Diogenes Magazin Nr. 7

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Nr. 7

Sommer 2011

Diogenes

Magazin

Martin Walker Leben und Schreiben im Périgord

Summer Looks & Books Welches Buch passt zu welcher Strandmode? Sommerzeit – Lesezeit Mit Urs Widmer nach Timbuktu, mit Doris Dörrie nach Torremolinos und mit Hansjörg Schneider nach Basel

www.diogenes.ch 4 Euro / 7 Franken

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Amuse-Bouche

Sommerzeit – Lesezeit. Aber weder Mücken noch meteorologische Widrigkeiten sind die schlimmsten Störenfriede beim sommerlichen Lesevergnügen, es sind vor allem nervige Nichtleser, die beim Bücherschwelgen stören. Wie schon letztes Jahr deshalb unser Sommergeschenk an alle Leser: das Türschild ›Bitte nicht stören. Ich lese‹. Diesmal mit einer Zeichnung von Jean-Jacques Sempé.

Balkonlesebuch

Spannende und entspannende Geschichten von Joseph Roth, Patricia Highsmith, Ingrid Noll, Bernhard Schlink, Doris Dörrie, Jakob Arjouni und anderen

Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 24044, 384 Seiten

Illustration: © Jean-Jacques Sempé; Foto Titelseite: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

Leider war jemand schneller als Sie und hat das Türschild schon herausgenommen. Ein Buchtipp für alle, die in den Ferien zu Hause bleiben, ist das ›Balkonlesebuch‹: »Unterhaltsame, zwischen zwei Drinks weg­ zulesende Kurzgeschichten – etwa von Her­ mann Hesse, Patricia Highsmith, Bernhard Schlink und Doris Dörrie. Im Eingangskapitel schreibt Erich Kästner: ›Man sollte lieber nicht auf Reisen gehen, sondern auf dem Bal­ kon sitzen bleiben.‹ Mit solchem Trost reist es sich noch schöner in Gedanken« (Die Zeit, Hamburg).

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Ersatz für das leidige

Editorial Anstelle eines langweiligen Editorials hier ein Sommergedicht von Rainer Brambach: Im Juli und August

Aus: Rainer Brambach, Gesammelte Gedichte (Diogenes, 2003)

Neu

Diogenes Kinder-Magazin 1 Einfach das Diogenes Magazin umdrehen, und schon fängt der Spaß für Kinder an: Auf 16 Seiten finden kleine Leser spannende Geschichten vom kleinen Nick oder von Emil, dem hilfreichen Tintenfisch, und eine Menge Spiele und Mitmach-Ideen.

Zum Lesen Nr. 7

Sommer 2011

Diogenes

Magazin

Martin Walker Leben und Schreiben im Périgord

Summer Looks & Books Welches Buch passt zu welcher Strandmode? Sommerzeit – Lesezeit Mit Urs Widmer nach Timbuktu, mit Doris Dörrie nach Torremolinos und mit Hansjörg Schneider nach Basel

Alles inklusive 44 Ein Auszug aus dem neuen Roman von Doris Dörrie In Timbuktu 60 Eine Erzählung von Urs Widmer

Sommer 2011 The look & the book 31 Welche Strandmode passt zu welchem Buch? Eine literarische Modestrecke mit passenden Romanen aus den 1930er-, 50er-, 60er-, 80er-Jahren und von heute. F. Scott Fitzgerald, Patricia Highsmith, Ian McEwan, Philippe Djian und Tim Krohn führen zu Schauplätzen am Meer, von der Côte d’Azur bis zur Ostsee. Sommer-Lektüre 42 Mit diesen Taschenbüchern machen Sie am Strand garantiert eine gute Figur.

www.diogenes.ch 4 Euro / 7 Franken

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Ab sofort können Sie das Diogenes Magazin auch auf Ihrem iPad lesen. Die PDF-Ausgabe als Download finden Sie unter www.diogenes.ch 2

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Amuse-Bouche Schaufenster Abo-Service Impressum Vorschaufenster

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Sommer-Horoskop 56 Wie wird der Sommer garantiert nicht? Adam Davies hat ein abstruses Sommer-Horoskop erfunden.

Illustration links: © Tomi Ungerer; Foto: Nadine Ottawa für Diogenes Verlag

Seit Jahren, im Juli und August, wenn die Villen, Ämter, Schulhäuser und Fußballplätze verödet sind, bekomme ich täglich Grüße von fern. Der Briefträger wirft einen Alphornbläser samt Gebirge, die Seufzerbrücke, den Denker von Rodin, einen Serben in Pluderhosen, auch das schilfbestandene Ufer einer Nordseeinsel in meinen Kasten. Freunde erinnern sich meiner, nachdem sie ohne mich fortfuhren.


Diogenes Magazin Nr. 7

Illustration: © Jiří Slíva; Foto links: © Lucian Hunziker / www.lucianhunziker.com; Foto Mitte: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag; Foto rechts: Bernd Fischer

Inhalt

Hansjörg Schneiders Basel 68 Hansjörg Schneider lebt seit Jahren in Basel, wo auch sein Kommissär Hunkeler ermittelt. Eine persönliche Hommage an die Stadt zwischen drei Ländern, die eine Reise wert ist.

Hinter den Kulissen Die Diogenes Botschafterinnen 80 Sie sorgen dafür, dass Diogenes Bücher weltweit in bis zu 61 Sprachen in über 50 Ländern zu lesen sind.

Martin Walker 10 Er ist mit seinen Périgord-Krimis um Bruno, den sympathischen Chef de police, berühmt geworden. In einem Interview spricht er über seine Leidenschaft für Land, Leute und Küche des Périgord. Außerdem enthüllt Martin Walker in einem Essay die Geheimnisse einer der teuersten Delikatessen der Welt: der Trüffel. Um sie dreht sich auch alles in Martin Walkers neuem Roman Schwarze Diamanten.

Rubriken Lesefrüchtchen 14

Astrid Rosenfeld – Shooting Star 22 Sie hat mit Adams Erbe einen Debütroman geschrieben, den die Leserinnen und Leser sofort ins Herz geschlossen haben. Brigitte Ulmer hat die junge Autorin in Berlin besucht.

Interviews Martin Walker 4 Christian Schünemann 64 befragt von seinem Autoren­­kollegen Friedrich Dönhoff

Owl’s Eye 91 Ist Lesen sexy? (2. Teil)

Bielefeld & Hartlieb  Das neue Krimi-Autorenduo

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Außerdem: Wer schrieb hier? Gewinnspiel

Amélie Nothomb

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Denken mit Karl Kraus 25 Die einsame Insel Ingrid Noll

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Top 10 Blumen & Unkraut von Maria Elisabeth Straub

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Mag ich – Mag ich nicht 94 Astrid Rosenfeld

Ausserdem Jakob Arjouni 29 Eine Hommage von Manfred Papst Diogenes Magazin

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»Martin Walker hat eine der schönsten Regionen Frankreichs zum Kri­ miland erhoben und damit überhaupt erst für die Literatur erschlossen. Er ist nicht nur ein großer Liebhaber Frankreichs, er ist auch einer sei­ ner besten Kenner. Es muss die Franzosen ja wurmen, dass ausgerech­ net dieser Schotte eine Region für die Literatur erobert hat, die bislang stumm war, obwohl sie von kulturellem Reichtum nur so überfließt.«

Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

Tilman Krause / Die Welt, Berlin

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Interview

Ein Interview mit Martin Walker

Das Périgord – ein Paradies nicht nur für Krimi-Fans

Foto: © france-voyage.com

Ein Mann kommt ins Schwärmen: Martin Walker erzählt Verführerisches über »die Wiege der Menschheit«, das Périgord in Frankreich, seine persönliche Leidenschaft für Land, Leute und Küche. Man möchte nur noch eins – sofort hinreisen! Oder Martin Walkers Bücher lesen. Diogenes Magazin: Wie haben Sie die Region Périgord entdeckt? Martin Walker: Das erste Mal habe ich das Périgord vor etwa 35 Jahren besucht. Ich war damals in eine hinreißende junge Frau aus Amsterdam verliebt, und Freunde hatten uns an­ geboten, ihr Häuschen in der Nähe von Les Eyzies zu nutzen. So ver­ brach­­­ten wir dort eine traumhaft romantische Woche, so romantisch aller­ dings, dass wir von der Gegend nicht allzu viel gesehen haben … Aber mir gefielen das Essen, die Landschaft, die Flüsse und dieser Hauch von Geschichte, der einen anweht, wenn man sich an dem einzigen uns bekannten Ort auf dieser Erde befindet, der seit 40  000 Jahren ununterbrochen von Menschen bewohnt wird. Später zogen liebe französische Freunde dorthin, und wir besuchten sie regelmäßig. Langsam, aber sicher verzauberte uns das Périgord, bis wir schließlich selbst ein Haus dort kauften. Wie haben Sie das Haus gefunden? Ich war als Journalist in Washington im Weißen Haus und wartete auf ein

Gespräch mit Präsident Clinton, als meine Frau anrief und sagte, ich solle alles stehen und liegen lassen, was immer ich auch gerade machte, und das nächste Flugzeug nach Paris nehmen – sie habe das perfekte Haus für uns gefunden. Gut, ich brachte erst meine Reportage zu Ende und flog dann

Diese Region hat mehr Geschichte aufzuweisen als fast der ganze Rest Europas zusammen. nach Paris; meine Frau holte mich mit dem Wagen ab, und wir fuhren hin. Als wir den Hof betraten, verliebte ich mich auf der Stelle in das Anwesen. Es ist ein altes Bauernhaus aus Stein mit einer großen Scheune, die wir als Gästehaus und Esszimmer für besondere Gelegenheiten restauriert haben, mit einer riesigen Küche. Die alten Ställe bauten wir zu einem separaten Haus für unsere Kinder um; aus dem Taubenschlag wurde ein Zimmer, in dem

ich schreiben kann, und einen weiteren Schuppen, in dem früher Tabakblätter getrocknet wurden, richteten wir als Atelier für meine Frau her. Wir ließen ein Schwimmbad bauen, legten einen Garten an und erneuerten die Abwasserleitungen. Es gab eine Menge zu restaurieren und viel Arbeit, aber jedes Mal, wenn ich herkomme, weiß ich, dass es die Mühe wert war. Wurden Sie und Ihre Familie von den Nachbarn und der Dorfgemein­ schaft sofort akzeptiert? Einmal verbrachte ich den ganzen Winter im Périgord, um ein Buch zu schreiben. In dieser Zeit wurde ich von unserem Dorf vereinnahmt und fand mich unversehens fest in sein Leben eingebunden – nicht zuletzt dank des Ortspolizisten, der mein Tennispartner wurde. Und kurz nach unserem Einzug hatte der Baron, einer unserer nächsten Nachbarn, unseren Hund gefunden, der sich durch ein Loch im Zaun davongemacht hatte, und brachte ihn uns zurück. Ich bot ihm ein Glas guten schottischen Whisky an, und seitdem sind wir Diogenes Magazin

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mit Bruno gedreht werden soll; seine Frau und er wollten Fotos der Schauspieler sehen, die für die Rolle in Betracht kamen. Haben neben Bruno andere Figuren aus Ihren Romanen reale Vorbilder? Der Baron ist einer wirklichen Person nachempfunden, auch der Landwirt Stéphane und der Bürgermeister von St. Denis, aber wie jeder Schriftsteller verwende ich, was ich kenne, und erfinde dann Geschichten oder Ereignisse oder Charakterzüge darum herum. Einige Leute behaupten, in der verrückten Engländerin stecke sehr viel von meiner Frau, aber wenn das stimmen sollte, war es keine Absicht (das muss ich hier anmerken, für den Fall, dass meine Frau dies liest!). Wenn Sie einen Werbeslogan für das Périgord erfinden müssten – wie würde der lauten? Der offizielle Werbespruch lautet »le berceau de l’homme« – die Wiege der Menschheit. Meine Freunde nennen es »unser Eckchen vom Paradies«. Recht haben sie beide. Mir fällt ein, was die Deutschen zu einem guten Leben sagen, nämlich »Leben wie Gott in Frankreich«, und fände deshalb als Werbespruch gut: »Périgord – wo Gott Ferien macht«. In Ihrem zweiten Bruno-Roman Grand Cru geht es vor allem um Wein. Die Weine aus dem Périgord sind nicht so bekannt wie die aus dem Bordelais – warum? Die großen Bordeaux-Weine sind vorzüglich und wahrscheinlich unvergleichbar, aber es gibt eine historische Erklärung dafür, dass die Weine aus dem Bergerac nicht so bekannt sind. Als im 19. Jahrhundert die Reblausplage die französischen Weinlagen befiel, war Bergerac neben der Region um Cognac eines der größten Weinbaugebiete Frankreichs. Im Bordelais bauten die Winzer ihre Lagen mit amerikanischen Rebstöcken wieder auf. In der Dordogne hingegen und in weiten Teilen des Bergerac entschieden sie sich für den Anbau von Tabak, was zu jener Zeit lukrativer war. Aber jetzt stirbt der Tabakanbau aus, und man besinnt sich wieder auf den Weinbau.

Foto oben und Mitte: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag; Foto unten: © france-voyage.com

Freunde. Wenn ich irgendwann im Laufe des Jahres für ein paar Tage zurückkomme, brauche ich nie selbst zu kochen – jeden Abend laden mich Freunde zum Essen ein. Was gefällt Ihnen am besten im Péri­ gord? Wo soll ich da anfangen? Ich liebe das Essen, den Wein, das Klima, meine Freunde und Nachbarn, den Geruch der Luft und den Geschmack des Wassers, den Anblick der Städte und Gebäude und die Art, wie sich all dies mit einem intensiven Geschichtsbewusstsein verbindet, das ich stets verspüre, wenn ich hier bin. Denn diese Region hat mehr Geschichte aufzuweisen als fast der ganze Rest Europas zusammen, angefangen bei der prähistorischen Höhlenkultur, die hier vor rund 40  000 Jahren ihren Anfang nahm. Dann kam die Zeit der Römer, als Périgueux eine bedeutende Provinzhauptstadt war, und im Mittelalter war die Region eines der Hauptschlachtfelder im Hundertjährigen Krieg zwischen Franzosen und Engländern. Nicht umsonst nennt man das Périgord auch das Land der 1001 Burgen. Dazu die wundervolle Küche, die Landschaft, das Klima, und außerdem gibt es immer etwas zu unternehmen, seien es das Theaterfestival in Sarlat oder die Jazzkonzerte in Périgueux, Kanufahrten auf den Flüssen und Fahrradtouren durch die ganze Region. Mittlerweile kommen jeden Sommer Freunde und Familienangehörige hierher, und es macht mir Spaß, den Fremdenführer für sie zu spielen und neue Restaurants, Schlösser, Sehenswürdigkeiten und Weinberge aus­findig zu machen. Das Périgord wird nie langweilig. Wie haben Ihre Freunde im Périgord reagiert, als sie erfuhren, dass Sie eine Romanserie schreiben, die in der Gegend spielt? Bislang hat sich noch keiner meiner Freunde oder Nachbarn beschwert, am wenigsten mein Freund, der Ortspolizist, der das Vorbild für Bruno abgegeben hat. Das erste Buch ist ihm gewidmet, und er war ganz aus dem Häuschen, als er hörte, dass ein Film


Foto oben: © france-voyage.com; Foto Mitte und unten: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

Können Sie auch selber Wein ma­ chen? Ich mache jedes Jahr meinen eigenen vin de noix, wie es mir der Baron gezeigt hat, und die Trauben aus meinem Garten werden von Jo, einem Nachbarn, der zugleich Landwirt ist, mitgekeltert. Wenn ich zur rechten Zeit im Périgord bin, helfe ich bei der Weinlese und beim Keltern. Worum geht es im neuen Bruno-Ro­ man Schwarze Diamanten? Der dritte Bruno führt uns zu den Trüffeln, also mitten ins Herz der französischen Gastronomie. Er handelt von den Betrügereien im Trüffelhandel und der wachsenden Rivalität zwischen chinesischen und vietnamesischen Immigrantengangs. Meine Recherchen führten mich dabei über den Trüffelhandel zur Geschichte der Franzosen in Vietnam und zu ihren Kriegen in den 1950er-Jahren gegen Ho Chi Minh und die vietnamesischen Nationalisten. Bei den Nachforschungen half mir ein Freund aus der Gegend, der früher eine Schlüsselposition im französischen Geheimdienst besetzte. Doch beim Schreiben war das Schwierigste, mit Brunos komplizierten Frauenbeziehungen um­­zu­gehen. Der historische Hintergrund Ihrer Romane ist so detailliert und ortsbe­ zogen. Ist Geschichte eine Leiden­ schaft von Ihnen? Ich habe Geschichte in Oxford studiert und lese gern Geschichtsbücher, so viele, dass meine Frau mir droht, ich dürfe keine weiteren kaufen, weil wir keinen Platz mehr haben. Ich forsche gern in Archiven und habe deshalb viele Stunden im Centre Jean Moulin in Bordeaux verbracht, einem der besten Archive zur Résistance im Zweiten Weltkrieg. Der Vater meines Freundes, des Barons, hatte eine Widerstandsgruppe nördlich von Paris geleitet, war von der Gestapo festgenommen und nach Mauthausen deportiert worden, wo er zum Glück überlebte. So konnte ich die Archive des Barons nutzen und habe dort auch die Gedichte seines Vaters gelesen. Der Baron selbst hat im Algerienkrieg gedient, und ich habe seine

Erinnerungen daran verwertet, ins­be­ sondere im neuen Roman. Bruno war, bevor er Dorfpolizist wurde, als Soldat in einem Friedens­ einsatz in Bosnien. Die Beschrei­ bung der Landschaft und viele Ein­ zelheiten klingen sehr persönlich. Haben Sie selbst längere Zeit im ehe­ maligen Jugoslawien verbracht? Ich war in jedem der Länder, aus denen Jugoslawien früher bestand, und das sowohl während des Krieges als auch davor und danach. Die Narben sind noch immer nicht verheilt, aber selbst in Bosnien hat sich so etwas wie Frieden eingestellt. Und ich kannte einige Angehörige der britischen und französischen Friedenstruppen, die, wie Bruno, versuchten, einen Frieden zu wahren, wo es keinen zu wahren gab, und das unter den hoffnungslos restriktiven und wirklichkeitsfremden Einsatzregeln, die die Vereinten Nationen vorgegeben hatten. Eine der Geschichten, die sie mir erzählten, habe ich Brunos Werdegang zugrunde gelegt. Schwarze Diamanten enthält wieder opulente Kochszenen und Rezepte. Erfinden Sie die Rezepte in Ihren Romanen, oder stammen sie aus dem Périgord? Einige der Rezepte stellen klassische Périgord-Küche dar, wie meine Nachbarn sie mir beigebracht haben. Mein Freund, der Ortspolizist, hat mir gezeigt, wie man Schnepfen brät oder mit Trüffeln kocht, und wenn ich beim Kochen ein Problem habe, kann ich stets meine Frau fragen. Es hat uns viel Spaß gemacht, das Menü für ein neues Fusion-Restaurant mit asiatisch angehauchter Périgord-Vert-Küche zu­­­sammenzustellen, das ich mir für Schwarze Diamanten ausgedacht habe. Und ich habe hier einen deutschen Freund, der seinen Fisch selbst räuchert – das wird wahrscheinlich in einem der künftigen Romane vorkommen. Sind Sie ein guter Koch? Kochen Sie gemeinsam mit anderen oder lieber allein? Meine Frau schreibt Kochbücher und ist eine großartige Köchin; also bin Diogenes Magazin

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Fotos: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

ich verwöhnt. Ich koche gern, bin aber kein Profi. Ich kann ein fabelhaftes englisches Frühstück zubereiten, mit Wurst, Speck, Spiegeleiern, Pilzen, Tomaten und Toast mit englischer Orangenmarmelade, und setze das gern französischen Freunden vor. Mir gelingt ein recht ordentliches Bœuf Bourguignon, und Gambas Pili-Pili zu machen habe ich in Afrika gelernt. Ich koche gern Currygerichte, mit denen ich französische Freunde überrasche. Ich bin experimentierfreudig und habe einmal eine Mangosauce kreiert, die gut zu Fisch passt. Gelegentlich backe ich Brot oder auch Apfelkuchen. Mit solchen Sachen hatte ich angefangen, als unsere Kinder klein waren und wir alle in der Küche zusammenhockten und kochen lernten. Kochen ist am schönsten im Freundes­ kreis oder mit der Familie, wenn man sich dabei unterhält und ein Glas Wein trinkt. Welcher ist Ihr Lieblingswein aus der Gegend? An einem denkwürdigen Tag – meine Frau hatte Geburtstag – gönnten wir uns gemeinsam mit unseren erwachsenen Kindern eine Flasche 1961er Lafite, die ich gekauft hatte, als unsere älteste Tochter geboren wurde. Er war hervorragend, aber das könnte ich mir nicht jeden Tag leisten. Meistens trinken wir heimische Weine aus dem Bergerac, und wenn mir nach etwas Besonderem ist, einen Château de la Jaubertie, Cuvée Mirabelle, oder einen der großen Weine meines Freundes Charles Martin von La Colline Côté Sud oder einen Clos d’Yvigne von Patricia Atkinson, einer wundervollen Winzerin, die eine gute Freundin meiner Frau ist. Sie alle beweisen, wie hervorragend Bergerac-Weine sein können. Als Weißwein trinke ich gern einen guten deutschen Riesling oder einen Gewürztraminer, aber mir gefällt auch ein Grüner Veltliner aus Österreich oder ein Sauvignon Blanc aus Neuseeland, der Cloudy Bay heißt. Was ist Ihr Lieblingsgericht aus dem Périgord? Ich mag Foie gras, besonders mit einem Glas kühlem Monbazillac dazu,

aber das kann man nicht ständig essen. Und ich mag Confit de Canard, aber auch das nicht jeden Tag. Ich liebe es auch, wie meine Frau Entenbruststreifen macht, mit einer Sauce auf Honigbasis. Ich bewundere den Aillou-Käse, den mein Freund Stéphane macht, und seinen Tomme d’Audrix, auch, weil ich die Kühe persönlich kenne, aus deren Milch er hergestellt wird. Ich schwärme für die Trüffelomelettes, die meine Freunde machen. Und ich bin jedes Jahr wieder gern dabei, wenn mein Freund Stéphane ein Schwein schlachtet und wir alles verwerten, selbst die Innereien, um Würste daraus zu machen (sämtlichen EU-Vorschriften zuwider, aber wie meine französischen Nachbarn habe ich nie viel davon gehalten, offensichtlich blödsinnige Gesetze zu beachten). Am besten gefällt mir daran, dass alles, was wir essen, aus einem Umkreis von 10 Kilometern um unser Haus stammt.

kam / Aus dem Englischen von Claus Sprick

Buchtipp

Martin Walker

Schwarze Diamanten

Der dritte Fall für Bruno, Chef de police Roman · Diogenes

352 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06782-8 Auch als Diogenes Hörbuch

Was haben Trüffeln mit Frankreichs Kolonialkrieg in Vietnam und mit chinesischen Triaden zu tun? Die Lösung von Bruno Courrèges’ drittem Fall ist so tief vergraben wie die legendären schwarzen Diamanten unter den alten Eichen im Périgord – und genauso schwer zu finden.

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Essay

Martin Walker

Schwarze Diamanten In Martin Walkers neuem Roman Schwarze Diamanten steht natürlich wieder Bruno, Chef de police des kleinen Dorfs Saint-Denis im Périgord, im Mittelpunkt. Doch eine schwarze Knolle stiehlt ihm fast die Show: die Trüffel. Martin Walker enthüllt uns hier einige Geheimnisse dieser Delikatesse, die zu den teuersten der Welt zählt.

Fotos: © Hans-Peter Siffert / weinweltfoto.ch

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rgendjemand hat einmal gesagt, Golfspielen sei wie ein verdorbener Spaziergang. Ein alles andere als verdorbener Spaziergang ist die Suche nach Trüffeln, sofern sie von Erfolg gekrönt ist. Glück spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Wer um die Jahreswende in bestimmten Gebieten Frankreichs, begleitet von einem geeigneten Hund, durch die richtigen Wälder wandert, wird mit großer Wahrscheinlichkeit fündig. Nicht, dass man automatisch damit rechnen kann, einen echten schwarzen Diamanten, also einen großen dunklen Tuber melanosporum, zu finden, der für über tausend Euro pro Kilo auf dem Markt gehandelt wird. Aber ein kleinerer brumale – eine qualitativ etwas weniger wertvolle Unterart – dürfte sich aufstöbern lassen. Wenn Ihr Hund sie zu der richtigen Stelle unter einer Eiche führt oder Sie dort den Kreis aus dunkler, fast verkohlt wirkender Erde sehen, der das Vorkommen von Trüffeln markiert,

oder wenn Ihnen ein Schwarm tanzender Trüffelfliegen auffällt, können Sie sich auf eine schöne Überraschung freuen. Wenn Sie die Erde über den tief im Boden steckenden Trüffeln vorsichtig entfernen, steigt Ihnen ein schwerer, berauschender Duft entgegen, der an

Trüffeln riechen nach Wald und Humus – es kommt fast einer heidnischen Offenbarung gleich. Moschus erinnert. Die Knolle fühlt sich merklich wärmer an als das sie umgebende Erdreich. In Papier gewickelt und zu Hause in einem geschlossenen Raum ausgepackt, kommt ihr Duft besonders gut zur Geltung. Es riecht nach Wald und Humus und kommt fast einer heidnischen Offenbarung gleich.

Manche verbinden mit Trüffeln religiöse Empfindungen. Der Prophet Mohammed hielt sie für das Manna der Kinder Israel, die von Moses durch die Wüste geführt wurden, und empfahl ihren Saft zur Behandlung von Augenkrankheiten. Auch die Römer liebten Trüffeln. Wohl wegen der verkohlt erscheinenden Erde, die sie bedeckt, glaubte Plutarch, dass diese Pilze von Blitzeinschlägen herrühren. Cicero nannte sie durchaus zutreffend »Kinder der Erde«. Anstatt selbst im Wald nach frischen Trüffeln zu suchen, kann man sie auch auf bequemerem Weg finden, etwa bei einem Besuch der französischen Kleinstadt Sainte-Alvère an einem Montag­­ morgen im Januar um neun Uhr dreißig, wenn der Trüffelmarkt öffnet. Besser noch, man ist schon um acht Uhr zur Stelle, wenn die Händler aufkreuzen, ihre Ware anmelden und in dem kleinen Café gegenüber dem Markt einen Kaffee und ein Croissant Diogenes Magazin

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Markt von Richerenches im Département Vaucluse. Doch mein Lieblingsmarkt ist der von Sainte-Alvère, denn die hier verkauften Périgord-Trüffeln passen ausgesprochen gut zu den heimischen Spezialitäten und den Weinen aus Bordeaux und Bergerac. Trüffeln schmecken ausgezeichnet zu Eiern. Es empfiehlt sich, eine Knolle einen Tag lang zusammen mit Eiern zu lagern, bevor man sie zu einem Omelett verarbeitet, denn dann überträgt sich das Aroma am besten. Man nehme einen gut gereiften, cremigen Käse wie den echten Brie de Meaux und schneide ihn der Länge nach auf, stecke einige hauchdünne Trüffelscheiben in den Schnitt und lasse das Ganze einen Tag ruhen. Man könnte glauben, der Käse sei erwach­­ sen geworden und zur Universität gegangen, er habe ein Vermögen geerbt und alles Geld für Champagner und teure Frauen ausgegeben. Zumindest habe ich diesen Eindruck; meine Frau behauptet hingegen, dies sei eine typisch männliche Assoziation. Trüffeln erinnern sie an ihre Stillzeit und den Duft neugeborener Babys. Wir haben es hier also mit einer klassisch symmetrischen Verteilung zu tun; wenn Männer im Zusammenhang mit Trüffeln an Sex und Frauen an Babys denken, spielen wir am Ende doch in derselben Liga. Vielleicht stehen Périgord-Trüffeln deshalb in dem Ruf, sowohl die männliche Zeugungskraft als auch die Fruchtbarkeit der Frauen zu stärken. Wenn an diesen legendären Zuschreibungen etwas dran ist, wird sich der Verzehr von Trüffeln vielleicht positiv auf unsere Libido auswirken und für mehr Kinder sorgen. Der Trüffelhandel boomt, und nachdem seine Belieferung über viele Jahre fast ausschließlich die Sache einsamer Jäger mit ihren Hunden war, versucht man nun wieder, Trüffeln in Plantagen zu kultivieren, was zu einer Steigerung des Angebots und sinkenden Preisen führen wird. Schon vor zweihundert Jahren hatten Franzosen damit begonnen, aus den Eicheln jener Bäume, unter denen Trüffeln gefunden worden waren, Nachwuchs

Fotos: © Hans-Peter Siffert / weinweltfoto.ch

zu sich nehmen. Was sich an einem solchen Montagmorgen dort abspielt, gleicht einem Theaterstück. Man kann dem neuesten Klatsch lauschen, zusehen, wie an den in Zeitungspapier eingeschlagenen dunklen Knollen geschnuppert wird, und die renifleurs beobachten, die mit scharfen Blicken das Treiben verfolgen, um festzustellen, wer was verkauft. Bei den renifleurs handelt es sich um Scouts und in den meisten Fällen um Einkäufer großer Hotels oder Spitzenrestaurants. Das Aufkommen des Online-Marktes hat sie in SainteAlvère ein wenig zurückgedrängt, aber eine wichtige Rolle spielen sie noch immer. Während der neunzig Minuten vor Öffnung des Marktes schlendern sie scheinbar beiläufig über die Hauptstraße und tauschen Blicke mit jenen Privatanbietern, die es vorziehen, außerhalb des Marktes Handel zu treiben, um sich die vier Euro Gebühr für einen Stand zu sparen. Fast alle von ihnen sind caveurs, das heißt einsame Jäger, die durch die Wälder des Périgord streifen und die kostbare Knolle aufspüren. Die caveurs stehen vereinzelt, meist mit einem geduldigen, klug dreinblickenden Hund zu ihren Füßen, und werfen argwöhnische Blicke auf die Konkurrenz. Sie tragen alte Mäntel, deren Taschen vollgestopft sind mit ihren Funden. An einem kalten Wintermorgen, wenn die schwache Sonne gegen Nebelschwaden ankämpft, machen sie einen geradezu unheimlichen Eindruck und wirken wie die Protagonisten eines Spionagefilms, die auf einen Kontaktmann warten. Meine Frau vergleicht sie mit Spannern, die eine wohlgeformte Hausfrau durchs Badezimmerfenster beobachten, und wenn man sie so auf einen vorbeikommenden renifleur lauern sieht, der ihre Ware begutachtet und ein Angebot macht, wirken sie tatsächlich ein wenig so. Es gibt noch andere Märkte, zum Beispiel den von Sarlat samstagmorgens zur Winterzeit oder den von Lalbenque in der benachbarten Provinz Quercy oder – weiter entfernt – den


für die Trüffelzucht zu schaffen. Heute kommen raffiniertere Methoden zur Anwendung. Anfang dieses Jahres gelang es Wissenschaftlern, das Genom des Tuber melanosporum vollständig zu sequenzieren. In Zukunft wird die Ernte wahrscheinlich sehr viel ergiebiger sein, zumal es unter anderem gilt, den rapide gestiegenen Bedarf an Trüffeln in China zu decken. Um 1900 produzierte Frankreich über tausend Tonnen Trüffeln im Jahr, die Ausbeute in den vergangenen Jahrzehnten war jedoch nur ein Bruch­ teil dessen, meist weniger als fünfzig Tonnen. Gründe für diesen Rückgang waren unter anderem veränderte Ernährungsgewohnheiten und Landflucht. Aber werfen Sie einmal einen Blick auf Escoffiers Rezept für seinen berühmten Jockey-Club-Salat, hergestellt aus Hühnerfleisch, Spargel und Trüffeln zu gleichen Teilen. Zu seiner Zeit konnten sich nur wenige dieses Gericht leisten. Aber wenn die Trüffelkulturen einlösen, was sie versprechen, könnte es in rund zwanzig Jahren für jedermann erschwinglich sein.

352 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06782-8 Auch als Diogenes Hörbuch

Aus dem Englischen von Michael Windgassen

»Bücher bilden sich in den Seelen vielleicht ebenso geheimnisvoll, wie in den duften­ den Ebenen von Périgord die Trüffeln sprießen.«

384 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06750-7 Auch als Diogenes Taschenbuch und Hörbuch

Foto: © Kilian Kessler / Diogenes Verlag

Honoré de Balzac

Diogenes Taschenbuch detebe 24046, 352 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch

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Serie

»Sie wetteiferten mit Zitaten aus ihren Lieblingsbüchern und lachten viel.« Aus: Meir Shalev, ›Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staub­ sauber‹ – das neue, soeben erschie­ nene Buch von Meir Shalev »Zum Zeitpunkt des Erdbebens war ich gerade auf dem Weg, meinen Sohn vom Kindergarten abzuholen. Mein Mann fuhr mich dorthin. Durch die schweren Erschütterungen hatte er aber keine andere Wahl, als am Straßenrand anzuhalten. Durch die Autofenster sah ich in der Ferne riesige Gebäude wanken, und ich dachte: ›Große Probleme stehen uns bevor.‹ Zum Glück war mein Sohn im Kindergarten in Sicherheit, und wir konnten auch sicher nach Hause gelangen. Es gab keine größeren Schäden an unserem Haus, nur zerbrochenes Glas in den Bilderrahmen und einige Bücher, die aus dem Regal gefallen waren  … Mein Herz bricht beinahe angesichts der großen Zahl der Opfer in diesem Desaster, aber andererseits helfen die Überlebenden sich gegenseitig. Ich glaube, ein Schriftsteller sollte den Menschen Hoffnung geben, ganz egal, wie die Situation ist.« Auszüge aus einem Artikel von Banana Yoshimoto auf ›Spiegel online‹, fünf Tage nach dem Erd­ beben in Japan. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann und Sohn in Tokio. Sich im Winter zu verlieben ist keine gute Idee. Die Symptome sind grandioser und schmerzhafter. Das reine Licht begünstigt den krankhaften Genuss der Erwartung. Kälteschauer steigern das Fieber. Wer

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sich zum Luciafest verliebt, zittert und bebt drei Monate lang. Andere Jahreszeiten kokettieren mit kleinen Nettigkeiten wie Knospen, Beeren, Blättern, auf die sich die Seele stürzen kann. Amélie Nothomb, ›Winterreise‹ (Diogenes 06778, Leinen). Einge­ schickt von Bianca Dobler, Wien Schicken Sie uns bitte Ihre Lieblings­­ sätze aus einem Diogenes Buch. Jedes veröffentlichte Zitat wird mit einem Bücherpaket im Wert von € 50.– honoriert. Bitte per E-Mail an kam@diogenes.ch oder auf einer Postkarte an: Diogenes Magazin, Sprecherstr. 8, 8032 Zürich, Schweiz Warum Rücksicht nehmen, ist doch Familie. Denn nach meiner Beobachtung ist Familie oft ein Platz, wo die Leute meinen, sie müssten sich nicht benehmen. Jakob Arjouni, ›Cherryman jagt Mr. White‹ (Diogenes 06755, Leinen) In Oreanda saßen sie auf einer Bank, nicht weit von der Kirche, schauten hinunter auf das Meer und schwiegen. Jalta war im Morgennebel kaum zu sehen, über den Gipfeln der Berge hingen unbeweglich weiße Wolken. Es regte sich kein Blatt an den Bäumen, die Zikaden zirpten, und das eintönig dumpfe Brausen des Meeres, das von unten heraufdrang, sprach von Ruhe, von dem ewigen Schlaf, der uns erwar-

»Aber auf CNN haben sie doch gesagt, es geht um islamische Fundamentalisten.« – »Das sagen die Amerikaner schon, wenn einer in zweiter Reihe parkt!«, konterte Brunetti auf­ gebracht. Donna Leon, ›Blutige Steine‹ (Diogenes Taschenbuch 23665). Eingeschickt von Matthias Nicolai, Alsfeld »Mit dem Alkohol ist es wie mit der Liebe«, sagte er. »Der erste Kuss ist magisch, der zweite vertraut, der dritte schon Routine. Danach dann zieht man das Mädchen aus.« Raymond Chandler, ›Der lange Abschied‹ (Diogenes Taschenbuch 20207). Eingeschickt von Alexander Scheitz Große Menschen reden über Ideen, normale Menschen reden über Ereignisse, kleine Menschen reden über andere. Ian McEwan, ›Solar‹ (Diogenes 06765, Leinen). Eingeschickt von Rosmarie Streicher Meistens redet er überhaupt nicht, schon gar nicht bei Tisch, denn da kaut er lieber am Essen als an langen Sätzen herum. Tomi Ungerer, ›Kein Kuss für Mutter‹ (Diogenes 06489, Leinen). Eingeschickt von Claudia Pomowski Die Welt ist eine Pulverfabrik, in der das Rauchen nicht verboten ist. Friedrich Dürrenmatt

llustration: © Tomi Ungerer

Lesefrüchtchen

tet. So hatte es dort unten gerauscht, als es hier weder Jalta noch Oreanda gab, so rauscht es jetzt, und ebenso gleichgültig und dumpf wird es rauschen, wenn wir einmal nicht mehr sein werden. Anton Čechov, ›Die Dame mit dem Hündchen‹ (Diogenes Taschenbuch 20266). Eingeschickt von Wiebrecht Ries, Hannover


os * Triod p. a. s a D % 1,3

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Bewusst leben, bewusst einkaufen und jetzt auch: bewusst Geld anlegen.

