ROCK WARRIOR’S WAY + espresso lessons by Versante Sud srl

PERFORMA

ROCK WARRIOR’S WAY + Espresso Lessons Der stärkste Muskel ist der Kopf. Selbstbewusstsein, Verantwortung, Risiko, Angst

Arno Ilgner EDIZIONI VERSANTE SUD

Erste deutsche und erweiterte Ausgabe: Oktober 2021

Copyright © VERSANTE SUD S.r.l. via Rosso di San Secondo, 1 20134 - Milano www.versantesud.it Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, der elektronischen Speicherung, der Vervielfältigung und der teilweisen oder gänzlichen Bearbeitung. Umschlag: R yan Moss im Joshua Tree National Park, California, USA (© Ryan Moss / Red Bull Illume) Übersetzung: Flo Scheimpflug (Rock Warrior’s Way) Paul Lewandowski (Lezioni rapide) ROCK WARRIOR’S WAY Originalausgabe: The Rock Warrior’s Way Copyright © ARNO ILGNER 2003 Desiderata Institute, La Vergne, TN, USA Logo Warrior’s Way: Jeff Stamper ESPRESSO LESSONS Originalausgabe: Espresso Lessons From The Rock Warrior’s Way Copyright © ARNO ILGNER 2009 Desiderata Institute, La Vergne, TN, USA Druck: Press Grafica s.r.l. – Gravellona Toce (VB), Italien

Arno Ilgner

ROCK WARRIOR’S WAY®

+ Espresso Lessons

Der stärkste Muskel ist der Kopf. Selbstbewusstsein, Verantwortung, Risiko, Angst

EDIZIONI VERSANTE SUD

Achtung Erklärung zum Risiko

Klettern ist ein potenziell gefährlicher Sport und kann zu Verletzungen oder gar zum Tode führen. Alle Risiken auszuschalten, gelingt nicht, aber sie lassen sich verringern. Es liegt in eurer Verantwortung, das, was ihr zu tun gedenkt, bewusst zu tun und aus eigener Motivation. Dieser Leitfaden hat nicht zum Ziel, euch zu zu inakzeptablen Risiken zu verleiten, sondern will die Instrumente liefern, die helfen, ein Risiko zu analysieren und zu verstehen. Nur ihr allein könnt bestimmen, welches Risiko für euch tragbar ist. Solltet ihr euch entscheiden, klettern zu gehen und etwas zu riskieren, dann schlage ich vor, es langsam anzugehen. Ziel ist, etwas über sich selbst zu lernen und nicht, Unvorsichtigkeit an den Tag zu legen. Trefft bewusste Entscheidungen, die Sinn machen. Folgt nicht blind meinen Vorschlägen oder denjenigen Anderer. Nehmt die ganze Verantwortung, wie ihr die in diesem Buch enthaltenen Vorschläge verwendet, auf euch.

Inhalt ROCK WARRIOR’S WAY

��

Einleitung �� 14 Vorwort �� 18

001 EINLEITUNG ZUM ROCK WARRIOR’S WAY

��

Einleitung �� Der Weg des Rock Warrior® �� Beschreibung der Methode: Die sieben Prozesse �� Übungen ��

BEWUSSTSEIN SCHAFFEN 002

��

22 24 26 27 28 30

Bewusstsein schaffen �� 32 - Leistung - Gewohnheiten ändern - Der Zeuge - Performance, Selbstbild und Selbstwert - Lerne zu lieben, liebe zu lernen - Kraft - Kraftlöcher - Kraftlecks

- Wie man zum Beobachter wird Übungen �� 50

003 DAS LEBEN IST SUBTIL

��

Einleitung �� Gleichgewicht �� - Die physische Haltung - Der kontrollierte Körper-Geist - Die mentale Haltung Stell dir Möglichkeiten in Aussicht �� Verwende power-worte, die aktiv und nicht passiv sind! �� Gib deinen Worten eine sinnvolle Richtung! �� Sprich in fragen! �� Worte der Kraft �� Zentrum �� Übungen ��

004 VERANTWORTUNG AKZEPTIEREN

��

Einleitung �� Ausweichen und Akzeptieren �� Objektives Beschreiben �� Verantwortungsbewusstes Klettern �� Risikoanalyse ��

52 54 56

60 62 62 62 64 66 68 70 72 73 74 76 77

- Teil 1 – Die Route - Teil 2 – Konsequenzen eines Sturzes - Teil 3 – Der Kletterer Radikal ehrlich sein �� 81 Sich der Realität stellen �� 84 Übungen �� 85

005 GEBEN

��

Einleitung �� Erwartung �� Fokus �� Empfangen �� Raum, um zu glauben �� - Radikales Denken Übungen ��

ENTSCHEIDUNGEN 006

��

86 88 89 90 90 93 96 98

Einleitung �� 100 Das Risiko der Komfortzone �� 100 - Die richtige Entscheidung? - Der Sturz: eine Untersuchung - Wie akzeptiert man einen Sturz? - Hingabe, okay - Doch wozu genau? Willkommen in der Risikozone �� 106

- Unbeugsame Entschlossenheit Die Kugel und der Laserstrahl �� - Die Kugel - Der Laserstrahl Liebe un Hingabe �� Der Moment der Wahrheit Ein Schnappschuss �� Übungen ��

ZUHÖREN 007

��

107 109 111 112 116

Einleitung �� 118 Zuhören �� 122 - Intuition - Alles unter Kontrolle haben vs kontrollierend sein Vertrauen �� 127 Übungen �� 129

DIE REISE 008

��

Einleitung �� Das Hamsterrad �� Wie man unter Druck Anmut walten lässt �� Übungen ��

132 134 134 141 144

SCHLUSSBETRACHTUNG �� 146

INHALT

ESPRESSO LESSONS

FALLEN �� 206

150 Einleitung �� 154 ��

BEWUSSTSEIN �� 162 Mentaler Dialog �� Children of the Sun �� Bewusstsein �� Das Reich des Geistes �� Gedanken-Tricks �� Der Zeuge �� Der Prozess des Erwachens �� Zusammenfassung �� Zusammenfassung in Punkten ��

164 166 167 168 169 170 170 171 172

VORBEREITUNG �� 174

Magic Dragon �� Analyse �� Zusatz zum Sichern �� - Festmachen Die Nachstiegs/Vorstiegs- Entwicklung �� Experimentelles Lernen �� AAEH �� Angst vorm Stürzen �� Sich der Angst stellen �� Zusammenfassung �� Zusammenfassung in Punkten ��

210 211 213 216 216 217 217 219 220 220

AKTION �� 222 Körperkenntnisse �� Umstellung auf die Fähigkeit des Handelns �� AAEH und die Fähigkeiten des Handelns �� Die Fähigkeit der Bewegung �� Qualität und Dynamik �� Zyklen der Vorbereitung und der Aktion �� Rotpunkten �� Onsighten �� Den Prozess des Erwachens in der Aktion anwenden �� Zusammenfassung �� Zusammenfassung in Punkten ��

225 226 226 228 229 230 231 232

Defective Sonar �� 177 Intuitiv vs. analytisch �� 179 Widerstand und Akzeptanz �� 180 Risiken �� 181 Der MAP- Prozess: Sportklettern �� 183 Der MAP- Prozess: Tradklettern �� 184 Vorbereitung für Onsight und Rotpunktversuche........................................................ 185 Zusammenfassung �� 185 Zusammenfassung in Punkten �� 185

ZUSAMMENFASSUNG �� 238

ÜBERGANGSPHASE �� 188

ANHANG �� 244

Entscheidungen �� 190 Echo Wall �� 192 Motivation und Ziele �� 194 Intuitive Intelligenz �� 195 NO-Sturz und YES-Sturz-Konsequenzen �� 196 Entscheidungspunkte �� 197 Verschiedene Arten der Aktivierung �� 199 Übergang zu Yes-Sturz Rotpunkt und Onsight �� 201 Absicht �� 201 Übergang und Erregung �� 202 Zusammenfassung �� 203 Zusammenfassung in Punkten �� 203

Mentale Beeinflussung �� Wie man übt �� - Mountain Building - Der Weg zum Meister Coachen �� Übungen �� - Kap. 01 - Bewusstseinsübung - Kap. 02 - Vorbereitungsübung - Kap. 03 - Übergangsübungen - Kap. 04 - Sturzübung - Kap. 05 - Aktionsübung Zusammenfassung ��

233 233 234

246 249 251 254

282

Bibliografie �� 284

Grotta dell’Edera, Finale Ligure Foto: Sylvain Mauroux 9

ROCK WARRIOR’S WAY

Danksagung Eine kreative Arbeit bringt man nicht alleine zu Ende. Auch diese hier erfuhr Unterstützung durch Freunde und Familie, war inspiriert durch meine Helden und durch Erfahrungen, die eine Herausforderung darstellten. Ich habe dazu einen bestimmten Teil beigetragen, und das hat mich gezwungen, alle meine selbstbeschränkenden Verhaltensweisen auf den Prüfstand zu stellen. Die Arbeit damit war ein mitentscheidender Punkt für die Entwicklung dieser Methode und dieses Wegs. Meine Helden haben mich dazu inspiriert, in Routen, die für mich als Experimentierfeld dienten, alles zu geben und das im Buch Dargestellte zu erproben. Ich danke meiner Familie und meinen Freunden deshalb von ganzem Herzen. Die Unterstützung durch Jeff Achey hat einen unschätzbaren Wert. Von Anfang an (1996) zeigte er Interesse an diesem Material und veröffentlichte Auszüge davon in der Zeitschrift „Climbing“. Viel bedeutender ist aber, dass er es war, der diese Gedanken nach Absprache mit mir zu Papier brachte, mit meinen Vermerken, meinen Geschichten. Durch seinen vortrefflichen Schreibstil entstand schließlich ein Text, der meine Erwartungen bei Weitem übertraf. Ich danke allen meinen damaligen Schülern und den Kletterhallen, wo ich lehren durfte: Atlanta Rocks, Classic Rock Gym und Climbmax. Danke für euer Vertrauen und dafür, dass ihr an mich geglaubt habt. Ich spüre, dass ich etwas geben konnte, obwohl das damals vorliegende Material im Vergleich zum heutigen noch sehr unausgegoren war. Mit Hilfe vieler Leute konnte ich die Methodik nach und nach verbessern, was wiederum zu wichtigen Ergebnissen führte. Steve Jones war mir eine große Hilfe beim Bestimmen der Hauptthemen der sieben Prozesse auf dem Rock Warrior‘s Way und der Entwicklung effizienter Lernverfahren. Clay Rubano unterstützte mich auf vielfältige Weise, insbesondere beim Entwerfen der Grafiken von „Kugel“ und „Laserstrahl“. Chris Warner half mir dabei, die verschiedenen Prozesse zu überdenken, um sie effektiver unterrichten zu können. Doyle Parsons leistete über die gesamten Jahre große Hilfe beim Überarbeiten des Materials und dabei, meine Gedankengänge zu konkretisieren. Ich möchte Rita Bills, Thomas Schmidt, Steve Anderson und Joe Finnegan für ihre Mühe beim Überarbeiten und Korrigieren des Manuskripts danken. Wertvolle Hinweise und Vorschläge erhielt ich von Steve Petro, Lisa Gnade, Lynn Hill, Ed Webster, Eric Hörst, John Gill, Todd Skinner, Paul Piana, John Long, Jim Gilchrist, Kirk Brode, Lance Brock, Stuart, Heidi Chapin, Jeff Jenkins, Suzy Wilkinson und meinem Bruder Mark. Sehr geschätzt habe ich die Treffen mit Fred Knapp von Sharp End Publishing und Mike Jones von Wilderness Press, bei denen sie mir ihre Meinung zu Inhalt und Layout sagten. Danken möchte ich auch Michelle (Kadar) Moore, meiner ersten Schülerin, deren Fragen mich überhaupt dazu brachten, diesen Weg einzuschlagen. Nicht zuletzt gebührt meiner Frau Jane ein ganz großes Dankeschön für ihre Geduld und ihr Vertrauen in mich. Ohne ihre Unterstützung in all diesen Jahren hätte ich meine Leidenschaft nicht zum Beruf werden lassen können.

Ich widme dieses Buch dir, dem Suchenden, der ein besseres Klettererlebnis will. Sei offen, sei neugierig, sei aufmerksam und gibt Acht.

EINLEITUNG

Von John Long

Stellen wir uns mal jemand vor, der seinen “Standard” erhö-

Dass die Neudefinition eines Erfolgserlebnisses den Lernpro-

hen will und sich eine schwere kurze Route im heimatlichen

zess erschwert, mag diskutabel sein, aber so ist es nun einmal.

Klettergarten vorgenommen hat oder sogar einen berühmten

Das trifft auch auf andere Grundsätze beim Rock Warrior’s

langen Weg in den Alpen. Der gesunde Menschenverstand sagt

Way® zu. Ich will das hier nicht genauer untersuchen, aber es

ja, dass der direkteste Weg zu einem dieser Ziele über viel und

ist der Mühe wert, einige Punkte zu erwähnen, die dabei hel-

hartes Trainieren führt. Einfach, oder? Nein!

fen, greifbare Ziele in Angriff zu nehmen. Das heißt für uns

Schon seit langem ist bekannt, dass dies vor allem eine Frage

zunächst, zu akzeptieren, dass das Leben hart ist und es

des intelligenteren und nicht des intensi-vierten Trainings ist.

schwierig ist, diesen Zustand zu verändern - oder unsere Fä-

Intensiver zu trainieren bewirkt oft nichts anderes als die ein-

higkeiten, was mehr oder weniger gleichbedeutend ist. Aus

schränkenden Gewohn-heiten zu verstärken. Mit anderen

vielen Gründen weigert sich ein gewisser Teil unseres Ichs zu

Worten: Ihr werdet nur die immer gleichen Fehler wiederho-

glauben, dass die Welt nur für uns geschaffen und es von der

len und so die gleichen, alten Ergebnisse erhalten.

