EVIDENT 1/2015

Page 1

EVIDENT

Ein Spezial von LUX – Intelligente Energie in Zusammenarbeit mit Green City Energy AG

Umwelt III Wirtschaft III Nachhaltigkeit SEPTEMBER 2015

IMMER NUR

ZUGREIFEN? III Die Erde ist ein Füllhorn. Sie gibt uns alles, was wir zum Leben brauchen. Doch kaum jemand geht pfleglich mit ihr um.

Der MÜLL heißt jetzt WERTSTOFF SEITE 6 Richtig GELD anlegen SEITE 14 EINE BEILAGE IN DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG

WER PRÜFT die Label? SEITE 20


Bedeutet der Anschluss der Krim an Russland die Wiederherstellung der historischen Gerechtigkeit? Kämpfen im Industriegebiet Donbass Russen für die Befreiung von ukrainischer Repression? Hat die Nato den blutigen Konflikt geschürt?

Auch als

eBook

Diese Fragen werden auch in der Bundesrepublik heftig diskutiert, sie bestimmen die Linien der Außenpolitik.

erhältlich!

DIE IRRTÜMER DES KREMLS Von Thomas Urban, 24 Jahre lang Osteuropa-Korrespondent

RETTET DIE KINDHEIT

DIESE WIRTSCHAFT TÖTET

WIR SIND VIELE

DIE IRRTÜMER DES KREMLS

EINE FRAGE DER GERECHTIGKEIT

Lasst die Kinder in Ruhe! Ein Plädoyer.

Ein Mahnruf von Papst Franziskus für eine solidarische Wirtschaft.

Eine Anklage gegen den Finanzkapitalismus.

Warum wir den Krieg im Osten Europas stoppen müssen.

Ein Plädoyer für ein faires Steuersystem.

Von Heribert Prantl, Ressortleiter Innenpolitik/ Mitglied der Chefredaktion

Von Thomas Urban, 24 Jahre lang OsteuropaKorrespondent

Von Claus Hulverscheidt, Ressortleiter Wirtschaft in Berlin

Von Joachim Käppner, Redakteur Innenpolitik. Mit einem Vorwort von Heribert Prantl

Von Matthias Drobinski, Redakteur Innenpolitik. Mit einem Vorwort von Heribert Prantl

Die besten Seiten der Streitkultur. Lesen Sie das, was niemand zu sagen wagt: die Streitschriften der Süddeutschen Zeitung. Für je 4,90 € überall im Handel. Sie erhalten die Streitschriften auch als eBook für jeweils 3,99 €. Jetzt bestellen: 089/2183 - 1810

sz-shop.de/streitschriften

Ein Angebot der Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München.


Inhalt

Bodenschätze Wer liefert unserer Industrie Metalle?

4

Recycling Unser Müll heißt jetzt Wertstoff

6

Gute Nachrichten Mit Engagement viel bewegen

12

Geldanlagen So wird die Rendite grün

14

Green City Energy Die Energiewende mitgestalten

18

Produkte mit Sinn Schön und gut

21

Naturvölker Rettendes Heilwissen aus dem Regenwald

22

Labeldschungel

28

Outdoor

Darf ich diesen Fisch essen?

Die Chemie muss raus aus den Klamotten!

6

18 22

34

Kolumne Wir wollten doch nur teilen

38

Gewinnspiel

39

34

IMPRESSUM Aus verantwortungsvoller Waldbewirtschaftung

III Herausgeber: Süddeutscher Verlag onpact GmbH, München; Green City Energy AG, München. III Geschäftsführer: Christian Meitinger III Redaktionsleitung: Hartmut E. Rätsch III Redaktion: Katrin Lange, Gunda Achterhold, Egbert Scheunemann (Lektorat) III Gestaltung: dworak & kornmesser III Titelillustration: Elke Ehninger III Anzeigen und Advertorials: Susanne Kögler, Anschrift wie Verlag, Telefon 089/2183-7215, Fax -7201, anzeigen@sv-onpact.de III Verlag: Süddeutscher Verlag onpact GmbH, Hultschinerstr. 8, 81677 München III Herstellung: Nathalie Häuser III Litho: Compumedia GmbH, 80687 München III Druck: TSB Mönchengladbach, Grunewaldstr. 59, 41066 Mönchengladbach (EMAS-zertifiziert, geprüftes Umweltmanagement DE–137–00034) Das Magazin wird der Gesamtauflage der Süddeutschen Zeitung beigelegt.

1/2015 E V I D E N T 3


TR HO EHM SA TOFFE

WER LIEFERT AM MEISTEN? Um seine Industrie am Laufen zu halten, muss Deutschland eine Vielzahl unterschiedlicher Metalle importieren. EVIDENT zeigt Ihnen, welche Länder im Jahr 2013 am meisten davon aus dem Boden geholt oder produziert haben. Monopolist China China verfügt über circa 66 Prozent der weltweiten Ressourcen, fördert jährlich aber fast 90 Prozent der begehrten Seltenen Erden. Nur langsam steigen andere Nationen wieder in die Förderung ein. 180 000

CHINA

160 000 140 000

Produktion in Tonnen

KANADA

USA

Titanminerale 2.800.000 Tonnen weltweit insgesamt 18.000.000 Tonnen entspricht 15,56 Prozent Titan wird bei der Metallveredelung verwandt

REST DER WELT

120 000 100 000 80 000 60 000 40 000

MEXIKO

20 000

4 E V I D E N T 1/2015 1/2014

st ) (e

12

Silber 5.821.001 Tonnen weltweit insgesamt 26.107.000 Tonnen entspricht 22,30 Prozent

20 Jahre

CHILE

DIAMANTEN

55 Jahre ÖL

40 Jahre KUPFER

ZINK

18 Jahre

120 Jahre EISEN

40 Jahre NICKEL

35 Jahre

Welche Metalle stecken im …

PLATIN

GOLD

Wann ist Schluss? Wenn man die bekannten Vorräte durch den jährlichen Verbrauch teilt, gehen viele Rohstoffe bald zur Neige. Doch neue Vorkommen, Fördermethoden und wechselnde Verbräuche bringen dieses Zahlengerüst immer wieder ins Wanken.

20 Jahre

20

13

10

11

20

20

05

20

20

00 20

90

95 19

85

19

80

19

19

75 19

70

65

19

19

19

60

0

Kupfer 5.776.000 Tonnen weltweit insgesamt 18.100.000 Tonnen entspricht 31,91 Prozent Lithium 13.500 Tonnen, weltweit 35.000 Tonnen* entspricht 38,57 Prozent Grundstoff für Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien

… Smartphone

… Windrad

Kupfer, Eisen, Aluminium, Nickel, Zink, Blei, Lithium Edelmetalle: Gold, Silber, Platin, Palladium Seltene Metalle: Kobalt, Gallium, Indium, Wolfram, Tantal Seltene Erden: Neodym, Praseodym

Stahl und damit alle bei der Stahlproduktion benötigten Metalle (u. a. Eisen, Chrom, Nickel, Mangan), Kupfer, Eisen, Bor Seltene Erden: Neodym, Terbium, Dysprosium Je nach Art und Bauweise des Windrads variieren die genaue Zusammensetzung und die Anteile der einzelnen Rohstoffe stark.


R O H STTHOEFM FA E

CHINA

Wolfram

Aluminiumproduktion 44.375.700 Tonnen weltweit 101.400.000 Tonnen entspricht 43,76 Prozent Molybdän

Platin

Gold 428.000 Tonnen weltweit insgesamt 2.790.000 Tonnen entspricht 15,34 Prozent Eisenerz 1.451.011.000 Tonnen weltweit insgesamt 3.157.000.000 Tonnen entspricht 45,96 Prozent Blei 3.000.000 Tonnen weltweit insgesamt 5.600.000 Tonnen entspricht 53,57 Prozent Manganerz 15.500.000 Tonnen weltweit insgesamt 52.800.000 Tonnen entspricht 29,36 Prozent Mangan kommt vorwiegend in der Stahlindustrie zum Einsatz, Molybdän 110.000 Tonnen weltweit insgesamt 270.000 Tonnen entspricht 40,74 Prozent Wird bei der Erzeugung von Metalllegierungen verwandt.

D E M O K R AT I S C H E REPUBLIK KONGO Kobalt 76.874 Tonnen weltweit insgesamt 125.000 Tonnen entspricht 61,50 Prozent

Nickel 868.300 Tonnen weltweit insgesamt 2.548.000 Tonnen entspricht 34,08 Prozent

Zinn 149.000 Tonnen weltweit insgesamt 343.000 Tonnen entspricht 43,44 Prozent

Einsatz unter anderem in der Metallindustrie

Infografik: Kathrin Schemel (Grafik), Katrin Lange (Text)

INDONESIEN

Wolfram 60.000 Tonnen weltweit insgesamt 77.200 Tonnen entspricht 77,72 Prozent Verwendung in der Stahlherstellung

SÜDAFRIKA

Vanadium 40.000 Tonnen weltweit insgesamt 69.000 Tonnen entspricht 57.97 Prozent Einsatz in der Metallindustrie

Chrom-Erz 13.644.699 Tonnen weltweit insgesamt 28.800.000 Tonnen entspricht 47,38 Prozent

AUSTRALIEN Bauxit 81.119.000 Tonnen weltweit insgesamt 296.000.000 Tonnen entspricht 27,41 Prozent Grundstoff zur Produktion von Aluminium

Zink 5.000.000 Tonnen weltweit insgesamt 13.500.000 Tonnen entspricht 37,78 Prozent

Platinmetalle 264.188 Tonnen weltweit insgesamt 441.000 Tonnen entspricht 59.91 Prozent

Metalle der Seltenen Erden 95.000 Tonnen weltweit 111.000 Tonnen entspricht 85,59 Prozent

Scandium

Sc

Metalle der Seltenen Erden Sammelbezeichnung für die Elemente Scandium, Yttrium sowie die 15 Lanthanoide Lanthan

Cer

La 138,91

Praseodym

Ce 57

140,12

Pr 58

140,91

Neodym

Promethium

Nd 59

144,24

Pm 60

145

61

Samarium

Sm 150,36

62

Europium

Eu 151,96

Gadolinium

Gd 63

157,25

Terbium

Dysprosium

Tb 64

158,93

Dy 65

162,50

Holmium

Ho 66

164,93

44,96 Erbium

Thulium

Er 67

167,26

Quellen: British Geological Survey, World Mineral Production 2009-2013, *U.S. Geological Survey, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, VDI Zentrum für Ressourceneffizienz, Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, Informationszentrum Mobilfunk

168,93

Y 21

Ytterbium

Tm 68

69

Yb 173,04

Yttrium

88,91

39

Lutetium

Lu 70

174,97

71

1/2014 E V I D E N T 5


RECYCLING

6 E V I D E N T 1/2015


RECYCLING

Was einmal schön war, wird hässlich, was nützlich war, ist plötzlich unnütz – wir nennen das dann Müll. Was passiert eigentlich mit unserem Abfall? BERLIN HAT VIEL MÜLL, ABER AUCH EINE LÖSUNG.

UNSER MÜLL HEISST JETZT WERTSTOFF Städte sind wie Wohnungen. Man begreift ihr wahres Wesen erst, wenn man auch mal in den Keller hinabsteigt. Dorthin, wo lagert, was fremden Augen besser verborgen bleibt.

A

VON ANGELIKA OHLAND, ILLUSTRATIONEN ELKE EHNINGER

uch Berlin hat seinen Keller, er umfasst 5.000 Quadratmeter und liegt 15 Meter tief unter dem Potsdamer Platz. Die Oberwelt: 6,8 Hektar hoch aufgeschossene gläserne Architektur, eine Stadt für sich aus Shoppingarkaden, Kinos, Flanierplätzen, Büros, Restaurants, Hotels und Spielkasino. Die Unterwelt: ein abwaschbares, verästeltes Ver- und Entsorgungszentrum in Kunstlicht, in dem jeden Tag 200 Lkw neue Waren anliefern und das, was übrig blieb, abtransportieren. Überall Aufzüge, Türen, Hunderte von Metern an Gängen. Wie ist es möglich, sich hier ohne Navi zurechtzufinden? Der Potsdamer Platz ist wohl der einzige Platz der Welt, der berühmt für seinen Keller ist. Logistik- und Abfall-Experten aus allen Kontinenten machen Termine, um zu erfahren, wie das funktioniert: ein nachhaltiges Konsumparadies. 10.000 Menschen leben und arbeiten am Potsdamer Platz, 100.000 kommen täglich zu Besuch. Und produzieren jedes Jahr 3.000 Tonnen Müll, der im Keller in 500 Mülltonnen gesammelt wird – jede einzelne fasst mehr als 1.000 Liter. Und nichts von dem, was im Keller geschieht, kriegen sie mit – die vielen Menschen vom Potsdamer Platz. Als gäbe es ihn gar nicht, den ganzen Müll. Und auf eine gewisse Art stimmt dies sogar.

DENN VON MÜLL SPRICHT in Berlins berühmtem Keller niemand mehr. Müll heißt jetzt Wertstoff. Alles ist hier irgendwie etwas wert, sogar die Gemüse- oder Kuchenreste auf den abgeräumten Tellern der Restaurants und Bäckereien. 15.000 Tonnen solcher Nahrungsreste fallen jedes Jahr am Potsdamer Platz an. Aus braunen Tonnen entleert sich das matschige Gemenge aus Brot, Broccoli, Apfelstummel und Soßen in eine Maschine – vorher haben Arbeiter noch per Hand alles Harte wie Knochen oder Gabeln herausgefischt. Dann zerkleinert die Maschine,

was niemand mehr aufessen wollte, weicht die Reste auf und verrührt sie zu Brei. Lecker ist das nicht. Es stinkt. Die Dehydrieranlage entzieht dem Brei das Wasser, aus einem Rohr fallen Flöckchen heraus, die einmal Brot oder Broccoli waren. Die Flocken werden mit einem Lkw in eine Biogasanlage in Brandenburg gefahren, mit dem Gas kann man wiederum Lkw betanken. Auch das Wasser, das dem Nahrungsbrei entzogen wurde, wird nicht etwa weggeschüttet, sondern geklärt und wieder zu Trinkwasser aufbereitet. Eine fast perfekte Kreislaufwirtschaft, privat betrieben von der Alba Group: Die eine Hälfte des Abfalls wird zu Energie gemacht, die andere recycelt. Hierfür werden die verschiedenen Stoffe in 13 Sorten getrennt, alles wird gewogen, und ein Chipsystem macht nachvollziehbar, wer da oben was in welche Tonne da unten geworfen hat. BERLIN, die größte deutsche Stadt. 3,5 Millionen Einwohner, 1,8 Millionen Haushalte, die jedes Jahr 1,2 Millionen Tonnen Abfall produzieren. Wohin damit? Diese Frage müssen die Berliner Stadtreinigungsbetriebe quasi täglich beantworten. Wobei Stadtreinigung irgendwie noch nach Kehrbesen klingt und nach Müllbergen irgendwo im Nirgendwo, also nach vorigem Jahrhundert. Die Berliner Stadtreinigung aber ist eines der größten und modernsten kommunalen Entsorgungsunternehmen in Europa. Es beschäftigt 5.300 Mitarbeiter und macht im Jahr einen Umsatz von 485 Millionen Euro. Die Frage „Wohin damit?“ stellt dort denn auch niemand mehr. Sondern: Was machen wir aus dem Müll, der kein Müll ist, sondern ein Sammelsurium aus verschiedensten Wert- und Rohstoffen? Wie werden aus alten neue Dinge, wie wird aus Reststoffen Energie? 1/2015 E V I D E N T 7


RECYCLING

III STAHLSCHROTT IST BESONDERS WERTVOLL, WEIL MAN IHN OHNE QUALITÄTSVERLUST BELIEBIG OF VERWENDEN KANN. AM ENDE WIRD GEWALZTES BLECH DARAUS - WORAUS MAN WIEDER WASCHMASCHINEN HERSTELLEN KANN.

