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Rund um Energie III Umwelt III Wirtschaft III Nachhaltigkeit SEPTEMBER 2016
ANDERE ZIELE BRAUCHT DAS LAND! Wirtschaftswachstum ohne Rücksicht auf Umwelt, Natur und Menschen ist längst passé. Doch wer setzt Maßstäbe? KLÜGER BAUEN, besser wohnen Seite 10 MENSCHEN, DIE WAS BEWEGEN Seite 22
EINE BEILAGE IN DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG
WASSER OHNE STRESS In Deutschland alles im Reinen? Seite 26
Mein Effizienzhaus. Weil sich beim Bauen kluge Entscheidungen rechnen.
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26 Spektrum Gespräch
N E W S Z U E N E R G I E U N D N A C H H A LT I G K E I T D R . H E R M A N N FA L K : " E S W I R D A U C H I M S Ü D E N K E I N E E N G PÄ S S E G E B E N "
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M I T E N G AG E M E N T V I E L B E W E G E N
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ALLES IM REINEN IN DEUTSCHLAND?
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D E R L E T Z T E M AC H T DA S L I C H T A U S – B I T T E !
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Mitmachen und Gewinnen
Strommix in Deutschland
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Erneuerbare Energien insg. 195,9 Mrd. kWh 30,1 % Sonstige 31,5 Mrd. kWh 4,8 % Erdgas 59,6 Mrd. kWh 9,1 %
Wasserkraft 19,3 Mrd. kWh 3,0 %
Steinkohle 118,0 Mrd. kWh 18,1 %
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Kernenergie 91,8 Mrd. kWh 14,1 %
gesamt 651,8 Mrd. kWh
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Der Anteil erneuerbarer Energien an der Bruttostromerzeugung in Deutschland hat 2015 erstmals die Marke von 30 Prozent erreicht. Die größten Zuwächse verzeichnete die Windenergie an Land, die ihre Stromproduktion um 39 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern konnte.
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D E R M A S T E R P L A N F Ü R D I E S M A RT C I T Y
Wasser ohne Stress Kolumne
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Photovoltaik 38,4 Mrd. kWh 5,9 % Biomasse 50,0 Mrd. kWh 7,7 % Wind (Offshore) 8,7 Mrd. kWh 1,3 % Wind (Onshore) 79,3 Mrd. kWh 12,2 %
Braunkohle 155,0 Mrd. kWh 23,8 % Quelle: AGEE-Stat, AG Energiebilanzen, Stand: 2/2016
Dieses Druckerzeugnis ist mit dem Blauen Engel zertifiziert.
IMPRESSUM Herausgeber: SZ Scala GmbH Geschäftsführer: Stefan Hilscher, Dr. Karl Ulrich Redaktionsleitung: Hartmut E. Rätsch Anschrift: SZ Scala GmbH, Hultschinerstr. 8, 81677 München Redaktion: Claudia Biehahn Gestaltung: Kathrin Schemel Lektorat: Egbert Scheunemann Titel-Illustration: Elke Ehninger, Hamburg Anzeigen und Advertorials: Daniela Schräder, Hultschinerstr. 8, 81677 München, Telefon 089/2183-7215, Fax -7201 Herstellung: Hermann Weixler, Litho: Compumedia GmbH, 80687 München Druck: TSB Mönchengladbach, Grunewaldstr. 59, 41066 Mönchengladbach.
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Das Magazin wird der Gesamtauflage der Süddeutschen Zeitung beigelegt.
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SPEKTRUM
Neue Gesetze in Italien und Frankreich
WEGE AUS DER LEBENSMITTELVERSCHWENDUNG Italien hat jetzt als zweites Land weltweit ein Gesetz verabschiedet, das gegen Lebensmittelverschwendung vorgeht. Anders als Frankreich droht Italien aber nicht mit Sanktionen. Steuererleichterungen sollen die italienischen Lebensmittelhändler dazu bewegen, nicht verkaufte Lebensmittel zu spenden, statt sie wegzuwerfen. Frankreich hat im Februar ein Gesetz beschlossen, das großen Supermärkten untersagt, noch genießbare Lebensmittel wegzuwerfen. Sie müssen nun an Wohlfahrtsorganisationen gespendet oder der Landwirtschaft als Tierfutter oder Kompost zur Verfügung gestellt werden. Unternehmen, die sich nicht daran halten, drohen empfindliche Strafen. Ein Weg auch für Deutschland und die EU insgesamt? Jahr für Jahr landen bei uns elf Millionen Tonnen Lebensmittel in der Mülltonne. Kritiker wie die Umweltschutzorganisation WWF
halten derartige Gesetze aber für zu kurz gegriffen, weil sie sich „nur eine Branche vorknöpfen“. Der WWF fordert stattdessen eine Gesamtstrategie für alle Bereiche, in der Lebensmittel verschwendet werden: vom Produzenten über Handel und Gastronomie bis zum Verbraucher. Bis es so weit ist, kann jeder bei sich selbst anfangen: mit gut geplanten Einkäufen, kreativer Resteverwertung und öfter mal dem Griff zu Produkten, deren Mindesthaltbarkeitsdatum bald abläuft.
HÄUSLICHES STROMNETZ SCHNELL ÜBERLASTET Theoretisch kann ein Elektroauto zum Laden zu Hause an jede normale Steckdose gehängt werden. Praktisch empfiehlt sich das aber nicht, warnt der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). Der überwiegende Teil der Elektroinstallationen in deutschen Wohngebäuden sei für das Laden von Elektroauto-Batterien nicht geeignet. Es bestehe die Gefahr einer Überlastung. Vor
allem Häuser, die zwischen 1950 und 1980 gebaut wurden, seien nicht mit der in einer DIN-Norm empfohlenen Mindestausstattung ausgerüstet. Ein Fachmann sollte prüfen, ob das häusliche Stromnetz der Belastung standhält, rät der Verband. Als bessere Alternative gilt die sogenannte Wallbox. Die für Elektroautos entwickelte Ladestation sorgt für deutlich schnellere Ladezeiten.
Studie des Umweltbundesamtes
Energieverbrauch [kWh/Jahr] pro Person
20.000
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unter 1.000 €
1.000 bis 1.999 €
2.000 bis 2.999 €
3.000 € u. mehr
Pro-Kopf-Anteil am Haushaltseinkommen
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Eine neue Studie des Umweltbundesamtes zeigt: Menschen mit hohem Umweltbewusstsein haben nicht zwangsläufig eine gute Ökobilanz. Im Gegenteil, sie belasten die Umwelt oft weit mehr als Menschen aus einfacheren Milieus mit einem geringen Umweltbewusstsein. UBA-Präsidentin Maria Krautzberger erklärt das so: „Mehr Einkommen fließt allzu oft in schwerere Autos, größere Wohnungen und häufigere Flugreisen – auch wenn die Menschen sich an-
sonsten im Alltag umweltbewusst verhalten. Aber gerade diese ‚Big Points‘ beeinflussen die Ökobilanz des Menschen am stärksten. Der Kauf von Bio-Lebensmitteln oder eine gute Mülltrennung wiegen das nicht auf.“ Die Studie ist der erste repräsentative Datensatz für Deutschland, der Ressourcen- und Energieverbräuche über Konsumfelder und gesellschaftliche Gruppen hinweg analysiert und besonders die Rolle des Einkommens beim Ressourcenverbrauch belegt.
Fotos: Eisenhans /Fotolia
WOHLHABENDE MIT SCHLECHTER ÖKOBILANZ
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SPEKTRUM
Wissenschaft
WIE BRINGT MAN PFLANZEN ZUM WASSERSPAREN? Um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, muss die Menschheit ihre Nahrungsproduktion weiter steigern. Doch die Ressourcen sind endlich, auch das Wasser. Weltweit werden etwa 70 Prozent des genutzten Wassers im Agrarsektor verbraucht. In allen Kontinenten sinken deshalb die Grundwasserspiegel. Und bis 2050 soll der Verbrauch in der Landwirtschaft nochmals um ein Fünftel zunehmen. Wissenschaftler an der TU München (TUM) haben nun einen Weg entdeckt, wie höhere Ernten bei weniger Wassereinsatz möglich
sind: indem man Pflanzen zum Wassersparen bringt. Wie TUM-Wissenschaftler herausfanden, sorgt ein Pflanzenhormon namens Abscisinsäure dafür, dass eine Pflanze bei Wassermangel Wasser spart. TUM-Wissenschaftler identifizierten das dafür aktivierende Signal und schafften es, den Sparmodus bei ihrer Modellpflanze Arabidopsis thaliana, auch Ackerschmalwand genannt, permanent einzuschalten. Arabidopsis wuchs weiter, aber verbrauchte dabei bis zu 40 Prozent weniger Wasser. Nun müssen die Wissenschaftler klären, ob die Ef-
fekte auch auf dem Feld zu beobachten sind. Erste Simulationsversuche in Klimakammern machen Hoffnung. „Sollte der Transfer von der Modellpflanze in Kulturpflanzen gelingen, wäre ein wichtiger Schritt zur zukünftigen Sicherung der Ernährung getan“, meint Professor Erwin Grill vom Lehrstuhl für Botanik der TUM. ANZEIGE
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SPEKTRUM
Direktvermarktung
ICH MÖCHTE DEN STROM VOM NACHBARN Wer die Milch im Supermarkt produziert hat, bekommt man schnell heraus. Woher genau der Strom aus der Steckdose stammt, erfährt man in der Regel nicht. Und einfach dem Nachbarn seinen Solar-Strom abzukaufen wie dem Bauern die Milch, ging bislang erst recht nicht. Doch das wollen mehrere Initiativen nun ändern. Das Berliner Start-up Lumenaza zum Beispiel entwickelte eine Internet-Plattform, die Produzenten und Verbraucher in einer Region direkt miteinander verbindet, damit der lokal erzeugte Strom auch lokal verbraucht werden kann. In der schwäbischen Region Bopfingen läuft schon das Pilotpro-
jekt IPFenergie. Noch direkter soll es mit der Vermarktung künftig über die Blockchain gehen. Mit der Technologie, die für den Handel mit der digitalen Währung Bitcoin entwickelt wurde, werden Transaktionen nicht mehr über eine zentrale Plattform, sondern im Verbund aller teilnehmenden Computer abgewickelt. Mithilfe der Technik soll es künftig möglich sein, Strom direkt dort einzukaufen und zu bezahlen, wo man möchte. In New York wurde auf diese Weise schon Strom zwischen Nachbarn gehandelt. Doch bis es bei uns so weit ist, sagen Experten, sind noch viele Probleme und Rechtsfragen zu klären.
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V. l.: Erich Lokietsch, BaueG Nördlingen; Martin Weiß, erdgas schwaben; Blasius Wizinger, Franz Grimmeiß, beide Bau-eG Nördlingen; Oliver Schober, erdgas schwaben
smarte Energieversorgung in Schwaben durch erdgas schwaben gmbh
HIER ENTSTEHT ZUKUNFT Drei Projekte – ein Ziel: Energiewende durch Wissen. smart meter für Schwaben. Digitalisierung erlaubt Transparenz im Energieverbrauch. Nördlingen: Vorzeigeprojekt an der Maria-Holl-Straße Inzwischen sieht man auf dem 4.500 m² Baugrund, wie sich gigantische Bagger durch die Erde graben. Hier entsteht Wohnraum der ganz besonderen Art, ein Ort, der Generationen verbinden wird. Die Gemeinnützige Baugenossenschaft Nördlingen eG baut eine Mehrgenerationen- Wohnanlage. 30 Wohnungen werden komplett nach KfW 55-Standard errichtet. In der Mitte entsteht ein Gemein6
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schaftsraum als täglicher Treffpunkt. erdgas schwaben steht von Anfang an mit Rat und Tat zur Seite: Martin Weiß und Oliver Schober erarbeiteten ein hoch effizientes und zukunftsweisendes Energiekonzept. Von der Strom-und Wärmeversorgung bis hin zum Messkonzept erfolgte hier alles aus einer Hand. Der Großteil des im Gebäude benötigten Stroms wird direkt vor Ort in einem Blockheizkraftwerk erzeugt. Dies ist nicht nur umweltfreundlich, sondern entlastet zudem die Stromnetze. „Andere denken darüber nach - wir tun‘s“ Als einer der Ersten in Deutschland setzt erdgas schwaben auf die neue Zählertechnologie mit smart meter, und zwar spar-
tenübergreifend! Dies ermöglicht Mietern den kompletten Überblick über alle Verbräuche. Sei es der Wasser-, Strom- oder eben der Wärmeverbrauch. Diese Transparenz wird die Sensibilität für den Einsatz von Energie erhöhen. Die Datenübertragung erfolgt stets nach den hohen Anforderungen des Bundesamts für Sicherheit und Informationstechnik (BSI). Nördlingen Triumph-Park: Kühlen in Zeiten des Klimawandels Auf dem 10.000 m² Baugrundstück entsteht ebenfalls neuer Wohn- und Geschäftsraum. Das Team Weiß /Schober, erdgas schwaben, erarbeitete erneut ein zukunftsweisendes Energiekonzept: von der Strom- und Wärmeversorgung über die Kühlung der Gewerbeeinheiten bis hin zum Messkonzept per smart meter Technik fürs Gewerbe. Die genaue Darstellung der Verbräuche erleichtert den Energiemanagern von Gewerbebauten das Controlling. Kaufbeuren: 10 x urbanes Wohnen Mitten in Kaufbeuren entstehen Wohnungen, die das urbane Lebensgefühl im Allgäu perfekt unterstützen. Hochmodern eingerichtet, verfügen sie über smart meter Technik, die es jedem Mieter erlaubt, seine Energie zu tracken und so, ohne jeglichen Komfortverlust, seine persönliche Energiewende zu gestalten.
