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Bratislava – Wien: Eine asynchrone Nachbarschaft
Zu Roman Ondaks Installation SK Parking
Von Wolfgang Kos
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Wien war 2001 der ideale Schauplatz für eine hintersinnige ZeitRaum-Aktion, bei der Autos als Anschauungsmaterial dienten. Heute gilt SK Parking als eines der präzisesten Kunstwerke zur psycho-topografischen Stimmungslage zwischen Ost und West. Zwölf Jahre nach der auch in der Kulturszene euphorisch begrüßten „Öffnung“ unternahm der slowakische Konzeptkünstler Roman Ondak einen bereits damals melancholisch anmutenden Nachbarschaftsbesuch im nahen und doch so fernen Wien. Melancholisch war die Intervention, weil 2001 bereits zu spüren war, dass der in Richtung Westen drängende Enthusiasmus der sogenannten „OstKünstler:innen“ im internationalen Kunstbetrieb nach einer Phase kurzatmiger Neugier als lediglich peripheres Phänomen schubladisiert wurde.
Ondaks Projekte zeichnet aus, dass sie Situationen kreieren. Sie schaffen, um den Kurator und Theoretiker Igor Zabel zu zitieren, eine „Konstellation von Dingen, Menschen und Räumen, die im Kern von dem abweicht, was erwartet und als selbstverständlich vorausgesetzt wird“. Bevor er ein Projekt beginne, so der Künstler einmal, gebe es „eine Geschichte, die bereits da ist“. Diese gelte es mit formalen und nonverbalen Mitteln anschaulich zu machen. Wenn Ondak wie bei SK Parking Demarkationslinien und Übergänge austestet, geschieht dies nicht in einem abstrakten Niemandsland, sondern in behutsamer Auseinandersetzung mit realen und häufig paradoxen Raumbeziehungen.
Bei SK Parking betrug die überbrückte Distanz kartografisch 80 Kilometer. „Nur“ 80 Kilometer, sollte man hinzufügen. Nachdem die Beziehung zwischen Bratislava und Wien im Kalten Krieg abgeriegelt war und die historischen Nachbarstädte einander fremd geworden waren, wurde nach der slowakischen Staatsgründung von 1994 mit Verblüffung registriert, dass nirgendwo sonst in Europa zwei Hauptstädte so nahe beisammenliegen. Doch es sollte lange dauern, bis sich einigermaßen pragmatische, wenn auch keine tiefgehenden Beziehungen entwickelten.
Gemeinsam mit Freunden chauffierte Roman Ondak 2001 sieben Škodas älterer Bauart von Bratislava zur Wiener Secession. Wo sie losfuhren, repräsentierten sie ärmliche Normalität im Kontext kontinuierlich wachsender Konsumwünsche, im Straßenbild von Wien mussten sie mit mitleidigen Blicken rechnen. Abgestellt wurden die glanzlosen Autos auf dem Parkplatz hinter der Secession. Dort blieben sie als kaum wahrnehmbare Merkwürdigkeit für die Ausstellungsdauer von zwei Monaten wie eingefroren stehen. „Einerseits bin ich neugierig darauf“, so Ondak zur Aktion SK Parking, „welche Formen und Situationen wir alle noch als Kunst empfinden können. Gleichzeitig versuche ich, diesen Raum auch für Menschen zu öffnen, die mit Kunst nicht vertraut sind, und von ihnen zu lernen.“
Für manche Passant:innen blieben die in Wien ausgesetzten Kleinwagen mit slowakischen Kennzeichen unter der Wahrnehmungsgrenze, andere vermuteten fremde, vielleicht sogar illegale Eindringlinge in die wohlgeordnete Konsummetropole Wien. Warum fuhren sie nicht wie die schäbigen, meist stinkenden Autobusse, die in den 1990er-Jahren neugierige Tagesbesucher:innen aus der Slowakei nach Wien brachten, am Abend wieder zurück über die Grenze? Wer hatte ihr Dauerparken auf einem hochwertigen Privatgelände überhaupt genehmigt?
Roman Ondak war die Rolle eines Grenzgängers zwischen den Systemen vertraut. Der 1966 geborene Künstler konnte sein Kunststudium, nachdem ihm dieses jahrelang verwehrt worden war, erst 1988 beginnen, als an slowakischen Akademien noch der Sozialistische Realismus Mainstream war. 1994 schloss er es ab, knapp nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs und einer befreienden Revolution, die an der Kunsthochschule Bratislava mit einem Ausbruch spontaner Begeisterung gefeiert wurde. Ondak gehört zu jener ersten postkommunistischen Künstlergeneration seines Landes, für die die benachbarte Weststadt Wien nicht mehr jene unerreichbare Draußenwelt war, vor der viele ihrer Vorgänger:innen und Lehrer:innen in provinzieller Selbstbeschränkung geflüchtet waren. Mit Stippvisiten in Wien, wohin man eifrig zum Ideen-Shopping fuhr und in kommerziellen und öffentlichen Kunsträumen endlich Werke von Weltstars aus der Nähe erleben konnte, ließ sich das bislang auf Schleichwegen angeeignete Wissen über zeitgenössische Kunst auf den aktuellen Stand bringen.
