#54
Winter | Inviern 2017 | 2018
SIND TIERE MUTIG?
Interview mit Nationalpark-Direktor Heinrich Haller
DER INNEREN STIMME VERTRAUT Abschied von der Familie und Neuanfang im Kloster Müstair
KULTUR MOTIVIERT ZUM NEUBEGINN In Häusern mit abblätterndem Charme entstanden besondere Hotels
[ Curaschi ]
Mut
INHALT / CUNTGNU Editorial. Mut | Curaschi
5
Der inneren Stimme vertraut. Nur ein paar Meter lagen
6
zwischen ihrem Abschied von der Familie und dem Neuanfang im Kloster Müstair.
Sind Tiere mutig? «Wer in der Tierwelt eine Ausmarchung nicht besteht, wird seine Gene nicht weitervererben können», sagt Nationalpark-Direktor Heinrich Haller im piz-Interview.
10
Bewegung bei der Büvetta. Neue Hoffnung für die historische Trinkhalle in Nairs am Inn: eine Stiftung soll das inventarisierte Gebäude vor dem Zerfall retten.
14
Auch Umwege führen zum Ziel. Katharina von Salis hat sich ihr Leben lang für die Chancengleichheit, ihre politischen Ansichten und ihre Karriere eingesetzt.
18
Brav und rebellisch. Es gibt nur eine kleine romanische Literaturszene mit hoher sozialer Kontrolle. Erstickt das den Mut oder ist das eine Herausforderung?
22
Der Plan war ganz ein anderer. Beni Prevost hat mit 23 Jahren den Bio-Bauernhof der Familie übernommen. Ein mutiger Schritt in der Not.
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Kultur motiviert zum Neubeginn. Eine Frau und zwei Männer kauften zeitgleich von abgeblättertem Charme gezeichnete Engadiner Häuser und machten sie zu Kulturhotels.
32
Ein unbeirrbarer Blick nach vorne. Annegret Gallmann
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begann Mitte 50 ein Psychologiestudium.
Risiko oder totaler Irrsinn? Julian Zanker ist Bergführer und wagt es, im Wingsuit von Felswänden zu springen.
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Die Sage vom getäuschten Nachtwächter. Einheimische überliefern sich seit Generationen Sagen aus der nahen Umgebung – oft Geschichten mit ziemlich grausamem Inhalt.
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Die Rettung einer Schule. Das Hochalpine Institut in Ftan stand vor zwei Jahren vor der Schliessung – doch eine Gruppe von Müttern initiierte einen Rettungsplan.
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Die göttliche Kraft des Universums. Eigenverantwortung
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erfordert den Mut, den Möglichkeiten mehr Glauben zu schenken als dem Risiko des Scheiterns.
Gästefahrt im Bob: Kopf runter und los. Auf dem Bob Run von St. Moritz donnern Schlitten mit bis zu 135 km/h talwärts.
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Bücher. Neuerscheinungen aus der Region.
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Pizzeria. Aktuelles und Kulturhinweise aus Südbünden.
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Vorschau. Impressum.
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Titelbild: Ein Alpinist am Piz Terzer im Val Müstair. Fotos: Mayk Wendt. Rechts: Ein Alpinist auf dem Weg zum Piz Daint bei –28 Grad am Ofenpass.
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Mut zu Neuem Curaschi pel nouv Liebe Leserinnen und Leser – chara lectura, char lectur
S
ind Tiere mutiger als Menschen? Im Laufe
Sun bes-chas plü curaschusas co umans? Dürant las
der Recherchen zu dieser piz-Ausgabe haben
retscherchas per quista ediziun da piz m’han, in
mich die Antworten von Nationalpark-
quist connex, surprais las respostas dal directer dal
Direktor Heinrich Haller zu dieser Frage erstaunt:
Parc Naziunal Heinrich Haller: «Curaschi o eir
«Mut oder auch Angst sind Charaktereigenschaften,
temma sun trats da caracter cha nus cugnuschain
die wir bei Menschen kennen. Für das Verhalten
pro umans. Per il cumport da las bes-chas sulvadias
der Wildtiere stehen nicht individuelle Eigenschaf-
nu stan caracteristicas individualas i’l center, dim-
ten, sondern die Gegebenheiten der jeweiligen Le-
persè ils fats reals dals sistems da vita correspun-
benssysteme im Vordergrund», sagt er im Inter-
dents», disch el in l’intervista. Al cuntrari da la bes-
view. Umgekehrt gedacht, entwickelt also der
cha fuorma l’uman il curaschi dürant sia vita e quai
Mensch im Laufe seines Lebens dank seiner Intelli-
grazcha a sia intelligenza. Il curaschi premetta la
genz Mut. Mut setzt Entschlusskraft sowie eigen-
forza da decider sco eir la facultà da pensar e d’agir
EDITORIAL
ständiges Denken und Handeln voraus. Wir kön-
da maniera autonoma. Grazcha a l’agir activ pu-
Urezza Famos
nen in gefährlichen, mit Unsicherheiten behafteten
daina superar situaziuns privlusas plainas da mal-
Situationen dank aktivem Handeln bestehen. Ei-
sgürezzas. Tscherts umans sun lapro plü activs co
nige Menschen sind dabei aktiver, andere weni-
oters. In quista ediziun Tillas / Tils preschantaina a
ger. In dieser Ausgabe stellen wir Ihnen Frauen und
duonnas ed homens, chi s’han confruntats a las sfi-
Männer vor, die sich in verschiedensten Lebens-
das illas plü differentas situaziuns da vita. Ellas / els
situationen den Herausforderungen gestellt haben.
sun idas / its nouvas vias, tschertün(a)s vivan perfin
Sie sind neue Wege gegangen, einige gestalten ihr
a l’ur dal ris-ch.
Leben gar am Rand des Risikos. Der in Zernez gebo-
Riet Grass, nat a Zernez, scriva sur da quai in seis
rene Riet Grass schreibt dazu in seinem Buch «Das
cudesch «La furtüna da nu reuschir» (Das Glück des
Glück des Scheiterns»: «Mut wird geboren, wenn
Scheiterns): «Il curaschi nascha cur cha la brama es
die Sehnsucht grösser ist als die Angst. Mut ist, den
plü gronda co la temma. Avair curaschi voul dir da
Möglichkeiten mehr Glauben zu schenken als dem
dar daplü credibiltà a las pussibiltats co al ris-ch ed
Risiko und der Krise. Mut ist aber auch eine Art
a la crisa. Curaschi es però eir üna sort d’energia
Energie, die einen zu neuen Wegen treibt.»
chi’ns fa ir vers nouvas vias».
Das piz-Team geht auch immer wieder neue Wege.
La squadra da piz va eir adüna darcheu nouvas vias.
Wir haben während der letzten Ausgaben mit dem
Dürant las ultimas ediziuns vaina collavurà culla
Team der «Engadiner Post / Posta Ladina» zusam-
squadra da la «Engadiner Post / Posta Ladina». Eir in
mengearbeitet. Auch in dieser Nummer finden sich
quist nomer as chatta darcheu texts dals collegas da
wieder Texte der Zeitungskolleginnen und Kolle-
la gazetta. Ils editurs da Gammeter e Famos restan
gen. Die Verlage Gammeter und Famos belassen es
pro la collavuraziun da redacziun locca e nu plani-
bei einer lockeren redaktionellen Zusammenarbeit,
seschan pel mumaint ulteriurs pass.
weitere Schritte sind im Moment nicht geplant.
Ed amo ün’indicaziun administrativa: La stamparia
Und noch ein administrativer Hinweis: Neu über-
AVD a Goldach al Lai da Constanza surpiglia l’ad-
nimmt die Druckerei AVD in Goldach am Bodensee
ministraziun dals abunents. Ch’Ellas, ch’Els tra-
die Abonnentenverwaltung. Schicken Sie also Abo-
mettan dimena postaziuns d’abunamaints o müd-
Bestellungen oder Adressänderungen am einfachs-
adas d’adressas il plü simpel directamaing per
ten direkt per E-Mail an piz@avd.ch.
e-mail a piz@avd.ch.
piz 54 : Winter | Inviern 2017/2018
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Der inneren Stimme vertraut Nur ein paar Meter lagen zwischen dem Haus der Familie und der neuen Gemeinschaft im Kloster St. Johann in Müstair. Ein kleiner geografischer Schritt, doch einer zwischen zwei Welten. Eine Geschichte über den Mut, der inneren Stimme zu vertrauen.
Text: Myrta Fasser Foto: Mayk Wendt
G
epackt war schnell: Alltagskleider, Wäsche,
Sie liess alles Profane hinter sich, bereit, ein sakra-
tos, Bücher, nicht viel mehr, als ob sie in die
les Leben zu führen nach der Regel des Heiligen Be-
Ferien reisen würde. Vieles hatte sie vorher schon
nedikt – als Schwester Domenica im geschlossenen
ihren Schwestern verschenkt, wohl wissend, dass
Kloster von Müstair, nur einen Steinwurf von ih-
sie diese Dinge nie wieder brauchen würde. Zu viel
rem Elternhaus entfernt, das Leben «draussen»
Ballast aus der Welt, die sie hinter sich lassen wollte.
stets in Sichtweite. Schnell hatte sie im riesigen
Dinge, die in einer sakralen Welt keinen Platz ha-
Klosterkomplex ein Fenster gefunden, von dem aus
ben. Ganz ohne Schmerz sei das Loslassen nicht ge-
sie ihr Elternhaus sah. «Dann sass ich oft da und be-
wesen. Aber Gina Dethomas, damals 25 Jahre alt,
obachtete, wo grad Licht brannte, und überlegte
wusste an diesem Oktobertag 1969 in jedem Mo-
mir, was sie wohl machen», erinnert sie sich. Sie
ment, dass sie das Richtige tat. Es war der Schritt,
hatte Heimweh nach ihrer Familie. Und abends gab
über den sie rund acht Jahre lange nachgedacht
es ganz viel Zeit um Nachzudenken. Um 20 Uhr zie-
hatte. Und als sie dann an jenem Montag Richtung
hen sich die Nonnen in die Zelle zurück und um
Kloster lief, war sie glücklich. «Endlich war der Tag
neun ist Lichterlöschen. «Damit hatte ich am An-
da – es war wie eine Erlösung», erinnert sich Schwes-
fang grosse Mühe! Da liest du in einem Buch und
ter Domenica. So fühlt sich wohl Gottvertrauen an.
egal ob du grad mitten in einem Kapitel bist, du musst einfach das Licht löschen.» Aber Schwester
Die Erzählerin
Domenica war erfinderisch, sie überdeckte das
Im Klosterhof herrscht emsiges Treiben, Handwer-
kleine Fenster ihrer Zelle mit einer Eternitplatte,
ker laden Material ab, Kinder fahren mit dem Fahr-
damit die Priorin beim Kontrollgang nicht be-
rad durch den Hof, zwei Nonnen fahren mit dem
merkte, dass da noch Licht brannte. «Ein paar Wo-
Auto vor und Touristen schauen etwas ungläubig
chen hat es funktioniert», lacht Schwester Dome-
zum kleinen Gartensitzplatz mitten im Hof, wo
nica, «dann bin ich aufgeflogen und sehr bestimmt
eine Nonne sitzt und ein Schwätzchen hält. Jahre
auf die Regel aufmerksam gemacht worden, nach
sind vergangen, aber die sieht man Schwester Do-
der ich im Kloster zu leben habe.»
menica (73) nicht an. Diese zärtliche Sanftmut in
6
Der Blick nach Hause
Toilettenartikel, Notizblock und Stifte, Fo-
ihrem fast faltenfreien Gesicht und ihr breites Lä-
Hinhören und verstehen
cheln sind immer noch wie damals – und auch ihr
«Ins Kino gehen, tanzen, Freunde treffen, auch mal
schelmisches, ansteckendes Lachen. Ihre Erzähl-
Alkohol trinken und rauchen ... und öfter mal zu
kunst sowieso. Unzählige Kinder aus Müstair ha-
schnell Auto fahren, das war mein Leben und ich
ben sie dafür geliebt, damals, als sie noch die Kin-
habe es genossen», lacht Schwester Domenica, «vor
dergärtnerin des Ortes war und der Kindergarten
allem die Fahrten mit meinem beigen VW-Käfer
sich im Klosterkomplex befand.
über die Pässe.» Damals arbeitete sie als Kindergärt-
Sie erzählt ihre Geschichte mit Schalk, Humor und
nerin in Chur. Sie genoss mit Freunden die Ange-
ohne religiöse Worthülsen. Man könnte ihr stun-
bote der Stadt und war gerne in Gesellschaft. Mit
denlang zuhören, das Material würde reichen, um
Freundinnen und Freunden zusammen war sie
ein Buch zu füllen.
glücklich. Alleinsein löste Melancholie aus.
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Damals war sie noch die Kindergärtnerin Gina Dethomas. Sie liebte das Kino, den Tanz und ihren beigen VW-Käfer. Dann liess sie alles hinter sich und heute ist Schwester Domenica Priorin des Klosters St. Johann Müstair.
Auch in ihrem Traum, den sie immer wieder hatte,
Doch als Kindergärtnerin in Chur verspürte sie im-
ging es um Gemeinschaft. Sie sah sich zusammen
mer öfter eine Leere. «Irgendetwas fehlte mir und
mit anderen Frauen, die einen gemeinsamen Weg
ich wusste nicht was.» Zuerst «verdeckte» sie, was
gehen. «Wir werden geführt, mit Gedanken und
sich mehr und mehr in ihr meldete. Sie versuchte
Gefühlen. Wir müssen nur hinhören und versu-
sogar einen Berufswechsel. «Und dann, eines Tages,
chen, es zu verstehen», sagt Schwester Domenica
fragte Jesus mich, ob ich zu ihm kommen möchte.»
heute. Sie hörte damals zwar hin, wollte und konnte
Das sei keine Stimme gewesen, sondern ein Gefühl,
die Bedeutung aber noch nicht verstehen. «Ich
damals, als sie alleine in ihrer Wohnung war und
wusste ja schon lange, dass ich gerne ins Kloster
das schlichte Kreuz an der Wand anschaute.
möchte, aber mir fehlte der Mut, die damit verbun-
Dann fasste sie Mut, den ersten Schritt zu tun, sie
denen Schritte zu tun.»
sprach mit einem Pfarrer darüber und später traf sie
Die Zeit der Berufung Aufgewachsen ist Gina Dethomas in einfachen Ver-
sende erste Schritte, die ihr Kraft gaben, auch die weiteren zu gehen. Es den Eltern und den Schwes-
hältnissen. In einer Bauernfamilie mit einem Bru-
tern beizubringen. «Denn für sie war es auch ein
der und zwei Schwestern. Die Familie war gläubig,
Opfer, nicht nur für mich.» Ihre Schwestern hatten
aber nicht streng religiös. Auch später, als erwach-
Mühe, Ginas Schritt zu verstehen, denn sie war ja
sene junge Frau, besuchte sie nicht regelmässig die
die Gesellige, die Lebhafte. «Meine Schwestern ga-
Messe. Das Kloster neben ihrem Elternhaus fand sie
ben mir 14 Tage, bis ich wieder draussen sei», lacht
jedoch immer schon sehr faszinierend. Die Non-
sie im Rückblick.
nen und ihr Leben waren für Gina schon als klei-
8
sich mit der Priorin des Klosters in Müstair. Erlö-
nes Mädchen etwas Wunderbares. Sie wollte auch
«Du bleibst Mensch»
so eine Frau werden, «eine, die für den lieben Gott
Sour Domenica ist geblieben. Auch wenn es oft hart
arbeitet und für die Menschen betet» – so hatten es
war. «Du kommst nicht ins Kloster und bist dann
ihr ihre Eltern erklärt.
Nonne. Das musst du lernen.» Der Gehorsam, die
Dieser «Berufswunsch» ging dann vergessen, bis
kleine Gemeinschaft von mittlerweile elf Nonnen
sie 17 war. Dann spürte sie das erste Mal eine Beru-
und das «Silenzi», was so viel heisst wie: Gespro-
fung, und dieses Gefühl kam immer wieder. Zwi-
chen wird nur, wenn man gefragt wird. «Schwer
schendurch gab es zwar Jahre, da wollte sie vom
waren auch die Besuche meiner Familie, die fanden
Klosterleben nichts wissen. Damals, als sie in einem
hinter einem eisernen Gitter statt.» Heute ist vieles
Institut bei Schwestern die Ausbildung zur Kinder-
anders, lockerer. Auch dank ihrem Engagement als
gärtnerin machte. «Das Leben dort war so streng
Priorin. Seit 2013 leitet sie selber das Kloster und
und kontrolliert, dass ich mir sagte: So, Gina, jetzt
hat die Kompetenz, Dinge zu ändern. Besuche emp-
hast du gesehen, wie das ist, jetzt weisst du, dass das
fangen die Nonnen heute in einem Zimmer ohne
Kloster nichts für dich ist.»
Gitter oder im Garten.
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Nach zwei Jahren hatte sich Schwester Domenica
wusste nicht, wie es wird, was mich wirklich erwar-
eingelebt. «Wenn ich damals das Kloster verlassen
tet. Das war wie damals, als ich ins Kloster eintrat.
hätte, da wäre nichts gewesen, was mich erfüllt
Denn wir wissen einfach nicht, wie es wird, weil
hätte … aber wenn es geheissen hätte, ich dürfe
sich alles ständig verändert – in einem Kloster ge-
raus, um ein paar Tage Ferien zu machen, dann
nauso wie draussen. Aber: ich habe hier gefunden,
wäre ich sofort losgerannt.»
was ich gesucht habe: Gott. Und ich bin glücklich»,
Mut im Klosteralltag
Manchmal liegt das Glück ganz nah, nur hundert
Die elf Schwestern im Kloster Müstair führen ein
Schritte vom Elternhaus entfernt.
sagt Schwester Domenica und man sieht es ihr an.
behütetes und strukturiertes Leben, was aber nicht heisst, dass sie keine Probleme und Sorgen haben. «Du wirst Nonne, aber du bleibst Mensch. Du
Schwester Domenica (73)
machst Fehler, hast Zweifel, Sorgen. Es fehlt dir
ist seit vier Jahren die Priorin (Oberhaupt) des Klos-
manchmal an Selbstvertrauen oder du hast Mühe,
ters St. Johann in Müstair. Sie ist die 25. Priorin in
dich an die Regeln zu halten. All diese Dinge blei-
der Geschichte der Gemeinschaft – seit 120 Jahren
ben auch uns nicht erspart.» Hilfe bekomme sie
wieder eine Einheimische als Oberhaupt der
dann von ihren Mitschwestern – und von Gott.
Schwesterngemeinschaft, die nach der Regel des
«Die Beziehung zu Gott, seine Nähe, ist nicht ein-
Heiligen Benedikt leben «Ora et labora» (Bete und
fach da, wenn du ins Kloster eintrittst. Das ist ein
arbeite). Zwischen den fünf Gebeten pro Tag be-
langer Weg, mit viel Beten und Meditieren – das
steht der Klosteralltag für die Nonnen vor allem aus
dauert Jahre.»
Arbeit in und um das Kloster: Gartenarbeit, Sticke-
Anders als im Leben ausserhalb des Klosters gibt es
reien, Handarbeiten, Betreuung des Gästehauses,
bei Problemen nicht viel, um sich innerhalb der
Haushalt und Büroarbeiten. Benedikt teilte den Tag
Klostermauern ablenken zu können. Probleme und
so ein, dass die Arbeitszeit am Stück niemals zu
Sorgen lassen sich nicht verdrängen. «Im Kloster
lang dauert, sie wird durch Gebet, Lesung oder Zu-
lernst du genau hinzuschauen: Wie bist du und ist
sammenkunft der Schwestern immer wieder unter-
das gut so, wie du bist? Musst du an deinem Verhal-
brochen. Die Konzentration kann so besser auf-
ten etwas ändern?»
rechterhalten bleiben. – Das Kloster St. Johann ist
Dinge anzusprechen oder auch mal Kritik zu üben,
seit 1983 UNESCO-Weltkulturerbe und vor allem
das seien Aufgaben, die sie als Priorin nun auch
bekannt für den grössten und besterhaltenen Fres-
habe und die ihr nicht immer leichtfallen. Der
kenzyklus aus der karolingischen Zeit.
