schauplätzen des Geschehens. Erraten Sie, welcher Inselumriss zu welcher Geschichte gehört?
Patricia Highsmith Die zwei Gesichter des Januars Roman · Diogenes
detebe 23409, 432 Seiten
Liam O’Flaherty Zornige grüneInsel
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Ein Roman über Liebe, Eifersucht, Verrat und die Phantasmen der Jugendzeit, der in einer atemberaubenden Verfolgungsjagd von Athen über Paris und Marseille bis auf die Insel Kreta gipfelt.
Ein packender historischer Roman über die große Hungersnot, die 1845 Irland erschütterte.
Simenon Mein Freund Maigret Sämtliche Maigret-Romane Band 31
Diogenes
detebe 23831, 208 Seiten
Eine irische Saga
Alfred Andersch Sansibar oder der letzte Grund
Diogenes
Roman · Diogenes
detebe 21330, 448 Seiten
detebe 23601, 192 Seiten
D Diogenes Magazin
Auf der Insel Porquerolles, im Mittelmeer, ist ein Mann umgebracht worden, in dessen Boot ein Brief von Maigret gefunden wird. Dieser macht sich selbstverständlich sogleich auf den Weg.
1937 findet in dem Ostseestädtchen Rerik eine Gruppe von Leuten auf dem Boot des Fischer Knudsen zusammen. Mit von der Partie: Knuts Schiffsjunge, der von der Insel Sansibar träumt.
W. Somerset Maugham Honolulu und andere Erzählungen Diogenes
detebe 23791, 528 Seiten
Ivana Jeissing Felsenbrüter Roman · Diogenes
240 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06687-6
Kapitän Butler, der mit einem alten Schoner zwischen den Hawaiianischen Inseln hin und her tuckert, verschlägt es auch nach Honolulu auf der Insel Oahu, wo Ost und West, moderne Zivilisation und archaische Magie aufeinandertreffen.
Die verlassene Ehefrau Martha droht in Liebeskummer zu versinken, als ihre Großtante Maud sie ins Schlepptau und mit auf die Kanalinsel Sark nimmt, die sich nicht nur als Paradies für Vögel entpuppt.
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Illustration: Š Edward Gorey / Edward Gorey Charitable Trust
Diogenes Sommerspiele
Finden Sie den Weg durch den hohlen Lindenbaum vom Ospickvogel zu Herrn Emblus! Diogenes Magazin
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Drudel-Test Spüren Sie mal wieder Ihrer Phantasie nach und lassen Sie sich überraschen. Drudeln macht viel mehr Spaß als WolkenGucken oder Rorschach-Testen.
Mag ich, mag ich nicht … Was gibt es Besseres, um intime Details von bekannten Persönlichkeiten zu erfahren, als ganz schlicht nach Vorlieben und Abneigungen zu fragen? Was dabei herauskommt, ist in jedem ›Diogenes Magazin‹ nachzulesen (in dieser Ausgabe etwa auf Seite 88) und sollte dringend einmal selbst ausprobiert werden. Viel Vergnügen beim Kennenlernen!
Mag ich nicht …
Mag ich …
Im Vorwort finden sich diese erhellenden, amüsanten und durchaus überzeugenden Zeilen: »Die Drudologie ermöglicht es auch (sogar) Ihnen: 1. jederzeit einen unfehlbaren Charaktertest durchzuführen; 2. ins Unbewusste ihrer Freunde (und Feinde) zu dringen (bis zu den Verbotstafeln und weiter); 3. sich mit wenig (ohne) Talent auf revolutionäre Weise künstlerisch auszudrücken; 4. an Einladungen, Vereinsanlässen, Hochzeiten und in einsamen Stunden sofort eine große Popularität zu erwerben.«
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Drudel: © Roger Price; Illustrationen: © Bosc
Diese drei Drudel stammen aus dem 1970 erschienenen Buch Sämtliche Drudel, das leider nicht mehr lieferbar ist:
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Geschichten -Erfinden Zahlenspiel Wenn Sie die in den Titeln fehlenden Zahlen addieren, ergibt sich die detebe-Nummer eines der erfolgreichsten Diogenes Bücher überhaupt.
Erfinden Sie eine kurze Geschichte zu den untenstehenden Bildern von Friedrich Karl Waechter
Rolf Dobelli, _ _ + John Buchan, _ _ Stufen + Federico Fellini, _ 1/2 + Paulo Coelho, _ _ Minuten
Die Geschichte vom kleinen schwarzen Affen in der Wüste
+ Muriel Spark , _ _ _ Jahre + Ray Bradbury, Fahrenheit _ _ _ + Geschichten aus _ _ _ _ Nacht + Joseph Roth, Die Geschichte der _ _ _ _. Nacht + Jules Verne, _ Wochen im Ballon
Die Geschichte von dem Baum, der hüpfen konnte
+ Patricia Highsmith, _ Fremde im Zug ˇ echov, Krankenzimmer Nr. _ + Anton C ˇ echov, _ Schwestern + Anton C + Andrea De Carlo, Wir _ + Valerie Wilson Wesley, _ Frauen + Georges Simenon, _ Zimmer in Manhattan + Andrea De Carlo, _ von _ + Jules Verne, _ _ _ _ _ Meilen unter Meer
Die Geschichte vom verlorenen Socken
Die Kronenklauer von F.K.Waechter und Bernd Eilert Diogenes
+ Patricia Highsmith, Die _ Gesichter des Januars Illustrationen: © F. K. Waechter
+ Philippe Djian, _ _ _ zu 1 + Urs Widmer, Die _. Puppe im Bauch der fünften Puppe im Bauch der _. =_____
Aus dem Buch: F. K. Waechter und Bernd Eilert Die Kronenklauer Vierfarbendruck, Pappband ISBN 978-3-257-01131-9
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Was schrieb Franz Kafka seinem Vater? Name des kleinen Elefanten aus den Geschichten von Jean de Brunhoff Vorname des italienischen Schwaben Bei wem sucht man laut Ian McEwan Trost? Nachname einer französischen Autorin, deren Buch von einem ganz normalen Paar handelt Name der Mamsell, die einer Erzählung Maupassants ihren Titel gab Um wessen Tagebuch handelt es sich in Patricia Highsmiths Roman? Grüne Stängel, die dem Hauptwerk eines amerikanischen Lyrikers den Namen gaben Nachname des Autors der berühmten Richter-Di-Geschichten Um die Hoffnung welches Philosophen geht es im Titel von Dürrenmatts: … Hoffnung (Gen.) Titel des dreiteiligen Hauptwerks von Heinrich Heine, in dessen erstem Band unter anderem Die Harzreise zu finden ist Urs Widmer: Der … Siphon In Dürrenmatts Stück bekommt die Stadt Güllen Besuch der … Dame Name eines Tessiner Bergs und gleichzeitig Nachname einer italienischen Autorin Eric Ambler: Die Angst … mit Grautier im Titel von Dürrenmatts Der Prozess um des … Schatten (Gen.) Vorname des einzigen ungarischen Autors bei Diogenes, der nicht das Beste von der Jugend denkt Nachname der Autorin der Bestseller um Rosmarie Hirte … Nothomb Titel eines Romans von Alfred Andersch und gleichzeitig Spitzname der Hauptheldin: Die … Vorname der Autorin, die mit Kati Hirschel die erste und einzige deutschstämmige Istanbuler Krimibuchhändlerin erfand Nachname eines Schweizer Theologen und Autoren: Walter …
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Vorname des Philosophen, der uns den kategorischen Imperativ bescherte 22 Nachname des Autors der literarischen Biographie über Robert Walser 23 Nachname des einzigen Zeichners, dem zu Lebzeiten ein Museum eingerichtet worden ist 24 Wo ließ sich Coelho zum Weinen nieder? Am Ufer des … Piedra! 25 Erstes Wort im Titel von Brunettis sechzehntem Fall 26 Wenn in Venedig Acqua … herrscht, wird es ungemütlich 27 Nachname des Autors, der mit seinem Affen Coco und dem Dackel Brezel noch immer Kinderherzen erobert 28 Vorname der israelischen Schriftstellerin, deren letzter Roman im Paradies spielt 29 Was verbindet Sansibar und der letzte Grund in Alfred Anderschs Buch? 30 Ingrid Noll: Die Häupter … Lieben 31 Nachname des Pseudonyms von Ruth Rendell 32 Zum richtigen Benehmen gehört laut Loriot Der … Ton 33 Name des Schweinchens in E.B. Whites Kinderbuchklassiker 34 Nachname der Autorin, die einen biographischen Roman über ihre Jahre an der Seite von Patricia Highsmith verfasst hat 35 Afrikanischer Brauch, der einem Roman von Fatou Diome den Titel gibt 36s Welche Pracht stellt Paul Flora bei seinen venezianischen Bildern und Geschichten in den Vordergrund? 36w Nachname von Geri aus Martin Suters Kolumnen 37 Ort in Frankreich, in dem Maigret einen Verrückten jagt 38 Sherlock Holmes klärt viele Verbrechen auf. Er … seine Fälle bravourös 39 Ross Macdonald: Der Fall … 40 Bei Benjamin und Béatrice in Isabelle Minières Roman handelt es sich um Ein ganz … Paar 41 Johanna Spyri: Heidis …- und Wanderjahre 42 Nachname des Erfinders des modernen Politthrillers 43 Vorname im Pseudonym von Arnon Grünberg 21
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Der kleine Nick … in den Büchern von René Goscinny und Jean-Jacques Sempé eine Menge prima Abenteuer Den Journalisten in Eric Amblers Roman überkomment Eine … von Zorn Hauptfigur in Jakob Arjounis Zukunftsroman Erster Teil im Titel der BradburyTrilogie Die Sonne … schön bei Barbara Vine John Irving: … die Bären los! Name des berühmten Wachtmeisters von Friedrich Glauser Die sechste Puppe im Bauch der … Puppe im Bauch der vierten Nachname der Felsenbrüter-Autorin Nachname des Autors, der 2009 einen Roman über das starke Geschlecht schrieb An jedem guten Theater sollten die … von Anton ¢echov und Friedrich Dürrenmatt gespielt werden Name des Königs in einem Märchen von Erich Hackl Vorname des bekannten neurotischen Regisseurs aus New York Meister Eckehart schrieb neben den Traktaten auch die deutschen … Name der titelgebenden Frauenfigur in einem Künstlerroman von W. Somerset Maugham Benedict … Tomi Ungerer: … Kuss für Mutter Nicht nur Viktorija Tokarjewa wünscht sich Eine Liebe … ganze Leben Vater sein ist nicht immer leicht. Man könnte wie bei Alfred Andersch nämlich auch der Vater eines … sein (Gen.) Ross Macdonald: Unter Wasser … man nicht Titel eines Romans von Banana Yoshimoto, der teilweise in Ägypten spielt Muriel Spark: Die Ballade von Peckham … Bei Miguel de Cervantes’ Don Quixote handelt es sich nicht nur um einen scharfsinnigen, sondern auch … Helden Vorname einer Diogenes Autorin, die in Amsterdam lebt und schreibt Vorname der türkischstämmigen Autorin Kara
Zeichnung Elefanten: © Jean de Brunhoff; Gemälde Siphon: © Anna Keel; Foto Nothomb: © Catherine Cabrol; Foto Ungerer: © Jürg-Peter Lienhard; Zeichnung Dackel: © H. A. Rey; Foto Vine: © Charles Hopkinson / Camera Press / Keystone; Zeichnung Heidi: © Tomi Ungerer; Foto Kommissar: © Rialto Film AG Zürich; Foto Wells: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag; Foto Palmen: © Rineke Dijkstra
Diogenes Kreuzworträtsel
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Beim Lösen hilft Ihnen die Diogenes Website mit allen Autoren und Buchtiteln:
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ZU gewinnen: Bücherscheck im Wert von € 1000.–
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Schicken Sie das Lösungswort bis zum 30.9.2010 per Post oder per E-Mail (gewinnspielmagazin@ diogenes.ch) an: Diogenes Verlag, Gewinnspiel, Sprecherstr. 8, 8032 Zürich, Schweiz
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Auflösungen Insel-Raten
Was ist Illusion, und was stimmt?
Porquerolles Mein Freund Maigret
Kreta Die zwei Gesichter des Januars
Sansibar Sansibar oder der letzte Grund
Honolulu Honolulu
Sark Felsenbrüter
Zahlen-Spiel
Diogenes
288 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06753-8 AUGUST
Nach Liebesfluchten der neue Band mit Geschichten von Bernhard Schlink
Von links nach rechts betrachtet, kann dieser Drudel nichts anderes bedeuten als AMEISEN BEIM DURCHQUEREN EINER CHAMPAGNERPFÜTZE
Irland Zornige grüne Insel
Bernhard Schlink Sommerlügen
Drudel-Test
Rolf Dobelli, 35 + John Buchan, 39 Stufen + Federico Fellini, 8 ½ + Paulo Coelho, 11 Minuten + Muriel Spark, 111 Jahre + Ray Bradbury, Fahrenheit 451 + Geschichten aus 1001 Nacht + Joseph Roth, Die Geschichte der 1002. Nacht + Jules Verne, 5 Wochen im Ballon + Patricia Highsmith, 2 Fremde im Zug + Anton ¢echov, Krankenzimmer Nr. 6 + Anton ¢echov, 3 Schwestern + Andrea De Carlo, Wir 3 + Valerie Wilson Wesley, 4 Frauen + Georges Simenon, 3 Zimmer in Manhattan + Andrea De Carlo, 2 von 2 + Jules Verne, 20 000 Meilen unter Meer + Patricia Highsmith, Die 2 Gesichter des Januars + Philippe Djian, 100 zu 1 + Urs Widmer, Die 6. Puppe im Bauch der fünften Puppe im Bauch der 4. = 22 800 = Süskind, Das Parfum
Leute, die Ameisen als kleine Sinnbilder der Tüchtigkeit und des Fleißes verehren, werden gegen diesen Drudel Protest einlegen. Ihnen möchten wir erwidern: Wenn Ameisen schon strebsame Schwerarbeiter sind, warum stehlen sie dann vom frühen Morgen bis zum späten Abend Nahrung von ihren Mitlebewesen? Und warum sind sie sozusagen bei jedem Picknick anzutreffen?
ZWEI IN EINE BAUGRUBE GEFALLENE COMIC-STRIPFIGUREN, DIE SICH NICHTS ZU SAGEN HABEN Sie haben ganz recht: Man hätte die Wortblasen in diesem Fall ebenso gut weglassen können; aber hätten Sie dann überhaupt gemerkt, dass sich Comic-Strip-Figuren in der Grube befinden? – Eben! (Vorsicht: Sie neigen zu voreiligen Bemerkungen!) Ersatzlösung für Theaterfreunde: ZWEI COMIC-STRIP-FIGUREN SITZEN IN DER GRUBE UND WARTEN AUF GODOT
DAMEBRETT FÜR ANFÄNGER Wenn Sie diesen Drudel richtig gelöst haben, dann haben Sie einen etwas simplen, aber ordentlichen Charakter. Sie sind ein braver Pflichtmensch, der trotz innerer Auflehnung regelmäßig seinen Spinat isst. Sollten Sie hingegen den Drudel SCHACHBRETT FÜR ANFÄNGER taufen, dann stellen Sie hohe intellektuelle Ansprüche ans Leben. Sie interessieren sich für die Relativitätstheorie und gehen freiwillig in moderne Kunstausstellungen.
Gemälde Frau: August Macke, ›Sitzender Akt mit Kissen‹, 1911; Illustration Baum: © Edward Gorey / Edward Gorey Charitable Trust
Lebensentwürfe, Liebeshoffnungen, Alterseinsichten …
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Der große Test
Welcher Frauentyp sind Sie? Geraten Sie immer an den falschen Mann, und lassen Sie sich von Affären Ihr friedvolles Leben zerstören? Oder sind Sie eine unbekümmerte Frohnatur, aber unglücklich mit einem starren Langweiler verheiratet? Mit diesem Psychotest finden Sie heraus, mit welcher Romanheldin Sie verwandt sind, und vielleicht auch, wer Ihr idealer Partner ist – wenn nicht in der Wirklichkeit, so doch für spannende Lesestunden. Wie betreten Sie einen belebten Raum? (E) Sie werfen sich sogleich ins Getümmel, amüsieren sich, plaudern hier und da, lachen oft und freuen sich über die Gesellschaft. (A)Mit raschen, entschiedenen Schritten blicken Sie sich um, neugierig auf alles Unbekannte, das Aufregung versprechen könnte. (D) Ruhig, mit selbstverständlicher Autorität. Sie können sich durchaus auch alleine unterhalten, wenn alle anderen beschäftigt sind. (B)Etwas unruhig suchen Sie einen Gesprächspartner. Sie sind selektiv und schnell unzufrieden, wenn niemand im Raum Sie anspricht. (C) Zurückhaltend, etwas schüchtern. Anfänglich halten Sie sich eher an den Wänden und in Nischen auf, erröten schnell, denken sich aber Ihren Teil. Was ist Ihr Lebensziel? (C) Sie möchten ein friedliches, würdiges Leben führen. Dazu gehört auch ein Partner, den Sie lieben und von dem Sie respektvoll geliebt werden. (A)Sie wollen das Leben voll auskosten und Ihrer Seele folgen. (D) Sie möchten Ihren Willen durchsetzen und selbstbestimmt leben. (E) Darüber wollen Sie sich nicht den Kopf zerbrechen, Sie haben eigentlich alles. Nur manchmal
beschleicht Sie das Gefühl, sich im falschen Leben zu befinden … (B)Wenn Sie das nur wüssten! Auf keinen Fall darf es langweilig sein. Ein typisches Kompliment an Sie: (B)Ihr Interesse an Literatur oder Ihre dynamische Natur. (A)Ihr inneres Feuer, Ihre Intensität. (C) Ihre Unbestechlichkeit und Aufrichtigkeit. (E) Ihre Lebendigkeit, Sie sind eine Frohnatur. (D) Ihr Eigensinn, Ihre hohen Ansprüche. ›C’est la catastrophe‹ für Sie: (E) Plötzlicher Verlust von allem, was Ihnen vertraut war, ohne je etwas Böses gewollt oder Schlimmes vermutet zu haben. (C) Einsamkeit und verfehlte Beziehungen, obwohl Sie immer alles richtig gemacht haben. (A)Dass die Liebe nicht genügt. Dass die Zeit nicht zurückgedreht werden kann. Oder auch: keine Rechte mehr zu haben. Oder auch: die Liebe, das Leben. (B)Schulden! Oder andere Folgen Ihrer Unüberlegtheit und Rastlosigkeit. (D) Katastrophen gibt es für Sie kaum, und wenn, dann sind sie schon vorbei, ehe Sie es bemerken.
Wovor fürchten Sie sich am meisten? (D) Sie kennen keine Angst. (A)Vor der Willkür des Lebens. (B)Vor einem unscheinbaren, trägen Dasein in dumpfer Einöde. (C) Dass Sie trotz oder wegen Ihrer Ehrbarkeit enttäuscht werden. (E) Vor Geistern. Oder: vor Ihrer eigenen Leichtfertigkeit. Wie stellen Sie sich Ihren Tod vor? (C) Im Beisein Ihrer Liebsten schlafen Sie guten Gewissens ein. (E) Sie denken kaum ans Sterben oder an ähnlich ernste Dinge. (A)Schnell und unerwartet. (B)Der Tod wird eines Tages eine Erleichterung für Sie sein. (D) Wenn Sie dazu bereit sind, dann sterben Sie. Ihr Lieblingssong: (A)Fever – Peggy Lee (D) Respect – Aretha Franklin (C) Wenn ich ein Vöglein wär (E) I Will Survive – Gloria Gaynor (B) I Want to Break Free – Queen Unter dem von Ihnen am häufigsten genutzten Buchstaben können Sie auf den folgenden Seiten Ihre Entsprechung unter den Heldinnen der Weltliteratur entdecken und damit auch den perfekt mit Ihnen harmonierenden Traummann!