Berlin hat 15 Recyclinghöfe, auf denen man fast alles loswird, was man nicht mehr braucht – vom Sperrmüll bis zu Elektrogeräten. Hinzu kommen die Abfälle, die schon bei den Häusern getrennt erfasst werden, etwa die für die Wertstofftonne. Deren Inhalt kommt zunächst einmal in eine Sortieranlage der Firma Alba, die auch die Müllentsorgung unterm Potsdamer Platz regelt: Über Förderbänder gelangt der Tonneninhalt in eine Art Trommel, wo die Dinge nach Größe getrennt werden. Infrarotgeräte scannen den Müll auf den Förderbändern, Luftdruckdüsen blasen leichtere Kunststoffe auf ein gesondertes Förderband, durch einen Luftzug werden Folien abgesaugt, Magnete ziehen Dosen, Kronkorken und andere Dinge aus Metall an. Die einzelnen Fraktionen werden später zu handhabbaren Paketen gepresst, damit man sie zur Weiterverarbeitung gut transportieren kann. Stahlschrott ist besonders wertvoll, weil man ihn ohne Qualitätsverlust beliebig oft wieder verwerten kann. Stahlwerke schmelzen ihn ein, mengen ihm gegebenenfalls Zusätze wie Chrom oder Silizium bei – und verarbeiten ihn am Ende zu gewalztem Blech. Aus diesem werden dann erneut Waschmaschinen, Toaster oder andere Geräte gebaut. Urban Mining heißt das Zauberwort. Die Stadt als Rohstoffmine, in der Müll gesammelt, getrennt, verarbeitet und wieder verwertet wird. Etwa ein Drittel des von der Berliner Stadtreinigung eingesammelten Hausmülls wird recycelt. Und der Rest? In Ruhleben hat die Berliner Stadtreinigung ein Müllheizkraftwerk gebaut. Beim Verbrennen entsteht Hochdruckdampf, der an ein benachbartes Kraftwerk geliefert wird. Dieses macht aus dem Dampf Strom für 61.000 Haushalte. Die Wärme, die dabei entsteht, wird in ein Fernwärmenetz eingespeist und beheizt 35.000 Haushalte. Die Schlacke, ein Abfallprodukt der Verbrennung, ersetzt natürliche Rohstoffe im Straßenbau. Waste to energy heißt das Konzept, bei dem Abfall fossile Brennmaterialien wie Steinkohle ersetzt. WIE DIE KELLERMEISTER vom Potsdamer Platz sind auch die Leute von der Berliner Stadtreinigung an den Abfällen der Biotonne, die jetzt positiv „Biogut“ heißen, interessiert – 67.000 Tonnen kommen jedes Jahr zusammen. In der Biogasanlage in Ruhleben werden die Bioabfälle aus ganz Berlin von Mikro-Organismen zersetzt, sodass Gas freigesetzt wird. Dieses ist nach Aufbereitung dem Erdgas vergleichbar und reicht, um 150 Müllfahrzeuge damit fahren zu lassen. Die Stadt und der Müll, das war schon im Mittelalter ein Thema, als der Unrat sich noch auf den Gassen langsam selbst zersetzte. Erst nachdem diverse Pestepidemien gewütet hatten, wurde dieses ratten- und erregerfreundliche Entsorgungsprinzip infrage gestellt. 1660 machte in

8 E V I D E N T 1/2015

Potsdam Kurfürst Friedrich Wilhelm erstmals die Straßenreinigung zur Staatsangelegenheit und ließ die Bürger ihren Dreck auf Karren entsorgen, die regelmäßig durch die Gassen fuhren. Doch das Modell blieb lange die Ausnahme. Die systematische Müllentsorgung in den Städten ist gerade einmal 120 Jahre alt. 1896 wurde in Hamburg die erste Müllverbrennungsanlage in Betrieb genommen, um die Jahrhundertwende folgte München, die erste Berliner Anlage entstand 1921 in Schöneberg. Mit der Industrialisierung und dem wachsenden Wohlstand wurden das Verbrennen von Müll und die Lagerung auf Deponien aber immer problematischer. Giftige, teils sogar dioxinhaltige Stoffe gelangten durch die Schornsteine in die Luft oder unter den Halden ins Grundwasser, weil die Böden nicht ausreichend versiegelt waren. Erst dreißig, vierzig Jahre liegt diese Zeit zurück. Verglichen mit den 1970er Jahren kommt einem die Müllverarbeitung in Berlin und anderen deutschen Städten heute geradezu paradiesisch vor. SOLLTEN WIR uns also endlich mal entspannen? Besser nicht. Die Erde droht im Müll zu ersticken, trotz aller Fortschritte. Die Deutschen haben jetzt zwar ein Rücknahme- und Recyclingsystem für Flaschen und Dosen. Aber gleichzeitig entleeren sie neuerdings zum Beispiel zwei Milliarden Kaffeekapseln jedes Jahr – das macht 4.000 Tonnen zusätzlichen Abfall. Sie schmeißen eine Million Tonnen Handys, Computer, Drucker und Fernseher weg, 6,7 Millionen Tonnen Lebensmittel, 800.000 Tonnen Kleider. Mengen, die sich keiner mehr vorstellen kann. Vor hundert Jahren besaß ein durchschnittlicher junger Mann etwa zwanzig Gegenstände, heute sind es 500. Das Konsumieren von heute hat mit dem ursprünglichen Sinn des lateinischen Wortes consumere, von dem es abstammt, nicht mehr viel zu tun: Verbraucht wird nur noch selten, sondern für einige Zeit gebraucht und dann weggeworfen.

III DIE WELTBEVÖLKERUNG PRODUZIERT 3,5 MILLIONEN TONNEN ABFALL JEDEN TAG. EXPERTEN BEFÜRCHTEN, DASS SICH DIE ZAHL IN ZEHN JAHREN VERDOPPELN WIRD. Dabei ist eine Stadt wie Berlin mit ihren 1,2 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr nur ein kleiner Punkt auf der großen Erde. Die Weltbevölkerung produziert 3,5 Millionen Tonnen Abfall jeden Tag. Experten sagen, diese Zahl werde sich bis 2025 verdoppeln und bis zum Jahr 2100 sogar auf täglich 11 Millionen Tonnen anwachsen. Die Europäer investieren zwar in Hochleistungsentsorgung, machen aber zusammen mit den US-Amerikanern weltweit den meisten Müll. Erst ab 2050 wird dieser Trend rückläufig werden – zusammen mit der Bevölkerung und dank des technischen Fortschritts, so prophezeit es zum Beispiel der kanadische Chemiker und Zero-Waste-Aktivist Daniel Hoornweg. In den Schwellenländern hingegen wird der Müll weiter rasant wachsen. In brasilianischen oder chinesischen Boomstädten gibt es schon heute Halden, die täglich mehr als 10.000 Tonnen Abfall aufnehmen müssen. Hinzu kommt der Müll, der sich der Abfallsammlung entzieht. Wer an der Nordseeküste spazieren geht, findet statistisch gesehen auf 100


AUGENO:FFNER Die Welt mit anderen Augen sehen

Das gab’s noch nie: Das lebenslange Gratis-Abo. Jetzt bei GEO. Bis 15.11.2015 mitmachen und gewinnen unter www.geo.de/ein-leben-lang

Sie machen mit – wir spenden! Für jede Teilnahme pflanzt GEO einen Baum in der Regenwaldregion in Ecuador.


RECYCLING

10 E V I D E N T 1/2015


RECYCLING

Meter Küste 700 Müllteile. Noch dramatischer: die winzigen Plastikteilchen, die sich aus unseren Verpackungen, Einwegprodukten und Kosmetika lösen, ins Wasser und über die Flüsse ins Meer gelangen. Die Verbreitung des Mikroplastiks und seine Folgen hat der österreichische Regisseur und Autor Werner Boote in seinem Dokumentarfilm „Plastic Planet“ dramatisch vorgeführt: Er zeigte nicht nur Fische und Vögel, die an den Plastikpartikeln in ihren Mägen verenden, sondern auch einen gigantischen Meereswirbel im Pazifik. Zwischen Nordamerika und Asien „ersetzen“ Millionen Tonnen zermahlenen Plastikmülls in der Nahrungskette der Meerestiere inzwischen das Plankton. Gegen diesen Müllwahnsinn hat sich die Bewegung Zero Waste zusammengefunden. Und weil Städte die größten Müllproduzenten sind, setzt sie genau hier an: bei der Zero-Waste-Stadt. Das heißt: Alles, aber wirklich auch alles, was die Bewohner der Stadt wegwerfen, soll gesammelt, getrennt und wieder in den Stoffkreislauf überführt werden. Bis 2020 will San Francisco seinen Restmüll auf null reduzieren. Die Stadt will ihre Deponien und sogar ihre Verbrennungsanlagen abschaffen und nur noch recyceln und kompostieren. San Francisco hat seinen Bürgern deshalb strikte Regeln auferlegt. Plastiktüten in Supermärkten sind verboten, Kompostieren ist Bürgerpflicht. Wer sich nicht an die Auflagen hält, muss mit Strafen rechnen. 100 PROZENT Müllvermeidung – 80 Prozent hat San Francisco bereits geschafft. Das südschwedische Borås, 66.000 Einwohner, liegt bereits bei 96 Prozent – nur vier Prozent des Abfalls landen dort noch auf der Deponie. Auch in der einstigen Müllstadt Neapel hat der Bürgermeister das Zero-Waste-Protokoll unterschrieben – sehr zum Ärger der Mafia. Aber Masdar City, das ökologische Mammut-Projekt von Abu Dhabi, ist unter seinem Ehrgeiz, in der Wüste eine vollständig regenerative Stadt zu errichten, vorerst in die Knie gegangen und hat die Fertigstellung auf 2030 vertagt. Der Umweltaktivist Herbert Girardet, Mitbegründer des World Future Council, fasst in seinem Bericht über regenerative Städte die Entwicklung so zusammen: „In die Stadt des 20. Jahrhunderts, die Petropolis, führt ein linearer Strom von Gütern aus aller Welt, und sie entlässt ebenso linear umweltschädliche Abfallstoffe. Die Stadtform des 21. Jahrhunderts dagegen muss die Ökopolis sein: eine Stadt, die in biologischen und technischen Kreisläufen denkt. Die Ökopolis produziert viele Ressourcen selbst oder bezieht sie aus dem direkten Umland. Die Nährstoffe, die sie der Umwelt entzieht, werden über ein kluges Abwasser- und Abfallmanagement an sie zurückgegeben.“ EINE STADT WIE BERLIN müsste man dafür ziemlich drastisch umbauen. Ist das machbar? „Zero Waste ist schon ein großes Wort“, sagt Andreas Thürmer, der das Vorstandsbüro der Berliner Stadtreinigungsbetriebe leitet. Der Prokurist des hauptstädtischen Müllentsorgers ist stolz darauf, wie sein Unternehmen mit der Biogasanlage den Energiekreislauf geschlossen hat. Und dass man den Dampf des Müllheizkraftwerks zu einer Turbine von Vattenfall weiterleitet. Fast kommt er ins Schwärmen, wenn er erzählt, dass die Metalle, die der Hitze des Kraftwerks ausgesetzt waren, keine organischen Anhaftungen mehr hätten und deshalb besonders begehrt seien. Außerdem gibt es in Berlin eine der modernsten Sortieranlagen für Verpackungsabfälle. „Aber mehr als 40 bis 50 Prozent stoffliche Verwertung erreicht man zurzeit nicht“, sagt Thürmer, der Realist.

III 492 KILO MÜLL PRODUZIERTE JEDER BÜRGER 2012 IM EUROPÄISCHEN DURCHSCHNITT – IN DEUTSCHLAND WAREN ES 612 KILO.

Die Berliner Stadtreinigung tut viel, um in der Hauptstadt klimafreundliche Stoffkreisläufe zu etablieren. Das Unternehmen fährt auch Kampagnen zur Mülltrennung, investiert in Öffentlichkeitsarbeit, gibt ein gut gemachtes, informatives Magazin heraus und geht in Schulen und Kitas, um aufzuklären. Trotzdem sagt Andreas Thürmer: „Für die meisten Bürger ist die Abfallwirtschaft eher ein Low Interest-Thema.“ Das ist erstaunlich, weil sich gerade in Berlin vieles tut. Kürzlich hat in der Hauptstadt der erste absolut verpackungsfreie Supermarkt eröffnet. Selbst die Zahnpasta gibt es dort nicht in der Tube, sondern lose in Form von Kautabletten. Einen Hype gibt es auch um die Re-use-Szene, die sich gerade entwickelt: In Werkstätten wird aus alten Kleidern oder Gegenständen Neues hergestellt und verkauft. Auch in Supermärkten gibt es gute Ansätze. Unter dem Namen „Wunderlinge“ verkauft REWE zum Beispiel krumme Karotten und anderes Gemüse, das nicht der Norm entspricht. An Ideen mangelt es nicht. Doch wenn man am Ende des Wochenendes am Mauerpark spazieren geht, dann wähnt man sich auf einer Müllhalde alten Stils, so viel Abfall haben die Besucher dort in die Gegend geschmissen. Auch das Statistische Bundesamt bescheinigt den Deutschen wenig Umweltbewusstsein: 492 Kilo Müll produzierte jeder Bürger 2012 im europäischen Durchschnitt – in Deutschland waren es 612 Kilo. Damit liegen wir an drittletzter Stelle. DIE MENGE AN MÜLL aus Verpackungen und weggeworfenen Dingen wächst weiter, im Keller unterm Potsdamer Platz wie in ganz Berlin. „Es wäre Sache der Politik dafür zu sorgen, dass Produkte anders hergestellt werden“, findet Andreas Thürmer, der Mann von der Berliner Stadtreinigung, die viel Aufwand betreibt, um immer mehr Dinge immer besser zu entsorgen. Thürmer glaubt, dass die Stoffe, aus denen die Dinge des Lebens und ihre Verpackungen bestehen, irgendwann einmal so wertvoll werden, dass man es sich nicht mehr leisten kann, sie wegzuwerfen. „Vielleicht können die aus Abfall gewonnenen Stoffe irgendwann den Prozess finanzieren, der nötig ist, um sie zu gewinnen. Aber davon sind wir heute noch sehr weit entfernt.“ Berlin, die größte deutsche Stadt, mit weitgehend geschlossenem Stoffkreislauf. Wann könnte diese Idee realistischerweise Wirklichkeit sein? Andreas Thürmer überlegt. Schwer zu sagen. „Vielleicht 2065?“

1/2015 E V I D E N T 11


ENGAGIERT

GUTE NACHRICHTEN EVIDENT stellt Ihnen M E N S C H E N vor, die mit ihrem Engagement für die Umwelt etwas erreicht haben – auf ganz unterschiedlichen Wegen. VON KATRIN LANGE UND GUNDA ACHTERHOLD

III ASGOODASNEW Wir verkaufen Dinge, die neu sehr teuer sind, die aber jeder haben will: Smartphones, Laptops und Tablets. Wir bereiten gebrauchte Geräte hochwertig auf und garantieren, dass sie technisch in einem 1A-Zustand sind, wenn sie unsere Fabrik verlassen. Trotzdem können die Kunden die Ware zurückschicken – nicht 14 Tage wie sonst üblich, sondern 30. Und wir bieten eine 30-monatige Garantie. Dazu gibt es ein gutes Gefühl, denn wir agieren ja umweltbewusst. Wir leben stark von Mund-zu-Mund-Propaganda. Was wir auch oft beobachten: Der Einstieg bei uns geht über ein Smartphone, aber Kunden, die damit zufrieden sind, kaufen später ein Tablet oder ein MacBook. Im vergangenen Jahr hatten wir ein Wachstum von rund 50 Prozent. Aktuell kaufen wir über unsere Plattform wirkaufens.de rund 20.000 gebrauchte Geräte. Es sind immer mehr Geräte im Markt, die viel zu schade für die Schublade oder den Müll sind. Und die enthalten DANIEL BOLDIN ist CEO der asgoodasnew electronics GmbH. Das 2008 gegründete Unternehmen beschäftigt über hundert Mitarbeiter, die meisten davon am Produktionsstandort in Frankfurt/Oder.

viele wertvolle Rohstoffe: Ein Mobiltelefon besteht zu rund einem Viertel aus Metallen. Davon sind neun Gramm Kupfer, 150 Milligramm Silber, 20 Milligramm Gold, dazu kommen Stoffe wie Paladium, Platin oder Coltan. Alleine beim Kupfer sind es mehr als zwei Tonnen, die wir in diesem Jahr einsparen. Geräte, bei denen sich die Aufbereitung nicht mehr lohnt, nutzen wir als Ersatzteilquelle. Was dann noch übrig bleibt, geht ins Recycling. Aber weit über 90 Prozent der Geräte stellen wir als So-gut-wie-neu-Ware den Kunden wieder zur Verfügung. Wir hauchen Technik, die noch gut ist, neues Leben ein.

