11 minute read
Was Social Banking kann
Die ERSTE Stiftung fördert seit Langem die Entwicklung und Ausweitung von Social-Banking-Leistungen zur Lösung sozialer Herausforderungen in Mittel- und Osteuropa. Als Hauptaktionärin der Erste Group, einer der größten Banken der Region, sehen wir hier eine unserer Kernkompetenzen. Die Kund:innen des Social Banking der Erste Group sind Gründer:innen, Kleinunternehmen, soziale Organisationen sowie einkommensschwache Menschen, die üblicherweise nicht auf die Hilfe von Banken zurückgreifen können. Wir investieren daher in die Entwicklung von wirkungszentrierten Finanzprodukten in der Erste Social Finance Holding (ESFH), einem auf Social Banking spezialisierten gemeinsamen Unternehmen der Erste Group und ERSTE Stiftung für Impact-Investment, das sich aus der Erste Group heraus entwickelt hat.
2021 hat die ERSTE Stiftung an einer Kapitalerhöhung in der ESFH im Ausmaß von 940.000 EUR teilgenommen. Franz Karl Prüller spricht mit dem Geschäftsführer der ESFH, Peter Surek, darüber, wie sich das Potenzial und die Leistungen von Social-Banking-Angeboten in den letzten Jahren verändert haben.
Advertisement
Welche Dimensionen innovatives und engagiertes Social Banking heute annehmen kann, zeigt ein Beispiel aus der Slowakei. Alexandra Christandl berichtet von einem für die ganze Region richtungsweisenden Projekt der slowakischen Tochter der Erste Group, der Slovenská sporiteľňa (SLSP). In einer Zeit rasch steigender Wohnungspreise ermöglicht die SocialBanking-Abteilung der SLSP unter der Leitung von Rasťo Blažej gemeinsam mit der ESFH Menschen ein würdiges Leben nach dem Prinzip „Housing First“. Länder wie die Slowakei erproben so die Entwicklung eines marktfinanzierten Systems leistbarer Mietwohnungen.
Soziale Organisationen bei Skalierung, Wachstum und mehr Wirksamkeit unterstützen
Franz Karl Prüller, Senior Advisor des Vorstands der ERSTE Stiftung, im Gespräch mit Peter Surek, Geschäftsführer der Erste Social Finance Holding, über die Besonderheiten und Potenziale von Social Banking.
Franz Karl Prüller: Was waren rückblickend auf das Jahr 2021 die wichtigsten Errungenschaften des Social Banking der Erste Group?
Peter Surek: Am wichtigsten war für uns, dass wir unseren Kund:innen in diesen schwierigen Zeiten der Pandemie zur Seite stehen konnten. Im Jahr 2021 haben wir mehr als 2.000 Kredite im Wert von 40 Millionen Euro vergeben. Dank der Unterstützung der ERSTE Stiftung konnten wir auch spezielle Covid-Notfallkredite zu Nullzinsen für den gemeinnützigen Sektor bereitstellen. Außerdem haben wir unser Mentoring-Programm für Kund:innen in finanziellen Schwierigkeiten ausgebaut. Damit haben wir bewiesen, dass wir nicht nur in guten Zeiten für unsere Kund:innen da sind, sondern sie auch in schwierigen Zeiten unterstützen. Zudem konnten wir bedeutende neue Initiativen starten und skalieren, die problemorientiert und wirkungszentriert sind und eigens entwickelte Finanzlösungen erfordern. Wir haben Impact-Projekte im Bereich Wohnbau gestartet: In unserem Unternehmen Dostupný Domov („Leistbares Wohnen“) in der Slowakei besitzen wir nun ca. 70 Wohnungen, die über NGOs an bedürftige Menschen vermietet werden (siehe Seite 48). In Österreich wurden die Kautionskredite ausgeweitet und die Initiative für Menschen in schwierigen Wohnverhältnissen mit der Bereitstellung von 200 Wohnungen fortgesetzt. In Ungarn hat sich das Sozialwohnbauprojekt, das einkommensschwache Menschen bei Renovierungsarbeiten unterstützt, gut weiterentwickelt. In Serbien konnten wir in Zusammenarbeit mit einem Firmenkunden ein neues wirkungsorientiertes Projekt namens Nase Selo („Unser Dorf“) zur Revitalisierung ländlicher Gemeinden skalieren. Und schließlich haben wir unser Quasi-Eigenkapital-Programm gestartet, das Mezzaninkapital für wachsende soziale Organisationen und soziale Infrastrukturprojekte bereitstellt. Dies ist unser erster kleiner Schritt in Richtung ImpactInvestment. Die ersten beiden Transaktionen dieses Produkts wurden 2021 abgewickelt.
