Wahrheit herstellen
„Wenn wir Wahrheit wollen, müssen wir sie erschaffen. Wir müssen sie herstellen.“ TIMOTH Y S N Y DE R Zitat aus dem Interview, das Boris Marte, CEO der ERSTE Stiftung, mit Timothy Snyder, Professor für Geschichte an der Universität Yale, im Februar 2021 im Rahmen der Videoserie The Call führte. Auszüge aus dem Gespräch finden Sie in diesem Geschäftsbericht ab Seite 12.
Das gesamte Video „Für ein moralisches Bekenntnis zur Faktizität“ – The Call mit Timothy Snyder – ist auf tippingpoint.net zu sehen: bit.ly/377itrd
Inhalt Produktiv sein und handeln
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Wahrheit ist Arbeit
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ERSTE Stiftung: Zwei wichtige Aufgaben
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Arbeiten an Gegenwart und Zukunft Für ein moralisches Bekenntnis zur Faktizität
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Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen
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Von der Krise zur Chance
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Finanzielle Gesundheit für alle #WissenMachtSicher
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Was Social Banking kann
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Zweite Sparkasse: Seit 15 Jahren eine Bank wie keine andere
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Unterstützer:innen unterstützen Eva Höltl: „Wir müssen Forschung so erklären, dass sie uns allen dient“
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co/rizom: Schlag auf Schlag
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Ein demokratisches Europa bewahren Der Balkan als Bewährungsprobe für ein geopolitisches Europa
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Europe’s Futures-Stipendiat:innen 2020/2021
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Kein Mensch ist eine Insel …
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Zehn Denkanstöße zur Förderung unabhängiger Medien
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Freiräume für zeitgenössische Kultur Bratislava – Wien: Eine asynchrone Nachbarschaft
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„Wir wollen Lernen in ein Abenteuer verwandeln“
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ERSTE Stiftung Netzwerk Was war 2021 los?
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The Call, Talk Europe!
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ERSTE Stiftung Bibliothek
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Jahresabschluss 2021
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Anhang zum Jahresabschluss 2021
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Lagebericht 2021
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Mitglieder des Vereins „DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung“
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Gremien und Team
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Impressum
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Foto: Peter M. Mayr
Produktiv sein und handeln Wenn Sie diese Zeilen lesen, haben wir – was Covid betrifft – das Gröbste hoffentlich hinter uns. Doch auch wenn sich die Covid-19-Pandemie demnächst zur weniger bedrohlichen Endemie wandeln sollte, wird sie für viele noch nicht zu Ende sein. „It’s not over till it’s over“ gilt hier nicht. Denn die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Beherrschung, so nötig sie waren, haben ihre Spuren hinterlassen. Sie haben Lebensgrundlagen bedroht, die physische und die psychische Gesundheit nicht nur akut, sondern auch längerfristig angegriffen, die öffentliche Debatte polarisiert, Bildungschancen gemindert, und sie werden uns alle bei der Rückführung der aufgenommenen Schulden noch lange beschäftigen. Die Politik befindet sich noch immer in einer Art Ausnahmezustand. Auch die globale Wirtschaft muss ihre Strukturen neu sortieren. Wir sind jetzt mit Lieferkettenproblemen konfrontiert, mit branchenübergreifender Personalknappheit, explodierenden Energiepreisen und einer aus all dem resultierenden starken Inflation. Und die Geopolitik fährt nicht nur in der Ukraine große Geschütze auf und hat damit auch in Europa wieder klar Stellung bezogen.
zeit entwickelte wirksame Impfstoffe war, so groß war unsere Ernüchterung zum Jahresende, dass der von der Wissenschaft empfohlene Weg aus der Pandemie durch Impfung von einem kleinen, aber lauten Teil der Bevölkerung in vielen Ländern nicht mitgetragen wurde. Angst und Zuversicht standen sich wütend gegenüber. Als wäre das alles nicht genug, haben uns große wetterbedingte Katastrophen 2021 wieder einmal deutlich gemacht, dass wir uns noch konsequenter mit der Klimakrise befassen müssen.
