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Über die Schönheit des Lebens

VON CHRISTINA HECKE

WAS IST EIGENTLICH „SCHÖN“…? EINE FRAGE, DIE ZUNÄCHST VERFÜHRT, DAS ZU BEDIENEN ODER NACH DEM ZU FRAGEN, WAS DAS AUGE WAHRZUNEHMEN VERMAG. ZUNÄCHST. DENN WAS UNS GEWOHNT IST, IST DIE WELT VORRANGIG ÜBER DAS SEHEN ODER HÖREN WAHRZUNEHMEN.

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„Man sieht nur mit dem Herzen gut“, heißt es im kleinen Prinzen. Aber um mit dem Herzen sehen zu können, müssen wir den Fokus adjustieren, da uns die Welt im Highspeed um die Ohren saust. Gelegentlich erlauben wir uns das und halten mal an. Erlauben unser Wahrnehmen als ganzkörperliches Ereignis, als Sehen mit dem Herzen zu gestalten. Aber die Frage ist, warum wir überhaupt „anhalten“ müssen, um das möglich machen zu können? Die Antwort liegt in der Frage selbst. Es ist der Zustand, der dieser Frage voran geht. Um anzuhalten, muss vorher Bewegung da gewesen sein. Für uns ist das meist: die Schnelligkeit. Oder Unachtsamkeit. Oder eine Art Tunnelblick auf das Anstehende oder Gewesene. Alles muss – und das am besten gleich – erledigt werden. Immer erreichbar, immer online. Ein ständiges in Bewegung sein. Und schon mit diesem Gegensatz von Anhalten und Gas geben eröffnet sich ein weiterer Aspekt der Antwort auf diese Frage: nämlich nach dem was. Es ist der ASPEKT DER QUALITÄT. Denn: Sie können einen Rasen mähen und geschwitzt nach getaner Arbeit den Mäher in die Ecke stellen und über die geleistete Arbeit zufrieden sein, oder Sie mähen den Rasen und sind schon währenddessen zufrieden. Jeder Schritt, und damit das Schneiden des Rasens, geschieht dann nicht nur in einer um-zu-Relation: also damit es erledigt ist. Sondern präsent. Dabei geschieht Folgendes: der Moment, jede Handlung, jeder Schritt ist gleichwert. Es ist nicht das Ergebnis, das ausschließlich im Fokus ist. Auch. Aber eben gleichwertig neben der Tatsache, dass jeder Schritt gegangen werden muss, damit ein Ergebnis überhaupt zustande kommen kann.

»SCHÖNHEIT IST IN JEDEM MOMENT ZU FINDEN, AUCH WENN IHNEN DAS CHAOS NUR SO UM DIE OHREN FLIEGT: SIE HABEN JA NOCH SICH.«

Mal ehrlich. Von Christina Hecke, Patmos Verlag

In »MAL EHRLICH« erzählt Christina Hecke aus ihrem Leben und schildert, wodurch ihre Erkenntnis dieser Allverbundenheit gereift ist – u. a. durch eine Nahtoderfahrung. Pointiert beschreibt sie entlang biografischer Stationen, welche Auswirkungen dieser Blick hinter unser Leben ganz konkret haben kann: privat und beruflich, gesellschaftlich und global. Ein Buch, das die LeserInnen ermutigt, der eigenen Intuition zu trauen und sich auf eine tiefe Verbundenheit mit anderen Menschen und der Mitwelt einzulassen.

Und wenn man jetzt einmal den Aspekt der Qualität hinzu holt und sich schon im Ergebnis eine bestimmte Qualität zum Ziel setzt, wird deutlich, dass jeder Schritt ein Beitrag zu dem entsprechenden Ergebnis ist. Jeder Schritt, den Sie beim Rasenmähen gehen – das ist synonym für jedwede Handlung – eröffnet möglicherweise sogar neue Einblicke: Nur weil Sie sich entscheiden, präsent zu sein, fällt Ihnen vielleicht auf, dass in den Bäumen und Sträuchern Vögel nisten. Dass das Gras dicht gewachsen ist, was Ihnen zurückmeldet, dass Sie durch Ihre Zuneigung und Hingabe dem Garten Nahrung gegeben haben.

Dass sich dieser durch den dichten Wuchs bei Ihnen bedankt, indem er sich in seiner vollen Pracht zeigt, statt nur vereinzelt ein paar Halme ans Tageslicht zu strecken. Dass sich deshalb auch die Vögel zum Nisten eingefunden haben. Dass nur Ihre Präsenz beim Rasenmähen schon dafür sorgt, dass Ihr Garten ein Ort zum Wohlfühlen ist. Für Sie selbst und andere. Und sei es nur, weil Sie das gerne gemacht haben – das Rasenmähen. Die Qualität Ihrer Arbeit wertgeschätzt haben. Und für alles andere drum herum dabei den Weitblick behalten haben. Was dabei geschieht, ist weit mehr, als das Auge fassen kann. Es sind die Zusammenhänge der Dinge, die sich offenbaren – der Blick hinter die Kulissen – der alleine durch Ihre Präsenz zugänglich wird.

