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GEDANKEN ZUR UMWELT
von Diego Perotti
Wer draußen klettern geht, muss sich auch einem Diskurs über die Umweltverträglichkeit unseres Sports stellen. Auch wir sind nämlich Nutznießer des geografischen Raums und sollten uns der Problematik einer mehr oder weniger umsichtigen und klugen Nutzung dieses Raums bewusst sein. Erst recht, seitdem sich wegen vieler Kletterhallen oder auch der öffentlichen Aufmerksamkeit z.B. bei Olympischen Spielen immer mehr Kletterer an Felswänden einfinden. Diese Zunahme führt zu einer wachsenden Umweltbelastung, die uns dazu bringen muss, darüber nachzudenken, wie sehr sich unsere Aktionen tatsächlich auf den Raum auswirken, in dem wir tätig sind. Dabei müssen wir die naive Vorstellung vom Kletterer als Guru und Naturschützer, der in kompletter Harmonie mit der Umwelt handelt, hinter uns lassen. Es ist in der Tat offensichtlich, dass auch wir in Wirklichkeit störende Elemente darstellen, die eine umfassende und andauernde Veränderung der Orte bewirken, deren Ressourcen wir nur deshalb manipulieren, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Leider scheint es so zu sein, dass der historische Hintergrund und die Erfahrungen altehrwürdiger Vorläufer nicht ausreichen, um Schäden an der Natur zu vermeiden. Dies betrifft nicht nur die Tatsache, dass Bohrhaken irreparable Schäden darstellen und daher gewissenhaft (und sparsam) angebracht werden sollten. Unbedingt vermieden werden sollten auch andere Praktiken wie aggressives Säubern von Routen, Entfernen von Sträuchern und Bäumen, Chippen von Griffen oder Tritten oder übermäßiges Chalken. Im Jahr 2023 sollten solche Bräuche eigentlich nicht mehr als „normal“ angesehen, sondern von Grund auf überdacht werden. Aber leider, nur ungenügend versteckt hinter Bannern wie „Aufwertung der Region“ und „individuelle Freiheit“ (= Ego + Egoismus), finden wir immer wieder Spuren solcher Anti-Umwelt-Aktionen. Manchmal werden sie regelrecht eingefordert, oft verschärft durch das Stillschweigen und die Duldung der Nutzer (ethische und moralische Werte spielen kaum eine Rolle – wenn ich klettere und Spaß habe, warum soll ich dann die Arbeit von jemandem kritisieren?).
Zweifellos werden viele Leute solche Gedankengänge als Hirngespinste oder nutzlose Philosophien abtun, mit der eigentlich logischen Argumentation: „hm... aber wenn man nichts macht (= nicht einbohrt) oder nur wenig macht (= zu wenig einbohrt), dann macht man ja auch gar nichts falsch!“. Ich bin der Meinung, dass das grundlegende Problem ein Mangel an individueller oder kollektiver Selbstkritik ist. Die natürlichen (und insbesondere die geologischen) Ressourcen sind nicht unerschöpflich. Die Aufgabe besteht also darin, sich den geografischen Raum nicht mehr nur als passive Realität vorzustellen, der bedingungslose Bequemlichkeiten bietet oder für das phantasievolle Experimentieren einiger weniger Leute bestimmt ist. Es ist vermutlich auf die früher geringe Verbreitung des Klettersports zurückzuführen, dass auch Routen in Felswänden eingerichtet wurden, bei denen nach einer vorherigen Analyse eigentlich ersichtlich gewesen wäre, dass sie bald darauf eh wieder in Vergessenheit geraten würden.
Mittlerweile müsste das (vermeintlich) größere Umweltbewusstsein der Kletterer dazu führen, dass wir nicht andauernd nach neuen Möglichkeiten suchen und sie dadurch „verbrauchen“, sondern die Zukunftsaussichten unberührter Wände erst einmal evaluieren. Die Nutzung der bestehenden Möglichkeiten muss deshalb aber durch ständige Überprüfungen und Sanierungen erhöht werden. Es versteht sich heutzutage eigentlich von selbst, dass Alpinismus und Sportklettern sich im Zusammenwirken von Gesellschaft, Politik oder auch Wirtschaft entwickeln sollten. Ein Klettergebiet ausschließlich als physischen Ort zu begreifen, an dem man seinem Sport mit allen Freiheiten nachgehen kann, ist nicht mehr zeitgemäß. Im Namen der Freiheit wurde nämlich bislang vieles legitimiert, auch das, was der Natur angetan wurde (mit Bohrhaken, Schlingen, oder gar partiellen Abholzungen). Aus diesem Grund sind dogmatisch angehauchte Entwicklungsmodelle für den Tourismus, welche aufgrund der Nachfrage nach Quantität eine Verschlechterung der Qualität mit sich bringen, nicht mehr tragbar. Solch kurzsichtigen Visionen einer politischen Klasse und mancher Privatpersonen, die über die extreme „Lokalförderung" und die ungezügelte Ausbeutung von Ressourcen nicht hinauskommt und manchmal sogar den Anspruch hat, innovativ zu sein („Dieser Vorschlag hat gefehlt, hier ist er!“), müssen überwunden werden. Dabei wird jedoch meist vergessen, dass der gesellschaftliche Wert einer Aktion daran zu messen ist, welche Auswirkungen sie auf das komplexe System der Interaktionen zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft hat, und sicherlich nicht daran, welche Vorteile und Privilegien sie einigen Wenigen bietet. Das soll keinesfalls heißen, dass der Mensch an sich ein „Schadstoff“ ist, der alleinige Feind einer um jeden Preis zu schützenden Umwelt; geschweige denn, dass die Natur und im speziellen ein bestimmtes Gebiet im Namen eines unkritischen und inflationären Schutzgedankens zu einem Museum wird. Kulturlandschaften waren schon immer und sind nach wie vor das Abbild der vergangenen und aktuellen Beziehung zwischen menschlichem Handeln und natürlichen Gegebenheiten. Auf Basis der langfristigen Auswirkungen dieser Beziehung wird man einst beurteilen, welchen Anteil jeder Einzelne durch Weitblick oder Mangel an Einsicht daran letztendlich hatte. Dahinter steckt, wie viele wohl denken, nichts Mystisches oder Abstraktes, das in intellektuelle Diskussionen gehört, sondern eine praktische und dringende Notwendigkeit.
Dieser Kletterführer soll auch Manifestation dieser Beziehung sein, ein Abbild des Sportkletterns in der Region Verona. Er soll auch, bedingt durch die vielen Beschreibungen bzw. durch absichtliches Nicht-Beschreiben einiger Gebiete, zum Nachdenken anregen. Welche Gebiete wird es in Zukunft geben, welche sollen gefördert werden aufgrund ihrer Qualität, Art oder Lage? Unsere Hoffnung ist, dass man sich zunehmend danach richtet, das Vorhandene zu sehen, zu verstehen und wertzuschätzen, aus praktischen und nachvollziehbaren Zielen. Der Dialog zwischen allen Interessengruppen - Privatpersonen, lokale Behörden, Verbände, Institutionen, Bergführer, Erschließer – soll angeregt werden, damit wir die mittlerweile überholten und antiquierten Wortkombinationen „territoriale Aufwertung“ und „individuelle Freiheit“ ein für alle Male hinter uns lassen können.