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IM GESPRÄCH
„ES WIRD AUCH IM SÜDEN KEINE ENGPÄSSE GEBEN“ Wird die Energiewende durch das EEG 2017 ausgebremst? Gibt es genug Strom, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet werden? Fragen an Dr. Hermann Falk, Geschäfts-
Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland ist erfolgreich – ihr Anteil liegt heute schon bei 33 Prozent. Dem Wirtschaftsministerium ging das zu schnell. Das jetzt beschlossene Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG bremst die 8
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Entwicklung aus. Ist die Energiewende damit gefährdet? Dr. Hermann Falk: Die Energiewende geht weiter. Alle rationalen Argumente sprechen für die erneuerbaren Energien, die von Jahr zu Jahr günstiger werden. Fest steht jedoch:
Mit dem EEG 2017 hat die Bundesregierung das Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren deutlich gedrosselt, was im Widerspruch zu allen internationalen Versprechungen beim Klimaschutz steht. Es wird die Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein, die realpoli-
Foto: Wolfgang List
führer des Bundesverbands Erneuerbare Energie e. V. (BEE).
IM GESPRÄCH
DIE ZEITEN, IN DENEN WIND- UND SOLARENERGIE DEUTLICH TEURER WAREN ALS KOHLE UND GAS, SIND LÄNGST VORBEI. tischen Taten wieder mit den Versprechen in Einklang zu bringen. Ohne den Ausbau von Wind-, Bio- und Solarenergie werden wir die Klimaziele bis 2020 nicht erreichen. Doch welche Chancen haben die erneuerbaren Energien noch? Muss nicht jetzt viel stärker in Batterietechnik investiert werden? Falk: Deutschland tut schon aus industriepolitischen Gründen gut daran, in die Speichertechnologie zu investieren. Speicher werden die Energiewende flankieren. Aber Speicher ersetzen weder Kohle- noch Atomstrom. Das ist die Aufgabe der erneuerbaren Energien. Nur der Ersatz von fossilen durch CO2-freie Energieträger ermöglicht das Erreichen der Klimaziele. Ein Argument für das neue EEG ist der zu langsame Netzausbau. Eine Synchronisierung scheint plausibel. Doch könnte das Netz nicht schneller ausgebaut werden, bestehende Leitungen mehr integriert werden? Oder ist möglicherweise die Bundesnetzagentur ein vorgeschobener Bremsklotz? Falk: Was wir in den letzten Monaten erleben konnten, war ein Versteckspiel der Politik, die erst den Netzausbau nicht hinbekommt und dann dies als Vorwand nimmt, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu bremsen. Dabei würden die Netze ja bereits heute ausreichen, um den Strom aus erneuerbaren Energien zu übertragen – nur werden die Netze leider noch immer durch Strom aus Braunkohleund Atomkraftwerken verstopft. Gleichzeitig ist klar: Netzertüchtigung und Netzausbau müssen weitergehen, damit keine Kilowattstunde sauberer Strom verloren geht. Die EU-Kommission droht damit, Deutschland in zwei Strompreiszonen aufzuteilen. Gründe sind das starke Nord-Süd-Gefälle bei der Ökostromerzeugung und die fehlenden Trassen bis 2022, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet werden müssen. Woher wird der Strom dann kommen?
Falk: Unserer Einschätzung nach wird es auch im Süden keine Kapazitätsengpässe geben. Dafür gibt es eine Reihe von Reserven einschließlich Importkapazitäten, die notfalls aktiviert werden können. Daneben sind 2 GW zusätzliche Gaskraftwerkskapazitäten im Süden eingeplant. Man sollte jedoch besser das große Potenzial der Biogasanlagen flexibilisieren, die viel Erdgas ersetzen können und rasch hoch- und herunterfahren. Die EU-Kommission versucht mit ihrem Agieren vermutlich den Druck auf Deutschland zu erhöhen, die Netzengpässe zu beheben und mit den neuen Stromtrassen nicht allzu lange zu warten. Bei den Trassen wird meist nur von denjenigen gesprochen, die erst in der Mitte des nächsten Jahrzehnts fertiggestellt werden. Dabei befindet sich eine ganze Reihe von Trassen auf gutem Weg. So wird die Thüringer Strombrücke demnächst komplett fertiggestellt. Kann eine dezentrale Energieversorgung eine Lösung sein? Brauchen wir mehr Kleinkraftwerke und Solaranlagen auf unseren Dächern, also eine autonome Energieversorgung? Falk: Die Energieversorgung der Vergangenheit war sehr zentral. Durch die erneuerbaren Energien nehmen die dezentralen, bürgernahen Elemente deutlich zu – das ist ein Gewinn für Deutschland und das erhöht auch die Akzeptanz der Energiewende vor Ort. Wir brauchen aber keine autarken Inseln innerhalb Deutschlands. Was wir brauchen, ist eine saubere Energieversorgung durch erneuerbare Energien, bei der Millionen von Menschen und Anlagen zusammenarbeiten. Der Bundesverband Erneuerbare Energie e. V. wurde 1991 als gemeinsame Interessenvertretung der Erneuerbare-Energien-Branche gegründet. Er vertritt über 30.000 Einzelmitglieder und Firmen in Deutschland. Dr. Hermann Falk ist seit 2013 Geschäftsführer des BEE.
Die E-Mobilität ist vom Ziel eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen weit entfernt, nun soll die Kaufprämie den Absatz fördern. Ist das der richtige Weg und kann so tatsächlich der CO2-Ausstoß reduziert werden? Falk: Es wäre ein großer Fehler der Politik zu glauben, mit der Einführung der Kaufprämie könne man die Hände in den Schoß legen, zumal die Absatzzahlen weiterhin unterirdisch niedrig sind. Die eigentliche Arbeit fängt doch jetzt erst an. Wir benötigen nun einen schnellen, dezentralen Ausbau der Ladeinfrastruktur. Und wir müssen über das Auto hinausdenken. Elektromobilität muss auch Busse, Lieferwagen und selbst schwere Lkw umfassen. Bisher haben die Bürger den Eindruck, durch die Erneuerbaren wurde der Strom immer teurer. Ist das so? Und glauben Sie, dass in der Bevölkerung die Akzeptanz besteht, mehr Geld für eine saubere Umwelt auszugeben? Falk: Die Zeiten, in denen neue Wind- und Solarkraftwerke deutlich teurer als konventionelle Kraftwerke waren, sind längst vorbei. Produktionskosten von unter 9 Cent/kWh sind jetzt der Normalfall dank technologischer Entwicklungen und Produktivitätssteigerungen, also auf Augenhöhe mit neuen Kohleoder Gaskraftwerken. Der Eindruck vergleichsweise hoher Kosten entsteht nur deshalb, weil neue Windkraftanlagen mit alten Braunkohlemeilern verglichen werden. Und die Nebenkosten der konventionellen Energien werden noch immer nur zu einem Bruchteil in ihren Preisen widergespiegelt. Die Risiken der Atomenergie und die Klimaschäden der Braunkohle werden einfach auf die Allgemeinheit abgewälzt. Mehr noch: Die aktuellen Vergleichspreise an der Strombörse bilden auch nicht mehr die Vollkosten der konventionellen Energien ab. Hier wird mit Grenzkosten gearbeitet. Im Vollkostenvergleich können die erneuerbaren Energien aber schon jetzt mithalten – und das ohne die Risiken und Nebenwirkungen von Kohle- und Atomstrom. Das Gespräch führte Hartmut Rätsch 3/2016 LUX 360°
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MEHR HAUS BRAUCHT KEIN MENSCH: Die Ökowohnbox der Baubiologin Tanja Schindler steht im schweizerischen Dänikon.
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DA BAUT SICH WAS
ZUSAMMEN
Das Häuschen im Grünen ist immer noch ein Traum vieler Familien. Wenn „grün“ dann mit „ökologisch“ gleichgesetzt wird, muss es nicht zur Zersiedelung der Landschaft beitragen. Auch in Berlin werden derzeit innovative Bauprojekte unter hohen Umwelt- und Sozialstandards geplant. Wer trotzdem mehr Abgeschiedenheit sucht, kann sich ja für die Ökowohnbox entscheiden. VON HARTMUT NETZ
Foto: Tanja Schindler
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as Bauen von heute ist zu großen Teilen geprägt von Flächenfraß, Energieverschwendung und Ressourcen-Plünderung. Noch immer entstehen am Stadtrand oder auf der grünen Wiese Siedlungen aus putzigen Einfamilienhäusern, ökologisch korrekt mit einem Solarpaneel auf dem Dach, dazwischen viel Petersilie und weite Wege zum Arbeitsplatz oder in die Schule. Konzepte von gestern, die weder nachhaltig noch umweltfreundlich sind. Nachhaltiger Wohnungsbau geht anders, ist platzsparend, energieeffizient und ressourcenschonend. 3/2016 LUX 360°
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Der Wohnungsbestand schluckt rund 40 Prozent der gesamten in Deutschland verbrauchten Endenergie und steht damit für rund 25 Prozent aller Klimagas-Emissionen hierzulande. Hinzu kommt der gewaltige Ressourcen-Hunger der Baubranche: Einer Analyse der Unternehmensberatung Drees & Sommer zufolge verschlingt die europäische Bauwirtschaft fast die Hälfte aller Rohstoffe. Allein in Deutschland werden jährlich 230 Millionen Tonnen Naturstein und 250 Millionen Tonnen Sand und Kies abgebaut. Damit sich daran etwas ändert, muss anders gebaut werden. Die Wohngebäude der Zukunft sind kompakt, bestehen aus nachwachsenden Rohstoffen und erzeugen ihre Energie selbst. MIETWOHNUNGEN MIT SCHNICKSCHNACK Eines dieser zukunftsweisenden Wohnprojekte wird derzeit in Berlin Adlershof gebaut. Fünf Mietshäuser der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Howoge, gruppiert um einen grünen Innenhof, die übers Jahr gerechnet mehr Strom und Wärme erzeugen, als die Mieter der insgesamt 128 Zwei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen verbrauchen. Möglich wird
dies durch leistungsstarke Photovoltaik- und Solarthermie-Module auf den Dächern der Gebäude, die das Sonnenlicht in Strom und Wärme umwandeln. Überschüssige Energieerträge, die vor allen in den Sommermonaten anfallen, werden ins öffentliche Stromnetz und in das lokale Fernwärme-Netz eingespeist und dort bei Bedarf wieder entnommen. „Wir nutzen das Potenzial vorhandener Netze und ersparen uns damit den Bau eines eigenen Speichersystems“, erläutert Christoph Deimel vom Architekturbüro Deimel Oelschläger, das die Powerhouse genannte Wohnanlage geplant hat: „In den Wintermonaten profitieren die Bewohner von der kostenfreien Energie für Heizung und Warmwasser aus dem Fernwärme-Netz.“ Dank der hervorragend gedämmten Gebäudehülle werden die Wohnungen im Winter mit vergleichsweise wenig Heizenergie warm. Eine weitere Energieersparnis erbringen die Lüftungsanlagen, die die Wohnungen insbesondere in der kalten Jahreszeit mit Frischluft versorgen und dabei aus der verbrauchten Luft rund 80 Prozent der Wärmeenergie zurückgewinnen. Auch die Warmwasser-Versorgung folgt einem energiesparenden Ansatz. Auf den all-
POWER-HÄUSER: Fünf Mietshäuser mit geringen Betriebskosten. Möglich wird dies durch leistungsstarke Photovoltaik- und Solarthermie-Module auf den Dächern der Gebäude, die das Sonnenlicht in Strom und Wärme umwandeln.