Stand 25.03.2011 (Anpassung vorbehalten)

Foto: PHOTOCASE

mit t z t Je as w d l Ge en! g e bew Tagesgeld

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15 TLB Diogenes Magazin


Schaufenster

Cover Writers »Literature is news that stay news.« Gertrude Stein

Diogenes Autoren prominent auf diversen Magazincovern:  Miranda July, Rolf Dobelli, Astrid Rosenfeld, Laura de Weck, Donna Leon und Tomi Ungerer

Schmunzeln, spenden – und Briefe verschicken: Vier von Loriots bekanntesten Cartoon-Szenen zieren die neue Wohlfahrtsmarken-Serie der Deutschen Bundespost. Mit dabei Loriots sprechender Hund, die Herren Müller-Lüdenscheidt und Doktor Klöbner sowie das Quietscheentchen. In Zeiten, in denen neben dem Buch auch der Brief zusehends zu einem aussterbenden Medium wird, sei Loriots Ratschlag in Erinnerung gerufen: »Guter Briefstil will erarbeitet sein. Nur durch regelmäßige Lektüre verschiedener Privat- und Geschäftskorrespondenzen gelingt die Vervollkommnung der eigenen schriftlichen Ausdrucksform.«

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Diogenes Magazin

Goldene Diogenes Eule Jakob Arjouni ist Ende März in Zürich von Diogenes Geschäftsführer Winfried Stephan mit der »Goldenen Diogenes Eule« für eine Million verkaufte Bücher ausgezeichnet worden. Dieses nach einem Motiv von Tomi Ungerer gestaltete Ehrenzeichen, das Diogenes Autoren für über eine Million verkaufte Bücher oder für 25 Jahre im Verlag verliehen wird, haben bislang bereits unter anderem Dick Francis, Urs Widmer, Martin Suter, Patrick Süskind, Donna Leon, John Irving,

Ingrid Noll, Bernhard Schlink, Paulo Coelho, Tomi Ungerer, Ian McEwan und Hartmut Lange erhalten. Von Jakob Arjouni ist übrigens vor kurzem der Roman Cherryman jagt Mr. White erschienen, in dem Arjouni »ein heikles Thema anpackt und seine Aufgabe souverän meistert«, so die Neue Zür­ cher Zeitung am Sonntag, die weiter schreibt: »Seit jeher agiert Arjouni mit einer Leichtigkeit und Eleganz, von der viele seiner Zeitgenossen nur träumen können.«

Illustration oben: © Bosc; Illustration unten: © Loriot; Foto groß: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag; Foto ›Goldene Eule‹: © Diogenes Archiv

Philatelie


Verlag des Jahres Jährlich im Februar ist es so weit – die Oscars werden verliehen. Dieses Jahr fand das Spektakel bereits das 83. Mal statt – in Hollywoods berühmtem Kodak Theatre. Dagegen sehr unglamourös im kleinen Städtchen Meerbusch bei Düsseldorf ohne roten Teppich und erst zum 29. Mal, aber deshalb nicht weniger legendär ist der »Oscar« des Buchhandels, der in drei Kategorien vergeben wird: Autor, Buch und Verlag des Jahres. Die Auszeichnung vergibt das Branchenmagazin BuchMarkt, dessen Mitbegründer Christian von Zittwitz die Wahl ins Leben rief. Zum »Verlag des Jahres« wurde der Diogenes Verlag nun bereits zum zehnten Mal gewählt. Im Gegensatz zu der manchmal mysteriösen und un­

verständlichen Auswahl der Gewinner bei den Oscars entscheiden beim BuchMarkt-Award die »Betroffenen«, also die Buchhändler, direkt und selbst, und jeder nach seinen ganz eigenen Kriterien: Manch einem geht es um die literarische Qualität, um das Echo in den Medien, um Bestseller oder aber schlicht um Sympathie und vielleicht noch stärkere Gefühle. Laut BuchMarkt waren für die Diogenes Wähler ausschlaggebend: die Qualität der Diogenes Handelsvertreter, die kulanten Konditionen, das Marketing und natürlich das Programm. Für dieses Lob, welches wir daraus zu ziehen uns erlauben, möchte der Diogenes Verlag sich bei all den treuen Buchhändlerinnen und Buchhändlern von Herzen bedanken. Mit dieser Auszeichnung konnte der Diogenes Verlag die Führung in der »Ewigen Bes-

tenliste« der Wahl zum Verlag des Jahres auf stolze 45 Punkte ausbauen (gefolgt von den Verlagen Hanser und Rowohlt). Zum »Autor der Jahres« 2010 wurde übrigens Thilo Sarrazin gewählt, zum »Buch des Jahres« dessen umstrittener Bestseller Deutschland schafft sich ab. Schockierend? Nein, denn ein Wahlkriterium ist auch, ganz bodenständig, der Verkaufserfolg. Als 1995 Alfred Biolek zum Autor des Jahres gewählt wurde, der damals mit Kochbüchern die Buchhändlerkassen klingeln ließ, raunte das Feuilleton und fand es skandalös, dass ein Fernsehmoderator Autor des Jahres wurde. Aber auch die »geistigen Tankstellen der Bundesrepublik«, wie Helmut Schmidt den Buchhandel einmal genannt hat, brauchen Bestseller, um sich sozusagen nicht selber abzuschaffen.

Eigenanzeige

Diogenes Verlag des Jahres 2010

Gewählt von den deutschsprachigen Buchhändlerinnen und Buchhändlern

Illustration: © Jean-Jacques Sempé

Organisiert durch das Branchenmagazin BuchMarkt

Danke! Diogenes Magazin

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Diogenes

Diogenes

Denken mit Friedrich Nietzsche

Diogenes

Diogenes

Denken mit Mahatma Gandhi

Diogenes

Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat

Essays und Aphorismen über Philosophie und die Naturgeschichte der Seele, Gelehrte und Schriftsteller, Theater und Politik Diogenes

Denken mit Oscar Wilde

Extravagante Gedanken über die Magie der Schönheit und die allmächtige Kunst, Kritik als Schöpfung, das dekorative Geschlecht und die menschliche Tragikomödie

H. D.Thoreau

Denken mit Georg Christoph Lichtenberg

Denken mit

Diogenes

Diogenes

Denken mit Immanuel Kant

Albert Einstein Sigmund Freud

Diogenes

Diogenes

Maximen über Eigenliebe und Eitelkeit, Liebe und Verrat, Ruhm und Heuchelei, Tugenden und Laster

Denken mit W. Somerset Maugham

Diogenes

Diogenes

La Rochefoucauld

Denken mit Michel de Montaigne

und andere Essays

Diogenes

Sätze, Reflexionen, Verse und Prosastücke über Leben und Traum, Seele und Herz,Vernunft und Absurdes, Ästhetisches und Mystisches

»Es zwitschert eine Lerche im Kamin, wenn du sie hörst«, beginnt ein berühmtes Gedicht von Joachim Ringelnatz. Seit dem 12. Januar 2011 zwitschert auch Diogenes – nicht im Kamin, sondern im Internet auf Twitter und auf Facebook. Mehr als 1500 Fans hat der Verlag bereits auf Facebook – und 670  000 Beiträge wurden bis heute aufgerufen. Und es wird ›gezwitschert‹ und rege kommunziert. Als die Diogenes Facebookund Twitter-Masterin Susanne Bühler ein Plakat mit dem berühmten Satz von Ray Bradbury über den Geruch von Büchern postete, fing sofort eine lebhafte Diskussion an: »Liebe den Geruch neuer Bücher, deshalb kommt

Denken mit Johann Wolfgang Goethe

Denken mit Fernando Pessoa

drei Banker und ein Geldeintreiber umgebracht werden. Wenn er nicht schreibt, geht der griechische Bestsellerautor gefasster mit der Krise in Griechenland um. Bei seinem letzten Besuch in Zürich meinte Mar­ karis, als man ihn auf die Sanierung der griechischen Staatsfinanzen ansprach: »Am Ende bleibt uns nur das gute Wetter.« Als Motto hat Petros Markaris seinem neuen Roman übrigens ein Zitat von Bert Brecht aus der Dreigroschen­ oper vorangestellt: »Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«

Denken mit Johann Wolfgang Goethe

Diogenes

Denken mit Friedrich Dürrenmatt

Vor einem Jahr rief Petros Markaris beschwingt im Verlag an und lieferte gleich selbst die Erklärung für seine gute Laune. »Weißt du, was ich gerade tue? Ich lasse Banker ermorden!«, erzählte er seiner Lektorin Silvia Zanovello. Nun ist sein neuer Kriminalroman fertig, der im September bei Diogenes erscheint, den schönen Titel Faule Kredite trägt und natürlich von der Finanzkrise in Griechenland handelt. Dass Petros Markaris sehr viel Spaß am Schreiben des sechsten Falls für seinen Kommissar Kostas Charitos hatte, zeigt die Tatsache, dass im Roman

Facebook

Warum Krieg? Ein Briefwechsel Mit einem Essay von Isaac Asimov

Denken mit George Orwell

Über Skepsis und humorvolle Resignation, das Reisen und den Beruf des Schriftstellers

Diogenes

Weiße Taschenbücher für die grauen Zellen 18

Diogenes Magazin

Illustration: © Chas Addams

Petros Markaris


Illustration: © Tomi Ungerer

für mich kein E-Book in Frage!«, hieß es da zum Beispiel. Darauf die Antwort: »Es stimmt, Bücher riechen unterschiedlich – und das beeinflusst definitiv das Leseerlebnis. Ich hatte mal ein Buch, das nach (Flüster: Kotze) roch … Ich habe verdrängt, welcher Titel das war :).« Aber damit war die Duftdiskussion noch nicht zu Ende: »Ich mag es, wenn ein Buch nicht mehr ganz neu ist, das riecht dann irgendwie heimeliger und ein bissl nach meinem Bücherregal (wenn es eines von meinen ist). Schrecklich finde ich den Geruch von Zigarettenrauch, das setzt sich immer so tief ins Buch …« Darauf die Reaktion einer anderen Leserin: »Der Spruch ist gut, doch für mich sind Bücher eine eigene ›Duftklasse‹: Sie rie-

Denken mit Voltaire

Denken mit Blaise en Pascal Denkit et m ers Som aum nd ion, W. augkeh t is M ber Slle pRsesuignndadteenllers Ü Diogenes

Denken mit Fernando Pessoa

Diogenes

Denken mit Friedrich Schiller

Diogenes

Denken mit Federico Fellini

e dré ill AnSponv e t n n us Com Ka lismein? ta ch s i p Ka ralis mo Diogenes

Diogenes

ken Denmit aDenken vid y Deaumit n, r n atio ilis He Thournd ZivitGeorge und r e atu samk chaft, olitik N P s Orwell Von Ein eund t und r F chaf s sen

Wis

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Dio

Diogenes

»Wissen Sie, dass Bücher nach Muskatnuss oder anderen exotischen Gewürzen riechen? Als Junge habe ich immer gerne daran geschnuppert. Gott, was gab es früher schöne Bücher, ehe wir davon abkamen.« Aus ›Fahrenheit 451‹ von Ray Bradbury

Denken mit Friedrich Dürrenmatt

De nk Sc Armit en ho thu p dem Vo r wa m L en demhren a uf d ha ue W er d Pe ese Ze r der em Tssim n der it, o is D Le d m ben un us, inge , sku d nst

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Sätze, Reflexionen, Verse und Prosastücke über Leben und Traum, Seele und Herz,Vernunft und Absurdes, Ästhetisches und Mystisches

chen nach Büchern.« Die wohl schönste Bermerkung aber kam von einer Leserin, die schrieb: »Alte Bücher riechen definitiv besser, manchmal haben sie einen Lebkuchen-ähnlichen Duft  … Und ich kann mich erinnern, neue Schulbücher rochen immer ganz, ganz grauenhaft.«

Diogenes

Diogenes

Denken mit Karl Kraus

Sprüche und Widersprüche über Moral und Politik, Phantasie und Künstler, Frauen und Psychologen, Journalisten und Dummköpfe

Diogenes

Denken mit Ludwig Marcuse

Über Aufklärung und Abstumpfung, Einsamkeit und Engagement, Macht und Massenkultur, Vergänglichkeit und Vernunft

Di oge nes

De n Im mi ken ma t Ka nu nt eenl e nk De mit Wiladnkennheit, r nte GerdSchöKuns,t a c a de ge g t Di oge OsxtraiveaMg agllime äcShcthi öpfeuscnhlcehceh nes E r d e a l s e G li i a v ch e üb nd d itik rati en s ödie u Kr eko e m m s d di iko da und Trag es en og Di

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Denken mit … Diogenes Taschenbüchern Diogenes Magazin

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Portrait

Brigitte Ulmer

Liebe in bewegten Zeiten E

s gibt Leute, die behaupten, sie könnten in Gesichtern lesen. Kann man das? Als Casting Director für Kinofilme hat Astrid Rosenfeld es zumindest immer wieder versucht. Die Kölnerin sammelte Menschen wie Schmetterlinge und verknüpfte im Geist deren Gesichter mit Rollen für Filme. Etwa bei den deutschen Kinoerfolgen Muxmäuschenstill von Marcus Mittermeier und Knallhart von Detlev Buck. »Ich glaube, dass man viel erfährt, wenn man Menschen ins Gesicht schaut«, sagt sie. Die 34-Jährige mit den langen Locken und den katzenartigen Augen sitzt auf der Couch in der Dachwohnung ihrer Schwester, zündet sich eine Zigarette an und scheint nochmals über das Gesagte nachzudenken, während sie Rauchkringel in die Luft bläst. Die Frage, ob man in Gesichtern lesen kann, beschäftigt nicht nur sie

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Diogenes Magazin

selbst. Eine der Hauptfiguren ihres den der Familie Cohen findet Eddy, Romandebüts Adams Erbe ist sogar Modeboutique-Besitzer und Lebensüberzeugt, dass sich von Gesichtern flaneur, das Manuskript seines Großauf Charaktere schließen lässt. Die jü- onkels Adam, des schwarzen Schafs dische Edda, eine flamboyante Dame, der Familie. Das interessiert ihn nadie mit Vorliebe lange rote Samtklei- türlich brennend, denn Eddy ist der trägt, mokiert sich vor ihrem En- Adam nicht nur wie aus dem Gesicht kel Adam gern über Himmlers flie- geschnitten; er gilt in dieser Familie hendes Kinn und Hitlers fleischiges ebenso wie dieser als Enfant terrible Säufergesicht. Sie hat eine ganze Gale- und bekommt beides immer wieder rie mit Bildchen von Nazi-Größen an zu hören. Soeben hat ihn seine geliebdie Wand ihres Dachbodens gepinnt – te Amy verlassen, und in Agonie geeine Art Voodoo-Zauber, mit dem sie fangen, lässt er sich von der Lebensgedas Böse austreibt. Denn: Kann man schichte des Großonkels in Bann schlagen und erfährt dabei, wie dieLeute ernst nehmen, die so aussehen? Doch wir befinden uns in Berlin sem dasselbe Schicksal, nur in viel 1938: keine gute Zeit für deutsche Ju- schlimmeren – nationalsozialistischen den, die die Nationalsozialisten nicht – Zeiten widerfahren ist. Um seine große Liebe Anna wiederzufinden, ernst nehmen. Astrid Rosenfelds tragikomischer riskierte Adam ein halbes Jahrhundert Roman spielt im Berlin der dreißiger zuvor sein Leben: Er folgte ihr bis ins Jahre und dem Bohemien-Berlin von Warschauer Ghetto. heute, er erzählt von Familienmythen Raffiniert verschränkt Astrid Round von der Liebe. Auf dem Dachbo- senfeld die Lebensgeschichten von

Illustration: © Monica Valdivia

Wie weit ist man bereit, für die Liebe zu gehen? Wie sehr bestimmt die eigene Familiengeschichte das Leben? Astrid Rosenfeld baut um diese Fragen ihren höchst turbulenten tragikomischen Liebesroman Adams Erbe. Ein Besuch bei der jungen Autorin in Berlin.


Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

Adam und Edward Cohen und erzählt mit Souplesse eine berührende Liebesgeschichte vor dem beklemmenden Hintergrund der Nazi-Herrschaft. Sie beschreibt dabei eindringlich, welch ungeahnte Energien die Liebe freisetzen kann — besonders dann, wenn sie unerfüllt bleibt. Ein starkes Debüt, weil es das Traurige im Heiteren und das Heitere im Traurigen findet. Die Geschichte zu Adams Erbe sei langsam entstanden, erzählt Astrid

Rosenfeld. Zuerst im Kopf, über Kleinigkeiten, Bilder, Anekdoten aus dem Alltag im Nationalsozialismus, über Lebens- und Familiengeschichten. Ge­schichten von Krieg und Vertreibung ziehen sich auch durch Astrid Rosenfelds eigene Familien­ geschichte. Obwohl es ihr Name anders vermuten lässt, ist Rosenfeld nicht jüdisch. Ihre Mutter floh aus einer streng katholischen italienischen Generalsfamilie und heiratete Rosenfelds Vater, einen Kölner Zeitschrif-

tenhändler. Ihre deut­sche Großmutter habe viel vom Krieg erzählt, und beide Großväter kämpften im Zweiten Weltkrieg. Die Innenaufnahmen des nationalsozialistischen Schreckensregimes, etwa mit dem grotesk-pompösen Gebaren des Generalgouverneurs des deutschbesetzten Polen, verdanken sich ausgiebigen Recherchen und der Lektüre von Nazi-Biographien. Astrid Rosenfeld hatte von jeher eine Faszination für Geschichten. Sie schrieb, erzählt sie, immer wieder neDiogenes Magazin

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benher, kleine Sachen, tingelte aber zunächst an der amerikanischen Westküste von einer kleinen Bühne zur nächsten und besuchte in Berlin eine Schauspielschule. Den echten und lebensbestimmenden Drang, auf der Bühne zu stehen oder vor der Kamera, habe sie dann doch nicht verspürt, wohl aber die Lust, eigene Geschichten zu erfinden. Vor elf Jahren schließlich zog sie nach Berlin, und zwar ins Herz, nach Prenzlauer Berg, dorthin, wo trendige Bars und gemütliche Restaurants die Bühne der neuen Berliner Boheme bilden. Ihre eigene Wohnung, ganz in der Nähe derjenigen ihrer Schwester, sei eine Baustelle, deshalb lässt sie kaum jemanden herein. Es ist ihr Reich und der Ort, an dem sie in der Küche auf einem winzigen Sofa, den Laptop auf den Knien, Adams Erbe geschrieben hat. Zu schreiben, sagt sie – das bedeute ihr Glück. Im Grunde handelt der Roman, der temporeich dem Lebensweg zweier Tunichtgute folgt, von der Liebe und der Macht von Familienbanden. Die Liebe, findet Astrid Rosenfeld, sei doch der Hauptmotor schlechthin im Leben. Sie blickt verschmitzt in den Raum, als ob sie nach ihren eigenen Liebesgeschichten stöbern würde. »Liebe kann uns stark und schwach machen. Man hat das Gefühl, seine eigene Haut zu verlassen, und der andere wird wichtiger als man selbst.« Für dieses königliche Gefühl, diese Icherweiternde Droge, findet Astrid Rosenfeld im Buch zauberhafte Worte. Überwältigt von der Liebe, lässt sie Adam sagen: »Es ist, als ob ich für einen Augenblick die ganze Welt in mir tragen würde. Kontinente, Berge, Meere und Flüsse und Millionen Vögel, die in mir zum Himmel steigen.« So erklärt Adam es dem Freund der Familie, Obersturmbannführer Bussler, der Adams Großmutter Edda anbetet und ihm hilft, nach Polen, in die Nähe der im Warschauer Ghetto verschollenen Anna, zu kommen. Dass die Romanfiguren als Charaktere aus Fleisch und Blut greifbar sind, trotz ihrer zuweilen skurrilen Marotten, hat mit der Empathie zu tun, mit 24

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der Astrid Rosenfeld sie beschreibt: hier Eddys Stiefvater-Mentor Jack Moss – ein notorischer Realitätsverweigerer wie die elegante Edda; da Eddas Freund, der Musiker und NaziObersturmbannführer Bussler, feinsinnig und trotzdem dem Führer ergeben. In atemberaubendem Tempo

Be­geg­nungen sind das, was letztlich unser Leben prägt. Es muss nicht unbedingt die große Liebe sein. Plötzlich kommt ein Mensch daher, und unsere Welt gerät ins Wanken. und mit einer reichhaltigen Portion Humor gewürzt, schildert Astrid Rosenfeld die Widerständigkeit und den Opportunismus von Menschen in Zeiten des Krieges. Dass sich der heitere Ton des Lebensflaneurs und IchErzählers Adam immer wieder mit Schilderungen von Gräueln, etwa Be-

Buchtipp

Astrid Rosenfeld Adams Erbe Roman · Diogenes

400 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06772-9

Seine Familie kann man sich nicht aussuchen. Die Liebe seines Lebens auch nicht. Doch man kann so sehr lieben, dass die Geschichte dieser Liebe zu einem kostbaren Erbe wird.

obachtungen von Zwangsarbeit und Mord im jüdischen Ghetto, bricht, macht den Roman so eindringlich. Es ist mutig, eine Geschichte, die in solch schrecklichen Zeiten spielt, mit so viel Humor und Witz zu erzählen. »Humor«, sagt Astrid Rosenfeld, »ist etwas Wichtiges, weil er Spannungen löst. Man kann ganz traurige Dinge mit Humor erzählen, ohne zynisch zu sein.« Es gebe unzählige Geschichten von traurigen Dingen, die gleichzeitig lustig sind. »Wenn man den Blickwinkel nur etwas verschiebt und es schafft, den traurigen Dingen ihre komischen Seiten abzugewinnen, findet man einen ganz anderen Zugang zum Schrecken.« Im Kern handelt Adams Erbe auch von der Frage, inwieweit man den eigenen familiären Banden entkommen kann und welches Erbe – im übertragenen Sinn – man antritt. »Wir sind alle Erben, ob wir wollen oder nicht. Wir sind von unsern Eltern geprägt, sie durch ihre Eltern, wir sind alle Teil einer langen Kette«, philosophiert die Autorin. Sind wir doch nicht die freien Geschöpfe, die wir unser Leben nach unserem Gusto gestalten können? Das Ich erscheint bei Astrid Rosenfeld jedenfalls als semipermeable Membran, durch die die Wünsche und Sehnsüchte der anderen dringen, von Generation zu Generation, durch Ver­ wandte oder Menschen, denen man begegnet ist. Deshalb ist der Satz auch so schön, den Rosenfeld Adam in den Mund legt: »Lösen wir uns auf, wenn uns niemand mehr sagt, wer wir sind, oder werden wir erst dann zu dem, was wir eigentlich sein sollen?« Begegnungen seien das, was das Leben ausmacht, meint Astrid Rosenfeld und zündet sich noch eine Zigarette an. »Ich glaube fest an Be­ geg­ nungen. Sie sind das, was letztlich unser Leben prägt. Es muss nicht unbedingt die große Liebe sein. Plötzlich kommt ein Mensch daher, und er sagt oder tut etwas, und unsere Welt gerät ins Wanken. Irgendwo berührt er einen, und man steht da, und wäre man dem Menschen nie begegnet, wäre das Leben anders verlaufen.«


Serie

Wer offene Türen einrennt, braucht nicht zu fürchten, dass ihm die Fenster eingeschlagen werden. Die wahren Wahrheiten sind die, welche man erfinden kann.

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Jakob Arjouni

Foto: © Miranda Junowicz

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ch kenne und bewundere Jakob Arjouni seit seinen allerersten Büchern, die vor sage und schreibe 24 Jahren erschienen. Persönlich begegnet bin ich ihm dann wenig später, 1996, an den zweiten Burgdorfer Krimi­tagen. Ich durfte eine Veranstaltung mit ihm und Friedrich Ani moderieren. Dieser Abend ist mir unvergesslich, denn er fand in einem kleinen, muffigen Stripteaselokal statt, das ganz so aussieht, wie der Berner sich die Sünde vorstellt. Roter Plüsch, schummriges Licht, ver­ chromte Stangen für die lasziven Darbietungen. In diesem Ambiente versuchten wir die zahlreich erschienene Zuhörerschaft also zu überzeugen, dass das Krimischreiben eine ernste Sache sei. Ich weiß nicht, ob es uns wirklich gelungen ist. Am Tag darauf fuhr ich dann mit Jakob Arjouni im Zug nach Zürich, er outete sich als Van-Morrison-Fan, ich gab meine Ver­ ehrung für Bob Dylan zu erkennen, und er sprach den denkwürdigen Satz: »Die Dylan-Fans ham ja alle ein Rad ab.« Das war sozusagen der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Wir erinnern uns: Als Jakob Arjouni 1987 mit Happy birthday, Türke!

und Mehr Bier seine ersten beiden Kriminalromane um den Privatdetektiv Kemal Kayankaya herausbrachte, tauchte er als geheimnisvolle Figur aus dem Nichts auf. Es hieß zunächst, die Hauptfigur – Türke von Geburt und Aussehen, Deutscher von Sprache und Sozialisation – spiegle exakt die Identität ihres Autors. Die clevere

Jakob Arjouni erzählt mit einer Leichtigkeit und Eleganz, von der andere nur träumen können. Suggestion brachte dem Frankfurter Debütanten einen doppelten Vorteil. Zum einen nahmen zahlreiche Medien bereitwillig die Story vom kaum 23-jährigen türkisch-deutschen Tausendsassa auf, der Chandler und Hammett so unverschämt wie gekonnt abkupferte, zum andern konnte Arjouni in einer Weise interkulturell herumkalauern, die man einem deutschen Autor leicht verübelt hätte. Inzwischen

kann man auf Wikipedia nachlesen, dass Jakob Arjouni eigentlich Jakob Bothe heißt, aber so genau wollen wir es ja gar nicht wissen. Er heißt Jakob Arjouni, wie Bob Dylan Bob Dylan heißt und nicht Robert Zimmerman. Übrigens hieß Van Morrison früher auch einmal ein bisschen anders, nämlich George Ivan Morrison. Als 1991 Ein Mann, ein Mord, der dritte Kayankaya-Roman, erschien und alsbald mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde, war sein Autor ein gemachter Mann. Er hätte nun im gleichen Stil fortfahren und einen Serien-Krimi nach dem andern schreiben können – aber er wandte sich lieber Projekten zu, die nur noch wenig mit dem Genre und Ambiente der Kayankaya-Bücher zu tun hatten: Er schrieb fürs Theater und verfasste den viel gepriesenen Ber­ lin-Roman Magic Hoffmann sowie den Geschichtenband Ein Freund. Erst nach zehnjähriger Pause kehrte Arjouni zu seinem ersten Helden zurück. In Kismet ließ er seinen notorisch abgebrannten Privatdetektiv, der sich wie Philip Marlowe oder Sam Spade mit Alkohol, Schießereien, Selbst­ Diogenes Magazin

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ironie und lakonischen Sprüchen über die Runden bringt, in die Fallstricke des organisierten Verbrechens geraten. Kayankaya ist in diesem Buch Jäger und Gejagter zugleich; er legt sich ziemlich naiv mit deren Big Boss an und wird übel zugerichtet, lernt in einem Asylantenheim ein widerspenstig-faszinierendes bosnisches Mädchen kennen, dessen Mutter in der Gewalt der Erpresserbande ist, kämpft gegen alle Vernunft weiter und weiter und bleibt schließlich im großen Showdown der Sieger, der selbstverständlich leer ausgeht. Auch hier wirkt Arjouni als rascher Situationsschilderer. Sein konsequent durchgehaltener flapsiger Sound bereitet Vergnügen, die Milieuzeichnungen sitzen, die boshaft-einfühlsame Schilderung eines im Niemandsland von Offenbach befindlichen, hessisch geleiteten Kroatentreffs namens Adria Grill überzeugt, und die Dialoge sind schnell und witzig. Das ist bei ihm zum Glück ja immer so, nicht nur in seinen Krimis, sondern auch in seinen »ernsten« Büchern, zum Beispiel im 2004 erschienen Roman Hausaufga­ ben, meines Erachtens einem seiner besten Bücher. Darin geht es um den Deutschlehrer Joachim Linde, der sich sowohl im Klassenzimmer als auch im Eigenheim souverän verhält. Dass seine halbwüchsige Tochter mit Getöse ausgezogen ist und sein Sohn ihm bald reserviert, bald mit ohnmächtiger Wut begegnet, dass seine Frau regelmäßig in der Klapsmühle landet: Dergleichen nimmt er in Kauf. Doch just zu Beginn des Wochen­ endes, um das es in dem Buch geht, scheint sich alles gegen ihn zu verschwören. Erst eskaliert die Situation in der Schule, dann diejenige zu Hause. Bestürzt erleben wir, wie ein unbescholtener Mann sich durch die Verkettung unglücklicher Umstände plötzlich in seiner ganzen Existenz bedroht sieht. Und während wir gebannt verfolgen, was in den nächsten vier Tagen passiert, werden wir immer unsicherer, ob Linde wirklich so unbescholten ist. Jakob Arjouni gelingt etwas Erstaunliches: ein schlackenlo30

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ser, spannender und beklemmender Text um die Frage von Täter und Opfer, eine unprätentiös erzählte, aber komplexe Geschichte. Das ist übrigens in seinem neuen Buch ganz genauso. Chez Max, 2006 erschienen, spielt im Jahr 2064 in Paris. Der euroasiatische und der nordamerikanische Erdteil beherrschen die Welt, wobei die USA infolge des Irak-Kriegs weitgehend an Bedeutung verloren haben; auf den übrigen Kontinenten leben hermetisch abgeriegelte Hilfs-Gesellschaften. Das System wird durch eine verästelte staatliche Geheimorganisation stabilisiert. Zu ihr gehört auch Max, der einerseits im elften Pariser Arrondissement ein Nobel-Bistro betreibt, andererseits seine Nachbarn bespitzelt. Sein Bürokollege Chen Wu ist ein Widerling und Zyniker, dummerweise aber der erfolgreichste Mann des ganzen Geheimdienstes. Max steht vor der Frage, ob er ihn weiterhin ertragen – oder aber ihn ein für alle Mal loswerden soll. Den Schluss verrate ich selbstverständlich nicht. Ich sage nur, dass der Autor auch hier mit einer Leichtigkeit und kolloquialen Eleganz erzählt, von der andere nur träumen können. Dasselbe gilt für Der heilige Eddy, einen so heiteren wie rasanten Berliner Schelmenroman, das zweitjüngste Buch Arjounis. Es erzählt von Eddy Stein, der sechs Handys hat und ebenso viele Visitenkarten: »Konsul Guido Hentze von den Färöer-Inseln«. »Sam Ovadia, Restaurantkritiker«. »Marius Savrosky, Privatmodell, Haus- und Hotelbesuche«. Und so weiter. Eddy schlendert als Trickbetrüger und Straßenmusiker durch Berlin, als genauer Beobachter des Alltags und selbstironischer Gentleman-Gauner: Er ist jemand, den man liebenswert findet, solange man ihm nicht zum Opfer fällt. Dumm nur, dass Eddy ausgerechnet vor seiner Wohnungstür in Kreuzberg mit einem Mann in Streit gerät, der so unglücklich zu Fall kommt, dass er auf der Stelle stirbt. Der Tote, so stellt sich heraus, ist kein anderer als der Bratwurstmillionär, Turbokapitalist und Arbeits­platz­­vernichter Horst »Hotte«

König aus Neukölln, der bestgehasste Mann Berlins. Jetzt hat Eddy ein Problem. Bloß keine Polizei! Aber wohin mit der Leiche? Er plant einen aberwitzigen Coup, der an den als Hütchenspiel bekannten Betrügertrick erinnert. Fürs Erste scheint er gerettet, doch die Sache wächst ihm alsbald über den Kopf. Jakob Arjouni spielt hier aufs virtuoseste mit Elementen der ScrewballKomödie, des Schelmenromans, des romantischen Märchens. Und er wartet auf Schritt und Tritt mit Sätzen auf, deren unangestrengte Originalität ihn aus der Masse der Unterhaltungsliteratur heraushebt. Damit sind wir bei Jakob Arjounis neuestem Roman, Cherryman jagt Mister White. Rick Fischer ist gerade einmal achtzehn Jahre alt, doch sein Leben ist so gut wie vorbei. Er sitzt im Knast, und da wird er wohl noch lange bleiben. In dieser hoffnungslosen Situation schreibt er an den ihm zugeteilten Kriminalpsychologen, einen Doktor Layton. Rick will sich nicht herausreden. Er will sich nicht rechtfertigen. Er will nur seine Geschichte erzählen.

Buchtipp

Jakob Arjouni Cherryman jagt Mr.White Roman · Diogenes

176 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06755-2

Achtzehn Jahre, Ostdeutscher, arbeitslos, Nazimitläufer – der Stoff, aus dem ein deutscher Held ist? Wie viel Gewalt erlaubt die Notwehr? Und wie schmutzig darf man sich die Hände machen beim Griff nach dem Glück?


Summer Looks Welche Strandmode passt zu welchem Strandroman?

Summer Books

Foto: Nadine Ottawa für Diogenes Magazin

Eine literarische Modestrecke, inspiriert vom Look und der Literatur der 1930er, 50er, 60er, 80er und heute.

Kleid von H&M. Vintage-Schmuck ›Anatole‹ von Les Bijoux de Ghislaine. Seiden­­carré von Lanvin. Buch: Alles inklusive, der neue Roman von Doris Dörrie, der Ende Juli bei Diogenes erscheint.

Fotos: Nadine Ottawa Styling: Filipa Fernandes Diogenes Magazin

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30er

Liege Royal Princess von Garpa. Der schmale Winkel von W. Somerset Maugham (detebe 23637, 304 Seiten), Gentlemen bevorzugen Blondinen … von Anita Loos (detebe 23732, 272 Seiten) und Zärtlich ist die Nacht von F. Scott Fitzgerald (detebe 23695, 560 Seiten), dahinter die vierbändige Diogenes-Leinenausgabe der Gesammelten Erzählungen von F. Scott Fitzgerald. Das Duftkerzen-Set Tender is the Night von Molton Brown, benannt nach Fitzgeralds Roman. Cristal Champagner von Louis Roederer, passend zur Lektüre: »Ihr Atem roch ganz leicht nach Champagner. Sie hielt ihn noch fester, und wieder küsste er sie und war ernüchtert von der Unschuld ihres Kusses.« (Aus: Zärtlich ist die Nacht)

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Foto: Kilian Kessler für Diogenes Magazin

Flirrende Nächte voller Charme und verführerischer Eleganz – im Roman ›Zärtlich ist die Nacht‹ von F. Scott Fitzgerald erwachen die wilden 30er-Jahre zu neuem Leben. Die Amerikaner Dick und Nicole Diver, das scheinbar vollkommene Paar, führen an der französischen Riviera das Leben von kultivierten Expatriates mit endlosen Partys. Glitzernder Schein funkelt dicht an düsterem Abgrund. Wie Champagner perlt die witzige Satire ›Gentlemen bevorzugen Blondinen‹ von Anita Loos mit der legendären Devise: »Ein Kuss ist was ganz Schönes, aber ein Diamantarmband hält ewig.« In W. Somerset Maughams Roman ›Der schmale Winkel‹ aus dem Jahr 1932 wird eine Insel im Pazifik Schauplatz leidenschaftlicher, verhängnisvoller Ver­flech­t­ungen zwischen drei Männern und der mysteriösen und exotischen Louise.