Geburt an unser Recht sei, uns ausschließlich der Perlen des

Jedes gute Trainingsprogramm, inklusive das des Rock Warri-

Daseins zu bemächtigen. Das ist wohl so, aber diese Perlen las-

or’s Way®, erlaubt es, aus unseren Erfahrun-gen direkt und

sen sich nur schwerlich finden. Wir treffen auf starken Wider-

schneller zu lernen. Es liefert einen Leitfaden zum Erfolg, ver-

stand, viele Gedanken und mechanische Verhaltensweisen.

hilft zu Selbstbeherrschung und dazu, einen Kurswechsel dann

Dies bedeutet immer eine hohe, bewusste und disziplinierte

vorzunehmen, wenn wir wieder mal auf dem alten, eingefah-

Anstrengung. Nur wenige finden, durch Zufall oder Glück,

renen Weg unterwegs sind. Das Wesen eines intelligenten

diese Perlen, und wenn, dann sehen sie sie oft nicht oder ver-

Trainings besteht darin, bewusst das Was, Wie und Warum

lieren sie aus den Augen. Dieses Buch bringt euch auf den rich-

unserer konkreten Erfahrungen zu analysieren.

tigen Weg, aber es liegt an euch, die Arbeit zu machen.

Das lässt die Dynamik des reinen “Agierens” hinter uns und

Die große Lüge der New Age Bewegung ist die Grundidee, dass

verlangt Erlernen und Praktizieren von Über-legungen sowie

das Erreichen von Unbeschwertheit keine Anstrengungen er-

ein Abwägen, ob wir den richtigen Weg eingeschlagen haben.

fordert. In Wirklichkeit erreicht man eine Verfassung, mit der

Gewissen Maximen zu Fol-ge scheint der richtige Weg zur Er-

sich große Herausforde-rungen relaxed angehen lassen, nur

kenntnis aber sehr mühsam zu sein.

mit großen, bewussten Anstrengungen, Disziplin und Geduld.

Den Ort der Herausforderung kann man nicht verändern: der

Wahrscheinlich nur denjenigen, deren Leben sehr eng mit dem

Everest wird nicht niedriger, der Nordpol nicht ge-mütlich.

Klettern verbunden ist. Auf Amateurebene zeigt sich die Klet-

Wir selbst müssen uns verändern, was viel Arbeit bedeutet.

terei oft ganz anders als das “normale” Leben.

Wäre der Weg einfach, wären wir alle immer die Besten. Des weiteren ist klar, dass die Veränderung ein Prozess ist,

Wer gelegentlich klettert, sieht vor allem den Erholungswert:

welcher das ganze Leben andauert. Ist eine Stufe erklommen,

Was Stress geschaffen hat, ist bald verges-sen und man fühlt

tut sich darüber ein bis dahin nicht erkanntes Potenzial auf.

sich fast als eine andere Person. Liegt aber eine schwierige

Was bedeutet, dass man nie endgültig den Gipfel erreicht hat.

Stelle vor einem und es scheint, dass die Fähigkeiten, diese zu

An gewissen Stellen des Wegs ändert sich die Qualität des Pro-

bewältigen, nicht ausreichend sind, dann kommen unweiger-

zesses radikal. Das zeigt sich insbesondere dann, wenn nach

lich die alten Gewohnheiten zurück. Die Herausforderung geht

langen Monaten der Anstrengung ein Zustand der Ruhe ein-

man dann mit früher gewonnenen, meist un-bewussten

trifft, der oft unerwartet und mühelos und überschritten wird.

Kenntnissen an. Wenn wir sehr viel wagen, übernehmen fast

Danach ist dann eine höhere mentale und physische Leistung

immer sehr tief verwurzelte Ge-wohnheiten die Kontrolle über

möglich. Der Weg, der zuerst abweisend und hart erschien,

das Geschehen.

zeigt sich nun leichter machbar. Wie könnte es anders sein? In seichtem Gewässer sind wir alle In diesen Momenten neigen wir dazu, die mühsamen Anstren-

Helden. Erst wenn Stromschnellen vor uns liegen, entdecken

gungen zu vergessen, dabei ist es aber wich-tig, uns daran zu

wir, was eigentlich in uns steckt und aus welchem Holz wir ge-

erinnern, was eigentlich dazu geführt hatte, dass die “Partie”

schnitzt sind. Mit dem Rock Warrior’s Way® erhalten wir zwar

gewonnen wurde oder weshalb sie verloren ging.

eine Methode, die uns zu guten Kletterern und Kletterinnen ma-

Das führt zum dritten und wichtigsten Punkt: Die gute Ver-

chen kann, aber die Prinzipien müssen wir selbst umsetzen. Es

fassung am Tag des “Wettkampfs” muss die glei-che sein, die

erfordert bewusste und gehörige Anstren-gungen, um sich die

ihr beim Training an den Tag gelegt habt. Mit anderen Worten:

“Perlen” zu eigen zu machen. Dazu muss man tief tauchen und

So, wie ihr euer Leben lebt, klettert ihr auch. Das ist relativ

es ist wichtig zu er-kennen, ob wir zu wenig oder zu viel agie-

leicht zu verstehen, aber dies richtig zu machen und in die Pra-

ren. Unsere Reaktionen sind durchdrungen von mentalen Mus-

xis umzu-setzen, gelingt nur den Entschlossensten unter euch.

tern, vor allem von Angst und dem Instinkt zur Bewahrung.

EINLEITUNG

ROCK WARRIOR’S WAY – ARNO ILGNER – EINLEITUNG

Was es bedeutet, sich davon zu befreien, lässt sich mit einem

Arno Illgner hat viele Jahre damit verbracht, in altem Wissen

Bild veranschaulichen: ohne totalen Einsatz entkommt man

und neuen Strömungen zu stöbern, von der Chaostheorie über

den Klauen eines Löwen nicht.

die Systemtheorie bis hin zum Stimmendialog. Durch einen

Wir zögern, sind unsicher und fallen schnell in alte Bequem-

langen Prozess der Selbst-analyse und über Versuch und Irr-

lichkeitsmuster zurück. Erkennen wir aber, dass wir trotz aller

tum gelangte er zu einer Methode, die Schritt für Schritt vor-

Hindernisse bis auf den Grund getaucht sind, dann werden wir

angeht und es Athletinnen und Athleten erlaubt, sich deren

verstehen, dass es unser Einsatz war, mit dem wir dies erreicht

grundlegenden Gedanken auf Basis eigener Erfahrung zu eigen

haben.

zu machen und den weiteren Weg selbst zu beschreiten.

Dies führt uns zurück zum Bild, dass ein scheinbar indirekter

Wer sich in der heutigen Zeit mit der Methode des Rock War-

Weg doch ein direkter zur Vollkommenheit ist. Der indirekte

rior’s Way® befasst, sollte sich bewusst sein, dass, obwohl die-

Weg erfordert, das ihr euch die Prinzipien des “Kriegers” zu

se Prinzipien seit über 3500 Jahren bekannt sind, sie erst vor

eigen macht, sie in allen Augenblicken auslebt und, in allen As-

wenigen Jahrzehnten an Wänden wie dem El Capitán ausge-

pekten des täglichen Lebens wie auch beim Klettern, prakti-

testet werden konnten. Ich kann mir vorstellen, dass die Wei-

ziert. Es ist ganz einfach: je mehr ihr diese Prinzipien in euer

sen der Antike insgeheim lächeln, wenn sie sehen, wie die

Leben integriert, umso mehr werden sie euch dann nützen,

heutigen Abenteurer die Vorteile der Harmonie von Körper

wenn die Riesenwelle euch zu überrollen droht.

und Geist an den höchsten Wänden der Welt verwerten kön-

Wenn wir ein in Watte gepacktes Leben führen, braucht es kei-

nen und dass dieses althergebrachte Wissen bei neuartigen,

ne besondere Vorsicht und keiner be-stimmten Vorkehrungen.

aufregenden Aktivitäten wieder geschätzt wird.

Aber sobald es ans Eingemachte geht, sollten wir unbedingt

Wir alle lernen dank direkter Erfahrungen, mit einem gewis-

vorbereitet sein. Bereiten wir uns auf der Basis dieser Prinzi-

sen Stressniveau fertig zu werden und kon-zentriert zu blei-

pen vor, dann verinnerlichen wir eine Lektion, die uns bei der

ben. Diese Fähigkeiten bewirken, dass wir die Prinzipien dieser

Schlüsselstelle helfen wird.

Methode schnell erfassen, aufnehmen und sie schlussendlich

Das Schöne ist, dass die Prinzipien des “Kriegers” sich aus vor-

auch genießen können.

urteilslosen Quellen speisen und universell sind in Bezug auf Transformation und Selbstkontrolle. Trainiere ich täglich auf

Die Welt ist nicht nur für euch alleine gemacht, aber der Rock

etwas Bestimmtes ist, ist das Wissen, dass die dafür benutzten

Warrior’s Way® ganz bestimmt.

Instrumente in jeglicher Hinsicht wertvoll wie Gold sind, doch sehr be-ruhigend. Dieser Trainingsleitfaden verwendet nicht, wie viele andere in

John Long, Venice, California, 2002

diesen Zeiten, die Gedankengänge Ande-rer, führt nicht zu schnellen Lösungen oder schlagartigen Erleuchtungen.

Foto: Arch. Jason Smith

VORWORT

Von Arno Ilgner Willkommen auf dem Rock Warrior’s Way!®

Prozess in seiner Gesamtheit auszuleben, dann werden wir

State per imbarcarvi in un viaggio nell’allenamento mentale.

dem geforderten Einsatz nicht die Aufmerksamkeit widmen,

Ho scritto due libri in materia: Rock Warrior’s Way e Lezioni

der zu einem solchen Ergebnis nötig ist. Es handelt sich vor

rapide. Trattano entrambi l’allenamento mentale, ma in due

allem um eine mentale Einschränkung, die sich aber auch auf

modi diversi. Abbiamo deciso di combinarli in un unico volu-

unsere Aktionen auswirkt. Der Körper wird angespannt, viel-

me per potervi offrire una risorsa ampia e completa.

leicht sogar verspannt sein, anstatt relaxed. Abgelenkt und gleichzeitig physisch angespannt sein bedeutet aber nicht nur,

Ihr habt euch entschlossen, eine längere Reise anzutreten. Die-

weniger Leistung bringen zu können, sondern auch, mit deut-

ses Buch beschäftigt sich mit Mentaltraining und den Möglich-

lich weniger Lust und Laune zu klettern.

keiten,

dies

auf

das

Klettern

mit

Seil

anzuwenden.

Eingeschlossen sind dabei alle Disziplinen wie z.B. Hallenklet-

Um also das Beste geben zu können, sind sowohl physisches

tern, Wettkampfklettern, Eisklettern oder Bergsteigen, denn

als auch mentales Training von größter Bedeutung., wobei es

bei allen gelten dieselben Grundprinzipien (die sich nicht zu-

wichtig ist, eine Hierarchie der beiden einzurichten: mentales

letzt auch beim Bouldern finden). Bevor wir zum Inhalt dieses

Training muss Vorrang haben. Der mentale Aspekt bestimmt

Buches kommen, soll der Begriff Mentaltraining“ etwas näher ” untersucht werden. Ihr fragt euch vielleicht: Ist mentales ” Training denn wirklich so wichtig?“

unsere Motivation, das Bewusstsein, die Intensität unseres

Gleich zu Anfang will ich betonen, dass es nicht nur wichtig,

diese drei Aspekte genauer an. Motivation - Was motiviert uns

sondern sogar sehr wichtig ist, noch wichtiger als physisches

denn überhaupt? Unterstützt Motivation eigentlich unsere

Training. Eine kühne Behauptung, die ich deshalb gern unter-

Leistung und unser Vergnügen? Bewusstsein - Welche Gedan-

mauern würde. Was wir mit dem Kopf bewältigen können, be-

ken gehen uns durch den Kopf? Richten wir Kritik an uns

stimmt auch das, wozu wir körperlich imstande sind. Mit

selbst? Helfen sie dabei, mehr Vergnügen zu finden und besse-

anderen Worten: unsere psychische Verfassung bestimmt

re Ergebnisse zu erhalten? Intensität des Einsatzes - Auf wel-

auch unsere körperliche Leistung. Ist Erstere nicht gut, wer-

che Weise setzen wir uns ein, um ein bestimmtes Ziel zu

den wir nur schlecht trainieren. Stellt also z.B. unsere psychi-

erreichen? Zielen wir auf eher auf das endgültige Ergebnis ab

sche Verfassung das Endergebnis über das Vergnügen, den

oder vielleicht auf den Prozess, der zu diesem Ergebnis führt?

Einsatzes. Mit diesen finden wir einen Weg in die Tiefen unserer Psyche und lernen uns selber besser kennen. Sehen wir uns

Eine Analyse hilft dabei, ein Bewusstsein zu schaffen, mit dem

Der Grundsatz lautet, dass wir mit steigendem Bewusstsein

Training und Kletterleistung verbessert werden.

einschränkende Faktoren erkennen und Strategien anwenden,

Unsere Motivation wird meist auf das physische Training ge-

um genau diese Einschränkungen zu überwinden. Ohne Be-

richtet und zu dessen Vorteil sein.

wusstsein wird die Arbeit umsonst sein und eine Verbesserung nur langsam voranschreiten. Vielleicht prägen sich auch Dinge

Das Bewusstsein darüber, wie wir unseren Körper einsetzen,

ein, die falsche Verhaltensweisen fördern und nur Zeit kosten.

wird wachsen, Mängel bei Körperhaltung, Atmung oder Ent-

Mit einer soliden Bewusstseinssbasis werden wir uns aber nur

spannung erkannt. Unser Einsatz wird intensiviert: Die Kon-

auf das einlassen, was unsere Aufmerksamkeit wirklich

zentration auf einen Prozess hält die Aufmerksamkeit auf die

fördert.

in diesem Moment durchgeführten Moves.