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Charlotte Brontë Jane Eyre
Leo Tolstoi Anna Karenina
Roman · Diogenes
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–(A)– Anna Karenina Die Grande Dame des passions. Sie hat alles: angeborene Eleganz, einen belebten Blick, Frische, ein leuchtendes Lächeln in den Augen, weiche, schnelle und entschiedene Bewegungen. Ein inneres Feuer strahlt von ihr aus. Ihr Wesen ist geprägt von einer – ihr zu Beginn unbewussten – latenten Unzufriedenheit. Bald sieht sie in ihrer Ehe mit dem Beamten Karenin nur noch Heuchelei und Leere. Fast widerwillig verliebt sie sich in Graf Wronskij und geht eine Affäre mit ihm ein. Das Drama beginnt. Empfehlung: Sie leben für die Liebe und folgen Ihren Gefühlen ohne Rücksicht auf Verluste. Vorsicht! Besser Sie vertrauen sich gleich einem Mann an, der in Ihnen alle vergrabenen Leidenschaften weckt und dessen Augapfel Sie auf ewig sein werden. So ein Mann ist tatsächlich zu finden; er ist gut aussehend, heißt Werther und hat etwas fast Russisch-Schwärmerisches, mit dem Sie gut zurande kämen. Und sollten Sie zum Schluss kommen, dass die Liebe nicht genügt, um glücklich zu sein, könnten Sie beide der Welt gemeinsam Adieu sagen. 48
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Roman · Diogenes
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–(B)– Madame Bovary Emma ist angeödet von der Kleinstadt-Mediokrität, in der sie gelandet ist. Sie hat den Landarzt Charles Bovary geheiratet, einen gutmütigen, einfachen Mann, der sie liebt und achtet. Aber auch er langweilt sie bald. Nicht einmal die Geburt ihrer Tochter Berthe ändert etwas an ihrer Launenhaftigkeit, ihrer Unzufriedenheit. Emma beginnt, sich in andere Männer zu verlieben, sie wirft sich in eine Affäre. Doch der Liebhaber krebst zurück. Die fortlaufenden Enttäuschungen und ihre grundsätzliche Perspektivlosigkeit treiben Emma immer weiter in die Verzweiflung … Empfehlung: Sie sind keine leicht zu handhabende Person, aber das liegt womöglich an Ihrer Unterforderung. Auf jeden Fall brauchen Sie einen Mann, der Ihnen Abwechslung bietet und Sie in einer gewissen Grundspannung zu halten weiß – Ihr ideal match wäre Jay Gatsby. Sie hätten täglich neue Gäste im Haus und wilde Parties voller unbekannter Menschen, mit denen Sie sich vorzüglich amüsieren würden, Seelenverwandte finden und Liebschaften eingehen könnten. Dabei würde Gatsby Ihnen Ihre Freiheit lassen. Er ist, wie Sie, im Tiefsten schmerzhaft rastlos und auf der immerwährenden Suche nach dem Unmöglichen.
Roman · Diogenes
detebe 21581, 688 Seiten
–(C)– Jane Eyre Jane arbeitet als junge Gouvernante auf Thornfield. Sie ist ein Waisenkind, schüchtern, unscheinbar, naiv; hat aber eine leidenschaftliche Seele und eine Neigung zu unangebrachten Ausbrüchen. Sie verliebt sich in den Hausherrn, Mr Rochester, und beinahe heiratet sie ihn, als plötzlich klar wird, dass er bereits verehelicht ist. Und zwar mit einer geistesgestörten Frau, die er versteckt hält. Die Hochzeit wird abgeblasen, Janes Träume sind geplatzt, und beinahe wäre sie unwissend in die Bigamie geschlittert. Sie will ihre moralischen Anschauungen und ihr Selbstwertgefühl nicht für die Liebe opfern und bleibt konsequent, bis sich alle Dinge zum Guten wenden. Empfehlung: Da Sie nicht nur wahre Liebe, sondern auch unbedingte Treue fordern, gibt es für Sie nur wenig Auswahl. Seien wir realistisch. Falls es funkt, könnten Sie sich mit Fabrice del Dongo gut vertragen, er ist, von einigen Ausschweifungen abgesehen (die Sie ja nicht zu erfahren brauchen), ein der Liebe ergebener Mann. Und wenn Sie ihn rechtzeitig erwischen, werden Sie ihn vielleicht davon abhalten können, die Priesterweihe zu erhalten. Vielleicht sollten Sie aber auch ein Verhältnis mit ihm eingehen, wenn er bereits Erzbischof geworden ist, denn falls er Sie liebt, ist ihm das jedenfalls kein Hindernis für eine – natürlich heimliche – Familiengründung.
Foto links: © ddp Images; Foto Mitte: © Micheline Pelletier / Sygma / Corbis; Foto rechts: © Sygma / Corbis
Flaubert Madame Bovary
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Damenwahl
Jane Austen Emma Roman · Diogenes
detebe 21903, 560 Seiten
Fotos: © ddp Images
–(D)– Emma Eine schöne, intelligente 21-jährige Frau, die sich schwört, nie zu heiraten, beschließt, stattdessen Kupplerin zu spielen. Sie ist die jüngste Tochter eines reichen Witwers und ist es gewohnt, selbstbewusst die Rolle der Hausherrin zu spielen und ihren Willen durchzusetzen. Erst spät bemerkt sie, dass sie sich in eines ihrer Kuppelobjekte verliebt hat, und entdeckt ihre Hingabefähigkeit. Und sie kriegt ihren altbekannten Mr Knightley, der ein ganzer Gentleman ist und einer der wenigen Menschen, zu denen Emma aufblickt. Empfehlung: Intelligent und selbstbewusst, wie Sie sind, brauchen Sie einen Mann, der Ihnen das Wasser reichen kann. Leider gibt es einen solchen nur in Ihrer eigenen Geschichte. Spaß könnten Sie allerdings mit Ihrem Landsmann Dorian Gray haben: Mit ihm und Lord Harry könnten Sie unterhaltsame Gespräche führen und hinsichtlich Ihrer Vorliebe, gern im Mittelpunkt zu stehen, einen Spiegel vorgehalten bekommen. Sie dürften allerdings keine Gegenliebe erwarten, denn der eitle Dorian liebt nur die Oberfläche und sich selber.
Theodor Fontane Effi Briest
Anna Karenina & Werther
Roman · Diogenes
detebe 21077, 416 Seiten
–(E)– Effi Briest Effi ist eine junge Frau von unbekümmerter Leichtigkeit, quicklebendig. Sie lebt unüberlegt, instinktiv und ist geleitet von einem kindlichen Stolz. »Von Natur aus« ist sie folgsam und passt sich leicht den vorgegebenen Situationen an. Als sie mit dem älteren Baron von Innstetten verheiratet wird, trübt sich ihr Dasein. Sie langweilt sich in der starren Lebensform des ehrbaren Mannes. Im neuen Zuhause fürchtet sie sich vor Spuk, ist unruhig, unglücklich, wird oft allein gelassen. Und so hat Major von Crampas, ein junger Verführer, leichtes Spiel bei ihr. Mit der Affäre nimmt Effis tragisches Schicksal seinen Lauf, ihr Glück ist auf immer dahin. Empfehlung: Ihre fröhliche Lebenslust darf unter keinen Umständen verkümmern, das wäre die Wurzel allen Übels. Am besten, Sie verbannen gleich alles Statische aus Ihrem Leben und gewöhnen sich daran, gegen einengende Strukturen zu rebellieren. Ein guter Anfang wäre eine Liaison mit dem alten Valmont, der in solchen Dingen erfahren und gar nicht lieblos ist. Lassen Sie ihn lange genug zappeln, bevor Sie ihm nachgeben, und Sie werden sehen, wie erfrischend der Umgang mit Männern sein kann.
Emma Woodhouse & Dorian Gray Jane Eyre & Fabrice del Dongo Mme Emma Bovary & Jay Gatsby Effi Briest & Vicomte de Valmont
Diogenes Magazin
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Der große Test
Welcher Männertyp sind Sie? Ist Ihr Liebesleben ein Jammertal, oder steckt in Ihnen doch der geborene Verführer? Oder gilt Ihre ganze Aufmerksamkeit ausschließlich einer unerreichbaren Schönen? Mit diesem Psychotest finden Sie heraus, welchem Romanhelden Sie verwandt sind, und auch, wer Ihre ideale Partnerin ist – wenn nicht für die Realität, so doch für spannende Lesestunden. Ihr liebster Aufenthaltsort: (E) Kurz davor, in den Armen einer aufregenden, schönen Frau zu liegen. (A)In der Natur! (C) Dort, wo Sie von stilvollen, hübschen Dingen umgeben sind. (D) Da, wo es aufregend zu und her geht. (B)Der schönste Ort ist nie da, wo Sie sind … Ihr Lebensziel: (D) Hat sich schon einige Male verschoben, war aber jedes Mal durchaus ernst gemeint. Gerne ein Leben mit Ruhm, Ehre und Einfluss. (A)Sie wollen der Intensität der Schöpfung gerecht werden, auf Ihr Gefühl hören. (C) Nichts zu verpassen. (E) Jede attraktive Frau ist ein neues Ziel, je keuscher sie, desto stärker Ihr Jagdinstinkt. (B)Sie würden ganze Universen aus dem Nichts stampfen, wenn Sie dadurch sie für sich gewännen. Ein typisches, oft genanntes Kompliment an Sie: (B)Großzügig und selbstlos, zurückgezogen, unergründlich und faszinierend. (A)Impulsiv, begeisterungsfähig, leidenschaftlich. (D) Romantisch, gefühlvoll, einfühlsam.
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(C) Wunderschön, anbetungswürdig, die Güte steht Ihnen ins Gesicht geschrieben … (E) Ein einfallsreicher Verführer und glänzender Liebhaber. ›C’est la catastrophe‹: für Sie? (A)Sie an einen anderen verlieren. (B)Sie zu enttäuschen, trotz all der Superlative, die Sie ihr bieten. (C) Plötzlich die Leere und Imperfektion der Welt zu begreifen. (D) Katastrophen sind Sie gewohnt, das normale Leben bleibt Ihnen ein Rätsel. (E) 1. Wenn sie anhänglich wird. 2. Wenn das eigene Leben durch die Wut ihres Ehemannes bedroht ist. 3. Wenn Sie sie nicht rumkriegen (noch nie vorgekommen). Wie betreten Sie einen belebten Raum? (E) Scheinbar gelassen treten Sie über die Schwelle, nur an eines denkend: Mit welcher Frau werden Sie diesen Raum wieder verlassen? Und wie werden Sie sie dazu bringen, sich Ihnen hinzugeben? (B)Kaum aus der Ruhe zu bringen, perfekt gekleidet, liebenswürdig und dabei immer auch etwas abwesend, selbst wenn Sie der Gastgeber sind. (A)Aufrecht und offen, sensibel für alle Reize, immer bereit, für Ihre Empfindungen starre Konventionen zu brechen.
(D) Mit einer Mischung von Durchblick, Kalkül und naiver Verzückung, stets auf der Suche nach der Idee eines Abenteuers. (C) Sie sind sofort der Blickfang jeder Runde und genießen Ihren Auftritt. Wie stellen Sie sich Ihren Tod vor? (A)Die Natur gibt’s, die Natur nimmt’s. (C) Ihr eigener Tod ist für Sie völlig unvorstellbar, Sie wollen die Unsterblichkeit. (B)Sie fürchten einen langsamen und peinvollen Tod. (D) So wie James Dean: mit dem Porsche gegen den Baum, noch jahrzehntelang weinen Menschen um Sie. (E) Carpe diem. Ihr Lieblinssong: (A)Ne me quitte pas – Jacques Brel (B)I Want You – Elvis Costello (C) The Show Must Go On – Queen (D) Quelqu’un m’a dit – Carla Bruni (E) Je t’aime … moi non plus – Serge Gainsbourg / Jane Birkin
Unter dem von Ihnen am häufigsten genutzten Buchstaben können Sie auf den folgenden Seiten Ihre Entsprechung unter den Helden der Weltliteratur entdecken und damit auch Ihre perfekt mit Ihnen harmonierende Traumfrau!
Foto links: © Progress Film-Verleih GmbH Berlin; Foto rechts: © ddp Images
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–(A)– Werther
–(B)– Jay Gatsby
Ein Trendsetter wider Willen, Suizid und blauer Kittel, gelbe Schuhe und Hosen. Liebt die Schönheiten der Natur, Mythologie, Poesie, aber dummerweise ganz leidenschaftlich auch Lotte, die an Albert vergeben ist. Selbstbezogener und überschwenglicher junger Kerl, der alles, was um ihn herum existiert, idealisiert, überzeichnet und sich durch die Perpetuierung seiner Gefühle in Extreme hineinsteigert. Er denkt alles empfindungsbedingt und ins Absolute, jedoch ohne Konsequenz oder Ausdauer. Bringt sich »aus Liebe« zur unerreichbaren Lotte um. Empfehlung: Eigentlich brauchen Sie keine Frau, sondern ein Ziel. Eine Dame, die Ihnen dabei helfen könnte und Ihnen mit natürlichem Durchsetzungsvermögen und einer Gabe, den Überblick zu wahren, Struktur gäbe, wäre beispielsweise Emma Woodhouse. Allerdings müssten Sie sich bei dieser Frau etwas mehr zusammennehmen, als Sie es gewohnt sind; Sie dürften beispielsweise nicht vor ihr in Tränen ausbrechen. Denn Emma hat hohe Ansprüche und braucht einen Mann, zu dem sie aufblicken kann. Dieser Vorstellung zu genügen dürfte für Sie ganz gesund sein. Arbeiten Sie an Ihrer souveränen Wirkung.
Ein Träumer, Schöpfer eines eigenen Universums für seine ferne Angebetete. Er hat von außen gesehen alles, was man sich wünschen kann, Villa, Reichtum, Gesellschaft. Er schmeißt berüchtigte wilde Parties, bleibt dabei aber geheimnisvoll unnahbar. Um seine Vita ranken sich Legenden. Was keiner weiß: Sein großartiges Leben hat er sich nur geschaffen, um seine Jugendliebe Daisy zu beeindrucken, in die er noch immer unsterblich verliebt ist. Daisy hat aber unterdessen einen anderen geheiratet. Und eines Tages trifft er erneut auf Daisy … Gatsbys reiner Traum ist letztlich kindlich, seine Maskerade droht sich gegen ihn zu wenden. Empfehlung: Sie brauchen unbedingt eine Frau, die Sie von Ihrer Schwermut und Ihren geheimen Erlösungsphantasien ablenkt. Lassen Sie sich doch auf ein reizendes junges Mädchen namens Effi Briest ein. Sie ist vielleicht etwas naiv, aber im Gegensatz zu der Party-Klientel, die Sie gewohnt sind, grundaufrichtig und authentisch froh. Sie braucht nicht viel, um glücklich zu sein, nur dürfen Sie sie nicht in starrer Umgebung verdorren lassen. Effis Temperament ist eigentlich gut geeignet für Ihre Zeit, sie ist lebendig, reizend und liebt die Abwechslung. Übrigens passt sie auch gut in Ihr Beuteschema vom Mädchen aus gutem Hause.
Herrenwahl Werther & Emma Woodhouse Jay Gatsby & Effi Briest Dorian Gray & Anna Karenina Fabrice del Dongo & Mme Emma Bovary Vicomte de Valmont & Jane Eyre
Goethe Die Leiden des jungen Werther Diogenes
F. Scott Fitzgerald Der große Gatsby Roman · Diogenes
detebe 20183, 192 Seiten
detebe 21366, 144 Seiten
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–(C)– Dorian Gray
–(D)– Fabrice del Dongo
–(E)– Valmont
Dorians jugendliche Schönheit wird allerseits angebetet. Er erhält die ewige Jugend per Porträt, das anstelle seiner selbst für ihn altert: Die Spuren seiner Sünden und Vergehen speichern sich im gemalten Antlitz, nicht in seinem eigenen. Dorian wird immer maßloser und grausamer, bleibt dabei aber jung und makellos schön. Als ihn seine Schuld einholt, wird ihm verzweifelt seine Seelenlosigkeit klar, und er versucht, sich zu retten. Er ist der Dekadente, der versucht, dem Zahn der Zeit durch eine ästhetische Sublimierung zu entwischen, dabei verliert er das Vermögen, zu fühlen, zu wünschen, sich und andere zu »verbrauchen«, zu leben. Empfehlung: Eigentlich wollen Sie ja gar keine Frau. Ansprechen würden Sie aber bestimmt auf die wunderschöne und sich ihrer Leidenschaften noch völlig unbewusste Anna Karenina. Instinktiv würden Sie wohl von ihrer noch unangekratzten, begehrenswerten Oberfläche angezogen werden und sich in sie verlieben – oder was Sie für verlieben halten. Annas Untergang ist durch die Anziehung, die sie auf solche Männer wie Sie ausübt, bereits in ihr angelegt. Also lassen Sie vielleicht besser ganz die Finger von den Frauen, oder bringen Sie sie wenigstens nicht um ihr Leben.
Fabrice ist jung, reich, vielleicht etwas leichtfertig. Er hat Mut, Charme, Glück, Talent, ist ein verführerischer Held, verträumt und doch auch kühl berechnend, auf Suche nach Macht und Genuss. Er ist schnell begeistert: von Napoleon, vom Rat seiner Tante, er solle Priester werden, und später von seiner Angebeteten, der bereits verheirateten Clelia Conti. Erst als er bereits Erzbischof ist, beginnt ihre heimliche Liebesgeschichte. Der Romantiker und Träumer hat große Visionen und scheitert letztlich doch an der Realität. Empfehlung: Was Sie genau wollen, ist nicht ganz klar. Vielleicht finden Sie eine ebenbürtige Partnerin in Mme Bovary. Sicher ist nur, dass das Leben großartig zu sein hat und dass keine Langeweile aufkommen darf. Wenn Sie sich trauen, mit Emma Bovary zu flüchten, werden Sie eine kapriziöse, aber spannende Frau an Ihrer Seite wissen, die eine gewisse Portion an Freiheit benötigt – wohl noch ohne selber damit umgehen zu können. Geben Sie ihr alle Ihre Aufmerksamkeit, verwöhnen Sie sie, aber wahren Sie unbedingt Ihre Geheimnisse, denn nichts wird Mme Bovarys Hingabe eher vertreiben als ein langweiliger, vorhersehbarer Mann.
Der Don Juan des 18. Jahrhunderts. Valmont ist attraktiv und hat gute Manieren, Unverschämtheit und Geist. Als gescheiter und verlogener Intrigant ist sein Leben auf die Befriedigung seiner Sinne ausgerichtet. Er liebt das Verführen und Erobern von Frauen. Je standhafter die Frau, desto näher wähnt er sich dem Gefühl der Liebe. Sobald er sie endlich mit allen Mitteln der Kunst erobert hat, verliert sie jeden Reiz für ihn, fast zu seinem eigenen Leidwesen. Ein Gourmet, der seinen Fang um jeden Preis kriegen will, dabei durchaus skrupellos. Seine Jagdlust treibt ihn zu immer raffinierteren Verführungsstrategien. Empfehlung: Sie brauchen eigentlich keine Empfehlungen, Sie wissen genau, was Sie wollen: Frauen. Und es ist Ihr größtes Vergnügen, alle Register zu ziehen, um sie zu bekommen und dabei über Ihren eigenen Erfindungsgeist hinauszuwachsen. Eine ganz besondere Dame, die sogar Sie herausfordern dürfte, ist Jane Eyre. Die junge Gouvernante ist zwar unscheinbar, also Komplimente kaum gewohnt, aber natürlich und nicht ohne Liebreiz, außerdem trägt sie eine ungeahnte Impulsivität in sich. Sie ist konsequent und hat nicht vor, ihre Ehre zu verlieren, schon gar nicht an einen wie Sie … Schon angebissen?
OscarWilde Das Bildnis des Dorian Gray
Roman · Diogenes
detebe 21411, 288 Seiten
Stendhal Die Kartause von Parma Roman ·Diogenes
detebe 20974, 736 Seiten
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Choderlos de Laclos Gefährliche Liebschaften Roman · Diogenes
detebe 21271, 432 Seiten
Foto links: © 2009 Concorde Filmverleih GmbH; Foto Mitte: © Lu Wortig / INTERFOTO / bab.ch; Foto rechts: © ddp Images
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Die einsame Insel Jeder kennt die Frage: »Welches Buch würden Sie auf die einsame Insel mitnehmen?« Wir haben Martin Walker, Urs Widmer, Martina Borger, Maria Elisabeth Straub und Paulo Coelho gefragt. Und um es ein wenig spannender (und bequemer) zu machen, konnten die fünf Autoren mehr als nur ein Buch auf die Insel mitnehmen.