12 E V I D E N T 1/2015

III CROWDFUNDING Es gibt so viele tolle Ideen, die die Welt ein bisschen besser machen – und es gibt so viele Menschen, die wollen, dass die Welt ein wenig besser wird! Mit unserer Crowdfunding-Plattform EcoCrowd bringen wir diese Menschen miteinander in Kontakt. Auf EcoCrowd stellen sich Menschen mit ihren Projekten vor, die sie JÖRG SOMMER, Schriftsteller, ist Vorsitzender der Deutschen Umweltstiftung und Initiator von EcoCrowd, einer CrowdfundingPlattform für nachhaltige Projekte.

aus eigenen Mitteln nicht finanzieren können. Dabei geht es jedoch um viel mehr als um Geld, es geht um Austausch. Wir haben einen Ort im Netz geschaffen, an dem Nachhaltigkeitsprojekte unterstützt, diskutiert und realisiert werden können. Als älteste deutsche Bürgerstiftung brachte die Deutsche Umweltstiftung hierfür geradezu ideale Voraussetzungen mit: Wir hatten ein riesiges Potenzial an Menschen, die unsere Visionen teilen. Monate vor dem Start haben wir in unserem Netzwerk über unsere Fortschritte berichtet und mit dem Verkauf von EcoCrowd-Aktien auch Förderer erreicht, die sich aus zeitlichen Gründen nicht engagieren können, unser Projekt aber unterstützen wollen. Mit einem derart bahnbrechenden Erfolg hatten wir jedoch nicht gerechnet. 36 Stunden nach dem Launch im Oktober 2014 hatten wir mehr als tausend registrierte User! Die Bienensauna, eines unserer ersten Projekte, war bereits nach vier Tagen zur Hälfte finanziert und hat am Ende 644 Prozent mehr an Fördermitteln bekommen als erhofft – das ist bis heute Rekord. Besonders erfolgreich sind diejenigen, die auch als Menschen sichtbar werden und die User an den Fortschritten ihrer Projekte teilhaben lassen. Das heißt: Mit der Präsentation auf der Plattform fängt die Arbeit erst an. Dafür zu sensibilisieren ist ein ganz wichtiger Bestandteil unserer intensiven Beratung. Was die Projektstarter einsammeln, ist nicht nur das Geld der Leute, sondern ihr Herz als Unterstützer. „Ich bin Teil des Projekts!“ – das ist das Gefühl, das beim Nutzer entstehen muss.


Anzeige

III DEUTSCHLAND SUMMT Das Herzensthema von meinem Mann und mir ist die Förderung bedrohter Tier- und Pflanzenarten und ihrer Lebensräume. Obwohl die Erhaltung biologischer Vielfalt politisch gefordert wird und sich jeder in seinem Umfeld einbringen könnte, tun es nur wenige Menschen. Warum? Weil die Leute nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Vor fünf Jahren hatten wir deshalb die Idee, eine gemeinnützige Kommunikationsstiftung zu gründen. Mit den Bienen als Botschafterinnen wollten wir die Herzen der Menschen erobern. In Berlin, wo wir leben, setzten wir Honigbienenvölker auf Gebäude, die unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen verkörpern: Der Berliner Dom steht für Kirche und Schöpfung, das Abgeordnetenhaus für politische Entscheidungen und die Mensa der Humboldt-Uni für Wissenschaft und Bildung. Wir wollen Menschen einbinden, die sonst kaum Berührung mit Naturschutz haben. Auch die Medien wollten wir ins Boot holen. Von Bild bis Berliner Kurier fanden es alle berichtenswert, dass Bienen auf prominenten Dächern der Hauptstadt weilten. Das Medienecho lockte viele jüngere Menschen an, die nun ebenfalls Bienen halten wollten – wichtig für die Hobbyimker in Deutschland, da das Honigbienensterben auch mit der Überalterung der Imkerschaft zu tun hat. Für uns ein schöner Nebeneffekt. Eigentlich dienen die Honigbienen bei „Deutschland summt!“ als Zugpferd, um in deren Flugschweif über die 560 Wildbienenarten zu informieren, von denen sehr viele Arten gefährdet sind. Sie machen keinen Honig, sind aber als Bestäuber genauso wichtig wie die Honigbienen. Wir wollen erreichen, dass die Leute die Welt durch die Brille dieser Insekten betrachten: Welche Pollen brauchen sie? Wo nisten sie? Inzwischen tragen immer mehr Menschen dazu dabei, dass Bienen mehr Nektar und Pollen finden – in Gärten, im Wohnungsbau oder auf kommunalen Flächen. Man muss DR. CORINNA HÖLZER hat 2010 zusammen mit ihrem Mann Cornelis Hemmer die Initiative „Deutschland summt“ gegründet. Infos unter www.deutschland-summt.de

nicht immer nur Kirschlorbeer pflanzen oder dem Rasen jedes Gänseblümchen rauben. Von den rund 2.700 heimischen Arten an Blühpflanzen sind nur knapp 60 Arten in Gartencentern zu kaufen. Wer jetzt im Herbst etwas für die Bienen tun will, sollte Zwiebeln von Frühjahrsblühern pflanzen. Das sind Krokusse, Blausterne oder Winterlinge. Deren Pollen sind für Bienen und Hummeln, die im März anfangen zu nisten, extrem wichtig. Wir haben in den letzten fünf Jahren mit „Deutschland summt!“ viele Menschen zu Bienenfreunden gemacht, das freut uns total! Es funktioniert also mit summ-summ, ohne die ganze Zeit über Biodiversität reden zu müssen. Das Tollste ist, dass so viele Menschen und Gemeinden als Städte-Partner mitsummen mögen. Allerdings stoßen wir finanziell langsam an unsere Grenzen: Um all die Anfragen beantworten zu können, müssten wir uns als Team dringend erweitern. Das versuchen wir über Spenden zu finanzieren. 1/2015 E V I D E N T 13


GELDANLAGEN

ÖKOLO GISCH SINNVOLLE GELDANLAGEN SIND E I N W A C H S T U M S M A R K T. D O C H W I E B E I J E D E M I NVE S T MENT S I ND AU C H H I ER EI N PAAR W ICHTIGE REGELN ZU BEACHTEN.

SO WIRD DIE RENDITE GRÜN

Foto: Fotolia

S

olche Wachstumsraten hat nicht jeder: Allein innerhalb des Jahres 2014 ist das Volumen von ökologischen und sozialen Investments um fast 50 Prozent gestiegen. Mittlerweile umfasst dieser Markt in Deutschland, Österreich und der Schweiz knapp 200 Milliarden Euro. Keine Frage: Geld in Nachhaltigkeitsprojekte anzulegen, ist chic geworden. Das bestätigt auch Gregor Dorfleiter, Professor für Finanzierung an der Uni Regensburg. Er bescheinigt den Deutschen Sparern einen Einstellungswandel: Demnach werde es für Finanzkunden immer wichtiger, ihr Geld mit einem guten Gewissen zu investieren. Keine Bank und kein Vermögensverwalter kommt heute noch ohne einen Fonds oder ein Zertifikat mit dem Label „nachhaltig“ aus. In der Initiative „Principles for Responsible Investment“ (PRI) der Vereinten Nationen

14 E V I D E N T 1/2015

bekennen sich aktuell 1.200 Finanzkonzerne zu verantwortungsvoller Geldanlage – Tendenz steigend. Also alles bestens?

NICHT GANZ. Denn eine grüne Geldanlage ist nicht automatisch eine gute. Erst schmierten zwischen 2006 und 2011 die Kurse hochgelobter Solaraktien ab, etliche Firmen rutschten gar in die Insolvenz. Dann hatte Berlin die Einspeisevergütungen für große Solaranlagen massiv gekürzt. Was vormals Umwelt und Investor nutzte, ist heute zumindest in Deutschland ein weitgehend toter Markt. Kurz darauf erwischte die Pleitewelle mehrere Ökounternehmen, die sich per Mittelstandsanleihe Geld von den Anlegern geliehen hatten. Und auch mit der Windkraft sind schon große Unternehmen umgeblasen worden. Die Investoren des inzwischen insolven-

ten Windkraftinvestors Prokon können das leidvoll bestätigen. Das Unternehmen hatte im Januar 2014 Insolvenzantrag gestellt, rund 75.000 private Anleger sind betroffen. Sie hatten rund 1,4 Milliarden Euro über Genussrechte in der heute überschuldeten Firma angelegt – und dürften einen Großteil ihres Kapitals verlieren. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Nun hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das Kleinanleger im sogenannten „grauen“ Kapitalmarkt besser schützen soll (Kasten S. 16). Bis heute ist Prokon die Ausnahme. Studien bestätigen, dass das Gros der an Nachhaltigkeit orientierten Geldanlagen erfolgreich Geld verdient. Demnach weisen Öko-Fonds weder eine schlechtere Performance noch eine größere Unsicherheit auf als klassische Geldanlagen. „Tendenziell wirkten sich Nachhaltig-


GELDANLAGEN

3 BEISPIELE III ÖKOWORLD ÖKOVISION CLASSIC Der Fonds investiert international in mittelgroße und kleine Unternehmen, die bei ökologisch nachhaltigen Gütern und Produktionsweisen und sozialer Verantwortung Pioniere sind, sowie in große Unternehmen, die in ihren jeweiligen Branchen und Regionen unter ökologischen und sozialen Aspekten führend sind. Der Fonds ist breit gestreut. Sein Kurs kann wie der anderer Anlagen stark schwanken. Er ist deshalb nur für langfristig orientierte Anleger geeignet. WKN: 974 968 I ISIN: LU00 6192 8585

III JSS SUSTAINABLE BOND EUR ist ein weltweit anlegender Rentenfonds, der zu mindestens 85 Prozent in Schuldtitel hoher Qualität (Rating mindestens Note A) investiert. Dabei kauft der Fonds festverzinsliche Papiere von Ländern, Organisationen und Unternehmen, die einen Beitrag zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise leisten. Der Fonds verspricht moderate Risiken, aber ebenso moderate Ertragserwartungen. Größtes, wenn auch aktuell nicht allzu wahrscheinliches Risiko: ein deutlich steigendes Zinsniveau. WKN: 113 590 I ISIN: LU0158938935

MEHR IM NETZ Webseiten nachhaltig orientierter Banken wie etwa GLS, Umweltbank, EthikBank

III ISHARES DOW JONES EUROPE SUSTAINABILITY ETF

Forum Nachhaltige Geldanlage: www.forum-ng.org

ist ein passiv gemanagter Aktienfonds und deshalb kostengünstig. Das Fondsmanagement investiert direkt in die im Index enthaltenen Wertpapiere. Das Papier bietet Zugang zu den oberen 20 Prozent der 600 größten an Nachhaltigkeit orientierten Unternehmen Europas aus dem Dow Jones Global Total Stock Market Index. WKN: A1JB4N I ISIN: DE000A1JB4N7

Rating-Agentur für nachhaltige Geldanlagen: www.oekom research Guter Marktüberblick: www.nachhaltiges-investment.org

Anzeige

Es gibt eine Rendite, die aus Überzeugung entsteht. Entscheiden Sie sich bei Ihrer Geldanlage für eine nachhaltige Bank. Eine Bank, die damit gute Pflegeheime ermöglicht. Schulen baut. Oder Windräder aufstellt. Die Investitionen und Kredite der Triodos Bank gehen seit 1980 ausschließlich an solche Projekte und Unternehmen. Ob als Teilhaber der Triodos Bank, ob mit prämiertem Fonds oder klassischem Sparkonto – Ihr Geld wirkt auf jeden Fall nachhaltig. Damit Ihre Rendite auch Ihrer Überzeugung entspricht.

Unsere Währung heißt Wandel. www.triodos.de

1/2015 E V I D E N T 15


GELDANLAGEN

EINER, der die Wertentwicklung nachhaltiger Geldanlagen etwas weniger positiv sieht, ist Andreas Beck vom Münchner Institut für Vermögensaufbau: Er hält es aus rein logischen Gründen für „fast zwingend“, dass solche Geldanlagen zumindest etwas schlechter laufen als der Rest des Marktes. Der Grund: Wer nachhaltig orientiert investiere, müsse sich in der Auswahl beschränken und könne weniger breit streuen. Und das bedeutet nach aktueller Lehrmeinung: weniger Rendite, höheres Risiko. Ein Freiticket zu sicherer Rendite ist grünes Investment also nicht. „Auch bei nachhaltigen Anlageprodukten besteht ein Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite“, erinnert das Forum Nachhaltige Geldanlage. Anleger sollten sich also immer ein paar zentrale Fragen stellen und sich nicht nur auf die Farbe Grün verlassen: Habe ich wirklich verstanden, worin ich investiere? Wie hoch ist das Risiko? Wie lange ist mein Geld gebunden? Passen Risiko und Rendite zusammen? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines Totalverlustes? ABSOLUTE VORSICHT ist meist geboten, wenn im aktuellen Umfeld Renditen von acht Prozent und mehr versprochen werden. Wichtig ist auch, ob Anleger ihr Geld lieber breit, etwa über einen Fonds, streuen wollen (was zumeist das Risiko reduziert) oder von einem bestimmten Projekt oder Unternehmen besonders überzeugt sind. Wer hier das Risiko nicht scheut, kann in Genussscheine, ge-

16 E V I D E N T 1/2015

schlossene Fonds oder zweckgebundene Unternehmensanleihen investieren. EIN KLEINER RISIKOLOSER START ins grüne Geld wäre schon ein Girokonto oder Sparbrief bei einer ethisch orientierten Bank: Anbieter wie die EthikBank oder die GLS Bank investieren das Vermögen ihrer Kunden nach ethischen Gesichtspunkten. Auch viele Sparkassen und Volksbanken haben nachhaltige Sparprodukte im Angebot – etwa Klima-Sparbriefe, die oft zusammen mit den örtlichen Stadtwerken aufgelegt werden. In allen Fällen gilt: Ersparnisse bis 100.000 Euro unterliegen der gesetzlichen Einlagensicherung der Banken. Doch nicht alles, was außen grün lackiert ist, ist auch innen grün. Oft bezeichnen sich Unternehmen schon dann als wnachhaltig, wenn sie vergleichsweise weniger zerstören als ihre Wettbewerber. So finden sich in vielen Öko-Fonds auch schon mal Aktien von Ölfirmen, die bei ihren Bohrungen besser auf den Schutz der Umwelt achten als ihre Wettbewerber. Oder Papiere von Autoherstellern, die soziale Standards stärker berücksichtigen als die Konkurrenz. Noch vor wenigen Jahren erweckte auch der Ölkonzern BP mit dem Slogan „Beyond Petroleum“ den Eindruck, das Ölzeitalter hinter sich lassen zu wollen. Mit der Havarie der Plattform „Deepwater Horizon“ entlarvte der Konzern sich selbst. Heute zieht sich BP aus der Windkraft zurück und setzt auf neue, riskante Öl- und Gasfördermethoden – und ist aus vielen Nachhaltigkeitsindizes inzwischen rausgeflogen.