Wie wir diese Aufmerksamkeit verwenden, wirkt sich auf die Qualität dessen aus, was wir denken oder tun. Wird die Auf-

Daraus folgen viel bessere Trainingsergebnisse, eine deutliche

merksamkeit aber durch unseren Motivations- und Leistungs-

Leistungsverbesserung und, nicht zuletzt, viel mehr Spaß bei

ansatz abgelenkt, ist es an Zeit, etwas zu ändern.

diesem Prozess.

MENTALTRAINING

Der Rock Warrior’s Way® zeigt einen Weg, wie wir unsere Aufmerksamkeit fokussieren können. Beim Klettern stoßen

Es existieren viele verschiedene Ansätze zu dieser Art von

wir auf viele Faktoren, die unsere Gedanken und Taten ein-

Training. Wir können auf kognitive Methoden zurückgreifen,

schränken. Um diese zu erkennen, helfen Bewusstsein und Be-

um die Fähigkeit zu erhöhen, negative Gedanken zu erkennen

wusstheit; nur dadurch wird es uns gelingen, den richtigen

und sie durch positive zu ersetzen. Wir können uns ausschließ-

Weg zum lohnenden Ziel einzuschlagen.

lich auf des Ergebnis konzentrieren. Was im Grunde zählt, ist doch ein gutes Ergebnis, oder? Und dieses Ziel rechtfertigt alle

ZWEI BÜCHER

Mittel. Wir können aber auch nur den Prozess des Lernens in

Das vorliegende Buch fasst zwei meiner Bücher zusammen:

den Vordergrund stellen. Ist das nicht wichtiger als das Ergeb-

Rock Warrior’s Way und Espresso Lessons. Beide behandeln

nis? Mit dem Warrior’s Way® beschreiten wir einen besonde-

im Grundsatz den “Weg des Rock Warriors”, aber auf unter-

ren Weg.

schiedliche Art.

VORWORT

Während Ersteres auch philosophische Züge trägt und Bezug

Zu guter Letzt folgt ein Teil mit Übungen in Bezug auf Vorbe-

auf andere Autoren nimmt, die sich mit Mentaltraining befas-

reitung, Definierung der Absichten, praktischem Training und

sen, zeigt das Zweite einen Weg, wie sich diese Grundideen mit

die Elemente, um die passenden Schlüsse zu ziehen.

der Praxis verbinden lassen. Beide Bücher richten sich nicht nur an den Kletterer und Klet-

Begeben wir uns also auf die Reise und widmen wir uns einer

terinnen, sondern lassen sich auch auf das Leben im Allgemei-

Analyse! Dann werden wir auch besser klettern. Aber vor allem

nen anwenden.

werden wir den gesamten Prozess besser genießen können. Und ist das nicht der Bonus, der die gesamten Trainingsan-

Im Rock Warrior’s Way® lernen wir sieben Prozesse kennen

strengungen noch viel lohnenswerter macht?

und vertiefen diese. Bei den beiden ersten Prozessen (Bewusstsein schaffen und Das Leben ist subtil) geht es darum, unser Bewusstsein zu erhöhen. Im dritten und vierten Prozess (Verantwortung akzeptieren und Geben) beschäftigen wir uns mit der Vorbereitung. Der fünfte Prozess (Entscheidungen) beschreibt die Phase des Übergangs von Vorbereitung zu Aktion und zeigt auf, wie die richtige Entscheidung in Bezug auf das Risiko getroffen werden kann. Im sechsten und siebten Prozess (Zuhören und Die Reise) wird das Augenmerk darauf gerichtet, wie sich die Konzentration in dem Moment erhalten lässt, wenn man ein Risiko auf sich nimmt und ihm begegnet. Die Übungen in diesem Teil sind eher gedanklicher Natur und umfassen die Strukturierung einer Trainingssession, das Erkennen eines angemessenen Zieles sowie kurze praktische Hinweise. In Espresso Lessons werden praktische Methoden aufgezeigt, um die im Rock Warrior’s Way® vorgestellten Prinzipien zu verstehen und konkret anzuwenden. Zu Anfang dieses Buchabschnitts beschäftigen wir uns sich mit der Entwicklung des Bewusstseins im Allgemeinen. Dann folgen die Kapitel Vorbereitung, Übergang und Aktion - die drei Phasen beim AufSich-Nehmen des Risikos sowie ein Kapitel über Stürze. Wir lernen mit diesen fünf Prozessen das Wesen des Kletterns kennen und auch die richtigen Elemente, auf die es sich zu konzentrieren gilt, um sie in die Praxis einfließen zu lassen.

Arno Ilgner, Februar 2021

Hernán Rodríguez, Cajon del Maipo, Chile Foto: Gonzalo Robert / Red Bull Illume 21

Bernd Zangerl im Highball Walking on heavens door Himalaya, Indien Foto: Ray Demski / Red Bull Content Pool

0001 EINLEITUNG ZUM ROCK WARRIOR’S WAY

EINLEITUNG ZUM ROCK WARRIOR’S WAY

EINLEITUNG

In der extremen Situation einer Auseinandersetzung musste

Das vorliegende Buch versteht sich als mentaler Trainingsleit-

der Krieger augenblicklich kleinste Veränderungen in seiner

faden, ist jedoch weit mehr: Es ist eine Philosophie des Klet-

Umwelt, im Verhalten des Gegners, aber auch im eigenen Tun

terns. Das Motiv des Kriegers“, das sich aus einer reichhaltigen ” literarischen Tradition speist, ist in jeder Zeile gegenwärtig.

und Denken wahrnehmen und Gefahren und Tücken gelassen

Wichtig ist mir jedoch der Hinweis, dass sich der Inhalt des

Ließ er sich dabei zu sehr von seinem eigenen Sein und Selbst

Buches in jeglicher Hinsicht von dem unterscheidet, was ge-

dominieren und einzig vom Begehren des Egos leiten, resul-

meinhin mit dem Wort Krieg“ assoziiert wird, denn es geht ” weder um Kampfeslust noch um irgendeine Form von Aggres-

tierte das in Fluchtgedanken, im Nachlassen der Aufmerksam-

sivität. Ganz im Gegenteil: Dieses Buch skizziert ein Programm,

Entschied sich der Krieger jedoch dafür, Risiko und Konse-

das auf Faktoren wie Balance und Harmonie fußt.

quenzen anzunehmen, schienen die Chancen auf ein unbe-

Die Einsichten, auf denen es zum Teil aufbaut, beruhen auf

schadetes Überstehen der Auseinandersetzung viel größer.

den friedfertigen Anwendungen alter kriegerischer Denkwei-

Bedenkt man diese Maxime, liegt es auf der Hand, dass ein

sen. Zum Thema des Kriegertums als spirituellen Pfad lassen

solches Denken sich ohne Weiteres auch auf das Klettern über-

sich eine Reihe von Büchern finden, die ich als lesenswert er-

tragen lässt. Ein wichtiger Ankerpunkt im Universum der

achte und die auch anderen durchaus hilfreich sein können.

Krieger“-Literatur war und ist für mich die Arbeit von Carlos ” Castaneda, der über seine Erfahrungen mit Don Juan Matus

Ich empfehle Way of the Peaceful Warrior“ von Dan Millman ” und The Craft of the Warrior“ von Robert Spencer: die einen ” idealen Einstieg für all diejenigen bieten, die sich von diesem

begegnen.

keit und letztlich im eigenen Niedergang.

aus dem Stamm der Yaui-Indianer, berichtete. Castaneda, damals Student der Anthropologie, machte auf sei-

Thema angesprochen fühlen und diese vielschichtige Denk-

ner Suche nach innerer Kraft eine Reihe von Erfahrungen, die

tradition vertiefen wollen. Das Buch soll dabei helfen, diese

seine Sicht auf die Realität fortlaufend auf die Probe stellten

spirituelle Einstellung auf das Klettern am Fels anzuwenden.

und sie letztlich erweiterten.

Um das zu realisieren, verwende ich Ideen und Übungen, die

Zusammen vertieften sich Don Juan und Castaneda in die Phi-

das Ergebnis jahrelanger Studien und Nachforschungen sind

losophie des Kriegers, die sich nicht im Bereich der Kampf-

und die darüber hinaus meine Erfahrungen beim Felskletterns

kunst manifestiert, sondern als ein Abenteuer geistiger Natur.

miteinbeziehen.

Die Querverbindung zum Klettern ist dabei nichts Neuartiges:

Die Philosophie des Rock Warriors“ ist immer dann gefragt, ” wenn sich der oder die Betreffende in einer Situation wieder-

Castanedas Bücher über die bizarren Abenteuer mit seinem

findet, die hinsichtlich der Intensität ihrer existentiellen Her-

ben Kletterer seit Erscheinen in den 1960er Jahren fasziniert.

ausforderung einzigartig ist, und die angesichts der Umstände

Der im vorliegenden Buch vorgeschlagene Weg des

Reisepartner im wilden, felsigen Hochland Nord-Mexikos ha-

nur mit Meisterschaft, Ruhe und Gelassenheit zu bewältigen

Rock ” Warriors“ sucht einen abenteuerlichen und bewussten Zugang

ist. Geschieht das nicht, sind die Folgen fatal. Um sich gegen

zum Klettern. Eine Herangehensweise, die davon ausgeht, ge-

solche Extreme zu wappnen, trachtet der Rock Warrior“ tra” ditionell danach, nicht nur seine körperlichen Fähigkeiten,

wohnte Verhaltensweisen, die sich negativ auf die mentale

sondern vor allem die seiner Sinne zu verfeinern.

tern oder ganz im Allgemeinen.

Verfassung auswirken, über Bord zu werfen – sei es beim Klet-

ROCK WARRIOR’S WAY – ARNO ILGNER – EINLEITUNG ZUM ROCK WARRIOR’S WAY

Um, Herausforderungen zu meistern, gilt es sehr oft, einen scheinbar gewaltigen Gegner zu besiegen – sich selbst. Unser

In der Tradition der Krieger“ wird Moral jedoch höchst indi” viduell aufgefasst und im Sinn einer persönlichen Rechtschaf-

Bild von uns selbst und das sich daraus speisende Selbstwert-

fenheit verstanden. Im vorliegenden Buch versuchen wir, nur

gefühl werden häufig von den Leistungen, die wir in der Ver-

für uns selbst Antworten zu finden und die Verantwortung

gangenheit erbracht haben, dominiert. Das führt oft dazu, dass

dafür zu übernehmen, was wir tun oder lassen sollten. Bei die-

das Ego zum Herrscher über unseren Charakter mutiert. Unser

sem introspektiven und intuitiven Prozess, müssen gewohnte

Handeln wird dann von einem Gefühl der Angst und des Vermeidens getragen, so dass wir uns an der Herausforderung

Komfortregionen verlassen werden. Wenn ein Krieger“ ma” ” kellos“ handelt, bedeutet das, dass er seine Aufmerksamkeit

selbst – dem Klettern – nicht erfreuen können. Mit solchen

auf sein ultimatives Ziel richtet: nämlich Wissen über sich

mentalen Gepflogenheiten bauen wir Blockaden auf, die uns

selbst zu erlangen und so das persönliche Kraftpotenzial zu

– meist unbewusst – das nötige Quantum an Vitalität und Ein wesentlicher Grundsatz des Buches ist es daher, Lösungs-

vergrößern. Kraft“ ist ein weiterer Begriff in der Tradition der ” Krieger“, meint aber etwas gänzlich anderes als körperliche ” oder finanzielle Potenz oder gar Macht über andere meint.

ansätze zu bieten, um solche Prozesse zu erkennen und die ei-

Kraft bedeutet, über die Fähigkeit zu verfügen, effektiv zu han-

gene

Zielorientierung, das nötig wäre, nicht erreichen lassen.

deln und Vorstöße in unbekannte Bereiche zu wagen, um dort

verbessern. Denn diese laufen versteckt ab und werden leicht

Aufmerksamkeit

hinsichtlich

solcher

Abläufe

nach neuen Erfahrungen und Erkenntnissen Ausschau zu hal-

übersehen, da man sie für selbstverständlich hält. Wir halten

ten. Kraft manifestiert sich als Klarheit im Denken sowie Ent-

an Verhaltensweisen fest, die angenehm und bekannt sind –

schlossenheit in der Aktion.

oftmals ohne es zu bemerken. Das Bewusstsein hinsichtlich

Sie ist die spezifische Ressource von Erfahrung und Wissen,

der uns leitenden mentalen Prozesse zu schärfen ist der erste

die sich dadurch erweitern und maximieren lässt, indem man

Schritt, um zu verstehen, wie diese unsere Leistungen beeinflussen.

das Gewohnte hinter sich lässt. Krieger“ können auch als Su” ” chende nach persönlicher Kraft“ bezeichnet werden, die mit

Ich habe in diesem Buch versucht, möglichst einfach und klar

dem Chaos ringen und aus der Erfahrung lernen. Im Folgen-

zu formulieren und auf wissenschaftliche Fachbegriffe zu ver-

den möchte ich einige gedankliche Eckpfeiler meiner Methode

zichten. Sich ein wenig mit der Terminologie des Kriegers“ zu ” befassen wird sich aber dennoch als hilfreich erweisen: So

vorstellen: Unsere Performance wird in einem großen Ausmaß

wird etwa die aktive Form der Wahrnehmung als Aufmerk” samkeit“ bezeichnet. Ich verstehe Aufmerksamkeit als eine er-

des beeinflusst.

höhte und fokussierte Weise der Wahrnehmung, sozusagen als

dies durch einen Prozess des Wachstums bzw. des Lernens und

ihren zielgerichteten Wegweiser. Beinahe alles in diesem Buch

Gewahrwerdens geschieht. Dies gelingt am besten durch Fo-

lässt sich unter der Überschrift der Aufmerksamkeit subsu-

kussierung der Aufmerksamkeit auf die Situation und eine

mieren. Sich der Aufmerksamkeit auf richtige Art und Weise

problemorientierte Geisteshaltung.

zu bedienen, wird auch Unfehlbarkeit genannt. Sie beinhaltet

Motivation ist ein wichtiger Bestandteil der Performance, wo-

eine Dimension der Makellosigkeit, vor allem in moralischer

bei das Hauptaugenmerk nicht auf der Quantität, sondern auf

Hinsicht.

der Qualität derselben liegt.

von den unbewussten, versteckten Bereichen unseres VerstanUm unsere Leistung zu verbessern, ist es unabdingbar, dass

BEWUSSTSEIN SCHAFFEN

Am besten du reagierst erst gar nicht auf das Geschwafel. Be-

Um dahinter zu kommen, was in dir vorgeht, beobachte nach

obachte lieber und hör zu, was von innen kommt. Sei Ohren-

dem nächsten Sturz deine Reaktion darauf. Konzentriere dich

zeuge. Wenn du tatsächlich vollkommen platt bist, wird es dir

darauf, vollends aufmerksam zu sein. Dann versuche, die Re-

nicht gelingen, lange in der Beobachterposition zu verweilen.

aktion zu stoppen.