Wenn Sie die letzten zehn Jahre betrachten – wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung sozialer
Bankdienstleistungen und -produkte in der Erste Group?
Ich bin selten ganz zufrieden, da ich immer nach mehr, nach Besserem strebe, aber ich muss zugeben, dass wir viel positives Feedback von den an unseren Initiativen beteiligten Menschen bekommen: in erster Linie vor allem von unseren Kund:innen, die sich unterstützt und ernst genommen fühlen. Wir haben auch sehr positive Reaktionen von Organisationen aus dem Bereich der sozialen Finanzierung oder des Impact-Investment erhalten. Und natürlich die überaus ermutigende Reaktion der Europäischen Kommission in Form eines persönlichen Lobs von Kommissar Nicolas Schmit anlässlich des
38.000 Kund:innen werden durch finanzielle und/oder pädagogische Maßnahmen unterstützt
425 Mio. Euro bereitgestellte Mittel
77.500 Arbeitsplätze in der Region wurden erhalten oder geschaffen
58 % der Kund:innen berichteten von einer Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation trotz der Auswirkungen von Covid-19
48 % der finanzierten Startunternehmer:innen könnten das Unternehmen ohne unsere Finanzierung nicht starten
79 % der finanzierten Sozialorganisationen können mit den zur Verfügung gestellten Mitteln ihren sozialen Auftrag besser erfüllen
457 Menschen haben im Rahmen der Pilotprojekte für leistbaren Wohnraum ein neues Zuhause gefunden
2 innovative Finanzinstrumente wurden eingeführt: der Social Impact Bond und Quasi-Eigenkapital
Starts unseres Quasi-Eigenkapital-Programms. Ich denke, dies ist ein Beweis dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Rückblickend auf die letzten zehn Jahre können wir sagen, dass wir zur Entwicklung des Marktes beigetragen haben: Es gab keinen Markt für die Finanzierung sozialer Organisationen, für die Finanzierung von Unternehmensgründer:innen oder für die Finanzierung und Unterstützung von Menschen in schwierigen wirtschaftlichen bzw. sozialen Lebenslagen. Wir haben diese Märkte gemeinsam mit unseren Kund:innen entwickelt und gleichzeitig das Profil unserer Bank geschärft. Wir können mit Fug und Recht behaupten, dass derzeit die gesamte Führungsebene von der Sinnhaftigkeit des Social Banking und seiner Wirksamkeit für die Gesellschaft dank seines soliden Geschäfts- und Finanzierungsmodells überzeugt ist.
Sie haben viel Erfahrung mit Social-Banking-Initiativen und können dabei auf ein großes internationales Netzwerk zurückgreifen: Wo sehen Sie Good-Practice-Modelle, die für die weitere Entwicklung des Social Banking in der Erste Group inspirierend sein können?
Im Bankensektor gibt es die Big Player wie die Micro Bank, die zur Caixa Group in Spanien gehört, und die französischen Sparkassen oder BNP Paribas, die ebenfalls Mikrokredite und Impact Finance anbieten. Wir stehen in Kontakt mit mehreren Mikrofinanzierungsunternehmen und Impact Fonds in der Region und können uns über verschiedene Praktiken und Erfahrungen austauschen. Unser Vorteil gegenüber anderen ist, dass eine sehr starke Bank hinter uns steht, die unsere Aktivitäten mit ihrer starken regionalen Präsenz und einer soliden Bilanz unterstützt. Im Gegensatz zu vielen Impact Fonds oder Mikrofinanzierungsunternehmen müssen wir uns daher vor der Kreditvergabe nicht erst um die Mittelbeschaffung kümmern: Wir verfügen über Mittel innerhalb der Erste Group, die wir direkt an unsere Kund:innen weitergeben können. Der zweite große Vorteil ist die Unterstützung durch unsere größte Aktionärin, die ERSTE Stiftung, bei verschiedenen Bildungsaktivitäten, die von der Stiftung mitfinanziert werden. Die Stiftung hilft uns auch bei der Entwicklung innovativer Programme für finanzielle und nicht finanzielle Dienstleistungen, wie z. B. zinslosen Krediten während der Covid-Krise oder speziellen Garantien, die wir derzeit für unsere Kund:innen vorbereiten.
Was sind Ihrer Erfahrung nach die wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen in Mittel- und Osteuropa, auf die das Social Banking mit Produkten und Dienstleistungen reagieren könnte?