Illustration: © Mose; Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag
Martin Walker Roman Victor Hugos Les Misérables, denn es ist ein sehr umfangreiches Werk und würde mir helfen, mein Französisch zu verbessern; außerdem kann ich mich an seiner Schilderung der Schlacht von Waterloo nicht satt lesen.
Sachbuch Gibbons Verfall und Untergang des römischen Imperiums – alle sechs Bände. Ein großartiges Werk, stilistisch brillant und voller Anregungen für Diskussionen.
Drama Macbeth, nicht zuletzt in Erinnerung an meine Beteiligung an einer Schulproduktion mit drei hübschen blonden Hexen (mit denen ich damals anzubändeln versuchte); sie stellten in ihren Masken alles Mögliche dar, nur keine Hexen. Was mich an diesem Stück immer wieder fasziniert, ist der culture clash zwischen der alten heidnischen Kultur der Schotten Macbeth’ und dem anglizierten Christen Duncan, seinen Nachfolgern und englischen Verbündeten.
Zeitschrift The Economist
Zeitung The Financial Times
TV-Sender Arte Radiosender BBC World Service Lyrik John Donnes Gedichte; sie würden mich an meine Liebe erinnern, die ich entbehren müsste (es sei denn, ich kann meine Frau mitnehmen); darüber hinaus die gesammelten Werke von W. H. Auden. Erzählung Arthur C. Clarkes Alle Namen Gottes
Film Casablanca – ein vollendeter Film um Liebe und Krieg, Pflicht und Ehre, Mut und Verzweiflung, mit charmanten Gaunern und wunderschönen Frauen. Und ich bin dem Drehbuchautor begegnet, als er schon über 80 war; er gab mir eine handsignierte Kopie des Scripts.
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Schauspieler Humphrey Bogart Schauspielerin Marlene Dietrich – wegen ihrer Lieder, der herrlich spöttischen Art ihres Umgangs mit Männern und wegen ihres breiten künstlerischen Spektrums, ob als Stummfilmstar oder Muse von Sternbergs. Nach meinem Geschmack kann ihr nur Katherine Hepburn das Wasser reichen.
Lieblingsgetränke (alkoholfrei) Vitaminsäfte, wie man sie nur in deutschen Hotels zum Frühstück serviert bekommt (alkoholisch) Lagavulin Malt Whisky; (Wein) 61er Lafitte oder fast jeder Pomerol
Lieblingsfoto Alles von Ansel Adams
dass ich träge werde. Sie kann vorzüglich kochen, ist voller Erkundungsdrang, der mich mitzieht auf weite Wanderungen; und sie ist eine gute Gesprächspartnerin, mit der ich so viele Erinnerungen teile, dass ich wahrscheinlich gar nicht mehr von der einsamen Insel herunter möchte. An meinem Hund schätze ich seine Neugier, seine unerschöpfliche Zuneigung und seinen ganz eigenen, mir vertrauten Geruch.
Musikinstrument Klavier, obwohl ich es selbst nicht spielen kann.
Mit wem ich mich gern unterhalten würde Mark Aurel
Lieblingsgemälde Der bethlehemitische Kindermord von Brueghel
Streitpartner Karl Marx
Musik Aus dem Bereich Pop oder Rock höre ich am liebsten The Dark Side of The Moon von Pink Floyd. In meinen früheren Tagen als Musikkritiker für The Guardian war ich Gast der Welturaufführung im London Planetarium – ein einzigartiges Erlebnis, zumal mir wie allen anderen bewusst war, einem Konzert beizuwohnen, das in die Geschichte eingehen würde. Klassik Mozarts Zauberflöte; klassische Musik im Allgemeinen, vor allem Bachs Goldberg-Variationen, immer und immer wieder; aber da wären auch noch andere Kandidaten mit einprägsamen Leitmotiven, die ich gern vor mich hinsumme oder -pfeife (Beethovens Neunte, Wagners TannhäuserOuvertüre, Mozarts Eine kleine Nachtmusik, Mahlers Lied von der Erde, Brahms’ Vierte Sinfonie, Barbers Adagio, Mendelssohns Hebriden-Ouvertüre oder Smetanas Moldau). Jazz Miles Davis’ In a Silent Way und Sketches from Spain (wenn mir denn zwei Alben erlaubt sind). Mein Lieblingsmenü Thailändische Zitronengrassuppe – Steak-and-Kidney-Pie, von meiner Frau zubereitet – Zitronentarte mit Baiser von meiner Mutter. Lieblingskäse Wensleydale 54
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Briefpartner Winston Churchill
Möbelstück Das Bett, das ich zu unserer Hochzeit selbst geschreinert habe. Werkzeug Es wäre wohl zu simpel, an Laptop oder Computer zu denken, also wähle ich das Schweizer Messer mit allen möglichen Accessoires. Kleidung Sarong, weil für alles gut – kann als Handtuch, Decke, Strandmatte usw. verwendet werden. Parfüm Guerlain, Vol de nuit Spiel Schach Was ich an meiner Partnerin besonders schätze (und was mir auf einer einsamen Insel besonders gut täte) Meine Frau ist allerliebst, mutig und entschlossen, niemals zuzulassen,
Nachbar Meine Nachbarn im Périgord, die die Besetzung meiner persönlichen Seifenoper stellen – der Baron, Raymond der Colonel, René der Handwerker, Bruno der Polizist, Christophe der Gärtner, Joe der Landwirt, Julien der Winzer, Yannick der Lokführer, Patrick der Buchhändler, Jean-Louis der KfzMechaniker, Katy (die so gern flirtet), Hannes der Tennisspieler, Tine die Köchin, Gabrielle die Yogalehrerin, Michel der Lehrer, Edouard der Rugbyspieler, Tonio der Klempner, François der Café-Wirt, Hervé der Arzt und Gérard der Bürgermeister. Joker-Artikel: Was würden Sie noch mitnehmen? – meine beiden Töchter – einen Zeichenblock und Wasserfarben – eine kleine Taschenlampe, damit ich auch nachts lesen kann – Angel, Tauchermaske und Schnorchel – ein Feuerzeug, damit ich Feuer machen kann – eine Ersatzbrille zum Lesen – einen großen Blechteller und -napf – Hefe zum Brotbacken und Weinkeltern – einen Spaten für Gartenarbeiten – Blumensamen – jede Menge Stricke und Schnüre.
Illustration: © Bosc
TV-Serie Falls noch mehr Shakespeare erlaubt ist: die BBC-Reihe The History Play; ansonsten The World at War.
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Urs Widmer Roman Genügend Papier. Dann kann ich mir meine Lieblingsromane selber schreiben. Und – zur Erinnerung, wie man’s macht – Stendhals Chartreuse de Parme.
Lieblingsgemälde Ambrogio Lorenzetti, immer noch
Sachbuch Defoe, Robinson Crusoe
Musikinstrument s.o.
Theaterstück Shakespeare, Hamlet
Möbelstück Bett
Lyrik Goethe, Sämtliche Gedichte
Werkzeug Fernrohr
Erzählung Büchner, Lenz
Kleidung Blaumann
Zeitung Fögl Ladin (ich kann nicht rätoromanisch; hab ich was zu tun). Zeitschrift Diogenes Magazin TV-Sender – Radiosender Ein leistungsstarkes Gerät. Kurzwelle. Ich sende dann täglich ab fünf Uhr abends. Film Alle Laurel-and-Hardy-Filme TV-Serie –
Lieblingsfoto Eins mit meinen Lieben drauf
Jazz Siehe oben. Mundharmonika ist ein Jazz-Instrument. Sonst Louis Armstrong mit den Hot Seven, Melancholy Blues.
Musik Habe meine Mundharmonika dabei. Muss reichen.
Foto: © Brigitte Friedrich
Oper Siehe oben. (Ich kann Teile der Traviata). Klassik Siehe oben. (Am besten bin ich mit Schuberts Ständchen.)
Spiel Vorspiel (mit der Schauspielerin)
Mein Lieblingsmenü Fische werde ich ja wohl fangen können auf dieser elenden Insel. Ananas.
Was ich an meiner Partnerin besonders schätze (und was mir auf einer einsamen Insel besonders gut täte) Siehe oben
Lieblingsgetränke (alkoholfrei) Wasser (alkoholisch) Rotwein (guter)
Lebensretter Diogenes Verlag (jährliche Überweisung der Tantiemen in Naturalien)
Buchtipp
Schauspieler Einen Schauspieler nehme ich ganz gewiss nicht auf die einsame Insel mit. (Eventuell Wolfram Berger.) Schauspielerin Scarlett Johansson, Penélope Cruz. Am liebsten allerdings meine Frau, die in jungen Jahren mit einem Wandertheater durch den französischen Jura tourte.
Parfüm –
Mit wem ich mich gern unterhalten würde Darf man denn alles und jeden auf die einsame Insel mitnehmen? Bereits jetzt herrscht ein richtiges Gedränge. Streitpartner Siehe oben Briefpartner Die paar, die nicht auf der einsamen Insel sind
Urs Widmer Herr Adamson
Nachbar Auch noch ein Nachbar? Ist die Insel etwa Manhattan?
Roman · Diogenes
208 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06718-7
Ein vorweggenommener Abschied. Bereits durchlebte Ängste. Die große Obsession, der die Menschheit auch mit Riten und uralten Mythen nicht Herr wird. Ein Leben zum Tod hin, erzählt in einer herzerwärmenden Heiterkeit.
Haustier – Joker-Artikel: Was würden Sie noch mitnehmen? Eine Tube gezuckerte Kondensmilch.
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Martina Borger Roman Weil ich mich unmöglich für ein einziges Buch entscheiden kann, nehme ich das mit, das ich gerade lese (sofern es interessant und lang genug ist!).
Musikinstrument Ich wollte schon immer mal Schlagzeug spielen lernen. Beschweren kann sich ja wohl keiner.
Sachbuch Ich fasse diesen Begriff weit: Loriots Gesammelte Werke
Technisches Gerät Gibt es auf der Insel etwa Stromanschluss?
Theaterstück Shakespeare, Viel Lärm um nichts
Kleidung Meine Gazelle, die einzig bequemen Schuhe
Lyrik E.E. Cummings, Poems
Parfüm Jil Sander Bath & Beauty (leider kaum noch zu kriegen)
Erzählung Alice Munro, Schweigen
Möbelstück Mein Bett, was sonst.
Zeitung Süddeutsche Zeitung
Lieblingsgetränke (alkoholfrei) Wasser, aber bitte ohne Salz (alkoholisch) Augustiner Edelstoff
Zeitschrift Wenn ich schon am Wasser bin: Mare
Lieblingsgemälde Eins von William Turner
Spiel Elfer raus Lebenspartner Meinen eigenen natürlich! Lebensretter Siehe oben!
TV-Sender Hab ich wirklich einen Fernseher auf der Insel???
Lieblingsfoto Da nehme ich kein Kunstwerk, sondern eins aus meinem privaten Album.
Radiosender Bloß nicht!
Mit wem ich mich gern unterhalten würde Mit meinem Sohn, meiner Tochter
Buchtipp Film La Luna von Bertolucci
Streitpartner Siehe oben
TV-Serie Alle sechs Staffeln der Sopranos
Briefpartner Mein Bruder in London, der mich mit allen News beliefern kann, von der globalen Politik bis zu Klatsch und Tratsch aus aller Welt. Und der sich für mein Insel-Leben bestimmt brennend interessiert.
Schauspieler Christoph Waltz Schauspielerin Judi Dench Martina Borger
Klassik Weil es so schön traurig ist: Beethoven Klavierkonzert Nr. 5 Jazz Miles Davis, Bitches Brew Pop / Rock Rolling Stones, Exile on Main Street Mein Lieblingsmenü (nicht süß) Pasta in allen Variationen (süß) Gilt auch Schokolade?
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Lieber Luca
Nachbar Die Vögel vor meinem Balkon Roman · Diogenes
Diogenes Taschenbuch detebe 23917, 208 Seiten
Die Briefe in diesem Roman sind für eine rote Keksdose bestimmt und nicht für ihren Adressaten. Denn sonst würde Simone niemals zu Papier bringen, was sie ihnen anvertraut. Die Geschichte einer großen Liebe, einer ebensolchen Kränkung und der Versuch, dem Leben eine neue Wendung zu geben.
Haustier Ein Huhn könnte sehr nützlich sein. Joker-Artikel: Was würden Sie noch mitnehmen? Einen Garten im Mini-Format, bitte.
Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag
Oper Weil sie mir immer gute Laune macht: Die Zauberflöte
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Maria Elisabeth Straub Meine einsame Insel wäre eine klassische, also ein Eiland ohne Energieversorgung, Kinoleinwände und Postzustellung. Vor allem ohne Nachbarn und Publikumsverkehr. Ich erwarte allerdings eine Trinkwasserquelle, fischreiche Gestade und ein bis zwei Kokospalmen. Mitnehmen würde ich, der vorgegebenen Liste folgend:
Roman Einen umfangreichen Blindband, um den Roman zu schreiben, der dann zeitweise mein Lieblingsroman wäre. Schreibwerkzeug: Federn und Sepia.
Illustration: © Bosc; Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag
Sachbuch Wie baue ich eine Windharfe Lyrik Nein. Gedichte kommen und gehen, ich würde sie mit der Spitze einer rosafarbenen Wellhornschnecke in den Ufersand schreiben und dann meine Fischreusen kontrollieren. Drama, Kurzgeschichte Nein. Vielleicht würde ich gelegentlich eine Zwergenbühne bauen und zwischen Kieselsteinen, Muscheln und exotischen Zapfen ein wüstes Drama in Gang setzen, auch, um meine Vergangenheit anständig aufzuarbeiten.
Sonnenuntergang die Flasche nicht finden würde, siehe unten (Gemälde).
Zeitung, Zeitschrift, TV-Sender, Radiosender, Film, TV-Serie, Schauspieler, Schauspielerin Hatte ich alles schon, bräuchte ich dort nicht. Musikstück, Oper, Klassik, Jazz, Pop / Rock Ich könnte schwach werden und den kompletten Brahms mitnehmen wollen. Aber dann dieser technische Aufwand! Die Windharfe sollte reichen. Lieblingsessen, Getränke Ich würde mit 10 Nahrungsmitteln auskommen wollen: Pfeffer (Salz gewänne ich aus dem Meer), Knoblauch, Süßkartoffeln, Grünkohl, Feigen, Olivenöl, Avocados, Äpfel, Zitronen, Rotwein. Die Regel »Alkohol erst nach Sonnenuntergang« würde ich gelinde aufweichen, schon deshalb, weil ich nach
Lieblingsgemälde Och. So ein kleiner Giorgione? Oder auch ein größerer? Mit einem innewohnenden Geheimnis? Auch als netter Romanstoff? … »Wochenlang hatte sie das kostbare Gemälde vor dem grellen Licht und der Salzluft geschützt. Sie hatte es in den erbsengrünen Kaftan eingewickelt und unter dürren Palmblättern in der Hütte deponiert. Aber kein Tag war vergangen, an dem sie es nicht aus seiner Umhüllung genommen und betrachtet hätte, um vielleicht doch auf die Spur seines Rätsels zu kommen, an dem sich schon Generationen von Kunsthistorikern die Zähne ausgebissen hatten. Vorsichtshalber hatte sie stets die letzten Minuten vor Sonnenuntergang abgewartet, wenn das Licht sanfter wurde, und so war nie genug Zeit gewesen, alle Einzelheiten in Ruhe zu erforschen, zu schnell wich in diesen Breitengraden das Tageslicht absoluter Nachtschwärze, eben noch der sprichwörtliche Feuerball am Horizont, und gleich darauf die Hand nicht mehr vor Augen. Also fasste sie am zweiundvierzigsten Tag ihrer Einsamkeit den Entschluss, das Bild am Stamm der hinteren Kokospalme aufzuhängen, um es anschauen zu können, wann Diogenes Magazin
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immer sie wollte – und dem Verfall preiszugeben. Für wen hätte sie es bewahren sollen? Die Chance, dass irgendwann irgendjemand ausgerechnet auf dieses gottverlassene winzige Eiland käme, bewegte sich gegen null. Was ist ein Gemälde, wenn niemand es sieht? Und vor allem: Wofür gibt es ein Rätsel, wenn niemand es löst? …«
Kleidung Stiefel, Sandalen, Kaftan, Tuch. Arbeitshandschuhe. Schwimmflossen. Für besondere Anlässe eine Garnitur BusinessOutfit, siehe unter Joker.
Spiel Ein Päckchen Patiencekarten? Müsste aber nicht sein. Wenn da auch nur eine vom auffrischenden Nachmittagswind davongetragen würde, kuckte ich doch in die Röhre.
Parfüm Nicht einmal in der hochgeschätzten Romanform. Und ich hätte ja die Resistentia clamoris, siehe oben (Musikinstrument).
Lebenspartner, Lebensretter, Gesprächspartner, Streitpartner, Briefpartner, Nachbar Wollt Ihr mich nach Mallorca verfrachten?
Lieblingsfoto Defoes Porträt
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Das Geschenk Roman · Diogenes
Diogenes Taschenbuch detebe 23652, 336 Seiten
Eine Geschichte, zweitausend Jahre alt, unerhört kühn und neu erzählt. Ein Roman über die heilige Familie. Zugleich ein Familienroman. Und wie es sich für eine gute Familie gehört: mit einigen »unter Verschluss gehaltenen« dunklen Stellen.
DIE BLANK FRÜHJAHRSAUSGABE MIT THOMAS GLAVINIC, HANNA LEMKE, STEPHEN KING, DER LITERATUR-KOLUMNE VON ROMAN L IBBERTZ … GESELLSCHAFT, DISKURS, DISKO.
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Joker-Artikel: Was würden Sie noch mitnehmen? Nachdem ich zwei Jahre lang ungestört auf meiner Insel gelebt hätte, dürfte für ein paar Stündchen der gesamte Diogenes Verlag einfliegen, um sich ein stimmiges Bild von einer einsamen Insel zu machen, bei leicht vergorenem Kokosdrink und Fingerfood (Meeresfrüchte im Süßkartoffelmantel, scharf angeröstete Grünkohltriebe an Knoblauch und Kokosquark, zitronierte Palmenherzen, frisch gepfefferte Feigen und dergleichen) einen staunenden Blick auf das bröselnde Giorgione-Gemälde zu werfen – und rundum beglückt mein vollendetes Romanmanuskript mit nach Zürich zu nehmen.
LIEBE 2.0
BIOTOP BEZIEHUNG
JETZT
AM KIOSK
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Werkzeug Brille. Lachsack. Angelhaken, Messer, Axt, Säge, Feuerzeug, Nagelschere. Ein kleines Arsenal von Nägeln, Schrauben etc. – und eine von diesen geilen eisernen finnischen Bratpfannen.
Maria Elisabeth Straub
Haustier Da nähme ich gern, was die Insel mir böte, sich selbst ernährt, nicht stinkt, nicht unentwegt Junge bekommt, nicht nachts auf meiner Brust schlafen will und nicht überall hinkackt.
4 198017 904001
Möbelstück Nein. Schon gar nicht eine von diesen hohen englischen Standuhren, die man jeden Tag aufziehen muss.