Das macht aber nichts. Einige Sekunden reichen meistens, um

Bewusstheit zu erlangen ist ein Prozess, der die Aufmerksam-

die Assoziationskette wirksam zu unterbrechen und zu zeigen,

keit schult, zu einem starken Selbstbild befähigt, das Selbstver-

dass es nicht nötig ist, dass du gleich Mach zu!“ rufst, wenn ” die Arme hart werden. Wie du siehst, ist es keine automatische

trauen vergrößert und zu innerer Kraft beiträgt. Erreichen

Antwort. Es gibt Optionen, und die Verzögerungstaktik gibt

schaften hinstrebt, sondern indem man seine Aufmerksamkeit

dir Zeit, sie in Betracht zu ziehen.

nach innen fokussiert. Das Ziel ist die Erlangung von Aufmerk-

Aber das ist nur der erste Schritt. Der zweite bedeutet, sich von

samkeit, dabei zu lernen und so Zugriff auf viel tiefer liegende

seiner gewohnten Antwort zu trennen und einen Schritt zu-

Motivationsquellen zu gewinnen.

wird man das jedoch nicht, indem man blind auf diese Eigen-

rück zu machen. In diesem Moment arbeitest du gegen dein gewohntes Selbstbild, dem eines Kletterers, der gepumpt ist

Der tausendköpfige Ego-Drache verfügt ebenso über selbstli-

und als Reaktion darauf Mach zu!“ schreit. Widme deine Auf” merksamkeit lieber dir als einer autonomen Person, die über

mitierende Arten, auf Stress zu reagieren und sich selbst zu

eine Menge Möglichkeiten verfügt. Sprich dich mit deinem

und ins Unterbewusstsein abgewandert. Das Ego hat daher ei-

Namen an und fordere dich mit Kommandos auf, die nicht dei-

ne Doppelfunktion: Es ist einerseits ein Feind, andererseits ein

ner Gewohnheit entsprechen. Zum Beispiel so: Okay, Arno, ” du bist vielleicht gepumpt, aber klettere doch einfach in die

Lehrmeister. Indem man dieses Wechselspiel versteht, gelingt

nächste Passage rein, weit kannst du eh nicht stürzen.“ Wenn

Kraftlöchern (Selbstgefälligkeit etc.) wegzuleiten und Kraft-

du dazu in der Lage bist, die Antwort ein wenig zu verzögern,

lecks (Wünschen, übereiltes Reagieren etc.) zu stopfen.

um so die Gewohnheit durch eine ungewohnte Aktion zu er-

Haben wir uns einmal davon befreit, uns nur anhand unserer

setzen, dann hast du einen großen Schritt nach vorne

vergangenen Leistungen und Errungenschaften zu definieren,

gemacht.

wird uns auch eine weniger eingeschränkte Sicht auf uns mög-

schützen. Viele dieser Arten sind zur Gewohnheit geworden

es, innere Kraft anzusammeln, um so die Aufmerksamkeit von

lich werden, im Zuge derer uns unser volles Potential bewusst Ein anderes klassisches Szenario passiert oft nach einem Sturz.

werden kann. Das neue, befreite Selbst ist dann bereit, seinen

Da gibt es einige Möglichkeiten. Eine wäre, wütend oder ängst-

Dienst anzutreten. Vielleicht sind die Unterschiede schon am

lich zu werden und sich als Reaktion auf den Sturz zum Boden

nächsten Klettertag erkennbar. In der Art, wie wir von unserem

abzulassen, ohne irgendetwas anderes in Betracht zu ziehen.

Geist Gebrauch machen oder wie wir uns am Fels bewegen.

Oder man lässt sich von einer Woge der Selbstkritik überrollen und stellt das gerade erlebte Scheitern als etwas Absolutes hin.

Wenn es ein Aktionswort gibt, das den Weg zur Bewusstheit

Oder man lässt sich durch plötzlich aufflammenden Ärger dazu hinreißen, sofort wieder einzusteigen – ohne Pause oder takti-

charakterisieren kann, dann ist es mit Sicherheit beobachten“. ” Es eignet sich übrigens auch sehr gut dazu, sich einige der

sche Überlegungen, wie man es besser hätte machen können.

Hauptgedanken dieses Kapitels schnell zu vergegenwärtigen.

Indian Creek, Utah, USA Foto: Patrick Hendry 49

ÜBUNGEN 1. MEDITATION Es gibt unzählige Arten und Weisen von Meditation. Für uns bedeutet Meditation die Aufmerksamkeit auf die eigene Atmung und die Beobachtung auf die Gedanken zu lenken, wenn sie im Begriff sind, uns von der Atmung abzulenken. Die Aufmerksamkeit beginnt meistens zu schwinden, wenn sie sich auf Geräusche richtet oder sich mit Dingen zu beschäftigen beginnt, die man später noch vorhat. Die Meditation soll dabei helfen, dich mit der Position des Beobachters zu identifizieren. Denke daran, dass nicht du der Gedanke bist, sondern dass du deine Gedanken beobachtest. Als Beobachter nimmst du eine Position ein, von der du jene Gedanken, die deine Aufmerksamkeit davontragen, identifizierst. Auf diese Weise kannst du bewusst entscheiden, ob du entsprechend einem bestimmten Gedanken handeln willst oder nicht.

2. STOP! Diese im Prinzip einfache Übung geht auf George Gurdjieff, den russischen Krieger und Schriftsteller, zurück. Übung. Wenn du spürst, dass du in deine alten Gewohnheiten verfällst, sagst du laut: STOP!“ Damit beweist du, dass du eine bewusste Kontrolle über dein Verhalten ausüben ” kannst. Gelingt das nicht, weißt du, dass du nicht bewusst bei der Sache bist, automatisch“ ” funktionierst und ein Sklave deiner Gewohnheiten bist. Neigst du dazu, dich zu rechtfertigen, wenn dich jemand korrigiert, dann sag: STOP!“. Gelingt es dir, diese Rechtfertigung zu beenden? ” Mit der Übung überprüfst du die Bewusstheit deiner Gewohnheiten, um sie dann zu brechen. Indem du STOP!“ sagst, verschaffst du dir einen Moment der Besinnung, und es gelingt, das ” ständige Wiederholen deiner Gewohnheiten zu unterbinden.

3. FREMDE ANGELEGENHEITEN Manövriere dich in eine Klettersituation, die du normalerweise vermeidest oder nie in Erwägung gezogen hast. Diese Situation solltest du als besonders unangenehm empfinden – sie sollte sich fremd“ anfühlen. Zum Beispiel: Klettere eine Route und lass dein Chalkbag am Boden. Oder ziehe ” dir Schuhe an, die dir zu groß sind. Wenn du eher kraftbetonte Routen schätzt, dann steig in eine Platte ein. Das Ziel der Übung ist es, eine emotionale Reaktion auf eine Stresssituation zu produzieren. Finde heraus, ob du reagierst – indem du frustriert wirst oder wütend. Oder ob du Schuldzuweisungen machst, indem du z.B. deinen Armen vorwirfst, dass sie schwach sind. Reaktionen wie diese weisen so gut wie immer auf Machtlosigkeit hin. Nimm dir vor, diese limitierenden Verhaltensweisen zu beobachten. Diese Übung soll dir dabei helfen, dein Ego zu überwältigen und Erkenntnis über dich selbst zu sammeln. Dein Ego blüht immer dann auf, wenn du in Routen einsteigst, bei denen du signifikante Erfolgsaussichten hast, den Umlenker zu erreichen. Beobachte genau, wenn du frustriert oder böse reagierst – all das sind Manifestationen eines Egos, das nicht bekommt, was es will.

ROCK WARRIOR’S WAY – ARNO ILGNER – BEWUSSTSEIN SCHAFFEN

4. VERZÖGERUNG UND DISTANZIERUNG Suche dir eine Route aus, die sich außerhalb deiner Komfortzone befindet. Wer Erfahrung im Vorstieg hat, solltet diese Übung im Vorstieg ausführen. Klettere bis zu dem Punkt, an dem ein Sturz unausweichlich ist. Deine Gewohnheiten werden aktiv und dich auffordern, abzuklettern oder in die Schlinge zu greifen. Jetzt machst du Folgendes: Du wartest. Ziel ist, das deiner Gewohnheit folgende Handeln zu verzögern. Vielleicht gehört es zu deinen Gewohnheiten, dir einzureden, dass du in die Schlinge greifen musst, Mach zu!“ sagen musst. Heiße diese Gedanken ” willkommen, aber wenn sie auftauchen, verzögere ein ihnen entsprechendes Handeln: Klettere nicht ab, greife auch nicht in die Schlinge, sondern tue einfach – nichts! Halt dich an den Griffen fest und bleib, wo du bist. Im nächsten Schritt distanzierst du dich von deinem gewöhnlichen Handlungsablauf. Durch das Verzögern hast du deinen Gewohnheiten ihren Schwung genommen. Jetzt spaltest du deine Gewohnheit noch mehr auf, indem du sie dir bewusst machst und über sie sprichst. Sprich zu dir und nenne dich beim Namen: Okay Arno, du wolltest gerade in die ” Schlinge zu greifen. Das kannst du immer noch tun, aber fürs Erste wirst du das verzögern.“ Dabei kannst du einen Move auf oder ab machen, um deinen Körper neu zu positionieren. Versuche entweder zu verzögern oder mache etwas anderes, als du sonst in einem vergleichbaren Moment machst. Ist es dir einmal gelungen ist, die gewohnte Aktionskette zu unterbrechen, kannst du die Übung mit einer nicht gewohnheitsmäßigen Aktion beenden. Tue etwas, das sich kühn oder frech anfühlt. Fordere deinen Sicherungspartner auf, dir Schlappseil zu geben, anstatt um Zug zu bitten. Dann spring ins Seil. Oder klettere einfach weiter und versuche den nächsten Rastpunkt zu erreichen. Schnappe absichtlich nach einem aussichtslosen Griff und provoziere einen Sturz. Im Prinzip ist es völlig egal, was du tust, solange es deinen Gewohnheiten widerspricht.

5. SICH SELBST STALKEN Lass dich in einer Route an deinem Limit filmen. Klettere so, wie du es immer tust, ohne etwas zu ändern. Sieh dir dann das Video an und lege das Augenmerk auf deine Technik und Körpersprache. Sieh es dir gleich darauf noch mal an und versuche, dir den inneren Dialog zu vergegenwärtigen, den du an dieser und jener Stelle der Route geführt hast. Hat dich dieses Selbstgespräch vorangebracht oder eingeschränkt? Kannst du irgendwelche Auswirkungen sehen, die das Selbstgespräch auf deine Performance gehabt hat? Sich selbst auf einem Video klettern zu sehen ist ein großartiger Weg, um sich von seinem Klettern zu separieren. Denn so gelingt es, die eigene Performance viel objektiver zu sehen, da man sie so wahrnimmt, wie es andere tun. Nämlich ohne subjektive Leistungsgefühle.

DIE REISE

Nach etlichen Versuchen an vorangegangenen Tagen war es

Es ist völlig normal, dass man eine projektierte Route auch ir-

sein letzter Tag vor Ort. Ich hatte mich mehr oder weniger ” damit abgefunden, dass ich die Route auch diesmal nicht

gendwann klettern möchte. Man sollte sich aber bewusst sein,

schaffen würde, wollte mich aber dennoch noch einmal rein-

wenn man ihnen zu viel Aufmerksamkeit zuteil werden lässt.

hängen, einfach um zu schauen, ob ich zumindest die Crux

Die tatsächliche Erfüllung liegt ja nicht im bloßen Hinaufklet-

hinbekommen würde.“ Er hatte sich also damit abgefunden,

tern einer Route, sondern im Lernen und im Ausweiten der

dass er sich die Route vermutlich erst auf seinem nächsten Trip

eigenen inneren Stärke.

würde holen können. Sein Fokus lag also darauf, zu sehen, ob

Reisender zu sein, heißt, sich aus einer inneren Liebe heraus

er die Crux gut ausgebouldert hatte. Es ging nicht um Erfolg

bereit für das Risiko zu fühlen. Im Gegensatz zum rein zielori-

oder Versagen, sondern nur darum, ein wenig in der Tour her-

entierten Denken kennt diese Einstellung weder Fluchtverhal-

umzuklettern. Jeff war recht entspannt, als er einstieg. Bevor ” ich wusste, wie mir geschah, hatte ich die Crux hinter mich

ten

gebracht, und vor mir lagen nur noch ein paar leichte Meter bis

ihr all seine Aufmerksamkeit, um sich von der Welle der Er-

zum Stand“, erzählte er. Kurz darauf hatte Jeff eine seiner

fahrung, ihrem Flow, tragen zu lassen.

schwersten Begehungen geschafft.