DER URSPRUNG DER BESCHLEUNIGUNG LIEGT IM ZENTRUM

Wie ist das möglich? Das ist eigentlich ganz einfach: in dem Moment, in dem Sie präsent sind, ist das so, als würden Sie alle Ihre Zellen auf ein und dieselbe Sache fokussieren. Alle Ihre Partikel arbeiten an derselben Sache. Während wir gewohnt sind, zehn Dinge gleichzeitig zu jonglieren – wir nennen das stolz Multitasking, aber tatsächlich sind wir bei dieser Vieltätigkeit bei keiner Sache wirklich hundertprozentig im Einsatz – flirren unsere Partikel durch die Gegend in dem haltlosen Versuch, allem gerecht zu werden. Und am Ende sammeln wir uns wieder zusammen und versuchen zusammenzusetzen, was sich den Tag über eigentlich alles ereignet hat. Das ist wie bei einer Zentrifuge. Die Teilchen werden nach außen gedrängt. Aber der Ort maximaler Bewegung, der Ursprung der Beschleunigung ist im Zentrum. Die maximale Bewegung ist im Außen sichtbar – im innersten Kern scheinbar still – aber genau dort ist das Epizentrum der Kraft. Übertragen auf unsere Wahrnehmung, unsere Leistungsfähigkeit und die Qualität der Dinge bringt das eine bezaubernde Erkenntnis: die Stille im Inneren – das Fokussieren auf jeden Moment – bringt Ihnen maximale Präsenz! Und von dort aus: maximale Empfangsund Wahrnehmungsbereitschaft. Und diese Erkenntnis übertragen auf Ihren Garten, und Ihre Qualität des Mähens, eröffnet eine wunderschöne Schlussfolgerung: Was SCHÖN ist, und ob Sie SCHÖNHEIT wahrnehmen wollen, zulassen und die Zusammenhänge sehen wollen – das obliegt Ihnen. Sie mögen also die SCHÖNHEIT in dem Lächeln eines anderen Menschen sehen, in den Vögeln in Ihrem Garten, in den Wolken über Ihnen, oder einfach nur dann, wenn Sie in den Spiegel schauen. Es sind die Momente der Präsenz. Der Erkenntnis. Der Ausdehnung. Und ob Sie sich erlauben, jeden Moment in dieser SCHÖNHEIT anzunehmen – oder für SCHÖN erklären, was Sie der Sichtbarkeit durch Ihre Augen zuschreiben – oder ob Sie sich von der Zentrifugalkraft des Lebens in die Umlaufbahn ziehen lassen und am Ende des Tages gar nichts mehr SCHÖN, sondern nur noch anstrengend finden: Sie entscheiden. SCHÖNHEIT ist in jedem Moment zu finden, auch wenn Ihnen das Chaos nur so um die Ohren fliegt: Sie haben ja noch sich.

DIE SCHÖNHEIT DES LEBENS STECKT IN JEDEM MOMENT

Wenn Sie sich selbst als den Garten betrachten, in dem Sie sich gerne aufhalten, dem die entsprechende Pflege und Aufmerksamkeit zuteil werden lassen – dann ist das schon ein beständiger Ort der SCHÖNHEIT. Ob andere das sehen wollen, ablehnen oder sich selbst bei und mit Ihnen wohl fühlen: das ist wieder deren Wahl. Das können Sie nicht beeinflussen. Denn auch ob Sie Ihren Garten für sich selbst in erster Linie und folge dessen für anderen zu einem Wohlfühlort machen – oder weil Sie gerne die Aufmerksamkeit über ihre Schönheit erfahren und damit schon Bedingungen an diese Wechselwirkung stellen: auch das ist wieder eine Wahl. Die Freiheit, sich von der Zentrifugalkraft der äußeren Einflüsse loszusagen und die Kraft des Zentrums, des inneren Kerns – dem Ort maximaler Bewegung in der Stille Ihrer Präsenz – zuzuwenden, hat das Potenzial, die SCHÖNHEIT des Lebens an sich sichtbar werden zu lassen. Auch in den Dingen, die wir augenscheinlich für nicht SCHÖN erachten. Und sei es nur die SCHÖNHEIT der Erkenntnis, die Sie wiederum ein Stück reicher gemacht hat. Sie entscheiden.

»DIE STILLE IM INNEREN – DAS FOKUSSIEREN AUF JEDEN MOMENT – BRINGT IHNEN MAXIMALE PRÄSENZ! UND VON DORT AUS: MAXIMALE EMPFANGS- UND WAHRNEHMUNGSBEREITSCHAFT.«

@Christina Hecke

Christina Hecke ist eine vielfach ausgezeichnete THEATER- UND FILMSCHAUSPIELERIN. Nach erfolgreichen Bühnenjahren wechselt sie 2009 vor die Kamera. Seitdem prägen ihre charakterstarken Frauenfiguren hochkarätige TV-Spielfilme, Serien und Kinoproduktionen. 2017 erweitert sich ihr Repertoire um die Saarländer Kriminalhauptkommissarin Judith Mohn in der ZDF-arte-Reihe „In Wahrheit“. In der ersten deutschen Netflix-Produktion spielt sie in „Isi & Ossi“ Isis Mutter.

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