Buchtipp
f 5,00 4,00
Musikinstrument Windharfe, siehe oben (Sachbuch). Sie könnte im Lauf der Jahre zu einer inselüberziehenden Anlage heranwachsen. Allerdings müsste ich mir dann in windigen Nächten die Ohren verstopfen, vielleicht mit Knöllchen aus den seidigen Samen der Resistentia clamoris, eines nur auf meiner Insel vorkommenden, aromatisch duftenden Korbblütlers, dessen scharfkantige Stiele einen Mücken und Sandwürmer abwehrenden Saft enthalten.
www.blank-magazin.de
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Paulo Coelho Roman George Orwell, 1984
Lieblingsgetränk (alkoholfrei) Wasser (alkoholisch) Wein
Sachbuch Ein schiffbautechnisches Handbuch
Lieblingsgemälde Die Nachtwache von Rembrandt
Lyrik Die Gedichte von Jorge Luis Borges
Lieblingsfoto Das Foto Le baiser de l’Hôtel de Ville von Robert Doisneau
Kurzgeschichte Irgendeine Geschichte aus Tausendundeine Nacht
Musikinstrument Klavier Zeitung International Herald Tribune Möbelstück Bett Zeitschrift Focus
Buchtipp
Technisches Gerät Computer
TV-Sender ESPN Kleidung Meine Uhr Radiosender Nostalgie Parfüm Der Geruch eines menschlichen Körpers
Film Once Upon a Time in the West (dt. Filmtitel: Spiel mir das Lied vom Tod) TV-Serie Kung-Fu-Serien Schauspieler Kevin Spacey
Spiel Fußball
Fernando Morais Der Magier Die Biographie von Paulo Coelho
Illustration: © Sempé; Foto: © Sant Jordi Asociados, Barcelona
Oper La Traviata von Verdi Klassik Arie Nessun dorma aus Puccinis Oper Turandot Jazz David Brubeck Pop / Rock All You Need Is Love von den Beatles Mein Lieblingsmenü (nicht süß) Couscous (süß) Ich esse nicht gern Süßes.
Mit wem ich mich gern unterhalten würde Nelson Mandela Streitpartner Barack Obama
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ca. 800 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06752-1 SEPTEMBER
Die erste Biographie eines der bekanntesten und zugleich rätselhaftesten Menschen unserer Zeit: Paulo Coelho. Eine ebenso faszinierende wie auch streckenweise schockierende Lektüre, denn Der Magier basiert auf mehr als 200 Tagebüchern und 100 Tonbändern, die Coelho jahrelang unter Verschluss gehalten hatte.
Briefpartner Anna von Planta Nachbar Die Wüste Joker-Artikel: Was würden Sie noch mitnehmen? Meine Frau
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Nicht schon wieder Wellen! Hinterhältige Geschichten vom Meer von Patricia Highsmith, Roald Dahl, Martin Suter, Doris Dörrie, Jeffrey Eugenides und anderen
Petros Markaris Die Kinderfrau
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Ein Fall für Kostas Charitos
Diogenes Taschenbuch detebe 23902, 416 Seiten
Roman · Diogenes
Diogenes Taschenbuch detebe 24041, 320 Seiten
Was in Istanbul geschah, ist viele Jahrzehnte her. Und doch will die 90-jährige Kinderfrau offene Rechnungen begleichen. Kommissar Charitos folgt ihren Spuren nach ›Konstantinopel‹, in eine schöne und dunkle Vergangenheit. Auch als Diogenes Hörbuch
Joey Goebel
Heartland
Alle träumen vom Meer, doch diese endlosen Wellen können auch nerven. Und auch ohne Schiffbruch kann so einiges ins Wasser fallen – wenn man keinen festen Boden unter sich hat oder die Füße im Sand. Dieses Buch versammelt die schönsten hinterhältigen Geschichten vom Meer. Auch als Diogenes Hörbuch
Roman · Diogenes
Diogenes Taschenbuch detebe 24037, 720 Seiten
Der amerikanische Traum mit »Gott, Vaterland und Freiheit« – und was davon übriggeblieben ist. Joey Goebel hat seinen großen amerikanischen Roman geschrieben, eine Mischung aus Familienepos, Politsatire und Liebesgeschichte. Witzig, böse, bombastisch, wild, poetisch, genial.
Jason Starr Panik Roman · Diogenes
Diogenes Taschenbuch detebe 24040, 560 Seiten
Der Eindringling lauert nicht vor der Tür, er ist schön längst im Haus. Ein Gänsehaut-Thriller, grausam gut.
Martin Walker Bruno Chef de police
Roman · Diogenes
Diogenes Taschenbuch detebe 24046, 352 Seiten
Trüffel, Pâté, Käse, guter Wein. Eine der schönsten Ecken Frankreichs: das Périgord. Ein schreckliches Verbrechen, das auf die dunkle Geschichte dieser idyllischen Gegend zurückgeht. Der erste Fall von Bruno, Chef de police. Auch als Diogenes Hörbuch
Früher war mehr Strand… Illustration: © Paul Flora
Lesen ist doch viel schöner als Baden
Borger & Straub
Sommer mit Emma
Roman · Diogenes
Balkonlesebuch
416 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06713-2
Die Ferien auf dem Hausboot sollten ein Abenteuer werden, und das werden sie – allerdings auf andere Weise, als die Familie es sich vorgestellt hat ...
Spannende und entspannende Geschichten von Joseph Roth, Patricia Highsmith, Ingrid Noll, Bernhard Schlink, Doris Dörrie, Jakob Arjouni und anderen
Diogenes
Paulo Coelho Brida Roman · Diogenes
Diogenes Taschenbuch detebe 24026, 256 Seiten
»Aber woran erkennt man den Mann oder die Frau seines Lebens?«, fragte Brida. »Du musst etwas riskieren«, war die Antwort. Eine bewegende Geschichte über Liebe, Mut und eine spirituelle Form der Erotik. Auch als Diogenes Hörbuch
Diogenes Taschenbuch detebe 24044, 384 Seiten
Für alle, die zu Hause bleiben, ob sie es sich nun auf dem Balkon bequem machen oder nicht: ein Sommerbuch mit spannenden und entspannenden Geschichten.
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Reise-Special
Martin Walker
Gott macht Ferien im Périgord D
ie deutsche Redewendung »Leben wie Gott in Frankreich« bezeichnet die Summe allen Glücks. Wenn sich aber Gott selbst einmal etwas Besonderes gönnen und Urlaub machen möchte, reist er, so glaube ich, ins Périgord. Und dort wird er nicht allein sein. Dem Charme dieser Region im Südwesten Frankreichs sind Menschen seit Urzeiten erlegen. Vor der Schlacht bei den Pyramiden im Jahre 1778 feuerte Napoleon seine Truppen an mit den Worten: »Soldaten, seid euch bewusst, dass von diesen Pyramiden vierzig Jahrhunderte auf euch herabblicken.« Vierzig Jahrhunderte oder 4000 Jahre sind wahrhaftig eine lange Zeit. Das Périgord jedoch wird seit vierhundert Jahrhunderten besiedelt, und die im Laufe dieser Zeit hinterlassenen Spuren, zu denen auch die großartigen Höhlenmalereien von Lascaux zählen, macht diese Region einzigartig. Kein
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anderer Ort der Erde war oder ist so lange ununterbrochen von Menschen bewohnt. Unsere Vorfahren waren sich der günstigen Bedingungen ihrer Umwelt bewusst. Das Périgord genießt ein mildes, gemäßigtes Klima: im Sommer nie allzu heiß und im Winter nie allzu kalt. Die beiden Flüsse Dordogne und Vézère sorgen für fruchtbare Böden. Die Wälder sind voller Pilze, Feder-, Rot- und Schwarzwild. In meinem Dorf werden zu den Jubiläen des Tennis- und des Rugbyclubs alljährlich sangliers (Wildschweine) über offenem Feuer geröstet. Im Westen liegen die Weinanbaugebiete von Bordeaux, im Süden die weniger bekannten, aber noch höher eingeschätzten Güter von Bergerac. Aus ihnen gehen die herrlich süßen, goldenen Monbazillac-Weine hervor, die wir hier dank einer gütigen Vorsehung zum foie gras genießen dürfen.
Das Périgord ist das Herz der französischen cuisine, die Heimat der Leberpasteten und Trüffeln. Ärzte staunten lange über die bemerkenswert niedrige Rate an Herz-KreislaufErkrankungen, bis sich herausstellte, dass Entenfett in Verbindung mit Rotwein der Gesundheit überaus förderlich ist. Im Sommer reifen hier die süßesten Erdbeeren Frankreichs in den Sorten Alba, Matis und Gariguette, nicht zu vergessen die äußerst aromatischen Marée de Bois, die anderswo kaum zu finden sind. Im Winter gibt es auf dem Wochenmarkt von Sainte-Alvère Trüffeln, die »schwarzen Diamanten des Périgord«. Einkäufer der Grandhotels und Restaurants von Paris zahlen Kilopreise von 1000 Euro und mehr für den tuber brumale, die Wintertrüffel, der mit Hilfe dressierter Hunde und Schweine aus seinem unterirdischen Versteck geborgen wird.
Fotos: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag
Wo Entenfett, Trüffeln und goldene Weine auf den Tisch kommen und ein sehr eigenwilliges, aber gastfreundliches Völkchen lebt, wohnt und schreibt der schottische Autor Martin Walker seit über zehn Jahren. Eine ganz persönliche Hommage an eine der schönsten Ecken der Welt.
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Manche Bewohner des Périgord sprechen immer noch Okzitanisch, jene alte Sprache, deren Dialekte im südlichen Frankreich sowie in Randgebieten Italiens und Spaniens erhalten geblieben sind. Der Dichter Dante war der Erste, der die romanischen Sprachen unterschied, als er auf Lateinisch schrieb: »nam alii oc, alii si, alii vero dicunt oil« (»… manche sagen [wenn sie ›ja‹ sagen wollen] oc, manche si, manche oïl«). Das Périgord liegt am Nordrand dieses Sprachraums. Die langue d’oc, also die okzitanische Sprache, gab der französischen Region Languedoc ihren Namen. Und alljährlich findet im Périgord, immer in einer anderen Stadt, die Félibre statt, das Festival der alten Literatur, zu dem die Straßen mit Blumen geschmückt und auf den Plätzen alte Lieder gesungen, Gedichte vorgetragen und Tänze aufgeführt werden.
Doch das zählt zur neueren Geschichte. Zwischen Le Bugue und Les Eyzies ragen entlang der Vézère steile Kalkfelsen auf, in deren Klüften vor zehntausenden von Jahren unsere Vorfahren gelebt haben. Manche dieser Höhlen waren bis vor wenigen Jahren bewohnt, so etwa die neben der Grotte du Sorcier in Saint-Cirq bei Le Bugue in den Fels gehauene Behausung.
Kein anderer Ort der Erde war oder ist so lange ununterbrochen von Menschen bewohnt. Während des Zweiten Weltkriegs wurden einige der Höhlen von der Résistance als Waffendepots und Unterschlupf genutzt. André Malraux, französischer Schriftsteller, Abenteurer und Kulturminister unter de Gaulle, behauptete, während seiner aktiven Widerstandszeit in der gerade erst entdeckten Höhle von Lascaux Waffen versteckt zu haben. Als Minister veranlasste er fünfundzwanzig Jahre
später die Schließung der Höhle, weil die vielen Touristen einen für die großartigen Wandmalereien gefährlichen Schimmelpilz einschleppten. Heute besuchen Touristen eine Kopie dieser Höhle, deren Bau von Malraux in Auftrag gegeben wurde. Auch die Römer waren hier. Périgueux (okzitanisch: Peireguers), die Hauptstadt des Périgord, wurde von ihnen gegründet. Reste eines Amphitheaters und die »Domus von Vésone«, eine luxuriöse römische Villa, sind heute noch zu sehen. Der Tour de Vésone (Vesunna-Turm) gilt als eine der bedeutendsten Hinterlassenschaften galloromanischer Zeit. Dreißig Meter hoch und dreißig Meter im Durchmesser, bildete er die Cella eines Tempels, der der Göttin Vesunna geweiht war und von den keltischen Petrocoren gebaut wurde, jenem Stamm, dem das Périgord seinen Namen verdankt. Den eingestürzten Teil der Außenmauer erklärt eine Legende damit, dass Saint Front, der die Region christianisierte, den Teufel bezwungen und ihn durch diese Mauer geschleudert habe. Nach ihrem Sieg über die Petrocoren erbauten die Römer eine Arena mit 20 000 Sitzplätzen (den Jardin des Arènes), in dem Gladiatorenkämpfe stattfanden und Christen den Märtyrertod erlitten. Nach den Römern kamen im fünften Jahrhundert die Vandalen und Goten. Die Mauren, die im achten
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Mit Ihnen im Lesefieber. Jede Woche von Neuem. Mit den Literatursendungen auf DRS 1: Montag 14.05 Uhr HörSpiel – Hörgeschichten für das Kino im Kopf. Dienstag 14.05 Uhr Schwiiz und quer – Für Liebhaber von Mundart und Brauchtum. Mittwoch 14.05 Uhr HörBar – Literatur fürs Ohr. Donnerstag 14.05 Uhr WortOrt – Orte und ihre Geschichten. 21.05 Uhr Schnabelweid – Die Schweiz und ihre Mundarten. Freitag 14.05 Uhr BuchZeichen – Weckt die Lust am Lesen.
www.drs1.ch
Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag
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Jahrhundert über den Südwesten herfielen, wurden 732 von Karl Martell in der Schlacht bei Poitiers zurückgeschlagen. Im neunten Jahrhundert drangen die Wikinger über den Fluss Isle vor und plünderten und brandschatzten Périgueux. Das Périgord zählt über 1200 Abteien und Kirchen, von denen manche, wie zum Beispiel die große, etwas abweisende Kirche von Trémolat, noch aus der Zeit vor Karl dem Großen stammen. Über tausend (mehr oder weniger verfallene) mittelalterliche Burgen und sogenannte bastides – befestigte Städte auf Hügelkuppen – zeugen vom Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England, der in Wirklichkeit fast dreihundert Jahre andauerte. Die großen Burgen von Castelnaud und Beynac stehen sich zu beiden Seiten der Dordogne noch immer trutzig gegenüber und sind in einem so guten Zustand, dass die jüngste Jeanne-d’Arc-Verfilmung in Beynac gedreht werden konnte. Im Château de Jumilhac, einer alten Tempelritterburg, die im 16. Jahrhundert ausgebaut wurde, entfaltet sich die ganze Pracht der französischen
Renaissance. Auch das bezaubernde kleine Château de Monbazillac, das, von Weinfeldern umgeben, die Ebene von Bergerac überragt, lässt von seiner kriegerischen Vergangenheit nur noch wenig erahnen und zeugt stattdessen von Luxus und Beschaulichkeit. Viele Denkmäler erinnern an die Opfer der Hugenottenkriege, an die Französische Revolution von 1789 oder an den Ersten Weltkrieg, dem zwei Millionen Franzosen zum Opfer fielen.
Das Périgord ist das Herz der französischen ›cuisine‹. Das Périgord wird in vier Regionen unterteilt. Im Norden liegt das Périgord Vert, so genannt wegen seiner ausgedehnten grünen Eichenwälder; sein Zentrum ist die Stadt Nontron, die für ihre Messer berühmt ist. Im Südwesten liegt das Périgord Pourpre – purpurn wie sein Wein – mit der Hauptstadt Bergerac. Von West nach Ost erstreckt sich das Périgord Blanc, weiß wegen seiner Kreideböden und -felsen; hier befindet sich die Haupt-
stadt der ganzen Region, Périgueux. Die Stadt Sarlat ist das Zentrum des südöstlich gelegenen Périgord Noir; manche behaupten, das Beiwort beziehe sich auf die dunklen Eichen-, Kastanien- und Walnusswälder, andere glauben, die schwarze Trüffel sei dafür verantwortlich. Bergerac ist vor allem durch jenen fiktiven Helden bekannt geworden, den der Dramatiker Edmond Rostand 1897 geschaffen hat: Cyrano de Bergerac, Poet und Draufgänger mit überlanger Nase, der für einen gut aussehenden, aber täppischen Freund um die Gunst der schönen Roxanne wirbt und sich dabei selbst unsterblich in sie verliebt. Für seine Darstellung des Cyrano in dem 1950 gedrehten Hollywood-Film wurde José Ferrer mit einem Oscar ausgezeichnet; Gérard Depardieu glänzte in dieser Rolle in der Neuverfilmung von 1990. Es gab aber auch einen realen Cyrano de Bergerac, der durchaus stolz auf seine lange Nase gewesen sein soll. Er war Dichter, Soldat und gefürchteter Duellant. Als ein Pionier des Science-Fiction-Romans schrieb er satirisch-utopische Erzählungen von Raum- und Zeitreisen sowie glänDiogenes Magazin
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zende Polemiken über Charles d’Assoucy, einen Schriftsteller und Musiker, zu dem er angeblich eine Liebesbeziehung unterhielt, die dann allerdings böse endete. Sarlat ist eine Stadt wie aus dem Märchen, mit einem seit dreihundert Jahren fast unverändert gebliebenen Kern. Man könnte hier problemlos eine Neuverfilmung der Drei Musketiere drehen und müsste höchstens dafür sorgen, dass die modernen Schaufenster nicht in den Blick geraten. (Der Musketier D’Artagnan stammte aus der benachbarten Region Gascogne.) Dass sich so wenig verändert hat, liegt wahrscheinlich an den ausgedehnten Sümpfen ringsum und den davon ausgehenden Malariaepidemien, unter denen die Stadt schwer leiden musste, bis man Mitte des vorigen Jahrhunderts endlich die Erregermücken mit dem Einsatz von DDT bekämpfen konnte. Aus dem Mittelalter stammt ein vieldeutiger Reim über das Périgord, der erstmals in einer Inschrift in der Chapelle des Cordeliers von Périgueux aufgezeichnet wurde. Er lautet: Petra si ingratis cor amicis hostibus ensis / Hoec tria si fueris Petra-cor-ensis eris. Grob übersetzt bedeuten die Zeilen: Steine für böse Menschen, dein Herz für deine Freunde, Eisen für deine Feinde; wenn du zu allen dreien gehörst, bist du ein Périgourdin. Darin unerwähnt ist nur die Leidenschaft für gutes Essen und Trinken. Nunmehr seit über zehn Jahren in dieser Region wahlbeheimatet, kann ich bezeugen, dass die Menschen im Périgord ein Herz für ihre Freunde haben. Sie sind warmherzig und aufgeschlossen, auch und nicht zuletzt uns Briten gegenüber, trotz der Erfahrungen des Hundertjährigen Krieges, der in Anbetracht der langen Geschichte des Périgord gewissermaßen erst vorgestern zu Ende gegangen ist.
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Aus dem Englischen von Michael Windgassen
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Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag
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Literarisches Kochen
Kochen mit Martin Walker Trüffel-Omelette A
ls Bruno wieder in die Küche ging, um sein Omelett vorzubereiten, kam ihm Hubert nach und brachte seinen Saint-Estèphe und den Beaune des Barons zum Verkosten. Er kannte sich in Brunos Haushalt gut aus, fand den Korkenzieher in der Küchenschublade, den Dekanter in der Esszimmervitrine und machte sich an die Arbeit. Die anderen Gäste versammelten sich vor dem großen offenen Küchenfenster und schauten Bruno dabei zu, wie er eine kastaniengroße Trüffelknolle aus einem mit Walnussöl gefüllten Einmachglas fischte und mit seinem Taschenmesser in hauchdünne Scheiben aufschnitt. »Mehr braucht man davon nicht?«, fragte Pamela. »Ich habe wirklich keine Ahnung und noch nie ein Trüffelomelett gemacht.« »Diese Menge reicht durchaus, Madame. In einem Restaurant bekämen Sie viel weniger«, erklärte der Baron. »Aber ich weiß um Brunos Kochkunst und kann Ihnen versichern, dass eine weitere, um einiges größere Knolle als diese in der Schüssel mit den aufgeschlagenen Eiern schwimmt und seit gestern Abend im Kühlschrank vor sich hinzieht.« »Nicht ganz richtig«, widersprach Bruno. »Ich mache nie ein Omelett aus kalten Eiern. Die Schüssel steht seit einer Stunde in der Vorratskammer.« »Kann ich mal riechen?«, fragte Jacqueline, worauf Bruno ihr eine Scheibe auf der Messerspitze reichte. Vorsichtig schnupperte sie an dem dunkelbraunen Pilz. »Riecht nach Wald. Kann ich mal probieren?« Bruno nickte. Sie zupfte ein Stück von der Scheibe ab, legte es auf die Zunge und schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. »Nicht so kräftig wie erwartet, aber sehr lecker«, befand sie. Bruno warf einen Blick auf die Feuerstelle. Die Holzkohle hatte zu glühen angefangen. Er gab einen großen Klumpen Entenschmalz in seine riesige Bratpfanne. Als das Fett heiß genug war, presste er den Saft von zwei Knoblauchzehen darüber aus und goss die verquirlten Eier dazu.