»

Der diffuse Zauber des heißen süßen Südens, die magische Kraft der auf Samtpfoten daherkommenden Nacht, die geisterhaft raunende Brandung des Mittelmeers tief unter ihnen.

«

Foto: Nadine Ottawa für Diogenes  Magazin

›Zärtlich ist die Nacht‹ von F. Scott Fitzgerald

Badehose von Marc by Marc Jacobs. Shorts von Urban Outfitters. Hut von Zara.

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50er

Armchair Classic von Garpa. Taschen­ bücher von Diogenes: Der talentierte Mr. Ripley von Patricia Highsmith (detebe 23404, 432 Seiten), Fahrenheit 451 von Ray Bradbury (detebe 20862, 240 Seiten) und Der lange Abschied von Raymond Chandler (detebe 20207, 384 Seiten). Sonderedition Martini Gold by Dolce & Gabbana, passend zur Lektüre: »Er hatte kühl geduscht und saß in einem bequemen Korbsessel auf Dickies Terrasse, einen Martini in der Hand.« (Aus: Der talentierte Mr. Ripley)

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Foto: Kilian Kessler für Diogenes Magazin

Eigenheim und Wirtschaftswunder kennzeichnen die kleinbürgerlichen 50er-Jahre – aber ebenso die Lust zu reisen. Wie so viele andere träumt auch Tom Ripley von der Dolce Vita in Italien und wird für diesen Traum weit gehen … Patricia Highsmiths ›Der talentierte Mister Ripley‹ handelt von einem der ungewöhnlichsten Hochstapler der Literaturgeschichte. Eine düstere Welt der Gedankenkontrolle entwarf Ray Bradbury in seiner erschreckenden Zukunftsvision ›Fahrenheit 451‹, die 1953 erschien und sofort zu einem der wichtigsten Romane des Jahrzehnts avancierte. Im selben Jahr erschien auch Raymond Chandlers ›Der lange Abschied‹, in dem es Privatdetektiv Philip Marlowe bei seinem letzten Fall unter die Reichen von Los Angeles verschlägt, die sich mit Affären und Cocktails die Zeit vertreiben.


»

Ein hölzerner Steg führte den halben Strand entlang, und Tom wusste, dass es sich darauf so bequem gehen würde wie auf glühenden Kohlen, er streckte einen Fuß auf den Sand vor und zog ihn schnell zurück. Dann holte er tief Luft, rannte den Rest des Stegs ent­lang, hüpfte über den Sand und ließ die Füße in das wohl­tuend kühle Wasser sinken.

Foto: Nadine Ottawa für Diogenes  Magazin

›Der talentierte Mr. Ripley‹ von Patricia Highsmith

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Hemdbluse von J. Crew. Jeans­ shorts von Levi’s. Bangle von Hermès. Matrosenhut privat.

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60er

Gartenbank Summerfield von Garpa. Taschenbücher von Diogenes: Am Strand von Ian McEwan (detebe 23788, 208 Seiten), Eine Art von Zorn von Eric Ambler (detebe 20179, 352 Seiten) und Die Blütezeit der Miss Jean Brodie von Muriel Spark (detebe 21055, 240 Seiten). Gin Tanqueray Ten, passend zur Lektüre: »Er mixte ihnen an seiner kleinen Haus­bar einen Gin Tonic – zu gleichen Teilen Tonic und Gin, dazu jede Menge Eiswürfel. Eis in einem Drink war für Edward etwas Neues. Dann setzten sie sich in den Garten und redeten über Politik.« (Aus: Am Strand)

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Foto: Kilian Kessler für Diogenes Magazin

Woodstock und der Prager Frühling, Vietnam und Flower Power. Kein Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts bietet eine solche Fülle an kulturellen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Doch Drogen und Demos griffen nicht in jeden Alltag ein. Ian McEwan beschreibt in seinem Roman ›Am Strand‹ die andere Seite der 60erJahre – mit ihrer Beklemmung und ihren gesellschaftlichen Schranken, aus denen die beiden Helden selbst in ihrer Hochzeitsnacht am Strand von Cecil Beach nicht aus­­brechen können. Ein großer englischer Autor der 1960er-Jahre: Eric Ambler. In ›Eine Art von Zorn‹ verstrickt der Erfinder des modernen Politthrillers einen Journalis­ten in ein Netz in­ter­nationaler Intrigen zwischen Paris, Zürich und Nizza. Muriel Spark war das Enfant terrible der englischen Literatur dieses Jahrzehnts. Die wohl wit­zigste ihrer Romanheldinnen ist die exzentrische Lehrerin Miss Jean Brodie, die ihre Schülerinnen be­nutzt, um sich ihre ganz persönlichen ästhetischen und auch erotischen Wünsche zu erfüllen: very amusing, very shocking.


»

Wie in weiter Ferne zer­ splitterndes Glas hörte es sich an, als der Wind, der offen­bar die Rich­tung wech­selte oder kräftiger wurde, ihnen das Rauschen kleinerer, sich rascher brechender Wellen zutrug … Durch die spalt­breit geöffnete Balkontür trug eine kräftige Bö einen verlockenden Geruch nach Salz ins Zimmer, nach frischer Luft und offener See .

Foto: Nadine Ottawa für Diogenes  Magazin

›Am Strand‹ von Ian McEwan

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Pullover von Max Mara. Bermudas von J. Crew.

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80er

Vintage-Gartenstuhl und Sonnen­brille vom Trödelmarkt. Taschenbücher von Diogenes: Creamtrain von Andrea De Carlo (detebe 21563, 256 Seiten), Das Hotel New Hampshire von John Irving (detebe 21194, 608 Seiten) und Betty Blue von Philippe Djian (detebe 21671, 400 Seiten). Maraschino von Luxardo, passend zur Lektüre: »Ich holte zwei Eisbecher raus, fast ein Liter musste da reingehen … Ich schnappte mir die Flasche mit Maraschino und fing an, das Eis zu begießen.« (Aus: Betty Blue)

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Foto: Kilian Kessler für Diogenes Magazin

Flippige Frisuren, grelle Farben, maßlos und elektrisch – ein Jahrzehnt wie seine Ikone: Betty Blue – die Hauptfigur des Kultromans (und Kultfilms) der 80er-Jahre. Die Geschichte einer Amour fou zwischen dem Lebenskünstler und Möchtegernschriftsteller Zorg und der kapri­­ziösen, wilden, wunderschönen Betty – einen Sommer lang irgendwo im Süden Frankreichs. Weitere coole Romane aus den 1980er-Jahren: ›Creamtrain‹ von Andrea De Carlo, in dem ein junger Italiener in Los Angeles zwischen Holly­wood-Diven und dem American Dream strandet. Oder ›Das Hotel New Hampshire‹ von John Irving, eine Familien­geschichte voller Skurrilitäten mit motorradfahrenden und feministischen Bären und einem sehr speziellen Wiener Hotel.


»

Sehr chic war er, sehr modern, der Badeort, aber genauso viel Bekloppte wie woanders auch … Wenn man ein Stück Strand haben wollte, das nicht allzu dreckig war, musste man zahlen. Wir zahlten. Wollte man unter die Dusche, musste man zahlen. Und für dies und für das. Am Ende hatte ich einen ganzen Stoß Münzen in der Hand, ich hielt mich bereit, die Kohle schneller aus­zu­ spucken, als mein Schatten re­a­gieren konnte.

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Foto: Nadine Ottawa für Diogenes  Magazin

›Betty Blue‹ von Philippe Djian

Triangelbikini von American Apparel. Kurzjacke von Jean Paul Gaultier Soleil. Jeansoverall von Levi’s. Uhr von Swatch. Totenkopfring von Quadrat. Ring von Topshop. Bangles von H & M. Haarband von Urban Outfitters.

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heute

Gartenstuhl Pan von Garpa. Strandtasche von Alprausch. Taschenbücher von Diogenes: Ans Meer von Tim Krohn (detebe 24076, 336 Seiten), Vincent von Joey Goebel (detebe 23647, 448 Seiten) und Englischer Harem von Anthony McCarten (detebe 23940, 592 Seiten)

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Foto: Kilian Kessler für Diogenes Magazin

Ans Meer! Wie herrlich eindeutig sind doch Kinderwünsche. So scheint auch der elfjährige Jens aus Tim Krohns neuem Roman der Einzige zu sein, der ein klares Ziel verfolgt. Im Gegensatz zu seiner Mutter Josefa, einer ungestümen Kindfrau, und deren Freundin Anna, die nach zwölf Jahren wieder auf die einst beste Freundin trifft – und sich den aufwühlenden Ereignissen stellen muss, damals im Haus am Meer. Auch in den Romanen von Anthony McCarten und Joey Goebel müssen einige Vorstellungen über Bord geworfen werden. Muss es immer Monogamie sein? In Anthony McCartens turbulenter Roman­ komödie ›Englischer Harem‹ heiratet eine Engländerin einen Perser – der hat aber schon zwei Frauen. Müssen Künstler leiden, um Meisterwerke zu schaffen? ›Vincent‹ von Joey Goebel ist eine wunderbar verschrobene Satire auf die Mainstreamkultur und nebenbei ein herzzerreißender Entwicklungs- und Liebesroman.


»

Sie sog die Luft ein. Der Wind, der tagsüber weich und klamm und salzgetränkt gegen die Küste drängte, hatte sich gelegt, plötz­lich roch man die Kiefern aus dem nah­en Wald, hier am Meer war es die schönste Stunde des Tages.

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›Ans Meer‹ von Tim Krohn

Foto: Nadine Ottawa für Diogenes  Magazin

Top von H & M. Bikinislip von Eres. Vintage-Schmuck privat. Fotos: Nadine Ottawa Styling: Filipa Fernandes Styling Assistentin: Manja Lyssy Hair: Anja Grassegger Make-up: Kyriaki Savrani Model: Cece / IMG Models Fotos der Stills: Kilian Kessler Herzlichen Dank an Garpa Garten &  Parkeinrichtungen (www.garpa.de)

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Diogenes Taschenbücher …

Andrej Kurkow Der Milchmann in der Nacht

Simenon Wellenschlag

Roman · Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 23109, 176 Seiten

Jean lebt mit seinen Tanten im Fischerdorf Marsilly und fügt sich gedankenlos den strengen Ritualen des Hauses. Als seine Freundin Marthe schwanger wird, zieht sie zu ihm. Doch die Tanten mischen sich immer mehr in das Leben des jungen Paares. Erst als Marthe dem Druck der Situation nicht mehr standhält, konfrontiert sie Jean mit der Wahrheit über seine Herkunft …

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John Irving Witwe für ein Jahr

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 24056, 544 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 23300, 768 Seiten

Der Milchmann in der Nacht ist dreifache Liebesgeschichte, schwarze Komödie, Krimi und politische Satire zugleich – ein Roman mit so vielen Pointen, Wendungen und Geschichten wie Sterne in der Milchstraße.

Liebe und Tod, Leidenschaft und Vergänglichkeit, Jason Starr Wirklichkeit und Fiktion sind Brooklyn die Pole, zwischen denen der Brothers Puls dieses Romans von John Irving schlägt. Im Mittelpunkt Roman · Diogenes steht die Schriftstellerin Ruth Diogenes Taschenbuch Cole, eine starke und verletzliche detebe 24078, 464 Seiten Frau, die mit ihren Büchern Erfolg und mit ihren Jake und Ryan, beide aus Freunden Pech hat … Brooklyn, haben als Jugend­ Umwerfend komisch und freunde zusammen Baseball aufwühlend. gespielt. Nun jedoch verbindet die beiden Rivalen nichts mehr: Jake ist ein gefeierter BaseballStar, Ryan hingegen muss sich mit Malerarbeiten über Wasser halten. Doch mit der Eroberung von Christinas Herz, die so gut wie die Verlobte von Jake ist, könnte sich alles einmal umkehren …


Hans Werner Kettenbach Das starke Geschlecht Roman · Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 24051, 448 Seiten JULI

Ein ebenso heftiger wie deftiger Roman über die Schrecken des Alters – und die sich dennoch behauptende erotische Vitalität. Ein Thriller um einen Gerichtsprozess, in dem es definitiv nicht nur darum geht, welche Partei Recht bekommt, sondern um die Frage: Wer ist in Wirklichkeit das starke Geschlecht?

Benedict Wells Becks letzter Sommer

Anthony McCarten Hand aufs Herz Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 24058, 336 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch

Diogenes Taschenbuch detebe 24022, 464 Seiten

Valerie Wilson

Brauchen Sie ein neues Auto? Wesley Oder gar ein neues Leben? Es geschah an einem Samstag Hier Ihre Chance: ein Ausdauerwettbewerb, bei dem ein Roman · Diogenes glänzendes neues Auto zu gewinnen ist. Doch für zwei der Diogenes Taschenbuch detebe 24061, 240 Seiten vierzig Wettbewerbsteilnehmer JULI geht es nicht ums Gewinnen, sondern ums nackte Überleben. Was bringt eine Mutter dazu, Die Geschichte eines unge­ ihre Kinder zu verlassen? wöhnlichen Miteinanders. Und was für Spuren hinterlässt das bei den Töchtern? Ein berührender Roman über die Sehnsucht nach Liebe, über Selbstbestimmung, Verrat und Vergebung.

Ein liebeskranker Lehrer, ein ausgeflippter Deutsch­ afrikaner und ein musikalisches Wunderkind aus Litauen auf dem Trip ihres Lebens, von München durch Ost­europa nach Istanbul. Unter den Fittichen eines alternden Rockstars und seiner unsterblichen Songs. Ein Roman über die Musik, die Liebe und das Leben – schräg, witzig, weise und berührend.

Illustration: © Jean-Jacques Sempé

machen am Strand eine gute Figur

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Vorabdruck

Doris Dörrie

Alles inklusive Mit Zeichnungen von Jean-Jacques Sempé

Apple Ich habe ein paar Dinge gesehen. Ich sollte am Pool bleiben mit dem fremden Jungen. Seinen Namen hatte mir meine Mutter vorher gesagt, aber ich hatte nicht zugehört. Jetzt traute ich mich nicht mehr, ihn danach zu fragen. Apple, bleib doch am Pool, sagte meine Mutter. Wann hast du schon mal die Gelegenheit, in einem Pool zu schwimmen? Bleibt ihr beide hier und spielt ein bisschen. Karl zeigt mir kurz mal das Haus. Sie hob ihre dicken Haare im Nacken an, wedelte sich darunter Luft zu und stöhnte über die Hitze. Die war jeden Tag dieselbe, und ich verstand nicht, warum sie sie auf einmal erwähnte. Sie winkte mir noch einmal zu, was sie sonst auch nie tat, und ging mit Karl, dem Vater des Jungen, ins Haus. Ich hörte sie kichern, dann war es still. 44

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Meine Mutter war die Strandkönigin von Torremolinos. Ihr nackter Busen war der schönste von allen, das konnte jeder sehen.

Der fremde Junge zeigte mir den Unterschied zwischen seinem braunen Bauch und der weißen Haut unter seiner Badehose. Ich zeigte ihm meinen Unterschied, der besser war als seiner. Wenn ich mich nach vorn beugte, wurde mein Bauch schwarz, und die Haut unter meiner Bikinihose war so weiß wie die von Schneewittchen. Wir tranken pipigelbe, lauwarme Limo und schubsten uns abwechselnd in den Pool, und dann gab es plötzlich nichts mehr zu tun. Der Hund, ein Irish Setter, war am Rand des Pools auf- und abgelaufen, jetzt gähnte er, rollte sich im Schatten zusammen, legte den Kopf auf seine Pfoten und schloss die Augen. Ich verstand ihn. Er wollte seine Ruhe haben, mit niemandem spielen, mit niemandem sprechen. Ich warf rote Bougainvillea-Blüten ins Wasser, und niemand sagte: Lass das. Ich ging ins Haus. Der Steinbo-

Illustrationen: © Jean-Jacques Sempé

Ihren albernen Vornamen verdankt Apple ihrer Hippie-Mutter Ingrid. Im Sommer 1976 war Apples Mutter die Strandkönigin von Torremolinos: barbusig, schön und verwegen. Dreißig Jahre später ist nicht nur das spanische Fischerdorf kaum wiederzuerkennen. Eines dagegen ist gleich geblieben: die Erkenntnis, dass man das Glück nicht buchen kann wie einen Urlaub, alles inklusive. Ein exklusiver Vorabdruck aus dem neuen erfrischenden Roman von Doris Dörrie.


den war angenehm kühl unter meinen Füßen, mein feuchter Bikini klebte an meiner Haut, und dann sah ich die nackten Beine meiner Mutter über der Sofalehne. Ich stand da, die Kälte schoss durch meine Fußsohlen hoch bis in meinen Bauch. Die Beine meiner Mutter zuckten und tanzten in der Luft, hinter der Lehne beugte sich der Vater des fremden Jungen tief über sie. Spanische Stimmen riefen laut aus dem Fernseher. Es kümmerte die beiden nicht.

Ich sah in den blauen Himmel, bis schwarze Flecken vor meinen Augen tanzten wie Mücken. Der Hund kam ins Zimmer und stieß seine nasse Schnauze in meine Hand. Ich ging mit ihm zurück an den Pool und legte mich auf den heißen Beton, der meine Haut aufheizte, aber das kalte Gefühl im Bauch blieb. Der Hund legte sich neben mich und sah mich ruhig an. Seine Augen glänzten braun wie Malzbonbons. Er sagte zu mir: Du hast nichts gesehen. Alles ist gut. Ich verliebte mich in diesen Hund. Meine Mutter mochte keine Hunde.

Doris Dörrie Alles inklusive

Roman · Diogenes

Foto: © Doris Dörrie

ca. 256 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06781-1 AUGUST

Ein Sommer in Spanien, nach dem nichts mehr so sein kann, wie es war. Vier äußerst unterschiedliche Menschen, alle auf der Suche nach der Sonnenseite des Lebens. Aber kann man das Glück buchen wie einen Urlaub, alles inklusive?

Meine Mutter war die Strandkönigin von Torremolinos. Ihr nackter Busen war der schönste von allen, das konnte jeder sehen. Er war kugelrund und fest, mit einem leichten Schwuppdich nach oben. Ich betete, dass ich einen Busen bekäme wie sie, aber bisher war von vorne nichts zu sehen, nur von der Seite eine winzige Vorwölbung, und auch nur, wenn ich den Bauch einzog. Ich trug immer meinen Bikini, blau mit rot-weißen Streifen, ich war die Einzige, die nicht nackt war an unserem Strand. Auf der anderen Seite der Bucht sind die Spießer, sagte meine Mutter. Mit ihren bunten Badeanzügen lagen sie dort wie Smarties in der Sonne. Ich wäre gern dort auf der Diogenes Magazin

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anderen Seite gewesen. Dort waren auch Karl und seine Frau, sein Sohn und der Hund. Meine Mutter hätte von mir aus den Vater und den Sohn haben können, wenn ich den Hund bekäme. Und meinetwegen auch die Frau. Sie war nett und trug einen schönen Badeanzug. Wir schliefen in stinkenden Schlafsäcken in einem Zelt unter Kiefernbäumen, gleich hinter dem Strand. Die Kiefernnadeln stachen in die Füße, und es roch nach verfaulten Bananen. Ich war einsam, meine Mutter war einsam, und wir wussten es voneinander, das war das Schlimmste. Unser Zelt war gelb, und wenn ich morgens vor meiner Mutter aufwachte und die Sonne schon am Himmel stand, waren wir beide gelb im Gesicht. Auf der Zeltwand bewegten sich die Schatten der Kiefernzweige im Wind. Die anderen Kinder saßen in Ferienhäusern und durften Zeichentrickfilme im Fernsehen schauen. Meine Mutter schnarchte leise, und manchmal seufzte sie im Schlaf. Wir waren hier nicht in den Ferien, sondern um Geld zu verdienen. Zu Hause, in Göttingen, arbeitete meine Mutter in einer Studentenkneipe und roch abends, wenn sie nach Hause kam, nach Bier und Toast Hawaii. Dort hatte sie gehört, man könne in Spanien im Sommer tonnenweise Geld mit Schmuck verdienen. Ich half ihr, Perlenketten aufzuziehen, und klaute Gabeln aus Restaurants, die sie in den heißen Sand legte, bis sie ein wenig weich geworden waren, und dann mit einer Kneifzange zu Armreifen verbog. Das war ihre Erfindung, und im Sommer zuvor waren sie ein Riesenhit gewesen, aber dieses Jahr wollte sie bereits niemand mehr haben. 46

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Deshalb durfte ich diesen Sommer in der Strandbar von Gustavo keine bocadillos mehr essen, die waren zu teuer. Wir kauften Brot und Wurst in einem Supermarkt, die Wurst färbte die Finger und das Brot orangerot. Gustavo gab mir ab und zu eine Limo umsonst und Kartoffelchips, dafür räumte ich die Tische ab und sammelte die zerknüllten Servietten aus dem Sand, auf denen in dünner blauer Schrift stand: Gracias por su visita. Danke für Ihren Besuch, so viel Spanisch hatte ich inzwischen aufgeschnappt.

Ich sehnte mich nach Süßwasser so sehr wie nach meinen Freunden und kühlen Regentagen in Göttingen. Meine Mutter breitete jeden Tag ein Tuch für ihren Schmuck beim großen Felsen aus, in dessen Schatten ich am Nachmittag oft ein Nickerchen hielt. Auf der anderen Seite der Bucht gab es Sonnenschirme und Liegen. Meine Mutter war immer nackt bis auf die bunten Ketten, die sie um den Hals trug und die vielen gebogenen Gabeln bis hinauf zum Oberarm. Die Männer grüßten sie mit Küsschen, die Frauen übersahen sie gern, strichen dafür mir durchs Haar und steckten mir alte, klebrige Bonbons zu. Wir blieben bis nach Sonnenuntergang am Strand. Kurz bevor die Sonne ins Meer tauchte – lange Zeit dachte ich, sie leuchte unter Wasser weiter und die Fische bekämen nachts Licht, so wie wir am Tag – , kamen Leute mit Bongotrommeln und Kisten voller Bier und trommelten, bis

die Sonne verschwunden war, und alle applaudierten, als habe die Sonne es wieder besonders gut gemacht. Die Frauen und meine Mutter tanzten, und ich bewachte den Schmuck, denn abends gab es manchmal noch ein ganz gutes Geschäft. Ich sah meine Mutter nicht gerne tanzen, sie wirkte dann so, als vergäße sie alles um sich herum, auch mich. Nachts im Zelt weinte sie oft und versuchte es vor mir zu verbergen, aber ich hörte es immer. In Spanien durfte ich nicht Mutti zu ihr sagen, sondern nur Ingrid. Als Ingrid fühlte sie sich nicht richtig an wie meine Mutter. Am Wochenende fuhren wir auf einen staubigen Hippiemarkt und verbrachten dort den ganzen Tag in glühender Hitze auf unserer Decke. Es kamen Busladungen voller Touristen, die manchmal einen Gabelarmreif in die Hand nahmen, sich auf Deutsch nach dem Preis erkundigten. Wenn meine Mutter ihnen den Preis nannte, legten sie ihn meist wieder hin. Manche fragten mich, ob ich nicht in die Schule müsse und wann ich mir denn mal die Haare wüsche. Andere fanden meine Rastalocken süß. Ich mochte sie nicht, meine Haare verfilzten im Meerwasser immer mehr, und ich hätte sie gern abgeschnitten, aber das erlaubte meine Mutter nicht. Manchmal schüttete ich mir heimlich teures Mineralwasser aus der Flasche über die Haare, aber das half nur kurz. Ich sehnte mich nach Süßwasser so sehr wie nach meinen Freunden und kühlen Regentagen in Göttingen. Ich hasste die spanische Hitze, die mir morgens schon wie ein Hammer auf den Kopf schlug, wenn ich aus dem Zelt kroch, mir den ganzen Tag Durst machte, mir in die Augen stach, mich platt und müde und schwitzig werden ließ.


Ich versuchte, so viel wie möglich zu dösen, mich nach Hause zu träumen, zusammengerollt lag ich auf der Decke, inmitten des Schmucks meiner Mutter, wie ein Hündchen. Apple, sagte meine Mutter, wach auf, und hilf mir zusammenräumen. Sie zählte seufzend das wenige Geld, das sie eingenommen hatte. Und obwohl ich sehen konnte, dass sie müde, staubig und verschwitzt war und das alles nur tat, um uns beide durchzubringen, hasste ich sie, weil sie mir meinen deutschen Sommer wegnahm.

Ich buddelte im Sand, baute Burgen und wusste, dass ich zu groß dafür war. Darf ich nicht, sagte ich. Meine Mutter kommt aber gleich wieder. Wenn’s mehr kostet, muss ich meinen Mann fragen. Sie richtete sich auf und sah sich suchend um, und nur wenige Sekunden später trafen Karl und meine Mutter zeitgleich aus verschiedenen Richtungen ein, und ich sah ihnen dabei zu, wie sie aufeinander zuflogen. Jeder konnte es sehen, dachte ich. Wieso sieht es denn keiner? Aber seine Frau lächelte meine Mutter freundlich an, und meine Mutter lächelte zurück. Meine wilde, zottelige, schöne Mutter im Batikfetzen,

und auf der anderen Seite dieser gutaussehende Mann mit seinem strahlend weißen, gebügelten Hemd und den akkurat geschnittenen braunen Haaren. Er sah so anders aus als die zugewachsenen Freunde meiner Mutter, die mit ihren langen Haaren und dichten Bärten für mich manchmal schwer auseinanderzuhalten waren. Perfekt und fremd standen Karl, seine Frau, sein Sohn und sein Hund meiner Mutter und mir gegenüber. Neid stieg in mir auf und fühlte sich an wie Übelkeit. Wie heißt du denn?, fragte mich Karls Frau. Karl und ihr Sohn schwiegen eisern, und ich antwortete nicht, weil ich mich meines dämlichen Namens schämte. Meine Mutter sagte: Apple, wie der Apfel. Wie hübsch, sagte die Frau zu mir. Ich liebe Äpfel. Karl kaufte seiner Frau den Armreif, legte seine Hand auf ihre Schulter, als sie gingen, und dann sah er sich noch einmal um. Sein Blick traf mich

Illustrationen: © Jean-Jacques Sempé

Auf dem Hippiemarkt sah ich Karls Frau zum ersten Mal, da war ich schon in ihrem Haus gewesen, war in ihrem Pool geschwommen, hatte auf ihrem Stuhl gesessen, an ihrem Tisch gegessen. Ich wusste nur, wer sie war, weil ihr Sohn dabei war, dessen Namen ich mir nicht merken konnte. Sie blieb vor unserer Decke stehen. Sie trug ein weißes, enges Kleid und einen passenden Sonnenhut, ihre Haare hingen nicht einfach nur glatt herunter wie bei allen anderen Frauen, die ich kannte, sondern waren kompliziert frisiert, ihr Lippenstift war rosa und ihre Handtasche mit weißen Blüten verziert. Sie ging elegant in die Hocke, nahm einen Armreif und sagte zu ihrem Sohn, der ein deutsches Fußballhemd trug und gelangweilt neben ihr stand und so tat, als kenne er mich

nicht: Guck mal, das ist doch wirklich originell! Der Junge hatte den schönen Hund an seiner Seite, der mich ebenfalls nicht erkennen wollte, was mich schmerzte, als sei es ein Verrat. Der Junge zuckte mit den Schultern und sah weg. Cuánto cuesta?, wandte sie sich an mich, und als ich ihr auf Deutsch den Preis nannte, lächelte sie und fragte: Lässt du mit dir handeln?

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ebenso wie meine Mutter, für die er bestimmt war. Am nächsten Tag besuchte er meine Mutter wieder an unserem Strand. Er trug immer eine blaue Badehose, und so war ich nicht mehr die Einzige, die nicht nackt war. Er schüttelte mir die Hand. Na?, sagte er. Wie geht’s dem Apfel? Ich schwieg verlegen. Meine Mutter strahlte. Sie warteten, dass ich ins Wasser gehen würde, deshalb ging ich nicht, bis meine Mutter mich wegschicken musste und ich sie vorwurfsvoll ansehen konnte. Unter Wasser tat ich so,

als gäbe es die Welt über Wasser nicht. Ich hielt mich in der Strömung an einem Felsen fest, die Wellen bewegten meinen Körper, ich hörte meinem lauten Atem im Schnorchel zu. Durchsichtige Krabben wanderten über den Meeresboden, blaue Fischchen zupften zaghaft an meinen Armen. Ich wollte unter Wasser leben wie der kleine Wassermann aus meinem Lieblingskinderbuch, nie mehr an die Oberfläche kommen, aber meine Finger wurden weiß und wellig, als sei ich bereits tot. Ich weinte versuchsweise unter Wasser in meine Taucherbrille und probierte den Schrecken aus, der plötzlich auftauchen würde, da war

ich sicher, so wie man im warmen Meer tief unten mit den Füßen eine eiskalte Strömung spüren kann. Wenn ich an den Strand zurückkam, waren sie fort. Meine Lippen waren taub, mein Mund schmeckte nach Gummi, meine Zähne schmerzten vom Zusammenbeißen des Schnorchels. Die Decke mit dem Schmuck war ordentlich zusammengefaltet und mit einem Stein beschwert. Gustavo gab mir eine Limo und manchmal auch ein bocadillo und sah mich mitleidig an. Gracias por su visita. Immer kam sie allein zurück und tat so, als hätte sie etwas Wichtiges zu erledigen gehabt.

IM SOMMER 10. August – 18. September 2011 Von der «Königin der Nacht» über den «Sommernachtstraum» bis zu den «Nächten in spanischen Gärten» – LUCERNE FESTIVAL im Sommer zeigt, dass «die Nacht nicht allein zum Schlafen da» ist. Als «Nachtschwärmer» begleiten uns die grossen Orchester, Dirigenten und Solisten: Die Wiener und die Berliner Philharmoniker, das Chicago Symphony und das Israel Philharmonic Orchestra, das Royal Concertgebouw Orchestra sowie die Staatskapellen aus Berlin und Dresden. «Artistes étoiles» sind das Hagen Quartett und die Schweizer PerformanceKünstlerin Charlotte Hug; «composer-in-residence» ist Georg Friedrich Haas. Claudio Abbado und das LUCERNE FESTIVAL ORCHESTRA widmen sich Mahler und Brahms, Mozart und Bruckner. Und die LUCERNE FESTIVAL ACADEMY erarbeitet unter der Leitung von Pierre Boulez Werke von Debussy und Ravel bis zur Gegenwart.

www.lucernefestival.ch 48

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Illustrationen: © Jean-Jacques Sempé

Diesmal erkannte der Hund mich wieder. Er lag vorm Supermarkt und stand auf, als er mich sah. Mein Herz klopfte vor Freude. Meine Mutter war schon hineingegangen, und die Frau von Karl kam mit Tüten bepackt heraus. Auch sie erkannte mich. Hat es dir gefallen bei uns?, fragte sie. Timmie hat mir erzählt, du hast ihn neulich besucht. Ich war verwirrt, denn ich dachte, es wäre ein Geheimnis gewesen. Der Pool ist schön, sagte ich, und meine Stimme klang piepsig wie von einem Kleinkind. Möchtest du mit uns an den Strand fahren? Tim würde sich bestimmt freuen. Er langweilt sich, weil er hier keine anderen Kinder kennt. Ich frage deine Mutter, ob du darfst. Sie ging wieder hinein. Mir wurde schwindlig, ich wusste nicht, wen ich warnen sollte, sie oder meine Mutter. Der Hund schleckte meine Hand, und ich fing an zu weinen vor Angst. Die beiden Frauen kamen zusammen heraus wie Freundinnen. Meine Mutter küsste mich auf den Kopf. Warum heulst du denn? Ich heule nicht, sagte ich. Ich hab entzündete Augen vom Meerwasser. Sie lebt praktisch unter Wasser, lachte meine Mutter, sie ist der kleine Wassermann, bald bekommt sie Schwimmhäute. Sei nett zu Frau Birker. Tschüss und viel Spaß! Sie winkte, als wir an ihr vorbeifuhren. Ich saß auf dem Beifahrersitz, und der Hund schnupperte an meinem Nacken. Das Verdeck war offen, Frau Birker trug ihren weißen Sonnenhut und eine weiße Sonnenbrille, meine Haare wehten mir ins Gesicht, über mir flog der Himmel immer schneller. Warum fuhren Frau Birker, der Hund und ich nicht einfach davon? Ich brauche noch schnell einen Espresso, sagte sie. Wir setzten uns in ein Café am Straßenrand, sie kaufte mir ein Eis. Jeder denkt, sie ist meine Mutter, dachte ich stolz und schleckte das Eis so langsam wie möglich. Frau Birker trug den Gabelarmreif, der so hell in der Sonne blinkte, dass er mich blendete.