Als wir kurz nach der Finanzkrise mit dem Social Banking begannen, war das größte Problem die sehr hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter jungen Menschen. In den Balkanländern lag sie bei 40 Prozent! Dies war der Beginn unserer Aktivitäten: Durch Mikrofinanzierungen und Start-upFinanzierungen für Kleinunternehmen unterstützten wir die Schaffung von Arbeitsplätzen. Heute sehen wir in den rasch steigenden Immobilienpreisen eine große Herausforderung für die Gesellschaft, da es für Menschen mit niedrigen, aber auch mittleren Einkommen zu einem echten Problem wird, leistbaren Wohnraum zu finden. In den letzten fünf Jahren sind die Immobilienpreise in einigen unserer Märkte um fast 100 Prozent gestiegen, und trotz niedriger Zinssätze und leicht steigender Einkommen haben die Menschen Schwierigkeiten beim Erwerb von Wohneigentum. Deshalb haben wir unser Sozialwohnbauprogramm gestartet.
Zum einen haben wir Menschen auf der untersten Einkommensebene, die keinen Zugang zu angemessenem Wohnraum haben, unterstützt und entwickeln nun eine umfassendere und größere Initiative zur Bereitstellung von erschwinglichem Wohnraum in der Region. Das andere Thema betrifft nicht nur Osteuropa, sondern auch den Westen. Im Bereich der Pflege sind in Mittel- und Osteuropa hohe Investitionen nötig, weil die Last der Betreuung älterer Menschen nicht mehr allein von den Familien getragen werden kann. Dafür braucht es Institutionalisierung und angemessene Unterstützung – auch hier kann eine wirkungsorientierte Finanzierung eine wichtige Rolle spielen. Das dritte Thema ist der Zugang zu Bildung. Viele Menschen können sich eine Umschulung nicht leisten oder ihr Studium nicht fortsetzen, weshalb wir mögliche Finanzierungslösungen für Qualifizierung und Bildung ausloten.
Muss Social Banking im Bankwesen verankert sein? Oder können Sie sich auch andere finanzielle oder nicht finanzielle Dienstleistungen vorstellen, um soziale Bedürfnisse in unserer Gesellschaft zu stillen?
Im Erste Social Banking setzen wir unsere Kernkompetenz als Banker:innen ein, um Wirkung zu erzielen. Natürlich ist das Finanzwesen nur ein kleines Puzzlestück bei der Suche nach Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen. Der Finanzsektor hat jedoch das Potenzial, Organisationen und Einzelpersonen, die Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu bieten haben, in ihrer Handlungskompetenz zu stärken. Mit unseren Finanzprodukten und Finanzintermediationen sollten und können wir ihnen helfen, zu skalieren, zu wachsen und ihre Wirksamkeit zu erhöhen. Gleichzeitig benötigen viele Organisationen Unterstützung in nicht finanzieller Form wie Schulungen, Kapazitätsaufbau und Knowhow-Transfer, die wir im Rahmen des Social Banking ebenfalls anbieten können.
Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen der ERSTE Stiftung und der Erste Group bei der gemeinsamen Entwicklung von Dienstleistungen und Produkten, die auf soziale Bedürfnisse und Herausforderungen zugeschnitten sind?
Wir befinden uns im Bereich Social Finance in einer europaweit einzigartigen Position: Wir haben eine starke Bank, aber auch eine starke Stiftung mit ihrem philanthropischen Einfluss und einer aktiven Aktionärsrolle in der Bank. Das gibt uns die Möglichkeit, Lösungen zu entwickeln, die weder die Bank noch die Stiftung allein anbieten könnten. Wir sprechen von neuen Instrumenten, die unter dem Begriff „Blended Finance“ auftauchen, mit deren Hilfe konzessionäres philanthropisches Kapital zur Risikoabsicherung beitragen und so kommerzielles Kapital für bestimmte Projekte mobilisieren kann, die mit rein kommerziellen Mitteln nicht zu finanzieren wären. Ein weiteres Instrument sind Garantien, die philanthropische oder öffentliche Einrichtungen den Banken geben, um in Bereiche vordringen und Risiken eingehen zu können, die normalerweise nicht in Betracht kommen würden. Auch Bildungsaktivitäten kombinieren wir mit Finanzierungen – unser Rezept für die sehr guten Resultate bezüglich notleidender Kredite im Social Banking: Finanzielle Unterstützung sollte immer in Kombination mit Weiterbildung gewährt werden. Aus dem Blickwinkel unserer einzigartigen institutionellen Verbindung bin ich also sehr optimistisch, dass wir diese Lösungen weiterentwickeln und damit unsere gemeinsame Wirksamkeit effektiv steigern können.