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gemein üblichen Zentralspeicher im Keller haben die Architekten verzichtet. Stattdessen wird das Trinkwasser wohnungsweise mittels Wärme aus dem Heizsystem erhitzt. Die bei zentraler Versorgung nötigen Rücklaufleitungen, in denen zirkulierendes Warmwasser das System auf Temperatur hält, sind somit überflüssig. Damit einhergehende Wärmeverluste werden elegant vermieden. Das innovative Energiekonzept ermöglicht es, die warmen Betriebskosten niedrig zu halten. Bei der Howoge rechnet man mit 40 Cent pro Quadratmeter und Monat. Der aktuelle Durchschnittswert für Berlin betrage hingegen 1,08 Euro pro Quadratmeter, meldet das Unternehmen. Mit der Fertigstellung der fünf Power-Häuser, die für 2018 geplant ist, etabliert sich der bislang eher Eigenheimen der gehobenen Kategorie vorbehaltene Plusenergie-Standard auch im kommunalen Mietwohnungsbau. SOZIAL UND KLIMAFREUNDLICH Ein anderes ambitioniertes Bauprojekt in Berlin verfolgt die Möckernkiez eG. Am Rand des Gleisdreieck-Parks entstehen 14 Wohngebäude im Passivhausstandard mit rund 470 Wohnungen, 20 Gewerbeeinheiten, 98 Tiefgaragen-Stellplätzen und Raum für soziale Versorgungseinrichtungen. Das Projekt geht auf
Abbildungen: Deimel Oelschlaeger Architekten, Eckwerk
ECKWERK: Am Spreeufer soll ein Hybrid aus Wohngebäude und Technologiezentrum entstehen. Die futuristisch anmutenden Gebäude aus Holz stehen auf einem gemeinsamen Sockel.
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eine lokale Bürgerinitiative im Jahr 2007 zurück. Deren Ziel: barrierefreies, soziales und ökologisches Wohnen für Menschen aller Generationen. Zur Verwirklichung des Vorhabens wurde 2009 die Möckernkiez eG gegründet. „In dem Projekt ging es von Anfang an auch darum, hohe ökologische und soziale Standards zu setzen“, erklärt Frank Nitzsche, kaufmännischer Vorstand des Projekts. Im Möckernkiez sollen über 1.000 Menschen gemeinschaftlich und generationsübergreifend wohnen. Und sie sollen dies möglichst klimaschonend tun. So galt es, einen Stromanbieter zu finden, der die hohen Anforderungen der Genossenschaft erfüllt. Die Ausschreibung gewann schließlich die NATURSTROM AG. Das Düsseldorfer Unternehmen gehört zu den führenden Anbietern von Strom, Gas und Wärme aus erneuerbaren Energien. Zur Wärmeversorgung der 14 Wohngebäude verlegt NATURSTROM ein Nahwärmenetz. Erzeugt wird die Wärme klimafreundlich in einem mit hundertprozentigem Biogas betriebenen Blockheizkraftwerk (BHKW) und einem Gas-Spitzenlastkessel. Das BHKW verfügt über eine elektrische Leistung von 140 kWel und eine thermische Leistung von 207 kWth, der Spitzenlastkessel hat eine Leistung von 900 kWth. Den Strom,
den das BHKW neben der Wärme produziert, bietet NATURSTROM den Haushalten und Unternehmen auf dem Gelände per günstigem Mieterstromtarif an. Aktuell prüfen die Partner die Installation von Photovoltaikanlagen auf drei oder mehr Dachflächen sowie von Ladestationen für Elektrofahrzeuge. FÜR START-UPS UND STUDENTEN Maßstäbe ganz anderer Art setzt das Eckwerk, ein Hybrid aus Wohngebäude und Technologiezentrum, das ebenfalls in Berlin, jedoch am Spreeufer in Friedrichshain entstehen soll. Dafür hat die Architekten-Gemeinschaft Kleihues + Kleihues und Graft fünf futuristisch anmutende Holztürme mit bis zu zwölf Stockwerken entworfen, die allesamt aus einem gemeinsamen Sockel wachsen. Auf 35.000 Quadratme-
tern Geschossfläche sind eine Art Gründerzentrum für junge Unternehmen, 500 Wohnungen für Studenten und Jung-Akademiker sowie eine zwischen den Türmen liegende überdachte Begegnungsfläche geplant. Auf dem Gemeinschaftsareal, Marktplatz genannt, sollen Startups und Studenten aufeinandertreffen und sich gegenseitig inspirieren – so die Idee. Folgerichtig ist das Eckwerk nicht als Ort der Sesshaftigkeit gedacht, sondern als ein sich ständig im Fluss befindliches Kreativquartier, das durch kontinuierlichen Bewohnerwechsel mit neuen Ideen gespeist wird. „Unsere Faustregel: 900 Tage kann man bleiben“, sagt Andreas Steinhäuser, einer der Eckwerk-Initiatoren. Die verschiedenen Bereiche des weitläufigen Komplexes wird ein öffentlich zugänglicher „Bergpfad“ verbinden, der über Stege
KEIN ORT DER SESSHAFTIGKEIT, SONDERN EIN SICH IM FLUSS BEFINDLICHES KREATIVQUARTIER, DAS VON SEINEN BEWOHNERN MIT IDEEN GESPEIST WIRD.
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steigenden Nachfrage nach neuen Straßen und Häusern drohen bereits heute Versorgungsengpässe bei Sand – ein Alarmsignal.
und Brücken bis hinauf aufs Dach führt. Dort oben wollen die Eckwerk-Betreiber die Idee des urbanen Gärtnerns um eine neue Spielart bereichern: Auf 2.000 Quadratmetern Dachfläche soll nach dem Aquaponik-Prinzip Gemüse angebaut und Fisch gezüchtet werden. Darunter versteht man einen geschlossenen Kreislauf, in dem das von den Ausscheidungen der Fische verunreinigte Wasser die in Hydrokultur gehaltenen Gemüsepflanzen düngt. Diese wiederum reinigen das Wasser, indem sie daraus ihre Nährstoffe ziehen. Sollten die Pläne Wirklichkeit werden, versorgt die Dachfarm eines Tages die geplante Eckwerk-Kantine mit frischen Lebensmitteln. Doch ob der Gebäudekomplex auch tatsächlich so gebaut wird, wie sich das der Bauherr vorstellt, ist offen. Die Gespräche mit den zuständigen Ämtern sind noch in vollem Gange. NEUE BAUSTOFFE MÜSSEN HER Auf den ersten Blick wenig spektakulär, aber auf eigene Weise genauso innovativ ist ein Gebäude in der norddeutschen Kleinstadt Verden. Hinter der unscheinbaren Fassade eines fünfstöckigen Bürohauses verbirgt sich ein Leuchtturmprojekt des ökologischen Bauens. Denn das Gebäude, Sitz des Norddeutschen Zentrums für Nachhaltiges Bauen, wurde im Strohballenbau errichtet. Zwar ist der Keller konventionell gemauert und schließt mit einer Betondecke ab, doch darüber bildet eine Holzkonstruktion das tragende Gerüst für den gut 17 Meter hohen Bau. Aus Holz bestehen auch die Decken zwischen den Geschossen, das Treppenhaus und der Fahrstuhlschacht. Die Außenwände dagegen sind aus 48 Zentimeter dickem, zu Ballen gepresstem Stroh gefertigt. 14
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Für den Bau mit Strohballen spricht eine ganze Handvoll ökologischer Pluspunkte. Stroh ist ein nachwachsender, regional verfügbarer und billiger Rohstoff, der als Nebenprodukt des Getreideanbaus anfällt. Da die Pflanzen während ihres Wachstums genauso viel CO2 binden, wie sie nach Abriss des Hauses bei der Kompostierung freisetzen, ist Baustroh klimaneutral. Zudem schluckt die Herstellung von Strohballen etwa 100-mal weniger Energie als beispielsweise die Herstellung von Mineralwolle. Für die Bauwirtschaft könnte dies ein entscheidender Schritt in eine nachhaltigere Richtung sein, denn die Zukunft des Bauens wird sich mit Sand, Stein und Beton allein kaum bewältigen lassen. Neue Baustoffe müssen her, die die Ressourcen der Erde schonen. Wegen der weltweit
AUTONOM: Das Minihaus hat nur ca. 35 Quadratmeter, aber alles, was ein Zweipersonenhaushalt braucht. Bis auf die Wasserversorgung ist es komplett unabhängig von Netzen.
Fotos: Tanja Schindler
SPEKTAKULÄR: Die Architektur ist nicht aufregend, aber die inneren Werte haben Zukunftspotenzial. Bürohaus in Verden.
MEHR PLATZ BRAUCHT KEIN MENSCH Eine etwas anders gelagerte Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Bauens ist im schweizerischen Dorf Nänikon zu besichtigen. Dort lebt und arbeitet Tanja Schindler in einem selbstentworfenen Wohnquader, der nicht größer ist als ein Schiffscontainer. Zwölf Meter breit, 3,75 Meter tief und überwiegend aus Holz und Lehm erbaut ist die Ökowohnbox der Baubiologin. Wärme und Strom liefern Sonnenkollektoren auf dem Dach und Solarpaneele an der Fassade. Bis auf Wasser und Abwasser ist die Ökowohnbox von öffentlichen Netzen unabhängig. Tanja Schindlers Ziel war es, den ökologischen Fußabdruck für Wohnen und Arbeiten so klein wie möglich zu halten, ohne dabei auf die Annehmlichkeiten des modernen Lebens verzichten zu müssen. Auf 45 Quadratmetern findet sich in dem rund 150.000 Franken teuren Mini-Eigenheim alles, was ein bis zwei Personen im Alltag benötigen: Gasherd, Dusche, Trocken-WC, Sitzecke und Schlafplatz. Die Zukunft des Bauens – für Tanja Schindler liegt sie in der Reduktion aufs Wesentliche.
WOHNKLIMA UND GESUNDHEIT
IST DIE LUFT
REIN? Den größten Teil des Tages verbringen wir in den eigenen vier Wänden. Da lohnt es sich, beim Bauen und Renovieren auf gesunde Baumaterialien zu achten. Doch das ist nicht so einfach. VON CLAUDIA BIEHAHN
Foto: Picsfive/istockphoto
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urz nach dem Einzug in die frisch erworbene Immobilie fühlte sich das Ehepaar B. krank. Beide klagten über gereizte Augen, hatten Kopfschmerzen und Hautausschlag. Sie ließen die Innenraumluft des Fertighauses aus den 1970er-Jahren analysieren und fanden die Ursache: Formaldehyd und Schimmelpilze in gesundheitsschädlichen Konzentrationen. Jetzt versucht das Paar, sein Haus wieder loszuwerden. Eine Renovierung ist zu aufwendig.