Die Einstellung des Unterwegsseins wirkt auch in das Empfin-

dass es dem Erreichen seiner Ziele nicht unbedingt dienlich ist,

noch

Vermeidungstendenzen

hinsichtlich

etwaiger

Unannehmlichkeiten. Wer die Herausforderung liebt, spendet

den nach der Kletterei hinein. Ist die Aufmerksamkeit während Einzig und allein das Ziel vor Augen zu haben kann zu Blind-

der Herausforderung nicht vorhanden, wird es umso schwe-

heit führen – und wer nicht richtig sieht, der klettert auch

rer, sich genau zu erinnern, die Details erscheinen vage. Fels-

schlecht. Der Körper befindet sich immer in der Gegenwart,

strukturen sind vergessen, auch, wann intuitiver Modus und

während der Geist sich gedanklich gerne in Vergangenheit und

Flow eingesetzt haben. Die Aufmerksamkeit war da schon ei-

Zukunft herumtreibt. Inmitten einer Risikosituation braucht

nen Schritt weiter, um sich in der Vorstellung des zukünftigen

man direkte Wahrnehmungen, nicht die zögernd-zaudernden

Erfolgs zu suhlen, was dazu führte, dass man während des

Kommentare und Gedanken, die sich damit beschäftigen, was gerade passiert. Ist der bewusste Geist zu sehr mit seinen Ge-

Kletterns nur noch halb“ anwesend war. Das ist Klettern, nur ” ” um mit dem Klettern endlich fertig zu sein“, und wenn man

danken beschäftigt, führt das nur dazu, dass sich zwischen

dann endlich fertig ist, scheint es, als wäre man nie richtig

Körper und Geist eine Kluft auftut. Eine Kluft, durch die Angst

geklettert.

einsickern und sich Aufmerksamkeit verflüchtigen kann.

Eine meiner ersten bewussten "Reisen“ trug sich 1984 im Yo-

Die Geisteshaltung eines Reisenden einzunehmen lässt keinen

semite Valley zu. Ich war zum ersten Mal am El Cap, mein

Raum für Angst. Das Konzept des Versagens existiert in der

Partner Steve Petro und ich hatten gerade vier Tage in der

Gegenwart nicht, genauso wenig wie der intellektuelle Ballast, den es im Schlepptau hat. Das Gleiche gilt für das Konzept des

Route Zodiac“ zugebracht. Wir waren nach all den Strapazen ” körperlich ziemlich hinüber, aber noch stand der Material-

Erfolgs, auch dieses wird irrelevant. Die Idee der Reise fußt im

transport ins Tal bevor. Während wir schwer bepackt mit un-

Lernen und Ausweiten der persönlichen Kraft und steht daher

serem Material abseilten, begann unsere Aufmerksamkeit in

weit über dem bloßen Erreichen des Ziels, eine Route erfolg-

die Zukunft zu wandern: Wir sahen uns nach einer warmen

reich zu begehen.

Dusche vor dem Zelt mit einem Bier relaxen.

140

ROCK WARRIOR’S WAY – ARNO ILGNER – DIE REISE

Als es irgendwann nicht mehr weit war, wurde mir schlagartig

Inmitten einer Risikosituation wird man eine Art Spannung

bewusst, dass die Erfahrung jetzt gleich vorbei war. Plötzlich

bemerken, die sich aus zwei Antagonisten speist: dem Begeh-

spürte ich das unbändige Verlangen, all den Schmerz und die

ren, sich auszuruhen, und dem, seine Kraft zu testen. Halte

Erleichterung, all die Mühen und Freuden der letzten Tage

diesen Widerstreit aufrecht, finde den Punkt in diesem Chaos,

noch einmal hier und jetzt zu spüren. Die Vorstellung, dass

an dem du dich wohlfühlen kannst. Wehre dich gegen Flucht-

künftig etwas Angenehmes wartet, half nicht unbedingt dabei,

gedanken, übe dich in Wertschätzung für die Herausforderung

keinen Schmerz zu empfinden. Indem ich mich auf ihn zu kon-

und das, was es durch sie zu lernen gilt. Definiere deine Ziele

zentrieren begann, konnte ich meine Aufmerksamkeit mitten

anhand der Reise, auf die du dich begibst, und spare den An-

in der Gegenwart halten.

kunftsort (die erfolgreiche Begehung) vorerst aus. Du wirst

Viele Kletterer machen eine solche Erfahrung nach einem lan-

sehen, dass dein Klettern so viel mehr Sinn hat. Und obendrein

gen, ereignisreichen Erlebnis. Ihnen wird bewusst, dass sie ein

mehr Spaß macht. Die Zeit auf Erden ist begrenzt – nicht zu-

großes Abenteuer durchgestanden haben und dass dieses bald

letzt soll diese Erkenntnis dabei helfen, den Augenblick mehr

vorbei sein wird. Die Kunst des Reisenden besteht darin, in

wertzuschätzen. Wenn ich sage, dass wir uns auch den Tod vor

diese Geisteshaltung einzutauchen und in ihr zu verweilen,

Augen halten sollen, klingt das vielleicht ein wenig makaber.

auch wenn das Erlebnis nur ein paar Minuten dauert.

Wir sollten das Leben stets ernst nehmen: jeder Moment zählt.

WIE MAN UNTER DRUCK ANMUT WALTEN LÄSST

Angesichts unserer Sterblichkeit erweisen sich vorgefertigte, von außen an uns herangetragene Werte als null und nichtig; die Spiele, die das Ego mit uns treibt, scheinen lächerlich und

Die Einstellung des Unterwegsseins richtet die Aufmerksam-

belanglos. Der Umstand, dass wir irgendwann nicht mehr sein

keit auf die Gegenwart. Um unsere Möglichkeiten ideal auszu-

werden, soll uns darin schulen, wichtige von belanglosen Zie-

nutzen, müssen wir all unsere Aufmerksamkeit auf den

len unterscheiden zu können. Irgendwann wird uns alles ge-

Augenblick, das Klettern selbst richten. Leichter gesagt als ge-

nommen werden, und so haben wir in gewisser Hinsicht auch

tan. Risiko ist nie angenehm, Unannehmlichkeiten suchen wir

nichts zu verlieren. Diese Gedanken sollen keinesfalls dazu

zu vermeiden.

dienen, der Rücksichtslosigkeit Vorschub zu leisten. Unsere Zeit ist zu kostbar, als dass wir sie einfach so verschwenden

Versuche, dein Bestreben, dich von einer Komfortzone zur

könnten. Stellen wir uns einer Herausforderung, von der wir

nächsten zu bewegen, zu unterbinden. Das kostet Energie und

glauben, dass sie die Anstrengung wert ist, müssen wir ihr alle

hindert dein Bemühen, möglichst effektiv zu sein. Versuche

momentan verfügbare Aufmerksamkeit schenken.

stattdessen, flexibel und flüssig zu bleiben. Klettere, ohne zu zögern, fokussiere dich und lass deinen Gedanken keinen

Der Prozess Die Reise“ soll dazu anhalten, die Aufmerksam” keit im gegenwärtigen Moment zu halten und sich wohlzufüh-

Raum, um sich mit Angst oder Zweifel zu infizieren. Unan-

len, egal wie stressig und chaotisch die Situation auch sein

nehmlichkeit, Chaosempfinden und

mag. Das Wohlgefühl stellt sich genau dann ein, wenn der

Fight-or-Flight“-Reak-

” tionen sind typisch für das Klettern in Risikophasen. Risiko

Kontakt mit den inneren Werten hergestellt ist: erfahrungsge-

sollte man bereitwillig auf sich nehmen, anstatt dagegen

bundenes Lernen, Liebe zum Leben und das Vergrößern der

anzuarbeiten.

eigenen inneren Kraft.

141

DIE REISE

Beim Klettern bedeutet es, am Fels das Gleichgewicht zu suchen, die Griffe nicht zu fest zuzuschrauben, zwischen kreativen

Rastpunkten

eine

kontinuierliche

Bewegung

aufrechtzuerhalten und vor allem Freude in der Anstrengung zu empfinden. Es geht um das, was auf der Hand liegt bzw. woran man seine Hand legt. Denkt man nur an das Ziel, verliert man das Gefühl für das, was man gerade tut, weil sich die Aufmerksamkeit auf ein Getan-Haben“ richtet. Der Fokus ” muss auf den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten liegen, idealerweise gewürzt mit der Performance-Frage par excellence: Was jetzt?“ Sie wird direkt aus der Intuition heraus ge” stellt und ist auf die Möglichkeiten der jeweiligen Situation ausgerichtet. Obwohl es außer Frage steht, dass eine Herangehensweise, die Erfahrung in Vorbereitung, Übergang und Aktion aufteilt, hilfreich sein kann, skizziert dieses Buch eine ganzheitlichere, holistischere Auffassung. Jeder Bereich ist nur Teil einer größeren Reise. Es mag sein, dass nicht alles immer perfekt ist oder so, wie man es sich vorstellt, doch diese Aspekte sind ein wesentlicher Teil. Wir überprüfen unsere Motivation jederzeit mit gebotener Strenge. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf den Prozess und lernen direkt aus der Erfahrung. Wir belügen uns nicht hinsichtlich unserer Anstrengungen und Leistungen. Wir nehmen Abstand davon, uns aufgrund ihres Ungenügens zu bestrafen. Je besser wir uns verstehen lernen, umso mehr gewinnen wir an innerer Kraft. Wenn wir klettern, führt sich unser Geist nicht auf wie ein unfolgsamer Hund, der Mist baut und sich dann aus Angst vor Schuld und Strafe krümmt. Stattdessen wird er ein Instrument der Kraft. Das Aktionswort für den Prozess Die Reise“ ist Aufmerksamkeit“, wende sie jetzt ” ” an, mitten im Moment, an jedem Punkt der Reise.

Will Gadd, Donegal, Irlanda Foto: John Price / Red Bull Content Pool 142

143

ESPRESSO LESSONS aus THE ROCK WARRIOR’S WAY®

Danksagung Ich möchte den folgenden Personen für ihre großzügige Unterstützung bei diesem Buch danken. Die große Zahl derer, die auch nur einen kleinen Teil beitragen wollten, erstaunt mich nach wie vor. Allein auf sich gestellt ließe sich eine solche Arbeit nämlich kaum bewältigen. Redaktion: Jeff Achey machte eine sehr guten Job bei der Organisation des Ausgangstextes. Danke, Jeff, für deine tolle Arbeit und dafür, dass du mein Manuskript klarer und lesbarer gemacht hast. Überarbeitung: Suzy Wilkinson und Doyle Parsons gaben wertvolle Hinweise zum Inhalt, Rita Bills kümmerte sich um Grammatik und inhaltlichen Zusammenhang. Meine Frau Jane sorgte sich um die Lesbarkeit und machte die Schlusskorrektur. Danke, Suzy, Doyle, Rita und Jane. Ich weiß eure uneigennützige Hilfe sehr zu schätzen. Anvil/Jenn/O’Malley Cartoons: ich wollte ein wenig Humor in die Sache bringen. Ich kenne Susan Working seit meiner Schulzeit, sie galt schon damals als talentierte und kreative Künstlerin. Danke, Susan, für deinen Beitrag. Fotos und Modelle: wir machten speziell für den Text geeignete Fotos. Danke an die Modelle: Mark Ilgner, Doyle Parsons, Suzy Wilkinson, Ian Ilgner, Greg Kottkamp u. Yuki McKinney. Fotos und Autoren: Bilder helfen, die Botschaft gut „rüberzubringen“. Danke an die Fotografen: Andrew Kornylak, Benoit Robitaille, Caroline Treadway, Claire MacLeod, Cory Richards, Greg Barry, Heinz Zak, Jimmy Chin, Lee Tucker, Pat Goodman, Tim Steele, Tom Perkins und Craig Richards. Geschichten: wenn sie mit einem Thema verbunden sind, helfen sie beim Lernen. Danke an diejenigen, welche ihre eigene Geschichte teilen wollten: Andrea Cutter, Dave MacLeod, Sonnie Trotter, Steph Davis, Jason Kehl und Jean-Pierre „Pee Wee” Ouellet. Zitate: ich verwende gerne Zitate, wenn sie zu einem Thema passen. Das Zitat in der Einleitung stammt aus dem Buch „How the Way We Talk Can Change the Way We Work” von Robert Kegan und Lisa Laskow [ed. Jossey-Bass, 2002]. Das Zitat im Kapitel Vorbereitung stammt aus Dan Millmans Buch „The Journeys of Socrates” [ed. HarperOne, 2005]. Und schließlich möchte ich allen Schülern danken, die an meinen Kursen teilgenommen haben. Ihr wart ein große Unterstützung beim Verfeinern und Besser-Verstehen von allem, was in diesem Buch dargestellt wird. Danke auch für das Vertrauen, das ihr mir und dem Warrior’s Way® entgegengebracht habt, um eure Kletterleistung zu verbessern.

Ich widme Espresso Lessons Todd Skinner. Seine Vision hinterließ dem Klettersport ein Vermächtnis, dem wir alle nacheifern können. Aber es waren auch sein Humor und seine Freundlichkeit, die alle Lernwilligen berührten.

