ERSTE Stiftung Geschäftsbericht 2021

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Es ist ein kühler Morgen, doch die Sonne scheint schon über die Häuser im rumänischen Brateiu. Irgendwo kräht ein Hahn. Victor Clopotar marschiert mit einem großen Stoß Ästen über seinen Hof. „Ich bin Victor“, sagt er und ist guter Laune, weil er Menschen, die kommen, um ihm bei seiner Arbeit über die Schulter zu schauen, mag. Er ist ein „Kalderaš“, so werden die Kupferschmiede der Roma seit Jahrhunderten genannt. Einst waren sie viele hier im Dorf, wird Victor erzählen, heute sind nur mehr wenige seiner Zunft übrig.

Das Feuer ist angezündet und brennt, doch die Glut ist noch nicht heiß genug. Victor schneidet einstweilen aus einer Kupferplatte runde Kreise. Aus diesem harten Material wird er mit Hammer und Amboss Schalen in weich geschwungenen Formen entstehen lassen. Denn Victor stellt nicht mehr ausschließlich die hier in der Gegend üblichen rustikalen Haushaltsgegenstände her, sondern Objekte, die auf den großen internationalen Designmessen für Aufsehen sorgen. „Neues zu machen, hat mich von Anfang an gereizt“, sagt er und erinnert sich, wie alles vor sieben Jahren begann. „Mesteshukar ButiQ“ (MBQ) war jene von der ERSTE Stiftung unterstützte Initiative, bei der Victor Clopotar internationale Designer:innen kennenlernte. Victors Arbeiten fielen sofort auf. Am Anfang wurden traditionelle Stücke von ihren rustikalen Elementen befreit, doch durch sein Können haben sich bald viele gemeinsame Ideen materialisiert. „Sein Talent ist phänomenal – nicht nur seine dreidimensionale Vorstellungskraft, sondern auch seine bedingungslose Genauigkeit.“ Auch heute, an diesem sonnigen Vormittag, wird Victor Clopotar wieder die Grenzen des eigenen Könnens ausreizen. Das Kupferblech ist über dem Feuer warm geworden, er setzt sich auf seinen Schemel und wirft einen Blick auf die Skizze neben ihm. Mit Hammer und Amboss wird er dieses Blech in ein bauchiges, weich geschwungenes Objekt verwandeln. Immer wieder wird er sein Werkstück zurück zum Feuer bringen, um es „formbar wie Ton“ zu machen, erklärt er. Es kann sein, dass dieser Vorgang bis zu 70 Mal wiederholt werden muss, denn vieles, was Clopotar macht, braucht Abertausende Schläge, um zu dem zu werden, was er selbst als gelungen und damit fertig betrachtet. Die im Laufe der Zeit entstandenen Kollektionen haben in den vergangenen Jahren auf internationalen Messen in Paris, Mailand oder New York für Furore gesorgt. Dass Objekte eines Handwerkers aus Brateiu in Rumänien in den großen Metropolen gefeiert werden, macht ihn stolz – und selbstbewusst.

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