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co/rizom: Schlag auf Schlag
Es ist ein kühler Morgen, doch die Sonne scheint schon über die Häuser im rumänischen Brateiu. Irgendwo kräht ein Hahn. Victor Clopotar marschiert mit einem großen Stoß Ästen über seinen Hof. „Ich bin Victor“, sagt er und ist guter Laune, weil er Menschen, die kommen, um ihm bei seiner Arbeit über die Schulter zu schauen, mag. Er ist ein „Kalderaš“, so werden die Kupferschmiede der Roma seit Jahrhunderten genannt. Einst waren sie viele hier im Dorf, wird Victor erzählen, heute sind nur mehr wenige seiner Zunft übrig.
Das Feuer ist angezündet und brennt, doch die Glut ist noch nicht heiß genug. Victor schneidet einstweilen aus einer Kupferplatte runde Kreise. Aus diesem harten Material wird er mit Hammer und Amboss Schalen in weich geschwungenen Formen entstehen lassen. Denn Victor stellt nicht mehr ausschließlich die hier in der Gegend üblichen rustikalen Haushaltsgegenstände her, sondern Objekte, die auf den großen internationalen Designmessen für Aufsehen sorgen. „Neues zu machen, hat mich von Anfang an gereizt“, sagt er und erinnert sich, wie alles vor sieben Jahren begann.
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„Mesteshukar ButiQ“ (MBQ) war jene von der ERSTE Stiftung unterstützte Initiative, bei der Victor Clopotar internationale Designer:innen kennenlernte. Victors Arbeiten fielen sofort auf. Am Anfang wurden traditionelle Stücke von ihren rustikalen Elementen befreit, doch durch sein Können haben sich bald viele gemeinsame Ideen materialisiert. „Sein Talent ist phänomenal – nicht nur seine dreidimensionale Vorstellungskraft, sondern auch seine bedingungslose Genauigkeit.“
Auch heute, an diesem sonnigen Vormittag, wird Victor Clopotar wieder die Grenzen des eigenen Könnens ausreizen. Das Kupferblech ist über dem Feuer warm geworden, er setzt sich auf seinen Schemel und wirft einen Blick auf die Skizze neben ihm. Mit Hammer und Amboss wird er dieses Blech in ein bauchiges, weich geschwungenes Objekt verwandeln. Immer wieder wird er sein Werkstück zurück zum Feuer bringen, um es „formbar wie Ton“ zu machen, erklärt er. Es kann sein, dass dieser Vorgang bis zu 70 Mal wiederholt werden muss, denn vieles, was Clopotar macht, braucht Abertausende Schläge, um zu dem zu werden, was er selbst als gelungen und damit fertig betrachtet.
Die im Laufe der Zeit entstandenen Kollektionen haben in den vergangenen Jahren auf internationalen Messen in Paris, Mailand oder New York für Furore gesorgt. Dass Objekte eines Handwerkers aus Brateiu in Rumänien in den großen Metropolen gefeiert werden, macht ihn stolz – und selbstbewusst.
Trotz seines Erfolges ist Victor Clopotar überaus traditionsbewusst geblieben. So, wie es hier für die Kalderaš üblich ist, trägt er bei der Arbeit stets eine Bundfaltenhose, ein buntes Jackett und einen Hut. Aus der Zusammenarbeit mit MBQ ist eine Kooperation mit co/rizom entstanden, einer Initiative der ERSTE Stiftung, die Handwerker:innen neue Karrierewege eröffnen will. Dem co/rizom-Team, bestehend aus Andrei Georgescu, Alina Serban und Nadja Zerunian, geht es nun darum, den rumänischen Kupferschmied dabei zu unterstützen, ein eigenes kleines Unternehmen aufzubauen. Victor Clopotar, der nur wenige Jahre in der Schule war, versteht, wie professionelle Produktion, Vermarktung und Vertrieb funktionieren. Und tatsächlich ist dieser Prozess weit gediehen. Victor weiß, dass Materialkosten kalkuliert werden müssen und dass jede Kollektion erst einmal Prototypen braucht. Erst so lassen sich Material und Kosten berechnen, was dann wiederum wichtig für den Verkaufspreis und den Vertrieb seiner Waren ist. Victor Clopotar ist sich bewusst, dass er es über die Grenzen von Siebenbürgen hinaus schaffen muss.
Das co/rizom-Team hat den rumänischen Kupferschmied zu Homo Faber, einer Initiative der Michelangelo-Stiftung zur Förderung Europas talentiertester Handwerker:innen, vermittelt. Im April 2022 werden seine Arbeiten als Teil der „Next of Europe“-Ausstellung in Venedig zu sehen sein. Denn die italienische Stiftung setzt sich dafür ein, traditionsreiches Handwerk zu erhalten. Kupferschmiede sind in der industrialisierten Welt rar geworden.
Victor Clopotar ist somit nicht zuletzt auch einer, der alte Kulturtechniken bewahrt. Er hat das Schmieden von Tabletts, Kannen und Destillierkesseln von seinen Vorfahren gelernt und hofft, dass sein Sohn eines Tages seinen Platz einnehmen wird. Denn: „Leute sterben, aber sie lösen sich nicht in Luft auf, sondern lassen etwas für nächste Generationen zurück“, sagt der 37-Jährige. Und dank der Kooperation mit co/rizom hat er es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. So konnte er sich im Vorjahr eine kleine Werkstatt einrichten, wo er auch dann arbeiten kann, wenn es draußen regnet. Er heizt nicht immer mit Holz, sondern hat manchmal auch eine Gasflasche parat, weil das schneller geht. Zudem hat er sich ein Auto gekauft, was ihm beim Transport seiner Waren das Leben erleichtert.
Seine Pläne für die Zukunft: Mithilfe von co/rizom will Victor nun eine eigene Marke gründen. VCR steht für „Victor Clopotar Romania“ und er will nicht, wie bisher, immer nur Auftragsarbeiten erledigen, sondern eigene Kollektionen entwerfen.
„Klack, klack, klack“ klingt es metallisch über den Hof in Brateiu. Wenn das rhythmische Klopfen kurz verstummt, dann nur, weil Victor gerade Augenmaß nimmt und überprüft, ob das, was er macht, gut genug ist. „Ohne euch hätte ich nie gewusst, was ich alles erreichen kann“ sagt er. Und arbeitet dann weiter.
co/rizom
co/rizom ermöglicht traditionellem Handwerk den Zugang zu einem globalisierten Markt. Ein digitales Tool löst komplexe Prozesse auf und gliedert sie in sieben einfache Schritte, von der Anpassung getesteter Verfahren für die Entwicklung von Sozialunternehmen und Produkten bis zur Adaption passender Strategien für Marketing und Branding. In kleinen Sozialunternehmen organisierte Handwerker:innen können damit als zuverlässige und vertrauenswürdige Lieferant:innen großen Einzelhandelskonzernen gegenübertreten. Das sichert ihre finanzielle Stabilität und ermöglicht ihnen ein solides, selbstbestimmtes Finanzleben. Derzeit nehmen Handwerkstreibende aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Österreich, Rumänien, Ungarn und Usbekistan am Programm teil.
corizom.org
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