Schritt, Priorin zu werden, habe Mut gekostet. «Ich
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Sind Tiere mutig?
In der Tierwelt hat jedes Individuum Mut oder Angst, geht zum Angriff über oder ergreift die Flucht. Denn wer in der Ausmarchung nicht besteht, wird seine Gene nicht weitervererben können, sagt Nationalpark-Direktor Heinrich Haller im piz-Interview.
Interview: Herbert Cerutti Fotos: Mayk Wendt
HERBERT CERUTTI: Wenn ich im Herbst den Natio-
Nein, man beurteilt dies heute differenzierter. In
nalpark besuche, bin ich beeindruckt, wie Hirsche um
den letzten Jahrzehnten hat die Verhaltensfor
die Weibchen kämpfen. Sind solche Tiere mutig?
schung erstaunliche Ergebnisse erzielt und heute
HEINRICH HALLER: Mut oder auch Angst sind Cha
darf man den höher entwickelten Tieren durchaus
raktereigenschaften, die wir bei Menschen ken
eine gewisse Entscheidungsfreiheit und persön
nen. Als Zoologe bin ich vorsichtig, solche Begriffe
lichen Erkenntnisgewinn zugestehen. So haben
auf Tiere zu übertragen. Trotz diesem Vorbehalt
etwa Schimpansen in Westafrika gelernt, Steine
bewundere ich aber den Steinadler, wenn er nicht
als Werkzeuge zum Knacken von Nüssen zu ver
nur ein junges Murmeltier, sondern sogar ein
wenden, und Gorillas legen zum Überqueren
Gämskitz vom Boden holt. Und umgekehrt: Eine
von sumpfigen Stellen Holzstücke vor sich auf den
ausgewachsene Gämse braucht zwar beim Äsen
Boden. Aber auch Vögel, deren Hirn sich doch
nicht den Adler zu fürchten, seit jüngster Zeit aber
sehr vom menschlichen Hirn unterscheidet, zei
den wieder eingewanderten Wolf. Für das Ver
gen ein individuelles Lernverhalten, das weit
halten der Wildtiere stehen nicht individuelle Ei
über ererbte Vorbestimmung hinausgeht.
genschaften, sondern die Gegebenheiten der je weiligen Lebenssysteme im Vordergrund.
Haben Sie zu diesem Thema persönliche
In der Zoologie galt früher die Meinung, Tiere seien
Ja, durchaus. Ich untersuchte Kolkraben im Natio
durch ihre Gene fest programmiert und alles Verhalten
nalpark und dessen Umgebung. Dazu wollte ich
durch die Natur vorgegeben. Wird dies heute noch
die Horste aller Kolkrabenpaare finden. Ein Paar
so gesehen?
muss meine Absicht erkannt haben und trickste
Beobachtungen?
10
piz 54 : Winter | Inviern 2017/2018
mich richtiggehend aus. Wenn sich Vögel beob
Individuum hier nicht genügen, wird es seine
achtet fühlten, zeigten sie sich an verschiedenen
Gene nicht weitervererben und damit seine natür
Orten des Reviers, nur nicht in der Umgebung
liche Aufgabe verpassen.
des Brutplatzes. Erst als ich mich entfernt hatte und später verdeckt wieder näher kam, fand ich
Wie sieht solches Verhalten etwa beim Hirsch
den geheim gehaltenen Horst.
während der Brunft aus? So aggressiv uns der Hirsch erscheinen mag, wenn
Sind also Tiere uns ähnlicher als wir bisher glaubten?
im Herbstwald plötzlich die Geweihe von kämp
Natürlich gilt weiterhin, dass der Mensch dank
fenden Stieren aufeinanderkrachen, ist solches Ge
seines hochentwickelten Gehirns im Laufe der Evo
fecht immer nur das Schlusskapitel eines länge
lution zum geistigen Dominator der Welt ge
ren Kräftemessens. Tiere kämpfen nicht aus Spass
worden ist. Der ehemals tief gezogene Graben zwi
oder Rauflust, denn eine allfällige Verletzung
schen Mensch und Tierwelt ist aber deutlich
ist in der harten Wildnis nicht selten lebensbedro
kleiner geworden. Das ist letztlich nicht erstaun
hend. In der Brunft zeigt das Hirschmännchen
lich, denn schliesslich stammt der Mensch von
durch tage und nächtelanges Röhren den Konkur
zoologischen Vorfahren ab und die Evolution hat
renten seine Fitness, denn je lauter und tiefer
auch die Tierwelt laufend weiterentwickelt.
die Stimme, desto kräftiger ist offenbar der Kerl.
So teilen wir mit den Schimpansen und den Goril las mehr als 98 Prozent der Gene.
Aber die Tiere belassen es ja nicht beim Röhren. Wie entscheidet sich ein Machtkampf?
Besitzer von Katzen, Hunden oder Pferden sind
Kommen sich irgendwann die Konkurrenten
überzeugt, dass ihre Schützlinge sogar Gefühle wie
doch in die Nähe, nehmen sie optisch Mass. In
Zuneigung, Freude und Trauer kennen.
steifem Gang marschieren sie mit einigen
Davon gehe auch ich aus. Gefühle können wichtig sein für das soziale Zusammenspiel von Lebe wesen. Und bei hochentwickelten Tiergemeinschaf ten dürften deshalb auch Gefühle ihren Platz haben. Es ist doch beeindruckend, wie Tiere etwa bei der Partnerwahl und im Zusammenleben offenbar Erfahrungen sammeln, lernen und ihr Verhalten entsprechend anpassen. Man weiss zwar nicht, wie Tiere Gefühle erleben. Schliesslich sieht man ja auch dem Mitmenschen nicht in sein Herz. Gefühlsreaktionen lassen sich in neue rer Zeit aber durchaus mit modernen Messungen am Gehirn beobachten, wobei bei höheren Säuge tierarten die gleichen Hirnregionen aktiv werden wie beim Menschen. Zurück zum Thema des offenbar doch irgendwie mutigen Verhaltens von Wildtieren, etwa dem Hirsch bei der Brunft. Wie lässt sich solche Courage bewerten? Ist sie sinnvoll für die Existenz des Tieres? Hier muss man zwei verschiedene Ebenen unter scheiden: «Mut» als Teil des im Laufe der Evo lution entwickelten Lebenssystems. Oder mutiges Auftreten als individueller Charakterzug. Im täglichen Kampf um Nahrung, zur Abwehr von Gefahren und insbesondere auch in der Kon kurrenz um Partner für die Fortpflanzung braucht jedes höhere Tier ein notwendiges Mass an Mut oder Angst, Angriff oder Flucht. Kann das einzelne
Heinrich Haller ist seit 1996 Direktor des Schweizerischen Nationalparks mit Büro in Zernez.
Metern Abstand parallel nebeneinander, um aus
Wir reden bis hierher vom männlichen Imponierge-
den Augenwinkeln zu prüfen, wie gross der
habe. Wie verhalten sich die Weibchen?
Gegner tatsächlich ist. Oft genügt dieser Imponier
Da sich die grössten Fortpflanzungschancen für
marsch, um die Machtfrage zu klären, und das
die Männchen zeitlich eng beschränken, sind
sich unterlegen fühlende Tier ergreift die Flucht.
sie in diesen Jahren risikofreudiger als die Weib
Nur wenn beide Tiere sich stark fühlen, kommt
chen. Denn die Weibchen sind viel länger Teil
es zum entscheidenden Kampf.
von Harems und haben deshalb eine längere Le
Verändert ein Wildtier im Laufe seines
müssen sie nicht unmittelbar gegen andere Weib
bensphase für die Fortpflanzung. Auch Lebens sein Verhalten?
chen kämpfen. Aber auch die Weibchen haben
Ja, beim Hirsch gibt es ganz klare Lebensab
ihre sexuelle Strategie. Ein dominantes, in der Re
schnitte. Gegen einen erfahrenen Platzhirsch hat
gel körperlich starkes Weibchen kann schwä
ein Junghirsch kaum eine Chance, obwohl er
chere Geschlechtsgenossinnen von den besten
sich im hitzigen Geschehen der Brunftzeit gele
Futterplätzen vertreiben und so für sich und
gentlich doch mit einer Hirschkuh paaren kann.
ihre Kälber einen Ernährungsvorteil verschaffen,
Die grösste Kraft hat der männliche Rothirsch im
was wiederum den persönlichen genetischen
Alter von etwa acht bis zwölf Jahren. In dieser
Erfolg steigert.
kurzen Zeit muss er nun möglichst viele Nachkom men zeugen. Sein Verhalten ist ein Optimieren
Es gibt also auch Platz-Hirschkühe?
von Risiko und Ertrag, weshalb er jetzt doch grös
Ja, Studien zeigen, dass über die Hälfte aller
sere Kampfbereitschaft mit entsprechendem
Jungen von nur einem Viertel der erwachsenen
Risiko zeigt als etwa Jungtiere oder alte Hirsche.
Weibchen stammen.
HATECKE
ALPS D'ENGIADINA
Bewegung bei der Büvetta «Nairs» heisst «schwarz» – in der Mehrzahl. Der grosse Nadelwald am steilen Hang ist dunkel, stimmt, wie der enge Ort am Inn unten. Aber das Künstlerhaus strahlt Licht und Hoffnung aus. Und die Büvetta auch, obschon sie am Zerfallen ist. Mut heisst die Losung.
Text: Daniel Lüthi Fotos: Mayk Wendt
N
och ist die Zukunft der Trinkhalle bei Scuol
«Betreten verboten» gilt seit über zehn Jahren. Im
ungewiss. Schwarz ist sie keineswegs. Alle,
Mai 2006 bereits nagelten die Behörden eine Infor
die sich dazu äussern, sind sich einig: In
mation an die Wand; die Büvetta erlebe seit Jahren
Nairs steht als Teil eines Ensembles ein Juwel, das
«schwere Zeiten», steht hier, trotzdem habe die Ge
unbedingt zu erhalten und mit neuem Leben zu
meinde beschlossen, ihre Beiträge für den Betrieb
füllen ist. Die Büvetta sei «der Nabel des Unterenga
und den Erhalt des Gebäudes «auf ein Minimum zu
diner Kurtourismus», schreibt die TourismusZent
reduzieren», man hoffe auf Verständnis.
rale in Scuol. Direktorin Martina Stadler ergänzt:
Viele hatten kein Verständnis – aber nur wenige den
«Für unsere Positionierung im Bereich Wasser,
Mut, konkret etwas zu unternehmen. 2012, am in
Wellness und Gesundheitstourismus ist sie von
ternationalen «Tag des Wassers», gründeten einige
grosser Bedeutung.» «Eminent» sei die kulturhisto
Unentwegte den Verein «Pro Büvetta». Christof
rische Bedeutung der Büvetta, erklärt Professor
Rösch war einer von ihnen und ist heute noch ei
Nott Caviezel, Präsident der Eidgenössischen Kom
nes der Zugpferde. Seine Führung durch den ehe
mission für Denkmalpflege: «Sie besitzt als funkti
maligen Prachtbau mutet an wie die traurige Begeg
onal gedachte und gleichzeitig repräsentative Archi
nung mit einer sterbenden Diva.
tektur einen hohen typologischen und gestalteri schen Eigenwert und zählt zu den bedeutenden Leistungen der historistischen Baukunst.»
Betreten verboten
Rechts: Die Flugaufnahme zeigt es: Die Büvetta ist heute zwischen Strassen eingeklemmt. Nachdem Freiwillige im Sommer 2017 einige Tonnen PavatexPlatten aus der Büvetta getragen hatten, zeigt sich das ziemlich lädierte OriginalArventäfer.
14
Die Zeit drängt Der Architekt Bernhard Simon hatte das Unikum 1874–1876 erbaut, durch die Patina hindurch sind ihm die gloriosen Zeiten noch anzusehen. Von der
Der Künstler und Architekt Christof Rösch ist Lei
Betonbrücke aus, der 1970 eine schöne gedeckte
ter des «Zentrums für Gegenwartskunst» auf der
Holzbrücke hatte weichen müssen, ist die grandi
anderen InnSeite, einen Steinwurf von der Büvetta
ose Dimension der Büvetta gut erkennbar: Eine
entfernt. Er wirkt nach der Renaissance «seines»
rund 100 Meter lange Wandelhalle aus Holz, die bis
Künstlerhauses in Nairs etwas müde, schöpft aus
weit ins letzte Jahrhundert zum Flanieren und Ein
dem erfolgreichen Abschluss der aufwändigen Sa
kaufen einlud, mündet in einen etwas tiefer gelege
nierung aber neue Energie. Die vielen Jahre Enga
nen, kathedralenartigen Kuppelbau aus Stein, der
gement haben sich gelohnt, das ehemalige Bäder
drei MineralwasserQuellfassungen wie Heiligtü
haus erstrahlt heute in neuem, internationalem
mer beherbergt und beschützt: Bonifacius, Lucius
Glanz. Davon dürfte jetzt auch die Trinkhalle pro
und Emerita. Lucius sprudelt noch leise, ansonsten
fitieren, sagt Denkmalpfleger Johannes Florin: «Für
aber ist alles hier bedrückend morbid.
die Büvetta ist das Künstlerhaus ein leuchtendes
«Pioniergeist, Grösse und Grosszügigkeit von da
Beispiel dafür, dass ein solches Projekt nicht ein
mals sind noch gut spürbar», schwärmt Christof
Fass ohne Boden sein muss.»
Rösch, wird dann aber schnell wieder leise. «Die
Bloss: Der Zerfall der Trinkhalle ist sichtbar und
Zeit drängt», sagt er, «und der Fels drückt.» Was ihn
geht erbarmungslos weiter und weiter. Ein Schild si
aber vor allem bedrücke, sei dies: Alle würden die
gnalisiert Steinschlaggefahr, der Fels direkt hinter
Büvetta loben und preisen, aber niemand habe bis
dem Gebäude muss dringend gesichert werden.
jetzt den Mut, hinzustehen und einen ersten kon
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1 Im Sommer rissen Freiwillige die in den späten 1960erJahren eingebauten Pavatexplatten heraus. (Foto: Claudia Fischer-Karrer) 2 Reminiszenzen an den längst eingestellten Kurbetrieb: die Gurgelräume. 3 Die Losung der einstigen Kuren: «…so atme, trink, gesunde!»
kreten Schritt zu ihrer Rettung zu tun. Ein paar
Schutz und Erhaltung der Büvetta ist die Gemeinde
nen PavatexPlatten entsorgt, um das ursprüngli
als Eigentümerin.»
che Arventäfer sichtbar zu machen – ein eher sym
Fragen wir also nach bei der politischen Gemeinde
bolischer Akt. «Ideelle Solidarität reicht jetzt nicht
Scuol, der heutigen Besitzerin. «Alleine können wir
mehr», sagt Rösch, und in seine engagierte Rede
die Trinkhalle nicht retten», schreibt Gemeinde
mischt sich nebst viel Unverständnis und einer Por
präsident Christian Fanzun auf Anfrage, «wir hof
tion Ernüchterung auch etwas Wut. «Für erste Not
fen, dass Bund und Kantone Beiträge leisten wer
massnahmen, eine Erhaltung der Substanz und
den.» Und: «Wir sind sehr von zusätzlichen
dann eine nachhaltige Totalsanierung brauchen
Institutionen und Gönnern abhängig.» Zu einem
wir zwischen acht und zwölf Millionen Franken.»
konkreten Verteilschlüssel will sich Fanzun nicht
Wer soll das bezahlen?
äussern. Und die Eidgenossenschaft? Die eidgenös
Heisse Kartoffel
sische Denkmalpflege habe kein Budget, erklärt de ren Präsident, Nott Caviezel. «Der wichtigste und
«Wenn es um den Strassenbau geht, ist diese Frage
effektive Schutz von Denkmälern obliegt den Kan
schnell beantwortet», ärgert sich Rösch und zeigt
tonen.» So wird ein Juwel wie eine heisse Kartoffel
an den Hang gegenüber, der zugepflastert ist mit
im Kreis herumgereicht.
der klotzigen und kurvigen Kantonsstrasse, die das
16
noch keine nennen, sagt er. Und: «Zuständig für
Dutzend Freiwillige haben im Sommer einige Ton
englische Kirchlein verdeckt. Gebaut als Verbin
Stiftung soll helfen
dung der beiden Talseiten ist diese Strasse in ihrer
Immerhin: Am Horizont zeichnet sich ein Silber
Dimension bereits wieder nutzlos, denn 2010
streifen ab, bei der Büvetta ist nicht nur der Fels in
wurde der dominante Viadukt eröffnet, der weit
Bewegung, dies haben die Recherchen von piz er
oben den Verkehr über den Inn und über die Bü
geben. Konkret: Dem Verein «Pro Büvetta», den
vetta führt. Aus den Augen, aus dem Sinn.
alle Befragten in den höchsten Tönen loben, soll
Wer also soll ihre dringend nötige Sanierung finan
demnächst eine Stiftung zur Seite gestellt werden.
zieren? Je länger man warte, je aufwändiger werde
Diese soll die Büvetta von der Gemeinde überneh
das Ganze, sagt Architekt und Denkmalpfleger Flo
men. Damit dies möglich wird, muss sie unter
rin. Er sei von diesem Ort «total fasziniert» und der
Denkmalschutz gestellt werden. Entsprechende
Kanton werde aus verschiedenen Quellen sicher
Verhandlungen zwischen der Gemeinde Scuol und
auch zur Sanierung beitragen. Zahlen könne er
dem Kanton Graubünden laufen. «Wir hoffen bis
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im März 2018 so weit zu sein», stellt Gemeindeprä
nanziell unterstützt.» Wie auch immer: Christof
sident Fanzun fest. Endlich eine konkrete Zahl. Im
Rösch glaubt auch diesmal daran, dass endlich gut
nationalen KulturgüterschutzInventar ist die Bü
wird, was lange währt. Und schon schielt er auf ein
vetta «als Objekt von nationaler Bedeutung» be
neues Projekt: «Wenn die Büvetta einmal saniert
reits verzeichnet. Dies ist laut Nott Caviezel jedoch
ist, müssen wir uns der Verbindung des histori
noch kein «rechtlich verbindlicher Bundesschutz».
schen Ensembles in Nairs widmen, und damit dem
Und da wird es richtig kompliziert: «Ein Gebäude
alten Verkehrsweg zwischen Scuol und Tarasp. Ich
wird unter Bundesschutz gestellt, wenn der Bund
möchte die alte Holzbrücke neu erfinden, neu in
Arbeiten zu dessen Erhaltung und Restaurierung fi
terpretieren.» – Visionäre sind mutige Menschen.
St. Petersburg am Inn
das Hotel Quellenhof, einen Kursaal, eine Trink
Bernhard Simon, Erbauer der Büvetta in Nairs,
halle und ein Therapiebad. So wurde der Architekt
wurde 1816 in Niederurnen GL geboren. In Lau
Simon Hotelier, Begründer des Nobelkurortes und
sanne, wo sein Onkel Bauinspektor war, lernte er
Pionier in Sachen Bäderkultur. Tarasp liess sich vom
das Bauhandwerk kennen. 1839 zog er nach St. Pe
Erfolg Simons anstecken und erreichte, dass er die
tersburg, wo er es als selbstständiger Architekt zu
Pläne für die Trinkhalle – die Büvetta – und die
Ruhm und Reichtum brachte. 1854 kehrte er in die
«Villa Victoria» neben dem Hotelkomplex lieferte.
Schweiz zurück. Hier machte er sich unter anderem
Die Bauten atmen den Geist russischer Baukunst.
im Eisenbahnbau einen Namen. 1867 kaufte er dem
Am Inn zwischen Scuol und Tarasp ist also auch ein
Kanton St. Gallen die Domäne Hof Ragaz und die
Hauch der Grandezza von St. Petersburg zu spüren.