Tim und Karl, den ich jetzt brav Herrn Birker nannte, warteten bereits am Strand. Sie hatten zwei Strandliegen gemietet und einen Sonnenschirm, sie tranken kalte Cola, und Herr Birker las ein Buch. Ich sah jetzt von der anderen Seite auf unseren Strand, wo es keine bunten Punkte gab, weil alle dort nackt waren, nur weiße, hell-

Im Bus kutschiert man uns von einem Hotel­ bunker zum nächsten, im schäbigsten wohne ich. braune und dunkelbraune Flecken, die mit dem Sand verschmolzen, und wo meine Mutter wahrscheinlich wie immer auf ihrem Tuch mit ihrem Schmuck saß. Lass deine Mutter auf die Liege, sagte Herr Birker, ohne von seinem Buch aufzublicken. Tim stand auf und warf sich in den Sand. Der Hund legte sich in den Schatten, und ich kraulte sein warmes Fell. Frau Birker zog ihr Kleid aus und hängte es sorgfältig über die Innenstäbe des Sonnenschirms. Sie trug einen weißen Bikini mit roten Mohnblüten. Ihre Haut war tatsächlich schneeweiß und hob sich kaum von ihrem Bikini ab. Warum spielt ihr nichts?, fragte sie Tim. Tim sah mich nicht an. Er ließ Sand auf die Beine seines Vaters rieseln. Gehst du mit ins Wasser?, fragte er. Gehst du mit ins Wasser? Gehst du

mit ins Wasser? Herr Birker hielt sich sein Buch weiter vors Gesicht. Jetzt komm schon, Karl, sagte Frau Birker. Und nimm beide Kinder mit. Er seufzte, stand auf, ging zum Meer und zog eine blaue Luftmatratze hinter sich her. Geh nur, sagte Frau Birker freundlich zu mir. Ich legte mich mit Tim auf die Luftmatratze, und Herr Birker spielte den Wal, der unter der Matratze hindurchtauchte und sie umwarf. Wir kreischten so laut wir konnten. Beim dritten oder vierten Mal begann es mir Spaß zu machen. Ich krallte mich an Tim fest und er sich an mir, und wir warfen uns auf den Rücken des Wals. Er schnaufte und spritzte, schüttelte uns ab, und kaum lagen wir wieder auf der Matte, griff er von neuem an. Ich schlang meine Arme um Karls Hals und ließ nicht mehr los. Ich ritt auf seinem breiten Rücken und spürte seine nasse Haut. Er klaubte mich von seinem Rücken und hielt mich einen Moment lang in den Armen. Ich legte mein Gesicht an seine Brust. Er warf mich hoch und ins Wasser, ich ging unter, wurde durchsichtig wie eine Krabbe, ich sah seine behaarten Beine und seine blaue Badehose. Ich wollte unter Wasser bleiben, denn über Wasser war alles nur kompliziert. Als ich wieder auftauchte, war Karl schon auf dem Weg zurück an den Strand. Er zog seine Badehose hoch und schüttelte das Wasser aus seinen Haaren. Allein wussten Tim und ich nicht, was

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Ingrid Als ich aus dem zerkratzten Flugzeugfenster das Mittelmeer sehe, fange ich an zu heulen. Ich staune über mich selbst, sonst bin ich nicht so sentimental. Schniefend starre ich auf mein Plastiktablett, die eingeschweißte Semmel, den Apfelsaft und den Erdbeerjoghurt und versuche, mich zu beruhigen. Mehr als dreißig Jahre alte Erinnerungen springen wie Korken aus der Flasche, dehnen sich aus und passen anschließend nicht mehr hinein. Ich verfluche Apple. Warum schickt sie mich ausgerechnet nach Torremolinos? Ich erkenne nichts, gar nichts wieder, als wäre ich in einer völlig fremden Stadt gelandet. Im Bus kutschiert man uns von einem Hotelbunker zum nächsten, im schäbigsten, im Estrella de Mar, wohne ich. Das Meer ist vom Hotel zwanzig Minuten mit dem Bus entfernt. Mein Zimmer liegt zur Schnellstraße nach Málaga hinaus. Der Fernseher ist mit einem Vorhängeschloss an der Wand befestigt. Davor steht ein einsamer Plastikhocker. Auf der Bettdecke mit Zigarettenbrandlöchern sitzt ein aus einem zerschlissenen grauen Handtuch gefalte-

ter Schwan. Sein Hals hängt schlapp herunter. Ich nehme den Schwan auf den Schoß und streichle seine Frotteeflügel. Ich will mich nicht beschweren. Apple hat mir die Reise geschenkt, zur Erholung, zwei Wochen all inclusive. Warum ausgerechnet nach Torremolinos, traue ich mich nicht zu fragen. Sie würde denken, ich kritisiere sie. Bestimmt hat sie es nett gemeint, aber ich glaube, in Wirklichkeit braucht sie Erholung von mir. Seit meiner Hüftoperation bin ich auf sie angewiesen, und das ist scheußlich, denn wir gehen uns gegenseitig auf die Nerven, wie wir es immer getan haben, nur muss ich jetzt auch noch dankbar sein. Am ersten Abend sitze ich bereits mit Hunderten von Mitgefangenen am Pool und sehe zwei Animateuren zu, die dreisprachig auf der kleinen Bühne herumkaspern. Sie fordern zum Gurgeln mit Alkohol auf nach der Melodie von When The Saints Go Marching In. Wer die Melodie halbwegs erkennbar gurgeln kann, bekommt einen Longdrink. Hummerrote Engländer stürmen auf die Bühne, ein dickes Mädchen mit X-Beinen gewinnt, sie torkelt bereits. Un aplauso, please, por

Illustration: © Jean-Jacques Sempé

wir miteinander anfangen sollten. Wir liefen Karl hinterher. Ich wälzte mich nass im Sand. Paniertes Schnitzel, nannte meine Mutter das. Ich schloss die brennenden Augen, und der Hund legte sich wie ein großes haariges Kissen an meine Seite. Ich geh mal ’ne Zeitung holen, sagte Herr Birker. Ich öffnete die Augen. Er trug sein weißes Hemd und streckte die Hand aus. Frau Birker holte die Autoschlüssel aus ihrer Handtasche. Aber bleib nicht wieder endlos weg, sagte sie, ich verdorre hier sonst wie eine Primel. Sie lachte nach einer kleinen Pause kurz, als habe sie vergessen, rechtzeitig zu lachen. Er griff nach den Schlüsseln, aber sie behielt sie noch in der Hand. Sie reckte ihm ihr Gesicht entgegen. Kuss, sagte sie. Er küsste sie flüchtig und ging davon. Wir sahen ihm hinterher. Gracias por su visita, murmelte ich.


favor, bittä!, rufen die Animateure. This is fantastic, fantastisch! Fantás­ tico! Danach gibt es das BH-Spiel. Auf Pfiff rennen die Herren los und sammeln die BHs der Damen ein. Links und rechts von mir zerren ältere Frauen riesige Büstenhalter unter ihren Strandkleidern hervor und schwenken sie aufgeregt ihrem Liebsten entgegen. Go, love, go!, brüllen sie. Ich amüsiere mich. Es ist auf jeden Fall besser, als in meiner Gefängniszelle auf dem Plastikhocker vorm Fernseher zu sitzen und verrauschtes RTL 2 oder spanische Spielshows zu gucken. Ich trinke den dritten Campari, der hier in Wassergläsern ausgeschenkt wird. Die Kellner sind trotz der Massen freundlich. Sie warten geduldig, bis ich meine Krücken an die Theke gelehnt und mich auf einen Barhocker gehievt habe. Erst wenn ich mein grünes Armbändchen als allinclusive-Gast gezeigt habe, nehmen sie meine Bestellung entgegen. Schüchtern krame ich mein Spanisch hervor, por favor, sage ich, cuándo pueda, aber sie reagieren nicht darauf, sondern antworten mit: Bitte sehr, kein Problem. Im Bett lausche ich dem Kreischen von draußen, dem harten Rhythmus der Musik, meinem Atem, dem Rascheln der Polyesterunterlage unter dem Laken. Ich nehme den Handtuchschwan in den Arm und bewege seine traurigen Flügel. Er ist noch ganz, weil ich mich mit meinem eigenen Handtuch abgetrocknet habe, das Apple mir eingepackt hat, weil sie der Hotelhygiene misstraut. Oder auch meiner. Als Apple mich nach ihrer Trennung von Ehemann Nr. 2 in München besuchte und an einer seltsamen Allergie litt, ging sie mit weißen Handschuhen in jedes Zimmer, prüfte den Staub oben auf meinen Türen, in den Schubladen, unter meinem Bett. Sie hatte ein Milbenmessgerät dabei, ihre eigene Bettwäsche und einen Schutzanzug, in dem sie schlief. Ein Schutzanzug gegen das Leben, so kam’s mir vor. Sie war immer hyste-

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risch. Mich schimpft sie unsensibel. Aber wie sensibel ist es, bitte schön, mich ausgerechnet nach Torremolinos zu schicken? Wir sind damals nicht hierhergekommen, um Urlaub zu machen. Ich war pleite, verzweifelt, musste Geld verdienen, hier meinen hässlichen Schmuck verscherbeln, um Apple und mich durchzubringen. Wir wohnten im Zelt, was ich gehasst habe. Morgens hatten wir im Schlafsack Sand zwischen den Zehen, in der Pofalte, zwischen den Zähnen, und es herrschte eine Hitze im Zelt, als läge man in einer Plastiktüte und müsste ersticken. Apple war meist vor mir wach, und wenn ich aufwachte, traf mich ihr vorwurfsvoller Blick. Seit sie auf der Welt ist, sieht sie mich so an, als sei sie die Erwachsene und ich das Kind. Aber wie sie mich dann erst ansah, als Karl auftauchte und ich so verknallt war, dass ich kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen konnte, und alles um ihn herum verschwamm, als könnte ich nur noch ihn scharf stellen in meiner Wahrnehmung. Ich stürzte mich in diese Affäre wie von einer Klippe ins Meer, ich flog, und tief unten, wo das Wasser ist, hatte ich mir ein Leben mit ihm ausgemalt, phantasierte davon, mit ihm nach Tanger abzuhauen, seine Frau und seinen Sohn zurückzulassen und vielleicht sogar Apple. Wenigstens für kurze Zeit. Das alles rauschte in bunten Bildern an mir vorbei, aber als ich unten aufschlug, war dort gar kein Wasser, sondern nur beinharte Realität. Drei Erwachsene, von denen einer starb, einer davonkam und einer, ich, schwer verwundet zurückblieb. Der Frühstückssaal tost wie das Meer bei hoher Brandung. Alle rennen hin und her, Kaffeekännchen, Teller mit Eiern, Speck und Schokoladencreme in der Hand, Brötchen unter dem Arm. Kleine Kinder sitzen greinend in Kinderstühlchen, spanische Kellner in weißen Hemden und schwarzen Frackjacken bellen quer über die Tische hinweg, ich stehe mit meinen Krücken mitten im Raum und bin ein 52

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Verkehrshindernis. Um mich herum biegen sich Büffets mit Obst, deutschem Aufschnitt, Salaten, Süßspeisen, Käse, Rührei, Würstchen, Körben voller Weißbrot. Dazwischen sind zur Dekoration Kohlköpfe zu bizarren Türmen aufgebaut, die ich gern anstupsen und herunterpoltern lassen würde. Ein Kellner nimmt mich am Arm, führt mich entschieden an einen Tisch. Im Vorbeigehen sammelt er ein Brötchen, Butter und Marmelade ein und knallt den Teller vor mich hin, dass das Brötchen in die Höhe springt. Dort sitzt bereits ein braungebrann-

Ich stürzte mich in diese Affäre wie von einer Klippe ins Meer, ich flog, und tief unten, wo das Wasser ist, hatte ich mir ausgemalt, mit ihm nach Tanger abzuhauen. ter, muskulöser Mann Ende fünfzig mit sichtlich gefärbtem dunklem Haar, der sich mir als Helmut aus Hermsdorf, Berlin, vorstellt. Det is ja jar nüscht, wat Se da uffm Teller haben, sagt Helmut mitleidig. Ich nicke und nippe an meinem Kaffee. Er schmeckt salzig. Helmut grinst. Der Kaffee is Mist, aber allet andere! All inclusive, det heißt all you can fress, schöne Frau, also ran an die Buletten. Ick bin ja verfressen wie ne Raupe, aber wenn ick mir hier so umkieke, allet Kranke. Ick bin Krankenpfleger, müssen Se wissen. Und ick darf se dann stemmen. Soll ick Ihnen wat holen? Nein, danke, wehre ich ab. Ich kann morgens nicht so viel essen. Meine Krücken sinken im Sand ein und machen das Gehen beschwerlich. Früher war das ein wilder Hippie-

strand, jetzt gibt es hier einen Strandliegenvermieter neben dem anderen. Die Liegen sehen mit ihren dicken Matratzen aus wie Krankenhausbetten. Auf ihnen liegen meist ältere Männer in zu knappen Badehosen mit ihren fetten Frauen, die wie erschossen oben ohne auf dem Rücken liegen und ihre nackten Hängebrüste bräunen. Die Strandbar von Gustavo gibt es nicht mehr. Weggespült von der Zeit. Aber der Felsen ist immerhin noch da, kleiner als in meiner Erinnerung, aber ist jemals etwas überraschend größer als in der Erinnerung? Ich erinnere mich an meinen braungebrannten, glatten Körper, an die Wirkung, die er auf andere hatte. Ich erinnere mich an Karl und mich hinter dem Felsen, unsere stumme Art, uns zu lieben, an sein Erstaunen und Erschrecken über sich selbst. Was machte er hier, am Hippiestrand, mit einer völlig Fremden, während Frau und Kind im schmucken Ferienhäuschen saßen? Warum redete er sofort von Liebe? Ein letztes zerlumptes Zelt ist im Windschatten des Felsens aufgebaut, ein Mann mit verfilzten Haaren und zotteligem Bart kriecht heraus und betrachtet mich misstrauisch. Ich lege


Illustrationen: © Jean-Jacques Sempé

die Krücken in den Sand, lasse mich auf die Knie fallen, wie man es mir in der Reha gezeigt hat, drehe mich auf den Rücken, breite die Arme aus und lasse den Sand durch meine Finger rinnen. Glück bestand für mich immer in Selbstvergessenheit. Alles habe ich getan, um mich selbst zu vergessen und möglichst nicht zu denken. Ich habe damals einfach nichts gedacht. Nur gefühlt. Zu viel gefühlt, vielleicht. Der Mann setzt sich neben mich in den Sand. Mit einem Wimpernschlag erkennen wir uns als Angehörige desselben Stammes. Bunte Bändchen sind um seine wie meine Handgelenke gebunden, in den Ohren tragen wir eine ganze Reihe verschiedener Ohrringe, irgendwann kam das aus der Mode, ich glaube, als man anfing, sich zu tätowieren. Seine Zähne sind schlecht und weisen Lücken auf. Ich kenne das Problem. Keine Krankenversicherung. Du bist ’ne Allinc?, fragt er mich. Ich verstehe nicht. All inclusive, erklärt er und zeigt auf mein grünes Plastikband. Er holt ein altes, abgegriffenes Porte­monnaie aus der Tasche. Schenkste mir dein Band? Holste dir im Hotel ’n neues. Er öffnet sein Portemonnaie, Sand rieselt heraus. Leer wie ’n Loch, sagt er. Das Bändchen verlieren kostet Strafe. Hab selbst kein Geld, sage ich. Keine Sau hat mehr Pappe, seufzt er. Ich hatte mal viel, richtig viel. War mal ein erfolgreicher Mann. Er zieht ein Foto aus dem Portemonnaie, das einen Mann Anfang vierzig in Schlips und Anzug zeigt, seine Miene verkniffen, ein schmales Lächeln. Er hält das Foto neben sein verwittertes Gesicht. A ja, sage ich. Ich habe ihn auf dem Foto nicht erkannt. Und? Welches Leben ist das bessere? Beides scheiße, sagt er lachend. Wir schauen aufs Meer und schweigen. Aquí? Señora? Der Taxifahrer gibt sich Mühe. Nein, hier war es nicht, und dort in der Straße auch nicht und

dort drüben auch nicht. Casa Heike stand in Muschelschrift gleich neben der Tür, das weiß ich noch. Es war ihr Haus, sie hatte das Geld. Und Karl hat es dann wohl geerbt. Er und sein Sohn. An seinen Namen erinnere ich mich nicht mehr. Ich hab ihn nur zwei, drei Mal gesehen, ein einziges Mal war ich in dem Haus. Überall war sie. Es roch nach ihrem Parfüm. Ihre Kleider lagen herum, ihre Schuhe standen an der Tür. Ihr Bikini hing zum Trocknen am Pool. Weiß mit roten Mohnblüten, das weiß ich noch genau. Ein Bügelbrett stand in der Küche. Sie bügelte selbst im Urlaub seine Hemden, das erschien mir vollkommen verrückt. Ich erinnere mich an den Geruch von Stärke in Karls weißen Oberhemden, am liebsten hätte ich mir die Flasche Wäschestärke eingesteckt und nachts im Zelt an ihr gerochen. Dieser Duft des bürgerlichen Lebens faszinierte mich wie eine verbotene Droge. Mit solchen Männern durfte man nichts anfangen, das war Verrat, Verrat an der freien Liebe, am anderen Leben, an der Revolution. Mit der Revolution hatte ich nicht viel am Hut, wollte jedoch unbedingt dazugehören und nicht zu den anderen, den Bösen, Angepassten, den Betonköpfen, Unterdrückern, Kriegstrei-

bern, Kapitalisten. Aber die Codes der Guten waren nicht leicht zu knacken, und immer hatte ich Angst, einen Fehler zu machen. Es gab verschiedene Grade der Politisierung, und manche lehnten jede politische Diskussion ab, was wiederum als politischer Akt zu verstehen war. Mit einem einzigen falschen Satz oder, noch schlimmer, einem falschen Witz war man draußen, gehörte nicht mehr dazu. Auf Deutsch konnte ich mit den Versatzstücken der Politsprache ganz gut jonglieren, auf Englisch war ich bereits hilflos, auf Französisch ging gar nichts mehr, also schwieg ich meistens und hoffte, es wirkte geheimnisvoll. Ich hatte nur meine Figur, meinen wirklich schönen Busen. Der beeindruckte Blake und Bobo, Hippies der ersten Stunde aus San Francisco, ebenso wie Didi, Serge und Hervé aus Paris und Moffe, Dirk, Jochen aus Berlin, und noch einige andere, deren Namen ich vergessen habe. Nachts, wenn Apple in unserem Zelt schlief, schlich ich in andere Zelte,VW-Busse oder an den Strand, aber all diesen Männern musste ich immer wieder beweisen, dass ich wirklich nichts weiter von ihnen wollte als Sex, denn jede Form von Bindung wurde als grundspießig angeseDiogenes Magazin

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Nicht schon wieder Wellen! Hinterhältige Geschichten vom Meer

von Patricia Highsmith, Roald Dahl, Martin Suter, Doris Dörrie, Jeffrey Eugenides und anderen

Sommerliebe Liebesgeschichten

von F. Scott Fitzgerald, D.H. Lawrence, Urs Widmer, John Irving, Bernhard Schlink, Philippe Djian, Doris Dörrie und anderen

Diogenes

Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 23902, 416 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 24084, 320 Seiten

Landleben

Strandlesebuch

Diogenes

Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 24083, 368 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 24085, 288 Seiten

Ein Sehnsuchts-Lesebuch

Sonnige und coole Geschichten

»Manche Menschen lesen die Bücher am Strand, davon kommen die Bücher in die Hoffnung. Nach etwa ein bis zwei Wochen schwellen sie ganz dick an – nun werden sie wohl ein Broschürchen gebären, denkt man –, aber es ist nichts damit, es ist nur der Sand, mit dem sie sich vollgesogen haben. Das raschelt so schön, wenn man umblättert …« Kurt Tucholsky

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Illustration: © Jean-Jacques Sempé

Sommerzeit – Lesezeit

hen. Karl hingegen stammelte sofort etwas von Liebe. Ich spielte nun die Coole und sog seinen Neid auf mein vermeintlich freies Leben ein wie eine Biene den Nektar, schmiegte mich gleichzeitig an seine weißen Hemden und sehnte mich nach einem Leben mit weniger Unordnung als in meinem. Vier Wochen waren es nur. Nur vier verdammte Wochen, von denen ich mich ewig nicht erholte. Casa Eike, sagt der Taxifahrer und schüttelt den Kopf. Lo siento, señora. No importa, sage ich. Macht nichts. In einem Café bestelle ich café con le­ che, aber die Bedienung korrigiert mich: Hier gibt es echten deutschen Filterkaffee. Dann eben einen echten deutschen Filterkaffee. Ein älterer Mann am Nachbartisch dreht sich zu mir um. Der ist gut hier, sagt er. Nicht so wie die Plörre im Hotel. Wo sind Sie? Estrella de Mar. Kenn ich, sagt er. Wir kommen jedes Jahr zwei Mal her. Sind jetzt aber immer im Barceló Margerita. Da ist das Frühstücksbuffet besser. Drei verschiedene Sorten Graubrot, nicht nur das langweilige spanische Weißbrot. Leberwurst, Teewurst, Jagdwurst. Ich nicke. Afrikaner ziehen vorbei, schwer behängt mit Sonnenbrillen, Bikinis, Uhren und Ketten. Sie mustern uns kurz, bleiben noch nicht einmal stehen. Wir kaufen nichts, wir interessieren uns nicht, wir wollen uns­ere Ruhe. Das kennen sie. Wenn die Sonne nicht wäre, würde man ja überhaupt nicht herkommen, sagt der Mann. Ist ja alles nur noch Beton. War hier früher mal ein Traum. Jetzt halten es nur noch die Afrikaner für das gelobte Land. Na, dann noch einen schönen Resturlaub. Er steht auf. Ich nicke und schaue aufs Meer, das sich an alles erinnert. Welle um Welle rollt es auf den Strand und sieht nichts Neues unter der Sonne, nur immer wieder träumende Menschen, die nicht aufwachen können.


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15.02.2011

18:06 Uhr

Seite 1

»EINE TRIBÜNE DER LITERATUR, OFFEN FÜR DIE LITERATUREN DER WELT …« (WALTER HINCK)

Diogenes

Magazin

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die horen – 1980 und 1988 ausgezeichnet mit dem Alfred Kerr – Preis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, »weil sie mit großer Aufmerksamkeit die internationale Literatur beobachtet und vorstellt; weil sie in der deutschen Literatur nicht nur das Neueste behandelt, sondern sich auch um vergessene Autoren kümmert; weil sie mit Text und Kritik zu wesentlichen, wenig beachteten Autoren und Werken hinführt; weil sie den Leser durch Nachrichten und Kommentare am literarischen Leben beteiligt.« (Jury-Spruch) die horen – »Eine der markantesten und vielseitigsten Literaturzeitschriften der Gegenwart.« Paul Raabe // »So umfang- wie inhaltsreich, so lesens- wie sehenswert.« Neue Zürcher Zeitung. * edition die horen im Wirtschaftsverlag NW Verlag für neue Wissenschaft GmbH Postfach 101110 · D-27511 Bremerhaven Tel. (04 71) 9 45 44 61 · Fax (04 71) 9 45 44 88 E-Mail: vertrieb@nw-verlag.de

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Name Vorname Geburtsdatum Straße / Hausnummer Land / PLZ / Ort Telefonnummer / E-Mail Ich zahle per Rechnung für 3 Hefte € 10.– (D / A) oder sFr 18.– (CH) – weitere Länder auf Anfrage Rechnungsanschrift siehe oben Abweichende Lieferadresse: Name Vorname Straße / Hausnummer Land / PLZ / Ort Telefonnummer / E-Mail Ich möchte von Diogenes weitere Informationen per E-Mail oder schriftlich (nicht telefonisch) erhalten. (Ihre Daten dienen ausschließlich internen Zwecken und werden nicht an Dritte weitergeleitet.) Abo Service: Schwarzbach Graphic Relations GmbH, Deisenhofener Straße 45, 81539 München, Deutschland, Telefon +49 (0)89 64 94 36-6, Fax +49 (0)89 64 94 36-70, E-Mail: diogenesmagazin@diogenes.ch Widerrufsrecht: Die Bestellung kann ich innerhalb von 2 Wochen ohne Begründung schriftlich widerrufen. Das Abonnement verlängert sich automatisch. Kündigung bis 8 Wochen vor Ende Bezugszeitraum möglich. Die Preise sind inkl. Versandkosten, Preisänderungen vorbehalten. Stand April 2011

Datum / Unterschrift Diogenes Magazin

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Adam Davies

Sommer-Horoskop In der Ferienzeit gilt: Kein Frauenmagazin ohne Sommer-Horoskop. Ob die Liebe fürs Leben, Kurschatten, Karriere oder Gesundheit: Wie der Sommer wird – auch wenn die Sterne selten stimmen. Das Diogenes Magazin hat nun einen sehr unkonventionellen Weg gewählt und einen Schriftsteller beauftragt, sich ein Sommer-Horoskop auszudenken. Adam Davies, Jung-Romancier (zuletzt erschien sein Screwball-Thriller Dein oder mein ), hat also nicht in die Sterne geschaut, sondern ein aberwitziges Horoskop erfunden.

WIDDE R

Merkur und Venus stehen in Konjunktion, wodurch die Galaxis in diesem Monat ein wenig auf die schiefe Bahn gerät, andererseits aber der Sommer genau der richtige Zeitpunkt wird, eine neue Identität anzunehmen. Merkurovenus empfiehlt entweder »Reggie Skovacs«, einen stotternden Heizungsinstallateur mit Schlafzimmerblick aus Islip / New Jersey, der mit unschuldigen PVC-Rohren in der Öffentlichkeit unzüchtige Handlungen vornimmt, oder die Stickfee »Myrtle Groggins«, die mit ihren Zauberhänden edelste Sofa-Zierdeckchen fertigt, Schnittpunkt – wie jedermann weiß – der Richtungsachsen im Kartesischen Koordinatensystem.

ST IE R

In diesem Monat wird der berüchtigte Fotograf  / böse Magier »The Screw­ driver« Sie als Motiv für eine Fotostrecke zum Thema »Menschliche Masken« auswählen. Im Glauben, Sie 56

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ZWILLINGE

hätten sich als Geschmackstester für eine neue Sorte Sprühkäse gemeldet, lassen Sie sich in ein weißes Zimmer führen, wo man Ihnen eröffnet, dass ihr(e) Lebenspartner(in) in Wirklichkeit ein(e) Schauspieler(in) ist, den/die »The Screwdriver« dafür bezahlt hat, sich in Ihr Leben einzuschleusen und Ihre Liebe zu erringen. Eine versteckte Kamera wird dann Ihr Entsetzen und Ihre Trauer festhalten, als die geliebte Person das Zimmer betritt, die Behauptungen kühl bestätigt, Ihre Umarmung abwehrt und Sie anschließend für immer verlässt. Ihr Porträt, »Weinerliche Grimasse No. 33«, wird ein regelrechtes Kultfoto werden, auf Plakatwänden und in Zeitschriften erscheinen. Ihr Prominentenstatus wird Ihnen Einladungen zu einer Party im Ballsaal des Grand Hotel Les Trois Rois in Basel einbringen, wo Sie sich plötzlich und unsterblich verlieben werden.

In diesem Monat werden Sie weltweit Aufsehen erregen, wenn die unruhigen Geister der Comedian Harmonists und Mata Haris gemeinsam von Ihnen Besitz ergreifen und Sie internationale, genreübergreifende Hits verfassen wie Mein kleiner grüner to­ ter Briefkasten, Stephania, das Gift ist da, Ich wollt ich wär ein Ham­burger, Es ist Mittwoch und immer noch kein Wochenende in Sicht, und regnen tut es auch noch.

K R EB S

Wissen Sie noch, wie der Lehrer im Französischunterricht jedem einen französischen Namen verpasste? Aus Jürgen wurde Jean-Claude, aus Silke wurde Sylvie? Jetzt sind Sie erwachsen, also geben Sie sich einen guten, knackigen Mafianamen wie KarlHeinz »die Ratte« Müller, Lena »Machete« Schmidt. Falls Ihr Chef Sie


weiterhin mit Ihrem bürgerlichen Namen anspricht, ignorieren Sie ihn. Im Wiederholungsfall erschießen Sie ihn mit dem Luftgewehr, begleitet von passenden Soundeffekten und kurzen, lustigen Sprüchen. PENG! »Och, tut mir leid. Sie wollten eine Kopie davon haben, Chef? Schon unterwegs, Chef.« PENG PENG PENG PENG PENG!

LÖ WE

Nachdem Ihre Freunde Sie überredet haben, sich mit einer Sorte Marihuana genannt »Apollos Schenkelschweiß beim morgendlichen Jägerstündchen« zuzudröhnen, finden Sie sich plötzlich am Mulholland Drive wieder, wo ein berühmter Filmstar sich eben aus seiner Villa ausgesperrt hat und nun versucht, durch ein Fenster einzusteigen. Sie reichen dem klatschnassen und nur mit einem winzigen Handtuch bekleideten Star galant die Hand, helfen ihm die Hausmauer hoch und behaupten steif und fest, Sie sähen nicht hin, während sie so genau hinsehen wie ein Juwelier, der einem rosa Diamanten den Feinschliff gibt. Immer noch zugedröhnt fragen Sie den Filmstar: »Haben Sie schon mal Ihre eigene Nase gerochen? Und zwar echt. Gerochen. Ihre eigene. Nase?«, weshalb Sie nicht ins Haus gebeten werden, aber wissen Sie was? Das werden Sie nie vergessen.

Illustrationen: © Jean-Jacques Sempé

JU NG FRAU

Ausgerechnet Sie wollen mir weismachen, Sie hätten eine schwere Kindheit gehabt, liebe Jungfrau? Nur weil Ihre Mutter Sie in eine Art Netzkleid gesteckt hat, das aus Hunderten miteinander verbundener Metallhaken bestanden hat, mit pfundschweren Bleigewichten dran für jede Ihrer Lügen, und das Sie nie ausziehen durften, außer zum Baden oder ausnahmsweise zum Schlafen oder wenn Besuch kam oder wenn Arminia Bielefeld doch einmal ein Spiel gewann? Nur

weil Sie von klein auf bucklig und verkrümmt waren? Nur weil für Sie Liebe gleichbedeutend ist mit Folter? Nur weil … Schon gut. Sie haben gewonnen. Sie hatten eine beschissene Kindheit. Deshalb werden Sie in diesem Monat auch noch einen Verkehrsunfall haben und als dessen Folge eine höchst selektive Amnesie erleiden, die die ganzen absurd traurigen Ereignisse Ihres Lebens aus Ihrem Gedächtnis löscht, und Sie werden als zauberhafter, gesunder und liebevoller Mensch wiedergeboren werden.

WA AGE

Waage, Waage, Waage. Wo soll ich anfangen? Sie haben den Durst eines Dylan Thomas, sind so liebenswürdig wie Hunter S. Thompson, Sie legen so viel Wert auf Körperpflege wie der junge Charles Bukowski und neigen zu verbalen Ausfällen wie Udo Dirkschneider, doch so richtig erzürnen Sie die Gestirne mit Ihren ständigen Facebook-Posts über Ihren Chihuahua »Picklepots«. Und noch etwas: Würden Sie nicht auch sagen, dass sich die Po-Formen seit den 1970er-Jahren geändert haben?

S KOR PI O N

Eine gute Nachricht: Sie werden Ihre(n) Seelengefährten(in) kennenlernen. Die schlechte Nachricht für heterosexuelle Männer: Sie riecht nach Limabohnen und sammelt das, was sie von ihren Fingernägeln abschneidet. Die schlechte Nachricht für heterosexuelle Frauen: Er wird Sie nur lieben, wenn Sie sich kleiden wie Klementine aus der Ariel-Werbung. Die schlechte Nachricht für homosexuelle Männer: Er steht auf kantige

Beaus à la Pierce Brosnan in Reming­ ton Steele und nicht auf schüchterne Buchhaltertypen à la Derrick, wie Sie einer sind. Die schlechte Nachricht für lesbische Frauen: Sie wird immer wieder in der Öffentlichkeit wüste Streitgespräche über ihre feste Überzeugung führen, dass »Frauen keine Marotten haben«.

S C H ÜTZE

In diesem Monat, liebe Schützen, ist Kreativität gefragt. Die Planeten sind der Ansicht, Sie sollten ein verrücktes neues Brettspiel erfinden. Sie schlagen etwas mit Klonks, Amamas und glitzernden Sprutzen vor.

STEINB OC K

Dank eines Schlupflochs im internatio­ nalen Recht werden Sie in diesem Monat Ihren eigenen Zwergstaat gründen. Ihre Souveränität wird sich auf die Grenzen Ihres Hauses erstrecken. Sie werden als Oberster Herrscher von Egomanien bejubelt werden, eine Landes­ währung prägen lassen mit einem schmeichelhaft retuschierten Konter­fei Ihrer Wenigkeit, das Sie mit stolz geschwellter Brust wie eine dieser Kühlerfiguren der 1920er-Jahre in Ihrem Reich zeigt, und Sie werden eine lukrative Einkommensquelle erschließen, indem Sie Pauschalreisen in die Städte Egoma­niens namens »Das ist meine Küche«, »Rühren Sie die Karamellen nicht an« und »Das ist mein Badezimmer, es tut mir leid, das war ich nicht, da war gerade jemand anderes drin« anbieten. Leider werden Sie weltweit Ärger bekommen, wenn herauskommt, dass Sie Visa ausschließlich attraktiven Mitgliedern des anderen Geschlechts ausstellen

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und ausschließlich für Reisen in die Landeshauptstadt namens »Würden Sie gern mein Schlafzimmer besuchen und sich meine Radierungen ansehen?«.

WA SSE RMANN

Sie werden einen großgewachsenen, dunkelhaarigen Fremden kennenlernen, der eigentlich, tja, gar kein richtiger Fremder ist. Sondern eher so ein Typ, von dem Sie wissen, dass Sie ihm schon mal irgendwo begegnet sind. Beim Frettchen-in-die-Hose-stecken oder so was. Wir sind uns aber nie vorgestellt worden, so echt offiziell und so. Weil dauernd diese Sache passiert? Und sein genauer Name fällt Ihnen nicht ein, aber er muss Hannibal oder Rex oder War-Hammer heißen? Genau: der Typ.

FISCHE

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Digitales Leben Reportagen aus der Parallelwelt CHF 20 / EUR 15

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Das Kulturmagazin – Du 815 – April 2011

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1.

Digitales Leben – Reportagen aus der Parallelwelt

In diesem Monat, auf dem Heimweg von einem Auftritt der Blue Man Group, den Ihre Begleitung genial fand, Sie selbst aber so furchtbar, dass Sie sich am liebsten neun Mal ins eigene Auge gestochen hätten, ziehen Sie eine Trennung in Erwägung. Ihre Begleitung hört nicht auf, von dem Event zu schwärmen, und bei jeder Silbe wundern Sie sich mehr, wie Sie beide jemals zusammenkommen konnten, was Ihnen aus irgendeinem Grund tiefste Scham bereitet. Dann, als Sie gerade glauben, schlimmer könne es nicht kommen, werden Sie GESAMTWERTUNG von einem wegen einer Überdosis Koffein hypernervösen Straßenräuber überfallen und schaffen es nicht mehr, EI T BA Ihren Ausruf zu beenden: »Gib ihm N K I NG-R A einfach deine Scheißuhr, du Depp, siehst du denn nicht, dass er bewaff–« unseren Kunden, dass das Private Banking der Zürcher Kantonalbank im Bilanz Rating 2011 als

Das Kulturmagazin – Nr. 815 – April 2011

ser vate Banking t seinen Preis: n ersten.

Seit 70 Jahren das Beste aus Literatur, Kunst, Musik, Fotografie, Film, Architektur, Design und Gesellschaft.