Wir können den Berg nicht absenken, also müssen wir uns selbst erheben. Todd Skinner

EINLEITUNG

Von Arno Ilgner

Um wirkliche Veränderungen herbeizuführen, müssen wir

zum Opfer, die uns beherrschen, wenn es uns an mentaler Fit-

das Gleichgewicht aus dem Lot bringen, unseren Status

ness mangelt.

quo. Robert Kegan und Lisa Laskow

Indem wir unseren Verstand hinterfragen, können wir ein Bewusstsein entwickeln. Was kann ich kontrollieren? Was kann

Im Jahr 2003 veröffentlichte ich The Rock Warrior’s Way, das

ich nicht kontrollieren? Kann ich positiv denken, um mental fit

die grundlegenden Prozesse des Warrior’s Way® -Materials

zu werden? Was ist ein angemessenes Risiko? Warum habe ich

umreißt. Der Krieger“ ist ein Archetyp für Mut. Ein Krieger ” muss mutig und mit tadellosem Bewusstsein handeln, um gut

Angst vor dem Fallen? Sollte ich das Fallen üben, um diese

zu kämpfen. Tadelloses Bewusstsein bedeutet dabei, dass die

sen wird dir helfen, deine einschränkenden Verhaltensmuster

Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt ist und nicht abgelenkt wird.

deines Geistes aufzudecken.

Angst zu überwinden? Die Beantwortung von Fragen wie die-

Mentales Training ist schlicht und einfach die Verbesserung unserer Fähigkeit, die Aufmerksamkeit im Moment, auf unser

Wenn du diese Verhaltensmuster verstehst, kannst du deine In-

aktuelles Tun zu halten, was uns wiederum ermöglicht, zu ler-

telligenz nutzen, anstatt den Einschränkungen deines Ver-

nen und zu wachsen. Dies ist die Grundlage für die Entwick-

stands zum Opfer zu fallen. Nachdem du dir solche Fragen

lung mentaler Fitness und somit den Weg des Kriegers.

gestellt und ein Bewusstsein dafür entwickelt hast, kannst du gezielte Maßnahmen ergreifen, um deine mentale Fitness zu

Wir neigen dazu, einen starken Geist mit mentaler Fitness

verbessern.

gleichzusetzen, was jedoch in Wirklichkeit ein Missverständnis

Seit der Veröffentlichung von The Rock Warrior’s Way habe

ist. Tatsächlich neigt unser Verstand dazu, uns auf Schritt und

ich in vielen Staaten der USA und in Australien Lehrgänge

Tritt einzuschränken und unsere Kraft zu entziehen. Wir müs-

durchgeführt, um den Lesern die Möglichkeit zu geben, das

sen aus unserem Verstand heraustreten“, um Situationen kla” rer zu sehen. Bei der mentalen Fitness geht es nicht um den

Thema in einer tatsächlichen Kletterumgebung anzuwenden.

Verstand an sich, sondern um das Bewusstsein. Jemand, der

senz des Themas abdeckt und eine kleine Investition in Zeit und

mental fit ist, ist bewusst. Mit dem Bewusst-Sein fallen wir

Geld darstellt, so dass interessierte Leser sie in ihren Zeitplan

nicht den einschränkenden Verhaltensmustern des Verstandes

und ihr Budget integrieren können.

154

Meine Intention war es, eine Schulung zu schaffen, die die Es-

Diese Schulungen beinhalten die Essenz des Materials in einem

In Espresso Lessons habe ich solche Verweise herausgenom-

kompakten Format, so dass die Teilnehmer verstehen können,

men und den Text speziell auf die praktische Anwendung aus-

wie es zusammenpasst, und es in kurzer Zeit an tatsächlichen

gerichtet. Ich habe Geschichten verwendet, um das Buch

Klettertouren erleben können. Ich trinke sehr gerne Kaffee. Es

interessant und verständlich zu halten. Espresso Lessons ist die

schien passend, sie Espresso-Kurse zu nennen, weil sie eine

How to“-Anwendung von The Rock Warrior’s Way, die darauf ” aufbauen und es ergänzen soll.

Konzentration des Warrior’s Way® -Materials sind. Um die Essenz des Stoffes zu vermitteln, musste ich den Teilnehmern helfen, ein Bewusstsein für ihre mentalen Grenzen zu

VORURTEILE ANGEHEN

entwickeln und ihnen eine Möglichkeit geben, ihre Aufmerk-

Jason Kehl ist ein Kletterer, der für seine radikalen Frisuren und

samkeitsablenkungen zu minimieren. Ebenso wollte ich ihnen

radikalen Begehungen von Highball-Boulderproblemen be-

zu verstehen geben, wie man sich vorbereitet, wie man ange-

kannt ist. Im Juli 2005 gelang ihm die erste seillose Begehung

messene Risikoentscheidungen trifft, wie man stürtzt und wie

einer knapp 8 Meter hohen, mit vier Bohrhaken versehenen

man seine Entscheidungen umsetzt. Im Espresso-Kurs konzen-

5.13d / 8b Sportkletterroute in Squamish, British Columbia, na-

trierte sich alles auf einen vierstündigen Unterrichtsblock, wo-

mens Straight Out of Squampton. Die bis dahin vorherrschende

bei die verbalen Erklärungen auf ein Minimum beschränkt

Meinung, aus dieser Route ein Boulderproblem zu machen war,

wurden und man sich auf tatsächliche Übungen verließ, die den

dass sie zwar kurz genug war, um einigermaßen möglich zu

Teilnehmern halfen, den Stoff zu lernen und anzuwenden.

sein, jedoch zu gefährlich und damit unwahrscheinlich. Doch er begriff seine bisherigen Verhaltensmuster, und anstatt sich ein-

Der Espresso-Kurs ist daher eine Möglichkeit, das Material des

fach in das Vorurteil hineinziehen zu lassen, forschte er nach.

Warrior’s Way® auf eine sehr praktische, greifbare Weise zu

Indem er sich Stück für Stück an die Route herantastete (weder

erleben. Das Buch The Rock Warrior’s Way ist die Grundlage

davon abzuweichen, noch sich blindlings darauf zu stürzen),

dafür. Es befasst sich mit Themen des Egos, das die Wurzel

waren er und seine Freunde in der Lage, Lösungen zu finden,

vieler einschränkender Verhaltensweisen ist, das die Aufmerk-

um das Risiko zu minimiere. Jason konzentrierte sich auf Din-

samkeit ablenkt, und zitiert aus dem riesigen Fundus der

ge, die er kontrollieren konnte: die Anordnung der Crash-Pads,

Krieger“-Literatur, der von anderen Autoren entwickelt

die Fähigkeiten der Spotter und deren Unterstützung im Falle

” wurde.

eines Absprungs.

155

Goya Summit, India Foto: Pat Goodman 156

ESPRESSO LESSONS AUS THE ROCK WARRIOR’S WAY – ARNO ILGNER – EINLEITUNG

Er erklärte mir seine Entdeckungen: Wir haben herausgefun” den, dass wir eine gute Basisschicht von Crash-Pads brauchen, um den Boden zu bedecken. Dann hielten zwei Leute ein Pad in der Luft und bewegten es während eines Sturzes schnell in die Fallzone. Wenn der Kletterer das gehaltene Pad traf, ließen es die Spotter los, um den Aufprall abzumildern.“ Obwohl ein erhebliches Risiko blieb, ließ sich Jason darauf ein und entdeckte, dass eine Boulderbegehung von Straight Out of Squampton für ihn möglich war.

Jason Kehl Foto: Caroline Treadway

Jasons Äußeres und was er klettert, kollidiert mit dem, wie die meisten von uns aussehen und klettern. Wenn unser Verstand mit einem solchen Unterschied konfrontiert wird, neigt er dazu, zu urteilen, zu vergleichen und vorgefasste Meinungen zu bilden. Diese Meinungen beruhen auf Vorurteilen, die wir gerne bestätigt sehen. Dein Verstand sagt dir, dass Jason seltsam ist und leichtfertig klettert. Der Verstand will seine Vorurteile bestätigt sehen, also schafft er wertende Etiketten. Verrückt“ ” ist eine Bezeichnung, die für Jason zutrifft. Indem du Jason als verrückt“ bezeichnest, sagst du, dass du standardmäßig nor” mal bist. Du bist aus dem Schneider und kannst somit seine Leistungen abwerten. Jason ist an diesem Prozess interessiert. Wenn du ihn fragst, warum er so eine radikale Frisur hat oder warum er gefährli” che“ Boulderprobleme klettert, wird er antworten, dass du ihn in Frage stellst und damit auch dich selbst hinterfragst. Im Grunde genommen will er dich schockieren und dein Selbstverständnis und das, was du für plausibel hälst, durcheinanderbringen. Indem du den Status quo in Frage stellst, öffnest du dich für den Lernprozess. So können deine Vorurteile in genauere und vollständigere Vorstellungen umgewandelt werden. Dies ist die Grundlage des Lernens. Du musst die Art und Weise, wie du deine Welt derzeit verstehst, ändern, anstatt sie zu bestätigen.

Jason in Straight Out of Squampton Foto: Tim Steele

157

EINLEITUNG

Um deine aktuellen mentalen Vorstellungen zu formen, musst chen kannst aber gleichzeitig Verletzungsrisiken minimierst.

Es war wirklich schwer, motiviert zu bleiben“, sagte er mir. ” Um motiviert zu bleiben, setzte er sich Zwischenziele. Ich ” kletterte Sphinx Crack in Colorado, Fiddler on the Roof im

Nur du selbst weißt, welches Risiko angemessen ist. Die Ge-

Fremont Canyon, Wyoming, und andere schwere Risse. Diese

fahr, sich von neuen Möglichkeiten mitreißen zu lassen und

erfolgreichen Begehungen sorgten dafür, dass ich motiviert

deinem Ausbilder oder Trainer zu sehr zu vertrauen, ist aller-

blieb und mich auf mein Training fokussieren konnte. Ich den-

dings dabei gegeben. Das Gleiche kann beim Lesen dieses Bu-

ke, dass es wichtig ist, Zwischenziele zu haben, weil man nicht

ches passieren. Sei beim Lesen skeptisch; nimm nicht einfach

ständig scheitern kann.“

du dein Tempo finden, in dem du lernen und Fortschritte ma-

blindlings jede Information hin und vertraue ihr. Nimm auf, was dir sinnvoll erscheint. Untersuche, was du nicht verstehst.

Im Allgemeinen ist La Zébrée lange nass und macht die Bege-

Und das was du nicht verstehst wirf nicht als wertlos weg, son-

hung von sehr trockenen Bedingungen abhängig. Pee Wee

dern grabe tiefer, bis du es verstehst. Dein Verstand spielt dir

kletterte gerade im Red River Gorge in Kentucky, als er erfuhr,

einen gemeinen Streich: Er wird seine aktuellen Vorstellungen bestätigen, anstatt sie zu hinterfragen und zu modifizieren.

dass La Zébrée trockener war als sonst. Ich raste zurück nach ” Hause, um mir diese Route vorzunehmen“, erzählte er mir.

Wenn du dieses Buch liest, nimm Jasons Herausforderung an,

Obwohl vier Tage lang ungewöhnlich trockenen Bedingungen

den Status quo zu hinterfragen.

herrschten, konnte er sie immer noch nicht Rotpunkt klettern.

DAS WILLKÜRLICHE MENTALE SPIEL Jean-Pierre Pee Wee“ Ouellet lebt in Montréal. Pee Wee liebt ” Riss-Kletterrouten. Sein Freund Jeff Beaulieu liebt ebenfalls

Seine letzten Bemühungen waren ein lehrreicher Ausdruck für die Spiele, die der Verstand einem spielen kann. Ich war fitter ” denn je und fiel immer noch, immer an der gleichen Stelle“, berichtete Pee Wee. Kurz nach dieser Stelle gab es einen gro-

Risse und arbeitete daran, eine Route namens La Zébrée (Das

ßen Henkel und eine Rastposition, gefolgt von einem deutlich

Zebra) frei zu klettern, einen markanten Riss an einer wunder-

leichteren Ende. Er setzte sich ein Ziel für seine Anstrengung:

schönen, schwarz-weiß gestreiften Wand in Val David, nörd-

In meinem Kopf habe ich mir gesagt: Wenn ich den Henkel ” erwische, ist die Route im Sack.“ Schließlich schaffte er es bei

lich von Montréal, der sich als Route im Schwierigkeitsgrad 5.14a / 8b+ herausstellte. Pee Wee sicherte Jeff viele Male und wurde Zeuge all der Arbeit und Frustration, die schließlich in Jeffs Pink-Point“-Begehung (mit vorgelegter Absicherung) ” resultierte. Pee Wee wollte die erste Redpoint“-Begehung ” (Absicherungen während des Vorstieges legen) machen und

einem Versuch bis zum Henkel. Ich war nicht gepumpt. Ich ” hatte den Henkel und bin trotzdem gescheitert.“ Irgendetwas lenkte Pee Wees Aufmerksamkeit ab. Am Ende

machte sich an die Arbeit, um dieses Ziel zu erreichen.

des Tages beschloss er, einen Trainingsversuch“ zu machen. ” Ohne Druck, einfach nur zum Spaß“, sagte er. Und ich habe ” ” es geschafft; ich habe die Route Rotpunkt geklettert.“ Pee Wee

Pee Wee erzählte mir: Ich wusste, wie viel Arbeit es mit sich ” bringen würde; ich wusste, ich viel würde opfern müssen, aber

beschrieb mir auch die Nachwirkungen seiner Begehung. Ein ” paar Wochen lang war ich auf einer Wolke, aber nach einer

ich war zu solchen Opfern bereit.“ Nach drei Jahren Training

Zeit wurde ich depressiv. Ich war nicht motiviert, zu klettern.