ANLEGERSCHUTZ Nach der Prokon-Pleite sollten Kleinanleger besser vor windigen Kapitalanlagen geschützt werden. Im April hatte der Bundestag das entsprechende Kleinanlegerschutzgesetz verabschiedet, das Verbrauchern helfen soll, die Risiken am sogenannten grauen Kapitalmarkt künftig besser einzuschätzen. Demnach soll die Finanzaufsicht BaFin mehr Rechte bekommen, um „schwarze Schafe“ in der Branche rascher auszumachen. Nach dem Gesetz soll unter anderem irreführende und aggressive Werbung für Produkte des grauen Kapitalmarkts erschwert werden. Künftig muss jede Werbung für Anlageprodukte dieser Art einen Warnhinweis enthalten. Er soll potenziellen Anlegern deutlich machen, dass die Vermögensanlage mit erheblichen Risiken verbunden ist und zum vollständigen Verlust des eingesetzten Kapitals führen kann. Wer bis zu 10.000 Euro anlegen möchte, muss nachweisen, dass er über ein Vermögen von mindestens 100.000 Euro verfügt oder nicht mehr als den zweifachen Betrag seines durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens anlegt. Für alle Vermögensanlagen soll es künftig eine Mindestlaufzeit von 24 Monaten und eine Kündigungsfrist von mindestens sechs Monaten geben. Damit soll einerseits Anlegern deutlich gemacht werden, dass „Anlagen unternehmerische Investitionen von gewisser Dauer sind“. Andererseits sollen Einlagen nicht mehr kurzfristig zurückgezahlt werden dürfen. Auch das ist eine Lehre aus dem Fall Prokon, bei dem eine Welle von Kündigungen und daraus resultierender Rückzahlungen die Lage deutlich verschärft hatte. Anleger haben künftig zudem ein gesetzlich garantiertes 14-tägiges Widerrufsrecht. Die Kompetenzen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistung (BaFin) sollen erweitert und der „kollektive Verbraucherschutz“ als eine Aufgabe der Aufsichtsbehörde gesetzlich festgeschrieben werden.

Foto: Fotolia

keitsaspekte bei einer Gesamtbetrachtung sogar (leicht) positiv aus“, ergab 2013 eine MetaStudie der Steinbeis-Hochschule in Berlin. Sie wertete 195 wissenschaftliche Untersuchungen seit 1978 aus. Die auf das Rating ökologisch orientierter Geldanlagen spezialisierte Münchner oekom research hat ebenfalls errechnet, dass sich mit ethisch verantwortungsvoller Geldanlage mehr Rendite erzielen lässt. Die Kurse der untersuchten ökologisch orientierten Großunternehmen entwickelten sich um elf Prozentpunkte besser als der Weltindex, noch dazu bei geringeren Schwankungen. Für Oekom-Chef Haßler ist das nicht überraschend: „Wer sein Unternehmen nachhaltig managt, hat tendenziell auch wirtschaftliche Vorteile, etwa weil er Energiekosten spart, besonders innovativ ist oder Produkte für die Märkte von morgen entwickelt.“ Zugleich seien solche Unternehmen meist auch gut geführt.


Deutschlands grüne Bank

Machen Sie keine Kompromisse – entscheiden Sie sich auch bei Ihrer Bank für die grüne Alternative. Die UmweltBank gibt Ihnen eine 100-prozentige Umweltgarantie: Mit dem Geld unserer Kunden finanzieren wir ausschließlich ökologische Zukunftsprojekte wie Ökohäuser oder Solar-, Wind- und Wasserkraftanlagen. Unsere nachhaltigen Anlagen bieten Ihnen faire Renditen trotz Niedrigzinsphase:

n

n

n

UmweltSparbuch – das flexible Sparkonto mit starkem Zins-Plus bis zu 0,35 % p. a. UmweltZertifikat – mit fest vereinbartem Zinssatz 0,40 % p. a. bei kurzer Laufzeit UmweltSparbuch Wachstumsparen – jährlich steigender Zinssatz bis zu 1,00 % p. a. bei hoher Flexibilität

Wertpapiere in Form von nachhaltigen Umweltfonds und grünen Umweltaktien haben langfristig höhere Renditeaussichten – allerdings bei höheren Risiken im Vergleich zu klassischen Sparanlagen. Weitere Informationen finden Sie unter www.umweltbank.de Gerne stehen wir Ihnen für Fragen telefonisch zur Verfügung. Rufen Sie uns an, wir sind Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr für Sie da: Telefon 0911 / 53 08 - 123


THEMA

Im Bewusstsein der Bürger verankert: Teilnehmer der Jubiläumswanderbaumallee der Green City-Familie am Münchner Stachus

GUTES TUN UND GELD VERDIENEN Auch Privatanleger können sich an der "Energiewende von unten" beteiligen. Etwa bei der Münchner Green City Energy, die inzwischen

ICHT IN JEDEM UNTERNEHMEN geht es mal eben ums Ganze, um die Zukunft unserer Welt und um die Art, wie wir uns morgen mit Energie versorgen. Hier schon: Seit 10 Jahren ist die Münchner Green City Energy im Geschäft mit Erneuerbaren Energien, gestartet zu einer Zeit, als Fukushima noch fern und das Schlagwort von der "Energiewende" noch unbekannt war. Es ist die Münchner Bürgerinitiative Green City e.V., die

18 E V I D E N T 1/2015

2005 beschließt, ein eigenes Unternehmen als Tochter zu gründen, um fortan den Ausbau Erneuerbarer Energien zu betreiben. Dem ÖkoStart-up der Green-City-Bürger ist es von Anfang an wichtig, bei möglichst jedem Projekt die Anwohner und Nachbargemeinden mit dabei zu haben, am besten per finanzieller Beteiligung. Die Vision: Grüner Strom durch Bürgerengagement. Heute ist der einstige "Solarpionier" breit aufgestellt: Das Unternehmen plant, baut und betreibt Solar-, Wind- und Wasserkraftanla-

gen. Es ist an mehreren grünen Kraftwerken beteiligt und berät Kommunen beim Umstieg auf eine CO 2-freie Stromproduktion. Die Energiewende nach Europa tragen, lautet inzwischen das Ziel, oder wie es Vorstand Mühlhaus nennt, "sich aus dem föderalen energiepolitischen Gewusel lösen" (siehe auch Interview Seite 20). Denn der Energiemarkt ist europäisch, und das bedeutet auch für Green City Energy europaweite Investments: ein Wasserkraft-

Foto: Green City,Tobias Hase

N

europaweit CO2-freie Kraftwerke plant, errichtet und betreibt.


GREEN CITY ENERGY AG

fonds mit französischen Kleinwasserkraftwerken, eine Beteiligung an einem Solarpark in Südfrankreich, der Kauf kleiner Wasserkraftwerke in Italien. Verschiedene Länder, mal Sonne, mal Wind, mal Wasser – das streut die unternehmerischen Risiken. Aufgrund der 10H-Regelung steht in Bayern derweil die Windkraft bis auf Weiteres im Halte-Modus. Macht das Sinn, Herr Seehofer? Denn technisch ist es längst möglich, sogar im

WERBUNG

SO KÖNNEN ANLEGER AN DER ENERGIEWENDE MITVERDIENEN Sein Geld anzulegen und zugleich etwas Gutes zu tun, ist gar nicht so einfach. Hier geht es: Die Münchner Green City Energy AG bietet Privatanlegern die Möglichkeit, dem Unternehmen für sechs oder elf Jahre Geld zu leihen. Dafür gibt es jährliche Zinsen von vier oder fünf Prozent (Tabelle unten). Diese "Jubiläums-Anleihe" zum zehnjährigen Bestehen des Unternehmens soll dabei helfen, europaweit neue Kraftwerksprojekte im Bereich der Erneuerbaren Energien zu finanzieren. Der auf ökologische Geldanlagen spezialisierte Branchendienst "ecoreporter.de" hat die Anleihe ausgezeichnet. KONDITIONEN Tranche A

Tranche B

Verzinsung

4 % p.a.

5 % p.a.

Rückzahlung

30.6.2021

30.6.2026

Art der Anlage

festverzinsliche Anleihe (InhaberSchuldverschreibung)

Mindestzeichnung

3000 Euro

Agio WKN/ISIN

keines WKN: A14KJ0

WKN: A14KJ1

ISIN: DE000A14KJ01

ISIN: DE000A14KJ19

Wichtiger Hinweis: Anleger sollten beachten, dass mit allen Anlageentscheidungen Risiken einhergehen, nicht zuletzt die Möglichkeit eines Totalverlusts. Es ist daher erforderlich, sich mit dem vollständigen Verkaufsprospekt sowie mit evtl. Nachträgen, insbesondere den dort beschriebenen Risiken, vertraut zu machen.

windschwachen Binnenland rentabel Strom zu ernten – so man es denn will. Wer im Geschäft mit Sonne, Wind und Wasser ist, muss anpassungsfähig sein: Green City Energy investiert verstärkt in windkraftfreundlichen Bundesländern wie etwa Baden-Württemberg. Diese hohe Flexibilität bescheinigen auch andere: So habe das Unternehmen "nachgewiesen, dass es Herausforderungen infolge sich ändernder Rahmenbedingungen meistern kann", schreibt der unabhängige Branchendienst ecoreporter. Nach zehn Jahren am Markt kann sich die Leistungsbilanz der grünen Stromerzeuger sehen lassen: 278 umgesetzte grüne Energieprojekte im In- und Ausland, 28 platzierte Fonds und Genussrechte, gesamtes bisheriges Investitionsvolumen 295 Millionen Euro. Der Erfolg in der grünen Nische zeigt, dass die inzwischen 4.000 Anleger dieses Unternehmen mögen, weil es anders denkt und arbeitet als das Gros der Fondsanbieter. Green City Energy entstammt der Umweltbewegung, kommt aus einer Münchner Bürgerinitiative, der Chef war einst Stadtrat. Wer mit Wanderbaumallee und Straßenfesten bekannt wurde, ist tief verwurzelt in der bayerischen Landeshauptstadt. Ein internationaler Ökofonds kann das von sich nicht behaupten. Und so fühlen sich die Münchner der Umwelt mehr verpflichtet als einer maximalen Rendite. Längst ist dies breit anerkannt. Green City Energy hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten, etwa von der Ratingagentur oekom AG den "Prime-Status B+" oder den Energy Globe Award des Landes Frankreich für die nachhaltige und ökologisch vorteilhafte Sanierung von französischen Kleinwasserkraftwerken. Wie geht es weiter? In gut sieben Jahren soll das letzte deutsche Atomkraftwerk vom Netz. Erneuerbare Energien decken inzwischen bundesweit über 25 Prozent des Stromverbrauchs. Und auch bei der Wettbewerbsfähigkeit stehen sie kurz vor dem Durchbruch. In Südfrankreich können neue Solarparks bereits Strom zu 7,5 Cent pro Kilowattstunde liefern. Doch um die Vollversorgung durch Erneuerbare zu schaffen, muss allein in Deutschland die installierte Windenergieleistung bis 2050 versechsfacht, die Photovoltaik verfünffacht werden. Für Unternehmen wie Green City Energy bleibt da genug zu tun. Weitere Informationen unter: www. greencity-energy.de/mitmachen

DAS SAGEN ANDERE ÜBER GREEN CITY ENERGY

THOMAS JORBERG, VORSTAND GLS BANK III Green City Energy setzt vorbildlich und unternehmerisch die Energiewende professionell um.

JÖRG WEBER, CHEFREPORTER "ECOREPORTER" III Den Klimawandel zu verhindern, ist eine der wichtigsten Aufgaben dieser Zeit. GCE widmet sich dieser Aufgabe. Dabei entstehen neben sauberer Energie neue Arbeitsplätze, Renditen für Investoren und Akzeptanz für grüne Technologie. Diese Akzeptanz hat für die Energiewende eine riesige Bedeutung – die Allgemeinheit sollte Unternehmen wie GCE geradezu dankbar sein!

ERIKA LITTMANN, STIFTERIN UND VORSTAND DER SELBACH-UMWELTSTIFTUNG III III Die Arbeit einer Umweltstiftung sollte bei der nachhaltigen Anlage des Stiftungsvermögens beginnen. Green City Energy ist uns hier ein kompetenter Partner, wenn es darum geht, mit Geld Gutes für die Umwelt und den Schutz des Klimas zu bewirken: eine Geldanlage, die sich in jeder Hinsicht auszahlt. ULRIKE NASCHOLD, ANLEGERIN III Green City Energy engagiert sich für die "Energiewende in Bürgerhand" und handelt konsequent in diesem Sinne. GCE ist kompetent, innovativ und transparent – ein verlässlicher Partner für AnlegerInnen und andere Kunden! 1/2015 E V I D E N T 19


G GR RE EE EN N C C II T TY Y E EN NE ER RG GY Y A AG G

Herr Mühlhaus, Ihr Unternehmen entwickelt und baut CO2-freie Kraftwerke. Dabei sind Sie doch ziemlich abhängig vom Wohlwollen der Politik. Mühlhaus: Das stimmt leider. Wir haben es hier mit einem sich permanent ändernden Umfeld zu tun. Da müssen wir uns anpassen. Businesspläne über fünf Jahre brauchen wir nicht schreiben. Wir müssen vielmehr frühzeitig erkennen, inwieweit die Politik unseren Markt antreibt oder ausbremst, so wie etwa 2012 beim Solarstrom. Wenn sich die Politik ständig dreht und wendet, müssen Sie sich dann genauso oft verändern, um weiter mitzuhalten? Mühlhaus: Auf alle Fälle. Wir müssen unsere unternehmerische Ausrichtung ständig hinterfragen. Gut ist für uns, dass wir breit aufgestellt sind und grüne Kraftwerke nicht nur planen und bauen, sondern über ökologische Gelanlagen eben auch finanzieren. Zudem haben wir die Strategie angepasst: Früher haben wir alles vom ersten Strich an selbst geplant und entwickelt. Heute kaufen wir auch bestehende Projekte. Und wir investieren verstärkt in anderen Bundesländern und im europäischen Ausland. Schon in Baden-Württemberg tut sich die Windkraft leichter als etwa aktuell in Bayern. Das heißt, wir stellen uns regional wesentlich breiter auf. Ziel ist, in einigen Jahren bis zu 50 Prozent unseres Geschäftes in Europa zu tätigen. Rechnet sich das denn ? Mühlhaus: Unbedingt. In Südfrankreich und Italien schaffen die großen Solaranlagen bereits jetzt den Break-even. Die fallen in spätestens zwei Jahren aus der Förderung, und dann produzieren wir dort Strom für sechs Cent die Kilowattstunde. Das ist wirtschaftlich hochinteressant. Aber bei allen Umbrüchen in diesem Markt: Unserem Kerngeschäft der grünen Stromerzeugung aus Sonne, Wind und ein wenig Wasser bleiben wir treu. Da kennen wir uns nun mal aus. Eines Ihrer Kerngeschäftsfelder sind die Bürgerwindparks. Neue Projekte haben es doch deutlich schwerer, oder? Mühlhaus: Das ist so. Das aktuelle Erneuerbare-Energien-Gesetz schränkt die Möglichkeiten der binnenländischen Schwachwindstandorte stark ein. Das ist schade, weil wir technisch längst in der Lage sind, auch bei wenig 20 E V I D E N T 1/2015

Genehmigungsaufwand wäre einfach zu hoch. Aber auch da haben wir eine Antwort: Größere Anleihen bündeln mehrere Bürgerprojekte – das bedeutet weniger Aufwand in der Strukturierung und mehr Sicherheit für die Anleger.

III IM GESPRÄCH: JENS MÜHLHAUS VORSTANDSSPRECHER GREEN CITY ENERGY

"WIR

HABEN DIE AKZEPTANZ BEI DEN BÜRGERN."