Konzession für das Bad Pfäfers ab. In Ragaz baute er
Bernhard Simon starb 1900.
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Auch Umwege führen zum Ziel Katharina von Salis hat sich ihr Leben lang für die Chancengleichheit, ihre politischen Ansichten und ihre eigene Karriere eingesetzt. Mut brauche sie dazu keinen, meint sie. Sie tue einfach, was sie wolle.
W
enn ihr etwas gegen den Strich geht, dann
in den Ruderclub. Unmöglich. Es gab keine WCs
Text: Sina Bühler
wehrt sie sich. Die Silvaplanerin Katha
oder Garderoben für Frauen. «Daran scheiterten
Foto: Mayk Wendt
rina von Salis exponiert sich, schreibt Le
damals unzählige Gleichberechtigungsfragen – an
serbriefe und setzt sich für Gerechtigkeit ein. Sie
den WCs!» Sie schüttelt heute noch den Kopf über
sitzt im Kreisrat und spricht an Gemeindever
die Ausreden. Als leidenschaftliche Berggängerin
sammlungen. Im eher konservativen Engadin ver
wollte sie dem Akademischen Alpenclub Bern bei
tritt sie meist die Meinung einer Minderheit. Es sei
treten, den ihr Grossvater mitgegründet hatte. Die
aber schon vorgekommen, dass sie nach einem Vo
Antwort: Nein, keine Frauen.
tum eine Abstimmung gewonnen habe, sagt sie lä chelnd, «aber Mut brauche ich nicht wirklich dazu».
Engagement im Sport
Anders im Gebirge, beim Klettern, wenn es galt,
Man kann sich heute noch vorstellen, wie Katha
eine schwierige Passage zu überwinden. «Dort, ja,
rina von Salis einfach mit den Schultern zuckte
braucht es Mut.» Oder als sie nach einem Velo
und lachend einen Umweg nahm. Statt zu rudern
unfall einige Jahre später erstmals aufs EBike stieg.
wurde sie mehrfache Schweizer Meisterin im Ski
Politisch brauche sie viel weniger Courage. «Das
langlauf und OL, trat einem anderen Alpenclub bei.
mache ich einfach» – oft übrigens erfolgreich.
Mit der Benachteiligung von Frauen hat auch ihr
Sie sei halt nicht angepasst, sagt die 77Jährige von
erster LeserinnenBrief zu tun, auf den so viele fol
sich selbst. Bereits ihre Mutter war selbstbewusst
gen sollten. Sie empörte sich, dass nur die männli
und arbeitete als Journalistin, weil sie ihr eigenes
chen Pfadfinder vom Militär unterstützt wurden,
Geld verdienen wollte, obwohl der Vater, General
weil das als militärischer Vorunterricht galt. Die
sekretär bei der PTT, genug verdiente. Die Mutter
MädchenAbteilungen gingen leer aus.
wechselte spät noch zum Fernsehen, «das war da
Kurze Zeit später, in den frühen 1960erJahren,
mals eine Riesengeschichte!», erinnert sich Katha
wurde sie als Diskussionsrednerin an eine «Frauen
rina von Salis, die von sich selber sagt, sie habe
und Sport»Konferenz in Magglingen eingeladen.
schon als Kind nicht viel darauf gegeben, was die
«Vor der Schlussdiskussion kamen einige Frauen auf
Gesellschaft von ihr, dem Mädchen, erwartete.
mich zu, um mir zu sagen, welches Thema ich doch
Eleganz ist nicht ihr Ding
konnten nicht offen reden, weil ihre Verbände je
Es ist ihr heute noch egal, sie macht Witze über ih
nen der Männer unterstellt waren.»
ren Mangel an Eleganz, an dem man sie erkennen
bitte noch anschneiden solle, denn diese Frauen
könne. «Meine Mutter war Modejournalistin, aber
Sie beweist auch Ärzten, was geht
das hat nicht auf mich abgefärbt», meint sie. Der
Es sei eine unglaubliche Zeit gewesen. Frauen durf
lila Faserpelz, das hohe Bürzi, die patenten Schuhe
ten kaum Wettkampfsport betreiben, und wenn sie
mit Klettverschluss sind dafür praktisch. Und von
sich in Leichtathletikwettkämpfen massen, wur
einer pensionierten Geologin erwartet auch nie
den weder bei Läufen ihre Zeit noch im Hoch
mand ein DeuxPièces. «Es war mir eben immer
sprung die Höhe oder im Weitsprung die Weite ge
wichtiger, zu tun, was ich wollte», erzählt sie. Nur
messen. «Und dann erklärten uns Ärzte lang und
ging das für Frauen nicht. Als Studentin wollte sie
breit, was Frauen aus biologischen Gründen alles
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nicht können.» Beispielsweise, dass sie keine Lang
Pragmatisch ist das Schlagwort, unter welchem Ka
strecken laufen könnten, was Katharina von Salis
tharina von Salis ihr ganzes Leben organisiert hat.
damals mehrmals die Woche sehr wohl tat.
Ihr Mann reiste für Shell durch Europa, während
«Das hat meinen Glauben an Autoritäten massiv er
sie selber an der ETH Zürich forschte und später als
schüttert. Eine Fachperson, ein Mann, sagt mir,
Titularprofessorin arbeitete. Die drei Töchter lebten
was ich nicht kann. Obwohl ich es bereits mache.»
beim Vater, zogen mit ihm von Wien nach London,
Das habe ihr sicher geholfen. Beim Reklamieren
Den Haag, Wien und wieder nach London. Eine
und sich durchzusetzen.
Nanny betreute die Kinder, Katharina von Salis sel ber verbrachte jede zweite Woche mit ihnen. Eine
Karriere als Geologin
praktische Selbstverständlichkeit, die allerdings
Katharina von Salis hat eine CMatura gemacht.
heute noch aussergewöhnlich wäre. Sie zuckt mit
Laut Berufsberater sollte sie Mathematik studieren.
den Schultern. «Nur die Kollegen meines Mannes
«In Deutsch und Ausdruck waren meine Leistungen
fanden das merkwürdig, er selber nicht.» Nur ein
unterirdisch. Ein für junge Frauen damals übliches
mal, als sie noch in Kopenhagen wohnten und ihr
PhilIStudium kam deshalb nicht in Frage.» Bei der
Mann wegen einer Stelle nach Schweden sollte,
Berufsberatung meinten sie: «Was sie auch macht,
schlug er ihr vor, ihren Job aufzugeben. «Ich habe
sie wird dabei nicht glücklich.» Sie fand das nicht
gesagt: oder wir machen es umgekehrt. Ich habe
gerade sensibel. Und ausserdem stimmte es nicht.
eine gute Stelle in Kopenhagen, eigentlich kannst
Sie studierte Geologie, machte mit 25 Jahren den
du zu Hause bleiben.» Er habe sie lange schweigend
Doktor. «Sorgen darüber, welche Stelle ich später
angeschaut, sei nach Schweden gezogen, sie blieb
finde, habe ich mir keine gemacht», sagt sie. Dabei
in Dänemark und das Thema wurde nicht mehr an
wären die Sorgen berechtigt gewesen. Jobs gab es
gesprochen. Beide liebten ihren Beruf.
damals nur im Ausland, in der Erdölbranche. Bei Shell konnte sie sich nicht einmal bewerben. Die
Engagement für die Gleichstellung
nahmen keine Frauen.
Erst spät wurde ihr feministisches Engagement Teil
Karriere machte sie trotzdem. Ihr Mann, ein däni
ihres Berufes. Sie engagierte sich für Gleichstel
scher ChemieIngenieur, arbeitete in Kopenhagen
lungsfachstellen an den Hochschulen und für eine
bei Shell. Sie selber bekam an der Uni eine For
«Dual Career Policy» an der ETH und den Universi
schungsstelle und wurde später Abteilungsleiterin.
täten sowie bei Shell. Obwohl sie sich manchmal
«Mein dänischer Chef», sagt sie, «war eine Frau.» In
darüber nervte, dass sie «die Emanze» war. Nicht
Skandinavien seien die Dinge pragmatischer gelöst
weil sie keine Feministin sein wollte, im Gegenteil.
worden, beispielsweise die WCFrage. Damit die
«Aber ich war doch vor allem eine erfolgreiche Wis
Frauen nicht kilometerweit zu ihren eigenen Toilet
senschafterin.» Sie nur als Emanze zu bezeichnen,
ten laufen mussten, habe man einfach Blumen
war eine weitere Methode, ihr Kompetenzen abzu
tröge in die Pissoirs gestellt. «Wenn dann jeweils
sprechen.
die staatlichen Arbeitsinspektoren kamen, wurden
Sie fand zudem immer, dass Lösungen nur gemein
sie für kurze Zeit weggeräumt.»
sam mit Männern erarbeitet werden könnten. Ab gesehen davon, dass sie als Geologin meist mit Männern arbeitete, war ihr immer bewusst, dass nur so ein echter Fortschritt in Sachen Chancen
Engagement in der Lokalpolitik
Katharina von Salis mischt sich immer wieder in die Lokalpolitik ein, etwa wenn es – nach der Eröffnung des Umfahrungstunnels Richtung Julierpass – um die Neugestaltung des Dorfplatzes ihrer Wohngemeinde Silvaplana geht. Dann soll dort eine Begegnungszone mit Kopfsteinpflaster und Bänken entstehen. Dazu schrieb sie in einem Leserbrief: «Stopp, falsch. Silvaplana lässt sich einen teuren Platz bauen, den es kaum anders bespielen wird, als er bisher bespielt worden ist … Die wenigen Einheimischen werden den Platz nicht beleben, und die Touristen gehen lieber auf die Berge und an die Seen.» Und sie kritisiert, dass dann die Busse nicht mehr durchs Dorf fahren und die Haltestellen zum See hinunter an den Kreisel verlegt werden.
gleichheit möglich war. Zum Teil gelang ihr das mit ihrer pragmatischen Taktik. Beispielsweise, als die Erdwissenschaften an der ETH ein neues Reglement ausarbeiteten. «Die jungen Frauen forderten eine geschlechtsneutrale Sprache. Die Männer fanden das nicht so wichtig. Weil an jenem Tag das Bun desgericht entschied, dass auch in Appenzell In nerrhoden das Frauenstimmrecht eingeführt wer den musste, schlug ich vor, zur Feier des Tages das ganze Reglement in weiblicher Form zu verabschie den. Die genderneutrale Sprache fanden die Män ner dann eine grossartige Lösung.»
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Brav und rebellisch Es gibt nur eine kleine romanische Literaturszene mit hoher sozialer Kontrolle und erst noch in einer peripheren Lage. Erstickt das den Mut Romanisch schreibender Literaten? Oder fordert es ihn erst recht heraus?
Text: Clà Riatsch Fotos: Mayk Wendt
W
er sich im 16. Jahrhundert daran macht,
andere Sprache allgemein verständlich zu ma-
die Bibel in eine allgemein verständliche
chen», «chel nu puossa aunchia commünamaing dêr
Volkssprache zu übersetzen, braucht zu-
ad inclijr ün oter launguaick». Die Zweifler dagegen
nächst den Mut, theologisch-politischen Monopol-
glauben mit dem Chronisten Aegidius Tschudi
ansprüchen einer Kirche entgegenzutreten, welche
(1505 – 1572), dass «man Churwelsch nit schryben
die Bibel ihrem spezialisierten Personal vorbehal-
kann», jedenfalls nicht «richtig schreiben», «scriver
ten will. Dann braucht er den Mut, sich und seiner
indret», sonst hätten es nämlich «unsere Alten, die
Sprache die Kraft zuzutrauen, das wichtigste Werk
klug waren», «nos uijlgs, quels chi sun stôs sappiains»,
des bedeutendsten Autors, Gottes Wort, die Heilige
längst getan.
Schrift, angemessen wiedergeben zu können. Wer
Zu einer Zeit, da die Überlegenheit der «Alten» eine
diesen Versuch in einer Regionalsprache ohne
verbreitete Vorstellung war, brauchte es Mut, dieses
Schrifttradition wagt, wie der Notar Jachiam Bif-
Argument in den Wind zu schlagen. Wenn man an-
run (1506 – 1572) aus Samedan, hat warnende Stim-
dere Sprachen schreiben könne, warum nicht auch
men im Kopf, die ihm davon abraten und ihm auch
Romanisch, fragt sich Bifrun, eine Frage, die längst
Gründe nennen, warum ein solches Unterfangen
nicht alle, am wenigsten das offizielle Graubünden,
scheitern müsse.
so forsch beantworten wie der Bibelübersetzer aus
Im Vorwort zu seiner Übersetzung des Neuen Tes-
Samedan im Jahre des Herrn 1560.
taments von 1560 lässt Bifrun diese Stimmen zu Wort kommen. Einige sagen, man könne die Bibel
«Was uns abgeht, Freunde, ist Mut ...»
nicht ins Romanische übersetzen, «weil unsere
Gut vierhundert Jahre nach Bifruns mutigem An-
Sprache eng und mangelhaft sei», «per che, che nos
fang stellt der Engadiner Dichter Andri Peer (1921–
launguaick saia strêt & amanchianthûs». Mangelhaft
1985) bei seinen rätoromanischen Dichterkollegen,
sei das Romanische zwar, lässt Bifrun gelten, aber
die er ironisch als «amis» anspricht, einen generel-
nicht so sehr, dass es nicht in der Lage wäre, «eine
len Mangel an Mut fest: ↓
Quai chi’ns mangla
Was uns abgeht
Quai chi’ns mangla, amis,
Was uns abgeht, Freunde,
ais curaschi.
ist Mut.
Curaschi da tour il pled
Der Mut, das Wort zu ergreifen,
intant ch’el ais bugliaint;
solange es glüht;
da nomnar la peidra peidra
Stein zu nennen den Stein
e’ l sang sang
und das Blut Blut
e la temma temma.
und die Angst Angst.
Ün di gnarà la naiv gronda,
Eines Tages fällt der grosse Schnee
e lura, aint il sbischöz
und dann, im Gestöber
saraja greiv
wird es schwierig,
da’s dar d’incleger.
einander noch zu verstehen. ↗
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Hier spricht der eher für seine geheimnisvollen
Für den Feigling, der vor dem offenen Wort zurück-
Metaphern bekannte Dichter sein Gegenüber aus-
schreckt, hat das Romanische drastische Ausdrü-
nahmsweise ganz direkt an, um ihm offen ins Ge-
cke: «Smachatretels» oder «Splattapuglinas», «Furz-
wissen zu reden. Gegen die verbreitete Duckmäu-
verdrücker» oder «Hühnerscheisseglätter». Ihnen
serei erinnert er an die Notwendigkeit, das Wort zu
wird «oura culla pomma!» zugerufen, «raus mit den
ergreifen und die Dinge beim Namen zu nennen.
Beeren!».
Zur Vorführung dient eine kleine Liste von Entspre-
Rückt die romanische Literatur zwischen Bifrun
chungen, die mit Stein und Blut beginnt, die auch
und Andri Peer die «Beeren» heraus oder ist sie ein
Leisetreter so nennen müssen, im Gegensatz zur
Tummelplatz von «Furzverdrückern»? Grundsätz-
Angst, die sie gern als Vorsicht, Rücksichtnahme
lich lässt sich sagen, dass sie sich beim Herausrü-
oder Höflichkeit verkaufen. Die Forderung nach
cken an die Leitlinien hält, die da gezogen werden
Mut zum Klartext wird mit einer Drohung begrün-
von konfessionellem und bürgerlichem Moralis-
det: «la naiv gronda», «il sbischöz», «der grosse
mus, von Autoritätsgläubigkeit, sozialer Kontrolle,
Schnee», «das Gestöber», werden bald jede Verstän-
Anstand und Scham. Wie überall.
digung gefährden.
Ausgeprägte Feigheit der Rätoromanen?
Gedicht von Gianna Olinda Cadonau aus ihrem Band «Ultim’ura da la not / Letzte Stunde der Nacht», Edition Mevina Puorger, Fr. 27.–
Die archaisch-wilden Bergler Wie überall, oder stärker? Die Vermutung, die «Ta-
Ist dieser «Schneesturm» nicht ein eklatanter Ver-
buisierung» sei in der romanischen Literatur be-
stoss gegen den eben angemahnten Mut zum Klar-
sonders evident, verweist auf die Enge des geografi-
text? Warum spricht Andri Peer nicht offen an, was
schen und sozialen Raumes, auf die Tatsache, dass
droht? Nämlich das Ende des Romanischen, die
hier oben jeder jeden kenne, was der Schere im
Sinnlosigkeit einer multimedialen Dauerbeschal-
Kopf der Autorenschaft einen ganz besonderen
lung, die Isolation in der totalen Beliebigkeit? Im-
Schliff verleihe.
plodiert das Gedicht an seinem Widerspruch oder
Aber da sind doch diese archaisch-wilden, unzähm-
führt es vor, dass ein «glühend» geschmiedetes
baren, freiheitsliebenden Bergler, die sofort aufbe-
Dichterwort Bild und Klartext verbinden kann,
gehren, gerne streiten und dabei auch vor deftigen
dass die Metapher weder verziert noch verschweigt,
Beleidigungen nicht zurückscheuen? Ein Märchen,
sondern auf ihre Weise Klartext spricht?
meint der Erzähler in Leo Tuors «Settembrini», nach-
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dem er seinen Grossonkel über die Feiglinge von Jägern hat fluchen hören, die brav die kantonalen Ab-
moralistischer Prohibitionen wird aber nicht nur
schussformulare ausfüllen:
programmatisch ausgerufen, sondern literarisch in
«Il tip grischun fuva ina zucca obedeivels, humiliteivels
vielen Szenen gekonnt umgesetzt; da wird nicht
e servils viers leschas ed autoritads. Sch’ei vegneva ora
einfach Tabuisiertes «hinausposaunt», da werden
ina lescha giu Cuera, vegneva sevilau, lu fatg pugn en
auch gängige Darstellungsmuster verlassen oder pa-
sac, lu suandau ella. [...] Quei servilissem vegneva neu
rodistisch subvertiert.
dil temps dils castellans, dils quals ins veva tema sco da
24
«durch den Sumpf der Liebe» gehen will. Das Ende
Diu. Las historias dallas revoltas cun ‹tuors sfraccadas
Feigheit vor dem Freund?
en› encunter ils tirans ein praulas.»
Wenn die Kleinräumigkeit eine Literatur nicht aus-
Übersetzt: «Lange war der Bündner Typ folgsam,
schliesst, die auch ästhetisch den Mut zur Selbstbe-
unterwürfig und servil in allem, was Gesetze und
stimmung hat, so ist sie für die Kritik ein evidentes
Autoritäten betraf. Wenn in Chur ein neues Gesetz
Problem. Dass die romanische Literaturkritik ab-
herauskam, wurde gepoltert, die Faust im Sack ge-
wechslungsweise als inexistent und als inkompe-
macht und gehorcht. Die Unterwürfigkeit stammte
tent bezeichnet wird, liegt am Verdacht einer gene-
noch aus der Zeit der Landvögte und Schlossherren,
rellen Feigheit vor dem Freund, die nur Bücklinge
die man fürchtete wie Gott. Die Geschichten von
zulasse: «Jeu laudel tei, ti laudas mei, con bi ei quei»,
den Bauernrevolten und zerbrochenen Tyrannen-
«Ich lobe dich, du lobst mich, wie schön ist das», zi-
burgen sind Märchen.»
tiert Hendri Spescha den surselvischen Lyriker Al-
Dieser Feststellung widerspricht ihr Zustandekom-
fons Tuor (1871 –1904), um dann festzuhalten, die
men; wer sie macht, ist ein anarchischer Urbündner
Kritik brauche den Mut, «sich zu exponieren», ja ei-
im Buch eines Autors, der nicht dafür bekannt ist,
nen «Wahrheitsfanatismus», sonst verkomme die
mit pointiertem Einspruch und saftiger Polemik
Literatur leicht zu einem Sammelsurium leerer
hinter dem Berg zu halten. Bei Leo Tuor wird auch
Phrasen und abgestandener Formeln. Dass dem Kri-
das Ende des Moralterrors der Priester diagnosti-
tiker der Mut fehlt, die Gedichte des Lyrikers zu ver-
ziert: «Ils prers han craschlau, o!», «Die Pfaffen haben
reissen, mit dem er am nächsten Tag im Postauto
ausgekrächzt», findet Giacumbert Nau, der barfuss
sitzt, ist so evident wie fatal. Auf der anderen Seite
nicht nur durch frische Kuhfladen, sondern auch
können Kleinräumigkeit und Nähe die erbittertsten
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Abneigungen und die heftigsten Bruderzwiste her-
werden. In einem Kindergarten der Selvaclera (Hell-
vorrufen. Davon zeugen die vielen konfessionellen
wald: für die Sutselva) hätten die Kleinen einen
Kampfschriften, in denen Katholiken und Protes-
phantastischen Papierdrachen ausgeschmückt, der
tanten mit irrwitzig unchristlichen Argumenten
sich beim Spiel von der Schnur gelöst habe. Mit dem
darlegen, warum «Häretiker» oder «Papisten» keine
Wind sei er über den Bergkamm geflogen und am
richtigen Christen sind.