»Ein Meister bei der Arbeit«, sagte Pamela und hob ihr Glas. Bruno prostete ihr mit seinem Glas zu, ohne die Pfanne aus den Augen zu lassen, nahm dann einen Holzspachtel zur Hand, der mit den Jahren fast schwarz geworden war, und lupfte damit die gestockte Masse am Pfannenrand an. »Bin gleich fertig. Ihr könnt schon am Tisch Platz nehmen«, sagte Bruno und eilte kurz hinaus zur Feuerstelle, um den nächsten Gang vorzubereiten. Eine Minute später servierte er das goldgelbe Omelett, zweimal gefaltet, mit gehackter Petersilie bestreut und in Portionen zerteilt.
Buchtipp
Martin Walker
Grand Cru Der zweite Fall für Bruno, Chef de police
Roman · Diogenes
384 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06750-7
Es gärt im Périgord, in den alten Freund- und Seilschaften, und in einem Weinfass findet man etwas völlig anderes als Wein – eine Leiche. Auch als Diogenes Hörbuch
Im nächsten Magazin: Ian McEwan Diogenes Magazin
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Reise-Special
Ian McEwan
Ian McEwan schließt sich einer Expedition von Künstlern in die Arktis an und sieht die Zivilisation in Gefahr – wenn wir nicht einmal in der Lage sind, auf unsere Kleidung zu achten, wie können wir es da mit der ganzen Erde schaffen?! Diese Reise an einen der kältesten Orte der Welt inspiriert ihn schließlich zu seinem hitzigsten Roman, über nichts weniger Brisantes als die Erderwärmung.
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ir sind auf diesem Schiff mitten in einem zugefrorenen Fjord zusammengekommen, um darüber nachzudenken, wie wir unsere Besorgnis über den Klimawandel einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln können; es geht um die Mission der Kunst, eine gute Wissenschaft und unsere Aufgabe als Sachwalter des Pla-
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neten; es geht darum, dass wir unsere gegenwärtigen Bedürfnisse dem Wohlergehen noch ungeborener Generationen unterordnen müssen, die die Erde von uns erben werden, sich darauf wohlfühlen sollen und sie hoffentlich so lieben werden wie wir. Zunächst aber müssen wir unsere nassen Stiefel ausziehen. Es ist 30 Grad unter null,
wir sehnen uns nach dem mollig warmen Bauch des Schiffs, das unser Zuhause ist, müssen aber auf Drängen unserer Gastgeber erst einmal in einem engen Raum unterhalb vom Steuerhaus haltmachen und unter ungelenken Verrenkungen in unserer dicken Polarkleidung bei fast völliger Dunkelheit mit tauben Fingern die
Foto Hintergrund: © Karsten Thiele – Fotolia.com; Foto McEwan: © Ian McEwan / c/o Diogenes Verlag
Rettet die Stiefelkammer, rettet die Erde
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Schnürbänder lösen. Dann stehen wir in Strümpfen auf dem nassen Boden und müssen unsere Kälteschutzanzüge – die an Einteiler für kleine Kinder erinnern – und Helme aufhängen, nicht zu vergessen die Handschuhe samt Innenfutter, die bereiften Schutzbrillen und die vereisten Biwakmützen, die uns starr vor Staunen vom Boden her anstarren; das alles geschieht im Gedränge unserer aus dem Schiff kommenden Gefährten, die alle diese Dinge anziehen wollen, denn der Zufall hat uns hier vereint, um tagein, tagaus auf Expedition zu gehen. Natürlich tun wir das alles guten Mutes. Die gesamte Weltbevölkerung ist südlich von uns. Hier oben sind wir die einzigen Vertreter unserer Spezies: eine Schicksalsgemeinschaft in der Ödnis, ein sozialer Mikrokosmos auf Zeit in den unendlichen Weiten der Arktis. Wir sind Nutznießer und Opfer unserer Natur (gesellige Primaten, von der Evolution geformt wie
Felsen vom Wind), fröhlich und bestechlich, hilfsbereit und selbstsüchtig. Die reine Luft und die sonnenhelle Schönheit versetzen uns in ein Hochgefühl. Wann haben wir je beim Frühstück so lautes Lachen gehört? Wir alle sind unglaublich guter Dinge. Wir werkeln an unseren kleinen Kunstprojekten wie zufriedene Kinder im Kindergarten.
Die gesamte Weltbevölkerung ist südlich von uns. Hier oben sind wir die einzigen Vertreter unserer Spezies. Doch da wir bei aller Sehnsucht nach dem Paradies, aus dem man uns vertrieben hat, so herrlich unvollkommen sind, entdeckst du am zweiten Tag auf Strümpfen in der Stiefelkammer – in Eile, denn draußen warten
deine Gefährten neben den aufjaulenden Motorschlitten, bereit für die gesichtsschälende Strafexpedition über die zementharte Fläche des Fjords (o Gott, noch sieben Kilometer den messerscharfen Wind im Gesicht, hört das denn niemals auf?) –, dass jemand deinen Einteiler, deinen Helm, deine Stiefel, deine Schutzbrille oder alles auf einmal mitgenommen hat. Dieser Jemand hat seine eigenen Sachen, aber er hat sich rücksichtslos oder versehentlich deine genommen. In einem Anflug von Selbstmitleid denkst du vielleicht, die Welt hätte sich gegen dich verschworen – so kommen manche Leute zu drei Ziegen und neun Hühnern, während andere gar keine haben, so wird einem Nachbarn Land, Wasser, Hab und Gut oder Vieh geklaut, und schon gibt es Krieg, Revolutionen, Chaos. Also was tun? Deine Gefährten trampeln im Eis schon ungeduldig auf der Stelle. Vielleicht sinnierst du, dass Diogenes Magazin
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nicht das Böse die Welt zerstört, sondern kleine Irrtümer, die Anlass zu winzigen Schwächen geben – wir wollen nicht von Unehrlichkeit reden –, und die wiederum sammeln sich zu Bächen, und diese sich zu mächtigen Strömen von Konsequenzen. Gestern, im goldenen Zeitalter, war die Stiefelkammer mit endlichen Ressourcen ausgestattet, die gleichmäßig aufgeteilt wurden – das waren die Ausgangsbedingungen, das Paradies vor dem Sündenfall, der sich nun unausweichlich wiederholt. Ungefähr Folgendes muss geschehen sein: Jemand hat seine Stiefel Größe 43 gestern Abend in eine dunkle Ecke geworfen. Heute früh nimmt er ein anderes Paar derselben Größe und zieht es an. Eine halbe Stunde später kommt deren rechtmäßiger Besitzer in die dämmrige Stiefelkammer, kann weder seine eigenen Stiefel noch die in der dunklen Ecke sehen und tut, weil 70
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er sich als Opfer dazu berechtigt fühlt, genau das, was du jetzt auch tust: Du greifst nach den nächstbesten Stiefeln Größe 44. »Des Menschen erste Schuld und jene Frucht des streng verbotenen Baums …«, schrieb der blinde Dichter Milton, und jetzt hast du selbst jenen verhängnisvollen Biss getan, der »durch
Die reine Luft und die sonnenhelle Schönheit versetzen uns in fast ununterbrochene Euphorie. Genuss Tod in die Welt gebracht und jeglich Weh …«. Zehn Minuten später erscheint der Besitzer der Stiefel Größe 44. Er ist ein guter Mensch, ein anständiger Mensch, aber ihm bleibt jetzt auch nichts anderes übrig, als seinerseits etwas zu entwenden. Der Verstoß gegen das achte Gebot sprengt den Gesellschaftsvertrag. Niemand be-
nimmt sich besonders schlecht, und ganz sicher verhält jeder sich unter den gegebenen Umständen vollkommen logisch, doch am dritten Tag ist die Stiefelkammer nur noch eine Wüstenei gescheiterter Träume. Wer braucht fünf Schutzanzüge, wenn schon einer 10 Kilogramm wiegt? Wer mehr als einen Helm? Wo aber sind die Erwachsenen, die in unserer Stiefelkammer für Ordnung sorgen? Hobbes würde sagen, wir brauchen eine Macht, die uns in Schach hält. So aber herrscht ein Chaos, wie am Anfang von Haydns Schöpfung, und morgen früh wird es unser Unglück sein. Doch während sich die arktische Nacht über den Tempelfjord legt, debattieren wir in der behaglichen Wärme unserer Arche, beflügelt vom Landwein, über unsere Pläne zur Rettung eines Planeten, der sehr viel größer ist als unsere Stiefelkammer. Wir dürfen nicht so streng mit uns sein. Wenn wir morgen in eine andere Galaxie verbannt würden, würden wir uns bald vor Sehnsucht nach unseren Brüdern und Schwestern mit all ihren Fehlern verzehren: ein bisschen hilfsbereit, ein bisschen selbstsüchtig, und sehr komisch. Aber wir werden die
Foto Hintergrund: © Arnold – Fotolia.com; Foto McEwan / Gruppe: © Cape Farewell, London
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Erde nicht vor unseren eigenen Raubzügen retten, wenn wir nicht uns selbst ein wenig besser verstehen, selbst wenn wir unsere Natur nie wirklich verändern können. In jeder Stiefelkammer muss eine Ordnung herrschen, die uns Benutzern über die eigene Fehlbarkeit hinweghilft. Gute Wissenschaft mag nützlich sein, aber die Stiefelkammer lässt sich nur durch gute Regeln retten. Idealismus oder Empörung sind hier ebenso fehl am Platz wie die Kunst – im Innersten wissen wir, dass die beste Kunst in all ihrer Pracht absolut nutzlos ist. Als an unserem letzten Morgen alles eingepackt und der letzte widerspenstige Motorschlitten angeworfen ist und die reine Luft des Nordens vom Gebrüll und Gestank unserer Maschinen zerrissen wird, kommen unsere unermüdlich toleranten Gastgeber (nachsichtiger, als selbst Gott sich bis jetzt erwiesen hat) die Gangway herunter und stellen einen riesigen Plastiksack, gefüllt mit unseren aus sämtlichen Winkeln des Schiffs geborgenen Ausrüstungsgegenständen, auf das Eis. Ein paar von uns versammeln sich um diesen Schatz und wühlen darin herum, weder be-
schämt noch im Geringsten peinlich berührt, sondern mit naiver Verwunderung. Da sind ja unsere Sachen! Wo haben die nur die ganze Zeit gesteckt? Wie wenig wir uns selbst doch kennen! Die menschliche Natur bringt uns noch immer zum Staunen. Warum sonst werden Romane geschrieben? Noch haben wir nicht aufgehört, uns selbst zu überraschen, und das Schicksal all unserer Stiefelkammern steht noch immer auf Messers Schneide.
Buchtipp
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Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Zuerst abgedruckt in ›The Guardian‹
Ian McEwan Solar Roman · Diogenes
ca. 368 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06765-1 OKTOBER
Ein Nobelpreisträger in der Krise, eine Zivilisation auf dem Prüfstand. Gelingt es Michael Beard durch einen Coup, vom frauensüchtigen Mittfünfziger zum Retter der Welt zu avancieren? Auch als Diogenes Hörbuch
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Top 10
Peter Rüedi
Top 10 Jazz-Antidepressiva 4. Erroll Garner, Concert By The Sea Columbia CK 40589 Das flamboyanteste Konzert des subtil mit der Linken hinter dem Beat herhinkenden Swing-Genies. Größerer Versuch über die Leichtigkeit des Seins mit ein paar pathetisch aufrauschenden Wogenbrechern. Besser als Wellenreiten in Hawaii. 5. Dizzy Gillespie, Dizzy On The French Riviera Philips 822897-2 Dizzy goes Bossa Nova. Die CD beginnt mit Kindergeschrei und Meeresrauschen und liefert insgesamt alles nach, was man in den Ferien an Glück verpasst zu haben glaubt. Côte d’Azure multipliziert mit Copacabana. Erleuchtet finsterste Polarnächte.
1. Benny Goodman, The Famous 1938 Carnegie Hall Concert Columbia Legacy C2K 65143 (2CDs) Lange her, dass der Jazz die Popmusik war und Benny Goodman der King of Swing. Nie hielt er so glamourös Hof wie in der Nacht des 16. Januar 1938 in der New Yorker Carnegie Hall. Die Apotheose des Swing, sein rauschendstes Fest. Goodmans Big Band, sein Trio (mit Gene Krupa und Teddy Wilson), das Quartett (Lionel Hampton zusätzlich), und am Ende eine Jam Session, zu der zusätzlich die halbe Basie Band zum Einsturz der Mauern von Jericho antritt. 2. Fats Waller & His Rhythm, The Last Years Bluebird (RCA) ND90411 (3CDs) Wallers Musik machte noch aus der Großen Depression eine lustige Zeit. Der behende Dicke ließ am Piano seine Linke krachen und sang dazu krächzend nicht ganz jugendfreie Songs. Rund um die Uhr. Als er mit 39 starb, hatte er, bei zwei Stunden Schlaf täglich, mehr gelebt als andere in 90 Jahren. 3. Count Basie, E=MC 2=Count Basie Orchestra & Neal Hefti Arrangements Jazz Track 955 Blowing the Blues away. Die perfekteste BigBand-Maschine aller Zeiten swingt wie der Teufel und lässt die Pointen knallen, dass kein Auge trocken bleibt. Das Geröllhaldensaxophon von Eddie »Lockjaw« Davis begräbt den letzten Selbstzweifel unter sich.
6. Ella and Louis, Ella and Louis Again Essential Jazz Classics EJC55417 Die hinreißendsten Duette der First Lady mit dem King of Jazz. Eine jenseitig strahlende Fitzgerald und ein abgründig grummelnder Armstrong, dazu die quirlige Rhythmusgruppe von Oscar Peterson: Nie war im Jazz auf einem Punkt so viel positive Power versammelt. Mein Favorit: I’ve Got My Love To Keep Me Warm (obwohl sich da Satchmo mal um eine ganze Quarte verhaut und Peterson mit Blitzreflex transponieren muss). 7. Stan Getz, The Bossa Nova Years Verve 823611-2 (4CDs) Die Affäre des brasilianischen Samba mit dem Jazz zeitigte die schönste sanfte Revo-
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lution in der U-Musik des letzten Jahrhunderts. Voll Corazón und Saudade. Letzteres meint Traurigkeit, Sehnsucht, Melancholie, und das ist auch tröstlich und schön: dass es andern auch nicht anders geht. 8. Cannonball Adderley Sextet, Lugano 1963 TCB Records TCB02032 Cannonballs explosivste Band at its best: mit Joe Zawinul, Bruder Nat, Yusef Lateef, Sam Jones, Louis Hayes. Und alles vor der Haustüre: heißer als alle Tessiner Sonnenstuben-Klischees zusammen. Bei Gott, was waren wir jung! Oder: Wie zum Teufel ist diese Musik nur so jung geblieben! 9. Art Blakey’s Jazz Messengers, At Birdland, Ugetsu Riverside OJCCD-090-2 Unter vielen guten Formationen, die der vulkanische Blakey als Jazz-Botschafter ein Leben lang um sich versammelte, war diese Band die beste: Freddie Hubbard, Wayne Shorter, Curtis Fuller. Pure Lava, aber in halbwegs geordneten Bahnen. Live as live can be, gewissermaßen eine kollektive Operation an der offenen Einbildungkraft. Der ordnende Geist über den Wassern: Pianist Cedar Walton. Der Neptun in den Tiefen: Blakey, dessen Trommelwirbel sich unverhofft auftürmen wie Tsunamis. 10. Lester Bowie, Avant Pop ECM 1326 628 563-2 Der Trompeter des Art Ensemble of Chicago war zeitlebens der Beweis dafür, dass sich Avantgarde und Humor nicht ausschließen. Mit seiner eigenen Brass Fantasy gelang ihm, was bei anderen im Sauglattismus landet: Er ironisierte triviale Vorlagen, ohne sie zu verarschen. Ein gigantischer Spaß. Zehn Fanfaren gegen den Seelenschmetter. Bei ausbleibender Wirkung fragen Sie weder Arzt noch Apotheker: Legen Sie eine Marche Funèbre auf, es ist Ihnen nicht zu helfen. Peter Rüedi schreibt für die Zürcher ›Weltwoche‹ über Kultur, Wein und Jazz. Er ist Herausgeber des bei Diogenes erschienenen Briefwechsels zwischen Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Peter Rüedi arbeitet an einer Dürrenmatt-Biographie.
Illustration: © Sempé. Aus: Sempé’s Musiker (Diogenes Verlag, 2003)
1939 schrieb Cole Porter einen Song, der ein Standard wurde. Der Text enthielt diesen Ratschlag: »When fortune cries nay, nay to me /And people declare you’re through / Whenever the blues becomes my only songs / I concentrate on you.« Das ist Lebenshilfe gegen vielerlei Unbill, vor allem, wenn Fred Astaire den für ihn geschriebenen Hit singt (›I concentrate On You‹), mit Oscar Peterson am Piano. Oder Nat King Cole, Ella Fitzgerald, Frank Sinatra. Was aber, wenn das empfohlene Heilmittel der Grund der Krankheit ist? Kein Du nirgends, auf das du dich konzentrieren könntest? Folgende musikalische Psychopharmaka sind rezeptfrei und ratsam auch bei drohendem Anflug anderer Vampire.
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Serie
Das erste Mal Doris Lessing über ihre ersten Leseerfahrungen
Foto: © Michael Harding / Camera Press / Keystone
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eil ich mit vierzehn die Schule verließ – eine Schulabbrecherin, noch bevor es das Wort überhaupt gab –, nahm ich meine Bildung selbst in die Hand: Ich las. Eine Autodidaktin. Ein hässliches, klobiges kleines Wort für eine freie, ungesicherte Lebensweise. Die Vorteile – und alles andere – finden in diesem Wort eine vereinfachte, vielleicht allzu vereinfachte Bezeichnung … Wenn man sich selbst mit Büchern gebildet hat, dann hat man jedes selbst ausgewählt, dann ist jedes Teil einer persönlichen Odyssee geworden, ist verschlungen worden und in die eigene Substanz übergegangen. Dafür stößt man später immer wieder auf das eigene Unwissen und verliert viel Zeit damit, sich Wissen anzueignen,
über das jedes Schulkind verfügt. Oder vielleicht sollte ich heutzutage sagen: Wissen, über das jedes Schulkind verfügen sollte. Was mein Bedauern darüber mildert, ist die Gewissheit, dass ich mit 18 kaum die richtige
Man muss ein Buch zur richtigen Zeit lesen, das ist der Schlüssel zum Vergnügen an der Literatur. Entscheidung getroffen hätte, denn ich hätte mich sicher in Richtung Literatur und Geschichte treiben lassen. Dabei kann Literatur und Geschichte jeder für sich selbst entdecken: Nur ein
Bibliotheksausweis und ein wenig Anleitung sind dazu nötig. Leidenschaftlich und zutiefst bedauere ich, dass ich weder Mathematik noch Sprachen gelernt habe. Mathematik ist unentbehrlich, um die sternenklare und ungestüme Forschung zu verstehen, die all unsere Vorstellungen von uns selbst über den Haufen wirft: ohne mathematisches Wissen ist man halbblind, halbtaub. Und Sprachen brauchen wir ohnehin in dieser Welt, die mit jeder Minute kleiner wird. Und nein, es ist nicht einfach, Sprachen zu lernen, wenn man nicht mehr jung ist. Zu lesen begann ich mit sieben Jahren. Auf einem Päckchen Zigaretten, und dann, fast übergangslos, in den Büchern aus den Regalen meiner Eltern, eine Auswahl, die sich damals in Diogenes Magazin
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jedem Mittelschichthaushalt fand – und überdies auch bei jenem aufstrebenden Teil der Arbeiterklasse, der Bücher als Schlüssel zu einem besseren Leben betrachtete. Werkausgaben von Dickens, Walter Scott, Stevenson und Rudyard Kipling. Etwas Hardy und Meredith. Die Brontës. George Eliot – englische Klassiker, aber interessanterweise keine aus dem 18. Jahrhundert. Es fanden sich Lyrikanthologien, ein Bildband über die Impressionisten, viele Erinnerungen und Geschichtsbücher zum Ersten Weltkrieg. Ich las die meisten von ihnen, noch ehe ich zehn war – oder versuchte es zumindest. Die Bücher, auf die ich damals ansprach, sind nicht diejenigen, die mir heute am besten gefallen. Man muss ein Buch zur richtigen Zeit lesen. Das kann man gar nicht genug betonen, denn es ist der Schlüssel zum Vergnügen an der Literatur. Ich las Kinderbücher, die Kinder von heute zum Teil gar nicht mehr kennen. Die Amerikaner: L. M. Montgomerys Anne auf Green Gables-Bücher, Susan Coolidges Katy-Romane, Gene Stratton-Porters Das Mädchen von Limberlost mitsamt den Fortsetzungen. Louisa Alcott. Hawthorne. Henry. Von den englischen Klassikern las ich Lewis Carroll, den ich heute lieber mag als damals, und Milnes Pu der Bär, den ich damals geliebt habe, der mir aber heute nicht mehr ganz geheuer ist. Der Held ist ein dummer, gieriger kleiner Bär und die klugen Tiere sind alle lächerlich: Das gute alte England lässt grüßen, denke ich mir manchmal. Aber es gab auch Kenneth Grahames Der Wind in den Weiden, eine wunderbare Kinderzeitung, und ein Magazin namens The Merry-GoRound, das Walter de la Mare druckte, Eleanor Farjeon, Laurence Binyon und andere großartige Schriftsteller. Walter de la Mares Reise der drei Malla-Malgars zog mich damals in ihren Bann, und als ich sie kürzlich wiedergelesen habe, war noch immer etwas von diesem Zauber übrig. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern mir und meinem Bruder vorlasen. 74
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Nichts hat so eine Wirkung wie Geschichten, die man vorgelesen oder erzählt bekommt. Ich erinnere mich vor allem an die Stimmung dieser Abende und an all die Erzählungen, lange häusliche Epen, die sich meine Mutter ausdachte, über die Abenteuer von Mäusen, von unseren Katzen und Hunden oder den kleinen Affen, die um uns herum im Busch lebten und manchmal im Stroh unter den Dachsparren herumturnten, oder Geschichten über die Begegnungen zwischen unseren Haustieren und den wilden Tieren in unserer Umgebung. Das war noch vor der Zeit, als die wilden Tiere vertrieben wurden.