Wind zu wettbewerbsfähigen Kosten Strom zu ernten. In Bayern etwa können wir aktuell die Hälfte unserer angedachten Projekte in die Schublade legen. Das Land ist die große Bremse bei der Windkraft. Und wie haben Sie reagiert? Mühlhaus: Ich glaube, wir haben die Zeichen frühzeitig erkannt. Schon zwei Jahre vor der letzten Bundestagswahl ahnten wir, was da beim Wind auf uns zukommt. Wir sind also schnell auf windstärkere Standorte ausgewichen und in andere Bundesländer gegangen. So hatten wir in der Summe keinen Einbruch, sondern konnten trotz des Widerstands aus Bayern unsere Windkraft weiter ausbauen. Unternehmerische Anpassung ist ja auch beim Thema Beteiligung von Bürgern vor Ort gefragt. Für Green City Energy ist das ein Teil des Selbstverständnisses. Inzwischen ist das ja nicht mehr so einfach möglich. Mühlhaus: Stimmt. Der Fondsmarkt wurde reguliert. Für uns bedeutet das, dass wir kleine regionale Energieprojekte nicht mehr über einen eigenen Bürgerfonds finanzieren können. Der

Die auch von Green City Energy immer wieder geforderte "Energiewende von unten" geht nicht so einfach. Am Einfluss von RWE, E.ON & Co. kommt wohl doch keiner vorbei. Mühlhaus: An uns aber auch nicht. Klar ist, dass es eine Energiewende geben wird und bereits gibt. Offen ist, wer diese Wende letztlich betreibt. Natürlich drohen die Konzerne erst mal mit ihren Jobs. Aber letztlich findet die Energiewende im Kleinen statt. Eine RWE geht nicht auf eine Bürgerversammlung. Und auch die Stadtwerke München brauchen Partner vor Ort. Die werden alleine keinen Windpark mit fünf Anlagen aufstellen. Wir haben bei den Menschen vor Ort immer die größere Akzeptanz als ein Konzern. Deshalb sehen wir uns da eher als Partner. Ohne Unternehmen wie uns wird die Energiewende nicht funktionieren. Bei den älteren Anlagen laufen demnächst ja bereits die 20-jährigen Vergütungsgarantien für den eingespeisten Strom aus. War's das dann? Hebel um und abbauen? Mühlhaus: Auf keinen Fall! Nach 20 Jahren sind die meisten Solar- und Windkraftanlagen doch noch topfit. Das heißt für uns nur, dass wir uns dann um die Vermarktung unseres Stroms selber kümmern werden. Auch das ist ein Teil unserer zukünftigen Ausrichtung: Wir entwickeln uns vom Stromerzeuger zum -verkäufer. Das heißt, wir gehen dann in die Selbstvermarktung. Und Sie haben keine Angst, auf Ihrem Produkt so ganz ohne staatliche Abnahmegarantie sitzen zu bleiben? Mühlhaus: Warum sollten wir? Die Stromnachfrage wird tendenziell eher steigen, wenn wir etwa immer mehr Elektromobilität bekommen. Warum sollten wir in München nicht in ein paar Jahren Elektrotaxis von Green City Energy haben, die mit unserem eigenen Strom fahren? 2020 produzieren unsere Solaranlagen, die dann nicht mehr gefördert werden, für weniger als fünf Cent je Kilowattstunde. Da mache ich mir keine Sorgen.


PRODUKTE MIT SINN

SCHÖN

UND GUT

Fair, sozial, natürlich und umweltverträglich müssen N A C H H A LT I G E P R O D U K T E sein. EVIDENT hat sich für Sie umgeschaut.

III URFISCH

Greifling aus unbehandeltem Holz, produziert von Menschen mit Behinderung.

III MÜLLTRENNUG

Chick an der Küchenwand, praktisch zum Runtertragen: farbige Taschen von Trenntmöbel.

WWW.ENTIA.DE

WWW.TRENNTMOEBEL.DE

III PARTNERVERMITTLUNG

Verlorene SingleHandschuhe bekommen bei Stadtfund einen neuen Partner – frisch gewaschen und aufbereitet. WWW.DAWANDA.COM

III DESIGNKLASSIKER

Nachbauten der „Autoprogettazione“ von Enzo Mari aus der Werkstatt von CUCULA, die Flüchtlingen dabei hilft, sich eine berufliche Zukunft aufzubauen. WWW.CUCULA.ORG

III FLASCHENGEISTER

III OH TANNELIESE

Lebende Weihnachtsbäume zum Ausleihen: Die Bäume werden im Topf geliefert, nach Weihnachten abgeholt und wieder eingepflanzt. Bestellungen möglich ab Oktober/November. WWW.HAPPYTREE.DE

Immer wieder auffüllen: Glasflaschen in tollem Design und ganz ohne Plastik. Ein Euro pro Flasche wird an die NGO „Viva con Aqua“ gespendet, die Trinkwasserprojekte in über 16 Ländern realisiert. WWW.SOULBOTTLES.COM 1/2015 E V I D E N T 21


ER WEISS, WAS BEI BAUCHWEH HILFT: Die Bonobos aus kongolesischen Regenwald kurieren Darmprobleme mit unzerkauten Bl채ttern.

22 E V I D E N T 1/2015


N ATURHEILKUNDE

Auf der Suche nach neuen Medikamenten dokumentieren Ethnobotaniker weltweit Arzneipflanzen und das Wissen von Heilkundigen – es ist ein Wettlauf gegen die Moderne und das Artensterben.

WER RETTET DEN

SCHATZ DER NATUR? VON CLAUDIA BIEHAHN

M

it der Rinde des Knoblauchbaumes behandeln die Nkundo Wunden. Aus den Blättern der Liane Kongo bololo kochen sie einen Sud gegen Malaria. Gegen Magenschmerzen kauen sie die Blätter des Parasolbaums. Insgesamt nutzen die Nkundo rund 200 Pflanzenarten für medizinische Zwecke. Die Nkundo sind ein kleines Volk in der Demokratischen Republik Kongo. Sie leben am Rande des Salonga-Nationalparks, weit ab von der nächsten Straße mitten im Regenwald. Wer hier krank wird, ist hauptsächlich auf die Kunst der Heilkundigen und ihr Wissen um das medizinisch nutzbare Reservoir des Waldes angewiesen. Ein Wissensschatz, der über Generationen mündlich weitergegeben wurde. Damit er nicht verloren geht, hat ihn die Biologin Barbara Fruth von der Universität München zusammen mit der Universität von Kinshasa in einem zehnjährigen Projekt dokumentiert. Die Wissenschaftlerin erforscht mit ihrem Mann Gottfried Hohmann seit 15 Jahren Bonobos, eine Schimpansenart, die es nur im Kongobecken gibt. Den beiden fiel auf, dass die Affen auch Heilpflanzen nutzen (siehe Kasten) und dass Mensch und Tier zu einem erheblichen Teil dieselben Arten verwenden. Um mehr über das Heilpflanzenreservoir der Region zu erfahren, sammelte Barbara Fruth mit Mitarbeitern der Universität Kinshasa Tausende von Pflanzen im Gebiet der Nkundo, presste und sortierte sie und ließ sich von den Heilkundigen in den Dörfern erklären, wozu sie die Pflanzen nutzen und wie sie sie anwenden. Die Pflanzen, die das Projektteam nicht bestimmen konnte, schickte

III DIE HEILKUNDIGEN DES DORFES KENNEN DIE WIRKUNG DER PFLANZEN IM KONGOBECKEN.

1/2015 E V I D E N T 23


N ATURHEILKUNDE

GIFTIG, ABER GUT FÜRS HERZ Der Rote Fingerhut kann tödlich wirken. In Form von Medikamenten hilft er jedoch bei der Behandlung nervöser Herzbeschwerden.

sie zu Spezialisten. Herbarien mit über 1.000 beschriebenen Arten sind so entstanden, „die trotzdem nur einen Bruchteil der Artenvielfalt im Studiengebiet darstellen“, sagt Barbara Fruth. „Unsere Analysen sollten helfen, das traditionelle Wissen der Nkundo vor dem Aussterben zu bewahren und gleichzeitig die Bedeutung der pflanzlichen Vielfalt der Cuvette Centrale , also des kongolesischen Zentralbeckens herauszustellen.“ Ihre Hoffnung: im Pool der Nkundo-Heilpflanzen neue pharmakologisch interessante Wirkstoffe zu entdecken, die den Menschen neue Einkommensquellen schaffen und sie motivieren, den Wald nachhaltig zu nutzen. Damit wäre vielleicht auch den Bonobos geholfen, die vor durch die Jagd nach „bushmeat“ stark in ihrem Bestand gefährdet sind. Ethnobotanik nennt sich das Forschungsfeld, in dem Wissenschaftler weltweit untersuchen, wie der Pflanzenreichtum auf der Erde vom Menschen genutzt wird und ob in diesem Wissensschatz vielversprechende Kandidaten für neue Medikamente zu entdecken sind. Sie werden dringend gebraucht. „Nur rund ein Drittel der wichtigsten ‚Volkskrankheiten‘ kann derzeit zufriedenstellend behandelt werden“, weiß der pharmazeutische Biologe Peter Proksch von der Uni Düsseldorf. „Gegen viele Krankheiten gibt es noch immer keine befriedigende Therapie.“ Viele Krebserkrankungen gehören dazu, Arteriosklerose, Rheuma, neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson. Ebenfalls dringend gebraucht werden neue Antimalariamittel und Antibiotika gegen Infektionserkrankungen wie Tuberkulose, weil multiresistente Erreger ein riesiges Problem geworden sind. Der Ansatz, in alten Schriften nachzuschauen und über Generationen mündlich vererbtes heilkundliches Wissen bei den Völkern dieser Welt zu dokumentieren, ist dabei nur eine, „aber die älteste und vielleicht erfolgreichste Technik, neue pharmazeutisch wirksame Stoffe aus der biologischen Vielfalt zu gewinnen“, meint der US-amerikanische

24 E V I D E N T 1/2015

WEISS BLÜHENDES "BAUCHWEHKRAUT" Schon die Neandertaler setzten auf die heilende Wirkung der Schafgarbe. Sie beruhigt den gereizten Magen und ist gut für die Verdauung.

Ethnobotaniker Paul Alan Cox. Tatsächlich ist das Forschungsfeld riesig: Heilpflanzen werden seit Beginn der Menschheitsgeschichte in allen Kulturen (und im Tierreich, siehe Kasten) genutzt. Schon die Neandertaler sammelten vor 60.000 Jahren Heilpflanzen, unter anderem Schafgarbe und Eibisch, wie Archäologen nachweisen konnten. Heute überwiegt zwar ganz erheblich der Anteil synthetisch hergestellter „moderner“ Medizin, ein Großteil unserer Medikamente geht jedoch noch immer auf Naturstoffe zurück. Neben Heilpflanzen sind das tierische Organismen – vor allem aus dem Meer, zum Beispiel Schwämme – und Mikroorganismen wie Bakterien. Ihre Inhaltsstoffe werden heute dem natürlichen Vorbild meist „nachgebaut“. Mehr als die Hälfte aller in Deutschland hergestellten Arzneimittel basiert aber noch auf Heilpflanzen oder deren Inhaltsstoffe. Viele bekannte Blockbuster sind darunter, Aspirin zum Beispiel. Das 1899 herausgebrachte Medikament geht auf einen Wirkstoff aus der Weidenrinde zurück. Deren fiebersenkende Wirkung war schon dem griechischen Arzt Hippokrates bekannt. Neue Herzmedikamente wurden aus dem Roten Fingerhut entwickelt, ein neues Alzheimer-Medikament aus dem Schneeglöckchen. Neue Krebsmedikamente kommen aus der Pazifischen Eibe, aus dem Madagaskar-Immergrün und aus der GartenWolfsmilch. Sie gilt heute als Unkraut, war aber bis ins 16. Jahrhundert „ein fester Bestandteil der europäischen Volksmedizin“, weiß Michael Heinrich, ein deutscher Ethnobotaniker, der an der UCL School of Pharmacy in London lehrt. Man nutzte die Pflanze als Mittel gegen Warzen und Hautkrebs. Dann geriet sie in Vergessenheit, bis Australier sie in den 1970er Jahren als Hausmittel gegen sonnenbedingte Hautschäden und Krebs wiederentdeckten. Wissenschaftler wurden aufmerksam und isolierten aus der Pflanze den Wirkstoff Ingenol, der heute bei aktinischer Keratose eingesetzt wird, einer Hautkrebs-Vorstufe.

Fotos: Echte Eibisch, Fotolia; Rote Fingerhut, Schafgarbe, istock

SÜSST NICHT NUR MARSHMALLOWS Der Echte Eibisch hilft auch bei Erkältung. Die Schleimstoffe des Malvengewächses wirken reizlindernd und hustenstillend.


N ATURHEILKUNDE

50.000 bis 70.000 Pflanzen, so schätzen Wissenschaftler, werden heute medizinisch genutzt. Doch nur bei einem kleinen Teil sind die pharmakologisch wirkenden Inhaltsstoffe bekannt. Es sind oft mehrere Hundert in einer Pflanze. „Ein Pflanzenextrakt ist so etwas wie Kohle, die man aus der Erde holt“, sagt Peter Proksch. „Die Kohle muss noch veredelt werden. Sehr viele Schritte sind nötig, um Substanzen zu analysieren und zu testen. Viele Pflanzen sind auch schädlich.“ Bis am Ende ein Medikament herauskommt, vergehen zehn Jahre und mehr, weiß Proksch. In dieser Zeit schwindet die Biodiversität auf der Erde im galoppierenden Tempo. Je nach Schätzung gehen jeden Tag zwischen drei und 130 Arten verloren – ein Großteil ist noch gar nicht bekannt. „Das wahnsinnige Artensterben“, vor allem durch die Abholzung der Regenwälder, macht dem Wissenschaftler die größten Sorgen. Und oft steht am Ende einer vielversprechenden Suche auch kein neues Medikament, wie die Forschung von Helmut Wiedenfeld zeigt. Der Bonner Pharmazeut erforschte etliche Jahre lang die Pflanzenwelt Mexikos und stieß dabei auf Pflanzen, die Heilkundige traditionell gegen Diabetes vom Typ II verabreichen – ein riesiges Problem in Mexiko. Von über 100 Pflanzenarten, die man ihm zeigte, fanden sich im Labor aber nur bei fünf tatsächlich pharmakologisch wirksame Stoffe. Von den fünf schieden vier aus, weil sie entweder im Tierversuch Nebenwirkungen zeigten oder der Nachschub für eine Produktion im großen Stil nicht zu gewährleisten war.

III VIELE VOLKSKRANKHEITEN KÖNNEN NICHT ZUFRIEDENSTELLEND BEHANDELT WERDEN. Die vierte Pflanze war sehr vielversprechend, ihr Anbau hätte mexikanischen Bauern eine neue Einkommensquelle erschließen können. Doch es ließ sich aus ihr nicht ein einzelner Wirkstoff isolieren. Die Pflanze wirkte nur in einer ganz bestimmten Zubereitungsweise, wie Wiedenfeld von den Heilkundigen erfahren hatte – und deshalb wurde aus der langjährigen Forschung nichts. Die Pharmafirma, ein deutsches Unternehmen, das in Mexiko produzieren wollte, sprang ab, kurz bevor die klinischen Tests anstanden. Sie hatte sich ausgerechnet, dass ihr die Entwicklung zu teuer kommt. „Extrem schade“, findet der Wissenschaftler. „Ich hätte nicht gedacht, dass man in traditioneller Medizin wirksame Mittel gegen Diabetes findet.“ Enttäuscht über diesen Ausgang der langjährigen Forschungsarbeit ist er aber noch aus einem anderen Grund: „Man hätte der Bevölkerung ein günstiges, sicheres, gut wirkendes Diabetes-Medikament zur Verfügung stellen können.“ Diese Sicherheit sei längst nicht bei allem, was an traditionellen Heilmitteln verkauft wird, gegeben. So muss man auch den richtigen Curandero, also Heiler, kennen, der sich auf die ZubereiAnzeige

dm-drogerie markt GmbH + Co. KG · Carl-Metz-Str. 1 · 76185 Karlsruhe

Ausgezeichnet

spülen Denkmit ultra nature erhielt als erstes Spülmittel das Umweltzeichen DER BLAUE ENGEL. Das Siegel garantiert, dass die Umweltbelastungen deutlich geringer sind als bei herkömmlichen Produkten. So leisten wir nicht nur bei Ihnen zu Hause saubere Arbeit, sondern schützen auch vorbildlich unsere kostbaren Ressourcen für kommende Generationen.