Himmel der Selvas-chüra (Dunkelwald: für Surselva)
Vielen Forderungen nach «mutiger Kritik» liegt zu-
aufgetaucht: «Üngün dubi, quella marmaglia avaiva
dem ein naives Vertrauen in die Wahrheit des Ne-
fat üna trida carricatura d’ün ot dignitari da Selvas-
gativen zugrunde, in die Kompetenz des Zeterers
chüra», «Kein Zweifel, diese Rasselbande hatte eine
vom Typ Marcel Reich-Ranicki, «der noch zu sagen
üble Karikatur eines hohen Würdenträgers des
wagte», dass diese Nobelpreisträger einfach nicht
Dunkelwaldes gezeichnet». So seien die unschuldi-
schreiben können.
Der Geist als wilder Mann
gen Kinder in die Lage des Autors geraten, der alle Figuren frei erfindet und dann erschrocken feststellen muss, dass er von Beleidigten umgeben ist, die
In der Literatur zeigt sich die Feigheit vor dem
glauben, sie seien gemeint. Neben solchen perfiden
Freund in Schonhaltungen gegenüber einer Leser-
Finten gibt es aber auch die offene Propagierung der
schaft, die leicht beleidigt ist, auch weil sie sich in
notwendigen Freiheit des Geistes, die sich in Ca-
allen möglichen Figuren selbst zu erkennen meint.
ratschs Texten an vielen Stellen zeigt:
Einer, dem man diese Art Schonung nicht vorhalten
«Il spiert es ün vagabund. Il spiert es ün rebel, ün spiri-
kann, ist Reto Caratsch (1901 – 1978). In seiner «Re-
ver, ün girun, ün hom sulvedi culla barba sbarüffeda da
naschentscha dals Patagons» (1949) wird die vielbe-
las strasoras e dals sboffaduoirs. Il spiert es tuot – be na
schworene «Wiedergeburt» des Rätoromanischen
ün esnin chi porta prus – e fidel – e diligiaintamaing ils
satirisch vorgeführt, und alle wichtigen Akteure
sachs a mulin.»
werden in wunderbaren Karikaturen lächerlich ge-
«Der Geist ist ein Vagabund. Der Geist ist ein Rebell,
macht. Um das Mass der Perfidie voll zu machen,
ein Wildfang, ein wilder Mann mit einem von
führt er in einer kleinen Allegorie die Betroffenen
Sturm und Wetter zerzausten Bart. Der Geist ist al-
als Psychopathen vor, die überall einen «Schlüssel-
les – nur nicht ein Eselein, das zahm und treu und
roman» wittern, in dem ausgerechnet sie verhöhnt
fleissig die Säcke zur Mühle trägt.»
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Winter | Inviern 2017 | 2018
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Heinrich Haller
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im Kloster Müstair
KULTUR MOTIVIERT ZUM NEUBEGINN In Häusern mit abblätterndem Charme entstanden besondere Hotels
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Der Plan war ganz ein anderer Beni Prevost hat im Alter von 23 Jahren den Bio-Bauernhof seines Vaters übernommen. Und dafür seine Karriere als Gastronom an den Nagel gehängt. Dazu brauchte es eine Portion Furchtlosigkeit und Beherztheit.
Text: Muriel Gnehm Foto: Mayk Wendt
B
eni Prevost sieht müde aus. In der letzten
gewohnt und hatte bald einmal kein Gefühl mehr
Nacht hat er nicht gut geschlafen. Drei Mal
in den Händen. Er litt an einem Karpaltunnelsyn-
ist er aufgestanden und mit seinem alten
drom. Nach ein paar Wochen sass er mit seiner
Golf die paar hundert Meter von Guarda hinunter
Schwester, seinem Schwager und seiner Freundin
zu seinem Hof gebraust. Er wusste, dass eine seiner
zusammen, um über die Zukunft des Bio-Bauern-
Kühe kalbern wird.
hofes zu reden – ein Thema, das die Familie lange
Der 26-jährige Bauer stösst die Stalltüre auf und
vor sich hergeschoben hatte, «weil alle meinten,
zeigt auf das Kälbchen, das noch ziemlich wackelig
uns blieben noch ein paar Jahre, bis wir uns ent-
auf den Beinen steht und mit seinem Mund gerade
scheiden müssten». Früher äusserten sich seine
das Euter der Mutter sucht. Diese ist noch etwas
Schwester und deren Ehemann auch schon so, als
blutverschmiert, ansonsten sieht man ihr nicht an,
würden sie den Hof vielleicht irgendwann über-
dass sie eben erst geboren hat. Beni Prevost sagt:
nehmen. Beni hingegen spielte erst mit diesem Ge-
«Sie hat das gut gemacht» – und klingt dabei stolz
danken, als er bereits in die Fussstapfen des Vaters
wie ein Vater, der über sein Kind spricht.
getreten war.
Der Plan sah ganz anders aus
in den Händen wieder. Und jetzt gefiel es ihm, sein
Es ist bloss drei Jahre her, da waren Prevosts Nächte
eigener Chef zu sein. Er sei ist nicht der Typ, der
noch länger und ruhiger. Er lebte mit seiner Freun-
acht Stunden pro Tag im Büro sitzen könne. Das
din in Domat/Ems und hatte gerade die Hotelfach-
habe er bereits während des Gymnasiums gemerkt,
schule abgeschlossen. Den Winter über wollte er als
als er in einem Architekturbüro schnupperte. Zu-
Skilehrer Geld verdienen, danach wollten sie zu
dem mag er Tiere. Das spürt man, wenn man ihm
zweit ein paar Monate um die Welt reisen und ir-
zuhört: «Die Geburt eines Kalbes ist ein so schöner
gendwann, später, ein eigenes Restaurant eröffnen.
Moment, den kann man nicht beschreiben.»
«Nichts Schickes, einfach eine gemütliche Beiz, in
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Dank Physiotherapie verschwanden die Schmerzen
der man sich wohlfühlt», sagt er, während er sich
Wirklich zurück ins Dorf der Kindheit?
vor dem Hof auf einen krummen Stuhl in die Sonne
Doch den Hof zu übernehmen hiess auch, nach
setzt. Er schaut hinunter ins Tal – dorthin, wo im
Guarda zurückzukehren, ins Dorf, in dem er aufge-
Stundentakt Touristen und Bewohner des Dorfes
wachsen war. Kam das für ihn in Frage, wieder hier
Guarda aus der Rhätischen Bahn aussteigen und wo
zu leben, auf 1653 m ü.M., im Ort mit rund 160 Ein-
auf der anderen Talseite dunkler Wald wuchert.
wohnern, drei Hotels – weit weg von jeder grösseren
«Doch dann starb unser Vater ganz plötzlich an ei-
Stadt? «Damit hatte vor allem Deborah, meine
nem Herzinfarkt», schildert Beni und mit leiser
Freundin, Mühe. Sie kommt aus Schaffhausen»,
Stimme fährt er fort: «Gestorben, hier im Stall bei
sagt Beni Prevost in seiner ruhigen Art. Er konnte
seinen Kühen.»
sie verstehen. «Die Engadiner sind nicht sehr offen.
Weil man die Tiere keinen Tag sich selber überlas-
Es ist schwierig, hier Anschluss zu finden.»
sen kann, war Beni sofort nach Hause gezogen. Ein-
Aber nicht nur deshalb erforderte seine Entschei-
springen als Übergangslösung, so dachte er anfäng-
dung Mut. Sie fiel ihm auch schwer, weil er kein
lich. Er war die strenge Arbeit auf dem Hof nicht
ausgebildeter Landwirt war, aber von einem Tag auf
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den anderen alleine den Hof führen musste. «Als
Im Internet stellen sich Beni und Deborah persön-
Kind half ich zwar oft im Stall. Mit der Administra-
lich vor, laden zum Besuch auf dem Hof ein, und
tion eines Bio-Betriebes kannte ich mich aber über-
sie haben einen Online-Shop eingerichtet.
haupt nicht aus.»
Jungbauer mit Zukunftsplänen
Er hat die Herausforderung gepackt: Von einem Tag auf den anderen musste Beni Prevost den Landwirtschaftsbetrieb der Familie übernehmen.
Der Traum ist noch nicht ausgeträumt Neben Fleisch, Wurst und Käse bietet Deborah
Trotz all dieser Fragen und Schwierigkeiten ent-
auch eingemachtes Gemüse nach Rezepten ihrer
schied er sich vor zwei Jahren dazu, den Hof zu
Oma an. Selber hat sie in der Zwischenzeit in der
übernehmen – nicht irgendwann später, sondern
Region Anschluss gefunden. Die 30-Jährige arbeitet
jetzt und definitiv. Ein Mal die Woche fährt er seit-
bei einer Bank in Scuol, trifft sich abends mit
her nach Landquart in die Landwirtschaftsschule,
Freundinnen und ist in der Frauenorganisation,
vier Jahre dauert die Ausbildung.
dem Zonta Club, mit dabei. Beni ist derweil wieder
Mittlerweile hat Beni Prevost als Landwirt konkrete
öfter in der «Giuventüna», im Jugendverein, anzu-
Zukunftspläne. Während sein Vater auf die Milch-
treffen, dort, wo er schon als Jugendlicher dabei
produktion gesetzt hatte, will er sich auf Viehzucht
war und wo die Männer bis zur Heirat Mitglied blei-
und Aufzucht konzentrieren. Das heisst: trächtige
ben dürfen.
Rinder an Bauern verkaufen, dazu Bio-Fleisch und
Den Traum vom eigenen kleinen Restaurant haben
Alpkäse anbieten. Und deshalb steht auch ein klei-
Beni und Deborah aber noch nicht aufgegeben. Ir-
ner Kühlschrank vor dem Haus in Guarda, gefüllt
gendwann möchten sie Gäste bewirten und dort
mit Salametti, Salsiz und seinen Visitenkarten. Da-
soll dann Fleisch, Käse und Eingemachtes vom ei-
rauf die Adresse der Homepage: WotschBeef.com.
genen Hof auf der Speisekarte stehen.
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Kultur motiviert zum Neubeginn Eine Frau und zwei Männer kauften zeitgleich von abgeblättertem Charme gezeichnete Engadiner Häuser und machten sie zu Kulturhotels. Alle drei kamen sie bewusst ins Hochtal und wagten mutig einen Neuanfang.
Text: Birgit Eisenhut Fotos: Mayk Wendt
D
as Engadin, insbesondere das Unterengadin,
beitete sie in München in der Redaktion eines
Kosmopoliten und Kunstliebhabern dermas
grossen Verlags.
sen den Kopf, dass sie hier ihren neuen Lebensmit
Sie kam zurück ins Engadin, in ihre Heimat, und als
telpunkt setzten. Damit bieten sie nicht nur Gästen
sie per Zufall vom Verkauf der «Villa Flor» hörte,
aus aller Welt ein temporäres Daheim, sondern ge
kam ihr der Gedanke, aus diesem Jugendstilbau,
ben den Künstlerinnen und Künstlern und deren
dessen Charme schon verblichen war, ein «Guest
Werken eine Bühne: Ladina Florineth mit der «Villa
house» mit mediterraner Lebensart zu gestalten. Sie
Flor» in Schanf, Carlos Gross mit der «Pensiun Al
wollte dem Haus den lebendigen Charme zurückge
dier» in Sent und Hans Schmid mit dem Hotel «Piz
ben und es nicht, wie ihre Mitbieter es vorhatten,
Linard» in Lavin haben sich alle fast gleichzeitig,
zu einem Miethauskomplex umbauen. Das gefiel
Mitte der 2000erJahre, im Unterengadin mit eige
dem Vorbesitzer, und sie erhielt den Zuschlag. Als
nen Betrieben selbstständig gemacht. Sie haben ihr
alleinstehende Frau, ohne Erfahrung in der Hotel
Vermögen in die Häuser gesteckt – und ihren Kunst
lerie, und mit einer 16jährigen Tochter.
sachverstand. Was bringt Menschen dazu, eine si
War ihr nicht mulmig zumute, als aus einer vagen
chere Existenz aufzugeben, um sich auf unsicheres
Idee plötzlich Realität wurde? Hatte sie einen Busi
Terrain zu begeben?
Kunst im Jugendstil-Palazzo
nessplan, bevor sie das Hotelprojekt startete? Sie lacht: «Nein, sonst hätte ich es nicht gemacht. Ein Bekannter, ein Banker, fragte mich danach, und ich
Ladina Florineth, eine zierliche Person mit langem
sagte ihm nur, er solle mich damit in Ruhe lassen.
blondem Haar und geradem Blick, ist in St. Moritz
Ich habe eine ‹Milchbüchleinrechnung› gemacht.
geboren. Ihr «Guesthouse», so nennt sie die «Villa
Ich glaube, wenn man nur aufs Geld schaut, macht
Flor», eröffnete 2009 nach acht Monaten Umbau. Es
man sowas nicht. Ich lebe in einem Umfeld mit vie
ähnelt einem kleinen, romantischen italienischen
len Kreativen, Intellektuellen, da hat Geld eine an
Palazzo. Böden, Decken und Wände, Jugendstillam
dere Bedeutung, da ist dieses Sicherheitsdenken
pen, ein roter Salon, das ArvenholzFrühstückszim
nicht so ausgeprägt.» Gibt es denn Zeiten, in denen
mer harmonieren. Auf dem Dach eine Aussenter
sie hadert, wenn sie alles allein entscheiden muss?
rasse mit weitem Blick auf den Inn, ins Tal und auf
«Ich bin mein eigener Chef, da macht man die
die umliegenden Berge. Keines der sieben Gästezim
Dinge mit einer anderen Energie. Und wenn man
mer gleicht dem anderen. Die «Handschrift» der
nichts wagt und nichts riskiert, ist das Leben nicht
Hausherrin zeigt das Gefühl für Interieur.
halb so spannend.»
Im roten Salon erzählt Ladina Florineth, wie sie
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treffen, bevor sie ihre Familie gründete. Später ar
verdrehte mit seiner hochalpinen Kraft drei
dem Engadin schon in jungen Jahren den Rücken
Giacomettis Kunst in Hotelfluren
kehrte, um das tun zu können, was sie noch heute
In Sent beschäftigen Carlos Gross fast die gleichen
am liebsten tut: sich mit Kunst befassen. In London
Fragen. Für ihn steht die Kunst von Alberto und Di
und Paris sucht sie bis heute Neues aus Fotografie
ego Giacometti und die seines verstorbenen Freun
und bildender Kunst. Sie kam schon viel in der Welt
des, des Fotografen und Verlegers Ernst Scheidegger,
umher, war in der Film und Modebranche anzu
an erster Stelle. Gross hat über die Jahre eine umfas
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sende Sammlung an Lithografien, Zeichnungen
war schon erfunden.» Anfang der 2000erJahre
und Radierungen der beiden Giacomettis zusam
kam er oft ins Engadin, wohnte und ass öfter im da
mengetragen. Dazu eine Sammlung der Künstler
maligen Hotel Rezia in Sent, und suchte nach ei
bücher, an denen Alberto Giacometti beteiligt war.
nem geeigneten Gebäude, in dem er seine Kunst
Dieser Schatz lag bei ihm im Verborgenen.
sammlung endlich der Öffentlichkeit zugänglich
Als Sohn Schweizer Eltern wurde Carlos Gross in
machen konnte. Ohne Erfolg. Bis nach mehreren
Venezuela geboren und wuchs dort bis zum neun
Jahren in einer «weinseligen Stunde mit Freunden»,
ten Lebensjahr auf. Zurück in der Schweiz, stu
zu denen inzwischen auch der Künstler Not Vital
dierte er das Hotelfach. Und entschied als junger
gehört, dieser ihm vorschlug, er solle doch die Be
Vater mit zwei kleinen Kindern, in Castino, einem
sitzerin des Rezia fragen, ob sie nicht verkaufen
500SeelenDorf im Piemont, eine Firma für regio
wolle. Das Hotel war in die Jahre gekommen. Car
nale Produkte zu gründen. Mit nichts in der Tasche.
los Gross schickte ihr einen handgeschriebenen
In 25 Jahren baute er eine «ziemlich respektable
Brief. «Mein Motor war immer die Neugier. Die war
Firma» mit 100 Angestellten auf, die regionale Pro
geweckt, und ich habe schon immer meinem
dukte herstellte und in 37 Länder der Welt lieferte.
Bauchgefühl vertraut.» Am nächsten Tag klingelte
Und dazu eine Logistikfirma, die weitere elf Ange
das Telefon. Für die damalige Besitzerin war sein
stellte beschäftigte. Nach einem Vierteljahrhun
Angebot ein Glücksfall.
dert konnte er dem Unternehmertum in Italien
Gross baute das Haus sorgfältig um, bewahrte mit
aber kein Abenteuer mehr abringen. Das «Schiff»
der Unterstützung des heimischen Architekten
wurde ihm zu gross, zu kommerziell. «Und mich
Duri Vital die baulichen Schätze. Heute begegnet
von jungen Betriebswirten, die keine Ahnung von
dem Gast Behaglichkeit – und Kunst. In den Fluren
Kultur und Essen haben, belehren zu lassen, wie
finden sich TierbronzeFiguren von Giacometti, in
das heisse Wasser neu erfunden wird – danke, das
16 Zimmern und Suiten schlafen die Gäste neben
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«Villa Flor» in Schanf: Ein «Guesthouse» der mediterranen Lebensart.
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Pensiun Aldier, Sent (links): In den Zimmern schlafen die Gäste neben Originaldrucken.
Originaldrucken von Hans Arp, Miró und Chillida, als «Bettmümpfeli» liegt ein Buch zum Mitnehmen auf dem Kopfkissen. Mit Hingabe schuf Gross im Kellergewölbe des Hotels einen würdigen Raum für seine Sammlung. Wenn er Interessierte dort durch führt, seien das keine eigentlichen Führungen, denn er erzählt Geschichten zu den Bildern. Der Name der Pensiun «Aldier» ist eine Hommage an die drei Künstler. Es sind jeweils die beiden An fangsbuchstaben der Vornamen der Giacomettis, Alberto und Diego, und von Ernst Scheidegger.
