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EIN WENIG GESCHICHTE
Die Entwicklung des Sportkletterns in der Region Verona (und darüber hinaus) von Massimo Bursi
Die Geschichte der Klettergärten in der Region Verona beginnt im Jahr 1935, als Alberto de Mori bei den Felswänden von Stallavena eine ausmacht, die ihm als Trainingsgebiet für seine alpinen Unternehmungen dienen könnte.
DER BOGEN IST GESPANNT (1973-1982)
1973 existieren in Stallavena nur wenige Routen, die fast alle von Milo Navasa, Claudio Dal Bosco, Franco Baschera und Giancarlo Biasin eröffnet wurden. Viele junge Kletterer wiederholen diese Linien im damals üblichen Stil mit Stiefeln, Steigleitern und in meist künstlicher Kletterei (Gerardo Gerard, Claudio Filippini, Sergio Faccioli, Andrea Taddei, Franco Sgobbi, Lorenzo Avesani, Beppo Zanini , Angelo Recchia, Lino Ottaviani, Angelo Seneci, Gianni Rodighiero, Silvio Campagnola). Schon bald bricht eine neue Zeit an: man benutzt keine Bergstiefel mehr, sondern Gymnastikschuhe, legt die Steigleitern beiseite und zieht sich dennoch zwecks besseren Trainings auch mal an den Haken hoch. 1978-1979 versammeln sich junge Kletterer in einer Gruppe namens „I Nani”: sie haben neue Ideen und Sichtweisen und brechen mit dem traditionellen Alpinismusgedanken. Ihre Hauptakteure sind Bruno Bettio, Beppo Zanini sowie die Brüder Stefano und Cristiano Tedeschi. Die Entdeckung der unberührten Felswände in der faszinierenden Ceraino -Schlucht ist für die Gruppe ein magischer und ausschlaggebender Moment. Beppo Zanini erinnert sich, dass er die erste Seillänge der späteren Route Scoglio Rufus an einem Sommernachmittag im Jahr 1978 erschloss. Die ersten Linien der Placca del Bruno , ebenfalls in der Schlucht gelegen, wird von Bruno Bettio eingerichtet.
DER PFEIL LIEGT AUF (1983-1990)
Dank der Einführung von speziellen Kletterschuhen und der Verwendung von Bohrhaken wird das Freiklettern zu einer neuen Dimension im Bergsport und innerhalb weniger Jahre entstehen viele Klettergenbiete im Etschtal, im Valpantena und Valpolicella. Weitere Gruppen, die in der Region aktive Erschließungsarbeit betreiben, sind im Entstehen: in Caprino unter der Leitung von Sergio Coltri; in San Pietro In Cariano mit Kletterern der CAI-Sektion; Eugenio Cipriani mit Freunden und eine Gruppe um Beppo Zanini. Franco Coltri eröffnet den allerersten Klettergarten: Palestra del Babo . 1981 taucht zum ersten Mal der Name von Sergio Coltri auf, der zu einer Schlüsselfigur der Kletterei im Etschtal werden sollte. Zusammen mit Carlo Laiti erschließt er den Klettergarten Sengio Rosso . Dieser Klettergarten wird – wie auch alle anderen – von den jeweiligen Erschließern bzw. nachfolgenden Generationen immer wieder besucht, saniert und, soweit möglich, vergrößert. 1984 eröffnet Coltri seine ersten meisterlichen Routen im Klettergarten Ceraino . Er erkundet systematisch viele weitere Felswände: Bastionata del Talian , Placca del Forte , Tessari Storica , Serpele und Mitria . Bald darauf entstehen auch die Klettergebiete von Garda: Coltri richtet Metoga und die Parete dei Sogni ein, Eugenio Cipriani widmet sich dem Sektor Garda Alta . Eine sehr aktive Gruppe sammelt sich in der CAI-Sektion von San Pietro in Cariano. Emanuele Perolo, Maurizio Marchesini, Luciano Corsi, Maurizio Tommasi, Paolo Ettrappini, Gianni Bettinazzi und der überaus rege Luigi Pinamonte konzentrieren sich vor allem auf die Gebiete Ca’ Verde und Marciaga (1984-1985).