Eltern, die ihren Kindern vorlesen oder für sie Geschichten erfinden, machen ihnen das größte Geschenk der Welt. Neulich erzählte ich einem jungen schwarzen Mann von meiner Kindheit, und er fragte mich: »Haben Sie in einem Safaripark gelebt?« Im Internat haben ein paar Mädchen, wenn das Licht aus war, immer Geschichten erzählt, schreckliche und furchtbar lustige Geschichten. Eltern, die ihren Kindern vorlesen oder für sie Geschichten erfinden, machen ihnen das größte Geschenk der Welt. Vergessen wir nicht allzu oft, dass das Geschichtenerzählen Tausende von Jahre alt ist, wogegen wir erst seit ein paar läppischen Jahrhunderten lesen können? Ich glaube, dass Kinder sehr schlau sind, solange sie noch klein sind, und dümmer werden, wenn die Hormone zu brodeln und blubbern beginnen. Ich habe mit acht, neun, zehn und elf Jahren anspruchsvollere Bücher gelesen, als in den Jahren bis sechzehn. Da ging mir auf (wahrscheinlich wegen des Ausbruchs irgendeiner Chemikalie in meinem Blut), dass ich jahrelang in einem Schlummer, einer Betäubung gelebt und immer nur die gleichen
Dinge gelesen hatte. Ich habe ganz kleine Kinder, Drei-, Vier- oder Fünfjährige, in Filme wie 2001 – Odyssee im Weltraum, Star Wars oder Unheimliche Begegnung der dritten Art mitgenommen und einen Vierjährigen dabei beobachtet, wie er einem Hörspiel nach Ivy Compton Burnett im Radio anderthalb Stunden lang zuhörte, ohne einen einzigen Muskel zu rühren. Wenn sie dann etwa elf werden, verstehen sie nur noch Soaps wie Nachbarn. Mit 16, als mein Intellekt auf einmal explodierte, erkannte ich, dass es dort draußen diese ganze Welt der Bücher gab, und ich begab mich auf die Entdeckungsreise, die erst enden wird, wenn ich sterbe. Womit ich begonnen habe? Wie es der Zufall wollte, war es H. G. Wells The Shape of Things to come, aber es hätte auch jedes andere ernsthafte Buch sein können, das gerade herumlag. Wells und Shaw – was für eine Aufregung, was für ein Gärmittel, was für köstlich bilderstürmerische Umkehrungen all dessen, was seinerzeit um mich herum gelehrt und gedacht wurde … Ich befand mich ja in Südrhodesien, heute Zimbabwe, einer Gegend, die kaum als intellektuell anregend gelten kann. Meistens war ich mit meiner Bücherliebe alleine, obwohl ich immer wieder auf Menschen in dem einen oder anderen Farmhaus im Busch stieß, die ganze Zimmer voller Bücher stehen hatten; viele von ihnen waren hilflose, in die Ecke getriebene Exzentriker, die nie wirklich nach England gepasst hatten. Ich war damals auf der Suche nach Büchern, die in anderen Büchern erwähnt wurden – ein Roman, ein Geschichtsbuch, eine Autobiographie. Dann hörte ich von der Everyman Library und bestellte aus London Bücherpakete, die Wochen brauchten, um zu mir zu gelangen. Niemals werde ich das berauschende Gefühl beim Öffnen der Pakete vergessen. Für manche der Bücher war ich zu jung, sie langweilten mich: Ruskin, Carlyle, Hazlitt, Dr. Johnson. Aber ich entdeckte die damals modernen Autoren, meine, wenn auch etwas äl-
Foto: © Martin Cleaver / AP Photo / Keystone
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teren, Zeitgenossen: Virginia Woolf, D. H. Lawrence, Aldous Huxley, Lytton Strachey. Und die russischen Klassiker: Tolstoi, Dostojewskij, ¢echov, Lermontow, Turgenev. Ein moderner russischer Roman, Der stille Don von Michail Scholochow, erklärte mir die Russische Revolution ein zweites Mal. Zum ersten Mal hatte ich darüber in einem Comicstrip von Pip, Squeak und Wilfred gelesen, in dem sich mit Bomben ausgestattete, Trotzki nachempfundene Theaterbolschewisten tummelten. Zeigt das nicht, dass eine frühe Prägung nicht unbedingt sehr tief reichen muss? Bald entdeckte ich Thoreau und Whitman, Proust und Thomas Mann, Balzac und Conrad. Die modernen Amerikaner, Dreiser, Henry Miller, Steinbeck, Faulkner. Und dann schließlich das 18. Jahrhundert mit Fieldings Tom Jones und Richardsons Clarissa, Sternes Tristram Shandy und Moll Flanders von Daniel Defoe. Stendhal – eine Auswahl seiner
Briefe unter dem Titel To the Happy Few und Das Leben des Henri Brulard. Die köstliche Aufregung … die Entdeckungen … die Überraschungen … Die meiste Zeit war ich wie berauscht. Das möchte ich betonen, denn es ist möglich, wenn nicht sogar normal,
Der Zweck der Literatur ist das Vergnügen – und nicht die triste Analyse der Akademiker. dass junge Menschen Literatur ›studieren‹ und ihnen niemals gesagt wird, dass der Zweck der Literatur das Vergnügen ist – und nicht die triste Analyse der Akademiker, die, wie manche denken, die Literatur an sich gerissen haben. Offenbar hat es in diesem Land einen Zeitpunkt gegeben, an dem diskutiert wurde, ob Literatur zu einem
Studienfach an der Universität werden sollte. Manche waren dagegen – zu frivol! Andere argumentierten mit Jane Austen, dass man durch Romane viel über das menschliche Verhalten lernen könne. Letztere haben den Sieg davongetragen. Das hat Institute an den Universitäten hervorgebracht, Literaturpreise, Literaturfestivals und Konferenzen zu Strukturalismus und Post-Strukturalismus. Aber – alles hat zwei Seiten: Einerseits ist Literatur ein ernsthaftes Thema, andererseits denken manche Akademiker deshalb, die Literatur sei ihr Eigentum. Das Ergebnis zeigt sich in der Haltung mancher junger Menschen gegenüber Büchern. Auf die Frage, was sie lesen, wenn sie überhaupt lesen, bekommt man oft Varianten von »Nein, ich lese nicht, ich habe ja nicht Literatur studiert« oder »Wir mussten in der Schule Macbeth lesen, und das hat es mir gründlich verleidet« zu hören. Das bringt jeden Schriftsteller, Diogenes Magazin
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Buchtipp
Doris Lessing Der Zauber ist nicht verkäuflich Afrikanische Erzählungen
Diogenes
Diogenes Taschenbuch detebe 20886, 384 Seiten
Afrikanische Geschichten von Frauen und Männern, Schwarzen und Weißen, Liebe und Hass, Leidenschaft und Langeweile. Diogenes Hörbuch Gelesen von Anna König »Diese Erzählungen über ihr geliebtes und gehasstes Heimatland zeigen sie auf ihrer ganzen Höhe.« Publishers Weekly
Doris Lessing Der Zauber ist nicht verkäuflich 3 CD
Afrikanische Erzählungen
Diogenes Hörbuch. Gelesen von Anna König. Aus dem Englischen von Marta Hackel und Lore Krüger 3 CD, Spieldauer 165 Min. ISBN 978-3-257-80205-4
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speare und andere Klassiker, Patrick White und Henry Handel Richardson, sie schreiben Geschichten und Theaterstücke. Bibliotheken sind Schatzkammern voller Geschichten, Gedichte, Essays, aus jedem Land der Welt und aus allen Zeiten; die Literatur fließt mit ein in die Geschichte, die Magie, in Mysterien und Religion, in Soziologie und Anthropologie – in fast jedes Fachgebiet, das man sich denken kann –, und sie steht allen zur Verfügung. Allen, die Bücher lieben und bereit sind, sich auf neue Ideen bringen zu lassen. Eine öffentliche Bibliothek ist die demokratischste Einrichtung der Welt. Was man darin findet, hat Diktatoren und Tyrannen besiegt: Demagogen können Schriftsteller zwar verfolgen und ihnen tausendmal befehlen, was sie schreiben sollen, aber was früher geschrieben wurde, können sie nicht verschwinden lassen, auch wenn sie es oft genug versuchen. In paranoiden Momenten frage ich mich, ob der Grund für die Vernachlässigung der Bibliotheken in diesem Land [England], die einer bewussten Zerrüttung gleichkommt, darin liegt, dass man Menschen mit Zugang zu guten Bibliotheken, zu Geschichte, Ideen und Wissen, nicht so leicht vorschreiben kann, was sie denken sollen. Menschen, die Literatur lieben, sind zumindest in einem Teil ihres Geistes gegen Indoktrinierung immun. Wer liest, lernt, selbst zu denken. Wenn ich sage, dass Literatur und Geschichte und so weiter ineinander übergehen, beziehe ich mich auf das in Romanen enthaltene Wissen, das wir für gewöhnlich gar nicht weiter beachten. Man kann Romane und Kurzgeschichten nach ihrem literarischen Wert beurteilen oder nach anderen Kriterien, aber man kann aus ihnen auch etwas über die Gesellschaftsformen lernen, die sie beschreiben. Woher stammt unser Wissen über das vorrevolutionäre Russland? Von den Schriftstellern dieser Zeit. Tolstois Anna Karenina beschreibt gesellschaftliche Zustände, eine Haltung gegenüber Frauen, die es im Westen
Menschen, die Literatur lieben, sind zumindest in einem Teil ihres Geistes gegen Indoktrinierung immun. Wer liest, lernt, selbst zu denken. heute nicht mehr gibt. Frauen wie sie werden jedoch in vielen Teilen der Welt noch immer verfolgt. Woher kennen wir die verschiedenen Epochen in der Geschichte der Vereinigten Staaten? Von den Schriftstellern. Wenn Sie die gesellschaftlichen Gepflogenheiten des englischen Landlebens im 19. Jahrhundert erforschen wollen, was gibt es Besseres als Hardys Romane? Griechenland … Rom … das Europa des Mittelalters? Es müssen noch nicht einmal ›große‹ Schriftsteller sein. Ich kenne einige Kinder, denen der Rat von Erwachsenen, vor Geschichtsprüfungen populäre historische Romane über die fragliche Zeit zu lesen, geholfen hat. Die Autoren von historischen Romanen machen sich für gewöhnlich die Mühe, Fakten und Details zu prüfen. Ich möchte eine Analogie zur Musik ziehen: Man kann alles genießen, von Beethoven über Berlioz, von
Illustration: © Sempé
jede Schriftstellerin zum Weinen und Schluchzen und Haareraufen. Literatur gehört allen. Sie braucht keine Professoren und Lehrer. Trotzdem gibt es Lehrer, die Generationen von Kindern für die Literatur begeistern. Wenn man auf einen lesenden Erwachsenen trifft, hört man oft: »Ich hatte einen wunderbaren Lehrer, der …« Diesen Menschen begegne ich auf meinen Reisen. Zum Beispiel der jungen Australierin, die mir erzählte, sie käme aus einer Arbeiterfamilie und sei in einem Haus ohne Bücher aufgewachsen, habe aber einen großartigen Lehrer gehabt. Jetzt unterrichtet sie Kinder, die in Häusern ohne Bücher aufwachsen, Kinder, die benachteiligt sind und – bis sie mit ihnen arbeitet – halbe Analphabeten. Sie lesen Shake-
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Aus dem Englischen von Marion Hertle
Krank und pleite Wie Deutschlands Patienten entmündigt werden
Illustration Cicero-Titel 03/2010: Wieslaw Smetek
den Beatles bis hin zum Blues. Manchen jungen Menschen können selbst die besten Bücher das Lesen vergraulen, weil sie noch nicht dafür bereit sind. Nicht jeder hat das Glück, auf einer abgelegenen Farm im Busch aufzuwachsen, ohne Fernseher und mit einem Radio, dessen knisternder Empfang gerade mal ausreichte, um mit großer Anstrengung die BBC News zu hören – dafür aber mit einem Regal voller Klassiker. Was spricht dagegen, Shakespeare in einer Comicversion zu lesen und seine Stücke dann später auf der Bühne zu sehen oder selbst zu lesen? Es ist nur ein kleiner Schritt von Groschenromanen zu Jane Eyre. Ein kleiner Schritt, der einen gleichwohl von einem Land in ein anderes führt. Vielleicht sollte man den Studenten sagen, dass es am Anfang immer ein wenig Mühe kostet, einen seriösen Autor zu lesen, die geistige Faulheit und den eigenen Widerwillen zu überwinden, denn man dringt dabei in den Geist einer anderen Person vor, die anders denkt als man selbst. Darum geht es mir, und nur darum: Das Haus der literarischen Schätze hat viele Gemächer. Ich schreibe dies, so wird mir bewusst, um Kinder und junge Menschen zum Lesen zu ermuntern, denn es schmerzt mich zu sehen, was sie verpassen, was ihnen entgeht – und was sie ablehnen, weil niemand sie dazu ermuntert hat. Gerade jetzt, da mindestens eine Generation schlecht ausgebildeter Jugendlicher zu Erwachsenen heranwächst, müsste man sie überzeugen, dass ihre Wissenslücken in Bibliotheken geschlossen werden können – mit der richtigen Anleitung.
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Serie
Ohne Zweifel ist es das Wissen um den Tod und neben diesem die Betrachtung des Leidens und der Not des Lebens, was den stärksten Anstoß zum philosophischen Besinnen und zu metaphysischen Auslegungen der Welt gibt. Wenn unser Leben endlos und schmerzlos wäre, würde es vielleicht doch keinem einfallen zu fragen, warum die Welt da sei und gerade diese Beschaffenheit habe, sondern eben auch sich alles von selbst verstehn. Ein Weiser ist man nur unter der Bedingung, in einer Welt voll Narren zu leben. Jedes Kunstwerk ist eigentlich bemüht, uns das Leben und die Dinge so zu zeigen, wie sie in Wahrheit sind, aber durch den Nebel objektiver und subjektiver Zufälligkeiten hindurch nicht von jedem unmittelbar erfasst werden können. Diesen Nebel nimmt die Kunst hinweg. Was ist das Leben? – Diese Frage beantwortet jedes echte und gelungene Kunstwerk auf seine Weise völlig richtig. Der Mensch ist im Grunde ein wildes, entsetzliches Tier. Wir kennen es bloß im Zustande der Bändigung und Zähmung, welcher Zivilisation heißt: daher erschrecken uns die gelegentlichen Ausbrüche seiner Natur. Aber wo und wann einmal Schloss und Kette der gesetzlichen Ordnung abfallen und Anarchie eintritt, da zeigt sich, was er ist … Welche Krä∫e zum Leiden und Tun jeder in sich trägt, weiß er nicht, bis ein Anlass sie in Tätigkeit setzt – wie man dem im Teiche ruhenden Wasser, mit glattem Spiegel, nicht ansieht, mit welchem Toben und Brausen es vom Felsen unversehrt herabzustürzen oder wie hoch es als Springbrunnen sich zu erheben fähig ist – oder auch, wie man die im eiskalten Wasser latente Wärme nicht ahndet.
Klopfte man an die Gräber und fragte die Toten, ob sie wieder aufstehn wollten; sie würden mit den Köpfen schütteln. Für uns ist und bleibt der Tod ein Negatives – das Aufhören des Lebens, allein er muss auch eine positive Seite haben, die jedoch uns verdeckt bleibt, weil unser Intellekt durchaus unfähig ist, sie zu fassen. Daher erkennen wir wohl, was wir durch den Tod verlieren, aber nicht, was wir durch ihn gewinnen.
Denken mit
Arthur Schopenhauer Man muss alt geworden sein, also lange gelebt haben, um zu erkennen, wie kurz das Leben ist. Wenn man auch noch so alt wird, so fühlt man doch im Innern sich ganz und gar als denselben, der man war, als man jung, ja, als man noch ein Kind war. Je mehr ein Mensch des ganzen Ernstes fähig ist, desto herzlicher kann er lachen. Tausend heitere, angenehme Stunden lassen wir mit verdrießlichem Gesicht ungenossen an uns vorüberziehn, um nachher, zur trüben Zeit, mit vergeblicher Sehnsucht ihnen nachzuseufzen. Solange der Ausgang einer gefährlichen Sache nur noch zweifelha∫ ist, solange nur noch die Möglichkeit, dass er ein glücklicher werde, vorhanden ist, darf an kein Zagen gedacht werden, sondern bloß an Widerstand, wie man am Wetter nicht verzweifeln darf, solange noch ein blauer Fleck am Himmel ist.
Das große Publikum meint, es sei mit den Büchern wie mit den Eiern: sie müssen frisch genossen werden; daher grei∫ es stets nach dem Neuen. Ein Haupthindernis der Fortschritte des Menschengeschlechts ist, dass die Leute nicht auf die hören, welche am gescheitesten, sondern auf die, welche am lautesten reden … Bescheidenheit bei mittelmäßigen Fähigkeiten ist bloße Ehrlichkeit: bei großen Talenten ist sie Heuchelei. Darum ist diesen offen ausgesprochenes Selbstgefühl und unverhohlenes Bewußtsein ungewöhnlicher Kräfte gerade so wohlanständig als jenen ihre Bescheidenheit … Nur die eigenen Gedanken haben Wahrheit und Leben; denn nur die eigenen Gedanken versteht man ganz. Fremde, gelesene Gedanken sind geschissene Scheiße.
Denken mit Arthur Schopenhauer Vom Lauf der Zeit, dem wahren Wesen der Dinge, dem Pessimismus, dem Tod und der Lebenskunst
224 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-23970-6
Im nächsten Magazin: Henry David Thoreau 78
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Illustration: © Tullio Pericoli
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Der neue simplifyBestseller
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www.campus.de
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Small Talk
Friedrich Dönhoff Was stört beim Schreiben am meisten? Andere Menschen.