Ingrid Noll auf der einsamen Insel Jeder kennt die Frage: »Welches Buch würden Sie auf die einsame Insel mitnehmen?« Wir haben diesmal Ingrid Noll gefragt – und um es ein wenig spannender (und bequemer) zu machen, durfte sie mehr als nur ein Buch auf die Insel mitnehmen. Roman Gabriel García Márquez, Hundert Jahre Einsamkeit

Gemälde Lucas Cranach d.Ä., Adam und Eva im Paradies, 1531

Erzählung Fjodor M. Dostojewski, Die Sanfte

Foto Familie Noll, 1940 Musikinstrument Mundharmonika

Sachbuch Pschyrembel Lyrik Heinrich Heine, Buch der Lieder

Möbelstück Schreibtisch Technisches Gerät Apple

Theaterstück Bertolt Brecht, Die Dreigroschenoper

Kleidungsstück Lesebrille

Zeitung Die Lokalzeitung

Oper Claudio Monteverdi, L’Orfeo

Parfüm Floris, White Rose

Zeitschrift Der Spiegel

Jazz Louis Armstrong, Blueberry Hill

Spiel Patience-Karten

TV-Sender 3sat Radiosender Deutschlandradio Kultur Film Some Like It Hot

Lebenspartner Mein Mann Pop / Rock The Beatles, When I’m sixty-four Lieblingsessen (nicht süß) Jakobsmuscheln

Lebensretter Derselbe Gesprächspartner Meine Schwester

Illustration: © Bosc; Foto: © Isolde Ohlbaum

Streitpartner Mein Bruder Lieblingsessen (süß) Crêpe Suzette

Briefpartner Meine Kinder

Schauspielerin Katharine Hepburn

Lieblingsgetränk (alkoholfrei) Frisch gepresster Saft

Haustier Ein Löwe, dem ich den Dorn aus der Pranke gezogen habe

Klassik Joseph Haydn, Die Schöpfung

Lieblingsgetränk (alkoholisch) Campari Orange

Joker-Artikel: Was würden Sie noch mitnehmen? Eine Waschmaschine

TV-Serie Tatort Schauspieler Paul Newman

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Erzählung

Urs Widmer

In Timbuktu O

ja, auch ich bin in der Vergangenheit gereist, oft und zuweilen weit, einmal sogar in die Vergangenheit. Letzteres will ich nie mehr tun, Ersteres kann ich nicht mehr. Vorbei ist vorbei. Ich bin in Argos gewesen, in Istanbul, in Matala (dem Matala von einst: Felsen, ein paar verrückte Hippies in ihren Höhlen; ein einziges Hotel ohne jeden Komfort; und meine Frau hatte Angst, dass ich ertränke, so euphorisch schwamm ich in den hohen Wellen), einmal völlig allein in Delphi. Auch das soll mir heute einer nachmachen. – Nein, ich war nicht allein. Da war noch ein Pianist, der – ich schwöre, dass es genau dort war – mitten in dem heiligen Tempelrund an einem schwarzen Flügel saß und Beethoven spielte. Er übte für ein Konzert, das am gleichen Abend stattfand. Ich ging hin und setzte mich zu den paar Zuhörern auf die Tempelsteine. Der Pianist erwies sich als blind und wurde von einer Frau zum Klavier geführt, seiner Frau vielleicht. Er setzte sich umständlich,

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schraubte an seinem Stuhl herum und donnert endlich los, die Pathétique möglicherweise; ich habe vergessen, was genau er donnerte. Nicht vergessen habe ich, dass er nach wenigen

Das Misstrauen ist ein nützlicher Reisebegleiter. Allerdings auch ein äußerst fader, denn von ihm begleitet, bleibt man meist da, wo man ist. Takten, in den Anfängen des ersten Satzes, steckenblieb und nicht mehr weiterwusste und hilflos um sich sah, nach den Noten von früher möglicherweise. Das heißt, er wandte und drehte den Kopf wie ein sterbender Vogel. Die Frau, auf so etwas wohl vorbereitet, kam auf die Bühne gestürzt und führte ihn weg. Das Konzert war aus nach kaum fünf Minuten,

und wir standen auf und verloren uns im Mondlicht. Zikaden zirpten, eine Nachtigall sang aus einem Olivenbaum. Ich war auch, auf meinen vergangenen Reisen, in Tokio, in Mettenbach, in Anchorage, in Tremona, in Liestal, in Bergen, in Mülheim an der Ruhr, in Prag, in Sils-Maria und auch in SilsBaselgia, in Monterey, in Big Sur, in Cambridge, Mass., in Amsterdam und in Brüssel, in Alfermée, in Salvador de Bahia, in Paris und in Lavérune und sogar in St. Etienne, wo gerade der Fußballklub wieder in die oberste Liga aufgestiegen war und die Stéphanois das ausgelassen feierten, ich bald mit ihnen, obwohl ich einst ein Fan des FC Basel gewesen bin. All dies habe ich in der Vergangenheit getan. Und ich könnte Ihnen jeden dieser Orte beschreiben, o ja, das könnte ich. Ich könnte Ihnen Geschichten von Tokio erzählen, Mettenbach, Anchorage (die herrlichen Chinesinnen auf dem Flugplatz, alle einsfünfundneunzig groß). Los Ange-

Foto: Widmer © Archiv Diogenes Verlag; Foto Kathmandu: © Grigory Kubatyan – Fotolia.com

Haben wir nicht alle Sehnsuchtsorte, deren Namen allein unsere Reiselust wecken? Für Urs Widmer sind dies Timbuktu, der Polarkreis, Kathmandu und Zermatt. Doch anstatt ins Flugzeug oder in die Bahn zu steigen, hat sich Urs Widmer an den Schreibtisch gesetzt, seine Phantasie auf die Reise geschickt und so vier Orte beschrieben, an denen er noch nie gewesen ist.


les (meine Frau, die den Motor des Mietautos nicht mehr abstellen konnte, einfach nicht, weder mit Gebeten noch mit Fußtritten), La Rösa, Krakau, Bellagio, Tremona, Liestal (wo mein Vater, nach der Beerdigung seines Bruders, erschöpft und traurig vor der Kirche saß, mit seinem Hut in der Hand, und eine mildtätige Dame ihm fünfzig Rappen in den Hut warf ), Bergen, Mülheim an der Ruhr, Prag, Sils-Maria und auch Sils-Baselgia, Monterey, Big Sur, Cambridge, Mass., Amsterdam, Brüssel, Alfermée, Salvador de Bahia, Paris, Lavérune (wo ich das beste Gulasch meines Lebens aß, die Mutter aller Gulaschs), St. Etienne. Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen, Geschichten! Aber ich soll, ich darf, ich will von der Zukunft sprechen. Ich werde Orte beschreiben, an denen ich noch nicht war. Vier Orte, vier von vielen. Denn die Erde ist groß und wird immer gewaltiger, für mich wenigstens, der es immer mehr mit Blaise Pascal hält und in seinem Zimmer bleibt. – Timbuktu zuerst. Mein Gott, was habe ich mich nach Timbuktu gesehnt! In Timbuktu sind die Menschen schwarz und schön und in farbige Tücher gehüllt, Körbe oder Wasserkrüge auf dem Kopf tragend. Der Niger, an dessen Ufern Timbuktu liegt, fließt verkehrt herum. Er ist der einzige Fluss der Welt, der von seiner Mündung wegfließt, vom

Meer zur Quelle. Jedenfalls haben das ernsthafte Forscher wie Mungo Park festgestellt, nicht über alle Maßen überrascht allerdings, denn in Afrika im Allgemeinen und in Timbuktu im Besonderen ist alles möglich. Wie habe ich mich einst nach Mungo Park gesehnt! Ich wollte wie er sein, ich wollte er sein, fast so sehr, wie ich Fausto Coppi sein wollte, oder vielleicht noch inniger. Nur sein Ende, das blendete ich aus. Denn niemand kennt Mungo Parks Ende. Er wurde erschlagen oder ertränkt oder von einem Löwen aufgefressen. Oder alles zusammen. Wir wissen es nicht. Zum Schluss trieb Mungos Leiche den Niger hinauf, der Quelle entgegen, den Schakalen ins Maul, die ihn schwimmend an Land zerrten. – Timbuktu ist herrlich. In der Sonne leuchtende Lehmmauern, goldene Dächer. Flirrende Luft. Palmen. Verhungernde Menschen in den Gassen, das auch; wir sind in Afrika. Ein Sonnenuntergang ist, als rase der Sonnenball, einem abgestürzten Flugkörper gleich, in den Horizont. Und der Aufgang ist wie ein Raketenstart. Du siehst deine eigene Hand nicht vor den Augen, und zehn Sekunden später ist das Sonnenlicht so grell und heiß, dass du die Augen zupresst und das Schweißwasser dir aus allen Poren rinnt. Trink Bier, Wanderer! Du kriegst es in einer Bar am Hauptplatz, in der du am bes-

ten gleich über Nacht bleibst, denn am Morgen, nach Sonnenaufgang, braucht einer wie du viel Kraft und noch mehr Glück, den glühenden Platz lebend zu überqueren. Auch die Timbuktuer versuchen das kaum je, nur in Notfällen. Aber Afrika kennt keine Notfälle, weil jeder Tag ein einziger Notfall ist. So viel zu Timbuktu. Der Polarkreis als Zweites. Da musst du, ob Mann oder Dame, warme Unterkleidung mitnehmen, heiße Oberkleidung, alles Dicke und Wärmende, dessen du nur habhaft werden kannst. Es ist saukalt am Polarkreis, besonders wenn du direkt aus Timbuktu kommst. (Das ist selten, aus Timbuktu geht man nicht weg, kaum je, weil der Bus in der Mitte des Hauptplatzes hält, in der gnadenlosen Sonne, und erst abfährt, wenn er bis zum letzten Platz gefüllt ist; was vorkommt; aber dann sind die zuerst Eingestiegenen bereits tot, auch der Fahrer. Hitzschläge, Durst.) Wir nähern uns dem Polarkreis von Süden her, wir haben den nördlichen als unser Sehnsuchtsziel gewählt. Wir gehen und gehen, durch Tundragras und erfrorenes Farnkraut. Tiefgekühlte Vögel flattern schreiend auf, Polarenten und Schneefinken. Wir sagen längst kein Wort mehr, gehen in unserer einsamen Einerkolonne, jeder auf den Rucksack des oder der vor ihm Gehenden starrend. In einsame Gedan-

Wir können Kultur. Und eine Million Leser/innen wissen das. Jeden Monat. kulturnews.de uMagazine.de

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ken versunken, die oft um den Hauptplatz von Timbuktu kreisen, um dessen angenehmes Klima. Es ist dunkel, nur ein Polarlicht weist uns den Weg. Wir sind Silhouetten, sogar der oder die Geliebte sieht wie ein Scherenschnitt aus. Hier geht es ums nackte Überleben, wenn nicht just das der falscheste Ausdruck wäre: Überleben können sogar die Angezogensten und Eingemummeltesten kaum. Die Dunkelheit macht, dass wir dazu neigen, ein bisschen stumpf vor uns hinzumarschieren, ohne Sinn für das Schöne und Herrliche unserer Umgebung. So geschieht es oft, dass der oder die Vorderste der Kolonne unversehens gegen den Polarkreis prallt, sich regel­recht seinen oder ihren Schädel an ihm anschlägt, den Dutz, denn der Polarkreis verläuft – ein erdumspannender Ring aus einer unbekannten, aber festen Materie – etwa einssiebzig hoch über dem Erdboden, quer zur Marschrichtung. Die Idee, dann eben kleinere Führer zu verwenden, Zwerge, hat sich kaum bewährt, weil diese, die Gnome, unter dem Polarkreis hindurchmarschierten, ohne ihn zu bemerken, so dass der oder die Nächste ihren oder seinen Dutz am Polarkreis an- oder gar einschlug. Einer dieser Führerkobolde bemerkte das Unglück hinter sich so wenig, dass er einfach weiterging, weiter und weiter, und so am 23. April 1768 den Nordpol entdeckte, allerdings auch dies, ohne es zu bemerken, denn der Nordpol war damals noch nicht angeschrieben. – Ich will nicht hören, nein, dass es in Kathmandu nun auch schon Coca-Cola gibt. Erstens kann das nicht wahr sein, und zweitens. Zweitens wäre ich damals in Timbuktu froh gewesen um ein noch so kleines Coci. Kathmandu also. Es ist äußerst schwer zu erreichen, dieses Kathmandu, du musst zuerst mit der indischen Staatsbahn fahren, auf dem Dach oben oder an einen Türgriff gekrallt, von Kalkutta über Dhanbad, Patna, Gorakhpur, Bettiah bis nach Birganj an der nepalesischen Grenze. Dort musst du auf die Kamele umchecken 62

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oder auf Lamas, träge Lasttiere, die nie trinken und schlafen und dorthin gehen, wohin sie wollen; und das ist auch nicht immer Kathmandu. Da schaukelst du im Mondlicht durch endlose Salzwüsten und steigst terras-

dass du den Heimweg ohne ihn nicht mehr findest, 25 Dollar. (Solcher Vorkommnisse wegen sind viele Nepalreisende voller Misstrauen. In der Tat ist das Misstrauen ein nützlicher Reisebegleiter. Allerdings auch ein äußerst fader, denn von ihm begleitet, bleibt man meist da, wo man ist, allein mit dem Misstrauen Tag und Nacht.) Wir haben Kathmandu – Die Sherpas nehmen Kreditkarten. – zwar schon mehrmals als Wie auch immer, am dreiundfünfzigsTag biegen wir um eine Felsecke: Fata Morgana gesehen … ten und sehen die Zinnen von KathmanAls wir die Stadt aber du. Oh, ah, das ist wunderbar. Wir haben die herrliche Stadt zwar schon jetzt betreten, einen mehrmals als Fata Morgana gesehen, Wellblechhüttenhaufen, in die Salzwüste gespiegelt, hinter fiktiven Seen. Als wir jetzt aber die Stadt ist alles noch viel groß­ betreten, einen Wellblechhüttenhauartiger als erwartet. fen, ist alles noch viel großartiger als erwartet. Menschen, viele Menschen, alle mit irgendetwas handelnd. Glöcksenförmige Berghaine hinan, längst chen, Gewürzen, Rucksäcken. Mönohne Kamel oder Lama, mit einem che und Mönchinnen. Ein paar NeuSherpa dafür, der vor dir ekstatische gierige auch aus anderen Ländern, die Gesänge in seinen Bart orgelt, die Ge- alle Rucksäcke tragen und alle im betsmühle dreht und für jeden Tag »Kathmandu Inn« logieren, dem ein15 Dollar will; später, als er sicher ist, zigen Hotel der Stadt, in dem auch wir uns einquartieren. Wir – meine Frau Buchtipp und ich – kriegen ein gemütliches Achterzimmer, zusammen mit sechs Briten, die für zwölfe schnarchen. Im Pub des Inn trinken wir eine Cola. Wir sind die einzigen Touristen ohne Rucksack, darum sind die einheimischen Rucksackhändler den ganzen Tag hinter uns her. Der Rucksack ist nämlich eine Erfindung aus KathmanUrs Widmer du, oder vielleicht aus Kandahar, ich Stille Post kann die beiden Orte schwer auseinKleine Prosa anderhalten. Sicher jedenfalls stammen die ersten Skibindungen aus Kath­ Diogenes mandu, ich hatte selber in meiner Jugend noch solche, montiert auf ca. 176 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06790-3 Eschenholzlatten. Tatsächlich gibt es SEPTEMBER über der Stadt schneeverwehte Hänge, Ein Kinderspiel hat dieser ›Kleinen in die die Mönche, auf heiligen HölProsa‹ ihren Titel gegeben, fast ein zern gleitend, mit weiten Schwüngen Programm. Schöpfungsmythen, Spuren legen, die sie dann in hitzigen Menschheitsängste und -träume, Debatten deuten, diese Zeichen, diese Zivilisationskritik, komische Familienlegenden, mythische und in den Schnee geworfenen Weissagunreale Reiseziele in unterschiedlichster gen. Die Spuren gleichen Wellenlinien, Darbietung: als Rollenprosa, die da und dort von einem Loch Traumbericht, Zwiegespräch, unterbrochen sind, wenn nämlich es Bilderbuch, poème en prose. einen der rasenden Mönche über-


Bleibt mir das Matterhorn. Ich habe das Matterhorn noch nie gesehen, nicht ein einziges Mal, und natürlich auch nie das liebliche Zermatt. Aber ich sehne mich danach. Ich bin ein geübter Berggänger, das darf ich von mir sagen, ich habe vor dreißig Jahren den Piz Palü bestiegen und seither noch einige Eintausender. Vielleicht nimmt mich jener sechsund­ neun­ zigjährige Bergführer mit, der noch jeden Tag z’Berg geht und sich in seiner Freizeit mit der Milka-Kuh fotografieren lässt. Inzwischen ist er wohl hundertdrei. Das käme mir entgegen, vielleicht schaffe ich es so, ihm bis zur Hörnlihütte zu folgen. Weiter will ich sowieso nicht, ich bin kein Ogi, in mir herrscht über dreitausend Metern keine Freude. In der Hörnlihütte esse ich das Gericht des Hauses, trinke einen Halben, und dann trete ich vor die Hüttentür und juchze. Neben mir der Ätti, dessen Stimme noch viel weiter trägt als meine. Unten in Zermatt nicken sich die Einheimischen zu, ja, ja, die Berggeister sind auch im neuen Jahrtausend aktiv. Die Gäste aus dem Ausland sind fassungslos. Einer macht ein Video, mit Ton,

auf dem man später das bewegungslose Matterhorn sehen wird. Der Ton ist ein langgezogenes Heulen, zweistimmig, das wie ein Hilferuf klingt. Götter, helft uns in unserer Not. Der Tourist, der Macher des Videos, führt dieses später in seiner Heimat, in Oklahoma City, seiner Frau und seinen Kindern vor, und allen rieselt ein solches Rieseln über den Rücken, dass sie das Video vor seinem Ende abstellen und also nicht sehen, wie der Ätti und ich in großen Sprüngen die Felsen hinunterschnellen, übermütig juch­ zend. Unten im Dorf bin ich gehörig erschöpft, ich bin ja bald zweiundsechzig; aber der Hundertdreijährige hilft mir auf die Beine, und zusammen gehen wir in seine Stammbeiz, das »Shopping and Fucking«, das in seiner Jugend »Matterhornstübli« geheißen hat. Wir essen Älplermagronen und trinken einen weiteren Halben. Das sind meine Reisen in der und in die Zukunft. Liebe Freundinnen und Freunde. Kommen Sie mit. Buchen Sie jetzt unter www.widmerreisen.ch oder schieben Sie mir diskret Ihre Kreditkarte unter meiner Haustür zu. Codenummer nicht vergessen. Danke.

Foto Timbuktu: © Jan Reinke – Fotolia.com; Foto Zermatt: © michaelw68 – Fotolia.com

schlagen hat. Ich miete mir auch so Latten und brettere einen jungfräulichen Hang hinab. Stiebender Neuschnee bis unten, wo mich die Hitze der Stadt erwartet. Ich deute meine Spur, die Deutung verheißt nichts Gutes. Später kriechen wir auf den Knien durch ein Heiligtum voller holzgeschnitzter Drachen, essen, um Töpfchen und Tellerchen kauernd, Blumen und Fischteile, von denen niemand sagen kann, wie sie nach Kathmandu gelangt sind. Denn Kathmandu ist einige tausend Meilen und Höhenmeter vom nächsten Meer entfernt. Die Einheimischen, Fischer alle, behaupten, es seien fliegende Fische, die bis hierher flögen und mit großen, an Drachen schwebenden Netzen gefangen würden. Ich denke eher, sie sind tiefgekühlt und werden von rennenden Boten in die Berge gebracht. Aber was weiß ein Fremder, heutzutage. Heutzutage essen die Menschen in Bülach Litschi oder Sushi mit Stäbchen, und in Kathmandu verschlingen sie Fondue mit Schweizer Offiziersmessern, deren Zahnstocher sie für Fonduegabeln halten.

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ten. Friedrich Dönhoff und seine Hauptfigur – Hauptkommissar Sebastian Fink – leben und wir­ ken in der Hansestadt Hamburg. In München hingegen sind Christian Schünemann und sein er­ mittelnder Frisör Tomas Prinz zu Hause. Von Konkurrenz kann keine Rede sein, vielmehr verbindet beide eine Freundschaft.

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Foto: © Anja Glitsch

Zwei junge Kriminalschriftsteller, die an den zwei entferntest gelegenen Enden Deutschlands arbei­


Interview

Alles Seifenoper? Friedrich Dönhoff und Christian Schünemann inmitten der Kulissen einer TV-Serie: ein guter Ort für ein Gespräch der Autorenkollegen über Schünemanns neuen Roman Daily Soap.

Foto: Hürlimann Medien AG, Zürich für Diogenes Verlag

F

ünfundvierzig Minuten Drehpause!«, verkündet eine Stimme über Lautsprecher. Eine Eisentür öffnet sich und gibt den Weg frei für einen Mann, einen Diener in Livree und gelber Weste, der aus dem Studio eilt, um sich eine Zigarette anzuzünden. Ihm folgen eine Köchin, ein Tross von Damen und Herren in vornehmer Kleidung und einige Leute in Jeans und T-Shirt. Es sind Darsteller und die Filmcrew der täglichen ARD-Vor­ abend­serie Verbotene Liebe, die in den Produktionshallen in Köln Ossendorf aufgezeichnet wird. Wir haben nun die Erlaubnis, einen Blick in und hinter die Kulissen zu werfen. Leichtbauwände simulieren eine ehrwürdige Bibliothek, ein vornehmes Esszimmer, eine Schlossküche. Am Ende der Studiohalle führt eine Freitreppe mit einem roten Läufer ins Nichts. Kameras und Scheinwerfer stehen herum, auf dem Boden liegen Kabel. Friedrich Dönhoff: Du hast als soge­ nannter Storyliner, als Erfinder von Geschichten, für verschiedene TV-Serien gearbeitet, auch hier für Verbotene Liebe; spaziert man zur Vorbereitung manchmal durch

die Kulissen, um sich inspirieren zu lassen? Christian Schünemann: Leider viel zu selten. Dabei wäre es gut, sich an bestimmte Details und Requisiten zu erinnern, die man in die Geschichten einbauen könnte. Die silberne Tischglocke zum Beispiel, mit der die Herrschaften am Esstisch nach der Dienerschaft klingeln, hatte ich schon völlig

Wenn du eine Serie jeden Tag guckst, werden die Figuren dir – schneller, als du denkst – zu guten Bekannten. vergessen. Die könnte man eigentlich mal benutzen. Vielleicht als ein Mordinstrument? Spricht da der Krimiautor? In der Vorabendserie müssen wir eher Alltagsgeschichten erzählen. Wie arbeitet der Storyliner? Er sitzt oben im Büro mit seinem Team von acht Leuten um einen Tisch und denkt sich Szene für Szene aus. Jede Woche müssen fünf Folgen der

Serie entstehen. Das ist wie Fließband­ arbeit unter großem Zeitdruck. Und wenn das Team sich auf den Verlauf einer Geschichte nicht einigen kann, dauert es manchmal bis in die Nacht. Danach wird die Storyline niedergeschrieben, wobei man oft auf Phrasen, die jeder versteht, zurückgreift. Die Storyline ist dann die Grund­lage für den Dialog, den wieder andere Autoren schreiben. Das fertige Drehbuch geht anschließend an den Regisseur und die Schauspieler, die es in das umsetzen, was allabendlich auf dem Fern­ sehschirm zu sehen ist. Wie viel Zeit vergeht, bis die oben im Büro erfundene Geschichte im Fern­ sehen zu sehen ist? Etwa drei Monate. Allein in Deutschland werden Daily Soaps von über zehn Millionen Zuschauern täglich verfolgt. Was glaubst du, ist der Grund für die Attraktivität? Wenn du eine Serie jeden Tag guckst, werden die Figuren dir – schneller, als du denkst – zu guten Bekannten, Freunden, zu einer Art Ersatzfamilie. Diese Menschen sind ja täglich bei dir im Wohnzimmer, sie begleiten dich über Wochen, Monate, möglicherweiDiogenes Magazin

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se über Jahre. Da können Vertrautheit und Verbindung entstehen. Und dann werden die klassischen großen Themen behandelt: Liebe, Vergeltung, Hass, Versöhnung – allerdings heruntergebrochen auf Geschichten aus dem Alltag. Wie unterscheidet sich die Arbeit des Storyliners von der des Romanautors? Die Hauptunterschiede sind die Arbeit im Team und der große Zeitdruck, unter dem der Storyliner steht. Beim Romanschreiben genieße ich es, mir Zeit zu nehmen für eine Passage, für einen einzigen Satz; dass ich an Formulierungen feilen, eine bildhafte Sprache finden kann. Aber – du kennst es selbst – es ist eine einsame Arbeit, du musst alles aus dir selbst schöpfen. Romanschreiben ist großes Glück, und manchmal ist es ein großer Fluch. Fällt es dir schwer, zwischen den Genres zu wechseln? Nein, ich liebe den Wechsel. Und manchmal lässt sich das eine mit dem anderen verbinden: Daily 66

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Soap heißt dein neuestes Buch aus der Reihe um den Ermittler Tomas Prinz, der im Hauptberuf Frisör ist. Im neuen Fall will ein ehemaliger Teenie-Star aus den 1970er-Jahren, heute eine etwas abgetakelte Diva, noch einmal zurück ins Scheinwerferlicht, auf die große Bühne, und übernimmt die Hauptrolle in einer bekannten Daily Soap. Sie bittet Tomas Prinz, sie an jedem Vormittag im Studio für ihren Auftritt zu frisieren. So gerät der Frisör hinter die Kulissen des Serienbetriebs. … wo eines Morgens eine Leiche in der Deko-Badewanne liegt. Nicht zu viel verraten! Nein, nur noch dies: Die Zahl der Verdächtigen ist groß, weil sich hin­ ter den Kulissen kleine und große menschliche Dramen abspielen. Zum Beispiel verliert ein Schauspieler sei­ ne Rolle, die er tagtäglich über viele Jahre gespielt hat. Er verliert damit sozusagen sein zweites Ich. Ein Schauspieler in einer Daily Soap ist ein besonderer Fall. Eben weil er täglich in seiner Rolle auf dem

Bildschirm zu sehen ist, wird er vom Publikum mit der Figur, die er spielt, sehr stark identifiziert. Das führt dazu, dass es für ihn später einmal verdammt schwer sein wird, in einer anderen Produktion eine neue Rolle zu bekommen. Da entstehen Abhängigkeiten und Ängste. Und gute Voraussetzungen für ein Verbrechen  . . . In Daily Soap löst To­ mas Prinz schon seinen vierten Fall. Hattest du von Anfang an geplant, mehrere Bücher mit ihm als Ermitt­ ler zu schreiben? Ja. Ich finde es reizvoll, Figuren, die ich erschaffen habe, wieder zu treffen und zu schauen, wie sie sich entwickeln. Außerdem ist ein Frisörsalon natürlich eine unerschöpfliche Quelle für Geschichten: Der Frisör ist ein Vertrauter seiner Kunden, er hört viele Geheimnisse. Hat sich Tomas Prinz innerhalb der vier Bücher verändert? Ich glaube, er ist selbstbewusster geworden. Das kann aber auch daran liegen, dass sein Autor beim Schreiben von Buch zu Buch selbstbewuss-


Fotos: © Anja Glitsch

ter wird. Das erlebst du doch sicherlich auch? Eigentlich ja. Je freier man sich beim Schreiben fühlt, desto leichter und weiter entwickeln sich alle Figuren und mit ihnen die Geschichte. Planst du deine Kriminalromane eigentlich von Anfang bis zum Ende durch, oder wird einiges erst während der Niederschrift entschieden? Ich plane die Geschichte, bevor ich anfange zu schreiben. Doch auf der Hälfte, so bei Seite einhundertundfünfzig, mache ich Kassensturz und gucke, was ich aus dem Anfangs­ material tatsächlich noch brauche. Bei fast jedem Buch komme ich dann noch mal auf eine neue Spur, ein neues Motiv und einen anderen Mörder. Geht dir das bei deinen Büchern nicht so? Nein, eher nicht. Ich bastle sehr lan­ ge am Skelett einer Geschichte, bis feststeht, was in jedem Kapitel pas­ sieren wird. Den Mörder kenne ich also von Anfang an. Erst dann be­ ginne ich mit der Niederschrift des Romans.

Die Geschichte verändert sich dann gar nicht mehr? Ganz wenig. Aber was stimmt: Wenn aus dem Skelett ein lebendiges Wesen wird, überrascht mich dann doch das Aussehen und auch der Charakter. Weißt du denn schon, wie viele Fälle Tomas Prinz noch lö­ sen wird? Ich kann das gar nicht so gut beantworten. Da müsste ich eigentlich ihn selbst fragen. Es gibt aber noch einige Milieus in München, in denen er sich ein wenig umsehen könnte. Wie ist es denn bei deinem Sebastian Fink, dem jüngsten Hauptkommissar in Hamburg? Der hat auch noch zu tun. Derzeit versucht er gerade, seinen dritten Fall zu lösen. Und der wird auch nicht der letzte sein. Du, die Schau­ spieler kommen ins Studio zurück, die wollen hier jetzt weiterdrehen. Ja, wir müssen abhauen. Es sei denn, wir wollten zur Abwechslung als Komparsen anheuern . . .

Buchtipp

Christian Schünemann Daily Soap Ein Fall für den Frisör Roman · Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 24052, 240 Seiten

Im Rampenlicht oder auf der Ab­schussliste, Rekordzahlen oder Quotentief: Die Nerven liegen blank bei der Crew der TV-DailySoap. Große Tragödien vor der Kamera, und dahinter drohen noch größere. Ein spannender Krimi und der vierte Fall für den ungewöhnlichen Amateurdetektiv: Starfrisör Tomas Prinz.

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Hansjörg Schneider Silberkiesel

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

240 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06761-3

Diogenes Taschenbuch detebe 24001, 240 Seiten

Diogenes Magazin

Hunkelers erster Fall

Hansjörg Schneider Flattermann

Hansjörg Schneider Das Paar im Kahn

Hansjörg Schneider Tod einer Ärztin

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 24002, 160 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 24003, 224 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 24004, 240 Seiten

Hunkelers zweiter Fall

Hunkelers dritter Fall

Hunkelers vierter Fall

Foto: © Lucian Hunziker / www.lucianhunziker.com

Hansjörg Schneider Hunkeler und die Augen des Ödipus


Portrait

Hansjörg Schneider

Die Eule über dem Rhein: eine Hommage an Basel Man kennt seine Fasnacht, seine Museen und seine Pharmariesen, aber sonst? Basel ist ein Fremdling in der Schweiz geblieben. Der Schriftsteller Hansjörg Schneider, dessen HunkelerKriminalromane in Basel spielen, über eine Stadt, die sich der Öffentlichkeit verweigert.

W

o sich der Rhein nach einem Rechtsknick in die oberrheinische Tiefebene ergießt, sitzt oben auf der Pfalz eine zweitausend Jahre alte Eule, die Basilea heißt. Sie hockt auf dem Chordach des ehemaligen Heinrichsmünsters, das gestützt wird von phantastischen Steinelefanten, die der uralten Handschrift des Hortus Deli­ ciarum nachempfunden sind. Sie schaut über den Fluss ins Kleinbasel hinüber, auf den Schwarzwald dahinter. Nur selten ruckt sie mit dem Kopf nach links Richtung Vogesen, dann nach rechts Richtung Jura. Sonst bewegt sie sich kaum. Sie scheint zu schlafen. Manchmal, in seltenen Vollmondnächten, lässt sie sich fallen und gleitet auf leisen Schwingen rheinwärts bis nach Birsfelden. Dort kehrt sie um, denn das Baselbiet ist ihr nicht mehr geheuer. Sie fliegt nordwärts bis zu den Schleusen von Kembs, dem Sog der Tiefebene folgend. Aber bei den hell beleuchteten Schleusentürmen macht sie kehrt, weil sie Heim­

weh hat. Am liebsten sitzt sie daheim auf dem Münsterdach und spielt den versteinerten Vogel, kaum wahrnehmbar auf dem hellroten Sandstein. Den scharfen Schnabel versteckt sie im Gefieder. Den packt sie nur einmal aus

Basel ist eine Stadt dazwischen. Zwischen Schwarzwald, Elsass und der Schweiz. im Jahr, an den drei Tagen der Fasnacht. Dann hört die ganze Schweiz zu, wie sie ihre kunstvoll gepfefferten Spottverse in den Äther krächzt. Basel ist eine geheimnisvolle, heimliche Stadt. Es ist eine Stadt dazwischen. Zwischen Schwarzwald, Elsass und der Schweiz. Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Und zwischen Spott und Melancholie.

Es ist die eigentümlichste, unbekannteste Stadt der Deutschschweiz, die zwar 1501 der Eidgenossenschaft beigetreten ist, weil sie sich dadurch militärischen Schutz versprach. Aber richtig eingeschweizert hat sie sich nie. Die Schweizer Kultur ist eine Bauernkultur. Basel hingegen ist eine alte, durch und durch urbane Reichsstadt. Der erste Bischof, mit Sitz im benachbarten Kaiseraugst, ist aus dem 4. Jahrhundert bezeugt. Im Jahre 740 ist einer seiner Nachfolger nach Basel umgezogen. Außerhalb der Mauern, im St. Alban-Tal, wurde 1083 Basels ers­ tes Kloster gegründet, dessen Kreuz­gang noch heute zu besichtigen ist. Ein mittelalterliches Sprichwort besagt, dass von den rheinischen Bistümern Konstanz das größte sei, Köln das heiligste, Straßburg das edelste und Basel das lustigste. Die Basler sind keine Kriegsgurgeln. Die Stadt hat ihren Erfolg nie ihrer militärischen Macht verdankt wie etwa die alten Orte der InnerDiogenes Magazin

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Dreiländereck

schweiz oder Bern. Sie hat lieber verhandelt als dreingeschlagen. Was ihr die Nachfahren der alten Eidgenossen, die Habsburg und Karl den Kühnen besiegten, noch heute heimlich vorwerfen. Aber Hauen und Stechen muss ja nicht unbedingt ein Zeichen von Intelligenz sein. Mit schlauer Diplomatie ist möglicherweise mehr zu erreichen. Basel ist jedenfalls im Laufe seiner stolzen Geschichte nie besetzt und geplündert worden, sieht man vom Überfall der Magyaren im Jahre 917 einmal ab. Davon zeugt ein mächtiger Steinsarg, der im Münster liegt. »Von den Ungarn erschlagen« steht drauf. Es war denn auch der Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein, der im Westfälischen Frieden von 1648 erreicht hat, »dass die Stadt Basel und die übrigen Schweizer Kantone im 70

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Fotos: © Basel Tourismus

Mittlere Brücke

ihnen blieben tot zurück. Seitdem gibt es die beiden Halbkantone Baselland und Baselstadt. Und noch heute ist zwischen den beiden nicht immer gut Kirschen essen. Basel ist eine Stadt ohne Land (außer den beiden rechtsrheinischen Gemeinden Riehen und Bettingen). Die Basler gelten als hochnäsig, schlau und geldgierig. In Franz Schnyders Gotthelf-Filmen wird der Bösewicht aus der Stadt stets von einem Basler gespielt. Frau Oeri, die als hervorragende Präsidentin des FC Basel waltet, ist von einem Zürcher Boulevardblatt wiederholt als verwöhntes, dummes Tötschli diffamiert worden, das mit seinem Geld den Schweizer Fußball ruiniert. Und Alex Frei wurde in auswärtigen Stadien ausgepfiffen, als er aus der Bundesliga zum FCB zurückkehrte. Basel hat eben ein schlechtes Image in der Eidgenossenschaft. Hier wird weder gehornusst noch geschwungen. Gejodelt wird bloß von den Auswärtigen. Und in den heimischen Gassen wird ein Idiom gekrächzt, dass es dem Herrgott graust. Und das sollen echte Schweizer sein? Das liebste Hobby des Baslers ist das Geldverdienen. Sein zweitliebstes Besitze völliger Freiheit und dem sind Kultur und Kunst. Reich und seinen Gerichten in keiner Basel ist ein wirtschaftliches ErWeise unterworfen seien«, wie es im folgsmodell. Hier stand der erste Vertrag heißt. Bahnhof auf Schweizer Boden, der die Stadt mit Straßburg verband. Dank der Seidenbandindustrie, für welche die Posamenter im Baselbiet arbeiteDas liebste Hobby des ten, gab es eine Nachfrage nach Färbemitteln. Daraus entstand die chemiBaslers ist das Geldverdienen. Sein zweitliebstes sche Industrie, der Basel heute seinen Reichtum verdankt. Novartis baut sind Kultur und Kunst. dicht an der Grenze zum Elsass einen Campus, ein Forschungszentrum von Weltformat. Die Roche hat vor, einen Als im Jahre 1833 die baselländi- 175 Meter hohen Büroturm zu errichschen Untertanen aufmuckten und ten. Bis 2020 sollen in der Region sich als freie Schweizer selbst regieren 40 000 neue Arbeitsplätze entstehen. wollten, probierten es die Baselstädter Basel ist EU-freundlich. Das hat doch mit Waffen. Es bekam ihnen nichts mit Verrat der vaterländischen schlecht. Nach einem kurzen Gefecht Werte zu tun, sondern mit Vernunft. bei Pratteln rannten sie in panischer In der oberrheinischen Region entAngst zurück in ihre Mauern. 65 von steht eine EU im Kleinen. Basel hat


Fotos: © Basel Tourismus

gar keine andere Wahl, als mitzumachen. Die Landesgrenzen werden hier als Anachronismus verstanden. Hier wächst tatsächlich ein Gebiet zusammen, das zusammengehört. Zehntausende Arbeitnehmer aus dem Elsass und dem Markgräflerland, sogenannte Grenzgänger, fahren jeden Tag in die Nordwestschweiz zur Arbeit. Im Allgemeinen kommt man gut aus miteinander. Man redet schließlich einen ähnlichen Dialekt. Eine Phobie gegen Deutsche gibt es hier nicht. Man lebt schon so lange zusammen, dass man sich aneinander gewöhnt hat. Übrigens sind auch Elsässer und Markgräfler froh, dass sie in Basel so reden können, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Die Nordwestschweiz hilft ihnen, ihren Dialekt zu behalten. Ein Teil des Geldes, das Basel verdient, wird in die Kultur gesteckt. Für das Jahr 2010 wurden 113 Millionen Franken budgetiert. Es gibt hier das Kulturangebot einer Großstadt. Und was in den Museen hängt, ist Weltklasse. Die Geschichte der Fondation Beyeler etwa ist ein Märchen, wie es nur in Basel wahr werden kann. Da hat es ein unbemittelter Galeristenlehrling fertiggebracht, einen Banker zu überzeugen, ihm Geld zu leihen, damit er Bilder kaufen konnte. Als er im Fe­ bruar 2010 starb, besaß Ernst Beyeler eine Kunstsammlung allerersten Ranges. Die Ausstellungen in der Fondation Beyeler sind so gut wie die im Centre Pompidou. Und das alles findet in einem Dorf namens Riehen statt. Das Sammeln von Kunst hat Tradition in Basel. Bereits 1661 kaufte die Stadt das Amerbach-Kabinett auf, womit sie eine der ältesten öffentlichen Kunstsammlungen besitzt. Die Basler waren schon immer kühle Rechner, die ein Faible für gute Bilder hatten. Das Produzieren von Kunst interessiert sie nicht, das überlassen sie den Auswärtigen. Sie selber interessieren sich bloß für das Produkt. Deshalb nahm man hier seit je besonders gern Menschen auf, die »rych oder kunstrych« waren, wie es in einem Fremdenerlass von 1546 heißt.