Das Hotel im «Klein-Florenz» am Inn Hans Schmid verbreitet mit dem Credo «Wiesen blumen im Milchkrug» das, was seine Gastfreund schaft auszeichnet: Poesie. Unkonventionell ist er, genauso wie das Hotel «Piz Linard» in Lavin und die vor fünf Jahren dazu erworbene «Chasa Basti ann» auf der gegenüberliegenden Seite des Dorf platzes. Die Häuser sind zu einer kulturellen Insti tution des Unterengadins geworden. Im grossen arvenholzvertäfelten Saal «ruht» ein behäbiger Bass und wartet auf Spielgesellen. Die bekommt er regelmässig, denn Musik in allen Schattierungen, von der Jazzkombo bis hin zu kleinen klassischen Konzerten, findet hier regelmässig statt. In der «Chasa Bastiann» sind unter Gewölbedecken Ge mälde zu bestaunen – einige vom Hausherren selbst geschaffen. Die beiden Häuser sind so etwas wie ein Gesamtkunstwerk. Hans Schmid, seine damalige Partnerin Gaby Schmid und die vielen, die das Vorhaben mittragen, mussten einen steinigen Weg gehen. Das 2006 zum Verkauf ausgeschriebene Gasthaus war in die Jahre gekommen, «der Investitionsstau so mächtig wie der Berg, der dem Haus den Namen gegeben hat», sagt Schmid. Und doch kam für ihn nur der Ort La vin in Frage: «Ein authentisches Dorf, das den Geist der Pioniere atmet.» Er habe sich verliebt in die Pa tina der italienischen Palazzi und in den weissen Betonbrunnen von Flurin Bischoff.
Der Hotelier ist Quereinsteiger. Der Jurist war nach
dingungen. Eine Rückzahlungsklausel band die In
kurzer Anwaltstätigkeit acht Jahre Generalsekretär
itianten ans Projekt: «Hätten wir wieder aufgege
des Volkswirtschaftsdepartements des Kantons
ben, wäre der Beitrag zurückgefordert worden.» Die
St. Gallen, bevor er dort Chef des kantonalen Kul
Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredite rang
turamtes wurde. «Im dritten Jahr hatte ich ein
den Gründern gar eine Bürgschaft für die persönli
Schlüsselerlebnis, bei dem mir klar wurde, dass ich
che Haftung ab. «Da kommen mittelalterliche Ge
nicht ‹Mittelbeschaffer für Dritte› sein will, son
fühle der Leibeigenschaft hoch», kommentiert
dern der Unternehmer, der in mir steckt.» Seiner
Hans Schmid.
zeit verheiratet, Vater von vier Kindern, gab es nur
Fertig saniert ist das Piz Linard nicht. «Das ewig
eine Möglichkeit, an eigenes Kapital zu kommen:
knappe Geld ist ein Stressfaktor», sagt er, «doch die
die Pensionskasse aufzulösen. «Da wird es einem
Not beflügelt die Kreativität.» Mut scheint sich für
mulmig. Doch der Instinkt des Pioniers schaltet die
ihn, seinen heutigen Mitunternehmer Julian Kar
Vernunftebene aus. Zuversicht, Naivität und die
rer und die zehn fest angestellten Mitarbeiterinnen
Lust, es zu packen, übertönten alle Zweifel.»
und Mitarbeiter zu lohnen: «Aus der Auszeichnung
Die eigenen Mittel reichten bei weitem nicht aus.
als Historisches Hotel 2018 und aus der Nomina
Das Vorhaben brauchte Millionen. Eine AG wurde
tion für den Prix Montagne der Berghilfe schöpfen
gegründet und ein Crowdfunding lanciert. Freunde,
wir die Motivation, weitere Hürden zu nehmen.»
Verwandte und Weggefährten schenkten dem Pro
Für die Unternehmerin und die zwei Unternehmer
jekt Vertrauen und wurden Aktionäre. Menschen
scheinen sich ihre stete Energie und ihr Mut ge
aus dem Dorf und dem Tal sowie Stiftungen unter
lohnt zu haben, wenn auch nicht in erster Linie fi
stützten ihn. Sein Projekt überzeugte auch die
nanziell. Für sie hat sich der Satz von Demokrit
Schweizer Berghilfe. Sie zahlte eine Viertelmillion
(ca. 460–371 v. Chr.) bewahrheitet: «Mut steht am
à fonds perdu, knüpfte das Geld aber an harte Be
Anfang des Handelns, Glück am Ende.»
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Hotel «Piz Linard», Lavin (oben): Das Unfertige beflügelt die Kreativität.
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Ein unbeirrbarer Blick nach vorne Annegret Gallmann, die heute in Sent zuhause ist, stand mit knapp Mitte 50 vor der Entscheidung: wie weiter? Ihr Alter war für sie kein Thema beim Entschluss, Psychologie zu studieren. Nicht als Beschäftigungstherapie, sondern mit der klaren Berufsvorstellung.
Text: Marina U. Fuchs Foto: Mayk Wendt
36
W
er Annegret Gallmann sieht, mit ihr redet,
Gespräch mit ihr zieht, dann ist es «spannend».
der weiss sofort, dass Mut lohnt, dass ihre
Dieses «spannend» steht für ihre Offenheit, die
Entscheidungen für sie persönlich ganz
Neugier, die Wissbegierde sowie für das Bedürfnis,
und gar richtig waren. Ihre Augen blitzen im Ge-
den Dingen auf den Grund zu gehen. «Spannend»
spräch vor Begeisterung, ihr Lachen ist so einneh-
steht auch für ihren Mut, sich immer wieder neuen
mend und ansteckend, dass man nicht einmal auf
Herausforderungen zu stellen und dann unbeirrbar
die Idee kommt, über ihr Alter nachzudenken. Mut
ihren Weg zu gehen.
scheint Flügel zu verleihen, und sie vermutet, sie
Mut braucht es unter anderem in gefährlichen Situa-
habe die Courage schon von früheren Generatio-
tionen, doch es waren nicht Gefahren, was sie zu
nen ihrer Familie mitbekommen. Wenn sich ein
befürchten hatte. Es waren Unsicherheiten auf dem
Wort durch Annegret Gallmanns Leben und ein
Weg, den sie sich 1992 vorgenommen hatte. In ei-
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nem Alter, in dem sich manche Gedanken zur Pen-
«Ich habe mir Zeit gelassen mit einer Entscheidung,
sionierung machen, beschloss sie noch einmal
habe mich informiert. Wichtig war mein soziales
durchzustarten und zu studieren.
Umfeld», erklärt sie den Prozess der Neuorientie-
Die Anfänge
rung. Zurück in den Schuldienst wollte sie nicht und so beschloss sie mit annähernd Mitte fünfzig,
Annegret Gallmann wurde am Zürichsee in eine
in Zürich Psychologie zu studieren – und zu pen-
Familie hineingeboren, in der Dialog, Austausch
deln. An der Uni waren Aufnahme, Austausch und
und Kultur wichtig waren: «Es wurde viel gelesen
das Miteinander kein Problem, von den anderen
und philosophiert, das Interesse am Menschen
Studenten wurde sie sofort akzeptiert. Hilfreich
stand im Zentrum.» Der Vater – er war Zahnarzt –
war, dass sie all die Jahre vorher immer mit jungen
schrieb mit 95 Jahren noch ein Buch. Sie kam
Leuten zu tun gehabt hatte.
schon als Kind ins Engadin, mit einer «Ferienkolonie» nach Tarasp – einem Vorläufer der heutigen
Erfolgreiches Psychologiestudium
Summercamps. Begeistert und gut spielte sie Quer-
«Es war ein ganz neues Gefühl von Freiheit», be-
flöte und stand vor der Entscheidung, ob sie eine
schreibt sie den Zustand im Studium. In Zürich
musikalische Ausbildung beginnen wollte.
konnte sie bei ihren Eltern wohnen, Arbeitsdiszip-
Doch sie wurde Primarlehrerin, weil sie sich ihrer
lin hat sie bei den eigenen Töchtern, die in Zürich
musikalischen Begabung nicht vollkommen sicher
und in Chur studierten, abgeschaut. Angst, ob sie
war. Als ganz junge Lehrerin wurde sie angefragt,
das alles schaffen würde, war kein Thema. «Wenn
ob sie ins damalige Töchterinstitut nach Ftan wech-
man sich entschieden hat, muss man es machen,
seln wolle. Sie sagte zu und blieb drei Jahre, unter-
zielgerichtet denken», so ihr Motto. Mann und
richtete Deutsch, Französisch und Sport mit
Töchter standen hinter ihr und unterstützten sie sie.
Schwimmen im damals «Schlangenteich» genann-
1997 schloss sie mit dem Lizentiat in Psychologie ab
ten heutigen Badesee. Selbstverständlich war dane-
– zu diesem Zeitpunkt schon fast Grossmutter eines
ben noch die Betreuung von 20 bis 25 jungen Mäd-
Enkels, der im Jahr darauf zur Welt kam. In den Ne-
chen im Internat: «Es war eine gute und spannende
benfächern belegte sie Kinder- und Jugendpsycho-
Zeit.» Aufenthalte in Florenz und Paris schlossen
pathologie, Sozialpsychologie sowie Sozial- und
sich an und Annegret Gallmann unterrichtete ins-
Präventivmedizin.
gesamt fast zehn Jahre. 1963 heiratete sie den Mann,
Bis 2002 bildete sie sich zur Psychotherapeutin wei-
den sie schon seit der Ausbildung an der Pädagogi-
ter. Es folgten Zertifikate, Spezialseminare, Kurse,
schen Hochschule Zürich, dem damaligen Oberse-
Supervisionen und Tagungen. «Eine erste Stelle zu
minar, kannte. Auch er war Lehrer, studierte an-
bekommen, war nicht ganz einfach», blickt sie auf
schliessend Germanistik und unterrichtete Deutsch
die Anfänge zurück. Doch dann gelang der Neu-
und Geschichte.
start beim Kinder- und Jugendpsychiatrischen
Wieder rief das Unterengadin
Dienst Graubünden. Danach war sie zwei Jahre Assistenzpsychotherapeutin in der Kantonalen Psy-
Das Töchterinstitut bot 1971 dem Ehepaar die Di-
chiatrischen Klinik Beverin in Cazis.
rektion an. Nach anfänglichem Zögern sagten die
Da ihre Liebe dem Unterengadin gehört, kontak-
beiden zu. «Wie damals üblich, war der Mann Di-
tierte sie unter anderem den Bezirksarzt. So begann
rektor, die Frau arbeitete intensiv mit», schildert sie.
sie als delegierte Psychotherapeutin mit den Ärzten
«Ständige Präsenz war selbstverständlich, sei es im
in der Region zusammenzuarbeiten, voller Empa-
Internat oder im Kontakt mit den Eltern.» Und
thie für die Menschen und deren Probleme.
schon in dieser Zeit bewies sie Mut, eine schwierige
Annegret Gallmanns Mut, zu einem unüblichen
Situation anzusprechen: als ihre persönliche Ba-
Zeitpunkt noch einmal ganz von vorne anzufan-
lance nicht mehr stimmte und sie – nicht zuletzt
gen, hat sich gelohnt. Sie hat ihre Lebensaufgabe
wegen der Altersversorgung – nach einem eigenen
gefunden, arbeitet inzwischen zwar mit reduzier-
Arbeitsvertrag fragte. «Das war gut für meine per-
tem Pensum, aber mit ungebrochener Begeisterung.
sönliche Entwicklung», betont die Mutter von zwei
In der Freizeit spielt sie begeistert Golf, treibt Sport
inzwischen längst erwachsenen Töchtern.
und widmet sich der Musik und dem Lesen. «Man
Insgesamt zwanzig Jahre verbrachte die Familie
muss immer etwas machen», zieht sie Bilanz, «Of-
Gallmann in Ftan. Dann war die Zeit reif für Ver-
fenheit, Flexibilität, Interesse, Beweglichkeit und
änderungen.
soziales Engagement sind wichtig.»
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Annegret Gallmann begann ihre berufliche Karriere als Lehrerin. Zusammen mit ihrem Mann leitete sie viele Jahre das Hochalpine Institut Ftan und bildete sich dann zur Psychotherapeutin weiter. Heute arbeitet sie als Psychotherapeutin mit reduziertem Pensum mit den Ärztinnen und Ärzten im Unterengadin zusammen.
37
Risiko oder totaler Irrsinn? Was treibt einen Menschen an, sich mit etwas Stoff zwischen Armen und Beinen 1000 Meter in die Tiefe zu stürzen? Kalkulierbares Risiko oder kompletter Irrsinn? Julian Zanker ist sich da nicht mehr so sicher, seit er bei diesem Sport einen Freund verloren hat.
Text: Reto Stifel
D
er Blick von Julian Zanker geht zum Himmel.
von der Jungfrau im Berner Oberland bis nach Lau-
Ein gutes Dutzend Gleitschirme kreist über
terbrunnen, eine Distanz von rund zehn Kilome-
Interlaken. Piloten mit ihren Gästen, die
tern Luftlinie. «Das sind dann locker drei Minuten
vom nahen Beatenberg aus gestartet sind und in
Flug, bis du den Schirm ziehen musst, ein extrem
Kürze am Rand des Dorfes landen werden. Zwi-
intensiver Moment.» Zeit für Angst bleibt keine.
schendurch ist ein befreiender Jauchzer zu hören,
Sprung, Flug, Schirm ziehen, Landung: So einfach,
wenn der Pilot in den Spiralflug übergeht.
wie es in der Theorie tönt, ist es in der Praxis doch
Der Traum vom Fliegen fasziniert die Menschheit
nicht. Nur beim «Exit», so nennt die Szene etwas fa-
seit jeher. An immer neuen Möglichkeiten wurde
talistisch den Absprungpunkt, da kennt auch Ju-
getüftelt, um die Schwerkraft zu überwinden und
lian Zanker ein Gefühl von Angst. «Es ist eine na-
elegant wie ein Vogel durch die Lüfte zu gleiten.
türliche Angst, eine, die mich nicht blockiert,
Auch Julian Zanker hatte diesen Traum. Bereits als
sondern mich extrem fokussieren lässt auf die
Vierjähriger ist er mit seiner Mutter auf die Engadi-
nächsten Sekunden und Minuten.» Mit zunehmen-
ner Berge gestiegen. Hat auf dem Gipfel den Doh-
der Erfahrung hat er gelernt, damit umzugehen,
len zugeschaut und sich gewünscht, auch einmal so
und er ist auch psychisch viel stärker geworden.
fliegen zu können. Aufgewachsen ist Zanker in St. Moritz, am Fusse des Hausberges Corviglia, der
Der Bauch entscheidet
romanische Name für Bergdohle.
Wer Basejumper nicht gleich als verrückt abstem-
Unglaubliches Gefühl
38
pelt, stellt sich zumindest überdurchschnittlich mutige Menschen vor. Mut? Zanker zögert. «Nein,
Als 16-Jähriger unternahm Zanker seinen ersten
ich bezeichne mich nicht als besonders mutig, ich
Fallschirm-Tandemsprung aus dem Flieger. Drei
war das auch als Kind nie.» Kokettiert hier einer mit
Jahre später absolvierte er die Fallschirm-Ausbil-
seiner Sportart, die per se schon viel Aufmerksam-
dung. Für ihn die perfekte Basis, um sich an das zu
keit erregt? Zanker zögert noch einmal. «Ja, viel-
wagen, was viele für lebensmüde halten: Basejum-
leicht braucht es auch Mut, an der Felskante zu ste-
ping. Sich von einer Felskante in die Tiefe stürzen,
hen und sich tausend Meter in die Tiefe zu stürzen»,
ausgerüstet lediglich mit einem Wingsuit und ei-
sagt er schliesslich, um gleich anzufügen, dass
nem Fallschirm. Der Stoff zwischen den gespreiz-
Wingsuit-Fliegen durch viel Training und eine
ten Armen und Beinen funktioniert wie Flügel.
schrittweise Annäherung an diesen Sport nicht ge-
Vögeln gleich, fliegen die Basejumper in die Tiefe,
fährlicher ist als andere sogenannte Extremsportar-
um erst kurz über dem Boden den Schirm zu zie-
ten auch.
hen. «Dieses Gefühl, wenn du drei, vier Sekunden
«Nicht zu springen braucht mehr Mut.» Vor allem
nach dem Absprung spürst, wie sich der Wingsuit
dann, wenn die äusseren Bedingungen eigentlich
mit Luft füllt und du von der Wand wegfliegst, ist
perfekt wären, aber das Bauchgefühl nicht stimmt,
unglaublich. Du weisst: Es passt, du beginnst zu
der Kopf nicht bereit ist. «In solchen Momenten zu-
fliegen und zu geniessen.» Die Intelligenz des Ma-
sammenzupacken im Wissen, dass ein mehrstündi-
terials hat viel dazu beigetragen, dass heute Flüge
ger Abstieg ins Tal bevorsteht, ist nicht immer ein-
von mehreren Minuten möglich sind. Zum Beispiel
fach.» Aber überlebenswichtig. Zanker weiss, dass
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Basejumping und Wingsuit Basejumping ist der Oberbegriff, Wingsuit-Fliegen ist eine Disziplin. Wie es der Name sagt, erlaubt der spezielle Anzug, der Wingsuit, tatsächlich fliegend Distanzen zurückzulegen. Wer ohne Wingsuit springt, fällt mehr oder weniger gerade der Felswand entlang, bevor er den Fallschirm öffnet. Mehr auf www.julianzanker.ch Fotos: Archiv Julian Zanker (1, 3), Romano Salis (2), Diego Defilla (4)
4
das Wingsuit-Fliegen Risiken birgt, in einigen Ländern sogar verboten ist. Schon ein falscher Schritt beim «Exit» kann tödlich en-
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den. Einmal in der Luft, passiert alles rasend schnell. Mit 130 bis
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220 Stundenkilometern sind die Basejumper unterwegs, die kleinste Fehleinschätzung kann tödlich sein.
Sich wieder herantasten Letztes Jahr hat Zanker einen guten Kollegen beim Basejumpen verloren. Mit ein Grund dafür, dass er seit Februar nicht mehr ge-
Hausgemacht
sprungen ist, nicht weiss, ob er je wieder an einem «Exit» stehen
Aus dem Engadin
wird. «Ich will es probieren, weil ich das Basen extrem vermisse.» Er weiss, dass die Rückkehr keine einfache sein wird. Er muss sich wieder herantasten an das Gefühl des Fliegens, wird praktisch von vorne beginnen, mit ersten Sprüngen aus dem Helikopter. Auch das Thema Angst wird ihn wieder beschäftigen, wenn er am «Exit» steht.
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Als 16-Jähriger hatte er zusammen mit seiner Mutter bei einem
Selbst gefischt
Bergunfall am Palü-Ostpfeiler grosses Glück. Zanker ging drei Jahre lang nicht mehr bergsteigen, heute ist er Bergführer. Ob der Wiedereinstieg beim Wingsuit-Fliegen auch gelingt? Er weiss es noch nicht. «Wenn es für mich nicht mehr stimmt, dann höre
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ich auf», sagt er. Einer, der sich mit mittlerweile 700 Base- und
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450 Fallschirmsprüngen seinen Kindheitstraum vom Fliegen wie eine Bergdohle längst erfüllt hat, kann diese Frage vielleicht gelassener angehen. Es ist kühl geworden, die Sonne scheint nur noch milchig durch die dünne Wolkendecke. Die letzten Gleitschirme schweben an diesem Tag über Interlaken. Noch einmal gleitet der Blick von Julian Zanker in den Himmel. «Fliegen ist einfach etwas unglaublich Schönes.»
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Foto: Stefan Bühl
Aus Tradition gut
Julian Zanker (27)
ist in St. Moritz aufgewachsen und lebt heute in Unterseen bei Interlaken. Inzwischen hat er seine Bergführerausbildung erfolgreich abgeschlossen. Er ist seit seiner Jugend leidenschaftlicher Kletterer und Bergsteiger und er hat eine Fallschirmlizenz. Seine letzte, sechswöchige Expedition hat ihn im Oktober 2017 zusammen mit Stephan Siegrist und Thomas Huber zum 6150 Meter hohen Cerro Kishtwar ins Kaschmir-Gebirge geführt. Dort haben die drei eine 1200 Meter lange, äusserst schwierige Wand als Erste bestiegen. Mit dem Wingsuit sind ihm zahlreiche Erstabsprünge geglückt. 2015 hat er im Rahmen der TV-Sendung «Sommer-Challenge» das Scheidegg wetterhorn bestiegen und ist anschliessend nach Grindelwald geflogen.