Weitere Produkttipps und mehr zu Denkmit nature auf dm.de/denkmit

1/2015 E V I D E N T 25


N ATURHEILKUNDE

WUNDERMITTEL AUS DER NATUR: Aspirin geht auf einen Wirkstoff aus der Weidenrinde zurück. Dessen fiebersenkende und schmerzstillende Wirkung war schon dem Hippokrates bekannt.

tung des Diabetes-Mittel Agua de Uso versteht: Patienten trinken von der Flüssigkeit täglich morgens zwei Tassen, um ihren Blutzuckerspiegel zu normalisieren. „Das funktioniert“, sagt Wiedenfeld. „Doch dieses Wissen stirbt aus. Wo Handy und Internet hinkommen, geht als Erstes die traditionelle Medizin verloren.“ Diabetes-Patienten kaufen jetzt lieber die viel teureren modernen Medikamente, nehmen aber oft – um zu sparen oder aus Unwissenheit – weniger Tabletten als medizinisch nötig. Ein potenziell tödlicher Fehler. „Nur wenige Ältere kennen sich noch mit traditioneller Medizin aus. Die Jüngeren bevorzugen ‚moderne Medizin‘“, beobachtet auch Barbara Fruth. „Aber die ist oft gefälscht oder wird so verdünnt, dass sie unwirksam ist.“ Viele Menschen sterben daran. Fruth plant jetzt in privater Initiative Schulprojekte, damit das Wissen der Alten bei den Nkundo nicht verloren geht. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Heilpflanzenprojekt hat die Regierung des Kongo nicht weitergeführt. Ein einheimischer Doktorand untersucht jedoch gerade einige Pflanzen auf ihre mögliche Verwendbarkeit gegen die tropischen Geißeln Malaria und Leishmaniose. Vielleicht ist ja doch ein Treffer dabei.

26 E V I D E N T 1/2015

Es ist ein fantastisches Schauspiel: An einigen Stellen im Amazonas-Tiefland kommen frühmorgens Hunderte, in allen Farben leuchtende Papageien zusammen, um unter lautem Getöse tonhaltige Erde zu fressen. Die Vögel tun das nicht nur, um lebensnotwendige Salze aufzunehmen. Sie versorgen sich damit auch mit Mineralien, mit deren Hilfe sie giftige Substanzen wie Schimmelpilze im Körper binden und ausscheiden können. Ähnlich halten es Waldelefanten und Tapire. Die Tiere beugen mit dem Essen bestimmter Erden Vergiftungen vor und kurieren Magen-Darm-Probleme. „Zoopharmakognosie“ nennt sich diese noch junge, recht exotische Wissenschaft, bei der Forscher Tiere dabei beobachten, wie sie sich selber heilen. Jeder Hundebesitzer hat es schon gesehen: Hunde fressen Gras, um unbekömmliche Nahrung zu erbrechen. Weniger bekannt: Bienen tragen Harze in ihre Waben, um ihre Nachkommen vor Parasiten zu schützen. Fruchtfliegen legen zum selben Zweck ihre Eier in vergärende Früchte. Selbstmedikation, so die Beobachtung von Wissenschaftlern, zieht sich quer durchs Tierreich. Barbara Fruth beobachtete Bonobos vor mehr als 15 Jahren dabei, wie sie die großen behaarten Blätter eines Lianengewächses falteten und im Ganzen herunterschluckten. Unzerkaut machte das Blatt als Nahrung keinen Sinn. Ihr kam der Verdacht, dass sich die Tiere von einem Darmproblem zu kurieren versuchten – zumal auch die Nkundo die Blätter von Manniophyton fulvum als Mittel gegen Entzündungen und Durchfall nutzen. Dieses Wissen kann durch natürliche Selektion angeboren sein: Tiere, die irgendwann durch Zufall den heilenden Effekt einer Pflanze entdeckt haben und dadurch eher überleben als andere, geben das Verhalten genetisch an die Nachkommen weiter. Bei intelligenten Menschenaffen lernen die jungen Tiere jedoch auch durch Nachahmung der älteren, beobachtet Barbara Fruth: „Die Kinder schauen zu, was Mama isst, wenn sie Bauschmerzen hat.“ Welches Verhalten ist genetisch bedingt, welches gelernt? Das ist eine der Forschungsfragen, mit denen sich die Affenforscherin beschäftigt. Können uns Tiere Hinweise auf neue Medikamente geben? Die Wissenschaftlerin hält das für „Quatsch“: „Die Screening-Methoden der Pharmaindustrie sind viel effektiver und wir haben einen so reichen Schatz an traditionellem medizinischen Wissen bei den Völkern auf der Welt – damit kommt man schneller zum Ziel als dadurch, wilden Tieren hinterherzulaufen.“ Claudia Biehahn

Foto: istock

DIE TIER-DOKTOREN


Anzeige

EINLADUNG

LEBENSADER ISAR

Dieses gesunde Öko-Haus wächst in deutschen Wäldern in nur 5 Minuten nach.

Gehen Sie mit der LUX-Redaktion und Green City Energy auf Exkursion. III TEIL I

III TEIL II

Dr. Helmut Paschlau (Die Umwelt-Akademie e. V.). Vom Wild- zum Wirtschaftsfluss: Die historische Isar

Martin Betzold (Green City Energy AG). Ökostrom aus dem Herzen Münchens: Das Praterkraftwerk

DASS MÜNCHEN IM 19. JAHRHUNDERT Europas größter Floß-Hafen war, ist wenig bekannt. Ebenso, dass der heutige Residenzgarten ursprünglich ein von einem "Abrechen“ abgegrenzter Holz-See war und dass jeden Montag eine Floß-Reise auf der Isar nach Wien startete, die sechs Tage dauerte. Wie die wilde Isar vom Menschen „gezähmt“ und nutzbar gemacht wurde, berichtet anhand von Karten und Fotos Helmut Paschlau, Vorstand von Die Umwelt-Akademie e. V. Die Nutzung durch Mühlen und Kraftwerke hat Wasser-Abzweigungen in Isar-Kanälen gebracht, die der Isar nur noch „Restwasser“ lassen. Das Gebiet um die Praterinsel wurde 1858/60 aus kurfürstlichen Repräsentationsgründen umgestaltet. Nun ist die Isar „eingemauert“ – und die Mauern sind denkmalgeschützt.

WENN MAN AUF DER MAXIMILIANSBRÜCKE über der Isar steht und aufs Wasser blickt, kommt einem nicht gerade eine Steckdose oder eine Glühbirne in den Sinn. Dabei wird genau hier in dem jüngsten aller Isar-Kraftwerke pro Jahr genug grüner Strom für etwa 4.000 Haushalte produziert. Das hochmoderne unterirdische Wasserkraftwerk ist ein Gemeinschaftsprojekt von Green City Energy und den Stadtwerken München und ging Mitte 2010 ans Netz. Überzeugen Sie sich selbst von der Leistung des Praterkraftwerks, steigen Sie zu der Turbine in das Kraftwerkshaus unter der Isar hinab und erfahren Sie von Martin Betzold, Unternehmenssprecher von Green City Energy AG, die Entstehungsgeschichte und die Besonderheiten dieses Wasserkraftwerks.

INFOS III KOSTENFREIE SONDERFÜHRUNG der Umwelt-Akademie e. V. und Green City Energy AG für EVIDENT-Leser III TREFFPUNKT Praterkraftwerk Maximiliansbrücke/Ecke Widenmayerstr. (gegenüber Widenmayerstr. 1), 17.00 bis 18.30 Uhr III TERMINE 8. Oktober 2015, jeweils max. 25 Personen III ANMELDUNG unter info@es-werde-lux.de mit dem Betreff "Praterkraftwerk" III TEILNAHME nur für Personen ab 18 Jahren möglich.

NACHHALTIG BRAUCHT NUR FÜNF MINUTEN: NOTE 1 FÜR DEN KLIMASCHUTZ Wir bauen klimaschützende, wohngesunde Wunschhäuser aus dem nachhaltigsten Werkstoff der Welt: Holz. Denn in nur fünf Minuten wächst das gesamte Holz für ein ökologisch wertvolles Baufritz-Haus in deutschen Wäldern nach und entzieht der Atmosphäre langfristig mehr als 40 Tonnen CO2 für ein besseres Klima.

Jetzt weiterlesen und meh r Nachhaltigkeit entdecken: ww w.baufritz-sz.de

1/2015 E V I D E N T 27


LABELDSCHUNGEL

DARF ICH DIESEN

28 E V I D E N T 1/2015


FISCH ESSEN? Wer sich auf die Suche nach ökologisch korrekten Lebensmitteln oder Produkten begibt, gerät in einen LABELDSCHUNGEL. Verlässliche Aussagen zu finden ist schwer. VON FRANK KEIL

Fotos: Fotolia

I

ch mag Räucherlachs. Ich mag diesen leicht tranigen und, um es ehrlich zu sagen, auch fettigen Geschmack. Und zugleich habe ich, wie wohl viele Verbraucher, die Bilder von Lachsen im Kopf, die zu Hunderten irgendwo in einem Aquabecken dicht gedrängt über- und untereinander schwimmen, wo ich es doch lieber hätte, dass mein Lachs so gefangen wird, wie vom Bären in der Tiersendung auf einem der Dritten Programme nach der Tagesschau: einzeln und mit Würde. Also trägt die Packung, aus der ich meinen Lachs hole, zwei Aufdrucke. Der erste ist von der Zeitschrift Öko-Test, die meinen Lachs mit „Sehr gut“ bewertet hat. Erteilt im Dezember 2009, was schon etwas länger her ist. Aber die Ausgabe ist noch online lesbar, auch wenn das Testergebnis nicht allzu viel über ökologische und soziale Standards berichtet. Außerdem findet sich das Label von Naturland, von dem ich gehört habe, dass es ein besonders strenges Bio-Label sein soll, das auch soziale Kriterien berücksichtige, etwa das Recht der Beschäftigten, Gewerkschaften beizutreten oder auch zu gründen. Mich interessiert lachsbezogen besonders, wie viel Fischfutter meinem Naturland-Lachs zugeführt wurde, wird doch in den Welt1/2015 E V I D E N T 29


meeren immer mehr Fisch nicht für den direkten Verzehr gefangen, sondern um als Fischfutter für die boomende Aquazucht zu dienen. Nun lese ich bei den Angaben zur Zufütterung bei der NaturlandAquakultur: „Ziel ist (…), den Anteil an Fischmehl/-öl in der Ration auf ein Mindestmaß zu senken.“ Mindestmaß – aha! Es wird nicht das letzte Mal sein, dass ich auf eine Definition stoße, die streng genommen keine ist. Keine für den Alltag praktikable jedenfalls. ICH RUFE BEI EINER – sagen wir mal – Institution an, die mit Zertifizierungen zu tun hat. Denn was mir dort in den nächsten Minuten gesagt wird, dürfe ich auf keinen Fall namentlich zitieren: „Diese ganzen Label, das ist doch eine einzige Verbraucherverarsche!“ Da könne doch kein Mensch den Überblick behalten, was ja auch so gewollt sei. Man erfinde täglich Label, allein um den Verbraucher endgültig zu verwirren! Bis der sage: 'Ach, ist doch egal!' Die Stimme am Telefon ist sehr, sehr aufgebracht. Und in der Tat: Bis zu tausend Label stehen uns Verbrauchern mittlerweile gegenüber. Für einzelne Produkte wie meinen geräucherten Lachs in Scheiben über Dämmstoffe für den Hausbau bis hin zu ganzen Schiffen. Tendenz steigend. Vorbei die Zeiten, wo allein ein blauer Engel einen unter seine Flügel nahm und sagte: 'Alles ist gut, wenn du nur darauf achtest, ob ich da bin.' 1978 war das, als der damalige Innenminister Werner Maihofer ihn auf die Erde schickte. „Wir gehen beim Blauen Engel langsam auf den 40. Geburtstag zu und es hat in der Vergangenheit kaum Verstöße gegeben“, sagt Hans-Hermann Eggers vom Bundesumweltamt in Dessau. Alles eingespielt, alles gut. „Man ist natürlich nie dagegen gefeit, dass es in Ausnahmefällen eine gewisse kriminelle Energie geben kann, entsprechende Verstöße muss man dann prüfen und natürlich sanktionieren – etwa das Label entziehen.“ GIBT ES HEUTE ähnlich starke Label, die er seitens seiner Behörde empfehlen kann? Ja: das EU-Bio-Siegel und das Fairtrade-Siegel. Er nennt noch das FSC-Siegel für Holz und Holzprodukte, und auch das Konkurrenzlabel PEFC kommt gut weg. Hat er genügend Personal, um alle nötigen Kontrollen durchführen zu lassen? Er lacht auf und 30 E V I D E N T 1/2015


LABELDSCHUNGEL

III TANZ MIT DEM TEUFEL: WENN TIERSCHÜTZER ETWAS BEWIRKEN WOLLEN, MÜSSEN SIE MIT DER FLEISCHINDUSTRIE ZUSAMMENARBEITEN. gibt die typische Behördenantwort: „Wissen Sie, man hat nie genug Personal!“ Aber ja doch – sie sind nicht schlecht ausgestattet, das passt schon. Und er verweist zum Schluss – und seine sonore Stimme wird plötzlich fast jugendlich heiter – auf etwas ganz Neues: Es gäbe da eine Internetseite, im Aufbau begriffen und in Auftrag gegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die einem wie mir Durchblick durch den Labeldschungel verspreche. Womit wir bei einem neuen Trend sind: Label für Label sozusagen. Dem Zeitalter angemessen, Internetplattformen, die uns das Einschätzen von Label abnehmen: ein, zwei Klicks, und wir wüssten Bescheid, ob wir dem Siegel vertrauen könnten, auf das wir blicken, ohne zeitraubende Eigenrecherche also. Den Anfang machte der Nachhaltigkeitskorb des Rates für Nachhaltigkeit (www.nachhaltigkeitsrat. de). Dem folgte die Verbraucherinitiative Berlin mit www.label-online.de. Und nun die nächste Seite, deren Name schon die tiefe Sehnsucht nach der Übersichtlichkeit der guten alten Zeit verrät: www.siegelklarheit.de. Wichtig auch hier: Man zertifiziert nicht selbst, sondern bewertet die gegebenen Angaben der Labelgeber, schätzt ihre Plausibilität ein, ihren Anspruch, ihre Logik – und vergleicht diese mit den eigenen Ansprüchen. DOCH ALLZU KLÄREND sind viele Angaben nicht, geht man ins Detail, was einem auch hier nicht erspart bleibt: „Die adidas Gruppe hat im Jahr 2013 zu 23 Prozent nachhaltigere Baumwolle eingekauft“, ist etwa zu lesen. Ist das jetzt viel oder wenig? War das schon mal mehr oder weniger? Und überhaupt: „nachhaltigere ...“ – wieder so ein Begriff, den man nur staunend anschauen kann. Nicht ausgeschlossen, dass als Nächstes „Jetzt noch nachhaltiger!“ um die Ecke kommt. Dabei bleibt es nicht. Denn man muss schon in die Feinheiten der Bewertungen an sich eintauchen, um zu einer Bewertung zu kommen. So bedeutet die Kategorie „Keine Bewertung“ nicht unbedingt, dass die Bewertung noch nicht erfolgt ist, aber demnächst erfolgen wird. Sondern auch: „Der Siegelgeber hat der Datenerhebung nicht zugestimmt und legt keinen Wert darauf, dass das Siegel auf dem Portal erscheint. Oder die Daten sind erhoben worden und haben unsere Bewertungsmethodik durchlaufen, aber der Siegelgeber stimmt dem Ergebnis nicht zu“, mailt mir Alexandra Czarnecki, Sprecherin der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die das Projekt Siegelklarheit im Auftrag der Bundesregierung umsetzt. Es bleibt also spannend.

UND MEIN LACHS? „Wir sehen alle Gütesiegel für Fischprodukte derzeit kritisch und können keines uneingeschränkt empfehlen. Alle haben ihre Schwachpunkte“, sagt Sandra Schötting, bei Greenpeace zuständig für den Bereich Fischerei. Meinem Aqualachs hätten pro Kilo maximal 1,5 Kilogramm Fisch zugefüttert werden dürfen – und zwar aus nachhaltiger Wildfischerei. Der größere Rest des Futters (man geht von einer Zufuttermenge von vier Kilo für ein Kilo Lachs aus) müsste pflanzlich sein – aus ökologischer Landwirtschaft. Diesen Standard, den sich Greenpeace gesetzt hat und für den es genaue Zahlen nennt, erfülle keines der Label. Wo ich gerade bei Greenpeace bin, klopfe ich bei Sandra Hieke an, um mich nach dem FSC-Siegel für Holzprodukte und Holzbewirtschaftung zu erkundigen, das nach der Umweltkonferenz von Rio 1993 unter der Beteiligung von Greenpeace gegründet wurde. KEINE BLANKE HISTORIE, sondern eine Zäsur. Denn damals fand ein Paradigmenwechsel statt, der bis heute wirkt: Die Umweltverbände setzten sich mit der Industrie an einen Tisch – und der Kompromiss in seiner schillernden Gestalt ersetzt seitdem immer mehr den resoluten Protest. Mit der Folge, dass heute etwa der WWF einzelne EDEKAProdukte mit seinem Panda-Label adelt oder der NABU das firmeneigene Pro Planet-Siegel von REWE unterstützt. Anzeige

DER BUNDESPREIS FÜR ENGAGEMENT GEGEN LEBENSMITTELVERSCHWENDUNG

BIS ZUM 31.10.2015 : N BEWERBE

/ ietonne.de zugutfuerd s ei pr es nd bu 1/2015 E V I D E N T 31


LABELDSCHUNGEL

III BEI DER VERGABE VON GÜTESIEGELN KÖNNTEN SEHR PROFANE GRÜNDE EINE ROLLE SPIELEN. DENN FÜR SIE GIBT ES GELD. WIE VIEL? DAS BLEIBT GEHEIM.