Die Pandemie hat uns wie unter dem Brennglas gezeigt, was mit Gesellschaften passiert, die sehr abrupt durch große Krisen erschüttert werden. So groß unsere Freude Anfang 2021 über in Rekord-
Um Wissenschaft zu stärken, investieren wir vermehrt in Forschung. So wollen wir die Kernkompetenz der Stiftung im Bereich „Finanzielle Gesundheit für alle“ erweitern. Eine auf drei Jahre
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In den vergangenen Jahren sind grundlegende gesellschaftliche, technologische, politische und ökologische Parameter verschoben worden und so viel Selbstverständliches – das Vertrauen in die Wissenschaft, in den Frieden in Europa, in eine sichere Zukunft – ging verloren. Die Größe der Aufgabe, die Wucht dieser Transformation verlangt nach radikalen Ansätzen. Genau hier greift aber der Zweck der ERSTE Stiftung. Es ist uns schon früher gelungen, aus den Themen der Zeit, gemeinsam mit unseren Netzwerken, die richtigen Antworten zu geben. Und so war 2021 aus unserer Sicht eines der produktivsten Jahre seit Langem.
angelegte große Studie zum Thema finanzielles Wohlergehen in Mittel- und Osteuropa entsteht im Rahmen einer Forschungskooperation mit der Universität Tartu (Estland). Schon vor 15 Jahren haben wir mit der Zweite Sparkasse eine Bank für Menschen in finanziell schwieriger Lage gegründet (siehe Seite 52) und vor fünf Jahren haben wir den Erste Financial Life Park (FLiP) eröffnet (siehe Seite 38), um das fehlende Wissen über Geld bei Jugendlichen anzugehen. Beide Projekte sind sehr gut angenommen worden und haben zu Veränderungen in der Gesellschaft geführt. Die Idee der Zweite Sparkasse hat die EU-Kommission sogar als Vorbild für eine gesetzliche Regelung aufgenommen, die allen Bürger:innen einen Zugang zu einem Konto ermöglicht. Warum wir uns so stark mit der Finanzbildung beschäftigen? Weil die finanzielle Gesundheit aller entscheidend ist, um mit kommenden Krisen gut umgehen zu können. Vergangenes Jahr hat die von uns mitgegründete Stiftung für Wirtschaftsbildung mit ihrer Arbeit begonnen. Sie wird Wirtschafts- und Finanzbildung in die Schulen bringen. Dass das Thema Finanzbildung in Österreich inzwischen sogar im Finanzministerium angekommen ist, zeigt, dass unsere bisherigen Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung Wirkung zeigen. Um die derzeitigen geopolitischen Verschiebungen besser zu verstehen, denken im Europe’s Futures Fellowship, einer Kooperation mit dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen, die besten Köpfe darüber nach, wie sich eine souveräne Europäische Union heute behaupten und einen Beitrag zum Dialog zwischen Ost und West und zur positiven Entwicklung der Regionen in Mittelund Osteuropa leisten kann. Unser eigenes Lab Two Next, mit dem wir digitale Innovationskompetenz für drängende soziale Fragen schaffen, hat 2021 zwei Themen bearbeitet, die in postpandemischen Zeiten noch wichtiger geworden sind: die Unterstützung pflegender Angehöriger und Finanzinklusion. Wir müssen dringend regenerative Wirtschaftsund Gesellschaftsmodelle bauen, die auch zukünftigen Generationen ein (besseres) Leben im Einklang mit der Natur ermöglichen. Gerade Stiftungen können sich Mut zum Risiko leisten und weit nach vorne schauen, sie können innovativ sein, flexibel reagieren und sich ihre Aufgaben nach der Dringlichkeit der anzugehenden Probleme suchen. Es ist ein Gebot der Stunde, dass wir alle an einem Strang ziehen und neue Allianzen
schmieden. Deshalb haben wir auf dem größten Treffen der europäischen Stiftungen im Oktober 2021 in Wien drei Tage lang darüber nachgedacht, was wir in den Bereichen Klima, Demokratie, Gesellschaft und Philanthropie als Nächstes tun müssen. Die Energie, der Wille zum Handeln und die Möglichkeiten dazu waren konkret spürbar. Neues Vorstandsteam So, wie das Jahr 2021 für die Inhalte der ERSTE Stiftung wichtig war, so war es auch ein wichtiges Jahr für unsere Governance. In der zweiten Jahreshälfte wurde der Vorstand erweitert und gestärkt. Mario Catasta, bei dem ich mich sehr herzlich für alles, was er in seinem Leben für die Erste Group und die ERSTE Stiftung geleistet hat, bedanke, und Franz Portisch, der die Entwicklung der ERSTE Stiftung in verschiedenen Funktionen von Beginn an begleitet hat, wechselten vom Vorstand in den Aufsichtsrat der Stiftung. Zum neuen CEO hat der Aufsichtsrat den bisherigen Stellvertreter Boris Marte bestellt. Ihm zur Seite stehen neben Eva Höltl, die dem Vorstand seit 2020 angehört, nun Wolfgang Schopf, der die Aufgabe des Chief Financial Officers (CFO) übernommen hat, sowie Martin Wohlmuth, seit 2016 Executive Director und Leiter des Bereichs Finanzen und Organisation, der das neue, nun vierköpfige Leitungsteam komplettiert. Er führt u. a. die Aufgaben der Stiftung als Koordinatorin des Syndikats der Kernaktionäre im Vorstand der ERSTE Stiftung als COO fort. Ich danke außerdem sämtlichen Mitarbeiter:innen ausdrücklich für die in diesem wiederum herausfordernden Jahr geleistete Arbeit und wünsche Ihnen und uns allen Gesundheit, Tatkraft und Erfolg für die kommenden Herausforderungen.