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Die Sage vom getäuschten Nachtwächter «Sagenhaftes Grischun – Vergessene Legenden aus Graubünden» heissen die zwei bisher erschienen Bände aus dem Verlag Islandbooks. Sie halten lokale Sagen fest, die man sich seit Generationen weitererzählt – oft Geschichten mit ziemlich grausamem Inhalt. Nacherzählt von Silvio Hosang; Illustration: Gregor Gilg
D
er alte Römerturm in Pontresina diente den
gendlichen Bösewichte hielten sich auf dem Alko-
Rittern als Wohnsitz. Ihre Aufgabe bestand
ven versteckt, so dass sie mitbekamen, wie der
darin, Wegzölle für Menschen und Ware
Ritter auf ihre Spuren reagierte. Schuldbewusst
einzufordern, die über den Berninapass ins Pusch-
kehrten sie nach Hause zurück. Doch weder die Ju-
lav und ins Veltlin reisten. Da der Pass nicht ganz-
gendlichen noch der Ritter fanden in dieser Nacht
jährig geöffnet war, hatten die Kastellanen das
den nötigen Schlaf, denn das Wolfsgeheul in un-
Recht zu jagen. Im Winter brauchten sie sich nicht
mittelbarer Nähe war unerträglich.
sehr anzustrengen, da sich das Rotwild bis auf den Talboden hinunter wagte. Die leichte Beute wurde
*** Am darauffolgenden Tag wollte er die Spuren, die
gehäutet, die Felle bot man zum Verkauf an. Das
von seinem Haus wegführten, überprüfen, doch da
zerlegte Fleisch wurde einerseits zum Räuchern, an-
waren es auf einmal doppelt so viele wie noch zur
dererseits im Dachstock zur Lufttrocknung aufge-
Mitternacht, als er nach Hause gekommen war.
hängt und haltbar gemacht, um es später im Velt-
Und als er die Burschen erblickte, die ins Dorf zu-
lin gegen Wein und im Bodenseegebiet gegen
rückliefen, schwante ihm Böses. Die Fussspuren
gewobene Tücher aller Art einzutauschen. Der ein-
seiner Frau führten zum Pfarrhaus. Dort hatte seine
zige Wermutstropfen der Kastellanen war, dass sie
Frau Aufnahme und körperlichen Trost in den Ar-
im Winter stündlich eine Runde als Nachtwächter
men des Pfarrers gefunden.
drehen mussten. Denn in der Winterzeit kamen auch die Wölfe in Dorfnähe hinunter. In Rudeln
*** In Pontresina wurde der Ritter zum Gespött. Am
waren sie sehr angriffig.
meisten litt der Nachtwächter darunter, als er bei
*** Wer gar keine Freude am Ritter als Nachtwächter
seinem nächtlichen Rundgang das Gestöhne seiner ehemaligen Frau hörte. Wenn der Nachtwächter an
hatte, waren die Jugendlichen. Vor Allem in der
die Türen klopfte, blieb ihm die Türe fortan ver-
Winterzeit, wo die Burschen an den Abenden genug
schlossen. Als Haushälterin sorgte sie nun im Pfarr-
Zeit gehabt hätten, die Mädchen in ihren Zimmern
haus für das leibliche Wohl.
zu besuchen. Spuren im Schnee verrieten schnell
*** Anmerkung des Nacherzählers: Diese Geschichte
einmal, von welchem Haus Schuhspuren weggingen und zu welchem Haus sie hingingen. Der
erzählte mir mein Grossonkel Nicolin aus St. Mo-
Nachtwächter kannte alle Personen, welche in ei-
ritz, als ich bei seiner Schwester in den Ferien war.
nem Haus wohnten. Schon wegen allfälligen Lawi-
Seltsames: In Pontresina trifft man auf einen Spa-
nenniedergängen musste man wissen, wer alles in
nierturm und auf eine Sarazenenbrücke. Es gibt
einem Gebäude wohnte. Bei vermutetem Besuch in
wohl kaum einen Ort in Graubünden, über dessen
den Zimmern der Mädchen klopfte der Ritter deren
Namen und Entstehung so sehr debattiert wurde.
Eltern aus dem Bett. Er verlangte Einlass, um die
Seltsam auch, dass im Tal Poschiavino beispiels-
Zimmer ihrer Töchter zu kontrollieren.
weise der Buchweizen «grano sarazeno» heisst und
*** Ertappte Mädchen mussten mit in den Römerturm
der Mais «grano turco».
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zum Ritter. Der machte dort gleich selber mit den jungen Frauen einen Keuschheitstest. Das stand ihm auch zu als strenger Sittenwächter. Von den jungen Frauen, die ihre Keuschheit schon vor dieser Überprüfung verloren hatten, verlangte er die sofortige Heirat. Denn unsittliches Verhalten tolerierte er in seiner Gemeinde keineswegs. *** Junge Männer rächten sich an ihm, indem sie in einer Nacht zurück zu seinem Römerturm liefen. Die Spuren im Schnee sahen aus, als ob seine Frau in seiner Abwesenheit als Nachtwächter mehrere Männer bei sich als Besucher gehabt hätte. Er riss vor Zorn seine Frau aus dem Bett und jagte sie im
Sagen gesucht
Die beiden Bände «Sagenhaftes Grischun» gehen auf ein Projekt von Marc Philip Seidel zurück (www.vissivo.ch). Er reichert die Sagen, die teils aus dem Mittelalter stammen, mit aktuellen Wanderrouten an, samt Karten, Plänen und zahlreichen Illustrationen. Am Ende der Geschichten – auch der hier abgedruckten Nachtwächtergeschichte aus Pontresina – gibt es deshalb Hinweise auf Seltsames im jeweiligen Ort. Die Buchreihe hat mit dem Band «Sagenhaftes Chur» bereits eine Fortsetzung gefunden und die Initianten haben auch eine Hör-CD herausgegeben, auf der Gian Rupf zehn Mundarttexte aus ganz Graubünden liest. Marc Philip Seidel will mit «sagenhafteschweiz.ch» das Gemeinschaftsprojekt mit der Bevölkerung fortführen, um das Kulturerbe zu sichern und Menschen zusammenzubringen. Dazu sucht er weitere Sagen.
Nachtgewand in die kalte Nacht hinaus. Die ju-
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Die Rettung einer Schule Das Hochalpine Institut in Ftan ist die einzige rätoromanisch-deutsche Mittelschule der Schweiz. Vor zwei Jahren sollte sie wegen finanzieller Probleme geschlossen werden – bis eine Gruppe von Eltern einen Rettungsplan initiierte. Text: Nina Rudnicki, Foto: Mayk Wendt
Drei Mütter haben mit ihrer Initiative den Anstoss zur Rettung des Hochalpinen Instituts in Ftan gegeben: Aita Zanetti, Barbla Conrad und Seraina Felix (v.l.n.r.)
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N
iemand hätte einen Fünfer darauf gewettet,
1500 Unterschriften kamen an einem Tag zusam-
dass wir so erfolgreich sein werden», sagt
men. Über die Aktion wurde national in den Me-
Aita Zanetti. Dann erzählt sie von jenem
dien berichtet.
Mittwochabend im Juli 2015, als sich eine Gruppe
von Eltern traf. Einen Tag zuvor hatten sie per Brief
Anderen Mut gemacht
erfahren, dass das Hochalpine Institut Ftan (HIF)
Weder Aita Zanetti noch Barbla Conrad oder Se-
wegen finanzieller Probleme geschlossen werden
raina Felix hatten bis zu diesem Tag in der Öffent-
soll. Das HIF ist die einzige Mittelschule der Schweiz,
lichkeit gestanden, jetzt war auf einmal ein grosser
an der Schülerinnen und Schülern die Matura zwei-
Stein ins Rollen gekommen. Mehr und mehr Perso-
sprachig, in Deutsch und im Unterengadiner Ro-
nen solidarisierten und engagierten sich. Über die-
manisch-Idiom Vallader, machen können. Die
sen Moment sagt Aita Zanetti: «Die Türe ging mit
Schule ist wichtig für das Selbstverständnis, die
einem solchen Knall zu, dass anderswo ein Fenster
Kultur und die Identität einer ganzen Region. «Das
aufging.» Barbla Conrad ergänzt: «Nur wenn sich
Info -Schreiben traf uns Eltern völlig unerwartet
alle für dieselbe Sache einsetzen, kann man etwas
und unvorbereitet», erinnert sich die Mutter.
bewegen.» Und Seraina Felix bilanziert: «Es braucht
Auch Seraina Felix sah den Schliessungsentscheid
Mut, über seinen Schatten zu springen und auf die
nicht kommen. «Das war wie eine Ohrfeige. Wo
Strasse zu gehen. Weil wir gegen die sofortige
sollte meine Tochter jetzt zur Schule gehen?» Se-
Schliessung der Schule einstanden, fanden auch
raina Felix hatte früher selbst im HIF den Unter-
andere den Mut, ihren Namen unter die Initiative
richt besucht. Doch nun ging es um die Zukunft ih-
zu setzen.»
rer Tochter. Würde das HIF schliessen, müsste sie
Unterschriften kamen auch von Personen, die gar
weg von zu Hause. An einer Info-Veranstaltung
nicht in dem Tal leben, sich aber mit der Region
wurden die Eltern auch gleich aufgefordert, ihre
verbunden fühlten. Zum Beispiel die Aargauerin
Kinder an einer neuen Schule anzumelden. «Das Si-
Verena Nold. Sie schrieb Private und Stiftungen an.
gnal war eindeutig, dass das HIF geschlossen wird
Das Geld, das so zusammenkam, sicherte den
und sich daran nichts ändern lässt.»
Schulbetrieb vorübergehend. Weitere Personen gründeten zusammen mit den drei Müttern den
Mit Unterschriften gegen die Schliessung
Verein Pro HIF. Und dann kam eine weitere gute
Betroffen vom Entscheid waren nicht nur die Schü-
Nachricht: Im Oktober 2015 gewährte die Ge-
lerinnen und Schüler und deren Eltern, sondern
meinde Scuol der Schule nach Verhandlungen mit
auch die Lehrpersonen und Mitarbeitenden, zum
der neu zusammengestellten Strategiegruppe rund
Beispiel jene in der Küche oder im Internat, die ih-
um den heutigen HIF-Verwaltungsratspräsidenten
ren Job verlieren würden. Das wollte niemand ein-
Jon Peer ein zinsloses Darlehen von drei Millionen
fach so hinnehmen. Bereits am Samstag derselben
Franken, welches den Schulbetrieb vorerst sicherte.
Woche stand eine Initiative, mit der die Gruppe Un-
Es seien verschiedene Gründe gewesen, die ihn
terschriften gegen die Schliessung sammelte. «Als
dazu motiviert hätten, für das HIF zu kämpfen, sagt
ich die Unterschriftenbögen in der Hand hielt,
der Berner Unternehmer Peer. Sein Vater stammte
brauchte ich Mut und fragte mich, ob das klappen
aus der Region «und als Kind verbrachte ich die Fe-
wird», sagt Seraina Felix.
rien immer bei den Verwandten im Unterengadin».
«Ich wollte etwas dagegen unternehmen, nicht nur
Ausserdem sei bereits seine Berner Grossmutter
wütend sein», so Barbla Conrad, die ihren Sohn
mütterlicherseits im HIF zur Schule gegangen. «Ich
fortan nach Samedan oder Zuoz zur Schule hätte
fühlte mich also stark mit der Region verbunden,
schicken müssen. So wie ihr ging es allen Eltern. In
die ich selbst vorher nur aus den Ferien kannte.»
kürzester Zeit hatten sie sich organisiert: Einige be-
Und als Vater von zwei Söhnen wisse er ausserdem,
gannen zusammen mit Mitarbeitenden der Schule
wie wichtig gute Bildungsinstitutionen für eine Re-
Geld zu sammeln und Stiftungen anzuschreiben.
gion seien.
Andere organisierten die Unterschriftensammlung. «Damit wollten wir ein Zeichen setzen und der Po-
Die Rettung ist gelungen
litik zeigen, wie viele Personen hinter der Traditi-
Seit 2015 hat sich Weiteres getan: Die Schule hat
onsschule stehen», sagt sie. Der Plan ging auf. Auf
mit Elisabeth Steger eine neue Gesamtleitung. Seit
dem Stradun in Scuol standen die Menschen
eineinhalb Jahren leitet sie das HIF bereits. Davor
Schlange, um für das HIF zu unterschreiben. An die
war sie Professorin an der Pädagogischen Hoch-
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Mit Geld und Schülern aus Asien Das Hochalpine Institut Ftan (HIF) will sich im internationalen Markt vernetzen. Ein Jahr hatte der neue Verwaltungsrat, präsidiert von Jon Peer, Zeit, um neue Angebote und eine neue Führungsstruktur aufzubauen sowie die finanzielle Basis zu schaffen. Inzwischen ist dies gelungen: Investoren sind gefunden und machten eine erste Kapitalerhöhung von vier Millionen Franken möglich. Eine zweite Kapitalerhöhung mit einer Million erfolgte über die Investorengruppe SCC Education Group aus St. Moritz, die aus drei Schweizer Familien und 14 Chinesischen Investoren besteht. Sie will jedes Jahr 20 bis 25 internationale Schülerinnen und Schüler für das HIF akquirieren. Hin zu kommen 900’000 Franken, die Peer von privaten Investoren mittels eines Anlagezertifikats bündeln konnte.
47
schule in St. Gallen und führte dort das Institut für
Schweizer Meisterschaften insgesamt 19 Medaillen
und sichere Stelle und war nicht aktiv auf Jobsu-
geholt. Eine Schülerin nahm sogar an der Welt-
che», sagt sie. Dann sah sie das Inserat des HIF. Die
meisterschaft teil.»
Schule und die Region kannte sie von den Ferien.
Wie es mit dem Label «Swiss Olympic Sport School»
Aus den Medien hatte sie ausserdem erfahren, wie
weitergeht, ist offen. Konkrete Pläne gibt es hinge-
sich eine ganze Region für die Schule eingesetzt
gen für den zweisprachigen Schulunterricht: Ab
hatte. «Ich war beeindruckt von der Dynamik. Es
kommendem Schuljahr wird am HIF die roma-
war klar: für das HIF gibt es nur einen Weg, und
nisch-deutsche Sekundarschule auch in Deutsch-
zwar nach vorne.» Daher habe sie sich für die Stelle
Englisch eingeführt, vorausgesetzt die Kantonsre-
beworben. Elisabeth Steger beschreibt sich selbst
gierung bewilligt dies. Ein Jahr später sollen das
als Gestalterin und als Person, die Herausforderun-
Gymnasium sowie internationale Abschlüsse wie
gen liebt und keiner Routinearbeit nachgehen
das «International Baccalaureate» und das «Cam-
möchte. Das HIF ist für sie ein ungeschliffener Di-
bridge IGCSE» folgen.
amant, ein Institut mit viel Potenzial. Sie könne hier alles einbringen und anwenden, was sie «im
Internationale Ausrichtung
Rucksack» habe. Dennoch zweifelte sie zuerst, sich
Dank des bilingualen Systems sollen die Schülerin-
auf dieses, aus damaliger Sicht, risikohafte Unter-
nen und Schüler dann auch mit einer internationa-
nehmen einzulassen. «Schliesslich war es ein
len Matura abschliessen können. Das ist wichtig,
Bauchentscheid, der mich Mut kostete.»
weil man Jugendliche aus der ganzen Welt gewinnen möchte. Aktuell ist die Schule dabei, ein inter-
Zur Selbstverantwortung anleiten
nationales Netzwerk aufzubauen. Ziel ist es, in den
Den Schritt hat sie bis heute nicht bereut. Im Ge-
kommenden Jahren die Zahl der Schülerinnen und
genteil: Wenn sie über die Zukunft und die Pläne
Schüler auf rund 180 gegenüber heute fast zu ver-
für das HIF spricht, spürt man ihr Feuer. Immer
doppeln. Davon sollen je ein Drittel Romanisch-
wieder betont sie, dass sich die Schule bereits enorm
sprechende, Deutschsprachige und junge Leute mit
entwickelt habe, und das nicht nur auf dem Gebiet
internationaler Herkuft sein.
der Bildung, sondern auch auf der sozialen und er-
Das Konzept und diese Drittel-Aufteilung über-
zieherischen Ebene. Das ist ihr wichtig. Die Jugend-
zeugt auch die Eltern und Mitglieder des Vereins
lichen sollen im Unterricht nicht nur konsumieren,
«Pro HIF». Alle betonen, dass von der Zukunft des
sondern individuell und selbstverantwortlich ler-
HIF auch die ganze Region abhängt. Ein Tal bleibe
nen. Von den Lehrpersonen werden sie auf diesem
nur lebendig, wenn es dort Familien, junge Men-
Weg intensiv gefördert.
schen und genügend Arbeitsplätze gibt. Würde das
Schülerinnen und Schüler, die die Sportklasse be-
HIF schliessen, würden mit einem Schlag fünfzig
suchen, haben zudem einen individuellen Stun-
Arbeitsplätze verloren gehen und einer der fünf
denplan. Die Sportförderung hat in der Schule eine
grössten regionalen Arbeitgeber verschwinden.
lange Tradition und unter den Absolventen finden
Die Zukunft des Instituts ist gesichert. Dennoch
sich bekannte Sportler. Der prominenteste ist
möchte der Verein «Pro HIF» weiterhin aktiv blei-
Olympiasieger Dario Cologna. Allerdings wurde
ben. Barbla Conrad begründet dies: «Der Verein
dem HIF 2015 wegen seiner geringen Schülerzahl
wurde seinerzeit aus der Verantwortung gegenüber
das Label «Swiss Olympic Sport School» aberkannt.
den Unterzeichnern der Initiative gegründet, nun
«Nach wie vor bringt die Schule aber starke Athle-
sieht er sich als Brückenbauer zwischen der Schule
tinnen und Athleten hervor» sagt die Schulleiterin.
und der Region.»
Sportklasse mit Sommer-Golftraining
Koordinations- und Krafttraining, abgestimmt auf
In Zusammenarbeit mit dem Golfclub Vulpera
den Stundenplan. Der Sportklasse steht die Infra-
Scuol lanciert das Hochalpine Institut Ftan eine
struktur der Schule mit Kraft- und Gymnastikraum
neue Golf-Sportklasse. Die Jugendlichen werden
zur Verfügung und die Schule bietet die nötige Un-
wöchentlich trainiert und können den Golfplatz
terstützung und Koordination angesichts der Dop-
uneingeschränkt
pelbelastung von Schule und Sport.
benutzen,
inklusive
Driving-
Range. Dazu kommt ein regelmässiges Konditions-,
48
«In diesem Jahr haben unsere Jugendlichen an den
Weiterbildung und Beratung. «Ich hatte eine gute
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Text: Riet Grass Bearbeitung: Charlotte Walder Briner Foto: Mayk Wendt
E
inst hatten die Götter zu entscheiden, wo sie
einer Führungsposition tätig. Als Verwaltungsrat
die grösste Kraft des Universums verstecken
verschiedener Firmen kann er seine Stärken und In-
sollten. Sie brauchten ein gutes Versteck, da-
teressen in strategischer und konzeptioneller Hin-
mit der Mensch diese Kraft nicht finden konnte, be-
sicht einsetzen. Der frühere Stress ist weg, stattdes-
vor er reif für sie war. Einer schlug vor, sie auf der
sen ist er erfüllt von begeistertem Engagement für
Spitze des höchsten Berges zu verstecken. Doch sie
seine Aufgabe. Josef sagt heute, dass er durch die
hatten Bedenken, dass der Mensch diesen zu früh
eingehende Selbstreflexion seine Persönlichkeit
bezwingen könnte. Ein anderer regte an, sie auf
weiterentwickeln konnte. Er hatte den Mut, die ent-
dem Grund des Meeres zu versenken. Aber auch da-
scheidenden Fragen zu stellen und auch die Ant-
hin würde der Mensch wohl zu früh vorstossen.
worten zu akzeptieren: Wo stehe ich? Wer bin ich?