Dies geschah, mit der Škoda-Expedition vergleichbar, unbemerkt: ohne freundliche Begrüßung, ohne substanziellen Dialog mit der Wiener Kunst-Community, die sich wiederum zu gut war, um in Bratislava oder Budapest Nachschau zu halten. Ausnahmen bildeten spezialisierte Kunstscouts wie die Galerie Knoll oder springerin. Umso wertvoller waren Kontakte, die hielten und weitertrugen. So wurde Wien in den Neunzigern zumindest vorübergehend zu einem Brückenkopf. Für Ondak, der seit 2004 von der Wiener Galerie Martin Janda vertreten wird, wurde die Nachbarstadt zur Schaltstelle für eine internationale Karriere. Bereits vor der Wiener Aktion von 2001 waren seine Arbeiten in einigen mittel- und westeuropäischen Städten zu sehen gewesen.
SK Parking war Roman Ondaks sehr persönlicher Beitrag zur keineswegs auf Ostbeobachtung beschränkten Gruppenausstellung Ausgeträumt … und unterstrich an einem konkreten Modellfall jene keimende Skepsis, die Kuratorin Kathrin Rhomberg mit Blick auf systemüberschreitende Verwerfungen diagnostizierte. In ihrem Leittext schrieb sie, „dass unsere soziale und politische Wirklichkeit nach Jahren der Hoffnung und Zuversicht gegenwärtig weitgehend desillusioniert wahrgenommen wird“.
Roman Ondak, SK Parking, 2001, Installationsansicht Erste Campus Wien 2021, Foto: Oliver Ottenschläger, © Kontakt Sammlung, Wien
Roman Ondak, SK Parking, 2001, Installationsansicht Secession Wien, 2001. Foto: mit freundlicher Genehmigung des Künstlers
Roman Ondak, SK Parking, 2001, Installationsansicht Kunsthalle Bratislava, 2021, Foto: Archiv KHB/Martin Marenčin
Das galt nicht nur für die künstlerische Utopie eines befruchtenden Austauschs zwischen Ost und West, sondern generell für den Traum einer umfassenden Demokratisierung und einer sich öffnenden Gesellschaft. Längst zeichnete sich ab, dass die Transformation der postsozialistischen Länder Ostmitteleuropas schroffer und asozialer als erhofft ablief und von hemmungsloser Deregulierung und einem überfallsartig durchgesetzten Neoliberalismus mit grotesken Begleiterscheinungen bestimmt war.
Bei SK Parking griffen Ondaks konzeptuelle Methoden perfekt ineinander. Was als subversive, mobile Performance ohne Publikum begonnen hatte, wechselte den Aggregatzustand und erstarrte vorübergehend zu einer Skulptur im öffentlichen Raum. Anschließend wurden die Props, die geliehenen Autos, an ihre Besitzer:innen retourniert und verschwanden wieder im slowakischen Verkehrsalltag. Zurück blieb eine Serie von dokumentarischen, seltsam geisterhaften Fotografien. Danach wurde das Werk als Sinnbild für ein ganz spezielles Zeitfenster der Erinnerung überantwortet.
So blieb es, bis sich die Aktion nach 20 Jahren überraschenderweise wieder materialisierte. Das Ensemble der blechernen Kurzzeitstatisten wurde, nach einem unerwarteten Reenactment vor dem Gebäude der Kunsthalle in Bratislava, wie seinerzeit nach Wien überstellt und verwandelte sich nun in ein mit Inventarnummer versehenes bleibendes Kunstobjekt. Anlass für die Reprise war der Erwerb von sieben alten Škodas durch die Kontakt Sammlung, die den bei SK Parking verwendeten entsprechen, sie also zitieren. Nicht die Fahrzeuge sind Originale (schließlich waren bereits 2001 deren individuelle Geschichten irrelevant), dafür sollen Ideen und Geist einer historisch relevanten Aktion reanimiert werden.
In der vorläufigen Dauerpräsentation stehen die angejahrten und aus der Zeit gefallenen slowakischen Automobile, die heute die Anmutung von liebenswürdigen Oldtimern haben, in Reih und Glied in der Tiefgarage des Erste Campus – eine irgendwie exotische Installation inmitten von schweren Kundenkarossen und Dienstwagen im schwarz glänzenden Managerdress. Was sich über die vergangene Zeit hinweg spiegelt, ist das Bild gesellschaftlicher Asychronizität. Denn in den 1990er-Jahren waren im Kontrast zu Ondaks spätkommunistischen Škodas auch in Bratislava immer mehr schwere Fahrzeuge neuesten Zuschnitts unterwegs – dicke SUVs und übermotorisierte schwarze Nobellimousinen als Prestigesymbole einer aufsteigenden, finanzstarken Klasse. Da waren ärmliche Škodas bereits vom Aussterben bedroht.
Wolfgang Kos wurde 1949 in Mödling geboren und lebt in Wien. Der Historiker, Radiojournalist und Ausstellungskurator war von 1969 bis 2003 Redakteur beim ORF-Hörfunk (u. a. „Musikbox“, „Diagonal“) und von 2003 bis 2015 Direktor des Wien Museums. Von 1995 bis 2010 war er Mitglied des Kunstrats der EVN Collection. Zurzeit befasst er sich vor allem mit Kunst in der Landschaft. Sein jüngstes Buch: Der Semmering. Eine exzentrische Landschaft (2021, Residenz Verlag).