„Wer heute ein Fertighaus kauft oder neu baut, bekommt wahrscheinlich kein Problem mit Formaldehyd mehr“, sagt Nicole Dannenbauer vom Institut für Baubiologie (IBR) in Rosenheim. „Aber es können immer noch andere Schadstoffe Probleme machen.“ So können aus Farben, Lacken, Putzen, Kleb- und Kunststoffen alle möglichen flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) entweichen, die im Verdacht stehen, Asthma, Allergien und zum Teil auch Krebs hervorzurufen. Viele Bau- und Renovierwillige greifen deshalb zu traditionellen Baustoffen wie Lehm, Ton, Holz oder Schafwolle. Doch per se harmlos sind Naturmaterialien auch nicht, selbst dann nicht, wenn sie nicht mit Insekten- oder Holzschutzmitteln behandelt wurden. „Holz enthält zum Beispiel Terpene, je nach Sorte und Behandlung in unterschiedlicher Konzentration“, sagt Sonja Pfeil, Sachverständige beim Institut für angewandte Umweltforschung (IfAU) in Oberursel. „Sie können auch Allergien oder Schleimhautreizungen verursachen.“ Was also tun? „Gewisse Schadstoff-Emissionen gibt es immer“, sagt Sonja Pfeil. „Das lässt sich nicht vermeiden. Aber man kann versuchen, die Belastung so gering wie möglich zu halten.“ Dabei helfen zum Beispiel eine Reihe von Öko-Siegeln. Das älteste und bekannteste Zeichen ist der Blaue Engel, das Siegel des Bundesumweltministeriums. Daneben haben sich eine Reihe weiterer Siegel im Baubereich etabliert: etwa das IBR-Siegel des Instituts für Baubiologie in Rosenheim, natureplus, Emicode, das Siegel des eco-INSTITUTS in Köln und das EU Ecolabel. Das Zertifikat „wohnmedizinisch gesund“, das die Gesellschaft für Wohnhygiene, Baumedizin und In-
nenraumtoxikologie aus Jena vergibt, umfasst auch Aspekte wie Elektrosmog, Lärm oder den Mangel an Tageslicht. Viele FertighausHersteller wie Weber-Haus oder Baufritz werben heute damit, dass ihre Gebäude die Vorgaben der Zertifikate erfüllen. EXPERTEN GESUCHT Aber auch, wer noch Stein auf Stein baut, muss sich nicht alleine durch den Angebotsdschungel kämpfen. Beratung für gesundes Um- oder Neubauen geben Baubiologen und spezialisierte Institute wie das Sentinel Haus in Freiburg. Das Institut hat zum Beispiel ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe Bauherren die Qualität der Innenraumluft mit ihren Bauunternehmen vertraglich vereinbaren können. Es bietet zudem ein Internetverzeichnis, in dem neben zertifizierten Baustoffen geschulte Handwerker und Experten für gesundes Bauen zu finden sind. Denn es reicht nicht, gesunde Baustoffe zu finden. Man muss sie auch richtig verarbeiten können. Auf jeden Fall raten Experten Käufern von Altbauten und Heimwerkern zur Vorsicht: „Bevor man eine Immobilie kauft oder saniert, sollte man unbedingt die Schadstoffbelastung prüfen zu lassen“, sagt Sonja Pfeil. Damit es einem nicht so geht wie dem Ehepaar B.
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SONDERV ERÖFFENTLICHUNG V IE S SM A NN H Y BRIDGER ÄTE
VON ALLEM DAS BESTE! Moderne Hybridheizungen garantieren stets die preiswerteste oder ökologischste Wärmebereitstellung.
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it rund 90 Prozent entfällt der größte Anteil des Energieverbrauchs in üblichen Haushalten auf Heizung und Warmwasserbereitung. Grund genug also, über den Austausch seiner veralteten Heizung intensiv nachzudenken. Dabei stehen dann aber viele Anlagenbetreiber wieder vor der berühmten „Gretchenfrage“, ob sie sich bei der Modernisierung für einen der klassischen Energieträger Gas bzw. Öl oder für erneuerbare Energien entscheiden sollen. Die neuen Hybridgeräte von Viessmann nehmen dem Verbraucher nun diese Qual der Wahl ab – denn sie nutzen beides, sowohl fossile als auch erneuerbare Energie. So müssen sich Modernisierer wie auch Neubauer nicht bereits bei der Anschaffung auf einen bestimmten Energieträger festlegen, denn mit einer Hybridheizung investiert der Bauherr grundsätzlich immer in eine zukunftssichere Heiztechnik. KOMBINATION VON HEIZKESSEL UND WÄRMEPUMPE Die Hybridgeräte kombinieren einen Gasoder Öl-Brennwertkessel mit einer AußenluftWärmepumpe. Eine intelligente Regelung mit dem Energiemanager Hybrid Pro Control optimiert automatisch den Betrieb der beiden Wärmeerzeuger – abhängig von Energiepreisen und Außentemperatur. Ob besonders ökologisch oder ökonomisch geheizt werden soll, gibt der Betreiber vor. Je nachdem, welcher Energieträger aktuell am wirtschaftlichsten genutzt werden kann, steuert die Regelung den jeweiligen Wärmeerzeuger an und erzielt so immer die niedrigsten Emissionen bzw. Heizkosten. Darüber hinaus können alle Hybridgeräte auch mit selbst erzeugtem Strom aus 16
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Die neuen Hybridgeräte von Viessmann nutzen sowohl fossile als auch erneuerbare Energien.
einer Photovoltaikanlage betrieben werden, was die Heizkosten noch weiter reduziert. GLEITEND VON FOSSILEN ZU ERNEUERBAREN ENERGIEN WECHSELN Hybridgeräte sind ideal für Häuser geeignet, die erst in den kommenden Jahren energetisch saniert werden sollen, beispielsweise durch eine Fassadendämmung oder den Einbau moderner Isolierglasfenster. In diesen Häusern bietet es sich an, im Rahmen einer schrittweisen Komplettsanierung zunächst den alten Heizkessel gegen ein Hybridgerät zu tauschen. Dessen Wärmepumpe übernimmt einen Teil der Wärmeversorgung und reduziert so den Verbrauch von Gas oder Öl. Mit den zu einem späteren Zeitpunkt erfolgenden Dämmmaßnahmen – zum Beispiel im Rahmen von ohnehin erforderlichen Instandhaltungsarbeiten an der Gebäudehülle – nimmt dann der Anteil der Wärmepumpe an der Wohnraumbeheizung mehr und mehr zu. So ist ein gleitender Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien möglich. HYBRIDGERÄTE FÜR ÖL ODER GAS UND KOSTENLOSE UMWELTWÄRME Als einziges Kompaktgerät auf dem Markt vereint Vitolacaldens 222-F die hohe Effizienz der Öl-Brennwerttechnik mit der Nutzung kostenloser Wärme aus der Außenluft. Die integrierte Wärmepumpe deckt die Grundlast und damit übers Jahr den größten Teil der Wohnraumbeheizung. Bei sehr niedrigen Außentemperaturen und kurzfristigen Bedarfsspitzen schaltet sich das Öl-Brennwertmodul automatisch zu. Das Pendant zum Öl-Hybridgerät ist das Gas-Hybridgerät Vitocaldens 222-F. Es heizt
flexibel mit Gas sowie mit Umweltwärme. Für hohen Warmwasserkomfort sorgt in beiden Geräten ein integrierter Trinkwasserspeicher. Sowohl das Öl- als auch das Gas-Hybridgerät sind hocheffizient und haben deshalb das Energieeffizienzlabel A++ erhalten. FÜR DIE FLEXIBLE KOMBINATION MIT GAS- ODER ÖL-HEIZKESSELN Das wandhängende Hybridgerät Vitocal 250-S lässt sich flexibel mit Gas- und Öl-Heizkesseln sowie mit Warmwasserspeichern unterschiedlicher Größe kombinieren. Auch bestehende Heizungsanlagen lassen sich damit problemlos nachrüsten und so auf den neusten Stand der Technik bringen. Die Regelung mit Hybrid Pro Control sorgt für den optimalen Einsatz beider Wärmeerzeuger. Das Gerät ist ebenfalls in die höchste Effizienzklasse A++ eingestuft. Intelligente Hybridheizungen sind damit wartungsarme und langlebige Wärmelieferanten für Modernisierer wie Neubauer, die neben ihrem gewohnten Brennstoff auch eine regenerative Option haben möchten, um stets zukunftssicher aufgestellt zu sein. Wer sich übrigens detaillierter über die Zukunftstechnologie Hybridheizung informieren möchte, sollte auf die spezielle Microsite von Viessmann schauen. Unter www. viessmann-hybrid.de findet der interessierte Verbraucher viele hilfreiche Hintergrundinformationen zur Hybridheizung, unter anderem erklärt ein aktueller Videoclip in nur zwei Minuten sehr anschaulich die Vorteile dieser neuen Heizungstechnologie. Oder man kann mit dem Hybridrechner einen Effizienzvergleich mit vorhandenen Wärmeerzeugersystemen im Gebäude durchführen.
Leben in der Stadt neu denken
Erfahren Sie mehr unter www.greencity-magazin.de
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DER
MASTERPLAN FÜR DIE SMART CITY
Parkplatz-Apps, Lasten-E-Bikes, intelligente Straßenlaternen: Einzelinitiativen zur smarten City gibt es viele. Doch sind sie nur die erste Etappe auf dem Weg zum Masterplan für die Stadt der Zukunft.
Illustration: victorass88/istockphoto
E
igentlich ging es Marcus Zeitler lediglich um eine Elektrozapfsäule, die er den Einwohnern des kleinen Städtchens Schönau in der Nähe von Heidelberg spendieren wollte. Und jetzt steht an der Hauptachse in Richtung Schriesheim diese multifunktionale Straßenlaterne. Sie kann nicht nur leuchten, sondern dient auch als kostenfreie Ladestation für E-Bikes und Elektrofahrzeuge. Gleichzeitig ist sie ein freier Hotspot mit Wireless LAN, sie misst Kohlendioxid sowie Feinstaub und liefert seit Kurzem über eine Wärmebildkamera sogar Zahlen über das aktuelle Verkehrsaufkommen. DIE MULTIFUNKTIONALE STRASSENLATERNE ALS EINSTIEGSPROJEKT Die große Bewährungsprobe hat die HightechLaterne, eine Entwicklung von Smight, einem Innovationsprojekt des Energiekonzerns EnBW, gerade bestanden. Denn vor wenigen Wochen wurde in der Nachbarstadt Schriesheim der „Branichtunnel“ eingeweiht. „Aus den ersten Messungen wissen wir, dass der Tunnel die Umwelt- und Lärmbelastung bei uns schon heute leicht ansteigen lässt“, erläutert Zeitler,
VON ANDREAS SCHMITZ
der Bürgermeister des 4.600-Seelen-Städtchens Schönau, der das Verkehrsaufkommen vor Einweihung des Tunnels und danach miteinander vergleicht. 500 bis 600 Autos stündlich fahren demnach in Spitzenzeiten durch Schönau. „Der Tunnel wird mehr und mehr dafür sorgen, dass Schriesheim entlastet wird“, so Zeitler, aber die umliegenden Städte und Gemeinden, wie auch Schönau, belastet werden. Das Besondere an der Verkehrszählung: Eine Wärmebildkamera in der Laterne ist datenschutzgerecht, denn sie registriert die erhitzten Motoren und erwärmten Körper der Fahrer, identifiziert aber die Autos und Menschen nicht. Die Daten der Laterne schlagen wenig später im Rathaus auf und werden dort aktuell allerdings noch mit dem Tabellenkalkulationsprogramm Excel bearbeitet. Eine offene Plattform ist gerade in Arbeit. Sie soll die Laterne dann erstmals wirklich online mit dem Rathaus verbinden und – sobald weitere Laternen hinzukommen – sämtliche Daten an einer Stelle bündeln und ohne Umwege analysierbar machen. Wenn es so weit ist, werden voraussichtlich bereits zwei weitere schlaue Laternen im Einsatz sein – am Eingang und Ausgang des Tunnels.
Allerdings ist Schönau nicht New York, Tokyo oder München. „Mit etwas Pech haben wir gerade mal eine Übertragungsrate von ein bis zwei Megabit pro Sekunde“, gesteht Zeitler, „das Kommunizieren muss deutlich schneller werden.“ Da – wie Zeitler beklagt – die Gemeinde in einer Region liegt, deren Erschließung sich offenbar für Telekommunikationskonzerne wie die Deutsche Telekom nicht lohnt, ist nun ein öffentlich gefördertes Projekt auf den Weg gebracht, in dem Glasfaserkabel auch entlegene Winkel in der Region erschließen werden. Auch wenn die Randbedingungen heute noch besser sein könnten: Die kleine Gemeinde ist stolz auf ihren ersten Schritt in Richtung Zukunft. „Wir sind die Pilotkommune in Deutschland“, behauptet Zeitler selbstbewusst. SMART CITY: STÄDTE WERDEN VERNETZTER, DIGITALER, VIELFÄLTIGER Der Einstieg in die Smart City kann aus solchen überschaubaren Lösungen bestehen, aber sie kann auch größer gedacht werden. „Mobilität, Energienetze, Stadtentwicklung und Nachhaltigkeit sind die Begriffe, die immer fallen, wenn es um die Stadt der Zukunft 3/2016 LUX 360°