Um 1500 war Basel eine Druckerstadt, offen und tolerant. Hier hat Erasmus von Rotterdam zum ersten Mal die griechische Originalfassung des Neuen Testaments gedruckt herausgegeben. Hier erschienen die lateinische Fassung des Korans und der Bestseller Das Narrenschiff des Elsässers Sebastian Brant. Heute kann von einer Druckerstadt nicht mehr die Rede sein. Das gedruckte Wort hat in Basel kein Brot mehr. Es gibt fast keine erzählende Literatur aus dieser Stadt. Die großen Autoren des 19. Jahrhunderts hießen hier nicht Gottfried Keller und Jeremias Gotthelf, sondern Jacob Burckhardt und Johann Jakob Bachofen: Es waren Geisteswissenschaftler. Romane

hält man am Rheinknie für überflüssiges Zeug, das nichts einbringt. Und wenn man Lust auf Poesie hat, macht man halt selber ein paar Schnitzel­ bänke. Die großen Verlage für Zeitungen und neue Literatur sind alle in Zürich. Radio und Fernsehen auch. Kürzlich wurde auch noch die Basler Zeitung verkauft. An einen Financier, Gott seis geklagt. Als ob in Basel kein Geld vorhanden wäre, um das Lokalblatt selber zu bezahlen. Offenbar ist es den Baslern egal, wer über sie berichtet. Und ob überhaupt berichtet wird. Sie genügen sich selbst. So kommt es, dass in den Zeitungen fast nichts über die Stadt am Rheinknie zu lesen und im Fernsehen

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fast nichts zu sehen ist. Die Redaktionen sitzen alle in Zürich, deshalb berichten sie über Zürich. Wenn in Basel die Post abgeht, interessiert sie das nicht. Viel lieber berichten sie über den Deutschenhass der Schweizer. Worüber der Basler nur lachen kann. Eine seltsame Stadt, wie gesagt. Eine Stadt, die sich der Öffentlichkeit verweigert. Ein großes Dorf, in dem man sich zwar kennt, aber dem Fremden gegenüber eigenartig reserviert bleibt. Man gibt nichts preis von sich, man macht höchstens einen spöttischen Spruch. Man zeigt sich nicht oder höchstens hinter einer Larve. Man tanzt nicht in den schönen alten Gassen – höchstens an der Fasnacht, dann aber im militärischen Gleichschritt. Für einen Aargauer, wie ich einer bin, ist es manchmal kalt hier. Dann bin ich froh, ins Elsass oder in den Schwarzwald abhauen zu können. Dort wohnen Leute wie ich. Es klebt offenbar ein Stallgeruch an mir, den ich selber nicht wahrnehmen kann. Aber der Basler wittert ihn sogleich. Das stört manchmal, das eckt an. Denn einem Bauern gegenüber versagt des Baslers Diplomatie. Er wird unsicher, er ahnt urchiges Brauch­ tum, urtümliche Kraft, wo bloß Neugier ist. Und er antwortet mit Ironie. Ich wohne schon über fünfzig Jahre hier. Ich bin noch immer ein Fremder. Dieses Fremdsein hat indessen enorme Vorteile. Man lässt mich in Ruhe, so dass ich mich vogelfrei fühle. Das schafft die Distanz, die ich zum Schreiben brauche. Wer auf der Autobahn durch Basel fährt, sieht nichts außer einer Betonröhre. Die bringt man in zehn Minuten hinter sich. Wer durch Basel schwimmt, sieht eine der schönsten Städte Europas. Man steigt oben beim Birskopf ein, an einem schönen Gestade. Man legt sich auf den Rücken und lässt sich treiben, die Ohren unter Wasser, damit man das Rieseln der Kiesel auf dem Grund hört. Begleitet von dieser zauberhaften Musik schaut man zu, wie die Stadt an einem vorbeigleitet. Links die Kirche St. Alban,

die noch aus karolingischer Zeit stammt. Rechts die niedrige Häuserfront Kleinbasels. Wieder links die Pfalz mit dem romanischen Münsterchor. Die stolzen Paläste der Augustinergasse, die alte Universität, darüber die Martinskirche. Dann unter der Mittleren Brücke durch, wo Leute stehen und winken. Und schon wittert man die Weite der Tiefebene. Man kann im Rheinbad St. Johann bequem an Land gehen, einen Kaffee trinken und etwas essen. Man kann sich auch weitertreiben lassen Richtung Meer. Manchmal in einer Mondnacht ist auf dem Dach des Münsters tatsächlich eine Eule zu sehen. Sie ist kaum zu erkennen, das Licht ist zu schwach. Ihr macht das nichts aus, sie sieht auch in der Dunkelheit. Sie äugt zum Wasser hinunter. Und gleich wird sie losfliegen, vielleicht.

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ganz unterschiedlichen Stämmen an, sind sie sich doch ziemlich ähnlich«, findet der Berliner Claus-Ulrich Bielefeld. Nun sitzt er zusammen mit der Wienerin Petra Hartlieb auch schon am zweiten Fall ihres Ermittlerduos aus den zwei Hauptstädten.

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Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

»Obwohl Wiener und Berliner gerne glauben, sie gehörten


Wiener Schmäh trifft Berliner Schnauze

Foto: © Sven Stillich (Ausschnitt)

Petra Hartlieb und Claus-Ulrich Bielefeld sind die Krimi-Newcomer des Jahres, auch wenn beide in der Literaturbranche alte Hasen sind. Das Diogenes Magazin traf den Berliner Rundfunkredakteur und die Wiener Buchhändlerin zu einem Gespräch über ihren ersten Roman Auf der Strecke. Diogenes Magazin: Wann und wie beschlossen Sie, gemeinsam einen Roman zu schreiben? Petra Hartlieb: Das war auf der Frankfurter Buchmesse vor ein paar Jahren. Das genaue Jahr kann sicher Claus sagen, er ist derjenige von uns, der sich Fakten merkt. Wir gehen jedes Jahr während der Messe zusammen mittagessen. Und jedes Jahr zum gleichen Italiener in Messenähe. Und jedes Jahr reden wir darüber, dass das Essen jedes Jahr schlechter wird, um dann nächstes Jahr doch wieder da zu landen. Und bei diesem Essen hecheln wir die Neuerscheinungen durch, die »Wer-mit-wems« der Messe, die Gerüchte, die Verlagsgeschichten. Und irgendwann fiel der Satz: Das können wir auch mal versuchen. Claus-Ulrich Bielefeld: Ja, und dann ging’s ein bisschen hin und her: Fang du an, nein, fang du an, und einer hat nach einiger Zeit tatsächlich angefangen. Und dann haben wir, trotz mancher Durststrecke, nicht mehr aufgehört. Warum ein Krimi? Petra Hartlieb: Sag du …

Claus-Ulrich Bielefeld: Da ist der Dio­ genes Verlag nicht unerheblich beteiligt, der das Gesamtwerk von Georges Simenon herausgebracht hat. Für mich der Großmeister der Großmeister, un­ erreichbar, aber immer wieder ein echter Ansporn.

… und irgendwann fiel der Satz: Das können wir auch mal versuchen. Petra Hartlieb: Ich lese gerne Krimis, freue mich sehr über solche, die gut geschrieben sind und bei denen es Figuren gibt, die ›echt‹ wirken. Wie schreibt man gemeinsam, wenn man 1 000 Kilometer getrennt von­ ein­ander lebt? Petra Hartlieb: Wir überlegen uns gemeinsam die Story. Also sozusagen den Rohbau des Hauses. Dann machen wir aus, wer das erste Kapitel schreibt, und von da an geht das Manuskript immer hin und her. Was dann vom anderen kommt, ist auch manchmal sehr überraschend, und

man muss darauf reagieren. Da geht’s oft gar nicht so sehr um den Fall, sondern um Stimmungen zwischen Anna Habel und Thomas Bernhardt, um Nebenfiguren, die sich plötzlich in die Geschichte drängen, und um unvorhergesehene Wendungen. Hin und wieder telefonieren wir, um zu verabreden, wie es weitergeht, aber alles, was im Zwischenmenschlichen liegt, wird eher spontan und als Antwort auf das vorherige Kapitel verfasst. Claus-Ulrich Bielefeld: 1 000 Kilometer sind auch ein ganz schöner Abstand: Man kann sich nicht so schnell auf die Nerven gehen. Das Internet schafft ein angenehmes Nähe-Distanz-Gefühl. Streiten Sie über Details und Wen­ dungen im Fall? Stand Ihr Täter von Anfang an fest? Petra Hartlieb: Anna Habel und Thomas Bernhardt sind ja auch manchmal nicht einer Meinung, ich würde das jetzt nicht als ›streiten‹ bezeichnen. Claus-Ulrich Bielefeld: Ein großes Rätsel: Wir haben uns bis jetzt noch nicht richtig gestritten. Nur ab und zu ein paar kleine Kabbeleien. WahrDiogenes Magazin

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scheinlich imitieren wir unbewusst unsere Kunstfiguren. Obwohl ich manchmal den Verdacht habe, dass es genau umgekehrt ist, und die beiden imitieren uns. Das wäre noch zu überprüfen. Petra Hartlieb: Der Täter stand von Anfang an fest, aber wie man da hinkommt … da gab es durchaus kontroverse Diskussionen. Claus-Ulrich Bielefeld: Hm, habe ich anders in Erinnerung. Wir sind, so habe ich’s gespeichert, fast so lange im Dunkeln rumgetappt wie unsere beiden Ermittler. Warum spielt Auf der Strecke gerade in Wien und Berlin? Petra Hartlieb: Es sind beides sehr schöne Städte, beides sehr beliebte Reiseziele, aber auch Städte mit einer großen und nicht immer einfachen Geschichte. Claus-Ulrich Bielefeld: Der Wiener Schmäh und die Berliner Schnauze, das Berliner Gemeckere und das Wiener Geraunze, das ganze misanthropische Getue, da sind sie sich sehr nahe. Petra Hartlieb: Und da ich in Wien lebe und Claus in Berlin, lag es auf der Hand, dass beide Städte und ihre Be­ wohner eine Hauptrolle bekommen. Ist es ein Naturgesetz, dass sich Ös­ terreicher und Deutsche erst einmal nicht ausstehen können? Und war es bei Ihnen ähnlich? Petra Hartlieb: Ich habe lange in Hamburg gelebt und lebe inzwischen mit meinem deutschen Mann in Wien, da spüre ich immer wieder am eigenen Leib, wie unterschiedlich die Mentalitäten des Deutschen und des Österreichers sind. Richtig verstehen oder in Worte fassen kann ich die Unterschiede nicht, aber sie sind doch immer irgendwie präsent. Und Claus und ich kennen uns schon so lange, es gab bestimmt auch Phasen, wo wir uns nicht ausstehen konnten, aber letztendlich haben wir auch viel Spaß an unseren Differenzen. Claus-Ulrich Bielefeld: Wir spielen mit den echten oder vermeintlichen Mentalitätsunterschieden. Das Ba­ rocke und Katholische auf der einen Seite, das Karge und Protestantische 76

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auf der anderen Seite. Mit Überraschung höre ich aber, liebe Petra, dass es auch Phasen gab, wo wir uns nicht ausstehen konnten. Da werde ich in Zukunft aufmerksamer sein. Es gibt wunderbare Stadtbeschrei­ bungen – sind das eigene Empfin­ dungen? Claus-Ulrich Bielefeld: Ja, da stecken natürlich eigene Erlebnisse und Empfindungen drin. Wahrscheinlich kann man nur von einer Metropole richtig begeistert sein, wenn man seine Kindheit und Jugend in der Provinz verbracht hat. Seitdem ich als Neunzehnjähriger nach Berlin gekommen bin, in diese graue Wirklichkeit, die immer noch vom Krieg gezeichnet war, fasziniert mich die Stadt – und fordert mich heraus. Wenn diese Faszination rüberkommt, dann freut mich das sehr. Denn: Ein Berlin-Roman soll Auf der Strecke ja auch sein.

Das Berliner Gemecker und das Wiener Geraunze, das ganze misanthropische Getue, da sind sich Berliner und Wiener sehr nahe. Petra Hartlieb: Ich bin auch nicht in Wien aufgewachsen, sondern erst zum Studieren aus der österreichischen Provinz dahin gezogen. So kenne ich die Stadt inzwischen sehr gut, habe aber oft auch noch den staunenden Blick der Außenstehenden. Es gibt Momente, wo ich in Wien über einen Platz gehe oder ein bestimmtes Haus ansehe und mich darüber freue, in dieser schönen Stadt zu wohnen. Deswegen sind die Spaziergänge von Anna Habel keineswegs klischeehaftes Aneinanderreihen von Sehenswürdigkeiten, sie ist ja zufällig auch in der Provinz aufgewachsen und freut sich manchmal auch darüber, genau in Wien gelandet zu sein. Haben Sie schon weitere Fälle und die Entwicklungen der Figuren und

ihrer Beziehungen (etwa zwischen Anna und Thomas) untereinander vor Augen? Petra Hartlieb: Wir sind mitten im zweiten Fall. Wie sich das mit Anna und Thomas weiterentwickelt, wissen wir selber nicht genau. Die beiden sind inzwischen sehr eigenständig und machen nicht immer das, was wir von ihnen erwarten. Claus-Ulrich Bielefeld: Ist wohl wahr. Diesmal schicken wir sie ins Weinviertel, es wird ganz schön gebechert, aber es geht nicht nur um Wein. Herr Bielefeld, warum Thomas Bern­hardt als Name? Gefiel Ihnen die Idee des immer wiederkehrenden Wunderns und Schmunzelns? Oder ist es eine Art Verbeugung? Claus-Ulrich Bielefeld: Das ist schon eine Art Hommage. Es gibt überhaupt viele literarische Anspielungen – sind dies jeweils Au­ toren und Motive, die Sie mögen? Haben Sie zum Beispiel auch den Briefwechsel Johnson/Unseld auf der Toilette liegen, wie Annas Freun­ din im Roman? Petra Hartlieb: Ich fand dieses Spiel mit der belesenen Anna sehr lustig. Und dass der erste Fall in der Literaturszene spielt, hat schlicht und einfach den Grund, dass dies das Feld ist, wo wir uns beide am besten auskennen, also uns das Setting eine gewisse Sicherheit beim Schreiben gab. Bei uns liegen in jedem Raum der Wohnung Bücher. Der Briefwechsel zwischen Uwe Johnson und seinem Verleger lag wirklich mehrere Wochen auf meiner Toilette. Momentane Bestandsaufnahme der Hartlieb’schen Toilette: Rowohlt Monographie, Adal­­bert Stifter. Grund­schulwörter­ buch Englisch von Langenscheidt, Thomas Glavinic, Wie man leben soll. Und die letzten Ausgaben der Litera­ turen und natürlich das Diogenes Ma­ gazin. Claus-Ulrich Bielefeld: Wir kommen halt aus dem Literaturbetrieb. Aber beim zweiten Fall geht’s, wie gesagt ins tosende Leben. Und: Die Toilette ist bei mir definitiv ein literaturfreier Raum. msc


Auf der Strecke von Wien nach Berlin wird der junge und erfolgreiche österreichische Schriftsteller Xaver Pucher in seinem Nachtzugabteil ermordet. Wo liegt der Zuständigkeitsbereich? Und in welcher Stadt ist der Mörder zu suchen? Chefinspektor Anna Habel aus Wien und der Erste Kriminalhauptkommissar Thomas Bernhardt aus Berlin machen sich 1 000 Kilometer entfernt voneinander gemeinsam auf die Suche und haben nicht nur die örtliche Distanz zu überwinden. Hier etwa ihr erstes Telefonat:

Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

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Thomas Bernhardt«, tönte nach dem zweiten Freizeichen eine tiefe Stimme aus dem Hörer. »Hm, entweder ich hab mich verwählt, oder aber – nein – hier spricht Ingeborg Bachmann.« »Gar nicht schlecht, gab aber schon bessere. Mord­ kommission Berlin, Abteilung  5, mein Name ist Thomas Bernhardt. Na, Frau Bachmann, womit kann ich dienen?« Anna wusste nicht, was sie von der Stimme halten sollte: nicht unangenehm und eigentlich ganz freundlich, zugleich aber auch distanziert. Schwie­ rig, sagte sie sich, mit dem wird es schwierig. »Ich weiß nicht, ob ich bei Ihnen richtig bin, es geht um Mord, Herr Bernhard ...« »Mordkommission ist meist ganz gut, wenn’s um Mord geht, oder? Bernhardt mit dt am Schluss übri­ gens.« »Na, immerhin. Ich heiße Anna Habel.« »Ich denke, Sie heißen Bachmann.« »Das war ein Scherz.« »Wieso?« »Weil Sie Bernhardt heißen.« »Ja und?« »Thomas Bernhard war ein berühmter österreichi­ scher Schriftsteller, das wissen Sie?« »Ja natürlich.« »Und Ingeborg Bachmann war …« »Ach so, ja, verstehe. ›Erklär mir Liebe‹, ›Anrufung des Großen Bären‹, ›Undine geht zum Strand‹ …« »›Undine geht‹ reicht. Wieso stellen Sie sich dann so dumm?« […] »Ach, das ist ’ne kleine berufliche Deformation. Da­ mit kommt man bei Verbrechern und Frauen am weitesten. Ist meine Erfahrung. Ist das eigentlich Wienerisch, was Sie da sprechen?« Anna fasste es nicht: Was bildete der sich denn ein? »Das ist Oberösterreichisch mit einem Schuss Wiene­ risch. Sollen wir einen vereidigten Dolmetscher be­ stellen, oder können wir jetzt mal langsam zur Sa­ che kommen?« Bernhardt lachte, was Anna zu ihrer Verblüffung gar nicht so unsympathisch fand. »Ich kann nur Hochdeutsch, mit einem ganz kleinen rheinhessischen Einschlag.« »Na, herzliches Beileid. Hören Sie mal, lieber Kolle­ ge, seid ihr in Preußen alle so langsam?« »Gegenfrage: Warum seid ihr in Wien denn gleich so hektisch? Bis zur Lagebesprechung hab ich noch’n bisschen Zeit. Und da können wir uns doch in aller Ruhe aneinander gewöhnen. Anscheinend haben wir einen gemeinsamen Fall.« »Und jetzt hören Sie mir mal zu: Wenn Sie mich noch einmal unterbrechen, werde ich echt böse. Also …

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Amélie Nothomb »Ich existiere nur, wenn ich schreibe. Alles andere finde ich ziemlich langweilig.« In Frankreich erscheint jeden Herbst ein neuer Roman von Amélie Nothomb – allesamt Bestseller. Sie ist ein literarisches Wunderkind, ein Star, die New York Times nannte sie schlicht »eine Sensation«. Zu ihren bekanntesten Werken zählen die autobiographisch gefärbten Japan-­ Romane Mit Staunen und Zittern und Der japanische Verlobte. Der neue Roman Winterreise ist Nothombs bitterböse Version einer Amour fou.

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Interview: © The Financial Times Limited 2011. Interview von Anna Metcalfe.

aben Sie eine tägliche Schreib­ routine? Ich wache jeden Morgen um vier Uhr auf, trinke einen halben Liter starken (schwarzen) Tee auf leeren Magen. Dann schnappe ich mir Papier und Stift und schreibe vier Stunden lang. So geht das jeden Tag, ohne Ausnahme.

Wo können Sie am besten schreiben? Zu Hause auf meiner Couch. Und wenn das nicht möglich ist, im Flugzeug oder im Zug. Welche Bücher liegen gerade auf Ihrem Nachttisch? Rainer Maria Rilkes Briefe an einen jungen Dichter, die Bibel und Oscar Wildes Bildnis des Dorian Gray. Kann man Schreiben lernen? Daran glaube ich nicht. Schreibkurse halte ich für absurd. Genauso wie Liebeskurse. Wie schieben Sie Dinge am liebsten auf? Ich bin unfähig, etwas aufzuschieben. Ich bin unfähig, an morgen zu denken.

Welche Musik hilft Ihnen beim Schreiben? Gar keine. Wenn ich schreibe, habe ich immer das Gefühl, meine eigene Musik zu komponieren. Jeder andere musikalische Einfluss würde sie verstummen lassen. Was nehmen Sie beim Schreiben zu sich? Nichts außer Wasser. Manchmal frühstücke ich, nachdem ich geschrieben habe, aber häufig verbringe ich den Rest des Tages damit, all die Briefe zu beantworten, die mir meine Leser schicken, und esse bis zum Abend gar nichts. Worüber zu schreiben fällt Ihnen am schwersten? Über die Liebe. Da bin ich oft sehr nah am Grotesken. Es ist ein so starkes Gefühl und scheint doch so lächerlich, wenn darüber geschrieben wird. Mit wem würden Sie gern in einem Lift stecken bleiben? Mit Björk. Ich finde sie faszinierend. Was bringt Sie um den Schlaf? Absurde Ängste können mir den Schlaf rauben. Und die Liebe. Gewöhnlich schlafe ich von Mitternacht bis vier Uhr morgens, leide also eigentlich nicht unter Schlaflosigkeit. Wann waren Sie am glücklichsten in Ihrem Leben? Bis ich etwa zwölf Jahre alt war. Ein Teenager zu sein, war keine schöne Erfahrung. Der erste Roman, den Sie gelesen haben? Victor Hugos Die Elenden. Diogenes Magazin

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Hinter den Kulissen

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Die Diogenes Botschafterinnen Wenn aus Martin Suters Roman Der Koch auf einmal Le cuisinier oder The Cook wird, dann steckt dahinter die Diogenes Lizenzabteilung mit Susanne Bauknecht und ihrem Team. Sie vertreten den Verlag weltweit und sorgen dafür, dass Diogenes Bücher nicht nur auf Deutsch gelesen werden, sondern auch rund um den Globus in bis zu 61 Sprachen erscheinen.

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ch bin ein Weltbürger« – dieser Leitspruch des griechischen Philosophen Diogenes von Sinope passt heute mehr denn je zu dem Verlag, der seinen Namen trägt. Nicht nur, weil Autoren aus der ganzen Welt bei Diogenes erscheinen, Diogenes Bücher finden in Übersetzungen auch den Weg rund um den Globus. So sind seit der Gründung des Diogenes Verlags 1952 Diogenes Bücher in 61 Sprachen übersetzt worden, darunter zum Beispiel Galizisch, Walisisch, Xhosa, Karen, Khmer, Aserbaidschanisch oder Afrikaans; aber auch Tamil, Marathi, Malayalam, Burmesisch, Kambodschanisch und Sinhala. Insgesamt hat der Verlag von 105 Autoren und 615 Diogenes Büchern Rechte in über 50 Länder verkauft. Natürlich in die wichtigen Nachbarländer wie Frankreich, Spanien, Italien oder England, aber auch nach Al­ba­ nien, Indien, Namibia oder Uruguay. Der größte Globetrotter unter den Diogenes Autoren ist Friedrich Dürrenmatt mit 84 übersetzten Klassikern wie Der Verdacht oder Der Besuch der

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alten Dame in 45 Ländern und 43 Spra­ chen, gefolgt von Patricia High­smith mit 34 Büchern wie Der talentierte Mr. Ripley in 30 Ländern und 34 Sprachen. Die weltweit erfolgreichs­ ten Diogenes Romane sind Das Parfum von Patrick Süskind und Der Vorleser von Friedrich Dürrenmatts Name in Hindi, auf Chinesisch, Neugriechisch und Russisch

Bernhard Schlink. In je 43 Ländern stehen sie in den Buchhandlungen. Natürlich finden die Diogenes Bücher nicht von allein den Weg in die weite

Welt und werden nicht von selbst in fremde Sprachen übersetzt. Hinter diesen Zahlen steckt die Arbeit und Überzeugungskraft von vier Frauen aus der Lizenzabteilung, die die Diogenes-Rechte rund um den Globus verhandeln. Ihre Aufgabenbereiche sind in geographische Zonen eingeteilt. So betreut die Abteilungsleiterin Susanne Bauknecht England und die usa, die Niederlande, Frankreich, Spanien und Italien. Sabine Zeller ist zuständig für Osteuropa und Esther Schranz für »den Rest der Welt«, also die übrigen Staaten. Mit Susanne Bauknechts Assistentin Karin Spielmann ist das Team komplett. Die Mission der Lizenz-Damen lautet: »Helfen, dass Literatur über Sprachgrenzen hinweg reist, und Autoren in anderen Ländern bekannt machen, eine Leserschaft für sie finden«, so Susanne Bauknecht, die Sprachen und Wirtschaft studierte und schon während ihres ersten Praktikums beim Ravensburger Buchverlag herausfand, dass sie am liebsten in der Lizenzabteilung eines Verlags ar-


Bernhard Schlink Der Vorlese r Roman · Di ogenes

Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

beiten wollte. Nach einer Zwischenstation beim Carl Hanser Verlag in München kam sie 2002 zu Diogenes nach Zürich. In Susanne Bauknechts Büro stehen reihenweise bunte Bücher mit vertrauten Autorennamen in allen Sprachen, fast so, als ob die weißen Diogenes Bücher sich auf ihren Reisen in fremde Länder verkleidet hätten. Es sind Übersetzungen, Bücher und Hörbücher, die ausländische Verlage als Ansichtsexemplare an Diogenes geschickt haben. »Ich freue mich über schön gemachte Exemplare oder wenn die Übersetzung gelungen ist«, lacht Susanne Bauknecht und zeigt auf eine gebundene Ausgabe oben auf dem Regal. Und wenn das Buch auch noch in einem fremden Land erfolgreich ist! Susanne Bauknechts spannende und herausfordernde Aufgabe ist es, ausländischen Verlagen Literatur zu vermitteln. Und das auf allen Kanälen. Sie telefoniert an einem Tag so viel wie andere Kollegen im Verlag in einer Woche und tauscht flink tippend EMails mit allen Kontinenten aus. Trotz aller Betriebsamkeit kann jeweils nicht jeder einzeln informiert werden. Für Interessierte gibt es online die Möglichkeit, sich über Diogenes Autoren und Bücher zu informieren: In einem speziellen Unterbereich der Diogenes Homepage, den »Rights«, befindet sich der Lizenz-Bereich in englischer Sprache, der die erste NeuSusanne Bauknecht, Leiterin der Diogenes Lizenzabteilung, in ihrem Büro Diogenes Magazin

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Im Archiv werden fremdsprachige Ausgaben von Diogenes Büchern aufbewahrt.

Italienische DürrenmattBände und Alfred A. Häslers ›Das Boot ist voll‹ auf Englisch

gier stillt. Und es wird nicht nur digital informiert: Zweimal jährlich erscheint die »Lizenzbeilage«, eine spezielle Vorschau auf Englisch, die an 2093 Adressen in der ganzen Welt geschickt wird. Allerdings geht nichts über persönliche Kontakte. Dafür reist Susanne Bauknecht jährlich an verschiedene Buchmessen, beispielsweise an die Londoner Buchmesse oder die Kinderbuchmesse in Bologna. Der nach wie vor wichtigste Anlass ist aber die Frankfurter Buchmesse im Oktober. Diese eine Woche jährlich bedeutet für die Lizenzabteilung vor allem eins: viel Arbeit und Stress. Ein typischer Tag auf der Frankfurter Buchmesse beginnt für Susanne Bauknecht und ihr Team um neun Uhr früh mit dem ersten Treffen, »wenn man Glück hat, nach einem Frühstück«. Dann folgt Schlag auf Schlag ein Termin nach dem anderen – und zwar im Halbstundentakt ohne Pause. Man trifft sich entweder am Diogenes Stand in Halle 3.0 oder im Literary Agents & Scouts Centre in der Halle 6.1, wo Literaturagenten aus aller Welt mit Buchrechten handeln. Für Susanne Bauknecht ist ein Messetag ein Defilee der unterschied82

Diogenes Magazin

lichsten Menschen aus aller Herren Länder, die sie für Diogenes Bücher zu begeistern versucht. Eine bunte Kombination: Nach einem Lektor aus einem renommierten Verlag aus Mailand oder London, mit dem der Diogenes Verlag schon Dutzende von Ver­trägen abgeschlossen hat, folgt vielleicht ein junger Verleger aus Estland, der eben einen neuen Verlag mit gerade mal zwei Büchern eröffnet hat und sich für deutsche Literatur begeistert; oder ein Verleger aus dem Libanon, der eine Krimireihe für den arabischen Raum starten möchte. Und der Tag bedeutet vor allem eins: reden, reden, reden – über Bücher, Inhalte, über Autoren. Es ist wie auf einem Basar im Morgenland, wo das Stimmengewirr nie abbricht. Denn auch in der modernen Verlagswelt steht im Mittelpunkt nach wie vor das Buch und seine Geschichte, die erzählt werden will und die im Idealfall Leserinnen und Leser weltweit fesselt. Aber auch wenn die Messehallen um 18 Uhr schließen, ist noch lange nicht Feierabend für Susanne Bauknecht und ihr Team. Es folgen Abendessen mit Autoren, Empfänge und das be-

rüchtigte Partyhopping – unerlässlich für informelle Gespräche und das Knüpfen neuer Kontakte, die ebenso wichtig sind wie die Termine am Stand. Unermüdlich spricht Susanne Bauknecht mit Verlegern und Lektoren, die Interesse an Diogenes Lizenzen zeigen, und präsentiert die entsprechenden Bücher. Wie überlebt man solche Tage? Susanne Bauknecht strahlt: »Die euphorische Stimmung, die pure Begeisterung pusht einen da.« Ob man sich auch mal heiser redet? »Natürlich, ständig ist man heiser!« Deswegen sei der Diogenes Stand auch bestens ausgerüstet: mit Halsbonbons, dem ei­gen­tlichen Schmiermittel der Buchmesse. Außerdem stehen Tee, Neo-­ Angin und Vitamine parat. Denn bei so viel Austausch verbreiten sich nicht nur die Bücher, sondern auch Erkältungen wie der Wind – doch im Wirbel der allgemeinen Begeisterung für Literatur nimmt man das gern in Kauf. Susanne Bauknecht spricht von einer »globalen Verlagscommunity«, in der man sich gut kennt und um die Geschmäcker der verschiedenen Verlage weiß. Ständig steht man im Austausch darüber, was in der Bücherwelt gerade


Die Krimi-Ladies im Ausland: Donna Leon auf Englisch und Magdalen Nabb in italienischer Ausgabe

Fotos: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

Neues geschieht, worauf sich die Presse stürzt, was verfilmt wird, welche Bücher oder Autoren »heiß« sind. Gerade bei Autorendebüts sei die Aufmerksamkeit groß, man wolle mög­lichst nichts verpassen, so Susanne Bauknecht. Wenn ein Buch auf Gefallen stößt, dann kann es auch mal blitzschnell gehen. Zum Beispiel beim Romandebüt Adams Erbe von Astrid Rosenfeld, dessen italienische Rechte sich der Mailänder Mondadori Verlag sicherte, noch bevor der Roman bei Diogenes erschienen war. »Man sieht, wie Literatur unterschiedlich funktioniert«, meint Susanne Bauknecht und erklärt, dass verschiedene Kulturen ihre eigenen Rezeptionsgewohnheiten haben und wie der Literaturbetrieb je nach Land variiert. So gibt es beispielsweise Vorlieben oder Abneigungen für bestimmte Genres: Krimis, so Susanne Bauknecht, werden in asiatischen Ländern wenig gelesen. In Skandinavien hingegen blüht der Krimi-Markt, nur kommen die großen Krimiautoren selbst aus dem hohen Norden. Bei Kinderbüchern könnten die Geschmäcker nicht unterschiedlicher sein: Was dem Franzosen innovativ und schick ist, findet

der Amerikaner keinem Kind zumutbar. Da sind Kenntnisse der Kulturen und Einfühlungsvermögen gefragt. Tomi Ungerers grandiose Kinderbücher etwa konnte man in den usa über zwanzig Jahre lang nicht kaufen. Erst jetzt bringt der Phaidon Verlag Die drei Räuber oder Der Mondmann auch auf Englisch nach England und in die usa. Der internationale Büchermarkt funktioniert aber auch phasenweise. So kann ein einzelner Bestseller oder eine erfolgreiche Verfilmung weltweite Trends auslösen, »und auf einmal wollen alle nur noch Vampire oder Fantasy«. Diogenes sei aber, und das wisse man auch in der internationalen Verlagswelt, resistent gegenüber solchen kurzlebigen Trends. Andere Phasen ergeben sich, wenn sich durch historische Umwälzungen ein neuer Markt erschließt – wie bei der Öffnung des Eisernen Vorhangs, als plötzlich sehr viel nach Osteuropa übersetzt wurde. Es gab einen Nachholbedarf bei Unterhaltungsliteratur – und bei Romanen, die zuvor verboten waren. Auch ein wirtschaftlicher Boom hat Folgen im Buchmarkt. Seit zum Beispiel China vor zehn Jahren

Das von Tatjana Hauptmann illustrierte ›Das große Märchenbuch‹ in koreanischer Übersetzung

der Welthandelsorganisation beigetreten ist, hat sich der Buchmarkt stark entwickelt. China sei ein »verrückter« Markt, so Susanne Bauknecht, mit einem riesigen E-Book-Angebot, denn viele Werke erscheinen direkt elektronisch und nicht auf Papier. Die Revolutionen im arabischen Raum werden sicherlich früher oder später auch aufs Lizenzgeschäft Einfluss haben –  und vielleicht erscheint das eine oder andere Diogenes Buch bald auf Arabisch. »Wir haben in den letzten Jahren unsere Kontakte zur arabischen Welt stark ausgebaut«, bemerkt Susanne Bauknecht. Die Hoffnungen sind da: Wenn Regimes fallen, dann stehen die Verlage buchstäblich in den Startlöchern, um kritische und ausländische Bücher zu verlegen. Außerdem zu beobachten ist der Trend einer lokalen Ausdifferenzierung. Nach dem Zerfall von Jugoslawien beispielsweise, wo zuvor alle Bücher auf Serbokroatisch gedruckt worden waren, forderten die verschiedenen Sprachgemeinschaften plötzlich ihre eigenen Ausgaben in bosnischer, mazedonischer, kroatischer Sprache. Ähnliches geschieht in Spanien, wo Bücher auf Katalanisch, Baskisch oder Galizisch erscheinen. Diogenes Magazin

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10_II_foreign_rights_autumn_10_II_foreign_rights_autumn.qxp 20.04.10 16:19 Seite 1

Diogenes Foreign Rights List

Autumn 2010

11_I_foreign_rights_spring_Layout 1 08.11.10 15:10 Seite 1

Summer Lies the new stories by

Diogenes

Bernhard Schlink

Rolf Dobelli · Friedrich Dürrenmatt Foreign Erich Hackl · Lukas Hartmann · Tim Rights Krohn List Donna Leon & Michael Sowa · Petros Markaris Luis Murschetz · Walter Nigg · Ingrid Noll Hansjörg Schneider · Christian Schünemann Tomi Ungerer and F. K.Waechter

... and other books by

A discovery

Spring 2011

Astrid Rosenfeld

Adam’s Legacy

Jakob Arjouni · Bielefeld & Hartlieb Lukas Hartmann · Tatjana Hauptmann Hartmut Lange · Donna Leon · Hugo Loetscher Bernhard Schlink · Hansjörg Schneider Beat Sterchi · Martin Suter and John Vermeulen

... and other books by

Die Damen von der Lizenz­ abteilung: Susanne Bauknecht, Esther Schranz, Sabine Zeller, Karin Spielmann ( v.l.n.r.)