Andreas Treichl Chairman
Mitglieder des Aufsichtsrats Andreas Treichl (Chairman) Bettina Breiteneder Mario Catasta Maximilian Hardegg Barbara Pichler Franz Portisch Johanna Rachinger Philipp Thurn und Taxis Markus Trauttmansdorff Manfred Wimmer Kurt Zangerle 5
Der Vorstand der ERSTE Stiftung: Boris Marte (CEO), Eva Höltl, Martin Wohlmuth, Wolfgang Schopf (stv. CEO), Foto: Peter M. Mayr
Wahrheit ist Arbeit Das Motto unseres Geschäftsberichts 2021 lautet „Wahrheit herstellen“. Wer jetzt kritisch die Augenbrauen hebt, hat ein gutes Gespür für Sprache. Denn tatsächlich klingt diese Feststellung – die wir sogar als Imperativ, als Aufforderung mit einem unsichtbaren Ausrufezeichen gelesen wissen wollen! – ein bisschen wie „alternative Fakten fabrizieren“. „Wahrheit herstellen“ klingt nach dem Gegenteil dessen, was die Aussage behauptet: nach der Suche nach einer „anderen“ Wahrheit, nach Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen und fundierten Nachrichten, die laut zu äußern inzwischen immer mehr Menschen ein Bedürfnis ist. Ein leises Misstrauen gab es bei einer kleinen Minderheit schon lange. „Die Wahrheit“ im Singular scheint schon vor Jahren ins andere Lager gewechselt zu sein. Bei Anhängern des Dekon struktivismus steht sie ohnehin in einem Generalverdacht, den man früher „Herrschaftswissen“ nannte.
Er hält dagegen, dass das 21. Jahrhundert gezeigt habe, dass Demokratien nur dann funktionieren können, wenn die öffentliche Diskussion auf der Basis von Fakten geführt wird. Faktizität, eine von allen akzeptierte Wahrheit, fällt aber nicht vom Himmel. Sie muss – genau – in manchmal mühevoller Weise hergestellt werden. Wissenschaftlerinnen müssen ungehindert experimentieren und publizieren können, Journalisten recherchieren und kommunizieren; Lehrer sollten gesichertes Wissen unterrichten, Künstlerinnen alte Gewissheiten hinterfragen können, sie sollten Orte haben, um zu denken, zu gestalten, zu performen. Wir brauchen heute mehr denn je Ökonominnen und Ökologen, die im Feld und in der Bibliothek forschen können, Unternehmerinnen, die Innovationen zum Wohl der Gesellschaft entwickeln. Philosophen und ITlerinnen werden künstlicher Intelligenz gemeinsam gut begründete Anweisungen für richtiges oder falsches Handeln geben müssen.
Der amerikanische Historiker Timothy Snyder hat uns im vergangenen Jahr in einem ausführlichen Gespräch erklärt, dass das nicht stimmt (siehe Seite 12). Er widerspricht der postmodernen Ansicht „aus dem 20. Jahrhundert“, dass es Wahrheit nur im Plural geben könne, weil das aus seiner Sicht zur Auflösung jeglicher Gemeinschaft und zu Vereinzelung führe und damit alle schutzlos den Übergriffen ungezügelter Macht ausgeliefert seien.