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THEMA
25 MILLIONEN EURO – WAS NUN?
Herr Schmid, Ihr Konsortium bekommt im Rahmen des EUProgramms Horizon 2020 insgesamt 25 Millionen Euro, um das Projekt „Smarter Together“ in den kommenden fünf Jahren voranzubringen. Was ist geplant? Wir wollen den Energieverbrauch und den Kohlendioxidausstoß in ausgewählten Wohngebieten in Lyon, München und Wien um mindestens 50 Prozent senken, über neue erneuerbare Energiequellen über 17 Megawatt für unsere Projektgebiete einspeisen, über E-Mobilitätslösungen über 95 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr einsparen und 1.500 neue Arbeitsplätze schaffen. 40 Konsortien haben sich für „Smarter Together“ beworben, nur vier haben den Zuschlag bekommen, darunter München, Lyon und Wien. Was hat die EU überzeugt? Wir haben ein gemeinsames Städtekonzept vorgelegt, aus dem klar wurde, dass alle drei Städte davon profitieren würden, dass sie gegenseitig voneinander lernen können und die Bürger ernsthaft in Entscheidungen um Entwicklungen in Stadtteilen mit einbezogen werden. Lyon und
geht“, sagt Dieter Lindauer, Vorsitzender des Bundesverbandes Smart Cities. Der Innovation Cities Index, der Städte weltweit anhand von 162 Indikatoren in Hinsicht auf ihre Innovationskraft untersucht, sieht London, Wien, Amsterdam und Paris als europäische Städte unter den Top 10 weltweit. München taucht als erste deutsche Stadt auf Rang 12 auf, Berlin ist auf dem 14. Platz. Die Frage ist allerdings: Ist eine Stadt der Zukunft dann smart, wenn viele interessante Einzelinitiativen gestartet werden, oder erst dann, wenn das Gesamtkonzept stimmig ist? Nur eines 20
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München sind etwa in Hinsicht auf intelligente Infrastrukturen, etwa den Breitbandausbau und die Datensicherheit, schon sehr weit, während Wien durch seine vielen energetischen Sanierungen in Genossenschaftswohnungen in den letzten Jahren sehr viel Erfahrung mit einbringen kann. Dieses Wissen wird etwa dem Münchner Stadtteil Neuaubing Westkreuz zugutekommen. Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft unterstützen die Stadt. Welche Aufgabe haben sie? Den ersten „Sack von Ideen“ haben wir vonseiten der Stadt in ein Grobkonzept gegossen. Danach kamen Partner wie Siemens, Stattauto, die TU München und Fraunhofer IBP mit ins Boot, um unsere Ideen zu konkretisieren. Das Munich Center for Technology in Society der TU München entwickelt etwa „Ko-Gestaltungsprozesse“ für uns, die wir in der Bürgerbeteiligung einsetzen wollen. Die Firma Bettervest betreibt eine Crowdfunding-Plattform für Energieeffizienzprojekte und die Finanzberatungsfirma G5 Partners unterstützt Wohnungseigentümer dabei, zu berechnen, wie hoch die Investitionen für die Sanierung trotz EU-Förderungen noch sein werden. Zudem werden wir – unterstützt von der TU München und Fraunhofer – ein Monitoring aufsetzen, um nach Abschluss des Projektes genau sehen zu können, was wir gelernt haben und was wir anderen Städten empfehlen würden. Was beeindruckt Sie an dem Projekt bis jetzt am meisten? Dass es trotz aller Ideen bodenständig und realistisch ist und Wissenschaft, Wirtschaft und Bürger gemeinsame Sache machen.
ist derzeit klar: „Die Themen werden vernetzter, digitaler und vielfältiger“, meint Lindauer. DIE MORGENSTADT – EIN MODELL FÜR DIE STADT DER ZUKUNFT Alanus von Radecki kommt dieses Wirrwarr aus Lösungen und Ideen gerade recht. Denn der Wissenschaftler aus dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart tüftelt im Rahmen des Verbundprojekts „Morgenstadt: City Insights“ seit knapp vier Jahren an der Stadt der Zukunft. Den entscheidenden Impuls für Fraunhofer, in dieses Thema
einzusteigen, gab die Hightech-Strategie 2020 der Forschungsunion, ein Beratungsgremium der Bundesregierung, im Jahr 2010. Darin sind fünf Bedarfsfelder als globale Herausforderungen benannt, darunter die Bereiche Klima und Energie, Gesundheit und Ernährung, Mobilität, Sicherheit sowie Kommunikation. Unter den „prioritären Themenfeldern“ sind die „CO2neutrale, energieeffiziente und klimaangepasste Stadt“ und ein „intelligenter Umbau der Energieversorgung“ genannt sowie eine Million als anvisierte Anzahl von Elektrofahrzeugen auf Deutschlands Straßen für 2020.
Foto: Stadt München
Im Rahmen des EU-Projektes Smarter Together entwickeln München, Wien und Lyon gemeinsam konkrete Ansätze für die Stadt der Zukunft. Josef Schmid, zweiter Bürgermeister der Stadt München, über die Ziele des gerade gestarteten Projektes.
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„Von da an war klar, dass das Thema Stadt der Zukunft kommen wird – unterstützt von der Politik“, erläutert von Radecki. 2011 fiel die Entscheidung, selbst aktiv zu werden. Seit 2012 also beschäftigen sich 20 Unternehmen, 20 Kommunen und 50 Forscher aus verschiedenen Fraunhofer-Instituten damit, herauszufinden, was die „Morgenstadt“ genannte Stadt der Zukunft ausmacht, und entwickelten ein Modell für nachhaltige Stadtentwicklung, ehe 16 Projekte, nicht zuletzt durch Fördermittel der EU in Höhe von 80 Millionen Euro, in Pilotprojekte überführt wurden. Wie das Modell praktisch in die Anwendung kommt, zeigt der Städtewettbewerb City Challenge. Ein Netzwerk aus Forschern sowie Partnern aus Industrie und Kommunen wählte drei vielversprechende Städte als Gewinner aus: Prag, Chemnitz und Lissabon. DIE ROSETTENGRAFIK ALS SMART-CITY-CHECK Sie unterzogen sich daraufhin dem Smart-City-Check, einem dreiteiligen Benchmarking. „Rosettengrafik“ nennt von Radecki das selbst entwickelte Profil der Stadt – den Teil des Vergleichsmodells, der auf einen Blick anzeigt, in welchen Bereichen eine Stadt noch Defizite aufweist und in welchen die Entwicklung bereits fortgeschritten ist. Sind die Erwartungen an spezielle Handlungsfelder erfüllt, sind maximal zehn Kacheln eingefärbt, je nach Themenbereich von Dunkelblau (steuerungsbezogene Kriterien) über Hellblau (sozioökonomisch-strategische Kriterien) bis hin zu Rötlich-Gelb (technologische und infrastrukturelle Kriterien). Werden Ziele und Visionen mit der Bevölkerung zusammen entwickelt? Ist die Planung der Stadtverwaltung langfristig angelegt? Ist der Haushalt an Nachhaltigkeitszielen orientiert? Jede Antwort auf diese Frage wirkt sich direkt auf das Farbenspektrum der Rosette aus. Damit nicht genug: „Diese Handlungsfelder gleichen wir mit 120 Indikatoren und individuellen Wirkfaktoren ab“, erläutert Wissenschaftler von Radecki. Die Indikatoren messen die jeweiligen „städtischen Systeme“. Relevant ist etwa, wie hoch der Anteil der Einwohner ist, die den öffentlichen Nahverkehr nutzen oder sich für erneuerbare Energie entscheiden, wie hoch die Arbeitslosigkeit ist oder das Bruttosozialprodukt der Stadt. Als dritte Komponente des Morgenstadt-Modells fließen indivi-
FÜR PRAG WURDE DIE ERSTE ROADMAP FÜR SCHRITTE ZUR MORGENSTADT ERSTELLT. duelle Randbedingungen mit ein. „Das können geografische, soziokulturelle, politische Besonderheiten sein“, erläutert von Radecki. CITY-CHALLENGE-GEWINNER PRAG: ROADMAP MIT HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN Der Gewinner der ersten City Challenge, die tschechische Hauptstadt Prag, hat Anfang April 2016 als erste Stadt nicht nur sein individuelles Profil, sondern auch eine Roadmap übergeben bekommen. Das Abschlusspapier hat das Ziel, auf Defizite aufmerksam zu machen, und nennt zudem Key Performance Indicators, mit denen eine weitere Entwicklung zur echten Morgenstadt gesteuert werden kann. Fehlende „Smart Governance“, mangelhafte Informationen über die Energiebilanz von Gebäuden und zu viele Hürden für den Ausbau erneuerbarer Energien attestiert das Expertenteam des „City Labs Prag“ der Stadt etwa in der Executive Summary. „Innerhalb des letzten Jahres haben wir begonnen, Interviews zu führen, Assessments zu machen, ein Profil zu erstellen, Maßnahmen daraus abzuleiten, und wir haben für Prag nun die erste individuelle Roadmap erstellt“, erläutert der Projektleiter der Morgenstadt von Radecki. Lissabon, Chemnitz und die später noch durch eine KfW-Förderung hinzugekommene Hauptstadt Georgiens, Tiflis, stehen ebenfalls kurz vor dem Abschluss. Eine klare Vision und messbare Ziele für ein Prag im Jahr 2050, die Entwicklung eines Energie-Atlas, intermodale Verkehrsknotenpunkte und die Einrichtung eines virtuellen Kraftwerks nennt das Expertenteam als wegweisende nächste Schritte, um die genannten Defizite in den Griff zu bekommen. LASTEN-E-BIKES UND SMART PARKING DATA: KLEINE IDEEN FÜR SMARTE STÄDTE Und dann geht es wieder darum, den Blick auf die Projekte zu werfen, die vor Ort entstehen und die Smart City im Kleinen lebendig wer-
den lassen – und künftig im Idealfall einem Masterplan aus der Feder des Bürgermeisters oder Stadtentwicklers folgen. In Manchester im Nordwesten Englands etwa ist ein virtuelles Kraftwerk schon im Einsatz, das die Energie aus Blockheizkraftwerken, Erdwärme, Biomasse und Windkraft für eine Wohngegend bereits nutzt und nur bei extremen Lastspitzen noch konventionelle Energie hinzuschaltet. In Heilbronn gibt es inzwischen Lasten-E-Bikes, um die Innenstadtlogistik flexibler und die Luft in der Innenstadt sauberer zu machen. In München bietet das Start-up Parkpocket Services rund um ihre Smart Parking Data, um Autofahrern das Parkplatzsuchen zu ersparen, das für etwa 30 Prozent des Innenstadtverkehrs verantwortlich gemacht wird. Vielleicht ist es auch eine Option für Marcus Zeitler, um der zeitweiligen Parkraumnot in Schönau Herr zu werden. Zunächst jedoch ranken sich die meisten Ideen noch um die Straßenlaterne. „Wie wäre es mit einer Lampe, die nachts runterdimmt und, sobald ein Auto in sichtbarer Nähe ist, wieder seine ursprüngliche Leuchtkraft erreicht, sich also nach dem Verkehr richtet?“, fragt der Bürgermeister. Und SmightProjektleiter Matthias Weis screent schon mal den Markt nach Stickoxidsensoren, die möglichst bald zusätzliche Daten erfassen sollen. DIE MULTIFUNKTIONALE STRASSENLATERNE VON SCHÖNAU: EIN HIGHLIGHT FÜR POKÉMON GO-FANS An Ideen zur Nutzung der Hightech-Straßenlaterne mangelt es jedenfalls nicht, auch ohne Stickstoffsensoren. 122 Neuregistrierungen und 1.050 Logins für das Funknetz verzeichnet Bürgermeister Zeitler etwa allein im Juli 2016. Besonders um das Kriegerdenkmal in Schönau herum versammeln sich neuerdings immer wieder jugendliche Pokémon Go-Fans mit ihren Smartphones, die mithilfe des Laternen-WLANs nun endlich genug Empfang haben, um dort die herumlungernden Pokémons aufzustöbern. 3/2016 LUX 360°
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ENGAGIERT
GUT GEMACHT! LUX360° lässt M E N S C H E N erzählen, die mit ihrem Engagement für Umwelt und Nachhaltigkeit etwas erreicht haben – auf ganz unterschiedlichen Wegen. Von Hartmut Netz
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JÜRGEN SCHMIDT ist Gründer und Gesellschafter der Memo AG, dem europaweit größten Versandhandel für nachhaltige Büro- und Schulmaterialien. Seit 2012 geht er eigene Wege und unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle.