Schliesslich sagte der weiseste Gott: «Ich weiss, was
Was will ich?
zu tun ist.» Nun, das Ende der Geschichte sei hier
*** Unsere Flügel können uns viel weiter tragen, als wir
noch nicht verraten. Mutig wären wir alle gerne. Mut macht uns hand-
glauben. Aber wir müssen die Zuversicht und das
lungsfähig auch in gefährlichen Situationen. Er
Vertrauen aufbringen, sie zu entfalten. Diese Kraft
lässt unsere Kraft stärker sein als die Furcht vor der
ist vor allem in Krisensituationen schwierig zu fin-
Gefahr, die uns bei einer Aktivität herausfordern
den. Krisen werfen uns aus der Bahn. Was eben
oder uns bei der Verweigerung einer unzumutba-
noch in Ordnung war, ist plötzlich in Frage gestellt.
ren oder verwerflichen Tat drohen kann.
Angst macht sich breit. Es erfordert Mut, sich von
Neben dem physischen Mut, der auf Körperkraft
dieser nicht einschüchtern zu lassen, sondern die
und -schulung vertraut, etwa beim Bungeejumping
Chance zu packen und die Weichen neu zu stellen.
oder auf dem Bobrun, gibt es den «moralischen
Es bedeutet, die Frage nach dem persönlichen Le-
Mut». Dieser entspringt aus der klaren Einsicht in
bensauftrag zuzulassen.
das Notwendige, verbunden mit Willens- und Cha-
Es braucht Mut, seinem Herzen zu folgen. Es bedarf
rakterstärke. Das für wahr und gut Erkannte, wie
einer Anstrengung, «Müssen» in «Wollen» zu ver-
zum Beispiel ein persönlicher Neuanfang oder ein
wandeln und sich selbst zu motivieren. Dennoch
Berufswechsel, wird gegen jeden Widerstand und
sollte man sich nicht mit weniger zufrieden geben.
jede Einschüchterung hochgehalten und verteidigt.
50
Doch wie wächst dieser Mut?
Vision und Motivation
Reflexion
weil er nicht mehr zur Firmenkultur passt. Seine
Josef, Ingenieur mit MBA, 54-jährig, hat zeitlebens
Motivation hat schon länger gelitten, weil er in der
Friedrich, Bankdirektor, 51-jährig, wird entlassen,
im gleichen Konzern gearbeitet. Als ein neuer CEO
Finanzwelt keinen Sinn mehr fand. Friedrich hat
an die Spitze kommt, muss Josef gehen. Es folgt eine
vielseitige Fähigkeiten: neben Führungs- und Sozi-
schwere depressive Krise. Während dieser gelingt es
alkompetenz auch ein besonderes Flair im Umgang
Josef aber langsam, die Situation zu analysieren
mit Kunden. Er fängt an, nach seiner persönlichen
und zu erkennen, wer er ist und was er kann, aber
Vision zu suchen. Dabei wächst in ihm, der über
vor allem was er will. Heute ist Josef nicht mehr in
viele Jahre seine dementen Eltern im Heim besucht
piz 54 : Winter | Inviern 2017/2018
hat, der Traum, selbst ein Alters- und Pflegeheim zu
men, stellt sich der Vergangenheit und findet wie-
führen. Ein hartes Stück Arbeit kommt auf ihn zu.
der zu ihrer ursprünglichen Lebensfreude zurück.
Aber sein inneres Feuer, seine Leidenschaft für
Heute vermittelt sie Immobilien in einem exklusi-
diese neue, sinnvolle Aufgabe und sein Mut bewir-
ven Segment und arbeitet zwar Vollzeit, aber nicht
ken, dass er seinen Traum verwirklichen kann.
darüber hinaus. Sie hat wieder Zeit für sich und
Während sieben Jahren führt er seine Institution
ihre Hobbys. Mittlerweile ist Rita für die harte, aber
mit grossem Erfolg und noch grösserer persönlicher
lehrreiche Erfahrung dankbar und hat sich mit der
Erfüllung. Heute sagt er: «Als Altersheimleiter habe
Vergangenheit versöhnt. Sie lebt glücklich in einer
ich zwar viel weniger verdient, aber ich war viel
neuen Partnerschaft.
glücklicher!»
*** Es braucht Mut, zu prüfen, ob die eigenen Werte
*** Friedrich hatte eine Vision und den Mut, sich nicht
(noch) mit jenen des Unternehmens zusammen-
auf die Suche nach Hindernissen zu konzentrieren,
passen, für das man arbeitet. Altes hinter sich zu
sondern auf Chancen. So kann ein «Scheitern», wie
lassen, erfordert von Betroffenen häufig auch, Ver-
zum Beispiel eine Entlassung, sich zu einem unge-
gangenes zu verzeihen.
ahnten Glück wenden, wenn es dem oder der Be-
Die Beispiele zeigen, dass man mit Mut über sich hi-
troffenen gelingt, Macht über sich selbst zurückzu-
nauswachsen kann. Indem man Krisen annimmt
gewinnen. In der Krise liegt die Chance versteckt,
und die sich ergebenden Veränderungen managt,
zu sich selbst zu finden und sich neu kennenzuler-
eröffnen sich neue Möglichkeiten. Betroffene
nen, wenn man Unerprobtes zum ersten Mal tut.
schaffen es dank mehr Selbstvertrauen, ihre Kom-
Konklusion
weiterzuentwickeln: «Es gibt auf der Welt einen
Rita erfüllt ihre Aufgabe als Hoteldirektorin in der
Weg, den niemand gehen kann, ausser du – denn es
Luxusklasse gemeinsam mit ihrem Ehemann jahre-
ist dein Weg. Gehe ihn mit Zuversicht.»
lang mit grossem Einsatz, bis sie ausgerechnet vor
fortzone zu verlassen, Altes loszulassen und sich
Weihnachten einen doppelten Tiefschlag einste-
Die grösste Kraft im Universum
cken muss: Ihr Ehemann hat sich in eine Kollegin
Und wie geht es nun aus, das Märchen von der
im Hause verliebt und übergibt Rita mit seinem Ge-
grössten Kraft des Universums? Schliesslich sagte
ständnis gleich auch die Kündigung. Ihre Welt
der weiseste aller Götter: «Ich weiss, was zu tun ist.
bricht zusammen. Nach durchgestandener Krise
Lasst uns die grösste Kraft des Universums im Men-
entdeckt Rita, dass sie sich so sehr in die Arbeit ge-
schen selbst verstecken. Er wird niemals dort da-
stürzt hatte, um Unverarbeitetes aus ihrer Kindheit
nach suchen, bevor er reif genug ist, den Weg nach
und verdeckte Probleme in ihrer Ehe nicht angehen
innen zu gehen.» Und so versteckten die Götter die
zu müssen. Sie nimmt ihren ganzen Mut zusam-
grösste Kraft des Universums im Menschen selbst.
piz 54 : Winter | Inviern 2017/2018
Buchtipp: Die Zitate stammen aus dem Buch von Riet Grass: Das Glück des Scheiterns, mit einem Vorwort von Gian Gilli, 168 S., NZZ Verlag, Fr. 49.–
51
Gästefahrt im Bob: Kopf runter und los Es ist eine kleine Mutprobe: Eine Fahrt als Passagier durch den Olympia Bob Run von St. Moritz. Erst einmal gestartet, ist man mit einem Tempo von bis zu 135 Stundenkilometern unterwegs und es gibt bis in den Zielauslauf hinein kein Zurück.
Text: Michael Lütscher Fotos: z.V.g
D
ie Fahrt beginnt recht gemütlich. Beim Start
Als Passagier kann man den Lauf der Dinge nicht
sitzt man bereits, ein Helfer schiebt den
beeinflussen. Es ist wie auf einer Achterbahn auf
Schlitten an. Auf der langen Startgeraden
der Chilbi. Man kann nichts tun, schon gar nicht
hat man die Musse, um dem entgegenzusehen, was
zurück. Allerdings verläuft die Fahrt in der Bob-
einen erwartet – die erste Kurve. Dann geht es rasch
bahn nur in eine Richtung: hinunter, ununterbro-
schneller, im «Sunny Corner», der ersten 180-Grad-
chen beschleunigend. Und so erinnere ich mich,
Kehre, staucht es einen ordentlich zusammen, die
wie ich nach dem erleichterten Aussteigen noch
zweite Haarnadel, die Steilwandkurve «Horse Shoe»,
einmal hinunter wollte, um die rasante Fahrt be-
sieht man noch auf sich zustürmen. Dann wird
wusster zu erleben.
man zusammengepresst, als wäre man ein Mostapfel. Der Rest ist Rütteln, Schütteln und vorbeira-
52
Braucht eine Gästefahrt Mut?
sende Baumstämme. «Den Kopf nach unten hal-
Schaut man im Wissen, selbst bald in einem Bob zu
ten», hatte der Pilot vor dem Start gesagt. Selbst
sitzen, anderen Bobs zu, wie sie durch Kurven don-
wenn man möchte, brächte man ihn angesichts des
nern, wird einem schon mulmig. Dem Piloten
Luftwiderstands bei einer Höchstgeschwindigkeit
könnte ja das Steuerseil entgleiten. Oder eine Kufe
von 135 km / h nicht mehr hoch. Das Adrenalin
könnte brechen, der Schlitten kippen. Doch auf die
wirkt, man kommt kaum zum Atmen und schnauft
Fahrkunst der Piloten kann man vertrauen. «Alles
heftig, wenn der Schlitten wieder stillsteht.
erfahrene Leute, ehemalige Wettkampfsportler»,
piz 54 : Winter | Inviern 2017/2018
sagt Alexandra Kolb, die für die Gästefahrten zu-
Frau mit dabei sein musste. Die Damen taten dies
ständig ist. Mit etwas Glück wird man sogar von ei-
so, wie es die Sitten verlangten: mit Hut und in lan-
nem ehemaligen Champion pilotiert. Die Ex-Welt-
gem Rock, wie Fotos von damals zeigen. 1908 fuhr
meister Reto Götschi und Beat Hefti, aber auch
der deutsche Kronprinz Wilhelm auf einem Bob
Olympia-Silbermedaillengewinner Marcel Rohner
mit – auf einem Foto sieht man ihn auf den Start
gehören zu jenen Piloten, die die Passagiere über
warten, wie heutige Gäste.
den Olympia Bob Run chauffieren.
Aber es ist nicht so, dass alle Reichen und Promi-
Rund 3000 Gäste fahren pro Saison den Run hin-
nenten, die sich Winterferien in St. Moritz leisteten,
unter, jeweils zwei pro Schlitten, zwischen Pilot
sich auch auf den Bob Run wagten. Charlie Chaplin,
und Bremser. Letzterer wird seinem Namen aller-
der im Winter 1931/32 mehrere Monate in St. Mo-
dings erst nach der Zieldurchfahrt gerecht. Er zieht
ritz weilte, lernte zwar Skifahren. Aber beim Bob
die Bremsen im bergauf führenden Auslauf, der vor
schaute er nur zu. Eine Gästefahrt ist also etwas, das
ein paar Jahren verlängert wurde, weil die Schlitten
nicht mal der abenteuerlustige Tramp wagte.
immer schneller werden. Ja, man sitzt in ziemlich neuen Wettkampfschlitten. Es sei denn, man wünsche in einem alten Bob der legendären Marke Fei-
Fahrten und Kursangebote
erabend aus Engelberg runterzubrettern. Davon hat
Eine Gästefahrt im Bob kostet 250 Franken. Anmel-
der Bob Club St. Moritz bis zu fast achtzig Jahre alte,
dung unter www.olympia-bobrun.ch/adrenalin
restaurierte Exemplare im Fuhrpark.
Wer nicht nur mitfahren, sondern am Steuer sitzen
Auch Prominente wagten das Abenteuer
erbobkurs. Auch für Skeleton gibt es eine Grund-
Gästefahrten haben in St. Moritz eine lange Ge-
ausbildung. Diese Kurse finden allerdings nur je
will, besucht einen mehrtägigen Mono- oder Zwei-
schichte. Offiziell eingeführt wurden sie schon, als
einmal pro Winter statt und sind sehr gut gebucht.
die starren Feierabend-Schlitten die schnellsten
www.olympia-bobrun.ch/schools
Bobs der Welt waren. Damals, in den 1930er Jahren,
Einfacher ist der Einstieg auf dem benachbarten
als sich das Bobfahren zum Wettkampfsport wan-
Cresta Run. Dort finden mehrmals wöchentlich
delte, wurden die Taxifahrten eingeführt. Eigent-
Anfängerkurse für das traditionelle Skeletonfahren
lich besteht die Tradition aber schon länger. In sei-
statt. Als Erstes wird man dabei auf die Risiken des
ner Gründerzeit, in der Belle Epoque vor dem
Bäuchlingsschlittelns aufmerksam gemacht: «Death
Ersten Weltkrieg, war Bobfahren ein Gesell-
Talk» heisst das traditionelle Eingangsreferat des
schaftsereignis gewesen. Ausdruck davon war, dass
Klubsekretärs für die Novizen.
auf jeder Fahrt reglementsgemäss mindestens eine
Alles Weitere auf www.cresta-run.com
piz 54 : Winter | Inviern 2017/2018
Fotos: St. Moritz Tourismus, Filip Zuan (linke Seite) und Göran Strand (rechte Seite)
53
BUCHER Novas istorgias dal cumissari
Alpendohlen – zweisprachig
Arte Albigna
Ils misteris dal banal
Attilio Bivetti: «L'aungel da Nuot Nes», Chasa Editura Rumantscha, Fr. 30.–
Angelika Overath: «Corniglias – Alpendohlen», SJW, Fr. 6.–
Werner Bätzing, Tim Krohn: «Arte Albigna», Edition Badile, Fr. 28.–, bestellen via www.sac-cas.ch/shop
Dumenic Andry: «sablun», poesias, vallader, Chasa Editura Rumantscha, 2017, Fr. 30.–
Ils cas criminals cunti
Angelika Overath
Die sorgfältig
En questas 78 poesias
nueschan en la regiun
kam vor über zehn
gestaltete Publi
pren l’autur engiadi
da l’Engiadina Ota:
Jahren aus Deutsch
kation zur ver
nais cun egliada fina
Il scrivent e veterinari
land ins Unteren
gangenen Som
per muments delicats
pensiunà Attilio Bi
gadin und setzt sich
merKunstausstel
il lectur sin in viadi
vetti preschenta en ses
seither intensiv mit
lung im Bergell –
naven dal microcos
segund tom novas istorgias dal cu
dem rätoromanische Idiom Valla
diesmal hoch oben am Albigna
mos enfin en il vast universi da
missari Nuot Nes es ses assistent
der auseinander. Im SJWHeft
Stausee, ist mit Abbildungen,
siemis. Andry ha rut giu a moda
Marco Mangiù. Ed era ils novs cass
«Corniglias – Alpendohlen» prä
Werkbeschreibungen und einem
senza remischun ils texts enfin lur
enturn il cumissari e ses assistent
sentiert sie 14 ihrer Gedichte
FotoInsert versehen. Der Band
coc essenzial, e commoventa e
reveleschan situaziuns dramaticas
zweisprachig. Es sind Beobach
ist mehr als ein Ausstellungskata
tucca uschia, cun temas e descrip
amez las «prüvedas» vischnancas
tungen aus dem Alltag und
log. Abgedruckt ist darin das
ziuns per mintgin. «Die Skepsis
da l’Engiadina Ota. Attilio Bivetti,
sprachliche Einladungen, sich
Eröffnungsreferat des Alpenfor
gegenüber dem Klimbim ver
oriund da Segl, è stà durant plirs
mit Lauten und Silben ausei
schers Werner Bätzing, der sich
schmilzt mit dem Vertrauen der
decennis veterinari per l’Engiadi
nanderzusetzen – ein neuer Zu
mit der Entwicklungsperspektive
möglichen Entdeckung von berra
na Ota e la Bregaglia. Dapi la
gang zur Poesie. Die Illustra
der Bergregionen befasst. Dazu
schungen und Geheimnissen, die
pensiun viva el tranter Sils, Fex e
tionen von Madlaina Janett in
ein Beitrag von Tim Krohn. Er ver
sich verstecken und sich im an
Castasegna. Bivetti ha in egl ed
ihren frischen Blau, Gelb und
knüpft in seiner Geschichte
scheinend Banalen zeigen, in
ina lingua originala per descriver
Grüntönen regen ebenfalls die
«Michael Panda am Lägh da
dem, was wir vor den Augen und
la dinamica sociala ed economica
Fantasie an. Ein SJWHeft auch
l’Albigna» das Ausstellungspro
unter den Füssen haben; wie der
da sias vals alpinas.
für Erwachsene.
jekt mit eigenen Erfahrungen.
Sand.» Clà Riatsch, im Begleitwort
Das private Universum
Herzkater
Es war ein Sensationsfund
Lesen und essen
Stephan Kunz, Lynn Kost (Hrsg.): «Not Vital – univers privat», Verlag Scheideg ger & Spiess, Fr. 51.90
Chatrina Josty: «Barbacor Herzkater», Rumantsch Grischun/Deutsch, Verlag Desertina, Fr.18.–
Diverse Autoren: «St. Moritz, Mauritiusquelle – Die bronzezeitliche Quellfassung», Somedia Buchverlag, Fr. 48.–
Maximilian Grüninger / Michael Lütscher: «Essen gehn! Engadin», Fr. 70.– bestellen: www.essengehn.ch
Das Kunstmuseum
Die Texte erzählen von
Vor über 100 Jah
Essen gehen emp
Chur widmete im
der jungen Generation,
ren wurde einer
fiehlt 18 ausge
Herbst 2017 dem
die in einer globalisier
der bedeutendsten
zeichnete und
Engadiner Künstler
ten Welt lebt, simultan,
prähistorischen
sympathische Res
Not Vital eine um
ephemer und entwur
Funde im Alpen
taurants im Ober
fassende Retrospek
zelt. Wir sehen einen
raum gemacht: die
und im Unteren
tive. Ihr Titel: «univers privat».
Spiegel eines Individuums, das Teil
über 3400 Jahre alte, bronzezeit
gadin – zwei mehr als die
Not Vital zählt zu den internatio
einer Gesellschaft ist, die alles ha
liche Quellfassung von St. Moritz
letztjährige Ausgabe. Der Band ist
nal am stärksten beachteten
ben kann.Als Leserin fühlt man
im Oberengadin. Dabei handelt
zugleich ein Gutscheinbuch
Schweizer Künstlern. Der Ausstel
sich ertappt. Zu jedem Buchstaben
es sich um ein mächtiges Holzge
und offeriert einen Hauptgang in
lungskatalog zeigt seine Be
des Alphabets gibt es einen Text
viert aus Blockhölzern, Bohlen
jedem der darin vorgestellten
schäftigung mit verschiedenen
mit Illustrationen von Donat Ca
und ausgehöhlten Baumstämmen,
Lokale. In Leinen gebunden und
Kulturen. Oft arbeitet er mit
duff. Ses texts raquintan dad ina
in dem wertvolle Opfergaben
mit Fotos illustriert, steht das
lokalen Handwerkern zusammen,
generaziun che viva en in mund
niedergelegt wurden. Alle 95 Höl
Buch bildhaft für Qualität und
verwendet vor Ort gefundenes
global, simultan, efemer e sra
zer der Holzkonstruktion, die
Originalität der Restaurants.