Eugenio Cipriani, Tano Cavattoni und Gianni Rodighiero erschließen 1982 die Placca d’Argento und kümmern sich danach um die Parete del Cubo. 1983 erkunden diese drei den Torre dei Ciliegi, das Gebiet Sengia Sbusa und die Pilastri di Boemia im Valpolicella. Beppo Zanini erschließt u.a. den Klettergarten Grattugia im Etschtal. Seine Arbeit ist ganz einfach als monumental zu bezeichnen, ihm haben die Kletterer aus Verona zu verdanken, dass sie direkt vor ihrer Haustüre sichere Routen finden. Beppo erschließt und saniert ein ganze Reihe von kleinen und großen Klettergärten und finanziert dies mit dem Verkauf seiner Führer und mit eigenen Geldmitteln. Es gibt kaum einen historischen Klettergarten, wo Beppo nicht Hand anlegt, um die Absicherung einer oder mehrerer Routen zu verbessern. Seine gesamte Arbeit zeichnet sich durch viel Präzision, großes Bewusstsein und fachliches Können aus. In jenen Jahren wächst ein neues Klettertalent heran: Nicola Sartori wird viel dazu beitragen, dass die Schwierigkeitsgrade in der Region deutlich steigen. 1983 erschließt er mit einem Handbohrer in Stallavena seine ersten beiden Routen: Messaggeri del teschio (7a+) und Il signore degli Inganni (6b). Zusammen mit seinem Freund Tano Cavattoni, ein Naturtalent wie er selbst, gelingt ihm die erste freie Begehung der Routen Only diei (7b) und Sigagnola club (7a+) an der Placca d’Argento. In den darauffolgenden Jahren richtet Sartori mit seinem Bruder Emanuele den Klettergarten Sipario delle Ombre ein.
DER PFEIL FLIEGT (1991-2007)
1991 wendet sich das extreme Klettern in eine andere Richtung: das Spiel mit der Senkrechten verlagert sich von den Platten in die überhängenden Wände. Das Etschtal war zwar schon lange bekannt für die Qualität seiner Felswände und der schönen Plattenrouten, nun aber wir das von Euge- nio Cipriani entdeckte und erforschte Gebiet Ceredo mit über zweihundert Routen zum Spielfeld von Kletterern aus aller Welt, welche sich in den dortigen Überhängen mit höchsten Schwierigkeitsgraden auseinandersetzen. Die ersten Sportkletterlinien werden von Beppo Zanini und Michele Campedelli erschlossen, bald schon sind auch außergewöhnliche Kletterer wie z.B. Nicola Sartori, Luca Gelmetti und Andrea Tosi am Werk und richten hier extreme überhängende Ausdauerrouten ein. Sie erschließen viele Linien an tollen Sintern, die sich oft nicht einmal mit sehr viel Training punkten lassen. Ein paar Locals schließen sich bald schon zu einer Gruppe zusammen, den sogenannten Ceredisti, die von diesem magischen Spot begeister sind und in den Bann von sehr schwierigen Routen geraten, die erst nach vielen Versuchen befreit werden können, aber um so mehr Befriedigung bieten. Mitte der 1990er Jahre richten einige aus Ceredo bekannte Erschließer das Gebiet Sega di Ala ein, bald schon helfen Francesco Fonte Basso und Andrea Simonini bei den Arbeiten. Ab Mitte jenes Jahrzehnts erschließt Lodovico Gaspari das Klettergebiet Campore, welches jahrelang aber nur wenig besucht wird. Erst mit den neuen Linien von Tommaso De Zuani und Michele Lucchini (und wegen der milden Temperaturen im Winter) kommen vermehrt Kletterer hierher. 1997 macht sich Beppe Vidali ans Werk: durch seine Arbeit entstehen die Gebiete Belvedere, Giardino delle Peonie und danach Sgrenza. In den letzten beiden Gebieten richtet Luca Gelmetti neue interessante Wege ein und verlängert einige der bestehenden Routen. 1999 beginnt er mit der Erschließung der wunderschönen extremen Wand namens Meteorite. Silvio Scandolara richtet die ersten Routen im völlig unbekannten Gebiet von Soave ein. Im Jahr 2000 erschließen Luigi Zavatteri und Freunde (u.a. Gianluca Bellamoli) die ersten Linien im Gebiet Majocon Es war natürlich schon immer notwendig, sich auf Klettertouren spezifisch vorzubereiten. Mit den extremen Routen in Ceredo muss dies nun aber auf systematische, ja fast wissenschaftliche Art und Weise geschehen – es genügt nicht, dies nur an den üblichen Felswänden der Gegend zu tun. Spezielle Indoor-Möglichkeiten mussten also her, weshalb sich die stärksten Kletterer also zu Hause Trainingsbereiche schaffen, die sie meist nach der dem Vorbild der Trainingswand von Luca Gelmetti, dem anerkanntesten und stärksten Kletterer der Region, einrichten
Aber was dabei fehlt, ist der soziale Aspekt: erst mit der der kleinen Boulderhalle im Geschäft „Turnover” in Grezzana bietet sich auch die Möglichkeit, mit Anderen zusammenzukommen und gemeinsam zu trainieren. Daraus entsteht das Ceredo Climbing Team, das sich von nun an in einer ehemaligen Schule in San Briccio trifft, wo eine Boulderhalle eingerichtet worden ist. Einige der ehrgeizigeren Alpinisten belegen nun auch Bergführerkurse und konstituieren sich später als Vereinigung mit dem Namen X-Mountain. Andere Alpinisten treten dem engen, etwas elitären Kreis der Akademischen Sektion des Italienischen Alpenvereins (CAI) bei: Alberico Mangano, Silvio Campagnola, Arturo Franco Castagna und Cristiano Pastorello. Sie sind die ersten aus Verona seit den 1960er Jahren, die diesen Schritt unternehmen. Mittlerweile stellt sich auch schon das Problem der Erhaltung dieser vielen neuen Gebiete, weshalb Sergio Coltri, Beppe Vidali und Lodovico Gaspari 2005 eine Vereinigung gründen (LAAC - Libera Associazione di Alpinisti Chiodatori), die im Etschtal zu Gange ist.