Friedrich Dönhoff studierte in seiner Heimatstadt Hamburg Geschichte und Politik und wurde erst durch Sachbücher bekannt, zum Beispiel die Biographie über seine Großtante Marion Gräfin Dönhoff. Mittlerweile schreibt Dönhoff auch Romane: Der soeben erschienene Krimi ›Der englische Tänzer‹ ist der zweite Fall für Sebastian Fink, in dem sich der Polizeikommissar in die Welt der Musicals begibt, eine Welt voller Scheinwerferlicht und dunkler Schatten.
Was ist die schlimmste Frage in Interviews? »Wie sind Sie auf die Idee gekommen?« Weil das kaum zu beantworten ist. Meine Romane entwickeln sich über eine längere Zeit. Es ist doch wie das Leben: Am Ende könnte man auch nicht die Frage beantworten: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Leben so zu gestalten? Bei mir läuft die Romanarbeit ähnlich: Ich habe ein paar Vorstellungen, manche von ihnen lassen sich durchhalten, vieles ergibt sich aber mit der Zeit. Nur das Ende kenne ich schon, aber das ist ja beim Leben auch so.
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as ist das Schlimmste, wenn man seinen zweiten Roman schreibt? Den ersten zu vergessen. Was das Schönste? Den ersten fortzuführen.
Welches war das erste Musical, das Sie gesehen haben? Vor fünfzehn Jahren: Cats. Ich konnte damit nicht viel anfangen und habe danach lange kein Musical besucht. Bis ich Mamma Mia sah, das wunderbar ist. Es lief zufällig im selben Theater, dem Hamburger Operettenhaus, einem 160 Jahre alten Traditionstheater an der Reeperbahn. Es dient übrigens nun auch als Vorbild für das Hans-Albers-Theater in meinem neuen Roman.
Friedrich Dönhoff Der englische Tänzer Ein Fall für Sebastian Fink
Roman · Diogenes
Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie erfuhren, dass Sie Ihren ersten Roman schreiben? Sie haben es erst geglaubt, als sie das fertige Buch in Händen hielten. 80
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Diogenes Taschenbuch detebe 24018, 304 Seiten
Welches Buch liegt bei Ihnen auf dem Nachttisch? Ich spiele um mein Leben, die Biographie über den Tennis-Baron Gottfried von Cramm, einen NaziGegner, der Gestapo und Gefängnis nur durch anhaltende Erfolge im Welttennis entgehen konnte. Das erste Diogenes Buch, das Sie gekauft haben? Das Parfum von Patrick Süskind. Wie bekochen Sie Gäste? Als Zivi habe ich die Aldi-Tomatensuppe gekauft, einen Schuss Sahne
Foto: © Roman Raacke / www.romanraacke.com
Was mögen Sie an Hamburg? Wenn ich von einer Reise zurückkehre, den Blick aus dem Zugfenster auf die Alster und die Silhouette der Innenstadt; den meist unaufgeräumten Himmel; Dampfer auf der Elbe, weil sie vermitteln: Es gibt eine weite Welt da draußen.
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Leserbriefe
J und Cognac hinzugefügt – in einem schönen Porzellanteller serviert, kam es immer gut an. Es folgten die Jahre der Zwiebelsuppe. Zwiebeln 20 Minuten in Brühe kochen, ein Schuss Weißwein dazu, geriebenen Käse drüber, fertig. Die Jahre des Rotbarschfilets: gedünstet mit Olivenöl und Knoblauch, mit Zitrone beträufelt. Aber der gelang nicht immer gut. Dann kam der Tag, an dem mir jemand vom »Gulasch Sophia Loren« erzählte. Das musste ich natürlich probieren. War sehr gut. Danke, Sophia! Leider erinnere ich mich heute nicht mehr an das Rezept. Wo waren Sie zuletzt in den Ferien? Richtige Ferien – das habe ich nur einmal erlebt: Vor sieben Jahren eine Woche in Süditalien, und zwar ohne Notizbuch, Computer, Telefon. Als Autor ist es schwer, Ferien zu machen. Ich brauchte damals Tage, um mich daran zu gewöhnen. Dann fand ich es herrlich – aber da musste ich schon wieder zurück. Was zeigt der Bildschirmschoner auf Ihrem PC? Bilder würden mich nervös machen. Mein Bildschirmschoner ist einfach nur ein schönes Blau. Was hindert Sie am Schlafen? Wenn ich lange und intensiv gearbeitet habe, hindern mich meine Romanfiguren am Schlafen. Sie wollen weiterleben und werden laut. Wo schreiben Sie am besten? Am allerliebsten in der Wohnung von Freunden, die für lange Zeit verreist sind. Weil man sich geborgen fühlt in einer funktionierenden kleinen Welt und zugleich frei ist. kam
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etzt ist es passiert: Ich lasse alles liegen, lese kein Buch mehr, vergesse, aus dem Bus auszusteigen, und fahre bis an die Endstation, was ich normalerweise freiwillig nie täte, und lese und blättere und freue mich am neuen Diogenes Magazin. Lange habe ich überlegt, ob ich schreiben soll, aber dann hatte ich große Lust, mich in die Reihe all derer einzureihen, die auch finden, dass es weit und breit nichts Besseres gibt als das Diogenes Magazin. Es erfreut meinen Kopf und mein Auge sehr, und ich danke Ihnen allen dafür. Ich verteile es mit großer Freude, aber auch behutsam, an unsere Kunden hier in der Buchhandlung. Viele und herzliche Grüße aus der Buchhandlung RavensBuch in Ravensburg. Ingrid Schwarz
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it dem aktuellen Magazin haben Sie mir wieder viel Freude bereitet. Ihr Magazin hat nur einen großen Nachteil: Es erscheint zu selten. Aber ich verstehe, dass ein häufigeres Erscheinen wohl nicht finanzierbar wäre. Überhaupt erstaunlich, dass ein Verlag sich eine so aufwendige Publikation leistet! Freue mich schon auf das nächste Heft und grüße sehr herzlich. Werner Pohlmann (per E-Mail)
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öllig begeistert habe ich heute das erste Mal von Ihrem Diogenes Magazin erfahren und halte nun die Nummer 3 fasziniert in den Händen. Ich möchte bitte auch in Zukunft an Ihrem gehaltvollen Magazin teilhaben und es deshalb abonnieren. Cornelia Fahrig, Sondershausen
N Zeichnung von Hans Fischer (alias fis) in einem Brief an den Verlag, ca. 1955 Das ›Diogenes Magazin‹ bittet um Verständnis, dass nur eine Auswahl von Leserbriefen veröffentlicht werden kann. Aus Platzgründen werden Briefe gekürzt.
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anke, danke, danke für Euer Diogenes Magazin. Noch nie habe ich ein derartig tolles Literaturmagazin gelesen. Alle drei Ausgaben habe ich förmlich verschlungen und von der ersten bis zur letzten Seite genossen. Das nächste Heft erwarte ich schon voller Ungeduld. Bitte macht weiter so – den Lesern zuliebe. Bernd Oetelshofen (per E-Mail)
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it dem Magazin ist dem Diogenes Verlag ein außerordentlicher Wurf gelungen. Man bedauert fast, wenn man eine Ausgabe zu Ende gelesen hat. Nach der Lektüre bleibt man mit jeder Menge literarischer Anregungen zurück und fühlt sich gleichzeitig aufs Beste unterhalten und informiert. Martina Simon, Buchhändlerin in der Buchhandlung Weiland, Lübeck (Quelle: Buchmarkt 1/2010)
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icht nur, dass ich die gebundenen Diogenes Bücher ihrer Größe und Aufmachung wegen für perfekt halte, jetzt bringen Sie auch noch ein wunderbares (wenn auch werblich, aber kaum merklich) Magazin heraus. Vielen Dank. Paul Kremp, Heidenheim
un schon das dritte begeisternde Magazin, und das Allerschönste ist das Versprechen Andrea Camilleris, dass Commissario Montalbano seine Freundin Livia nie heiraten wird – ich kann diese Person nicht ausstehen! Sollte Montalbano seine Haushälterin und Köchin Adelina heiraten und somit Maigret-ähnlicher werden, würde mich das nicht im Geringsten stören, aber Livia: Nein! Überhaupt: Mit oder ohne Ehefrau ist Montalbano ganz anders als Maigret – meine Generation, er schwimmt im Meer vor Siziliens Küste, und er trägt keinen Hut. Sehnsüchte weckt das Foto von Simenons Archiv: So eine Bibliothek hätte ich auch gern (nein, sie muss durchaus nicht voll eigener Werke sein). In der Auswahl der Bonmots von William Somerset Maugham fehlen meine beiden Lieblingszitate von ihm, beide aus dem Roman Mrs. Craddock (den ich insgesamt weniger mag als viele andere Werke des Meisters): »Glücklicherweise wissen die Menschen nicht, wie dumm sie sind, sonst müsste die Hälfte der Menschheit Selbstmord begehen. Wissen ist ein Irrlicht, das immer außer Reichweite des Wandersmannes vor ihm herflattert, und eine ermüdende Wanderung ist nötig, ehe er es überhaupt zu Gesicht bekommt.« Und: »Ironie ist ein Göttergeschenk und das subtilste aller Ausdrucksmittel. Täusche dich nicht, holder Leser, ein Schriftsteller, der etwas auf sich hält, bekümmert sich einen Dreck um dich!« Während meiner Schulzeit legte ich ein Ringbuch für Zitate an, und da stehen diese beiden maliziösen Aussagen drin – ich kann also nicht mehr rekonstruieren, wer sie für welche Ausgabe übersetzt hat, aber gut sind sie allemal. Noch besser finde ich, dass ein Autor, dem ich als Leser egal bin, es schafft, mich mit vielen seiner Bücher zu begeistern. Ich freue mich schon auf das nächste Diogenes Magazin! Brigitte Hilgner, Wien
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Hinter den Kulissen
Ein Interview mit Werner Kühnel
Der Diogenes Sammler
Diogenes Magazin: Sie sammeln Diogenes Taschenbücher, wie sind Sie dazu gekommen? Werner Kühnel: 1989 hat mich mein Arbeitgeber nach Berlin geschickt. Ich sollte in den neuen Bundesländern den Markt erschließen. Aus dieser Situation ergaben sich wöchentliche Flüge Stuttgart – Berlin – Stuttgart. Ich lese gerne im Flugzeug, aber keine Zeitungen. Man sitzt zu eng aufeinander und nimmt anderen mit der aufgeschlagenen Zeitung die Sicht. Deshalb bin ich eines Tages in den Buch- und Zeitschriftenladen gegangen und habe mir ein gelb-schwarzes Diogenes Taschenbuch gekauft. Der Name des Verlages war mir von Anfang an sympathisch. Dieser Aussteiger aus der Antike war mutig. Hat 82
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er doch den großen Alexander aufgefordert, ihm aus der Sonne zu gehen. Das Buch (ich weiß den Titel nicht mehr) war gut. So kaufte ich mir ein Buch nach dem anderen. Wegen der guten Erfahrungen mit den »GelbSchwarzen« kaufte ich schließlich nur noch Diogenes Bücher. So passierte es, dass ich im Flugzeug ein neues Buch aufschlug und merkte: Das hast du schon! Ich notierte auf einen Zettel alle Buchnummern. Bei jedem neuen Buchkauf wurde fortan der Zettel zu Rate gezogen. Später bekam ich mit Hilfe vom Verlag die vollständige Verlagsliste. Damit begann das systematische Sammeln. Wie viele Exemplare umfasst Ihre Sammlung, wo ist sie untergebracht? Ende 2009 umfasst die Sammlung
2300 Exemplare, die in 55 Metern Regallänge untergebracht sind. 35 Regalmeter stehen im Schlafzimmer. Diesen Standort bei meiner Frau durchzusetzen war nicht leicht. Letztlich überzeugt hat sie das Argument, dass Bücher im Schlafzimmer besser sind als ein Fernseher. Die restlichen 20 Meter sind in unserer kleinen Bibliothek. Wie viele davon haben Sie gelesen? Ich habe den Ehrgeiz, immer mindestens die Hälfte der Bücher gelesen zu haben. Das habe ich bis heute geschafft. Die Sammlung findet in unserm Freundeskreis aktive Verwendung. Freunde rufen an und fragen, ob ich ein im Antiquariat entdecktes Buch schon habe. Nach anfänglichem Zögern ist meine Frau von dieser Suche angesteckt.
Fotos: © Werner Kühnel
2300 Diogenes Taschenbücher stehen bei Werner Kühnel zu Hause – und es werden immer mehr. Knapp die Hälfte davon hat er gelesen. Wir haben den leidenschaftlichen Sammler getroffen, der wahrscheinlich die Diogenes Taschenbücher so gut kennt wie kaum ein anderer (Verlagsmitarbeiter eingeschlossen). Übrigens: Zurzeit liest Werner Kühnel den Roman ›Ich bin Mary Dunne‹ von Brian Moore, zuletzt gekauft hat er sich ›Becks letzter Sommer‹ von Benedict Wells.
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Das Layout der Diogenes Taschenbücher hat sich im Laufe der Zeit verändert (früher gab’s die CoverZeichnungen von Tomi Ungerer, heute sind die Umschläge weiß), was halten Sie davon? Ich habe in meinem Berufsleben viel mit Marketing und Produktmanagement zu tun gehabt. Aus dieser Erfahrung meine ich, dass die gelb-schwarzen Bücher mit den Zeichnungen von Tomi Ungerer nicht nur gut gestaltet waren. Sie hatten einen hohen Wiedererkennungswert. Wenn ich heute jemanden erzähle, dass ich Diogenes Taschenbücher sammle, kommt fast immer die Antwort: »Ach! Die GelbSchwarzen!« Die weißen Bücher sehen eleganter aus. Aber sie unterscheiden sich kaum von den Produktionen anderer Verlage. Man muss schon – wie ich – den geübten Diogenesblick haben, um ein Buch der neuen Art am Buchrücken zu erkennen. Wie kommen Sie zu Ihren Büchern, wie wählen Sie aus? Alle Wege der Beschaffung werden genutzt, Neuerscheinungen werden im Buchladen, im Flughafen etc. gekauft.
Ein Berliner Antiquar hat meine Liste und sammelt. Wir stöbern auf Flohmärkten und in Antiquariaten. Wenn ich mit meiner Frau unterwegs bin, sind wir ein eingespieltes Team. Sie kontrolliert anhand der Liste, ob wir das Buch schon haben. Ich treffe die Vorauswahl. In der Schweiz ist der
Es ist gut, dass es regelmäßig Neuerscheinungen gibt. Sonst wäre »meine Krankheit« irgendwann zu Ende. Anteil an Diogenes Büchern deutlich höher als in Deutschland. In der Schweiz macht das Suchen richtig Spaß. Stressig wird es, wenn Sohn und Schwiegertochter dabei sind. Dann geht die große Gelassenheit verloren (ungesundes Jagdfieber). Wir kaufen ohne weitere Prioritäten alle Bücher, die wir noch nicht haben. Eine Zurückhaltung gibt es bei Neuauflagen, von denen wir die Titel schon in einer älteren Auflage haben.
Wie weit würden Sie gehen, um ein gesuchtes Exemplar für Ihre Sammlung zu bekommen? Es gibt ca. 3500 Titel, 2300 haben wir gesammelt. Fehlende Bücher sind bei diesem Bestand deutlich schwerer zu finden als am Anfang. Aber noch werden wir fündig. Solange wir noch Lücken schließen, zahlen wir den geforderten Preis, der sich bei antiquarischen Büchern zwischen einem und acht Euro bewegt. Liebhaberpreise werde ich wohl erst bezahlen, wenn nur noch wenige Exemplare fehlen. Gibt es bereits die eine oder andere wilde Geschichte hierzu? In Ungarn am Plattensee klemmte eines Tages ein Werbezettel unter der Windschutzscheibe: Antike Möbel und 300 000 deutschsprachige Bücher zu verkaufen in … Wir haben uns sofort auf den Weg gemacht. Zwei Stunden haben wir gesucht, dreimal sind wir am Grundstück vorbeigefahren. Es war fürchterlich. Von der Last der Sünden zusammengebrochene Beichtstühle, muffige, wurmstichige Tische und Schränke, wackelige Stühle. Zwischendrin diverse Kartons mit unge-
Foto: © Werner Kühnel
Werner Kühnel bekam zu Weihnachten einen von seiner Frau selbstentworfenen Ex-LibrisStempel für seine Bibliothek geschenkt. Eine große Freude, jedoch mit arbeitsreichen Folgen: Über 2300 Diogenes Taschenbücher seiner Sammlung mussten gestempelt werden.
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Welches ist die schmerzlichste Lücke in der Sammlung? Die schmerzlichste Lücke ist die Lücke selbst. Bei einem Bestand von rund 2300 fehlen bis zur ISBN-Nr. 23500 noch 533. Das ist viel und wenig zugleich. Eigentlich ist es gut, wie es ist. Es ist ja nicht nur schön, die Bücher zu haben. Schön ist es auch, sie zu finden und zu lesen. Es ist gut, dass es regelmäßig Neuerscheinungen gibt. Sonst wäre »meine Krankheit« irgendwann zu Ende. Kennen Sie andere sammelnde Liebhaber von Diogenes Taschenbüchern? Wie reagieren Besucher auf Ihre Sammlung? Viele Freunde und Bekannte haben zu Hause Diogenes Bücher. Keiner von ihnen sammelt gezielt. Alle finden meine Sammlerei ein bisschen unwissenschaftlich. Damit kann ich gut leben. Die Bestsellerlisten als Leitfaden sind auch nicht besser. Wenn sich Besucher die Sammlung ansehen, ist die erste Frage: »Wie viel hast du davon gelesen?« Und wenn ich dann ant-
worte: »Mehr als die Hälfte!«, dann folgt meist die Frage: »Machst du denn auch noch etwas anderes?« Welches Diogenes Taschenbuch verschenken Sie am liebsten? Am liebsten verschenke ich Bücher, die zum Beschenkten passen. Der Sohn in Bülach bekam den Bräker, damit er etwas von der Geschichte seiner neuen Heimat lernt. Griechisch für Anfänger bekommen Freunde, die wir nach Griechenland locken wollen, etc. Zum Schluss noch eine Anmerkung: Frau Geiger [bei Diogenes zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Anm. d. Red.] hat sich schon drei Mal im Verlag Zeit für mich genommen. Bevor ich in Rente ging, hatte ich Verantwortung für 1000 Mitarbeiter. Aus dieser Zeit habe ich ein Gespür für Betriebsklima und Stimmungen. Die Menschen bei Diogenes arbeiten nach meinem Eindruck gerne dort. Sie sind stolz auf ihre Produkte und ausgesprochen freundlich. Ein Grund mehr, ihre Bücher zu sammeln. kam
Haben Sie zufällig das Diogenes Taschenbuch Nr. 23294?
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Illustration: © Sempé
ordneten Büchern. Ein einziges Diogenes Buch haben wir gefunden und 14 Tage gelüftet, bis es nicht mehr gerochen hat, Preis Euro 1.–. Gibt es einzelne Exemplare, auf die Sie besonders stolz sind? Ich bin nicht stolz auf einzelne Exemplare. Das passt nicht zu meiner Art des Sammelns und Lesens. Ich kaufe die Bücher, die ich noch nicht habe, und sortiere sie nach Nummern. Habe ich ein Buch gelesen, wird es im Bereich »gelesen« abgestellt. Dann kommt das nächste ungelesene Buch dran. Ich nenne diese Methode »Bildungslotto«. Haben Sie ein Lieblingsbuch? Ich lese Bücher, an die ich ohne diese Methode nie gekommen wäre. Ich habe Zugang zur Schweizer Literatur gefunden, von Bräker bis Suter, und habe diesen Schatz sehr genossen. Connie Palmen ist für mich die Neuentdeckung dieses Jahres. In dem Buch In Memoriam beschreibt sie sehr eindrucksvoll die tiefe Verbindung von körperlicher Liebe und Verwandtschaft der Seele.