Wohnprojekt in der Slowakei gibt Bedürftigen ein neues Zuhause
Von Alexandra Christandl
Gemeinsam mit dem öffentlichen Sektor und sozialen Organisationen, die sich um Kund:innen in schwierigen Lebenslagen kümmern, entwickelte das Social Banking der Slovenská sporiteľňa (SLSP) ein innovatives Konzept für leistbares Wohnen, um Kund:innen zu helfen, ein neues Zuhause zu finden. Das Konzept hat zudem auch große öffentliche Aufmerksamkeit erregt, da die SLSP die erste Bank in der Slowakei ist, die eine Sozialanleihe zur Finanzierung von bezahlbarem Wohnraum herausgibt.
2020 gründete die SLSP in Zusammenarbeit mit der Slovak Investment Holding und der SLSP Stiftung das Unternehmen Dostupný Domov (slowakisch für „leistbares Wohnen“), das vereinzelt Wohnungen auf dem Sekundär- und Primärmarkt kauft. Diese werden dann unter dem Marktpreis an soziale Organisationen vermietet, die sich um bedürftige Menschen ohne Wohnung kümmern und diesen nicht nur soziale Unterstützung, sondern auch eine bezahlbare Unterkunft bieten. Dabei wird ein sogenannter „Housing First“-Ansatz verfolgt, der Menschen ohne Wohnung durch die Bereitstellung einer leistbaren Unterkunft in einer guten Nachbarschaft integriert.
Der Schwerpunkt liegt darauf, benachteiligten und schutzbedürftigen Menschen wie misshandelten Müttern mit Kindern, Familien in Krisensituationen, denen der Verlust ihrer Wohnung droht, oder Kindern aus Pflegefamilien nach Erreichen der Volljährigkeit bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Daher arbeitet das Social Banking der SLSP mit gemeinnützigen sozialen Organisationen, Stiftungen und Gemeinden zusammen, um den Wohnungsbedarf der Begünstigten zu ermitteln. Bislang konnten dadurch bereits 71 Wohnungen zur Verfügung gestellt werden.
„Im Social Banking entwickeln wir Lösungen, die sich mit gesellschaftlichen Herausforderungen auf finanziell nachhaltige Weise auseinandersetzen. Mit Dostupný Domov planen wir, in den nächsten fünf Jahren einen Bestand von rund 1.500 Wohnungen zu erreichen. Dies wollen wir mit zusätzlichem Eigenkapital aus der Erste Social Finance Holding, der Slovak Investment Holding und der erwähnten Sozialanleihe erreichen. So können wir nicht nur geeignete Wohnungen auf dem Markt kaufen, sondern uns auch an kleinen Immobilienentwicklungsprojekten beteiligen“, sagt Rasťo Blažej, Leiter des Social Banking bei SLSP.
Geld anlegen – für einen guten Zweck und eine kleine Rendite
Als erste Bank in der Slowakei gibt die SLSP Sozialanleihen im Wert von 9 Mio. Euro aus, um bezahlbaren Wohnraum für sozial benachteiligte Menschen in der Slowakei zu finanzieren. Sozialer Wohnungsbau ist dabei ein Thema, das einfach zu erklären ist und zudem ein geringes Risiko für Investor:innen mit sich bringt. Die Anleihe wird in erster Linie an Private-Banking-Kund:innen verkauft, ist aber auch via Online-Banking für slowakische Privatkund:innen erhältlich. Der Nennwert der Anleihe beginnt bei 1.000 Euro, wodurch auch kleinere Investitionen ermöglicht werden.
Die Wirksamkeit des Projekts zeigen Beispiele wie diese: Nach der Geburt ihres zweiten Kindes musste eine junge, von häuslicher Gewalt betroffene Mutter mit dem Neugeborenen und der fünfjährigen Tochter von der Entbindungsstation wieder direkt zurück in die Kriseneinrichtung ziehen, in der sie eigentlich nur vorübergehend untergebracht sein sollte. Die Initiative für leistbaren Wohnraum fand für die drei eine leistbare Wohnung. Auch ein zehnjähriger Junge und seine Mutter, die mehrere Jahre in Notunterkünften lebten, fanden durch die Initiative eine neue Bleibe.
Mehr über das Wohnprojekt auf slsp.sk bit.ly/3xiaLoN
Die Wohnungen im Projekt für leistbares Wohnen in der Slowakei sind renoviert und verfügen über eine Basisausstattung, sodass man sofort einziehen und sich zu Hause fühlen kann. Fotos: Dostupný Domov