Deshalb engagiere ich mich beim Terra Institute, einer Institution, in der ehemalige Führungskräfte und erfahrene Berater Unternehmen bei der Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle unterstützen. Als Unternehmer muss man heute seine Firma am Gemeinwohl ausrichten. Denn es deutet sich ein Wandel an, erkennbar beispielsweise daran, dass immer mehr Anleger ihr Kapital aus der fossilen Energiewirtschaft abziehen. Ein zukunftsfähiges Unternehmen darf nicht Teil des Problems, sondern muss Teil der Lösung sein. 22
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Die Tradition der Andechser Molkerei reicht zurück bis ins Jahr 1908. Schon damals produzierte mein Urgroßvater in Andechs Käse. Ab 1965 führte mein Vater die Molkerei. 1980 fing er mit Biomilch an. Das Ganze entwickelte sich aus der Nische heraus. Wir waren schon immer stark regional verwurzelt und sind bis 2009 zweigleisig gefahren. Doch der Milchmarkt veränderte sich, deshalb gaben wir die Verarbeitung konventionell erzeugter Milch aus der Region schließlich auf. Unser Milch-Einzugsgebiet hat einen Radius von etwa 160 Kilometern, von
BARBARA SCHEITZ ist Chefin der Andechser Molkerei Scheitz im oberbayerischen Wallfahrtsort Andechs. Sie führt das Unternehmen, das als größte Bio-Molkerei Europas gilt, in zweiter Generation.
Kempten und Pfronten im Allgäu bis hinüber nach Freilassing. Es verdichtet sich gerade, denn immer mehr konventionelle Milchbauern stellen auf Bio um. In Bayern erleben wir gerade die größte Umstellungswelle der letzten zehn Jahre. Mit ein Grund dafür ist der Absturz der Milchpreise. EU-weit ist viel zu viel Milch auf dem Markt. Es fehlt ein Mengen-Markt-Regulativ, beispielsweise in Form einer Vereinbarung zwischen Molkereien und Bauern. Das frühere Quotensystem hat die Bauern über Generationen in ihrer unternehmerischen Freiheit eingeschränkt. Im neuen System ist plötzlich alles freigestellt – und zwar ohne Übergangsphase. Man hat den Bauern keine Zeit gegeben, sich den Marktmechanismen anzupassen. Die Politik hat nun die Aufgabe, ihnen den Übergang zu erleichtern. Die Regierung sollte gezielt Impulse für Qualitätsentwicklung setzen, also beispielsweise den Mehraufwand für Weidehaltung oder die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft besser honorieren. Das sind Qualitätsaspekte, die man sowohl den Bauern als auch den Verbrauchern vermitteln kann. Der Markt für Biomilch ist bislang nicht von der Krise betroffen. Aber die Preisschere zwischen Bio und Konventionell darf nicht zu groß werden. Im Laden ist Biomilch doppelt so teuer wie konventionelle. Die Verbraucher honorieren die Leistung der Biobauern, denn sie wissen, dass sie mit ökologisch fairen Preisen Verantwortung für ihre Region und die Umwelt übernehmen.
Fotos: Bernhard Mayer, Privat (2)
Während meiner Schulzeit hat mich der Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums tief beeindruckt. Ich fragte mich, was ich mit den Mitteln, die mir zur Verfügung standen, für die Umwelt tun könnte. Da ich schon als Schüler Spaß am Organisieren und Verkaufen hatte, begann ich, an meine Mitschüler Recycling-Papier zu verkaufen. Bald kaufte die ganze Schule bei mir, später auch andere Schulen. Daraus entwickelte sich ein Versandhandel, und 1990 gründete ich mit Freunden und WG-Genossen Memo, den „Firmenausstatter für Umweltbewusste“. Wir durchforsteten die Kataloge konventioneller Versender und entwickelten unser eigenes Sortiment ökologischer Büromaterialien. Später kam der soziale Aspekt hinzu: Die Frage, unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt werden, wurde immer wichtiger. Nach und nach erweiterte sich das Sortiment. Heute umfasst es neben Büromaterialien auch Möbel, Textilien und Haushaltswaren. Memo bietet die gleiche Produktvielfalt, die gleichen Preise und den gleichen Service wie konventionelle Versandhändler – mit dem Unterschied, dass alle Produkte aus nachhaltiger Fertigung stammen. Natürlich wird das, was Memo nach draußen verkauft, auch im Unternehmen eins zu eins umgesetzt. Die Hierarchien sind möglichst flach, die Geschäftszahlen für alle Angestellten frei zugänglich. Anfang 2012 zog ich mich aus dem operativen Geschäft zurück, denn ich wollte die bei Memo gesammelten Erfahrungen weitergeben.
TO-DO-LISTE
Es gibt viel zu tun … III G E OT H E R M I E - P I O N I E R
Schon zu Zeiten der ersten Ölkrise in den 1970er-Jahren habe ich oft mit Kollegen über Möglichkeiten diskutiert, von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen loszukommen. Es galt, eine andere Energieform zu finden. Als alternative Quelle für Strom bot sich beispielsweise Sonnenergie an, aber Wärmeerzeugung ist nochmal etwas ganz anderes. Als ich 1996, mehr durch Zufall, Bürgermeister von Unterhaching wurde, dachte ich, jetzt sitzt du an der richtigen Stelle. Mein Ziel war der Einstieg Unterhachings in die erneuerbaren Energien. Ich wusste, dass im Untergrund des Voralpenlandes ein großes Heißwasser-Reservoir schlummert. Eine Technik, mit der man bei vergleichsweise niedrigen Wassertemperaturen Strom erzeugen kann, war damals auch schon auf dem Markt. Stellte sich die Frage: Was kann man daraus machen? Ich ließ eine Machbarkeitsstudie anfertigen, die eine Wassertemperatur von 115 Grad bei einer Schüttung von 150 Litern pro Sekunde prognostizierte. Der Pumpversuch erbrachte sogar 123 Grad bei 230 Litern. Da war die Sache klar. Damals war die Zeit der Agenda 21, eines Aktionsprogramms für das 21. Jahrhundert, das 1992 auf der internationalen Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro beschlossen worden war. Die lokale Agendagruppe nahm sich der Sache an. Die Bürger wollten etwas für den Klimaschutz tun. Das war eine starke Basis für unser Projekt. ERWIN KNAPEK war von 1996 bis 2008 Bürgermeister von Unterhaching bei München und hat dort ein Geothermie-Heizkraftwerk initiiert und durchgesetzt, das als Pionierprojekt gilt. Heute ist der promovierte Physiker Präsident des Bundesverbandes Geothermie.
Und der Erfolg gab uns recht. Die Geothermie-Anlage in Unterhaching, die sowohl Wärme als auch Strom erzeugt, ist ein Pionierprojekt, von dem alle lernen konnten. Es war richtig, so etwas zu bauen. Die Atmosphäre ist die knappste Ressource, die wir haben. Geothermische Energie ist klimaneutral, nur bei Anlagenbau und Pumpenbetrieb kann CO2 frei werden. Geothermie-Strom steht 24 Stunden pro Tag zur Verfügung. Eingesetzt als Regelenergie, könnte man damit die Versorgung auch dann sicherstellen, wenn Windräder und Photovoltaik-Anlagen witterungsbedingt ausfallen. Zudem lässt sich mithilfe der Geothermie in großem Stil erneuerbare Wärme erzeugen. Deutschland hat gute Voraussetzungen dafür, denn im Oberrheingraben, im Voralpenland und im Norddeutschen Becken gibt es Heißwasser-Aquifere und in vielen anderen Regionen heißes Gestein. Aus beidem lassen sich mithilfe geothermischer Anlagen Strom und Wärme gewinnen. Nimmt man noch die oberflächennahe Geothermie mit Wärmepumpen hinzu, könnte der Wärmebedarf Deutschlands zu 100 Prozent gedeckt werden.
AUF DEN BLAUEN ENGEL SETZEN Trotz zunehmender Digitalisierung und Bildschirmkommunikation bleibt der Papierverbrauch in Deutschland hoch. Pro Kopf kommen auf jeden Bundesbürger im Durchschnitt 235 Kilo pro Jahr für Druckerpapier, Klopapier, Küchenrollen, Pappbecher und Taschentücher sowie Werbeprospekte. Damit liegt Deutschland EU-weit an der Spitze und verbraucht mehr Papier als Afrika und Südamerika zusammen. Allerdings wird hierzulande so viel Altpapier gesammelt wie sonst nirgends auf der Welt. Damit kann der Papierkreislauf die schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt verringern. Doch trotz Qualitätsverbesserungen in den letzten Jahren gibt es noch Vorbehalte gegenüber dem Recyclingpapier. Besonders viele Werbeprospekte und Kataloge werden noch aus holzhaltigen und chlorgebleichten Papieren produziert. Unternehmen und die Werbewirtschaft sind hier besonders zum Umdenken aufgefordert. Wer ein Zeichen für Umweltbewusstsein setzen möchte, setzt auf den „Blauen Engel“. Das Logo garantiert, dass die Papierfasern zu 100 Prozent aus Altpapier gewonnen werden und der Druckprozess die Umweltbelastung minimiert. Durch den Einsatz von Recyclingpapier mit dem "Blauen Engel" werden nicht nur Wälder als wichtige Ressource und Lebensraum geschützt, sondern man trägt auch aktiv zum Klimaschutz bei, denn bei der Herstellung von Recyclingpapier wird weniger Energie verbraucht als bei der Produktion von holzhaltigen Papieren. Übrigens: Den Blauen Engel gibt es seit über 35 Jahren für ganz unterschiedliche Bereiche. Inzwischen sind über 12.000 umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen von rund 1.500 Unternehmen damit ausgezeichnet. Dieses Magazin natürlich auch. K Ü H L E N S TAT T V E R H E I Z E N Alte Kühlschränke sind wahre Stromfresser. Noch immer soll jeder zweite Kühlschrank in deutschen Küchen über zehn Jahre alt sein. Inzwischen hat sich die Technik aber enorm verbessert. Neueste Geräte der Energieeffizienzklasse A+++ verbrauchen nur ein Drittel des Stroms und verringern die jährlichen Stromkosten um durchschnittlich 120 Euro. Wer also Geld einsparen möchte, sollte nicht warten, bis sein Kühlschrank den Geist aufgibt. Bereits nach fünf Jahren hat sich ein Neugerät amortisiert. Klar: Für die Umwelt ist bereits der erste Tag ein Gewinn.
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FÖRDERPROGRAMM
JETZT BEIM HEIZEN GELD SPAREN Seit dem 1. August unterstützt der Bund den Einbau effizienter Pumpen und die Optimierung von Heizungsanlagen.
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eraltete Technik und nicht aufeinander abgestimmte Anlagenteile treiben den Energieverbrauch beim Heizen unnötig in die Höhe – in Deutschland ist das noch bei etwa drei Vierteln aller Heizungen der Fall. Doch viele Hausbesitzer scheuen vor einer Sanierung zurück, weil sie hohe Ausgaben fürchten. Dabei kann die Effizienz einer Heizung schon mit relativ geringen Investitionen deutlich verbessert werden. Mit der jetzt neu eingeführten Förderung lassen sich Maßnahmen zur Opti-
mierung der Heizung kostengünstig umsetzen. Mit 30 Prozent bezuschusst der Staat den Austausch von mindestens zwei Jahre alten Heizungspumpen durch Hocheffizienzpumpen – und das aus gutem Grund: Moderne Modelle sparen im Vergleich zu herkömmlichen Geräten bis zu 80 Prozent Energie ein. Auch bei der Optimierung der Heizungsanlage durch den hydraulischen Abgleich winkt dem Hausbesitzer eine Kostenerstattung von 30 Prozent. Zusätzliche Investitionen in energie-
sparende Technologien, wie voreinstellbare Thermostatventile, moderne Pufferspeicher oder Strangventile, intelligente Regelungen sowie die professionelle Einstellung der Heizkurve, werden zu gleichen Bedingungen gefördert. Experten empfehlen, den Einbau einer neuen Heizungspumpe mit diesen Maßnahmen zu kombinieren. Das reduziert den jährlichen Energieverbrauch erheblich und sorgt durch eine Abstimmung der einzelnen Anlagenkomponenten für gleichmäßig warme Räume.