und Opfern“ hat er im Mai 2007 sein Ziel erreicht. ”

Ich habe drei Jahre lang für La Zébrée gelebt, aber was nun?“

158

ESPRESSO LESSONS AUS THE ROCK WARRIOR’S WAY – ARNO ILGNER – EINLEITUNG

Um die Herausforderung zu vereinfachen, konzentrierte sich Pee Wees Verstand darauf, den Henkel zu erreichen, was dazu führte, dass er vorzeitig zufrieden war, als er dort ankam. Seine Aufmerksamkeit wurde auf das Gefühl umgelenkt, sein Ziel erreicht zu haben, bevor es tatsächlich erreicht war. Nur durch Zufall hatte er den hinderlichen Einfluss seines Ziels aus der Klettergleichung entfernt. Er war weder körperlich stärker noch fand er während seines Trainingsversuches“ neue und ” effizientere Sequenzen. Er ging einfach mit einer anderen Absicht an die Sache heran: sich darauf zu konzentrieren, gut zu klettern, um zu trainieren, und nicht, um die Route Rotpunkt zu klettern. Mit dieser Absicht blieb seine Motivation während der Begehung konstant und seine Aufmerksamkeit richtete sich auf das Klettern selbst. Das passiert den meisten Kletterern. Wir geraten ins Stolpern, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen, anstatt bewusst dorthin zu gelangen. Unsere Herangehensweise muss sehr bewusst sein, damit unsere Motivation beständig bleibt, während wir Schritt für Schritt auf unsere Ziele zugehen. Pee Wee reflektierte: Ich glaube, ich war zu sehr engagiert; das Klettern der ” Route bedeutete mir zu viel.“ Sein Verstand überbewertete den Rotpunkt und unterbewertete den eigentlichen Kletterprozess. Um mentale Fitness zu entwickeln, müssen wir ein Jean-Pierre Ouellet in La Zébrée Foto: Benoit Robitaille

Gleichgewicht zwischen primären Zielen und dem Erleben und Genießen des Kletterns um seiner selbst Willen finden. Das

Unser Verstand spielt ein willkürliches mentales Spiel mit un-

Bewusstsein für solche mentalen Prozesse zu entwickeln, ist

serer Aufmerksamkeit. Zuerst findet er Ziele, die ihn motivie-

die Essenz des mentalen Trainings.

ren, und dann lässt er zu, dass genau diese Ziele ihm die Freude am Klettern verderben.

DAS BUCH IM ÜBERBLICK Espresso Lessons hilft dir, eine Herangehensweise zu entwi-

Pee Wee opferte“ seine volle Freude anderer großartiger Klet” terrouten und Klettertrips, um für sein Ziel zu trainieren“. ” Zweitens: Je näher du deinem Ziel kommst, desto mehr ein-

ckeln, die bewusst und nicht willkürlich ist. Es beginnt mit der

schränkende Verhaltensweisen zeigt der Verstand.

von Bewusstheit.

Bewusstheit. Bewusstheit ist die Voraussetzung für das Lernen, und das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Entwicklung

159

EINLEITUNG

Geistes besprechen, die die Bewusstheit einschränken, und ei-

STRESS: EIN HÖCHST INTERESSANTER RAUM

nen spezifischen Prozess des Erwachens darstellen, den du auf

Ich habe 1973 mit dem Klettern begonnen. Seitdem hat sich

das Klettern anwenden kannst.

beim Klettern viel verändert: die Ausrüstung, die Schuhe, die

Wir werden die einschränkenden Verhaltensmuster unseres

Schwierigkeit der Routen und die immer vielfältiger werdenden Das Eingehen von Risiken besteht aus drei Phasen: Vorberei-

Disziplinen innerhalb des Kletterns. Die Ängste, die Kletterer

tung, Übergangsphase und Aktion. Wir werden jeder dieser

1973 erlebten, sind jedoch immer noch die Gleichen, die Klette-

Phasen ein Kapitel widmen. Im Kapitel Vorbereitung werden

rer heute noch bremsen: Angst vor dem Sturz, Angst vor Ver-

analytische und intuitive Verhaltensweisen erforscht und eine

letzungen, Angst vor dem Versagen, etc. Alle Kletterer, egal

spezifische Methode beschrieben, um die analytische Intelli-

welchen Grad sie klettern, zweifeln an sich selbst, wenn sie ge-

genz unseres Geistes für die Informationsbeschaffung zu nut-

stresst sind. Die Faktoren Stress und Zweifel bilden zusammen

zen. Im Kaptiel Übergangsphase werden wir über Motivation sprechen und darüber, wie man sie aufrechterhält, wenn man

den interessantesten Raum“ beim Klettern. Wir reagieren alle ” gleichermaßen auf Stress. Der einzige Unterschied zwischen

sich Ziele setzt. Wir werden auch darüber sprechen, wie man

einem Kletterer, der 5.15 / 9a klettert und einem, der 5.5 / 5a

die intuitive Intelligenz des Verstandes für die Entscheidungs-

klettert, ist das Ausmaß des Zweifels und die Fähigkeiten, die er

findung nutzen kann, wie zwischen sicheren und gefährlichen

entwickelt hat, damit umzugehen. Der 9a-Kletterer zweifelt ein-

Fallzonen unterscheiden kann und wie man beide Bereiche an-

fach auf einer subtileren Ebene. Die Aufmerksamkeit im Mo-

wenden kann. Im Kapitel Aktion werden wir zwischen Fähigkeiten unterscheiden, die man zum Vorbereiten und solchen,

ment zu bewahren, wenn wir uns in diesem interessanten ” Raum“ befinden, ist entscheidend für die Steigerung der menta-

die man zum Handeln nutzt. Wir werden lernen, wie man

len Fitness. Wir können in diesem Raum präsenter sein, indem

Fluss und Dynamik beim Klettern erzeugen kann.

wir unsere Herangehensweise an das Lernen ändern.

Außerdem gibt es ein ganzes Kapitel zum Thema Fallen, das dir

Ich kann dir nicht versprechen, dass dieses Buch dich beim Klet-

helfen soll, die Konsequenzen deiner Entscheidungen und

tern auf das nächste Level bringen wird, aber ich kann dir eines

Handlungen zu verstehen. Wir werden die Angst vor dem Fal-

versprechen: Wenn du das anwendest, was in diesem Buch

len ergründen, ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie dein

steht, wirst du dich kraftvoller und sicherer fühlen. Ich habe das

Körper Stress verarbeitet, und wie du das Fallen üben kannst.

schon oft erlebt, besonders wenn Kursteilnehmer das Fallen

Abschließend werden wir mit einem Nachtrag über das Üben

üben. Zuerst haben sie Angst vor dem Fallen. Dann, mit zuneh-

enden. Wir werden darauf eingehen, wie unser Geist den

mender Übung, fangen sie tatsächlich an, es zu genießen. Ein

Übungsprozess stört.

Teil dieses Vergnügens kommt von der Befreiung der Kraft, die

Ebenso wird skizziert, wie du effektiv üben kannst. Du wirst

in ihnen eingefroren war. Sie fühlen sich gestärkt, weil sie tat-

lernen, wie du dich selbst und andere coachen kannst und wie

sächlich eine Fähigkeit erlernt haben, die sie spürbar anwenden

du das Üben in deinen Kletteralltag integrieren kannst. Dieser

können, um mit einer Angst umzugehen. Es ist ein starkes Ge-

Nachtrag wird Übungen enthalten, die die Umsetzung des

fühl, sich einer Angst zu stellen, daran zu arbeiten und auf der

Stoffes erleichtern.

anderen Seite bewusster und fähiger anzukommen.

160

ESPRESSO LESSONS AUS THE ROCK WARRIOR’S WAY – ARNO ILGNER – EINLEITUNG

Versuche nicht, in die Fußstapfen der alten Männer zu treten: Finde heraus, wonach sie gesucht haben. Matsuo Basho

161

Foto: Andrew Kornylak

0001 BEWUSSTSEIN

Wie aus dem Nichts taucht der Verstand auf. Buddhist Diamond Sutra

BEWUSSTSEIN

Mentales Training konzentriert sich auf die Entwicklung des

Wir werden lernen, dass unser Verstand bestimmte einschrän-

Bewusstseins. Aber welche Art von Bewusstsein? Wir alle ha-

kende Verhaltensweisen hat, wie z. B.

ben ein gewisses Maß an Bewusstsein, aber wie können wir

Bequemlichkeitssucht, Alles-oder-Nichts-Denken und uns da-

uns mentaler Prozesse bewußt werden, die uns derzeit unbe-

zu verleiten, Stress zu umgehen. Wir werden lernen, zu be-

kannt sind? Wir müssen damit beginnen, die Verhaltensmus-

merken, wenn unser Verstand die Aufmerksamkeit aufgrund

ter des Geistes zu verstehen. Sobald wir diesen ersten Riss in

dieser Neigungen ablenkt, und lernen, die Aufmerksamkeit

der Rüstung unseres Verstandes haben, werden wir beginnen,

umzulenken. Kurz gesagt, werden wir lernen, wie wir eine an-

mentale Fähigkeiten zu entwickeln, die seinen begrenzenden

gemessene Beziehung zum Verstand entwickeln können, da-

Einfluss auf uns zerstören werden. Unser Verstand verfügt

mit wir seine Intelligenz nutzen und das einschränkende

durchaus über nützliche Intelligenz, ein wesentliches Gut, das

Verhalten, das uns zurückhält, verringern können.

wir in späteren Kapiteln näher betrachten werden. In diesem Kapitel konzentrieren wir uns auf die destruktiven Eigenschaf-

MENTALER DIALOG

ten unseres Verstandes, die unser Bewusstsein einschränken.

Peng! Innerhalb eines Sekundenbruchteils war ich in der Luft

Ohne Bewusstsein wird der Rest des Buches nur einen be-

und fiel. Das Seil wurde schlaff, während ich nach unten in den

grenzten und kurzlebigen Nutzen haben.

Nebel und Nieselregen raste.

Du glaubst du bist dein denkender Verstand? Aber wer denkt wirklich?

Du meinst, mein Verstand nutzt mich aus?

164

ESPRESSO LESSONS AUS THE ROCK WARRIOR’S WAY – ARNO ILGNER – BEWUSSTSEIN

Was ich am meisten befürchtet hatte, war passiert: Der Skyhook, an dem ich hing, hatte sich von der Schuppe gelöst. Das

Wir waren müde, nass und entmutigt. Im Regen kann man ” nicht klettern“, sagten wir, um unsere Entscheidung zu recht-

Seil spannte sich nach 6 Metern, schleuderte mich kopfüber

fertigen. Wir zogen den Schwanz ein und gingen.

und brachte mich ruckartig zum Stillstand. Ich war erschüttert, aber unverletzt. Dies war unser dritter Besuch, um eine

Eine Stunde, nachdem wir die Heimfahrt angetreten hatten,

neue Route an der 200 Meter hohen Headwall des Whitesides

hatte sich der Himmel wieder aufgehellt und war blau. Jetzt,

Mountain in North Carolina zu klettern, und wieder scheiter-

wo wir aus der unkomfortablen Klettersituation wieder raus

ten wir.

waren, begann der furchtbare mentale Dialog. Geh zurück. ” Das Wetter wird besser. Nein, wir haben eine Entscheidung

Es war eine wunderschöne neue Route an fantastischen natür-

getroffen und müssen jetzt nach Hause fahren. Wir können an

lichen Strukturen. Die Erstbegehung in Whitesides war jedoch

der Tennessee Wall oder woanders klettern gehen.“ Schließ-

sowohl körperlich als auch mental eine Herausforderung. Es

lich fuhren wir nach Hause, und alles, woran wir denken

bedeutete, Skyhooks an fragwürdigen Schuppen in ungewöhn-

konnten, war, wann wir wieder nach Whitesides zurückkeh-

lich großen Abständen zu platzieren, während man einen mes-

ren könnten. Erst wollten wir nicht an der Wand bleiben und

serscharfen Bohrer und ein komplettes Hilfsmittel-Rack bei

jetzt wollten wir auch nicht mehr von ihr weg. Wenn wir uns

sich hatte. Manchmal mussten wir von unseren Hilfsmitteln

in der Wand befanden, wollten unsere Gedanken weg; wenn

absehen, um zu einer möglichen Sicherung oder einem Haken

wir uns nicht in der Wand befanden, wollten unsere Gedanken

frei zu klettern. Gelegentlich fanden wir auch eine Sicherung

genau dort sein. Es brauchte noch zwei weitere Anläufe, bis

oder einen Haken, oft aber auch nicht. Dann standen wir vor

wir Little Miss Dangerous klettern konnten. 1990 war es so

der Entscheidung, wieder zu unserer letzten Sicherung abzu-

weit. Während dieser Zeit befand ich mich in einem Zustand

steigen oder weiter zu klettern, um eine andere zu finden.

schrecklicher Verwirrung in meinem Leben.

Auf diese Weise an unbekanntem Gestein herumzutüfteln, war absolut nervenaufreibend. Warum setzte ich mich einem solchen Stress aus? Und doch stand ich hier, unter einem Stück Fels, das noch kein anderer Mensch berührt hatte. Allein dort zu sein war ein solch abenteuerliches Gefühl. Wenn eine Route erst einmal geklettert ist, verliert sich das Geheimnis. Aber eine Erstbegehung ist eine tiefere, vielschichtige Herausforderung. Ob die Route möglich sein wird oder nicht, ist die äußere Ungewissheit. Ob wir die Fähigkeit dazu haben oder nicht, das ist die innere Ungewissheit. An diesem nieseligen Tag in Whi-

Im mentalen Dialog mit Little Miss Dangerous, Whitesides, North Carolina Foto: Lee Tucker

tesides waren wir mit beiden Ungewissheiten konfrontiert, aber es war die Innere, die unser Schicksal an diesem Tag

Ich war mit der Tätigkeit im industriellen Vertrieb nicht zufrieden

entschied.

und wollte eine Arbeit finden, die mit dem Klettern zu tun hatte.