Eine Besonderheit der Diogenes Lizenzabteilung ist, dass der Verlag neben den Rechten von deutschsprachigen Autoren auch die Weltrechte vieler fremdsprachiger Autoren verwaltet, zum Beispiel von Patricia Highsmith. Diogenes Verleger Daniel Keel erinnert sich: »Eines Abends, Patricia Highsmith war schon eine weltweit arrivierte Autorin, sagte sie nach dem Essen, sie wolle den Agenten wechseln. Mitten in der Nacht rief ich einen befreundeten Literaturagenten in Zürich an. Statt in lauten Jubel auszubrechen, fing er an zu schimpfen, weil ich ihn so spät störte. Ich sammelte meinen Mut und bot mich selbst an.« 1981 vertraut Patricia Highsmith die Weltrechte an ihrem Gesamtwerk Diogenes an. Zu diesem Zeitpunkt verwaltet der Verlag bereits die Weltrechte von zwei anderen ausländischen Autoren: Tomi Ungerer und Federico Fellini (schriftstellerisches und zeichnerisches Werk). Heute vertritt Diogenes weltweit die Rechte von Magdalen Nabb, Donna Leon, Leon de Winter, Sławomir Mrożek, 84

Diogenes Magazin

Andrzej Szczypiorski, Andrej Kurkow und Viktorija Tokarjewa. Bei einer Autorin wie Donna Leon werden die Manuskripte sogar auf Englisch bei Diogenes lektoriert, und zwar eineinhalb bis zwei Jahre bevor ein Roman auf Deutsch erscheint. Bei Petros Markaris gibt es neben der griechischen Version seiner Romane sogar eine zweite Fassung: »Zusammen mit meiner Lektorin Silvia Zanovello von Diogenes erstelle ich eine ›europäische‹ Version«, so Petros Markaris. »Vieles, was ich schreibe und zitiere, ist auf Griechenland bezogen und ist für den europäischen Leser unverständlich. Da muss man mutig sein und kürzen. So entsteht eine Fassung, an die sich alle ausländischen Verleger halten müssen.« Als Diogenes im Jahr 2002 die Weltrechte am Werk des griechischen Krimiautors übernahm, schrieb Petros Markaris scherzhaft aus Athen: »Ich nehme an, nachdem ich die Weltrechte meiner Romane an Diogenes vergeben habe, habe ich als Prämie das Schweizer Wetter bekommen. Denn

in Athen regnet es seit zwei Wochen täglich.« Wie das Wetter in der Welt ist – das erfahren Susanne Bauknecht und ihre Mitarbeiterinnen durch ihren Kontakt mit Autoren und Verlegern in aller Welt. Susanne Bauknechts Arbeit überfliegt den ganzen Erdball, mündet aber letztlich immer in einer Sache: dem Finden einer fremdsprachigen Heimat für einen Diogenes Autor und seine Bücher. Am schönsten sei für sie, wenn sie einem Autor einen Herzenswunsch erfüllen könne. »Wenn ich weiß, dass ein Autor sich einen Verlag besonders wünscht, freut es mich umso mehr, wenn die Vermittlung gelingt. Urs Widmer war zum Beispiel überglücklich, als Der Geliebte der Mutter in Frankreich beim renommierten Verlag Gallimard erschien, Christoph Poschenrieder darüber, dass sein Debütroman Die Welt ist im Kopf bei Flammarion platziert werden konnte. Das sind auch für uns die schönsten Momente!« kam /js


Diogenes Romane, die um die Welt gehen Einer der größten Erfolge, die je ein deutschsprachiges Buch im Ausland feiern konnte, war Das Parfum von Patrick Süskind, »das erste Werk eines europäischen Autors, das das Interesse der amerikanischen Verleger derart geweckt hat, dass sie sich um die Rechte förmlich rissen« (Corriere della Sera, Mailand ), und nicht nur die Amerikaner waren auf das Buch versessen: Inzwischen ist es in 49 Sprachen erschienen und hat sich im Ausland 14 Millionen Mal verkauft. Ein Welterfolg ist auch Der Vorleser von Bernhard Schlink, der in 46 Sprachen publiziert und weltweit 6 Millionen Mal verkauft wurde. Mit diesem Roman erreichte zum ersten Mal ein deutscher Autor Platz eins der Bestsellerliste der New York Times. Doch neben Der Vorleser oder Das Parfum gibt es viele andere deutschsprachige Titel, die im Ausland gelesen werden und den Diogenes Verlag bei ausländischen Verlagen zu einer guten Adresse gemacht haben: »Diogenes ist heute einer der angesehensten und ideenreichsten Verlage« ( L’Espresso, Rom ).

Bernhard Schlink Der Vorleser

Patrick Süskind Das Parfum

Patricia Highsmith Der talentierte Mr. Ripley

Dürrenmatt DerRichter und sein Henker

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Die Geschichte eines Mörders

Roman · Diogenes

Bernhard Schlink 46 Sprachen

Patrick Süskind 49 Sprachen Friedrich Dürrenmatt 34 Sprachen

Fotos: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

Patricia Highsmith 34 Sprachen

Diogenes Magazin

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Bücher mit Biss

Sheridan Le Fanu

Carmilla dieVampirin

Bram Stoker Draculas Gast

Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 24087, 128 Seiten

Briefe / Reaktionen Zum Artikel Kuriose Titel im Diogenes Magazin Nr. 6 (Seite 10): Sehr geehrtes Diogenes Magazin, Ihr wunderbar-interessantes Magazin habe ich von meiner Buchhandlung erhalten und zum Teil gelesen, es gibt so viel Lesenswertes darin … Über den Titel Knitting with Dog Hair (Stricken mit Hundehaaren) möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich so einen Pullover besitze. Die Wolle meiner Hunde (Bearded Collies) habe ich gesammelt, eine schwedische Spinnerin hat die Wolle gesponnen, und eine französische Freundin hat gestrickt. Es ist ein unglaublich weicher, warmer Pullover, der immer Bewunderung erntet, vor allem, als ich mit meinen drei Hunden, alle grauweiß meliert, spazieren ging. Die Wolle ist langhaarig und wasserdicht! Freundliche Grüße, Okky Offerhaus

Diogenes

Neu ausgegraben und alles andere als verstaubt: Carmilla, die erste Vampirin der Literaturgeschichte, und frühe Erzählungen des Dra­­ cula-Erfinders Bram Stoker.

Bis(s) Carmilla kam …

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Diogenes Magazin

In Martin Walkers Roman Bruno taucht die ganze Zeit der vin de noix auf, den da alle selber ansetzen. Das hat mir keine Ruhe gelassen. Walnüsse, Rotwein und Schnaps, das muss schmecken, dachte ich mir. Und das hab ich hier in meinem Bodenseedorf auch alles zur Verfügung. Natürlich stand bei Martin Walker kein Rezept. Also Internet. Aus unzähligen Rezepten habe ich dreißig genauer ausgewertet und dann den Versuch im Juni gewagt und mit frischen Walnüssen, Bio-Rotwein und Obstler vom befreundeten Bauern, zum Kopfschütteln meiner Frau, fünfzehn Liter vin de noix angesetzt. Nach drei Monaten, im Oktober dann die spannende erste Verkostung. Und ich sage Ihnen: Er ist dermaßen gut gelungen, dass nicht nur meine Frau erstaunt war, sondern auch ein Gastwirt in der Nähe den ganzen Bestand aufkaufen wollte. Er hat aber nur die Hälfte bekommen. Den Rest trinken wir selber, und nächstes Jahr mache ich doppelt so viel. Zu solchen neuen Hobbys können Bücher also auch verführen. Mit herzlichen Grüßen vom Bodensee Patrick van Odijk

Illustration links: © Edward Gorey; Illustration rechts: © Tomi Ungerer

Diogenes Taschenbuch detebe 24091, 224 Seiten


Ganz locker mit dem Hocker  Die SZ-Magazin Designedition. Folge 8: Der Stapelhocker.

Aus Amerika kommt ein sportliches Spiel namens Stacking. Das bedeutet „stapeln“, und genau darum geht es: gewöhnliche Plastik-Trinkbecher so schnell wie möglich zu Türmen und Pyramiden zu stapeln. Mit den becherförmigen Hockern des deutschen Designers Mathias Hahn geht das auch: Pyramide hier, Becher da, Turm dort. Sie heißen übrigens „The Unexpected Visitor“, und ein unerwarteter Gast weiß ja auch nicht, ob er eher bechern oder türmen soll. Die Sitzfläche des Hockers besteht aus Stauholz. Es dient auf Schiffen zum Sichern der Container, hat alle Häfen der Welt gesehen und sehnt sich deshalb nach einem Zuhause. Es gibt die Hocker einzeln, in Cremeweiß, Grafitgrau und Grasgrün. Aber wer einmal gesehen hat, wie viel Spaß junge Leute am Becherstapeln haben, der bestellt die Hocker lieber gleich im Set. Gueststool | Design: Mathias Hahn | Hersteller: MAGAZIN für SZ-Magazin Designedition | Stahl, pulverbeschichtet | Sitzfläche: Eiche, Stauholz | Maße: 42 x 27 cm | Farben: Cremeweiß, Grafitgrau und Grasgrün | 165 Euro inkl. Versand

Foto: © NN

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Top 10

Maria Elisabeth Straub

Top 10 Blumen & Unkraut Sie haben auch noch nie von Klei und Grüppeln, Mulch, Phlox und Rhizomen gehört? Sie stammen alle aus dem Garten von Maria Elisabeth Straub, die eindrucksvoll vom Kampf gegen Wattenmeer und Klettkraut erzählt, von totgesagten Bäumen, die in ihrem Garten fröhlich wuchern, und beichtet, wozu die ungeliebte Quecke am Ende doch gut sein kann.

Während der Fangopackungen bestückte ich im Geist meine künftigen Blumenbeete mit Märzenbechern und Dichternarzissen, Rittersporn und Eisenhut, Pfingstrosen, Goldlack, Iris und Zinnien, Ma­donnen­lilien und Phlox, meinen theoretischen Top Ten, Abteilung ›Blumen‹, ab­gesehen vom must historischer Rosen

cken, die in Heerscharen aus den umliegenden Gräben heraufziehen und nicht einmal vor dem hartblättrigen Oleander haltmachen. (Die schlimmste war eine fette, über 20 Zentimeter lange, braun-gelb gestreifte Anaconda, die ich mit dem Spaten ermordete; es dauerte eine Woche, bis die beiden schleimigen Hälften in sich zusammenfielen.) Um in den Regenmonaten das blank auf den Beeten stehende Wasser abzuleiten, hebe ich Minigräben aus, die hier Grüppel heißen und anklingen lassen, wie man sich anschließend fühlt. Vor allem aber kämpfe ich bis heute gegen Pflanzen, nämlich Schilf, Distel, Binse,

Top Ten Unkraut

Top Ten Blumen

1 Schilf 2 Distel 3 Binse 4 Giersch 5 Brennnessel 6 Klettkraut 7 Quecke 8 Winde 9 Esche 10 Wildpflaume

1 Märzenbecher 2 Dichternarzissen 3 Rittersporn 4 Eisenhut 5 Pfingstrosen 6 Goldlack 7 Iris 8 Zinnien 9 Madonnenlilien 10 Phlox

salzhaltige Sommerorkan vom Meer übers Land – und nahm meinen Traum von der eigenen Nussernte mit sich, nicht eine einzige Frucht blieb hängen. So ging es Sommer für Sommer; erst nach zwei vollen Jahrzehnten konnten immerhin fünf Nüsse dem Wetter widerstehen und ausreifen, ich verzehrte sie mit Andacht. So viel zu den überirdischen Bedingungen in meinem Garten. Das Irdische heißt hier Klei (von kleben), ein fetter, extrem dichter, zäher Marschboden, entstanden aus dem Schlick des einstigen Wattenmeeres. Nur mit doppelt geschmiedeten, sehr schmalen Klei-

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Spaten, deren Holzstiele alle Naslang durchbrechen, kann man umgraben. Nicht länger als zehn Minuten pro Tag, riet mir eine Nachbarin. Ich kam aus einer Sandgegend, schlug die Warnung in besagten Wind und landete beim Orthopäden.

Diogenes Magazin

und all dem, was man sowieso im Garten hat und was sich großzügig und dekorativ vermehrt – wie Vergissmeinnicht, Mohn und Calendula, Kapuzinerkresse, Borretsch, Fingerhut etc. De facto stand mir ein permanenter Kampf bevor. Ich schaffte einen schweine­ schweren Erdbohrer an und setzte Hecken und Bäume gegen den Wind. Um die Beete überhaupt bepflanzbar zu machen, arbeite ich jedes Jahr aufs Neue große Mengen Kompost, Sand und gehäckseltes Stroh ein. Ich verstreue Holzasche, Steinmehl, Häckselgut und mulche wie ein Weltmeister. Ich töte Tausende von Schne-

Giersch, Brennnessel, Klettkraut, Quecke, Winde, Esche und wilde Pflaume. Eben diese haben sich im Lauf der Jahre als meine absoluten Top Ten herausgestellt, denn sie sind es, die mich nonstop in Trab halten, sie lieben die hiesigen Bedingungen über alle Maßen und vermehren sich unterund überirdisch in einem Tempo, das mir neben allem Frust auch Bewunderung abverlangt, ganz abgesehen von den Kosten für die Anschaffung des Geschirrs, mit dem ich gegen sie ins Gefecht ziehe: Motorsensen, Sicheln und Sauzähne, Wurzelstecher, Astscheren, schwarze Folien, zahllose Spatenstiele und jede Menge an-

Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag

Gleich im ersten Frühjahr, nachdem ich in den Norden gezogen war, pflanzte ich an vermeintlich geschützter Stelle Number One meiner theo­retischen Top Ten, Abteilung ›Fruchttragende Holzgewächse‹: einen Walnussbaum. Ich gab ihm Pferdemist und Kalk, besang und tätschelte ihn und schützte seinen Stamm mit locker gewickeltem Kükendraht vor den Mörderkrallen meiner Katzen. All das mochte er sichtlich gern, er wuchs flott heran, breitete sich aus und trug schon im nächsten Jahr kleine Blüten, die sich in den folgenden Wochen zu winzigen grünen Früchten entwickelten. Dann fegte der erste


Foto: © Maria Elisabeth Straub

geblich unzerreißbare Arbeitshandschuhe. Ganz zu schweigen von der Pferdesalbe für meine bröselnden Gelenke. Den phänomenalen Eroberungsdrang meiner Top Ten gebührend zu beschreiben, führt hier zu weit. Nur kurz zum Schilf: In getrockneter Form auf meinem Dach genial, zwischen den Rosen aufschießend oder im Petersilienbeet ein Fluch. Seine Rhizome wurzeln metertief im Klei, wachsen täglich drei Zentimeter in alle Richtungen und brechen grundsätzlich ab, wenn man sie ausgraben will. Jedes noch so kleine Bruchstück bildet umgehend neue Triebe, die bei schwüler Witterung in 24 Stunden bis zu 40 Zentimeter an Höhe zulegen können. Manchmal träume ich davon, alle gärtnerischen Ziele aufzustecken und auf meinen zwei Hektaren ein Schilflabyrinth entstehen zu lassen. Allerdings müsste ich dann, um die Anlage in Schach zu halten, für den Rest meines Lebens auf einem Aufsitzmäher aussichtslose Pfade entlangtuckern. Na, und die Distel! Was das Kindermachen angeht, stellt sie alle anderen heimischen Gewächse in den Schatten. Eine einzige Pflanze produziert bis zu 50 000 feder­leichte Samen, in meiner stürmischen Gegend hat das Folgen. In den Beeten strafe ich sie, aber auf meiner Wiese darf sie sich ausbreiten, als Insektenund Augenweide. Früher wären mir dafür schwere Sanktionen auferlegt worden, heute ist es meinen Nachbarn egal, weil auf ihren Ländereien sowieso radikal alles weggespritzt wird, was nicht Weizen oder Raps heißt. Die Ackerwinde hat sich vor Jahren unter einer Hecke angesiedelt. Erst ließ ich sie gewähren, weil sie sich so elegant zwischen den stachligen Zweigen hindurchwand, mit ihren unermüdlich austreibenden gefältelten Trichterblüten, milch­weiß vor dem rosig-grünlichen Blatt­ werk der Berberitze, ein Anblick für Götter. Zu spät erkannte ich, dass da von vornherein ein Krieg geplant war – auf Leben und Tod. Mitten im Sommer ließ die Berberitze ihre plötzlich verkümmerten Blätter fallen und wollte sterben. Mühsam popelte ich die meterlangen Triebe und das weitverzweigte Wurzelwerk der mörderischen Schlingerin heraus, und ja, es floss Blut (Gärtner erkennt man an ihren zerschundenen Armen). Die Berberitze wurde gerettet, aber die Rache der Winde ließ nicht auf sich warten. Ein paar Schritte entfernt trieb sie wieder aus und schnürte die Pfingstrosen ab. Seitdem bleibe ich ihr quer durch den Garten unermüdlich auf den Fersen.

Sempé Für Gartenfreunde Diogenes

80 Seiten, Pappband, z.T. Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-02102-8

Die wilde Pflaume macht es auch von unten, und zwar immerzu und überall, besonders gern allerdings zwischen den rund ums Haus verlegten Katzenköpfen. Also muss das Pflaster hoch, will man den Wurzeltrieben ans Leder. Die Esche hingegen kommt von oben. Wie zuvor die Ulme, stirbt sie allmählich aus, doch bei mir bäumt sie sich offensichtlich mit Vehemenz gegen ihr Schicksal auf. Inflationär überschüttet sie meinen Garten mit ihren geflügelten Nussfrüchten, die zwei Jahre lang höchst unscheinbar zwischen Rübe und Kraut herumliegen, dann unbemerkt keimen, hastdunichtgesehen meterhoch sind und Wälder machen. Das eindrucksvollste Erlebnis hatte ich mit dem Klettkraut in der vergangenen Saison. Anfangs kletterte es nur über den großen Komposthaufen, dann erstickte es weit ab davon über Nacht die kleine Bärlauchplantage, klebte urplötzlich in der Clematis, hangelte sich in den Jasmin, waberte übers Kartoffelfeld, erkletterte die dicken Bohnen, wucherte zwischen den Erdbeeren und eroberte sogar die Kübelpflanzen, eindeutig in der Absicht, die Gesamtherrschaft im Garten zu übernehmen, bis in den letzten Winkel. Auf die Hundsrosenhecken, die ich nicht ständig kontrolliere, hatte es sich in lichtundurchlässigen dicken Matten gelegt, über und über mit vermehrungslüsternen Samenkügelchen besetzt, eine schier pharaonische Plage. Tage verbrachte ich damit, es auszureißen und karrenweise abzutransportieren, derweil feierten die restlichen nine meiner Top Ten fröhlichste Urstände. Sie sind stärker als ich – und schöner sowieso. Ich bestaune sie und gehe ihnen dennoch an den Kragen, damit meine the-

oretischen Top Ten wenigstens eine MiniChance haben. Beim Jäten und Rupfen denke ich daran, dass ich aus den gerösteten Samen des Klettkrauts aromatischen Kaffee-Ersatz, aus den Brennnesseln apartes Schreibpapier herstellen und den Giersch blättchenweise in meinen Salat mischen könnte, wenn ich denn wollte. Der Quecke jedoch mag ich nicht beim besten Willen und nicht einmal in Gedanken etwas abgewinnen, sie ist und bleibt mir eine Crux. Momme-der-Hund sieht das anders: Regelmäßig reinigt er seinen Verdauungstrakt mit ein paar aus der unermesslichen Fülle auserwählten Hälmchen.

Buchtipp

Borger & Straub

Sommer mit Emma

Roman · Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 24047, 416 Seiten

Die Ferien auf dem Hausboot in England sollten ein Abenteuer werden, und das werden sie – allerdings auf andere Weise, als die Familie es sich vorgestellt hat …

Diogenes Magazin

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Mit Ihnen Literatur entdecken. Montags Dienstags Mittwochs Donnerstags Freitags

14.05 Uhr 14.05 Uhr 14.05 Uhr 14.05 Uhr 21.05 Uhr 14.05 Uhr

HörSpiel – Hörgeschichten für das Kino im Kopf Schwiiz und quer – Für Liebhaber von Mundart und Brauchtum HörBar – Literatur fürs Ohr WortOrt – Orte und ihre Geschichten Schnabelweid – Die Schweiz und ihre Mundarten BuchZeichen – Weckt die Lust am Lesen www.drs1.ch

90

Diogenes Magazin


Owl’s Eye

An diesem Tag lasen wir nicht weiter …

Illustration: © Paul Flora

Ist Lesen sexy? (Teil 2) Wer denkt, Sören Kierkegaards Flirttipp, sich ein Buch zu leihen, um mit einem Mädchen anzubandeln, sei total veraltet, sollte bedenken, dass der 1855 verstorbene dänische Philosoph und Begründer der Existenzphilosophie damit bei Madonna schwer gepunktet hätte. »Jeder denkt, ich sei total verrückt nach Sex. In Wahrheit lese ich lieber ein Buch«, hat die Pop-Diva einmal behauptet. Lesen statt Sex? Madonnas überraschende Haltung ist eine kleine Abhandlung wert. In David Levithans Wörterbuch der Lieben­ den, das letztes Jahr im Graf Verlag erschien und eine Art Liebesroman in Wörterbucheinträgen ist, heißt es beim Begriff candid (offen, aufrichtig, freimütig): »›Meistens, wenn ich mit jemandem schlafe, würde ich lieber lesen.‹ – ›Meistens, wenn ich lese‹, sagtest du, ›würde ich lieber mit jemandem schlafen.‹« Wiederum eine sehr rigorose Ansicht, dabei kann Lesen selbst doch ein sehr erotischer Akt sein, besonders das Vorlesen. In John Irvings Roman Die vierte Hand etwa lernt der Fernsehjournalist Patrick Wallingford in einem Hotel in Boston eine Frau kennen und verbringt einige Stunden mit ihr auf seinem Zimmer – anders, als sich das die meisten vorstellen, außer wir Leser natürlich. Denn der notorische Frauenheld Wallingford ist auch ein leidenschaftlicher Bücherliebhaber. Er lässt sich von der Unbekannten zwei Kinderbücher vorlesen. Und das ist erotischer als alles andere: »Sie hatten beide keine Lust auf Sex; doch wenn einer von ihnen entschlossen gewesen wäre, mit dem anderen zu schlafen, hätten sie es getan. Aber Wallingford ließ sich lieber vorlesen«, heißt es bei John Irving. Bei den vor­gelesenen Büchern handelt es sich übrigens um die Kinderbücher Klein Stuart und Wilbur und

Charlotte von E. B. White, die beide bei Diogenes erschienen sind – sogar als Hörbücher für lonely hearts.

In Bernhard Schlinks weltberühmtem Roman Der Vorleser wird das Vorlesen gar zum erotischen Vorspiel. Denn die geheimnisvolle Hanna, in die sich der um viele Jahre jüngere Gymnasiast Michael Berg verliebt, benutzt das Vor­ lesen als ungewöhnliche erotische Erpressung, an der nach und nach auch Michael selbst Gefallen findet: »Aber als ich am nächsten Tag kam und sie küssen wollte, entzog sie sich: ›Zuerst musst du mir vorlesen.‹ Sie meinte es ernst. Ich musste ihr eine halbe Stunde lang Emilia Galotti vorlesen, ehe sie mich unter die Dusche und ins Bett nahm … Vorlesen, duschen, lieben und noch ein bisschen beieinanderliegen – das wurde das Ritual unserer Treffen … Sie war eine aufmerksame Zuhörerin. Ihr Lachen, ihr verächtliches Schnauben und ihre empörten oder beifälligen Ausrufe ließen keinen Zweifel, dass sie der Handlung gespannt folgte … Als die Tage länger wurden, las ich länger, um in der Dämmerung mit ihr im Bett zu sein.« Dass Bücher wahre Aphrodisiaka sein können, ist nicht neu. Vor fast 700 Jahren hat es Dante Alighieri in seiner Göttlichen Komödie eindrucksvoll

beschrieben: Die verheiratete Francesca verliebt sich in Paolo, den jüngeren Bruder ihres Gatten – eine verdammenswerte Liebe, die ein schlimmes Ende nehmen wird. Näher kommen sich Francesca und Paolo bei der gemeinsamen Lektüre eines Ritterromans, der die große Liebesgeschichte zwischen dem Ritter Lanzelot und der schönen Königin Ginevra erzählt. Als Ginevra den Ritter mit ihrem Lächeln betört, kommt es zum ersten Kuss. Die Beschreibung dieses Kusses entfacht bei den beiden Lesenden eine solche Leidenschaft, dass die Lektüre abrupt abgebrochen werden muss. »Zum Kuppler ward das Buch«, schrieb Dante. Hier, weil es so schön ist, die ganze Szene in der Übersetzung des Königs Johann von Sachsen aus dem Diogenes Taschenbuch: Wir lasen eines Tages zum Vergnügen Von Lanzelot, wie Liebe ihn umstricket, Wir waren ganz allein und ohne Arges. Zum Öftern trafen schon sich unsre Blicke Beim Lesen, und entfärbte sich das Antlitz; Doch was uns ganz besiegt, war eine Stelle, Als wir gehört, wie das ersehnte Lächeln Von so erhabnen Liebenden geküsst ward; Da küsste mich, der nie sich von mir trennet, Ganz bebend auf den Mund. Zum Kuppler ward Uns jenes Buch, und wer’s geschrieben hatte; An diesem Tag lasen wir nicht weiter.

Nur wenig kann sinnlicher sein als Vorlesen. Bücher sind Kuppler. Und in Zeiten von E-Books kann man Nick Hornby nur zustimmen: »Eine Wohnung voller kluger Bücher ist das Erotischste überhaupt.« Jan Sidney

Im nächsten Magazin: Machen Bücher dick? Diogenes Magazin

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Vorschaufenster Kino & TV & Oper

Ausstellungen

Lewis Wallace, Ben Hur. Regisseur Steve Shill verfilmt den Klassiker in einer internationalen Koproduktion neu als Mehrteiler fürs Fernsehen. Mit Joseph Morgan, Kristin Kreuk, Ray Winstone. Geplante Ausstrahlung: Pfingsten 2011 auf ProSieben. Charlotte Brontë, Jane Eyre. Neuverfilmung von Regisseur Cary Fukunaga mit Mia Wasikowska, Michael Fassbender, Jamie Bell und Judi Dench. Verleih: Tobis Film. Kinostart: 8.9.2011. Mark Twain, Tom Sawyer. Neuverfilmung von Regisseurin Hermine Huntgeburth mit Heike Makatsch, Benno Fürmann und Joachim Król. Verleih: Majestic Film. Kinostart: 17.11.2011. Doris Dörrie inszeniert Mozarts Oper Don Giovanni an der Staatsoper Hamburg. Simone Young dirigiert. Premiere am 18.9.2011.

Tomi Ungerer. Das Musée Tomi Ungerer in Straßburg zeigt bis zum 7.8.2011 die Ausstellung Räuber, Menschenfresser & Co. Tomi Ungerers Kinderbücher. Paul Flora. 87 Werke zeigt die Galerie Seywald in Salzburg unter dem Titel Wie ein Lächeln vom 28.6.2011 bis 10.9.2011. Permanente Ausstellung im Schloss Anras, Tirol. Pierre Auguste Renoir. Ausstellung Wie Seide gemalt über Kleidung, Farbe und Stoffe in Renoirs Gemälden. Kunstsammlung Chemnitz vom 18.9.2011 bis 8.1.2012. Buchtipp: Jean Renoir, Mein Vater, Auguste Renoir (detebe 22425). F. K. Waechter. Ausstellungstournee im Museum Haus Ludwig Saarlouis, bis 5.6.2011; Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt am Main vom 7.7. bis 11.9.2011; Buchtipp: F. K. Waechter, Alles klar? (Diogenes, ISBN 978-3-257-02103-5). Luis Murschetz. Zum 75. Geburtstag widmet ihm das Olaf Gulbransson Museum Tegernsee eine Werkschau, mit Schwerpunkt auf Der Maulwurf Grabowski, 24.7.2011 bis 9.10.2011. Saul Steinberg, Chaval, Jean-Jacques Sempé, Michael Sowa,Thomas Ott: Zeichnungen. Galerie Hauptmann und Kampa in Zürich (www.galeriehaka.com) bis 31.8.2011.

Literarisch Reisen Reisen mit Autoren. Der Schweizer Reiseveranstalter Kuoni bietet in seiner ›Cultimo‹-Reihe literarische Reisen an: Paris – Auf den Spuren von Georges Simenon und Kommissar Maigret sowie Hamburg – Literaturund Musicalcity mit Friedrich Dönhoff. www.cultimo.ch

Impressum Ehren-Herausgeber: Daniel Keel Geschäftsleitung: Katharina Erne, Ruth Geiger, Stefan Fritsch, Daniel Kampa, Winfried Stephan Chefredaktion: Daniel Kampa (kam@diogenes.ch) Mitarbeiter dieser Ausgabe: Julia Stüssi (js), Nicole Griessmann (ng), Martha Schoknecht (msc) Grafik-Design: Catherine Bourquin Fotograf: Bastian Schweitzer Scans und Bildbearbeitung: Catherine Bourquin, Tina Nart, Hürlimann Medien (Zürich) Webausgabe: Susanne Bühler (sb@diogenes.ch) Korrektorat: Franca Meier, Dominik Süess Bildredaktion: Regina Treier, Nicole Griessman Freier Mitarbeiter: Jan Sidney (sid) Vertrieb: Renata Teicke (tei@diogenes.ch) Anzeigenleitung: Simone Wolf (wo@diogenes.ch) Zurzeit gilt Anzeigenliste Februar 2011 Abo-Service: Christine Kownatzki (diogenesmagazin@diogenes.ch) Für ein Abonnement benutzen Sie bitte die auf Seite 55 eingedruckte Abokarte. Abonnementspreise: € 10.– für drei Ausgaben in Deutschland und Österreich, sFr 18.– in der Schweiz, andere Länder auf Anfrage. Herzlichen Dank allen Autoren und Fotografen. Beim Gewinnspiel sind Mitarbeiter/-innen des Diogenes Verlags von der Teilnahme ausgeschlossen. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt. Die Preise sind nicht in bar auszahlbar. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Programmänderungen vorbehalten. Alle Angaben ohne Gewähr. Redaktionsschluss: 1.4.2011 / ISSN 1663-1641 Diogenes Magazin Sprecherstr. 8, 8032 Zürich, Schweiz Tel. +41 44 254 85 11, Fax +41 44 252 84 07 Über unverlangt eingesandte Manuskripte kann leider keine Korrespondenz geführt werden.

Schreibtisch-Gewinnspiel aus dem Diogenes Magazin Nr. 5: Den Hauptpreis, ein vom Autor signiertes Taschenbuch Das Parfum von Patrick Süskind und einen 200-Euro-Büchergutschein, hat Angelika Schreiber aus Hannover gewonnen. Je ein signiertes Taschenbuch Das Parfum von Patrick Süskind haben gewonnen: Martina Jerabek, Wien; Eva Preusker, Lauter; Helmut Haag, Windsbach und Gila Pingler, Aarau. Herzlichen Glück­ wunsch! 92

Diogenes Magazin

Illustration: © Bosc

Gewonnen haben


Schreibtisch

Wer schrieb hier?

Fotos: © Daniel Gerber

D

as Markanteste an diesem Schreib­ t­isch? Es sind gleich zwei! Zwei Wirkungsstätten einer wirklich ungemein produktiven Autorin. Womit man wohl schon die Erklärung für diese zwei Tische hat: Ihr Nachlass umfasst etwa 50 laufende Regalmeter! Unzählige Romane – 22 an der Zahl und viele von ihnen verfilmt – , Geschichten und Notizen hat die in Locarno verstorbene Amerikanerin hinterlassen. Das meiste tippte die »Dichterin der unbestimmbaren Beklemmung«, wie Graham Greene sie nannte, auf ihrer Olympus, persönliche Notizen jedoch hielt sie in verschiedenen kleinen Büchern fest, wie sie rechts zu sehen sind (und nächstes Jahr endlich zum ersten Mal auf Deutsch erscheinen werden!). Ein wenig ungewöhnlich scheint nur, dass sich weder Katzen noch Schnecken auf einem der Tische finden, die unsere Gesuchte doch so liebte.

Gewinnspiel Schicken Sie die Antwort bis zum 30. September 2011 per Post oder per E-Mail (gewinnspielmagazin@ diogenes.ch) an: Diogenes Verlag, Gewinnspiel ›Wer schrieb hier?‹, Sprecherstr. 8, 8032 Zürich, Schweiz

Wir verlosen sechs Mal ein von Donna Leon signiertes Exemplar von Tiere und Töne – Donna Leon auf den Spuren der Tiere in Händels Opern, mit Bildern von Michael Sowa und einer CD mit HändelArien von Il Complesso Barocco, dirigiert von Alan Curtis. Als HauptDonna Leon Tiere und Tö preis zusammen mit ne einem 200-EuroDiogenes-Bücher­ gutschein. Auf Spurens uche in Hän dels Opern Mit Bildern von Michael Sowa

Diogenes

Diogenes Magazin

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Mag ich – Mag ich nicht

Astrid Rosenfeld Vorschau Das nächste Diogenes Magazin erscheint Ende September. Im Mittelpunkt: das Multitalent Doris Dörrie, die Filme dreht, Opern insziniert, aber vor allem: endlich wieder einen neuen Roman geschrieben hat. Außerdem: Kurioses aus Venedig – mit Donna Leon auf Spurensuche in den Archiven der Lagunenstadt. Kriminelles aus Athen: Ein Gespräch mit Petros Markaris. Zwei starke Frauen aus dem Süden der USA: Carson McCullers und Zelda Fitzgerald. Mit Sonderteil: Friedrich Dürrenmatt – zum Erscheinen der lang er­war­teten Dürrenmatt-Biographie von Peter Rüedi.

Nr. 8

Herbst 2011

Diogenes

Magazin

Alles inklusive! Der neue Roman von Doris Dörrie

Mag ich:

Mag ich nicht:

Zigaretten und Kaffee. Napoleon. Fisch. Watte. Essig. Zweiter sein. Elefanten und Vögel. Im See schwim- Krankenhäuser. Warme Fallwinde. men. Pete Doherty. Joggen. Velvet Vorwürfe. Weihnachtsmärkte. Or­ Underground. Die Vors­­tellung, ein­ lando. Kein Toilettenpapier im Haus mal eine Ziege zu besitzen. Märchen. haben. Kaputte Feuerzeuge. Schnee Elias Canetti. Popcorn. Cowboyund Glatteis. Schrille Frauenstimmen. stiefel. Johnny Cash. Einschlafen Zelten. Hagebuttentee. Musicals. können. Der Fänger im Roggen. Kellerasseln. Barhocker. Aufessen Autofahren (als Beifahrer). Roulette müssen. Lastwagen. Mein Bett teilen. (eigentlich alle Glücksspiele, aber Schmutzige Schuhe. Kreide. Tomaam liebsten Roulette). Tannhäuser. tensaft. Eine Brille tragen. Trompeten Lemuren und die Vorstellung, einmal und Blockflöten. Nelken. Nebenwirmit Lemuren zu tanzen. Wäsche kungen. Kochen und putzen. Bei Rot waschen. Mutige Männer. Friedhöfe über die Straße gehen. Schornsteinfeund Apotheken. Tom Waits. Schuhe ger. Warten. Frieren. Butter. Traummit hohen Absätzen. Jeden, der mich fänger. Vorträge. Schweigeminuten. zum Lachen bringt. Marlene DietSich aussperren. Lammfleisch. Haare rich. Pilze suchen. Meine Finger in fönen. Den Alexanderplatz. Vom Kerzenwachs tauchen. Evelyn Waugh. 10-Meter-Brett springen. Nanas von Dachterrassen. Roten Nagellack. Niki de Saint Phalle. Puzzles. UnLolita. Wetten und ge­­winnen. Die terbrechungen. Formel 1. Verkleiden. erste Nacht in einer fremden Stadt. Neonlicht. Verpasste Chancen. Wasser. Alleine ins Kino gehen. F. Scott Fitzgerald. Grüne Augen. Zufälle. Den ersten warmen Tag im Jahr. James McAvoy. Briefe. Glocken. Blaubeeren. Die Siegessäule und das Brandenburger Tor. Faust. Leonard Cohen. Kleingeld. Zeus. Noch einmal davonzukommen.