NEUE PFEILE FÜR DEN KÖCHER (2008-2022)
In der jüngsten lokalen Klettergeschichte zeigen sich zwei Entwicklungen: Mit dem Bau einer großen Kletterhalle findet das Indoor-Klettern auch hier immer mehr Zuspruch und durch die zunehmende Zahl der Kletterer werden von der jungen Klettergeneration nun in schneller Reihenfolge weitere Felswände eingebohrt. 2008 gelingt es Nicola Tondini, viele Energien zu bündeln und finanzielle Mittel aufzutreiben, um das Projekt „Kletterhalle King Rock” ins Leben zu rufen – geklettert wird nunmehr nicht nur an natürlichem Fels, sondern auch an Plastik. Klettern ist mittlerweile als „ernsthafte“ Sportart anerkannt und nimmt sogar Kurs auf die Olympischen Spiele. Aber bleiben wir bei der örtlichen Chronik: Immer mehr neue Klettergebiete werden erschlossen, sowohl im Etschtal als auch im Valpolicella, im Valpantena und sogar in den Monti Lessini. Am Gardasee erweitert Nicola Sartori das Gebiet Parete dei Sogni mit extremen Linien.
Auch im Gebiet des Canyons Vajo dell’Orsa, wo Igor Micheletti mit Hilfe von Beppo Zanini schon Ende der 1990er Jahre die ersten Linien erschloss, entstehen weitere Klettergärten. Andrea Simonini und Freunde bohren die ersten Linien in den Sektoren Gigliottina und Jamaica ein, die Vereinigung LAAC erschließt das Gebiet Inverno. Beppe Vidali und Cristiano Pastorello entdecken den Klettergarten Isola che non c’è, Sergio Coltri erschließt Maso Corona, gelegen in der Nähe von Spiazzi, einem kleinen Ort ebenfalls im Etschtal. Das Gebiet Falesia dei Ciclopi mit vielen überhängenden Linien erschließen Rolando Larcher und Marco Curti in den Jahren 2015- 2017. Dort hatten Sergio Coltri und Luigi Pinamonte schon einige Mehrseillängenwege eingerichtet, und nun wird es zu einem weiteren „Versuchslabor” für extreme Routen. Neben den Freunden aus dem Trentino macht sich eine weitere Gruppe aus Verona ans Werk: unter der Leitung des unermüdlichen Andrea Simonini erschließen Nicola Zorzi, Tiziana Najjar und Tommaso Marchesini den rechten Sektor. In der Nähe von Tessari richtet die Vereinigung LAAC den Klettergarten Undulna ein, der ursprünglich von Eugenio Cipriani erforscht und mittlerweile von Luca Gelmetti saniert wurde. Dort finden sich auch viele einfachere Linien für Einsteiger. Alessandro Arduini entdeckt und erschließt die Felswände von Gaium (2015) und New Gaium (2019), beide liegen ganz in der Nähe einer kleinen Kirche. Diese bieten interessante Linien und eignen sich perfekt für Leute, die längere Zustiege hassen. .