„DAS LOHNT SICH IMMER“ Fragen an Michael Herma, Geschäftsführer des Spitzenverbandes der Gebäudetechnik VdZ. Herr Herma, was bedeutet Optimierung einer Heizung? Michael Herma: Man muss nicht immer eine Heizungsanlage komplett erneuern, um Kosten zu sparen. Manchmal genügt es, nur veraltete Teile auszutauschen und die Heizkurve neu einzustellen. Der Einbau einer neuen Umwälzpumpe zum Beispiel kostet im Einfamilienhaus rund 350 Euro, sorgt aber für eine jährliche Ersparnis von bis zu 150 Euro. Durch das Fördergeld amortisiert sich der Pumpentausch noch schneller als bisher. Wieso sollte eine Umwälzpumpe oder Warmwasserzirkulationspumpe ausgetauscht werden? 24
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Herma: Die jährliche Laufzeit einer Heizungsumwälzpumpe beträgt ca. 5.000 Stunden. Die elektrische Leistungsaufnahme von älteren Umwälzpumpen in Ein- oder Zweifamilienhäusern beträgt häufig zwischen 60 und 100 Watt. Alte Umwälzpumpen sind oft ungeregelt, das heißt, sie laufen konstant und unabhängig vom tatsächlichen Bedarf auf einer Leistungsstufe. So verursachen sie bis zu 10 Prozent der gesamten Stromkosten. Eine hocheffiziente, geregelte Umwälzpumpe hat hingegen einen bis zu 80 Prozent geringeren Energieverbrauch und die Anschlussleistung ist bei einer neuen Umwälzpumpe entsprechend geringer. Der Einbau einer neuen Pumpe ist somit auch ein Beitrag zum Klimaschutz? Herma: Genau. Mit jeder eingesparten Kilowattstunde an Strom wird ein CO2-Ausstoß von ca. 600 Gramm vermieden.
Wie viel fördert der Staat? Herma: Für den Austausch und die Installation von hocheffizienten Umwälz- und Warmwasserzirkulationspumpen und für den hydraulischen Abgleich sowie für die aufgeführten begleitenden Maßnahmen übernimmt der Staat 30 Prozent der Kosten. Wie kommt man nun an das Fördergeld? Herma: Die Förderung wird in zwei Schritten beantragt: Hausbesitzer erhalten vorab beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) eine Registrierungsnummer. Nachdem der Fachhandwerker die Maßnahmen durchgeführt hat, wird auf dem BAFA-Portal ein Antragsformular ausgefüllt, das anschließend mit den notwendigen Unterlagen an das BAFA geschickt wird – eine Kopie der Rechnung, die nur die förderfähigen Maßnahmen beinhalten sollte, ist dafür meist ausreichend. Weitere Informationen unter: www.intelligent-heizen.info
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SOLARSTROM ERZEUGEN UND SPEICHERN Mehr Unabhängigkeit dank eigener Photovoltaikanlage DIE VORTEILE DER INNOGY SOLARLÖSUNGEN AUF EINEN BLICK:
und Batteriespeicher.
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ie spendet Licht und Leben und ist unbegrenzt verfügbar: Die Sonne ist ein echter Schatz. Nutzen Sie diese wertvolle Energiequelle für Ihr Zuhause, indem Sie zum Beispiel Ihren eigenen, ökologischen Solarstrom produzieren. Mit der eigenen Solaranlage machen Sie sich unabhängiger – und die Investition zahlt sich inzwischen schnell aus. Noch wirtschaftlicher wird die Solaranlage in Kombination mit einem Batteriespeicher: Mit diesem steigern Sie sinnvoll den Eigenverbrauch Ihres selbst erzeugten Stroms und machen sich unabhängiger von schwankenden Strompreisen. INDIVIDUELL ZUGESCHNITTENE SOLARANLAGE innogy bietet Ihnen das passende Solarpaket für Ihr Dach: mit leistungsstarken Komponenten deutscher Markenhersteller, inklusive 11 Jahren Produktgarantie, fachgerechter Installation und 5 Jahren Versicherungsschutz. Die innogy Solaranlagen sind Speicher ready und können immer mit innogy Batteriespeichern kombiniert werden. So können Sie Ihren produzierten Solarstrom nutzen – sogar dann, wenn die Sonne nicht scheint.
FLEXIBLER BATTERIESPEICHER Der Batteriespeicher speichert den tagsüber produzierten Solarstrom und gibt ihn ab, wenn Sie ihn benötigen — sogar dann, wenn die Sonne nicht scheint. Die Batteriespeicher sind flexibel erweiterbar, passen dank unterschiedlicher Bauhöhen in jeden Keller und lassen sich immer an Ihre Bedürfnisse anpassen. Und: Sie sind KfW-förderfähig sowie kompatibel mit jeder Solaranlage – auch mit Ihrer bereits installierten Anlage. SCHLÜSSELFERTIGE KOMPLETTANLAGE Solaranlagen und kostengünstige Batteriespeicher bietet Ihnen innogy als Einzelkomponenten oder als Komplettpaket – schlüsselfertig aus einer Hand. Mit einem Online-Schnellcheck gewinnen Sie bereits einen ersten Eindruck über Ihre grundsätzlichen Möglichkeiten sowie die Kosten und Erträge. Ein kompetentes Expertenteam berät Sie im nächsten Schritt zur optimalen Solarlösung, zugeschnitten auf Ihre individuelle Wohnsituation. Um die Installation, Inbetriebnahme und das Monitoring Ihrer Anlage brauchen
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Sie sich nicht selber kümmern – innogy beauftragt für diesen Service einen qualifizierten Fachhandwerker aus Ihrer Region. SOLARENERGIE FÜR DIE HAUSSTEUERUNG NUTZEN Wer noch einen Schritt weiter gehen möchte, der bindet seine Solaranlage bzw. den Batteriespeicher gleich mit ein in eine intelligente Haussteuerung. Die innogy SmartHome Haussteuerung unterstützt Solaranlagenbesitzer dabei, möglichst viel Solarenergie selbst zu nutzen – entweder direkt oder aus dem Batteriespeicher. So können Sie beispielsweise Ihre kompatible Waschmaschine oder den Wäschetrockner gezielt in den sonnenreichen Stunden oder bei vollem Batteriespeicher einschalten. Sogar von unterwegs aus, per Tablet oder Smartphone. Natürlich lassen sich auch andere elektrische Geräte, die Beleuchtung oder die Heizung ins innogy SmartHome System einbinden und über den selbst erzeugten Strom steuern – alles bequem über eine App. Transparent und kinderleicht zu bedienen. 3/2016 LUX 360°
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WASSER
AUF DEM TROCKENEN: Wenn plötzlich Flüsse austrocknen und Brunnen versiegen, rückt die Bedeutung des Wassers auch in Deutschland ins Bewusstsein. Hier das ausgetrocknete Flussbett eines Rheinarmes 2011.
WASSERSPIELE: Unbeschwerter Spaß mit Wasser gehört zu unserem Leben. Doch immer mehr Aufwand ist nötig, um das erfrischende Nass rein zu halten.
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WASSER
WENN WASSER PLÖTZLICH STRESS MACHT Sauber und bezahlbar – in Deutschland scheint Wasser kein Problem zu sein. Doch der Klimawandel und immer neue Schadstoffe können das ändern. Versorger und Forscher plädieren daher für eine neue Sorgsamkeit der Ressource gegenüber. Betroffen ist auch der Verbraucher. Denn neben den Fabriken oder Landwirten greift auch jeder Haushalt in den Wasserkreislauf ein. VON ANDRÉ BOSSE
Fotos: Martin Gerten dpa/lnw, Marilyn Nieves/istockphoto
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ie ungerecht die Welt doch ist. In Deutschland fielen im Jahr 2015 pro Quadratmeter durchschnittlich 688 Liter Regen. In einigen Regionen Äthiopiens fiel in diesem Zeitraum nicht ein einziger Tropfen. In den Ländern Ostafrikas ist die extreme Trockenheit keine Ausnahme, sondern seit vielen Jahren die Regel. Die Dürre wird dort zur Dauerkatastrophe. In Mitteleuropa sind wir davon weit entfernt. Es gibt in der Regel genügend Niederschlag, Flüsse und Seen führen Wasser, die unterirdischen Grundwasserkörper sind weiter gut gefüllt. Sie sind hierzulande der wichtigste Speicher: Mehr als 60 Prozent des Trinkwassers werden in Deutschland aus dem Grundwasser gewonnen. Das Wasser ist also da. Und es ist recht günstig. Eine Preisdiskussion wie beim Strom
gibt es in Deutschland beim Wasser nicht. Warum auch, seit Jahren steigt der Preis kaum noch, er verharrt bei rund 1,70 Euro pro Kubikmeter. Damit kosten 1.000 Liter Wasser weniger als ein Coffee to go. Mit 1.000 Litern Wasser ließen sich 5.555 Tassen Kaffee kochen. Man kann mit einem Kubikmeter 2.500 Mal Zähne putzen oder 22 Mal Wäsche mit der Maschine waschen. 1.000 Liter decken den Wasserbedarf eines Menschen für neun Tage. Beim aktuellen Preis zahlt man damit 70 Euro im Jahr für Wasser. Dieses Geld geben Deutsche mittlerweile für ihr Handy aus – und zwar monatlich. Die Zahlenspiele zeigen, dass es schwer sein wird, in Deutschland die Diskussion über das Wasser in Gang zu bringen – es kostet ja nur wenig. Aber benötigen wir eine solche Debatte in dieser Republik überhaupt? Wenn doch Wasser im Überfluss vorhanden ist, warum dann achtsam damit umgehen? 3/2016 LUX 360°
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WASSER
MÜSSEN WIR UNS ALSO IN GANZ DEUTSCHLAND AN KALIFORNISCHE VERHÄLTNISSE GEWÖHNEN? Nein, sagt Katherina Reiche. Als Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU) repräsentiert sie die vielen kommunalen Wasserwerke, die in Deutschland dafür sorgen, dass sauberes Trinkwasser aus dem Hahn kommt. In der Bundesrepublik besitzen die Städte und Gemeinden weiterhin das Monopol, anders als bei Strom oder Gas wurde der Markt noch nicht privatisiert. In Großbritannien und Frankreich ist dies bereits der Fall. In Deutschland gilt dagegen weiterhin die Devise: Als wichtigstes Lebensmittel überhaupt darf Wasser keine Handelsware sein. Weil die Kommunen ihre Aufgabe eigenverantwortlich wahrnehmen, existiert ein kompliziertes Versorgungsgeflecht mit vielen regionalen Besonderheiten. In Schleswig-Holstein setzen die Wasserwerke ausschließlich auf Grundwasser, in NRW spielen auch Talsperren eine große Rolle, in Baden-Württemberg ist der Bodensee ein wichtiger Speicher. Das Ziel aller Versorger ist es, „Wasserstress“ zu vermeiden. Das ist der Begriff dafür, wenn Wasser „über28
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ZU VIEL GÜLLE! Massentierhaltung ist eine Gefahrenquelle für das Grundwasser. Schon seit Jahren werden in einigen Regionen Deutschlands die EUGrenzwerte für Nitrate weit überschritten.
nutzt“ wird – die Nachfrage also das Angebot übersteigt. „Im Süden Europas gibt es einige Regionen, die davon permanent und strukturell betroffen sind“, sagt Katherina Reiche. In Deutschland sei dies noch nicht der Fall. „Wir nutzen in Deutschland weniger als drei Prozent der jährlich verfügbaren Wasserressourcen für die öffentliche Trinkwasserversorgung. Und dort, wo das örtliche Wasserangebot nicht ausreichend ist, wurden längst Lösungen geschaffen, wie etwa die Fernwasserversorgung im Rahmen kommunaler Zusammenarbeit.“ Dass diese Lösungen schon bald häufiger Anwendung finden, daran glaubt Dietrich Borchardt. Der Biologe leitet den Bereich Wasser- und Bodenforschung beim HelmholtzZentrum für Umweltforschung (UFZ). Einer seiner Arbeitsschwerpunkte sind die Auswirkungen des Klimawandels. „Aufs Jahr gesehen, werden sich die Regenmengen in Deutschland zwar nicht groß verändern“, sagt er. Aber die Extreme nehmen zu: „Auf Trockenperioden folgen Wochen mit ungewöhnlich viel Niederschlag.“ Kurz: Die Extreme werden zur Regel. „Gibt es dann in mehreren Jahren hintereinander sehr trockene heiße Sommer wie zum Beispiel 2003, dann werden wir auch in Deutschland Wasserknappheiten erleben, mit denen wir bislang noch überhaupt keine Erfahrungen haben.“ Dann muss sich zeigen, ob die theoretischen Lösungen auch in der Praxis funktio-
nieren. „Von der Knappheit betroffen werden zunächst einmal die Land- und Forstwirtschaft sein, in einem weiteren Schritt aber auch die Trinkwasserversorgung.“ Nun kann man Wasser nicht sparen wie Brennholz oder Heizöl. Daher möchte Katherina Reiche vom VKU auch gar nicht an die Sparsamkeit appellieren. „Sorgsam zu sein, das trifft es besser.“ Sprich: als Verbraucher oder Unternehmer zu wissen, wie Wasserkreisläufe funktionieren – und wo die Herausforderungen liegen. Diese Sorgsamkeit führt zu einem Punkt, der die Wasserversorger zumindest heute noch mehr umtreibt als eine mögliche Wasserknappheit. IST DAS TRINKWASSER WIRKLICH SAUBER? Kann man es absolut bedenkenlos trinken? „Das zu gewährleisten, ist eine Herausforderung“, sagt Reiche. „Es gelten für uns jedoch die strengen rechtlichen Vorgaben der Trinkwasserverordnung. Die Bürger können Wasser aus dem Hahn daher bedenkenlos trinken.“ Klar ist aber auch: Der Aufwand, der auf dem Weg dorthin betrieben werden muss, nimmt zu. Komplett rein ist das Wasser nie. Das kann gar nicht funktionieren, denn die Ressource ist Teil eines komplexen Kreislaufs: Wasser fällt als Regen vom Himmel, versickert in der Erde, wird als Grundwasser aufbereitet, verbraucht, entsorgt, geklärt – und dem Kreislauf wieder
Foto: countrypixel/fotolia
Anfang Juli 2015 rief der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband (OOWV) seine Kunden dazu auf, das Leitungswasser sparsamer zu verwenden. Der Sommer hatte gerade auch in Norddeutschland richtig aufgedreht, Regen fiel nicht, die Sonne brannte – und der Wasserbedarf der Verbraucher stieg um ein Vielfaches. Der regionale Wasserversorger ließ für den Landkreis Vechta verkünden: Hält die trockene Hitze an und bleibt der Wasserverbrauch so hoch, könnte es tatsächlich zu Versorgungsengpässen kommen. Im August verboten dann einige Gemeinden im Landkreis Forchheim bei Nürnberg ihren Bürgern, ihre Gärten mit Trinkwasser zu bewässern. Diese Meldungen schafften es damals in alle Medien: Kalifornische Verhältnisse in Niedersachsen und Franken? An der US-Westküste ist Wasserknappheit längst ein riesiges Thema. Und in einigen besonders heißen und von der Landwirtschaft dominierten Regionen Spaniens auch. Die Nachricht aus dem Landkreis Vechta hatte eine Signalwirkung. An hitzigen Tagen kann es also auch in Deutschland knapp werden. Und von solchen wird es im Zuge des Klimawandels in den kommenden Jahren einige geben, wie viele Wetterforscher prognostizieren.