Venezianische Kuriositäten Donna Leon auf Spurensuche

Zwei starke Frauen aus den Südstaaten: Carson McCullers und Zelda Fitzgerald

Dürrenm

att Magazin

www.diogenes.ch 4 Euro / 7 Franken

9

783257 850086

Zwei Magazine in einem

»Ich gehe auf Demonstrat keine Ich bin selb ionen. er

eine.« Friedrich Dürrenm att: Aktueller denn je. Genügend

Stof

f für ein Die lang Leben erwartete Dürrenm Biograph attie von Pete r Rüedi

Peter von Matt: Wie Dürr

enm ein Literatur att die Schweiz zwang, archiv zu gründen

Im nächsten Magazin: Alfred Komarek 94

Diogenes Magazin

Foto Rosenfeld: Bernd Fischer; Illustration rechts: © Jean-Jacques Sempé

Bibliotherapie Bücher machen gesund


Famous Last Page

Die Kultur, die Kultur … eines Tages habe ich mir gesagt: Teufel auch, wir wollen leben! Dann habe ich ein Buch geschrieben.

Diogenes Magazin

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Diogenes

Kinder Magazin

Spiele- und Geschichten-SpaĂ&#x; Mit dem kleinen Nick, dem hilfreichen Tintenfisch Emil und vielen mehr


Diogenes

Endlich Ruhe!

Kinder Hörbücher Rufus Beck liest besser vor als Papa …

Illustration: © Jean-Jacques Sempé * unverbindliche Preisempfehlung

Heike Makatsch singt viel schöner als Mama …

Diogenes Hörbuch

Diogenes Hörbuch

Diogenes Hörbuch

Gelesen von Roger Willemsen

Gelesen von Peter Urban

Gelesen von Rufus Beck

1 CD

Lewis Carroll Die kleine Alice Diogenes

1 CD, Spieldauer 46 Min. e 14.90 / sFr 26.90* ISBN 978-3-257-80224-5

»Ich empfehle von Herzen, ◊echovs Werke so oft wie möglich zur Hand zu nehmen; diese ◊echovsche Welt ist es wert, wie ein Schatz festgehalten zu werden.« Vladimir Nabokov »Klassische Geschichten für Erwachsene und Kinder.« Die Zeit

ˇ Anton Cechov

»Man muss diesen Jungen mögen. Er ist frech, er ist altklug, er ist mutig und manchmal auch zärtlich – kurz: ein prima Kerl.« Norddeutscher Rundfunk

und andere Kindergeschichten

1 CD

2 CD

Und andere Kindergeschichten 2 CD, Spieldauer 85 Min. e 19.90 / sFr 35.90* ISBN 978-3-257-80023-4

Diogenes Hörbuch

Gelesen von Nikolaus Heidelbach

Gelesen von Felix von Manteuffel Anna König Heikko Deutschmann

Gelesen von Herbert Feuerstein

1 CD

Die Geschichte einer Freundschaft

Die Geschichte einer Freundschaft 1 CD, Spieldauer 30 Min. e 12.90 / sFr 22.90* ISBN 978-3-257-80068-5

Maurice Sendak

Wo die wilden Kerle wohnen

»Tomi Ungerer ist immer schon ein ebenso begnadeter Geschichtenerzähler wie Zeichner gewesen.« Tages-Anzeiger, Zürich »Ein genialer Kinderbuchautor.« Libération, Paris

Diogenes Hörbuch

Goscinny

Gelesen von Rufus Beck »Goscinnys Witz hat kein Verfallsdatum.«

Der Spiegel

Sempé

Der kleine

1 CD, Spieldauer 56 Min. e 14.90 / sFr 26.90* ISBN 978-3-257-80286-3

Diogenes Hörbuch Gelesen von Anna König

ist wieder da!

Die schönsten Kinderlieder

SonntagsZeitung

Aus demerbuch Lied Großen mi Ungerer von To

»Die vergnüglichen Geschichten haben bis heute nichts von ihrem Charme verloren.« Brigitte

1 CD

»Nicht nur für Erwachsene, sondern auch für lesebegeisterte Kinder ein Genuss, ein kleines Brevier über Phantasie und Vorstellungskraft.« Hamburger Abendblatt

3 CD

1 CD, 76 Min. e 9.90 / sFr 17.90* ISBN 978-3-257-80034-0

Diogenes Hörbuch Das Hörspiel zum Kinofilm

1 CD, Spieldauer 38 Min. e 15.90 / sFr 26.90* ISBN 978-3-257-80281-8

Diogenes Hörbuch

Diogenes Hörbuch Gelesen von Anna König

Tomi Ungerer Kein Kuss für Mutter

und andere Geschichten

und andere Geschichten

Und andere Geschichten 1 CD, Spieldauer 67 Min. e 14.90 / sFr 26.90* ISBN 978-3-257-80039-5

Katharina THALBACH

Joachim KRÓL

Bela B. FELSENHEIMER

Charly HÜBNER

Das Hörspiel zum Film 1 CD, Spieldauer 68 Min. e 14.90 / sFr 26.90* ISBN 978-3-257-80164-4

1 CD

Und andere Geschichten 1 CD, Spieldauer 67 Min. e 14.90 / sFr 26.90* ISBN 978-3-257-80047-0

Roman

»Die höfliche, clevere Maus wird hier so selbstverständlich, hinreißend und niemals anbiedernd im Umgang mit Menschen beschrieben, wie es nur einem Autor vom Format eines E. B. White gelingen konnte.« Brigitte

E. B. White Klein Stuart

2 CD

Die Geschichte einer ungewöhnlichen Familie

von Tomi Ungerer

1 CD

Ian McEwan Der Tagträumer

3 CD, Spieldauer 203 Min. e 22.90 / sFr 40.90* ISBN 978-3-257-80266-5

Gelesen von Roger Willemsen »F.K. Waechter ist ein Geschichtenerzähler, der keineswegs pädagogische Ratschläge im Gepäck mitführt. Es gibt keine Moral von der Geschicht’, man findet sie allenfalls beiläufig.« Salzburger Nachrichten

und andere Geschichten

1 CD

Heike Makatsch & derhundmarie

»Selten lagen Nostalgie und Ironie so nah beieinander.«

Zehn prima Geschichten vom kleinen Nick und seinen Freunden 1 CD, Spieldauer 78 Min. e 12.90 / sFr 22.90* ISBN 978-3-257-80262-7

Diogenes Hörbuch

»Maurice Sendak gilt heute zu Recht als einer der besten Kinderbuchautoren und -illustratoren der Welt, wenn nicht als der beste überhaupt.« Frankfurter Allgemeine Zeitung

und sein Luftballon

Kaschtanka

Diogenes Hörbuch

»Liebevoll, mit großem Einfühlungsvermögen zeichnet Sempé mit wenigen, aber tiefgründigen Worten die Freundschaft der nonkonformistischen Knaben.« Wiener Zeitung

Sempé

Der kleine

© IMAV, Paris

Eine der berühmtesten Kindergeschichten der Welt, vom Autor selbst für die Kleinsten der Kleinen neu erzählt: »Jetzt ist es mein Ehrgeiz, von Kindern gelesen zu werden, die zwischen null und fünf Jahre alt sind.« (Lewis Carroll)

Goscinny

Die Geschichte einer ungewöhnlichen Familie 2 CD, Spieldauer 140 Min. e 19.90 / sFr 35.90* ISBN 978-3-257-80261-0


Diogenes

Kinder Magazin

Inhalt Finde die 5 Unterschiede 2 Zum Suchen: Mit Tomi Ungerer am Strand Der kleine Nick: Ein richtiger Zirkus 3 Zum Lesen: Nick und seine Freunde gründen einen Zirkus Karikaturen zeichnen 6 Zum Zeichnen: So leicht lassen sich Karikaturen machen Miranda, der Panda, sitzt auf der Veranda 7 Zum Ausmalen: Verwandle Mirandas Haus in eine Villa Kunterbunt Emil, der hilfreiche Tintenfisch 8 Mehr zum Lesen: Wie der Tintenfisch Emil Menschen hilft Fresssäcke 10 Zum Erfinden: Wie sieht dein Fresssack aus?

Illustration: © Tomi Ungerer; Illustration Titelseite: © Tomi Ungerer

All die verschwundenen Dinge 12 Mehr zum Lesen: Was die Leiterin des Fundbüros Zürich alles findet Cocos Schiffchen 14 Zum Selberbasteln: Wie faltet man ein Papierschiffchen? Diogenes Duett 16 Zum Spielen: Das tolle Bilderkartenspiel für alle!

Diogenes Kinder Magazin

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Finde die 5 Unterschiede In diesem Bild aus Tomi Ungerers Buch Neue Freunde sind fünf Dinge verändert worden. Entdeckst du sie? Auf die Suche, fertig, los!

Illustration: © Tomi Ungerer

Mach mit!

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René Goscinny / Jean-Jacques Sempé

Der kleine Nick

Ein richtiger Zirkus

Illustrationen: © Jean-Jacques Sempé

H

allo Leute!«, hat Chlodwig in der Schule gerufen. »Diesmal war ich nicht der Letzte in der Geschichtsarbeit, und weil nichts Besonderes im Fernsehen war, ist mein Vater mit mir in den Zirkus gegangen. Und da habe ich eine tolle Idee gehabt. Sollen wir nicht auch mal einen Zirkus machen?« »Was denn für’n Zirkus?«, hat Georg gefragt. »Na ja, normal«, hat Chlodwig geantwortet. »Einen richtigen Zirkus; das ist gar nicht schwer. Wir machen die Akrobaten und die Clowns und alles. Das macht Spaß, und wir verdienen einen Haufen Geld. Kommt mal morgen auf den leeren Bauplatz, dann kann ich euch sagen, wie es geht! Morgen ist Donnerstag, da lässt mein Papa mich raus, denn ich war ja nicht Letzter in der Geschichtsarbeit!« »Ja, ja, das wissen wir jetzt alle«, hat Roland gesagt, der war nämlich Letzter in der Geschichts­arbeit. Ich habe gedacht, die Idee ist super und mit meinen Schulkameraden kann man bestimmt einen richtigen Zirkus machen. Am Donnerstag bin ich zum Bauplatz gegangen, meine Freunde waren schon alle da, und Chlodwig hat uns erklärt, wie man einen richtigen Zirkus macht: Man verkauft Eintrittskarten, und dann

braucht man nicht in die Schule zu »Dein Papa kann auf seinen Wagen gehen, denn man ist ja dauernd unter- malen, was er will«, hat Georg gesagt, wegs, sehr weit, bis in andere Viertel, »aber mein Papa lässt niemals zu, dass wie bei einem richtigen Zirkus eben. der Name von so einem Blödmann »Aber unsere Eltern lassen auf seinen Wagen gemalt uns doch bestimmt nicht wird, nee wirklich, alleine weg«, habe ich im Ernst!« Nicht schon wieder zu Chlodwig gesagt. »Georg hat streiten. Wir können den »Na, dann fragen recht!«, hat Zirkus ja einfach ›Zirkus wir sie eben, ob Franz gesagt. der Freunde‹ nennen! sie mitkommen«, »Und vor alhat Chlodwig gelem: Die Idee sagt. »Unsere Mahat vielleicht dieser Blödmann mas können kochen, Chlodwig gehabt, und auf die Wagen von aber der Zirkus gehört unseren Papas schreiben uns allen!« wir in großen roten Buchstaben Ich habe gesagt, wir müssen zirkus chlodwig.« nicht schon wieder anfangen zu streiten und wir brauchen den Zirkus ja nur ›Zirkus der Freunde‹ zu nennen, das genügt doch. Alle haben »Hipp, hipp, hurra!« gerufen außer dieser Pfeife Chlodwig, der wollte ihn ›Zirkus der Freunde von Chlodwig‹ nennen, aber wir haben ihm gesagt, er kann seinen Zirkus nennen, wie er will, wir machen unseren eigenen. Da hat er gesagt, gut, einverstanden. Er ist nett, der Chlodwig. »Wo wollen wir den Zirkus »Zirkus was?«, hat Georg gefragt. aufbauen?«, hat Georg gefragt. »›Zirkus Chlodwig‹«, hat Chlod»Hier natürlich«, hat Chlodwig gewig gesagt, »die Idee ist ja schließlich sagt, »hier auf dem leeren Bauplatz. von mir.« Wir fragen unsere Mamas, ob sie uns Diogenes Kinder Magazin

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ein großes rundes Zelt nähen können, und mit den Kisten da hinten bauen wir die Plätze für das Publikum.« »Und du glaubst, wir dürfen hier einen Zirkus aufbauen?«, hat Roland gefragt. »Wieso denn nicht?«, hat Chlodwig gesagt. »Der leere Bauplatz gehört doch uns, oder?« Da hat Chlodwig recht gehabt, es ging gut voran mit unserem Zirkus, und wir haben uns schon gefreut. »Aber was sollen wir denn machen in unserem Zirkus?«, hat Max gefragt. »Erdnüsse verkaufen«, hat Otto gesagt. »Mir gefällt beim Zirkus am besten, dass am Eingang Erdnüsse verkauft werden.« »Also«, hat Chlodwig gesagt, »wir machen alles, was ein richtiger Zirkus macht: Clowns, Zauberer, Akrobaten, Tierbändiger …« »Die Tierbändiger«, hat Joachim gesagt. »Wen sollen die denn bändigen, deine Tierbändiger, bitte schön?« »Meine Tante«, hat Roland gesagt, »hat einen Hund, der heißt Fixi und der ist ganz toll intelligent. Wir könnten ihn dressieren, dass er durch den Reifen springt, er kann sich auch schon tot stellen.« »Ein richtiger Tierbändiger bändigt keine Hunde«, hat Joachim gesagt, »der bändigt Tiger, Löwen und Bären.« »Wir können Fixi verkleiden«, hat Roland gesagt. »Dass ich nicht lache!«, hat Joachim gesagt. »Mit einem kümmerlichen Hündchen, das sich tot stellt, kannst du den Leuten doch keinen Löwen vormachen!« »Wer ist kümmerlich?«, hat Roland gefragt. Während Roland und Joachim sich gehauen haben, hat Georg gesagt, er macht den Akrobaten. »Und was machst du als Akrobat?«, hat Chlodwig gefragt. 4

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Georg hat ihm gesagt, er ist ganz groß im Purzelbaumschlagen, und er hat angefangen, Purzelbäume zu schlagen, um es uns zu zeigen, und dann ist er wieder aufgestanden und hat gesagt, seine Purzelbäume wären noch viel schöner, wenn sein Papa ihm ein glitzerndes Trikot kauft, mit GEORG in großen roten Buchstaben vorne drauf. »Und ich«, hat Chlodwig gesagt, »mache Akrobatenkunststücke mit meinem Fahrrad, ich kann schon freihändig und übe, rückwärts auf der Lenkstange zu fahren.«

»Und ich kann den Clown machen«, habe ich gesagt, »das finde ich am schönsten im Zirkus, ich kann auch ganz tolle Fratzen schneiden, guckt mal!« Meine Freunde haben sich das angesehen, und Franz hat gesagt, die Grimassen sind ja nicht besonders lustig, aber wenn man das Gesicht anmalt wie bei den Clowns, dann kann es vielleicht gehen.

»Ich leihe dir meine Farbstifte«, hat Max gesagt. »Und ich kann mir den Anzug und die Schuhe von meinem Papa anziehen«, habe ich gesagt. »Dann sehe ich aus wie ein echter Clown!« »Und ich verkaufe die Erdnüsse am Eingang«, hat Otto gesagt. »Ich mache den Zauberer!«, hat Max gerufen. »Ich habe einen tollen Zauberkasten.« »Den kennen wir schon, deinen Zauberkasten«, hat Georg gesagt. »Ich habe den gleichen. Und wenn wir mit dem Zirkus auf Tournee gehen, kannst du mit deiner alten Kiste zu Hause bleiben!« »Akrobat, bleib bei deinen Purzelbäumen!«, hat Max gesagt. »Und halt die Klappe!« »Ach ja!«, hat Georg gerufen. »Das sagst du bloß, weil du keine Purzelbäume schlagen kannst, das kann nämlich nicht jeder!« »Was – ich kann keine Purzelbäume schlagen?«, hat Max gerufen. »Guck mal hier!« »Was wir noch brauchen«, hat Chlod­ wig gesagt, während Max seine Purzelbäume schlug, »ist die Musik! Kein Zirkus ohne Musik.« »Ich kann ein Grammofon mitbringen«, habe ich gesagt, »mit einer Schallplatte. Da ist ein schönes Lied drauf, von einem dicken Elefanten.« »Ein Elefant, das ist gut, der passt zum Zirkus«, hat Chlodwig gesagt. »O ja«, hat Roland gesagt. »Dann kann Joachim den Elefanten von


Illustrationen: © Jean-Jacques Sempé

Nicks Schallplatte bändigen, und Fixi kann er in Ruhe lassen, der ist sowieso intelligenter als er!« Joachim und Roland haben wieder angefangen, sich zu hauen, sie mögen sich nicht besonders, denn Roland hat seine Geschichtsarbeit bei Joachim abgeschrieben. »Das ist ja alles ganz nett«, hat Franz gesagt, »aber wie kriegen wir die Leute in unseren Zirkus, nämlich ohne Publikum lohnt es sich nicht, den Hanswurst zu machen.« »Wir malen große Plakate«, hat Chlodwig gesagt, »und die kleben wir überall hin. Plakate mit Tigern, Löwen, Bären, und dann muss ›Zirkus der Freunde‹ draufstehen.« Max hat gesagt, er zeichnet die Plakate, denn er hat die Farbstifte, und dann kleben wir die Plakate in unserem Viertel an alle Häuser. »Der wird einsame Klasse, unser Zirkus!«, hat Chlodwig gerufen.

»Moment!«, hat Otto gesagt. »Er ist vielleicht klasse, unser Zirkus, aber wir haben noch keine Erdnüsse, um sie am Eingang zu verkaufen. Ohne Erdnüsse kein Zirkus!« »Otto hat recht«, hat Georg gesagt. »Wisst ihr, was? Wir legen zusammen, dann können wir Erdnüsse kaufen, und nächsten Donnerstag fangen wir mit dem Zirkus an.« Das war eine gute Idee. Wir haben alle »Hipp, hipp, hurra!« gerufen und haben unser Geld zusammengelegt – das war eine ganze Menge –, und bei dem Händler an der Straßenecke vor dem Café haben wir die Erdnüsse gekauft. Der wird klasse, unser Zirkus. Das Dumme ist nur, wir können nicht so schnell damit anfangen, wie wir wollten, nämlich wir haben schon alle Erdnüsse aufgegessen.

Hörbuchtipp Diogenes Hörbuch

Goscinny

Sempé

Der kleine

Gelesen von Rufus Beck »Nick ist ein Freund, wie man ihn sich nur wünschen kann. Ein Freund fürs Leben. Alt werden? Stillhalten? Ohne uns.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

im Zirkus

1 CD

1 CD, Spieldauer 79 Min. ISBN 978-3-257-80288-7

Warum schaut die Lehrerin so traurig, als sie hört, dass es in den Zirkus geht? Das wird doch lustig, denkt sich Nick! Und wie: Vor Beginn der Vorstellung fehlt jedoch plötzlich der dicke Otto, weil er Zuckerwatte kaufen muss, die er dann Joachim auf den Kopf schmiert … Es geht wie immer turbulent und lustig zu bei unserem Nick.

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Buchtipp

Drei Herren mit Fünf-Mark-, einem Daumen- und einem Kork-Gesicht

Mach mit!

Karikaturen zeichnen

136 Seiten, Pappband, Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-01150-0

Ein Bilder-, Lese-, Bastel-, Comic-, Spiel- und Rätselbuch – und noch vieles mehr. Dieses Buch ist voller Geschichten und Bilder. Doch es wird noch viel voller und schöner, wenn es erst ein Kind (oder 2 oder 3 oder 4) in die Finger kriegt. Dann wird vielleicht sogar ein zweites Buch mit neuen Geschichten und Bildern daraus.

Illustrationen: © F. K. Waechter

Weißt du, dass jeder Mensch Karikaturen machen kann!? – Komische, ausdrucksvolle Gesichter? Nimm einen Fleck, ein Gekrakel, Gemuschel, ein verschmiertes Weißnichtwas, schau dir das lange an, dreh’s hin und her … und schon entdeckst du ein Gesicht. Vielleicht musst du noch ein, zwei Striche dazumalen, aber dann wird es ganz deutlich ein freches, trauriges, blödes, schreckliches, verschmitztes oder bösartiges Gesicht.

Diogenes

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Patricia Highsmith

Miranda, der Panda, sitzt auf der Veranda

und freut sich sehr, wenn du ihr Haus farbig anmalst und in allen Farben leuchten lässt.

Illustration: © Patricia Highsmith

Mach mit!

Kaum zu glauben, aber wahr. Die Meisterin der psychologischen Kriminalromane, Patricia Highsmith, hat auch einmal ein Kinderbuch nicht nur geschrieben, sondern auch illustriert. Jedoch fehlen den Bildern eindeutig die Farben, die dieses Haus in allen Farben leuchten lassen. Kannst du der großen Schriftstellerin helfen?

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Tomi Ungerer

Emil, der hilfreiche Tintenfisch K

apitän Samofar, ein berühmter Tiefseetaucher, ging eines Tages auf dem Meeresgrund spazieren. Plötzlich tauchte ein gefährlich dreinblickender Hai auf. Der Hai griff Kapitän Samofar an. Doch ein freundlicher Tintenfisch namens Emil eilte ihm zu Hilfe, indem er der Bestie einen Stein in den Rachen warf. Dann brachte Emil den Taucher zur Wasseroberfläche. Als Kapitän Samofar wieder zu sich kam, schüttelte er seinem Retter dankbar die Hand. Er lud den Tintenfisch ein, sein Gast zu sein. Er ließ Emil in einer Badewanne voll Salzwasser schlafen. Der Tintenfisch entpuppte sich als begnadeter Musiker und war die Freude jeder Party. Doch Emil vermisste den Ozean. So nahm er eine Stelle als Bademeister an. Er lehrte die Kinder schwimmen und hielt nach Gefahren Ausschau. Wenn welche zu weit hinausschwammen, rettete er sie. Zuweilen gleich vier auf einmal. Er war sehr beliebt am Strand. Am beliebtesten, wenn er als Verwand­ lungskünstler auftrat, zum Beispiel als

Nachmittags stoppten sie ein verdächtiges Schiff. Emil bemerkte, dass in einem Netz unter Wasser Kisten versteckt waren. Er zeigte seine Entdeckung den Polizisten, und sie sprangen ins Schmugglerboot. Doch die Bösewichter wollten sich nicht fangen lassen und sprangen ins Polizeiboot. Sie rasten davon und schossen auf die Polizisten. Emil schwamm ihnen nach. Er wickelte Seetang um die Schiffsschraube und konnte so das Boot zum

Immer wenn Kapitän Samofar seinen alten Freund sehen wollte, zog er seinen Taucheranzug an und stieg hinunter, um ihn zu besuchen. Kein Meer konnte tief genug sein, um den Taucher und den achtarmigen Helden zu trennen.

Buchtipp

Tomi Ungerer

Fünf fabelhafte Fabeltiere in einem Band

Elefant

Vogel. An seinem freien Tag schwamm Emil neben dem Polizeiboot her, auf dem Kapitän Samofar Kapitän war. Eines 8

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Diogenes

184 Seiten, Halbleinen, Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-01130-2

Crictor, die gute Schlange; Adelaide, das fliegende Känguru; Emil, der hilfreiche Tintenfisch; Rufus, die farbige Fledermaus, und Orlando, der brave Geier. Fünf phantastische Wundertiere – erzählt und gezeichnet vom Meisterfabulierer Tomi Ungerer.

Illustrationen: © Tomi Ungerer

oder

Halten bringen. Emil überwältigte die Banditen und übernahm das Gewehr. Er zielte auf die Schmuggler, und sie ergaben sich. Während er einige Gefangene mit einigen seiner Arme gefesselt hielt, steuerte der tapfere Tintenfisch das Boot in den Hafen zurück. Zur Feier seiner Heldentat taufte die Polizei ihr nächstes Boot EMIL. Der Tintenfisch vermisste sein ruhiges Leben im Meer und wollte nach Hause zurück. Seine Freunde veranstalteten ein Abschiedsfestessen für ihn und gaben ihm viele Geschenke.


Sonne, Sand und  Bücher 48 Seiten, 26,5 x 36 cm, Halbleinen, Fünffarbendruck ISBN 978-3-257-00592-9

Babar und Celeste fliegen mit dem Heißluftballon auf Hochzeitsreise – und erleben dabei einige Überraschungen.

Pack die Badehose ein – und was noch? Natürlich Bücher! Wie die Playmobil-­­­ Figur zeigt, gehört zu einem Ausflug ans Wasser neben Sonnencreme und Badetuch auch ein Buch. Für die Pausen zwischen Sandburgenbauen und Im-WasserPlantschen hier eine Auswahl an spannenden Büchern für die Sommerferien.

E. B. White

Klein Stuart Die Geschichte einer ungewöhnlichen Familie Mit Zeichnungen von

Garth Williams

Diogenes

128 Seiten, 14,3 x 21,3 cm, Halbleinen ISBN 978-3-257-00889-0

Er ist clever und einfach unvergesslich. Dabei ist er nur zehn Zentimeter groß. Klein Stuart – eine Maus mit Charakter.

Lukas Hartmann So eine lange Nase Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen Eine Geschichte von John Irving Mit vielen Bildern von Tatjana Hauptmann

Roman · Diogenes

Diogenes

208 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-01148-7

40 Seiten, 27,5 x 25,2 cm, Pappband, Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-01102-9

Pit und seine Schwester Lena langweilen sich in den Ferien, und ihre Eltern streiten sich ständig. Zum Glück treffen sie auf den Zauberer Zervan.

Goscinny

Das Abenteuer eines tapferen kleinen Jungen, der schlecht träumt und mitten in der Nacht mit seinem Vater auszieht, ein gespenstisches Geräusch zu suchen und zu verjagen.

Sempé

Doris Dörrie

Der kleine Jill Murphy

Mit Bildern von Julia Kaergel

und sein Luftballon

Foto Hintergrund: © cendrine arnal – Fotolia.com

Eine lausige

HEXE fliegt ans Meer

Diogenes

160 Seiten, 14,3 x 21,3 cm, Pappband, Vierfarbendruck Auch als Diogenes Hörbuch ISBN 978-3-257-01139-5

Zehn tolle Abenteuer des kleinen Nick: Er gründet einen Zirkus, gewinnt (fast) ein Auto beim Preisausschreiben, wird unbesiegbar und vieles mehr.

128 Seiten, 14,3 x 21,3 cm, Halbleinen ISBN 9978-3-257-00894-4

Endlich Ferien! Endlich hat der kleine Nick keine Schule mehr und eine Menge Zeit für Streiche, die die Ferien erst richtig schön machen.

Diogenes

Diogenes

176 Seiten, 15,5 x 19 cm, Pappband ISBN 978-3-257-01104-3

32 Seiten, 20,8 x 29 cm, Pappband, Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-00893-7

Die ganze Hexenklasse darf eine Woche ans Meer fliegen – natürlich auf ihren Besen. Die kleine Hexenschülerin Mildred nimmt ihr Kätzchen Tapsi heimlich mit …

Mimi will heute eine andere sein – und das aus gutem Grund! Als Anna Anders macht sie alles ganz anders als Mimi. Diogenes Kinder Magazin

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Ingrid Noll

Ingrid Noll hat sechs lustige Fresssäcke gezeichnet. Ein Rahmen ist noch leer und wartet auf einen weiteren Fresssack. Wie sieht er aus? Zeichne deinen eigenen Fresssack und erfinde dazu einen Reim.

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Illustrationen: Š Ingrid Noll

Mach mit!

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Der kleine Plastiksaurier – weg. Karls linker Torhüterhandschuh – verschwunden. Die neue Schirmmütze – verschollen. Dauernd verliert Karl Dinge. Im neuen Kinderbuch von Lukas Hartmann mit Bildern von Tatjana Hauptmann dreht sich alles um die Frage, wohin all die Dinge verschwinden, die wir verlegen, liegenlassen oder verlieren. Das Diogenes Magazin hat bei einer Spezialistin für verschwundene Dinge nachgefragt. Frau Daniela Baldauf, Leiterin des Fundbüros der Stadt Zürich, erzählt, was dort passiert.

Diogenes Magazin: Wie kommen die verlorenen Dinge ins Fundbüro? Daniela Baldauf: Was im Tram und im Bus der Verkehrsbetriebe Zürich verloren und dem Fahrpersonal abgegeben wird, kommt am nächsten Morgen per Kurier zu uns ins Fundbüro. Wir erhalten auch die Gegenstände, die bei der Polizei abgegeben oder in die Briefkästen der Post geworfen werden. Es gibt auch Personen, die etwas finden und dann direkt bei uns vorbeibringen. Was kommt so jährlich zusammen? Jeden Tag kommen etwa 30 bis 150 Gegenstände zu uns, das sind dann jährlich 25 000 bis 30 000 Fundstücke. Was wird am häufigsten verloren? Plastiksäcke mit allen möglichen In­ halten (Kleider, Esswaren, Schulsa12

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chen, Geschäftsunterlagen …), Schirme, Brieftaschen, Schlüssel, Handys, Taschen, Rucksäcke und so weiter. Es gibt nichts, was nicht verloren wird. Wo wird am häufigsten verloren? Die Leute verlieren die Sachen am häufigsten im Tram oder Bus. Etwa zwei Drittel der Gegenstände, die bei uns landen, kommen von den Ver­ kehrs­ betrieben, ein Drittel wird auf öffentlichem Grund gefunden. Gibt es bei Ihnen eine Hochsaison? Werden Sachen eher im Sommer oder im Winter verloren? Wir erhalten das ganze Jahr über immer in etwa gleich viele Gegenstände. Nur die Artikel wechseln, im Winter erhalten wir viele Handschuhe und Mützen, im Frühling nehmen die Plastiksäcke zu, und im Sommer be-

Fotos: © Nicole Griessmann / Diogenes Verlag

All die verschwundenen Dinge

kommen wir zum Beispiel vermehrt Fotoapparate. Was passiert mit den Fundsachen? Massenartikel wie Schirme, Kleider etc. werden in den entsprechenden Aufbewahrungsorten verstaut. Die anderen Gegenstände werden durchgesehen, im Computer erfasst und dann aufbewahrt. Wenn das Fundbüro einen Hinweis auf den Besitzer findet, versuchen die Mitarbeiter die Adresse zu ermitteln und kontaktieren dann den Eigentümer, dies kann eine ziemliche Detektivarbeit sein. Wie lange bleiben die Dinge durchschnittlich bei Ihnen? Häufig werden die Sachen in den ersten 14 Tagen abgeholt. Die Gegenstände, die von den Verkehrsbetrieben kommen, werden drei Monate lang aufgehoben, was auf öffentlichem Grund gefunden worden ist, ein Jahr. Wie groß ist der Anteil an Gegenständen, die nie abgeholt werden? Bei etwa 50 Prozent der Fundsachen können wir den Besitzer nicht ausfindig machen. Diese Dinge werden dann auf öffentlichen Auktionen und im Internet versteigert. Was war der seltsamste Gegenstand, der je bei Ihnen auf seinen Besitzer wartete? Wir hatten schon Fische, Hamster und andere Lebewesen bei uns, das ist aber sehr selten. Wir erhalten Hörgeräte, Gebisse, Blindenstöcke, aber auch Sofas und immer wieder auch größere Summen Bargeld. Wie errechnet sich der Finderlohn eines verlorenen Gegenstandes? Wer etwas findet, hat Anrecht auf einen angemessenen Finderlohn. Wir schlagen normalerweise 10 Prozent vom Wert des gefundenen Gegenstandes vor. Gibt es eine Möglichkeit, sich beim Finder persönlich zu bedanken? Nein, wir geben aus Daten- und Persönlichkeitsschutzgründen keine Adressen bekannt. Wir kontaktieren jedoch den Besitzer der gefundenen Gegenstände und schlagen einen Finderlohn vor. Wenn dieser bezahlt wird, leiten wir ihn an den Finder weiter. ng


Mach mit! Karls Hündchen Timo hat seinen Ball verloren. Kannst du ihm den Weg durch das Labyrinth zeigen und ihm so helfen, seinen Ball wiederzufinden?

Buchtipp All die verschwundenen Dinge

Illustration Labyrinth: © Klaudia Kampa; alle anderen Illustrationen: © Tatjana Hauptmann

Eine Geschichte von Lukas Hartmann Mit Bildern von Tatjana Hauptmann

Diogenes

96 Seiten, Halbleinen, Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-01151-7

Wo gehen all die Dinge hin, die wir verlegen, liegenlassen, verlieren? All die Regenschirme, Brillen, Socken, Portemonnaies? Der kleine Karl ist überzeugt, dass es einen geheimen Ort gibt, an dem sich die verschwundenen Dinge versammeln. Und er ist entschlossen, ihn zu finden.

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H. A. Rey

Cocos Schiffchen

Coco ist ein neugieriger kleiner Affe und wohnt bei seinem Freund, dem Mann mit dem gelben Hut. Eines Tages leiht sich Coco die Tasche des Zeitungsjungen aus, um die Zeitungen zu verteilen. Doch stattdessen hat er eine viel bessere Idee: Coco zeigt dir, wie man Papierschiffchen faltet.

Während Coco so dahinfährt, muss er immer an die Schiffchen denken. So ein Schiffchen müsste er haben! Aber wie sollte er dazu kommen? Da fällt ihm etwas ein.

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Er springt vom Rad, nimmt eine Zeitung aus der Tasche und faltet sie. Erst biegt er die Ecken um – so:

Dann faltet er die Ränder an beiden Seiten hoch,

legt die Ecken aufeinander

und streicht das Ganze glatt.

Dann faltet er die eine Ecke nach oben,

danach die andere,

legt die neuen Ecken aufeinander

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und streicht es wieder glatt.

Dann zieht er die oberen Ecken behutsam auseinander,

Mach mit!

und fertig ist das Schiff.

Buchtipp

Illustrationen: © H.  A.  Rey

Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo er das Schiff aufs Wasser setzen kann. Ob es schwimmen würde? Es schwimmt! Da beschließt Coco, noch mehr Schiffe zu machen. Zuletzt hat er alle Zeitungen verbraucht und so viele Schiffchen gemacht, dass er sie nicht mehr zählen kann – eine ganze Flotte.

52 Seiten, Pappband, Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-00839-5

Seit drei Jahren lebt Coco nun schon unter den Menschen. Von seinem Freund bekommt er zur Feier des Tages ein Fahrrad geschenkt – und erlebt eine ganze Menge damit: Er trägt Zeitungen aus, bastelt eine Papierschiffchenflotte und landet schließlich im Zirkus, wo er für große Aufregung sorgt.

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Diogenes Kinder Magazin Reiner Zimnik, Bills Ballonfahrt

Sempé/Goscinny, Der kleine Nick

H. U. Steger, Reise nach Tripiti

Tomi Ungerer, Die drei Räuber

Hauptmann, Ein Tag im Leben der Dorothea Wutz

Wilhelm Busch, Max und Moritz

F. K. Waechter, Da bin ich

Philippe Fix, Serafin und seine Wundermaschine

H. A. Rey, Coco der neugierige Affe

Maurice Sendak, Wo die wilden Kerle wohnen

Jean de Brunhoff, Die Geschichte von Babar

Tomi Ungerer, Der Mondmann

Mach mit!

Diogenes Duett


Tomi Ungerer, Die drei Räuber

Reiner Zimnik, Bills Ballonfahrt

Sempé/Goscinny, Der kleine Nick

Wilhelm Busch, Max und Moritz

Hauptmann, Ein Tag im Leben der Dorothea Wutz

H. U. Steger, Reise nach Tripiti

F. K. Waechter, Da bin ich

Philippe Fix, Serafin und seine Wundermaschine

H. A. Rey, Coco der neugierige Affe

Maurice Sendak, Wo die wilden Kerle wohnen

Jean de Brunhoff, Die Geschichte von Babar

Tomi Ungerer, Der Mondmann

Am besten nimmst du die beiden Seiten mit den Spielkärtchen aus dem Magazin, klebst sie auf dickes Papier oder Karton und schneidest sie dann aus. Dann die Karten mischen und verdeckt hinlegen. Danach kann jeder Spieler zwei Kärtchen aufdecken, und wenn er zwei gleiche findet, behalten. Viel Spaß beim Spielen!

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