2013 entdeckt Alessandro Arduini bei Rivalta eine schöne, kühle Grotte: schon bald darauf wird er Sottocoi zusammen mit Freunden (u.a. Andrea Simonini, Ivan Maghella, Cristiano Pastorello, Valentino Farinola) einrichten. 2015 beschäftigen sich die Freunde Alessandro Arduini, Ivan Maghella und Marco Gnaccarini mit der Erschließung der Falesia degli Amici, der Klettergarten liegt unterhalb des Monte Pastello an der orografisch linken Seite der Etsch. Andrea Simonini erschließt auf der orografisch linken Seite der Ceraino-Schlucht, fast gegenüber des gleichnamigen historischen Klettergartens, eine neue Wand namens Eldorado. Und wie immer hat er auch diesmal seine Freunde dabei: Marco Battaglia, Michele Battaglia, Sergio Coltri, Giacomo Duzzi, Lorenzo Moretto, Alessandro Pimazzoni, Lisa Guzzo und Tommaso Marchesini. Die Ostseite des Cordespino-Bergrückens bietet nach wie vor neue Möglichkeiten für die junge Klettergeneration. 2013 beginnt Andrea Simonini dort mit den ersten Arbeiten am Klettergarten Specchio. In den folgenden Jahren kümmern sich Michele Lucchini, Giacomo Duzzi, Tommaso Marchesini und Ivo Bonazzi um die weitere Erschließung. 2018 entsteht durch die Arbeit von Tommaso Marchesini, Tiziana Najjar und Nicola Zorzi der Klettergarten Bolla, wo später auch Giovanni Avesani, Ivo Bonazzi und Nicolò Tedeschi weitere Routen einrichten. 2019 beginnt der unermüdliche Andrea Simonini zusammen mit Freunden die ersten Erschließungsarbeiten im Gebiet Babo 2.0, direkt beim Gebiet Palestra del Babo, das schon vor ca. vierzig Jahren Trainingsgebiet der Locals war. Damit schließt sich dort ein Zeitraum mit diversen Klettergenerationen, mit vielen Freundschaften, mit Klettern in Platten und in Überhängen, mit Siegen und Niederlagen, aber oft begleitet von Lachen und einem gemeinsamen Bier nach getaner „Arbeit”.
Gehen wir nun ein Stück weiter in die Region von Molina, wo sich oberhalb von Fumane beim Weiler Botesela das Gebiet Ederland befindet, das von Federico Barbi, Luca Maccarini, Mirko Viviani und Marco Zangiacomi entdeckt und erschlossen wird. Zu erwähnen ist auch Tempio delle Cimici, ein Klettergarten, der von Tommaso und Sebastiano De Zuani, Michele Lucchini sowie Giacomo Duzzi eingerichtet wird. In der Auflistung nicht fehlen dürfen das Gebiet Tempio delle Cimici, ebenfalls eingerichtet durch Tommaso und Sebastiano De Zuani, Michele Lucchini und Giacomo Duzzi sowie der Klettergarten Ceredo Alta, wo Eugenio Cipriano schon Anfang der 1980er Jahre ein knappes Dutzend Routen erschloss. Aber erst die neuen Routen von Beppo Zanini, Emanuele Sartori, Francesco Fonte Basso, Andrea Simonini, Bruno Fornari und Gianluca Bellamoli wird das Gebiet richtig bekannt.
Das Gebiet Falconi wird mit Hilfe der finanziellen Mittel erschlossen, welche durch den Verkauf eines Kletterkalenders des verstorbenen Fotografen und Kletterers Mauro Magagna eingingen. Zu
Werke gingen dabei Andrea Simonini, Francesco Fonte Basso, Giacomo Duzzi, Gianluca Bellamoli und Bruno Fornari. Die neueste Kreation ist New Ceredo, eine nicht sehr hohe, überhängende Felsbastion in der Nähe von Ceredo Classica, Entdeckt wurde das Gebiet zwar schon Anfang der 1990er Jahre von Marco Marras, Giampaolo Pesce und Beppo Zanini, die dort auch ein paar Routen erschlossen. Aber erst Alessandro Corradini und Christian Longo nehmen die Bohrmaschine in die Hand, um hier weitere Routen einzurichten. Weiter im Osten finden sich die Klettergärten Gauli (in der Nähe des gleichnamigen Weilers) sowie Torla (bei einem Rifugio in der Nähe des Orts Campofontana). Nicht unerwähnt soll an dieser Stelle bleiben, dass sich unter der Leitung von Nicola Tondini in den letzten Jahren verschiedene Gruppen von Bergführeranwärtern um den Erhalt und die Sanierung der Klettergärten Marciaga, Ca’ Verde, Sipario delle Ombre und Campore kümmern.