WASSER
zugeführt. Auf seinem Weg kommt das Wasser ständig mit Stoffen in Kontakt, die eigentlich nicht ins Trinkwasser gehören. Viele Jahre galten dabei alte Bleirohre als größte Bedrohung. Die alten Leitungen sollten längst ausgetauscht sein, doch noch ist das nicht in jedem Haus passiert. In vielen Fällen sind es jedoch die Verbraucher selbst, die Schadstoffe ins Trinkwasser leiten. Sie gießen abgelaufene Hustensäfte in die Toilette, entsorgen Lösungsmittel im Ausguss und waschen Outdoor-Jacken, auf denen ein chemischer Regenschutz aufgetragen ist. Jeder Einzelfall ist harmlos. Doch in der Summe kommt hier eine bedenkliche Anzahl an schädlichen Stoffen zusammen, die im Wasser nichts zu suchen haben. Laut Umweltbundesamt wurden in Deutschland bis 2011 insgesamt 23 Wirkstoffe im Trinkwasser gefunden. Im Grundwasser konnten Spuren von 55 verschiedenen Arzneimitteln nachgewiesen werden – Antibiotika, Betablocker, Schmerzoder Diabetesmittel. In Seen und Flüssen liegt die Zahl der gefundenen Wirkstoffe sogar im dreistelligen Bereich.
PROBLEME BEREITET AUCH DIE LANDWIRTSCHAFT – und hier vor allem die Massentierhaltung: Die Bauern wissen nicht mehr wohin mit der Gülle. Aber über Gülle, Mist oder auch Rückstände von Biogasanlagen gelangen zu viele Nitrate ins Grundwasser. Deutschland hat EU-weit die zweitschlechteste Bilanz, nur das Grundwasser von Malta ist noch nitratbelasteter. Der aktuelle Grenzwert für Nitrat im Trinkwasser liegt laut deutscher Trinkwasserverordnung bei 50 Milligramm pro Liter. In vielen Regionen Deutschlands, auch in Bayern, wird der Wert weit überschritten. Kaum jemand weiß, dass Deutschland damit seit Jahren gegen die sogenannte Nitratrichtlinie der EU vom 12. Dezember 1991 verstößt. Die EU-Kommission hat schon im Herbst 2013 ein Verfahren gegen Deutschland angestrengt. Im April 2016 reichte sie nun Klage vor dem Europäischen Gerichtshof ein, weil die Politik versäumt hat, strengere Maßnahmen gegen die Gewässerverunreinigung durch Nitrat zu ergreifen. Zwar ist die Stickstoffverbindung selbst dann noch ungiftig, wenn die Grenzwerte knapp überschritten werden. Bei Babys oder Menschen mit beschädigter Darmflora kann sich jedoch im Organ die toxische Stickstoffverbindung Nitrit bilden. Das Bundesamt für Umwelt rät dringend davon ab, dieses belastete Wasser für die Nahrungszubereitung zu verwenden. Und die Wasserversorger fordern von der Politik, Druck auf die Landwirte zu machen: Viele von ihnen wüssten gar nicht, wie sehr sie mit ihrem Naturdung das Grundwasser belasteten. IMMERHIN: Nitrate kennt man. Ihre Wirkung ist einschätzbar. Das ist bei vielen neuen Stoffen nicht der Fall. „Wir leben im Zeitalter der Chemie“, sagt Dietrich Borchardt vom Helmholtz-Zentrum. Täglich werden in erheblichen Mengen neue Stoffe entwickelt, produziert und gebraucht, die unser Leben aus unterschiedlichen Gründen komfortabler und sicherer machen, der Natur jedoch unbekannt
IMMER WEITER MESSEN, IMMER BESSER FILTERN. DOCH WER SOLL DAS BEZAHLEN? UND BRINGT DAS ÜBERHAUPT ETWAS?
sind.“ Parallel zur Vielzahl der Stoffe verbessern sich die Methoden sowie die Instrumente, um diese nachzuweisen. Die Null von gestern ist nicht mehr die Null von heute: Schon minimale Konzentrationen sind messbar. „Sie können“, sagt der UFZ-Forscher, „heute ein Pfund Zucker im Bodensee auflösen und das morgen per Messung nachweisen.“ Untersucht man das Oberflächengewässer, wird man daher heute immer fündig. „Auf weit mehr als 1.000 Stoffverbindungen“, schätzt Borchardt das Resultat einer solchen Untersuchung. „Es ist geradezu unmöglich, herauszufinden, wie diese vielen Stoffe in ihren oft unglaublich kleinen Konzentrationen auf den Organismus und die Umwelt wirken. Noch dazu, wenn man bedenkt, dass sich diese Stoffe mischen – und sich ihre Wirkung dabei abschwächen oder auch verstärken kann.“ WAS TUN? Eine Möglichkeit wäre: Immer weiter zu messen, immer besser zu filtern. Doch diese Strategie bringt Probleme mit sich. Wer zum Beispiel soll das bezahlen? Der Verbraucher? Dann stehen doch bald die ersten Preisdiskussionen ins Haus. Und bringt das viele Messen und Filtern überhaupt etwas? Katherina Reiche vom Interessensverband der kommunalen Ver- und Entsorger beobachtet seit einigen Jahren, dass kein Sommer vergeht, ohne dass die einschlägigen Boulevardmedien in der nachrichtenarmen Zeit Storys über angebliche neue Horrorstoffe bringen. Und auch Dietrich Borchardt glaubt, dass man „zu spät dran ist, wenn man sich dem Problem erst an der Kläranlage stellt“. Um begrifflich nahe am Wasser zu bleiben: Man muss an die Quelle ran. An die chemische Industrie, die Landwirtschaft – aber auch den Verbraucher. „Wir müssen verhindern, dass schädliche und in der Umwelt nicht abbaubare Stoffe überhaupt in den Wasserkreislauf gelangen. Da ist es natürlich am besten, wenn möglichst viele von ihnen gar nicht erst produziert werden“, sagt Borchardt. Wie das funktionieren kann, zeigen die Bemühungen der Hersteller von Outdoor-Kleidung, weniger schädliche Alternativen zum Regenschutz per Kunststoffbeschichtung zu suchen. „Verantwortungsvolle Verbraucher sind an dieser Stelle genau so hilfreich wie politischer und öffentlicher Druck.“ Wichtig ist vor allem: Man darf es sich mit dem Wasser nicht zu einfach machen. Sonst gibt es Wasserstress. 3/2016 LUX 360°
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KOLUMNE
kleine, deckellose Töpfe auf großen Platten, dauerbrennende Stand-by-Lämpchen, eine irrationale, von Geiz genährte Weigerung, statt der uralten Stromfresser neue energiesparende Haushaltsgeräte oder wenigstens ab und zu eine Energiesparbirne anzuschaffen – die Liste der Vergehen ist endlos. Natürlich sagt man was. Man kann gar nicht anders. Der „Stromspiegel“, sagt man, hat festgestellt, dass ein Dreipersonenhaushalt über 300 Euro Energiekosten jährlich sparen kann. Man sagt es freundlich. Man sagt es liebend und mit Nachdruck. Aber hat jemals irgendein Familienmitglied auf dieser Welt sein Verhalten geändert, bloß weil etwas GESAGT wurde?
VON MONIKA GOETSCH
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I m Zusammenleben fällt auf, dass die anderen unverzeihliche Fehler machen. Vielleicht aus Faulheit. Es könnte auch etwas Gemeineres sein. Egal: Sie zerstören den Planeten – und beginnen damit in den eigenen vier Wänden, wo man ja angeblich tun und lassen kann, was man will. Wobei sie mehr lassen als tun. Unablässiges Unterlassen: Das ist das Geheimnis ihres Erfolges. Wenn sie ihr teuflisches Werk vollbracht haben, brennt in Bad und Flur und in der Küche das Licht, die Heizung ist aufgedreht, der Boiler boilt, in der Waschmaschine kreist einsam ein Lieblingsshirt, das am folgenden Tag sauber sein soll. Sie aber spazieren ohne jedes Anzeichen von Energiereue für viele Stunden aus dem Haus. NEIN, ES IST NICHT die offene Zahnpastatube, an der moderne Ehen zerbrechen. Es ist die Festbeleuchtung, die den Heimkehrer empfängt, obwohl die Wohnung leer steht. Überheizte Räume, stundenlanges Duschen,
NA GUT. Es gibt Ausnahmen. Eine Freundin erzählte kürzlich, sie hätte ihren Haushalt, ökologisch gesehen, völlig unter Kontrolle. Ich stelle mir vor: eine ganze Familie, die gemeinsam einsteht für das Gute, Nachhaltige! Mann und Frau und Kinder, die mit fröhlichem Pfeifen auf den Lippen zeitnah jedes Licht löschen, auch das ganz hinten im Wohnzimmereck, wo man unters Sofa kriechen muss, um an den Schalter zu kommen. Die Freundin muss es sehr, sehr gut haben, habe ich gedacht. Sie hat es aber nicht gut, denn sie lebt in der Stadt und die Nachbarschaft in der Stadt ist bisweilen eng. Also leuchtet meiner Freundin seit geraumer Zeit die Lampe eines Nachbarn ins Schlafzimmer rein. Nacht für Nacht, von spät bis früh. Sie leuchtet ihr sozusagen HEIM. Kann man einen Nachbarn bitten, nachts alle Lichter zu löschen, ohne sich endgültig der ökologischen Zickerei schuldig zu machen? Vermutlich nicht. Ich finde: Zurückleuchten wäre eine Alternative. Klar doch: mit einer Energiesparlampe.
Illustration: Elke Ehninger
DER LETZTE MACHT DAS LICHT AUS – BITTE!
ES IST DOCH SO: Bei den einen zieht sich was in der Brust zusammen, wenn irgendwo Energie verschwendet wird. Sie haben vielleicht keinen Krieg mitgemacht und keine Hungersnot. Aber sie fühlen sich so. Die anderen, heißa hopsa!, prassen, was das Zeug hält, und finden, es kommt nicht so darauf an. Und die allermeisten finden es einfacher, dem anderen vorzuwerfen, dass er mal wieder die Kaffeemaschine angelassen hat, als für Drucker und Computer endlich einen Mehrfachstecker mit Ausschalter zu besorgen – und das Ding auch noch anzuschließen und, jetzt kommt die eigentliche Herausforderung: den Schalter zu betätigen!
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