Material, sucht surreal anmutende
gischà. L’autura articulescha en
uns dank ihrer ausgezeichneten
Darunter finden sich gemütliche
Verbindungen verschiedener
moda sensibla e subtila sias du
Erhaltung noch heute im «Forum
Ausflugsbeizen wie der nun
Kulturfragmente. Er lokalisiert
mondas ed emoziuns. Ils texts èn
Paracelsus» in St. Moritz die hohe
auch im Winter geöffnete Alpen
seine Projekte bewusst in ver
curts, averts, directs – nus lecturs
Qualität bronzezeitlicher Zim
gasthof Crusch Alba in Scharl.
schiedenen Weltgegenden. Er ar
vegnin ad ans sentir traplads! Il
mermannskunst vor Augen führt,
Aber auch vornehme Lokale wie
beitet vorwiegend als Bildhauer.
concept per questa publicaziun ha
wurden in den letzten Jahren
das Grand Restaurant des Hotels
Das Buch dokumentiert aber auch
ordinà ils divers texts tar diffe
erstmals systematisch und umfas
Walther in Pontresina. Entschei
Gemälde, Druckgrafiken, Per
rents temas alfabeticamain. Cun
send untersucht. Sie geben Auf
dend bei der Auswahl war der
formances und Architektur.
ilustraziuns da Donat Caduff.
schluss über das Leben damals.
Geschmack der Herausgeber.
54
piz 54 : Winter | Inviern 2017/2018
SILVIO GIACOMET TI 1955-2008
GALERIE CURTINS S T. MORIT Z VIA S TREDAS 5 079 431 86 63
GALERIE- CURTINS.CH
GALERIE PALÜ Via Maistra 226 CH-7504 Pontresina T +41 (0)81 842 76 35 info@galeriepalue.com www.galeriepalue.com
Jacques Guidon und Bruno Ritter in der Galerie La Suosta Madulain, Via Principela 80
Jacques Guidon Jacques Guidon Jacques Guidon
Jacques Guidon, mutiger Kämpfer für die Romanische Kultur und Meister der Farbe sowie, als Gast, Bruno Ritter in der Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper - zeigen ihr aktuelles Werk. Weitere Veranstaltungen und Lesungen auf www.lasuosta.ch. Dienstag – Freitag 15:00 – 17:00 Uhr, Samstag 10:00 – 12:00 Uhr oder nach telefonischer Vereinbarung (+41 (0) 79 639 62 03)
sils museum andrea robbi stiftung
Winterausstellung Die Oberengadiner Landschaft in Malerei, Zeichnung und Fotografie — einst und heute Sils Museum – Andrea Robbi Stiftung | Chesa Fonio, neben der offenen Kirche, Sils Maria Dienstag – Sonntag 16 – 18 Uhr | www.andrearobbimuseum.ch Bild: Max Ernst, L’Engadine, 1935, oil on canvas, 24 × 19 cm, Privatbesitz
Bruno RitterRitter Bruno
PIZZERIA Nossaistorgia.ch Das rätoromanische Radio und Fernsehen (RTR) und die Stiftung Fonsart haben die rätoromanische Internetplattform nossaistorgia.ch online geschaltet. RTR dokumentiert hier teils jahr-
Historisches Hotel 2018 «Historisches Hotel des Jahres 2018» ist das Hotel Piz Linard in Lavin. Vergeben wird die Auszeichnung von Icomos Suisse, der Landesgruppe des Internationalen Rats für Denkmalpflege, zusammen mit GastroSuisse, hotelleriesuisse und Schweiz Tourismus. Der Betrieb – so die Jury – habe eine lange
zehntealte Beiträge. Da stösst
und bewegte Geschichte, «die auf Schritt und Tritt
man zum Beispiel unter
spürbar ist und bewusst inszeniert wird.» Das Hotel
dem Stichwort «Tarasp» auf
entstand 1870/71 aus der Asche des Dorfrandes von
Riesige Mengen Geröll und Schlamm baggerten
Filmaufnahmen aus dem
Lavin (1869). Die zehn Jahre, die Hans Schmid –
die grössten Maschinen des Landes nach den Berg-
Ein Tal verändert sein Gesicht
abgebrannten «Waldhaus»
heute zusammen mit seinem Geschäftspartner
stürzen im August und September am Piz Cengalo
oder von den ersten Ski-
Julian Karrer – das Haus führt und ihm wieder eine
aus dem Auffangbecken bei Bondo. Dieses Material
marathons. Auch Private und
Seele eingehaucht hat, werden nun mit dem Titel
wird etwas weiter talabwärts deponiert – eine De-
«Historisches Hotel des Jahres» gekrönt. Das Haus
ponie, die die Landschaft markant verändern wird.
Institutionen können hier Fotos, Videos und Dossiers hochladen.
sei «ein Paradebeispiel
Der Murgang hat viele Touristinnen und Touristen
für
zeitgemässen
davon abgehalten das Bergell zu besuchen – die
den
Umgang mit Historisch-
ausbleibenden Gäste aber machen die Situation im
Altem und Künstlerisch-
Tal nicht einfacher. Die Aktion «Forza Bregaglia»
Neuem,
will – auch über Facebook – die Menschen dazu
die
gekonnt
verschmelzen» und dem
bewegen, weiterhin das Tal zu besuchen, denn dort
Haus einen individuel-
Ferien machen, essen gehen oder einkaufen, nützt
len Charakter verleihen.
den Talbewohnern am meisten.
Hotel Waldhaus, Sils-Maria, Winterprogramm 2017/2018 Details und Ergänzungen: www.waldhaus-sils.ch
21.12. Peter Gysling liest aus «Andere Welten» – Begegnung mit Ländern in Osteuropa.
19.2. Martin Walker liest aus «Grand Prix». 26.2. Rudolph Jula im Gespräch mit dem Schriftsteller Martin Mosebach.
27.12. «Verba Alpina – Sprachen im Alpenraum», 5.1.
Vortrag von Thomas Krefeld.
1.3.
Freestyle-Lesung mit Arno Camenisch.
Klavierrezital mit Severin von Eckardstein.
2.3.
Zai-Skitag mit Benedikt Germanier und Arno Camenisch.
6.–12.1. «Body & Soul», Feldenkrais-Seminar. 7.1.
Fotografien von Camillo Paravicini Plattner & Plattner Art
Christoph Denoth. 12.1. Flurin Caviezel, «Kurzschluss».
der Künstler in der Sommerausstellung Linolschnitte, fotorealistische Ölbilder und farbintensive Hinterglasmalereien präsentiert hat, steht jetzt die Fotografie im Fokus.
Mahlknecht. 19.3. Lesung «Der rebellische Mönch, die entlaufene Nonne und der grösste Bestseller
Ashoff präsentiert ihre Dokumentarfilme.
aller Zeiten, Martin Luther». 23.3. Jazz mit Irène Schweizer (Piano) und Pierre Favre (Drums).
mit Ursina Badilatti. 29.1. Charles Lewinsky liest aus «Der Wille des
26.3. Musikalische Lesung mit Hans Martin Ulbrich und dem Trio Poetico.
Volkes». 2.2.
Chasper Pult spricht über Arthur Neustadt
28.3. «Kasper und der Osterhase», Freiburger Puppenbühne.
und dessen Roman «Surlej».
28.12.2017–31.3.2018,
Jazz mit dem Dani Felber Quartett.
12.3. Chasper Pult im Gespräch mit Selma
19.1. Oliver Diggelmann liest aus «Maiwald». 28.1.–4.2. Langlauf – Yoga – Meditation
Kubus im Waldhaus: Mirella Carbone stellt «Das Oberengadin in der Malerei» vor.
9.3.
www.nossaistorgia.ch 15./16.1. «Omaggio a Claudio Abbado» Birgitta
dreissigjährigen Künstlers Camillo Paravicini. Nachdem
3.3.
Lesung mit Thomas Bockelmann und
Gallery in Pontresina präsentiert die Folgeschau des erst
«Shakespeare & Dowland», musikalische
Mo–Fr 9–12.30 u. 13.30– 18 h
4.2.
Jazz mit «Echoes of Swing».
5.4.
Kabarettabend mit Josef Brustmann.
Vernissage: 28.12.2017, 17 h
9.2.
«Der Kontrabass» mit dem Schauspieler und
9.4.
Chasper Pult im Gespräch mit Dana
www.plattnerundplattner.ch/ art-gallery/
56
Musiker Giuseppe Spina. 15.–23.2. Shiatsu- und Qi-Gong-Woche. piz 54 : Winter | Inviern 2017/2018
Grigorcea. 14.4. Saisonabschluss mit «La Cumbricula».
PIZZERIA Hotels Laudinella & Reine Victoria, St. Moritz-Bad, Winterprogramm 2017/2018 Details und Ergänzungen: www.laudinella.ch sowie www.reine-victoria.ch
Jacques Guidon und Bruno Ritter Die international bekannten
26.2. «Modern Times» von Charlie Chaplin, live
20.–27.12. Jazz@Reine Victoria mit dem Anna Hirsch Quartett. 26.12. Weihnachtskonzert.
Künstler – Jacques Guidon
begleitet von der Kammerphilharmonie
als kritischer Geist und Meis-
Graubünden.
ter der Farben sowie Bruno
29.12. Kasperlitheater: Rotkäppchen, 17 h.
1.3.
Bibi Vaplan & Band.
Ritter in der Auseinanderset-
5.1.
Konstantin Scherbakov, Klavierrezital.
3.3.
Jahreskonzert der Musikgesellschaft
zung mit dem menschlichen
9.1.
Szenische Lesung mit den Schauspielern
St. Moritz, 20 h.
Körper – zeigen ihr aktuelles
4.3.
Nikolaus Schmid und Kurt Grünenfelder.
mit ehemaligem Militärküchenchef Felix
13./14.1. La Compagnia Rossini präsentiert «Il
Schlatter und Christoph Schlatter sowie dem
Campanello» von G. Donizetti (14.1.: 17 h).
Fotografen Christian Schwager, 18.30 h.
17.1. Apéro-Konzert von Andri Steiner, Lavin. 9.3.
22.1. Das Engadin leben – eine persönliche
in Madulain. Di–Fr 15:–17 h, Sa 10–12 h oder nach Vereinbarung (+41 79 639 62 03). www.lasuosta.ch
(14.3.: 17 h).
25.1./26.1. Jazz mit dem Andrea Nydegger Quartett.
17.3. Poetry Slam mit Fatima Moumouni, Gabriel
31.1. Flurin Jecker liest aus seinem Roman «Lanz».
Vetter und Nils Straatmann.
Litteratura rumantscha: Dumenic Andry, Rut Plouda, Göri Klainguti und Gianni
21.3. Das Engadin leben, Menschen erzählen.
Olinda Cadonau lesen aus ihren Texten,
29.3. Tango-Apéro-Konzert mit Cuarteto Nocturno, 17 h.
Romanisch und Deutsch, 17 h. 6.2.
Theater Impro-Match.
Werk in der Galerie La Suosta
14./15.3. Apéro-Jazz mit Neele & Sound Voyage
Geschichte.
4.2.
Table d’hôte: Cordula Seger im Gespräch
30.3. Tango-Workshop mit Rafael Herbas und
Duo Chugai mit Klavier und Violine.
Milonga ab 13 h.
7./8.2. Jazz mit Niko Seibold & Band (7.2.: 17 h). 12.2. Annette Postel «sing oper stirb».
31.3. Abrazo: Tango-Musiktheater
15.2. Die Pürin, szenische Lesung mit Noémi Fiala.
31.3. Recherche zum möglichen Schicksal der Melenta De Oro, einer Frau aus den Alpen,
17./18.2. Christoph Walter Orchestra: 8 Musiker
die in Buenos Aires der 1930-Jahre zum
mit über 20 Instrumenten (18.2.: 17 h).
Tango-Star aufsteigt.
22.2. Neues Zürcher Orchester spielt Kompositionen von Joseph Martin Kraus.
Veranstaltungsbeginn, wo nicht anders vermerkt, jeweils 20.30 h
Werbung
Zentrum für Gegenwartskunst NAIRS, Winterprogramm 2017/2018 Details und Ergänzungen: www.nairs.ch/programm
2018 feiert die Fundaziun NAIRS das 30-jährige Bestehen der Künstlerresidenz im ehemaligen
Gepflegte
<Websites> Nur ein aktueller OnlineAuftritt ist ein gutes Aushängeschild für Ihr Angebot! Meine Leistungen: Webdesign und Programmierung, Update bestehender Websites, E-Mail Newsletter & Online Marketing
piguetweb.ch
Webpublishing aus dem Engadin Jon A. Piguet, Via Sura, CH 7554 Sent Telefon +41 81 860 31 81
Kurmittelhaus in Nairs. Mit einer AlumniAusstellung wird das Jubiläum eingeläutet: Zum
Jahreswechsel
zeigt
die
Ausstellung
Kunst-Salons rund hundert Arbeiten von ehe-
Oberengadiner Kulturpreise
maligen StipendiatInnen. Das Badehaus wird
Drei Frauen aus dem Ober-
für einmal nicht seine Kühle gegenüber seinem
engadin erhielten Anfang
SPOT ON NAIRS in der Art und Dichte eines
Publikum wahren, sondern die warme Atmosphäre eines lebendigen Marktes verströmen. Sämtliche ausgestellten Werke können zu bewusst erschwinglich gehaltenen Preisen erworben werden. Ausstellung SPOT ON NAIRS – 30 Jahre
Dezember Preise von der Kulturförderungskommission des Kreisrates Oberengadin: Cordula Seger, St.Moritz, wird für ihre Arbeiten als Kulturwissenschafterin ausgezeichnet. Sara Hermann,
Künstlerhaus: 30.12.17–1.4.18.
Samedan, für ihr künstleri-
Vernissage und Jahresausklang: 30.12.2017,
sches Schaffen und Pia Valär,
15–19 Uhr. Finissage: 1.4.2018.
Zuoz, für ihre Illustrationen.
piz 54 : Winter | Inviern 2017/2018
57
VORSCHAU / PREVISTA
IMPRESSUM
Bewegung | Movimaint
Herausgeberin | editura
Im nächsten Sommer widmet sich piz dem Stichwort Bewegung | Mo-
FAMOS, Verlag & Kommunikation, piz Magazin, Gseckstrasse 20, 8707 Uetikon am See
vimaint. Der Begriff umfasst sowohl unser eigenes Aktiv-sein als
Tel. +41 (0)79 610 48 04, famos@famosbuero.ch, www.pizmagazin.ch
auch den passiven Aspekt, etwa eine Reise von Ort zu Ort, per Auto
Redaktion | redacziun Urezza Famos, René Hornung (rhg), redaktion@pizmagazin.ch
oder Bahn. Bewegung bedeutet immer auch Veränderung: bewegte Menschen streben anderes oder Neues an. Der Begriff ist aber nicht nur auf das Individuum zugeschnitten. Auch die gesamtgesellschaftlichen und die politischen Prozesse bringen ständige Veränderungen mit sich – Veränderungen, die die einen hinnehmen, die anderen verfluchen und die Dritten aktiv mitsteuern. Und so wird piz in der kommenden Ausgabe Entwicklungen nachspüren sowie Institutionen und Menschen vorstellen, die selber bewegen oder © shutterstock / Fedorov Oleksiy
die bewegt wurden – solche die sich auf veränderte Zustände ein-
Anzeigenverkauf | inserats E. Deck Marketing Solutions, Edmund Deck, Strada Principale 27b, 7516 Maloja, Tel. +41 (0)81 832 12 93, e.deck@bluewin.ch Produktion | producziun René Hornung, Eva Lobenwein Artdirektion, Grafik | grafica Eva Lobenwein, Innsbruck, www.dieeva.com Bildredaktion | redacziun da las illustraziuns Urezza Famos Bildbearbeitung | elavuraziun grafica TIP – Tipografia Isepponi, Poschiavo
stellen mussten und solche, die
Korrektorat | correctorat tudais-ch Helen Gysin, Uster
versuchen, «an den Hebeln der
Copyright
Macht» das Schiff in eine andere Richtung zu lenken. Die nächste Ausgabe, piz 55, wird
FAMOS, Verlag & Kommunikation
Druck | stampa AVD, Goldach (SG)
im Juni 2018 erscheinen. Autorinnen und Autoren, Fotos | auturas ed auturs, fotografias
Magazin für das Engadin und die Bündner Südtäler Magazin per l'Engiadina ed il Grischun dal süd
www.pizmagazin.ch Nr. 54, Winter | Inviern 2017 / 2018.
Sina Bühler, *1976, freie Journalistin im Pressebüro St. Gallen, buehler@pressebuero-sg.ch Herbert Cerutti, *1943, Publizist und Autor der NZZ-Tierkolumnen, Wolfhausen, herbert@cerutti.info Birgit Eisenhut, *1961, Autorin, Lektorin und Korrektorin, Susch, birgiteisenhut@aol.com
Erscheint zweimal jährlich. Auflage: 20 000 Ex.
Myrta Fasser, *1976, Verlagsleiterin «Engadiner Post / Posta Ladina», verlag@gammeterdruck.ch
Distribution:
Marina U. Fuchs, *1953, Kulturjournalistin und Publizistin, Zuoz, info@marinafuchs.ch
piz liegt in der Region Südbünden in Hotels und Ferienwohnungen, in Restaurants, Tourismusbüros, Banken, Bahnhöfen, Arztpraxen, vielen Geschäften und weiteren öffentlich zugänglichen
Gregor Gilg, *1964, visueller Gestalter und Comic-Zeichner, Bern, www.malepiwo.ch
Orten auf. Bei Bedarf können jederzeit Hefte nachbestellt werden.
Muriel Gnehm, *1982, Freie Journalistin in Zürich, murielgnehm@bluemail.ch
Abonnemente:
Riet Grass, *1950, Mentaltrainer und Coach, Zug, www.grassholding.ch
Magazin piz, c/o AVD Goldach AG, Sulzstrasse 10–12, CH-9403 Goldach, piz@avd.ch Zweijahresabonnement: Fr. 55.– (exkl. Versandkosten und Mehrwertsteuer). Das Abonnement ist mit einer Frist von zwei Monaten vor Ablauf kündbar. Ohne schriftliche Kündigung erneuert
Daniel Lüthi, *1958, Journalist, Buchautor und Kommunikationsspezialist, Bern, www.dlkommunikation.ch Michael Lütscher, *1962, Buchautor und Journalist, Zürich, kontakt@michaelluetscher.ch
es sich automatisch um zwei Jahre. info@editionpiz.ch
Clà Riatsch, *1956, professur per litteratura rumantscha, Università Turich, riatsch@gmx.ch
Nächste Ausgabe: Juni 2018
Nina Rudnicki, *1985, freie Journalistin im Pressebüro St. Gallen, rudnicki@pressebuero-sg.ch
Für unverlangt eingesandtes Text-, Bild- und Tonmaterial übernimmt der Verlag keine Haftung. – Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion.
Reto Stifel, *1966, Chefredaktor «Engadiner Post / Posta Ladina», Celerina, reto.stifel@engadinerpost.ch Mayk Wendt, *1982, Fotograf, Scuol, www.maykwendt.com
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piz 54 : Winter | Inviern 2017/2018
Einziehen. Ausatmen.
nungen L e t z t e Wo h e n P re is e n z u a t t r a k t iv Park Quadratscha, Samedan Exklusive Zweitwohnungen im Herzen des Oberengadins Der «Wohnpark Quadratscha» bietet an unverbaubarer Lage in der schönsten Ferienregion der Schweiz eine einmalige Wohnsituation, die keine Wünsche offen lässt. Eine äusserlich markante Architektur, die traditionelle Baumaterialien mit den Ansprüchen moderner Formensprache verbindet. Im Innern erlauben moderne, flexible Wohnungsgrundrisse eine individuelle Gestaltung der persönlichen Raumbedürfnisse. Grosszügige Fensterflächen geben den Blick auf die imposante Bergkulisse frei und sorgen für helle, lichtdurchflutete Räume. Neben der überzeugenden Grundrissgestaltung sorgen hochwertige Apparate und Materialien für ein erstklassiges Wohngefühl. Der Ausbaustandard darf als hochwertig bezeichnet werden. Es stehen noch eine 2½- und drei 4½-Zimmer-Wohnungen im Rohbau zum Verkauf. Somit können Ihre Ausbauwünsche optimal berücksichtigt werden.
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