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Owl’s Eye
Wenn Bibliotheken heiraten oder geschieden werden
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m Roman Selige Zeiten, brüchige Welt von Robert Menasse sucht der Philosophiestudent Leo Singer zu Hause lange nach einem Buch. »Es dauerte eine Zeit, bis er das Buch fand. Die Bücher waren völlig ungeordnet in seinem Regal eingeräumt. Auch früher sind die Bücher immer ungeordnet in seinem Regal gestanden, aber er hatte stets gewusst, wo etwa er welches fand. Das war jetzt eine völlig neue Unordnung, in der er sich nicht auskannte.« Schuld daran ist natürlich eine Frau: Judith und die fatale Entscheidung, deren Bücher nach dem Zusammenziehen mit den eigenen zu mischen. Anne Fadiman beginnt ihr Buch Ex Libris – Bekenntnisse einer Bibliomanin mit dem Essay ›Wenn Bibliotheken heiraten‹, in dem sie auf humorvolle Weise die schwierige Fusion zweier Bibliotheken beschreibt: »Nach fünf Ehejahren und einem Kind gelangten George und ich schließlich zu der Ansicht, dass wir die notwendige Reife für die tiefgreifende Vertrautheit einer zusammengeführten Bibliothek erreicht hatten.« Eine gemeinsame Bibliothek – in guten wie in schlechten Zeiten? Das kann sich noch schwieriger gestalten als Liebe und Treue, »bis dass der Tod euch scheidet«. Eine Bibliothek spiegelt immer auch den Charakter des Eigentümers. Zwei Charaktere in ein System zu bringen, grenzt ans Unmögliche. Wohin stellt man welche Bücher? Wie werden die Bücher sortiert? Fragen, die schon für einen allein vertrackt sind und zu zweit doppelt so schwer. Und dann die Gretchenfrage: Was tun mit Doubletten? Anne Fadimans Lösung: »Wir entschieden uns dafür, gebundenen Ausgaben vor Taschenbüchern den Vorzug zu geben, es sei denn, die Taschenbücher enthielten Eintragungen, die uns wichtig waren. Wir behielten mein Middlemarch, das ich als Achtzehnjährige gelesen hatte und in dem sich meine ersten Gehversuche als Literaturkritikerin ver-
zeichnet finden (auf Seite 37: ›Grrr‹, auf Seite 261: ›Blödsinn‹ …).« Eine traurige Statistik belegt: 49,2 % der verheirateten Bibliotheken werden geschieden (nach durchschnittlich 14,1 Jahren in den gemeinsamen Regalen). Die Erzählung Qualvolle Teilung von Ray Bradbury handelt von dieser traumatischen Erfahrung: Der Mann ist ausgezogen, die Frau hat bereits das Schloss auswechseln lassen, und nun kommt er vorbei, um seine Bücher abzuholen. Alles ist vorbereitet, das Wohnzimmer ist stapelweise mit Büchern vollgestellt, säuberlich in zwei Haufen aufgeteilt. Natürlich gibt es sofort wieder Streit: »›Sieh da, mein Thurber auf deiner Seite, was hat der denn da zu suchen?‹ ›Den hast du mir vor zehn Jahren zu Weihnachten geschenkt, hast du das vergessen?‹ ›Oh‹, sagte er und hielt inne. ›Stimmt. Na gut – und wie kommt Willa Cather da rüber?‹ ›Die hab ich vor zwölf Jahren von dir zum Geburtstag bekommen.‹ ›Ich scheine dich ganz schön verwöhnt zu haben.‹
›Das kann man wohl sagen, aber es ist lange her. Wenn du mich immer noch so verwöhnen würdest, säßen wir vielleicht jetzt nicht hier, um die verflixten Bücher aufzuteilen.‹« Richtig heikel wird es bei Werkausgaben: »›Aldous Huxley? Moment mal! Du weißt genau, seine Essays gefallen mir besser als seine Romane!‹«, beschwert sich der Mann. »›Du kannst die Kassette doch nicht auseinanderreißen!‹ ›Und ob ich das kann! Wir werden genau in der Mitte teilen. Du kriegst seine Romane, ich seine Gedanken.‹« Beim Durchsehen der Bücher merkt der Exgatte, dass ihrer beider literarischer Geschmack grundverschieden ist: »›Ich glaube, mir wird jetzt allmählich klar, wo alles anfing, in die Brüche zu gehen. Die Bücher, die du liest, sind für mich nichts als Schrott. Die Bücher, die ich lese, für dich nur Plunder. Alles Müll. Warum haben wir das nicht schon vor zehn Jahren erkannt?‹« Eine bittere, aber zu späte Erkenntnis. Der Mann holt die letzte Bücherkiste ab, es ist der endgültige Abschied, die Tür fällt hinter ihm ins Schloss. Da klingelt er plötzlich wieder, ihm ist noch etwas eingefallen: »›Wer bekommt die Kinder?‹« So kompliziert kann es zugehen, wenn Bibliotheken heiraten oder wieder geschieden werden. Aber womöglich noch schlimmer ist es, wenn die Bücherleidenschaft in einer Beziehung nicht geteilt wird. Im Londoner Antiquariat Henry Pordes in der Charing Cross Road fiel mir einmal ein Paar auf. Der Mann hatte noch nicht einmal fünf Minuten lang herumgestöbert, als seine Frau, die beim Eingang stehen geblieben war, ungeduldig durch den Laden rief: »Liebling, es wird langsam dunkel draußen!« – Dabei war es noch nicht einmal Mittag. Aber davon nächstes Mal mehr.
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Jan Sidney
Im nächsten Magazin: Wenn der Liebste keine Bücher liebt Diogenes Magazin
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Vorschaufenster Kino
Ausstellungen
René Goscinny & Jean-Jacques Sempé, Der kleine Nick. Regie: Laurent Tirard, mit den Schauspielern Kad Merad, Valérie Lemercier, François-Xavier Demaison. Drehbuch: Grégoire Vigneron. Produktion: Fidélité. Verleih: Senator Film. Kinostart: 26.8.2010.
Ronald Searle. Ausstellung zum 90. Geburtstag, Wilhelm Busch Museum Hannover, bis 31.12.2010 (www.wilhelm-busch-museum.de). Friedrich Dürrenmatt. Ausstellung L’esprit Dürrenmatt. Ein Lebenslauf in Bildern vom 26.9.2010 bis März 2011 im Centre Dürrenmatt Neuchâtel (www.cdn.ch). James Cook und die Entdeckung der Südsee. Wanderausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien, 10.5. –13.9.2010 und im Historischen Museum Bern, 7.10.2010 –13.2.2011. Die ideale Lektüre zur Ausstellung: Der Roman Bis ans Ende der Meere von Lukas Hartmann, der Ende Juli 2010 als Diogenes Taschenbuch erscheint.
René Goscinny & Jean-Jacques Sempé, Der kleine Nick als Animationsserie in 26 Folgen. Ausstrahlung ab dem 6.5.2010 (montags bis freitags um 18.00 Uhr) auf KI.KA. Martin Suter, Der letzte Weynfeldt wird verfilmt von Regisseur Alain Gsponer, nach einem Drehbuch von Alex Buresch. Mit Marie Bäumer und Stefan Kurt. Eine Produktion von Network Movie / C-Films Zürich. Geplante Ausstrahlung: Herbst / Winter 2010 im ZDF. Doris Dörrie. Fernsehporträt aus der Reihe Deutschland deine Künstler. Regie: Alice Agneskirchner. Eine Produktion von megaherz gmbh film und fernsehen. Geplante Ausstrahlung: 14.6.2010, 23.00 Uhr im Ersten. Lewis Wallace. Regisseur Steve Shill verfilmt in einer internationalen Koproduktion Ben Hur neu als Mehrteiler fürs Fernsehen. Mit Joseph Morgan, Kristin Kreuk, Ray Winstone. Drehbuch: Alan Sharp. Geplante Ausstrahlung: Herbst 2010 auf ProSieben.
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Tomi Ungerer
Ehren-Herausgeber: Daniel Keel Geschäftsleitung: Katharina Erne, Stefan Fritsch, Ruth Geiger, Daniel Kampa, Winfried Stephan Chefredaktion: Daniel Kampa (kam@diogenes.ch) Mitarbeiter dieser Ausgabe: Martha Schoknecht, Nicole Griessman, Julia Stüssi, Muriel Siegwart Grafik-Design: Catherine Bourquin Fotograf: Bastian Schweitzer Scans und Bildbearbeitung: Catherine Bourquin, Tina Nart, Hürlimann Medien AG Zürich Webausgabe: Susanne Bühler (sb@diogenes.ch) Korrektorat: Franca Meier, Dominik Süess, Cornelia Künne, Julia Stüssi Bildredaktion: Regina Treier, Nicole Griessman Buchhandels-Vertrieb: Renata Teicke (tei@diogenes.ch) Anzeigenleitung: Simone Wolf (wo@diogenes.ch) Zurzeit gilt Anzeigenliste Nr.2 vom August 2009 Abo-Service: Christine Kownatzki (diogenesmagazin@diogenes.ch) Für ein Abonnement benutzen Sie bitte die beigeheftete Abokarte. Abonnementspreise: € 10.– für drei Ausgaben (D/A), sFr 18.– (CH), andere Länder auf Anfrage. Herzlichen Dank an Margaux de Weck, Christine Stemmermann, Anna von Planta, Ruth Geiger, Kerstin Beaujean, Ursula Baumhauer, Peter Rüedi und allen Autorinnen und Autoren.
Kunsthalle Würth Lange Straße 35 74523 Schwäbisch Hall Fon +49 791 94672-0 www.kunst.wuerth.com
Alle Aktivitäten der Kunsthalle Würth sind Projekte der Adolf Würth GmbH & Co. KG. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Swiridoff Verlag.
EKLIPS – Neues für die Augen von 196o bis 2o1o Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall 13.5. – 19. 9.2o1o, Di–So 11–18 Uhr
Tomi Ungerer. ›Die kanadischen Jahre 1971 –1975‹ im Musée Tomi Ungerer in Straßburg, eine Retrospektive mit Zeichnungen aus Slow Agony und Heute hier, morgen fort bis zum 8.8.2010. Die bisher größte Ausstellung in Deutschland mit Werken von Tomi Ungerer zeigt die Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall: Eklips vom 13.5.–19.9.2010. Im Stadtmuseum Zweibrücken ›Tomi Ungerer. Ins Schwarze getroffen‹ vom 9.5.–7.6.2010 sowie ›Gedanken bleiben frei‹ in der Gedenkstätte ehemaliges KZ Osthofen vom 11.5.–8.8.2010.
Beim Gewinnspiel sind Mitarbeiter /-innen des Diogenes Verlags von der Teilnahme ausgeschlossen. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt. Die Preise sind nicht in bar auszahlbar. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Über unverlangt eingesandte Manuskripte kann leider keine Korrespondenz geführt werden. Programmänderungen vorbehalten. Alle Angaben ohne Gewähr. Redaktionsschluss: 15.3.2010 / ISSN 1663-1641
Gewonnen haben Beim Gewinnspiel »Wer schreibt hier?« im Diogenes Magazin Nr. 2 stehen die Sieger fest. Je einen signierten Kunstdruck von Peter Stanick haben gewonnen: Martina Schulz, Silberstedt; Ute Marx-Anke, Osnabrück; Elisabeth Möller, Stuttgart; Dr. Michaela Grüner Mutschlechner, Stadtbibliothek Bruneck, Bruneck (Bozen); Petra Kiefer, Buchhandlung Schwabe, Basel. Je einen Diogenes Büchergutschein in Höhe von 100 Euro haben gewonnen: Hans-Joachim Czycykowski, Berlin; Angela Göddertz, Neuss; Christina Nimmervoll, Leonding; Ina Engelhardt, Nürnberg; Heinz Zettel, Ingolstadt. Herzlichen Glückwunsch!
Illustrationen: © Paul Flora
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Impressum
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Schreibtisch
Gewinnspiel
Fotos: © Erica Lennard
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ch bin kein Literat. Ich bin einfach ein Bauer, der gerne Geschichten erzählt.« Dieser Selbstbeschreibung unseres Autors können wir nur in Teilen zustimmen, aber da er sich tatsächlich hochverschuldet zu seiner schönen Kolonialstilvilla in Rowan Oak auch noch eine Farm kaufte, zumindest doch dem »Bauer«. Zuvor wollte der gelernte Buchhalter im Ersten Weltkrieg als heldenhafer Kampfflieger glänzen, wurde jedoch stattdessen unzuverlässiger Postbote in seiner Heimatstadt Oxford / Mississippi und Heizer im Universitätskraftwerk, wo er auf einem umgedrehten Fass in nur 47 Tagen seinen ersten Roman schrieb. Später sollte es der Erfinder von Yoknapatawpha-County beim Schreiben doch bequemer haben. Und die wahre Belohnung für alle Mühen erhielt er 1949 mit dem Literaturnobelpreis, der ihn (neben seinem geliebten Bourbon) sicher auch über manche Krise mit seiner Gattin Estelle hinwegtröstete.
Wer schrieb hier?
Schicken Sie die Antwort bis zum 30.9.2010 per Post oder per E-Mail (gewinnspielmagazin@diogenes.ch) an: Diogenes Verlag, Gewinnspiel, Sprecherstr. 8, 8032 Zürich, Schweiz Wir verlosen 5 × ein Wilde-Kerle-Paket (Buch, DVD, Tasche, Soundtrack), gestiftet von Warner Bros. Entertainment. Viel Glück!
Lösung Diogenes Magazin Nr.2: Urs Widmer Diogenes Magazin
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Mag ich – Mag ich nicht
Vorschau Das nächste Diogenes Magazin erscheint Ende September. Im Mittelpunkt: Ingrid Noll, Friedrich Dürrenmatt, Paulo Coelho, Hansjörg Schneider, Bernhard Schlink und viele andere Autoren. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, besuchen Sie unsere Website mit aktuellen News und Magazinen:
www.diogenes.ch
D Nr. 5
Herbst 2010
Diogenes
Magazin
Wir gratulieren Ingrid Noll zum 75. Geburtstag
Der letzte Sommer Eine neue Erzählung von Bernhard Schlink Spannende Schweiz? Drei Schweizer Kommissäre
www.diogenes.ch EuroEuro 4.– /sFr 2.– /sFr 7.– 3.50
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783257 850048
Mag ich:
Mag ich nicht:
Spaghetti aglio e olio. Herbstmorgen, Sommerabende. In der Badewanne den New Yorker lesen. Der Moment, in dem man erkennt, dass einem etwas eingefallen ist (aber noch nicht genau weiß, was). Zeitungen und andere old media. Am Schreiben: dass jeder Satz ein Versuch auf die Wirklichkeit ist. Täler, weil es ohne sie keine Berge gäbe. Technik, weil auch sie Kunst ist. Hemden bügeln, weil man dabei gut nachdenken kann. Bratkartoffeln. Weißwurst, Weißbier, Brezen in der Großmarktgaststätte München. Laufen. Mit einem alten englischen Cabrio unter den Regentropfen hindurchsausen und hoffentlich nicht stehen bleiben müssen. Scherz, Satire, Ironie; gerne auch ohne tiefere Bedeutung. Locken. Espresso kurz. Gewitzt sein. Lesen (eigentlich lieber als schreiben). Bücher mit Lesebändchen. In der Veranda im Licht eines späten Sommernachmittages sitzen und lesen. Zuhören und nichts sagen müssen. Schlampigkeit. Nachos. Südtiroler Dialekte. Fließende Gewässer, Wildbäche und träge Ströme.
Alles, was augenzwinkernd oder schenkelklopfend daherkommt. Oktoberfest, Fußball, Zigaretten. Schimmelkäse, Austern, Kaviar. Der Moment, in dem man erkennt, dass der Einfall doch nicht so gut war. März, Schneematsch, kalter Regen. Mahlzeit! Gesundheit! Menschenmassen. Smalltalk und Großmäuler. Hysterie. Verschwitzt sein. Experten. Experten, die warnen. Experten, die vor Panik warnen. Banker, die nur Geld vermehren, aber behaupten, Werte zu schaffen. Hausmeister, die im Herbst einzelne Blätter mit ihrem Laubgebläse vor sich hertreiben. Schaufenstergroße Sonnenbrillen. Mangos, Karottenkuchen, Leber. Sogenanntes Reality-TV. Schnauzer (die Hunde). Boxer (die Sportler). Machos, außer zur Unterhaltung. Schwimmen. Schlampigkeit. Geglätteten, schlaffen Humor, der allen gefallen und niemandem weh tun soll, schmunzeln lässt, statt zum Lachen bringt.
Von Christoph Poschenrieder ist im Frühjahr sein von der Presse hochgelobter Debüt-Roman Die Welt ist im Kopf erschienen, eine lustvolle Reise durch Philosophie und Phantasie rund um Arthur Schopenhauer, Lord Byron und eine unbekannte venezianische Schönheit.
Im nächsten Magazin: John Irving 88
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Foto: © Daniela Agostini / Diogenes Verlag
Christoph Poschenrieder
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Loriot
Fußball – ein Spiel für Intellektuelle?
Wim Wum Wim Wum Wim
Buchtipp
Früher waren mehr Tore Hinterhältige Fußballgeschichten
von Friedrich Dürrenmatt, Jaroslav Hašek, Loriot, Luciano De Crescenzo, Urs Widmer, Nick Hornby, Erich Hackl, Martin Suter und anderen
Wum Wim Wum Wim Wum Wim Wum Wim Wum Wim Wum Wim Wum
Diogenes
detebe 23748, 304 Seiten
Wim Wum Wim Wum
spielt Fußball Diogenes
Wim Wum
detebe 23728, 64 Seiten
Illustration: © Sempé
Wum
Ich habe einige wichtige Fragen … Na, dann schieß los … nein-nein … ich meine: Nun frag schon! Wim, wie viele Männer gehören eigentlich zu einer Fußballmannschaft? Elf. Und wie viele Bälle haben die? Einen. Einen? Das ist ja wahnsinnig unergiebig! Du, die haben aber ’ne Menge zu tun! Die müssen den Ball doch ins Tor kriegen! Na und? Na, da stehen doch die anderen davor … Welche anderen? Die andern elf. Haben die auch ’nen Ball? Nein! Aber womit spielen die dann? Das ist doch alles völlig sinnlos! Nein-nein, die müssen den Ball ja auch ins Tor schießen. Wieso? Ich denke, die haben keinen Ball!? Das ist doch derselbe, Mensch!! Derselbe Mensch? Derselbe Ball! Na, 22 erwachsene Männer werden doch wohl den einen lumpigen Ball in dieses blöde Tor schießen können! In zwei, Wum, in zwei Tore! Aber man kann doch nicht einen Ball gleichzeitig in zwei Tore schießen! Nein-nein, die einen wollen ja auch nur, dass der Ball in das andere Tor geht! Und wissen die einen, dass die anderen den Ball in das eine Tor schießen wollen, während die anderen vermuten, dass die einen den Ball im anderen Tor benötigen? So ist es! Siehst du, das ist wieder so ein kompliziertes Spiel für Intellektuelle!
Magazin
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Illustrationen: © Loriot
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»Keine Fregatte nimmt uns mit ins Weite wie ein Buch.«
Diogenes
Magazin
Emily Dickinson
Am Zeitungskiosk nur die übliche Langeweile? »Das Diogenes Magazin macht Spaß. Viel hochkarätiger geht es nicht.« Buchmarkt
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Illustration: © Sempé
Robinsons Insel aus dem Roman ›Robinson Crusoe‹ von Daniel Defoe (Diogenes Taschenbuch 21364)
Die Insel Lilliput aus dem Roman ›Gullivers Reisen‹ von Jonathan Swift (Diogenes Taschenbuch 22590)
D Nr.4
Sommer 2010
Diogenes
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Zu Besuch bei John Irving
Sommer-Reisen Im Périgord mit Martin Walker Am Nordpol mit Ian McEwan Couch-Surfing mit Arnon Grünberg In Istanbul mit Yadé Kara Sommer-Spaß Spiele, Tests, Kreuzworträtsel
1410 Bücher oder Reisedestinationen:
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›Die Schatzinsel‹ aus dem gleichnamigen Roman von Robert Louis Stevenson (Diogenes Taschenbuch 20701)
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Die ChairmanInsel aus dem Roman ›Zwei Jahre Ferien‹ von Jules Verne (Diogenes Taschenbuch 20440)
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