165

FALLEN

Foto: Andrew Kornylak

Stürze sind ein heiß diskutiertes Thema unter Kletterern. Eini-

Die meisten Sportkletterrouten sind so abgesichert, dass ein

ge glauben, dass es unverantwortlich ist, Stürze in Kauf zu

sicherer Sturz möglich ist, wohingegen traditionelle Routen

nehmen. Andere sehen Stürze als normalen Teil des Kletterns.

eindeutige No-Sturzzonen aufweisen können.

Einige glauben, dass es in Ordnung ist, in Sportrouten zu stür-

Dennoch haben auch einige Sportrouten No-Sturzzonen, und

zen, aber nicht in traditionellen Routen. Andere wiederum ma-

Fehler des Sichernden oder des Vorsteigers können zu gefähr-

chen diese Unterscheidung nicht.

lichen Stürzen führen. Einige traditionelle Routen bieten Ab-

Alle diese Überzeugungen haben ihre Berechtigung. Stürze

sicherungen und Sturzwinkel, die Stürze genauso sicher

können zu Verletzungen führen, und sie zu vermeiden, ver-

machen wie in sicheren“ Sportrouten. ”

mindert diese Gefahr. Wenn wir jedoch Erfahrung mit Stürzen sammeln, können wir lernen, damit umzugehen und besser zu

Um eine rationale Entscheidung über Stürze zu treffen, ist es

reagieren, was wiederum das Verletzungsrisiko senkt.

wichtig, die Motivation für das Klettern zu verstehen.

208

ESPRESSO LESSONS AUS THE ROCK WARRIOR’S WAY – ARNO ILGNER – FALLEN

Kannst du die Konsequenzen deiner Entscheidungen und Aktionen vermeiden?

Soll ich mehr über Stürze und Folgen nachdenken?

Vielleicht genießen wir das Klettern einfach wegen der Bewe-

Wenn wir eine neue Sportart erlernen, müssen wir die Konse-

gung, der schönen Orte, an die es uns führt, und der erforder-

quenzen kennen lernen, die mit dieser Sportart verbunden

lichen Kontrolle, um einen Sturz zu vermeiden. Wir mögen es,

sind. Beim Klettern ist die wichtigste Konsequenz das Fallen.

alles unter Kontrolle zu haben“ und nicht bis zum Punkt eines ” Sturzes zu drängen.

Ob wir es akzeptieren oder nicht, das Fallen ist Teil des Kletterprozesses. Ein Sturz ist möglich, egal wie sehr wir uns unter Kontrolle haben. Ein Griff könnte brechen, ein Fuß könnte ab-

Oder vielleicht genießen wir das Klettern wegen der Anstren-

rutschen, oder wir könnten unerwartet gepumpt werden und

gung, die es erfordert, sowohl mental als auch körperlich. Wir

fallen. Unabhängig davon, ob unsere Motivation freizeit- oder

sind durch die Herausforderungen schwererer Grade und Rou-

leistungsorientiert ist, empfehle ich, dass wir uns mit den Kon-

ten motiviert. Bedenke, dass Ersteres eine freizeitorientierte

sequenzen eines Sturzes vertraut machen.

Herangehensweise, während Letzteres eine leistungsorientierte Herangehensweise ist.

Irgendwann werden wir mit der Wahrscheinlichkeit eines

Wir alle klettern aus den unterschiedlichsten Gründen und fast

Sturzes konfrontiert, während wir gepumpt werden, wobei

jeder Kletterer genießt in gewissem Maße die Freizeitkompo-

sich unser Verstand dagegen wehrt, weiterzumachen. Mentale

nente des Kletterns. Das Problem tritt auf, wenn wir uns ver-

Fitness beinhaltet die Erweiterung unseres mentalen Kon-

bessern und gleichzeitig Stürze vermeiden wollen. Die

zepts, und wir können uns einfach nicht verbessern, wenn wir

Quintessenz ist: Wenn wir uns verbessern wollen, müssen wir

nicht über das hinausgehen, was unser Verstand denkt, wozu

einen Weg finden, Stürze in Kauf zu nehmen.

wir im Stande sind.

209

ANHANG

Es wird natürlich und zu erwarten sein, dass das Schreien von Zu“ oder ein anderes Fluchtverhalten auftreten wird. Indem ” man das Coaching vorher abspricht, kann man dem Kletterer helfen, konzentriert zu bleiben, im Stress zu bleiben und eine vertrauensvolle Partnerschaft aufzubauen.

ÜBUNGEN Im Folgenden findest du die wichtigsten Übungen, die ich bei meinen Seminaren und Kursen verwende. Zusätzliche kannst du auf warriorsway.com finden. Die Übungen sind in Abschnitte unterteilt, die auf den Kapiteln in diesem Buch basieren. Es mag hilfreich sein, das Kapitel oder die Kapitelzusammenfassungen vor dem Üben durchzulesen, um Konzepte aufzufrischen und spezielle Begriffe wie DWH, AAEH, etc. zu wiederholen. In jedem Abschnitt wird ein Zweck für die Übungen beschrieben. Gehe bei diesen Übungen langsam und bewusst vor und achte ständig darauf, wie viel Stress du abbeißt und wie du ihn verarbeitest. Nimm kleine Bissen, um zu lernen und Verletzungen zu verhindern. Genieße dein Training!

252

Nik Berry, Yosemite, Kalifornien, USA Foto: Elliott Bernhagen / Red Bull Illume 253

ÜBUNGEN KAP 01. BEWUSSTSEINSÜBUNG Zweck Bemerken, wenn sich die Aufmerksamkeit vom Fokus wegbewegt, auf das man ihn richten wollte und diese auf die aktuelle Aufgabe umlenken.

ÜB. 01. ATEM/MEDITATIONSÜBUNG Set up Setze dich bequem hin, schließe die Augen und atme normal, ohne deinen Atem zu beeinflussen. Intention Die Aufmerksamkeit auf deinen Körper richten: das kinästhetische Gefühl des Atmens, die Empfindungen des sich ausdehnenden und zusammenziehenden Bauches.

Übungsprozess Denke nicht an die Atmung, sondern spüre einfach, wie dein Körper atmet. Nimm wahr, wenn sich die Aufmerksamkeit vom Tun zum Denken verschiebt. Der Zeuge“ ist der Teil von dir, der es ” bemerkt. Es ist das reine Bewusstsein in dir, das diese Verschiebung spürt. Lenke die Aufmerksamkeit wieder zurück in deinen Körper, indem du dem Atem nachspürst.

Schlussfolgerung Denke daran, das Ziel ist nicht, Gedanken fernzuhalten, sondern aufmerksam zu bleiben und sie umzulenken.

Versuche, zu merken, wenn die Aufmerksamkeit sich vom Tun aufs Denken richtet und versuche, das nicht zuzulassen Foto: Andrew Kornylak 254

ESPRESSO LESSONS AUS THE ROCK WARRIOR’S WAY – ARNO ILGNER –ANHANG

ÜB. 02. DER PROZESS DES ERWACHENS (TAP) - KRIEGER 2 ÜBUNG Set up Die richtige Haltung für die Yoga-Übung Krieger 2 ist folgendermaßen: Die Hüfte in einer Linie mit den Beinen ausrichten, das vordere Bein in einem 90-Grad-Winkel beugen, das Knie über der Ferse (nicht über die Zehen), das hintere Bein gerade, die Arme ausgestreckt und die Augen schauen über den vorderen Arm. Wähle eine Zeitspanne, die etwas Stress erzeugt: drei bis fünf Minuten.

Intention Anwenden der fünf TAP Schritte. Übungsprozess 1. Intention: Die Aufmerksamkeit darauf richten, was dein Körper tut - atmen, sich bei der Übung entspannen und die richtige Form beibehalten. 2. Zeuge: Achte darauf, ob sich deine Aufmerksamkeit vom Tun zum Denken verschiebt. Dein Verstand kann Zweifel an deiner Fähigkeit aufkommen lassen, die Yogaübung weiterhin zu halten. 3. Verzögern: Reagiere nicht auf die Zweifel. Bleibe stattdessen in der Übung und verzögere die Reaktion. Dies schafft Raum für die Entwicklung von Bewusstsein. 4. Löse die Übung auf, um die Aufmerksamkeit umzulenken: Bringe dich zurück zu deiner Absicht und richte die Aufmerksamkeit auf deinen Körper. 5. Finde kleine Wege, dich zu aktivieren: Halte die Aufmerksamkeit auf deinen Körper gerichtet, indem du subtile Veränderungen in der Haltung vornimmst oder das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerst.

Schlussfolgerung Diese Übung dient der Ablenkung von Stress. Welche ablenkenden Gedanken wurden dir bewusst? Hat sich dein Verstand einen Trick ausgedacht, wie z.B. sich auf einen Punkt an der Wand zu konzentrieren oder ein Lied zu hören, um dem Stress zu entkommen? Stress ist eine wesentliche Ablenkung der Aufmerksamkeit beim Klettern. Indem du den Wunsch deines Verstandes, dem Stress zu entkommen, beobachtest, die Reaktion verzögerst und die Aufmerksamkeit auf deinen Körper lenkst, lernst du, Stress zu verarbeiten und engagiert zu bleiben.

Konzentriere dich darauf, was du gerade tust: Atmung, Entspannen, Haltung Foto: Andrew Kornylak 255

ROCK WARRIOR’S WAY®

Einleitung – Der Weg des Rock Warrior® – Beschreibung der Methode: Die sieben Prozesse – Übungen

BEWUSSTSEIN SCHAFFEN

Bewusstsein schaffen (Leistung / Gewohnheiten ändern / Der Zeuge / Performance, Selbstbild und Selbstwert / Lerne zu lieben, liebe zu lernen / Kraft / Kraftlöcher / Kraftlecks / Wie man zum Beobachter wird) – Übungen

DAS LEBEN IST SUBTIL

Einleitung – Gleichgewicht (Die physische Haltung / Der kontrollierte Körper-Geist / Die mentale Haltung) – Stell dir Möglichkeiten in Aussicht – Verwende Power-Worte, die aktiv und nicht passiv sind! – Gib deinen Worten eine sinnvolle Richtung! – Sprich in fragen! – Worte der Kraft – Zentrum – Übungen

VERANTWORTUNG AKZEPTIEREN

Einleitung – Ausweichen und Akzeptieren – Objektives Beschreiben – Verantwortungsbewusstes Klettern – Risikoanalyse (Teil 1 – Die Route / Teil 2 – Konsequenzen eines Sturzes / Teil 3 – Der Kletterer) – Radikal ehrlich sein – Sich der Realität stellen – Übungen

GEBEN

Einleitung – Erwartung – Fokus – Empfangen – Raum, um zu glauben (Radikales Denken) – Übungen

ENTSCHEIDUNGEN

ESPRESSO LESSONS BEWUSSTSEIN

Mentaler Dialog – Children of the Sun – Bewusstsein – Das Reich des Geistes – Gedanken-Tricks – Der Zeuge – Der Prozess des Erwachens – Zusammenfassung – Zusammenfassung in Punkten

VORBEREITUNG

Defective Sonar – Intuitiv vs. analytisch – Widerstand und Akzeptanz – Risiken – Der MAP- Prozess: Sportklettern – Der MAP- Prozess: Tradklettern – Vorbereitung für Onsight - und Rotpunktversuche – Zusammenfassung – Zusammenfassung in Punkten

ÜBERGANGSPHASE

Entscheidungen – Echo Wall – Motivation und Ziele – Intuitive Intelligenz – NO-Sturz und YES-Sturz-Konsequenzen – Entscheidungspunkte – Verschiedene Arten der Aktivierung – Übergang zu Yes-Sturz Rotpunkt und Onsight – Absicht – Übergang und Erregung – Zusammenfassung – Zusammenfassung in Punkten

FALLEN

Magic Dragon – Analyse – Zusatz zum Sichern (Festmachen) – Die Nachstiegs/Vorstiegs- Entwicklung – Experimentelles Lernen – AAEH – Angst vorm Stürzen – Sich der Angst stellen – Zusammenfassung – Zusammenfassung in Punkten

AKTION

Einleitung – Das Risiko der Komfortzone (Die richtige Entscheidung? / Der Sturz: eine Untersuchung / Wie akzeptiert man einen Sturz? / Hingabe, okay - Doch wozu genau?) – Willkommen in der Risikozone (Unbeugsame Entschlossenheit) – Die Kugel und der Laserstrahl (Die Kugel / Der Laserstrahl) – Liebe und Hingabe – Der Moment der Wahrheit – Ein Schnappschuss – Übungen

Körperkenntnisse – Umstellung auf die Fähigkeit des Handelns – AAEH und die Fähigkeiten des Handelns – Die Fähigkeit der Bewegung – Qualität und Dynamik – Zyklen der Vorbereitung und der Aktion – Rotpunkten – Onsighten – Den Prozess des Erwachens in der Aktion anwenden – Zusammenfassung – Zusammenfassung in Punkten

ZUHÖREN

ZUSAMMENFASSUNG

DIE REISE

Mentale Beeinflussung – Wie man übt (Mountain Building / Der Weg zum Meister) – Coachen – Übungen – Zusammenfassung

Einleitung – Zuhören (Intuition / Alles unter Kontrolle haben vs kontrollierend sein) – Vertrauen – Übungen Einleitung – Das Hamsterrad – Wie man unter Druck Anmut walten lässt – Übungen

SCHLUSSBETRACHTUNG

ANHANG

BIBLIOGRAFIE

34,00 €

Inklusive MwSt.

ISBN: 978 88 55470 513