„Kontrolle ist auch uns ganz sicher nicht möglich“, räumt Sandra Hieke ein. „Aber wir haben ein großes Netzwerk, sei es aus Ehrenamtlichen, aus Förderern, aus Leuten aus den Regionen, aus unseren Büros vor Ort in Russland, Brasilien oder im Kongobecken.“ Das ist auch notwendig, denn es mangelt nicht an kritischen Punkten. Etwa bei der Bewirtschaftung intakter Urwälder, die beim FSC-Siegel keinesfalls per se ausgeschlossen ist. „Da kontakten uns dann unsere Leute und fragen: ‚Was hier passiert, kann das eigentlich sein?’ Und dann gehen wir diesen Hinweisen nach.“ Immerhin: Auf der letzten FSC-Jahreskonferenz wurde beschlossen, sich des Problems der Urwälder anzunehmen und für diese neue Standards zu implementieren. ZWEITES PROBLEMFELD: Produkte aus dem sogenannten FSCMix, die also zum Teil aus nicht-zertifiziertem Holz bestehen, ohne dass dieser Anteil genauer definiert ist. Label-Definition: „Aus verantwortungsvollen Quellen.“ Damals – Stichwort: Kompromiss – für eine Übergangszeit vorgesehen, um die großen Möbelkonzerne, aber auch die Papierhersteller von Anfang an mit ins Boot zu holen. Nur – die Übergangszeit gilt bis heute! Und niemand von den FSC-Mitgliedern mag sichtbar an ihr rütteln. Sandra Hieke sagt: „Ein Zertifikat ist das Ergebnis eines ständigen Aushandlungsprozesses. Wenn wir mit der Holzwirtschaft an einem Tisch sitzen, ist das, was wir fordern, für die oft das Maximum, für uns aber ist es das Minimum. Die Frage ist immer: Wie weit kann man gehen, ohne seine Seele zu verkaufen.“ Weshalb es übrigens längst eine Internetseite gibt, die das FSC-Siegel kritisch begleitet: www.fsc-watch.com. Welche besonderen Formen das Zertifizieren von Lebensmitteln annehmen kann, zeigt das Label des Tierschutzbundes, das schon in seinem Titel Unschärfe anbietet: „Für mehr Tierschutz“. Es gibt es in zwei Kategorien: „Premium“ und „Einstiegsstufe“, also etwas weniger als mehr Tierschutz. Vergeben wird es an Geflügelhöfe, die den Wiesenhof-Konzern mit Fleisch beliefern. Wobei bisher ganze 27 Wiesenhof-Hofzulieferer vom Tierschutzbund zertifiziert wurden. Trotzdem: Warum erteilt der Tierschutzbund, der es als sein erklärtes Ziel ansieht, uns Bürger vom Vegetarismus zu überzeugen, ein solches Siegel an ein Unternehmen wie Wiesenhof? „Salopp gesagt, ist es für uns ein Tanz mit dem Teufel, denn wir wissen, mit wem wir es zu tun haben: Die Unternehmen der Fleischindustrie verdienen ihr Geld mit Schlachtkörpern, das ist für einen Tierschützer hart“, sagt Marius Tünte vom Tierschutzbund. „Aber wenn wir etwas bewirken wollen, dann müssen wir mit ihnen zusammenarbeiten.“ Er sagt: „Wir haben von Anfang an die Gefahr gesehen und sehen sie auch weiterhin, dass ein Label missbraucht werden kann. Doch die Höfe, denen wir unser Siegel erteilen, sind von uns zertifiziert, es finden regelmäßige, auch unangemeldete Kontrollen statt. Ich war selber schon auf so einem Hof, das ist für Tierschützer kein Paradies, aber es ist besser als das, was vorher da war.“ Es könnte auch einen sehr profanen Grund für dieses Siegel geben: Der Tierschutzbund erhält, wie andere Labelgeber auch, für die Vergabe seines Labels Geld. Wie hoch die Summe pro Jahr ausfällt, möchte man nicht mitteilen: „Wir kommentieren beziehungsweise kommunizieren die Lizenzgebühren nicht, da sie Gegenstand der Lizenzverträge sind, die wir nicht veröffentlichen“, sagt Tünte. Was die Frage aufwirft, wie vertrauenswürdig ein Label sein kann, wenn schon dessen Ausgangsbedingungen geheim bleiben.

32 E V I D E N T 1/2015


LABELDSCHUNGEL

DAS GEFÜHL, durch einen Labeldschungel zu wandern, wird nicht weniger, wenn man versucht, hinter die Kulissen zu schauen. Längst ist um die Label herum eine Dienstleitungsbranche entstanden, die diese zertifizieren und die erteilte Zertifizierung anschließend regelmäßig kontrollieren. Beauftragt werden privatwirtschaftliche Institute wie das Fresenius Institut. Große Labelgeber wiederum haben eigene Zertifizierungsgesellschaften gegründet, etwa das Fairtraide-Label die FLO-CERT, eine unabhängige, aber 100-prozentige Tochtergesellschaft. Die GFA Consulting Group GmbH wiederum nimmt Zertifizierungen sowohl für das FSC-Label wie auch für das konkurrierende PEFC-Label vor. Mit dabei sind auch die Technischen Überwachungsvereine, die mal eingetragene Vereine sind, oft aber auch Aktiengesellschaften. Dazu kommen externe Experten und Beiräte – denen zuweilen ein Beiratsberater zur Seite gestellt wird. Jede Zertifizierung läuft anders ab. Wie auch immer – entscheidend dürfte sein, wie umfassend oder wie eng die Kontrollunternehmen ihren Auftrag verstehen. Der TÜV Rheinland etwa kam im Frühjahr letzten Jahres in die Schlagzeilen. Im Auftrag des BSCI-Labels, das Mindestanforderungen bei Löhnen und Arbeitszeiten garantiert, hatte er die später eingestürzte Textilfabrik Rana-Plaza in Dhaka in Bangladesch kontrolliert – und es schlicht nicht als seine Aufgabe angesehen, einen Blick auf den baulichen Zustand der Fabrik zu werfen, für die nicht mal eine Baugenehmigung vorlag. Die Frage ist, ob ein Zertifizierungs- oder ein Kontrollunternehmen tatsächlich unabhängig (das Lieblingswort der Labelbranche) arbeiten und eigene Prüfkriterien entwickeln kann, wenn Geld mit ihm Spiel ist, wenn Kontrolle eine Dienstleistung ist, die Marktmechanismen unterliegt. Dabei waren speziell die Umweltverbände mit der Idee angetreten, den Schutz der Umwelt (und der Produkte, die sie uns liefert) eben nicht länger dem Markt zu überlassen – und dafür mit ihrem Namen einzustehen. DIE MÜNCHNER JOURNALISTIN Kathrin Hartmann, die in ihrem neuen Buch „Aus kontrolliertem Raubbau“ die Versprechen der Green Economy und ihrer Labelpolitik untersucht, findet denn auch mehr als deutliche Worte für den Labelboom: „Label sind ein marktradikales Element. Sie stützen ein System, das auf Wachstum ausgerichtet ist, auf wachsenden Konsum. Als würde es das Wachstum brauchen, um die Schäden zu beseitigen, die das Wachstum erzeugt.“ Hartmann hat besonders die Nachhaltigkeitssiegel im Blick: „Sie werden meist für Problemrohstoffe vergeben wie Soja und Palmöl, aber auch Kaffee, Kakao oder auch Fleisch, für die beispielsweise der Regenwald gerodet wird. Es sind Persilscheine, um zu bestätigen, dass das, was eigentlich schlecht ist, auch in gut geht.“ Und am Ende laufe es immer wieder auf die „Es-ist-eben-besser-als-nichts-Formel“ hinaus. Sie schlägt einen weiten, weltwirtschaftspolitischen Bogen, wenn sie konstatiert: „Es geht um nichts anderes als Rohstoffsicherung.“ So, wie auch die Adressaten der Label ihren eigenen Interessen verpflichtet blieben: „Zielgruppe ist die konsumfreudige, kaufkräftige Mittelschicht. Die will Lösungen haben. Und sie empfindet Kritik, insbesondere generelle Kritik an unserem Wirtschaftssystem, zunehmend als Zumutung.“

DAS MAG ZUNÄCHST pauschal und fundamental klingen, doch die Wirklichkeit gibt Hartmann immer wieder recht: wie erst dieser Tage, als die amerikanische Tulane University den Einfluss zertifizierter Kakaoprodukte auf den Grad der Kinderarbeit in einigen westafrikanischen Ländern untersuchte. Lautet doch das Versprechen an uns alle: Wenn wir zertifizierte Schokolade aus dieser Region kauften, tragen wir dazu bei, dass die Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen langfristig zurückgeht – und wer will das nicht. Doch das Gegenteil ist offenbar der Fall: Der gesteigerte Bedarf an zertifiziertem und also gelabeltem Kakao hat dafür gesorgt, dass dort heute mehr Kinder auf den Kakaoplantagen arbeiten – unter, wie man sich vorstellen kann, oft katastrophalen Bedingungen. Ein Vorgang, der den verschiedenen Organisationen, die für zertifizierte Kakaoprodukte eintreten, offenbar komplett entgangen ist. Und so stehen wir Verbraucher am Ende tatsächlich klüger dar: Wir möchten einfach nur wissen, ob wir eine Packung Räucherlachs, ein Regalbrett aus Fichte oder ein neues Handy guten Gewissens kaufen, können und müssen feststellen, dass wir, nehmen wir es ernst, eintauchen in die komplexe Materie von Wirtschaft und Politik. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass wir auf unsere Fragen nicht so schnell einfache Antworten bekommen.

Anzeige

DU UND DAS TIER

VERRAMSCHT UND VERHÖKERT

Lesen Sie alles über das miese Geschäft der Welpenhändler! In der neuen Ausgabe von DU UND DAS TIER, das Mitgliedermagazin des Deutschen Tierschutzbundes – auch im Abo erhältlich. Weitere Infos unter www.duunddastier.de Abo-Service: 089-2183-7266

1/2015 E V I D E N T 33


OUTDOOR

DIE CHEMIE MUSS RAUS! Wer viel draußen unterwegs ist, schätzt die Natur. Dumm nur, dass die Ausrüstung bis heute nicht ohne schädliche Chemiestoffe auskommt. Die Outdoor-Branche forscht fieberhaft an Alternativen, doch auch der Verbraucher ist am Zug. VON ANDRÉ BOSSE

G

Foto: istock

ut geht, wer ohne Spuren geht.“ Dieser kluge Aphorismus ist sehr alt und stammt vom chinesischen Gelehrten Laotse, der – so schätzt man – im 6. Jahrhundert vor Christus gelebt hat. Mit Blick auf die Outdoor-Branche ist der Satz jedoch hochaktuell: Gut geht, wer in der Natur keine Spuren hinterlässt. Keinen Müll, das ist selbstverständlich. Aber eben auch keine schädlichen Chemikalien, die sich nie wieder abbauen.

34 E V I D E N T 1/2015

VOR RUND DREI JAHREN zeigte eine Greenpeace-Studie, dass alle für einen Test ausgewählten Funktionsjacken und Hosen sogenannte „per- und polyfluorierte Chemikalien“ enthalten, kurz: PFC. Unter diesem Sammelbegriff werden in den Laboren hergestellte Stoffe zusammengefasst, die eine Jacke oder Hose auf einfache und günstige Art wetterfest machen: Flüssigkeiten perlen wunderbar ab, entwickelt wurden diese Kunststoffe in der Textilbranche zunächst als Schutzkleidung, zum Beispiel für Feuerwehrleute. Zum Einsatz kommen PFC in der Industrie an vielen Stellen, zum Beispiel in Teppichen, Autofilzen oder Pizzakartons. Auf die Tatsache, dass sich die Kunststoffe auf Outdoor-Kleidung finden, reagierte die Öffentlichkeit jedoch besonders sensibel: Natur und Chemie – das beißt sich halt.


OUTDOOR

DIE OUTDOORBRANCHE BOOMT: Selbst Hunsr端ckwanderer stellen hohe Anspr端che an eine wetterfeste Ausr端stung und kaufen High-EndProdukte. 1/2015 E V I D E N T 35


OUTDOOR

III AUSRÜSTER STEHEN VOR DEM DILEMMA, ANSPRÜCHE DER KUNDEN MIT DEM UMWELTSCHUTZ UNTER EINEN HUT ZU BRINGEN.

Fotos: istock

GIPFELSTÜRMER HINTERLASSEN ÜBERALL SPUREN IN DER NATUR: Schädliche Kunststoffe auf der OutdoorKleidung gelangen in den Wasserkreislauf und gehen auf eine Reise durch die Welt.

36 E V I D E N T 1/2015

Für den Träger ist das PFC nicht schädlich. Das Problem: Vor allem durch das Waschen der Ausrüstung gelangt das Zeug ins Grundwasser, und von dort aus beginnt es eine ewige Reise um die Welt: Weil sich PFC nicht abbaut, ist sein Werdegang unkontrollierbar. So wurde die Chemikalie auch in der Antarktis nachgewiesen, laut Greenpeace finden sich Spuren bereits im Blut von Neugeborenen. Wie schädlich PFC ist, darüber wird noch gestritten. Laut Greenpeace belegen Tierversuche, dass die Stoffe für den Organismus schädlich sind: Einige Formen schädigten die Fortpflanzungsorgane oder förderten das Wachstum von Tumoren. WÜRDEN MIT PFC BEHANDELTE Jacken und Hosen bis heute nur von Feuerwehrleuten getragen, wäre das Risiko eher gering. Die Sache verschärft sich jedoch, denn Outdoor-Kleidung ist angesagt wie nie zuvor. Kein Naturfreund zieht heute mehr mit Lederhose und Strickjacke in die Berge. Wer heute wandert, möchte das mit professioneller Ausrüstung vom Outdoor-Spezialisten tun. Selbst der Spaziergänger durch Harz, Eifel und Schwarzwald stellt hohe Ansprüche an seine Kleidung: wasserdicht, atmungsaktiv, vor Wind schützend, rissfest und bequem. War Outdoor-Kleidung früher ein Nischenprodukt für Extrem-Bergsportler, finden sich wettefeste Jacken und Hosen heute in beinahe jedem Haushalt – und werden bei Wind und Wetter wie selbstverständlich auch in Städten getragen. Ein Beleg dafür ist das Wachstum des Outdoor-Händlers „Globetrotter“: 1979 als sehr spezielles Kaufhaus für anspruchsvolle Draußensportler gegründet, beschäftigt die Kette heute rund 1.400 Mitarbeiter und setzt in ihren neun Filialen 230 Millionen Euro um. Vom Boom profitieren auch die Hersteller der Outdoor-Kleidung, doch diese stehen nach Veröffentlichung des Greenpeace-Reports unter Zugzwang. Wer sich in der Branche umhört, merkt sehr schnell, dass die Studie der Umweltorganisation die Ausrüsterfirmen tatsächlich aufgerüttelt hat. Beinahe alle deutschen Anbieter bereiten intensiv den Ausstieg aus der PFC-Verwendung vor. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran“, sagt Hilke Patzwall, bei Vaude für das Thema Nachhaltigkeit zuständig. Das Unternehmen aus dem Hinterland des Bodensees bezeichnet sich selbst als „nachhaltigen und innovativen Outdoor-Ausrüster“. Beim zukünftigen Umgang mit PFC muss nun Vaude beweisen, ob diese Einschätzung stimmt. Das Ziel: Ab 2020 sollen alle Produkte PFC-frei sein. Bis dahin geht es um kleine Schritte und Kompromisse: Wasserabweisende Jacken und Hosen kommen seit der diesjährigen Sommerkollektion ohne die Chemikalien aus. Jedoch geben diese Produkte nicht die Garantie, dass sie unter allen Bedingungen dicht halten. Soll die Kleidung tatsächlich zu hundert Prozent wasserdicht sein, gehe es noch nicht ohne PFC, heißt es bei Vaude – wobei laut Unternehmen aktuell nur noch C6-PFCs zum Einsatz kommen, deren che-


OUTDOOR

misches Grundgerüst aus sechs Kohlenstoffen besteht. Einige dieser PFCs reichern sich im Organismus weniger schnell an als Verbindungen mit acht oder zehn Kohlenstoffen. Anders gesagt: Sie sind weniger schlimm, aber schlimm bleiben sie. Weshalb sich neben den Umweltschutzorganisationen auch die Branche selbst nicht zufriedengibt. „C6 ist nur ein Zwischenschritt“, sagt Simone Mayer, Geschäftsführerin des Ausrüsters Maier Sports. „Am Ende kann es nur um C0 gehen.“ ABER WANN IST ES SO WEIT? „Ungeduld ist auch bei uns ein Thema“, sagt Hilke Patzwall von Vaude. „Selbst wohlmeinende Chemiker können nicht zaubern.“ Sprich: Die Branche ist von Zulieferern abhängig, die neue Lösungen bieten müssen. Solange diese fehlen, hat der Ausrüster die Wahl: weiterhin funktionsfähige PFC-Kleidung anbieten oder einen klaren Schritt machen, der dann aber auf Kosten der Qualität geht, weil eine wasserdichte Alternative noch fehlt. „Wir stehen vor dem Dilemma, den Anspruch der Kunden mit dem Umweltschutz unter einen Hut zu bringen“, so Patzwall. „Wenn die Outdoor-Magazine Produkttests durchführen, ist Nachhaltigkeit natürlich ein Kriterium. Hält eine Jacke jedoch ihr Funktionsversprechen nicht ein, fällt sie durch.“ Auch der größte deutsche Outdoor-Anbieter Jack Wolfskin verfolgt den Plan, ab Ende 2020 keine mit PFC aufgerüstete Kleidung mehr im Sortiment zu haben. Zusammen mit Chemie- und Stoffherstellern forscht das Unternehmen nach Alternativen, doch das ist nicht einfach. Es sei schwierig, die richtige Kombination aus Produktionsmaschinen, Gewebestruktur und Ausrüstungschemikalie zu finden. „Alle Parameter müssen perfekt aufeinander abgestimmt sein, da ansonsten entweder die Dauerhaftigkeit oder der Abperl-Effekt nicht oder nur ungenügend gegeben ist.“ Hinzu kommt, dass PFC-Chemikalien in der Produktion recht einfach anzuwenden sind. Auch beim Thema Effizienz müssen die Alternativen mithalten können, sonst wird es zu teuer. Denn ob die Kunden bereit sind, für PFC-freie Kleidung mehr zu bezahlen als bisher – das weiß in der Branche noch niemand. „Das Thema interessiert die Kunden, vor allem nach den besorgniserregenden Testergebnissen“, heißt es beim Outdoor- und Skisportausrüster Schöffel. „Als Hersteller können wir aber nicht genau sagen, welchen Performance-Verlust der Verbraucher akzeptiert und welchen Mehrpreis er bezahlen würde.“ Simone Mayer, Geschäftsführerin von Maier Sports, hat festgestellt: „Der Endverbraucher hat den Anspruch, sich mit den echten Performern zu messen, und wenn es diese Möglichkeit zu günstigem Preis gibt, dann nimmt er sie auch mit.“ DIE BRANCHE HINTERFRAGT DAS KAUFVERHALTEN und die Ansprüche ihrer Kunden, jedoch ist das ein sehr sensibles Thema. Erstens, weil sich Kunden nur ungern erziehen lassen. Zweitens, weil es aus wirtschaftlichen Gründen natürlich prima ist, wenn sich selbst der Hunsrückwanderer für High-End-Produkte für Gipfelstürmer interessiert. Mit diesen Kunden verdient man Geld – solange sie damit zufrieden sind, dass bei einem Regenschauer die Tropfen vom Oberflächenmaterial der Jacke abperlen. Genau hier kann nun die Aufklärung einsetzen: Das Abperlen ist ein hübscher optischer Effekt. Der eigentliche Wasserschutz steckt häufig in den Membranen unterhalb der Oberfläche, für die es einfacher ist, Alternativen zu finden. „Perlt das Wasser nicht sichtbar ab, bekommt der Kunde den Eindruck, die Jacke wäre

nicht dicht. Dass das nicht stimmt und dass der Schutz woanders passiert – darüber muss man ihn informieren“, sagt Maier-Sports-Geschäftsführerin Simone Mayer. Bei der Aufklärung ins Boot holen wollen die Hersteller auch den Fachhandel. „Dort“, so Hilke Patzwall von Vaude, „findet der Kundenkontakt statt – und dort stehen die Leute vor der Tür, wenn ein Produkt die versprochene Funktion nicht einhält.“ Daher neige man im Laden dazu, auch dem Mittelgebirgswanderer eine Top-Ausrüstung zu empfehlen. „Denn dann gibt es keine Reklamation.“

HÜBSCHER EFFEKT OHNE NUTZEN: Das Abperlen der Regentropfen ist vor allem optisch interessant. Der eigentliche Wasserschutz steckt viel tiefer, in den Membranen unterhalb der Oberfläche.

Ein weiterer Weg wäre die Erziehung der Kunden durch den Preis: Warum nicht das ungewollte PFC teurer machen? „Wenn wir sagen, PFC kostet 50 Euro mehr, dann sagt der Handel: Dann verkaufen wir es nicht mehr. Und die Kunden holen sich die günstigen Produkte zum Beispiel aus den USA, wo das Thema im Vergleich zu Deutschland nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit erregt“, sagt Hilke Patzwall von Vaude. Daher geschieht Ungewöhnliches: Einige Unternehmen rufen nach dem Gesetzgeber. Weil PFC in Deutschland weder verboten ist noch höher besteuert wird, ist das Engagement der Branche freiwillig. Regelungen zum Dosenpfand oder Initiativen wie das Chemikaliengesetz und die REACH-Verordnung zeigten, wie sich durch neue Gesetze die Dynamik des Wandels erhöht. Denn fest steht: Wenn die Ausrüster mit PFC-Ausrüstung kaum noch Geld verdienen, ist der Ausstieg garantiert, auch bei denjenigen, die sich bislang weniger engagieren. Egal, wie man es dreht: In der Verantwortung steht vor allem der Naturfreund selbst. Ihm sollte es besonders wichtig sein, gut zu gehen – und zwar ohne chemischen Fußabdruck.

III EIN SCHAUER IM SAUERLAND IST KEIN SCHNEESTURM IM HIMALAJA. VERBRAUCHER SOLLTEN SICH AUFKLÄREN LASSEN UND PRIORITÄTEN SETZEN.

1/2015 E V I D E N T 37


THEMA KOLUMNE

WIR WOLLTEN DOCH NUR TEILEN S I E N A N N T E N E S S H A R I N G E C O N O M Y und wollten Auto, Wohnung und andere Dinge einfach nur miteinander teilen, sie tauschen oder verleihen. Doch plötzlich lockte der Profit. Ist schon

Foto: Fotolia

E

wieder eine gute Idee gestorben? VON ANGELIKA OHLAND

es war mal so gut ge me i nt . Auto, Fahrrad, Wohnung, Kleider, Werkzeug oder den Parkplatz in der Hauseinfahrt: könnte man doch teilen. Du parkst bei mir, ich wohne bei dir. Ich nehme dein Auto — und gebe jemandem in dieser Zeit mein Fahrrad. Eine geniale Idee. Und so naheliegend! Und einfach, seit SmartphoneApps helfen, für überschüssige Tomaten Salatfans mit leerem Kühlschrank zu finden, statt sie wegzuwerfen. Oder Bücher zu tauschen und einmal getragene Festgarderobe weiterzureichen. Nutzen statt besitzen, leihen statt kaufen – das ist billiger, umweltschonender, sozialer. Und nette Leute lernt man auch noch kennen. Eine klassische Win-win-Situation, dachten viele. Doch auf den Rausch folgte nun ein gewaltiger Kater. Denn der Refrain ist überall der Gleiche: The winner takes it all. Selbst couchsurfing.org, die hippe Mitschlaf-Börse für Weltenbummler, ganz und gar ehrenamtlich programmiert, ist kommerziell geworden. Auch die schöne Idee, seine Wohnung bei längeren Abwesenheiten einem Gast-aufZeit zu geben – ein gigantisches Geschäft. Auf zehn Milliarden Dollar wird die Wohn-Plattform Airbnb inzwischen geschätzt. Und 17 Milliarden Dollar soll Uber wert sein, das

weltweit per App private Mitfahrgelegenheiten organisiert. Doch geteilt wird in der Sharing Economy vor allem die Verantwortung für die Rechte und den Schutz der Kunden und Arbeitnehmer — und zwar höchst ungleich zu deren Ungunsten. Ganz und gar nicht geteilt wird der Gewinn. Ganze Branchen, etwa die der Taxifahrer, geraten durch diese Wettbewerbsverzerrung in Schieflage, während prekäre Arbeitsverhältnisse in den hippen DigitalStart-ups der Normalfall sind. In Deutschland wurde die kommerzielle Fahrdienstvermittlung nach Protesten der Taxifahrer deshalb inzwischen verboten. Und in Berlin hat man der systematischen Vermietung von Wohnungen, die nicht als Ferienwohnung angemeldet sind, den Riegel vorgeschoben. WAS IST DA PASSIERT auf dem Weg von der wunderbaren Idee des Teilens hin zur Sharing Economy? Der Soziologe Harald Welzer analysiert, wie das Teilen „plötzlich Gegenstand merkantiler Handlungen“ geworden sei. Das Soziale werde monetarisiert und dadurch in seinem Wesen verletzt. Denn wer nur noch teilt, wenn er damit Profit macht, teilt nicht mehr. Er wird irgendwann nicht einmal mehr ein Paket des Nachbarn umsonst annehmen, sondern die Hand aufhalten und dem Nachbarn beim Abholen sagen: „Das macht zwei Euro fünfzig.“ Es geht also nur noch um Economy. Das Sharing ging verloren.

Der Digital-Experte Sascha Lobo findet für diese Ökonomisierung des Guten wie immer deutliche Worte. Er spricht von „Plattformkapitalismus“ und behauptet, das Silicon Valley habe ein „Arschlochproblem“. Die Verbraucherzentrale wiederum spricht von „Sharewashing“: Damit beschreibt sie, in Anlehnung an das Greenwashing, wie Unternehmen die Idee des Teilens instrumentalisieren und für den eigenen Profit nutzbar machen. DIESE VERLOGENHEIT ist vielleicht das größte Ärgernis von allen: Der Traum von einer sozialen Weltgemeinschaft kommt in jedem Werbespot aus dem Silicon Valley vor. Wir wollen die Welt zu einem besseren Ort machen! Kosten sparen, Ressourcen schonen, Gemeinschaft stiften! Pfui Deibel. Wenn ihr Profit machen wollt, dann tut es – aber nennt es auch so. Und gebt uns die schöne Idee des Teilens zurück. Das Teilen wurde schließlich nicht erst erfunden, seit es Smartphones gibt. Seit 250.000 Jahren entwickelt der Mensch kooperative Lebensformen. Seit etwa hundert Jahren elaboriert er am Modell des Sozialstaats herum – ein alles in allem ziemlich unschlagbares Konzept des Teilens in wirklich großem Stil. Sharing-Plattformen sind in ihrem Wesen gemeinnützig. Win-win. Nur wenn alle gewinnen, macht das Teilen einen Sinn.


U SS CHL S E M 2015 NAH T E I L K TO B E R 26. O

GEWINNSPIEL

AUF WOLKE SIEBEN… ...

SCHWEBEN SIE MIT UNSEREN GEWINNEN!

Gewinnen Sie mit EVIDENT einen Hotelaufenthalt mitten in der Natur und lassen Sie Ihre Seele baumeln. Zudem warten auf Sie eine Auswahl zertifizierter Naturkosmetik und Rezeptideen für ein Feuerwerk der Aromen. Das EVIDENT-Team wünscht Ihnen viel Glück.

WOHLFÜHLTAGE IN MENSCHELS VITALRESORT Gewinnen Sie drei Nächte für

BIO-GENIESSER-TAGE IM EGGENSBERGER HOTEL Ein umfassendes Energie-Konzept der Hei-

zwei Personen inmitten der Natur im Nahetal mit Vollpension und zahlreichen Inklusivleistungen wie Aromaölmassage, Serailbad, Nutzung des Wellnessbereiches und Teilnahme an Bewegungsund Entspannungsangeboten. Genussküche, Zimmer mit Naturmaterialien und nachhaltiger Umgang mit Ressourcen garantieren pures Wohlfühlen. WWW.BIOHOTELS.INFO

mat und Natur zuliebe. Genießen Sie zu zweit drei Nächte im grünen Allgäu mit Bio-Verwöhnhalbpension, einer Flasche Jubiläums-Wein vom Bio-Hauswinzer und einem Heu-Kräuter-Kissen im Zimmer. Außerdem: ein sanftes Salz-Öl-Peeling und eine pflegende Ganzkörper- sowie eine Gesichtsmassage mit hochwertigem Pflanzenöl. WWW.BIOHOTELS.INFO

ZEHN GEO MAGAZIN-JAHRESABOS zu gewinnen. GEO - Deutschlands führendes Reportagemagazin war und ist eine unverwechselbare Mischung aus der Kraft und Magie des Bildes und der Nachhaltigkeit gründlich und seriös recherchierter Texte. Eine Zeitschrift, die Lesen und Sehen zu intensiven Erlebnissen werden lässt. WWW.GEO.DE/WELT

VERWÖHNPAKETE VON DR. HAUSCHKA schenken Ihnen mit

VON A WIE AJOWAN BIS Z WIE ZIMT liefert „Das große Buch der

dem Duft des Lavendels Gelassenheit. Es gibt zehn Pakete zu gewinnen bestehend u. a. aus Duschbalsam, Bademilch, Körperbalsam und Pflegeöl.

Kräuter & Gewürze“ viele Tipps für die Küchenpraxis. Schmuckschuber und rund 670 Farbfotos machen das TEUBNER-Kompendium selbst zu einem wahren Augenschmaus.

WWW.DR.HAUSCHKA.COM

WWW.GU.DE

SO KÖNNEN SIE GEWINNEN: Schicken Sie eine E-Mail an evident@sv-onpact.de mit dem Betreff „Ich will gewinnen“ und Ihrer vollständigen Adresse. Teilnahmeschluss ist am 26. Oktober 2015. Die Preise werden unter allen vollständigen Einsendungen verlost. Gewinner werden per E-Mail informiert. Eine Barauszahlung der Gewinne ist nicht möglich. Mitarbeiter des Verlages und deren Verwandte sind von der Teilnahme ausgeschlossen.

1/2015 E V I D E N T 39


Früher galt „Wald-und-Wiesen-Bank“ als Schimpfwort. Heute ist es eine Prime-Auszeichnung wert. Wer in die Zukunft investiert, sollte auch dafür sorgen, dass es eine gibt. Darum arbeiten wir seit 2013 komplett CO²-frei. Unter anderem deswegen erhalten wir seit 12 Jahren den begehrten oekom-Prime-Status. Zudem unterstützen wir besonders ökologische Firmenprojekte und zählen bundesweit zu den wichtigsten Finanzierern der Energiewende. Sie sehen: Selbst Mutter Natur gehört zu unseren Kunden. Mehr unter: hvb.de/nachhaltigkeit


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.