Stiftungen wiederum können das H erstellen von Fakten, von Grundlagenwissen, von Übereinkünften zu richtigen Entscheidungen, von geschützten Räumen, von Kunst, von Wahrheit ermöglichen und fördern. Deshalb gibt es uns. Nichts beschreibt, erklärt, vermittelt und hinterfragt sich von selbst. Wahrheit herzustellen ist übrigens viel schwieriger, als kurzerhand das Blaue vom Himmel herunterzuerfinden. Fakten müssen
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Wahrheit ist Arbeit lautete der Titel einer Ausstellung im Museum Folkwang in Essen im Jahr 1984, die die Künstler Werner Büttner, Martin Kippenberger und Albert Oehlen gestalteten.
belegt, Behauptungen bewiesen werden. Das ist Arbeit. Oftmals sind Zusammenhänge komplex, Lösungen für die Zukunft nicht leicht zu finden. Deshalb hat die ERSTE Stiftung zum Beispiel ein Start-up wie Two Next gegründet, um jenen gemeinnützigen Organisationen den Zugang zu Lernerfahrungen zu ermöglichen, die digitale Produkte und Services anbieten wollen. Seit 2021 konzentriert sich Two Next besonders auf die Bereiche Pflege und pflegende Angehörige sowie finanzielle Inklusion. Eine Konferenz zum Thema pflegende Angehörige fand zu Jahresbeginn 2022 statt, eine digitale Lösung für diese Zielgruppe ist in Vorbereitung. Daran wird noch gearbeitet, deshalb mehr dazu in einem Jahr. Diverse, inklusive und möglichst unterschiedliche Aspekte berücksichtigende Lösungen, sozusagen besonders robuste Wahrheit, entstehen im Austausch mit sehr vielen anderen, durch kontroverse Debatten und in Kooperationen. Deshalb bauen wir mit unseren Partnerorganisationen stabile Netzwerke, die sich gegenseitig inspirieren und stützen können. Ein großes Glück war daher die Zeit vom 18. bis 20. Oktober 2021, als wir endlich, nach eineinhalb Jahren pandemiebedingter Verzögerung, unsere europäischen Stiftungskolleg:innen bei uns als Gäste begrüßen durften. Das European Foundation Centre hielt seine erste (und – aufgrund eines wenig später erfolgten Zusammenschlusses mit Dafne, dem Dachverband der nationalen europäischen Stiftungsverbände, zu Philea – auch insgesamt letzte) Jahreskonferenz in Wien ab. Nach über zwei Jahren, in denen das wichtigste Kommunikationsmittel auch zwischen Stiftungen der Videocall war, konnten wir uns endlich wieder spüren und gemeinsam mit großartigen Redner:innen und 400 mehrfach geimpften und getesteten Teilnehmern ein Gefühl des Aufbruchs erleben. Einen Rückblick auf diese in jeder Hinsicht wunderbare und bereichernde Veranstaltung zu den wichtigen Themen Klima, Gesellschaft, Demokratie und Phi lanthropie lesen Sie ab Seite 26. Eine spannende Erkenntnis aus vielen Konferenzgesprächen war aus unserer Sicht, dass praktisch
alle Stiftungen derzeit in großen Umbrüchen stecken. Die Pandemie und ihre enormen Auswirkungen auf Individuen, Gesellschaft und Politik, aber ebenso das geschärfte Bewusstsein, was für eine Herausforderung es bedeutet, eine CO2-neutrale Zukunft schnellstmöglich herbeizuführen, wirken sich natürlich auch auf den Philanthropiesektor aus. Weil wir Innovation als Aufgabe für die Zukunft begreifen, haben auch wir einen internen Strategieprozess begonnen. Die ERSTE Stiftung, Hauptaktionärin der Erste Group, hat eine besondere Bedeutung für die Ausrichtung ihrer Bank und die gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit. Wir müssen umsetzbare Ideen und Lösungen entwickeln und Prozesse starten, die uns alle gemeinsam in eine gute Zukunft führen. Dafür wollen wir die historische Kernbotschaft der ERSTE Stiftung neu definieren und gleichzeitig unsere Programmatik anpassen wie auch neue Handlungsfelder entwickeln. Angesichts dramatischer gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, technologischer und ökologischer Einschnitte wollen wir die Rolle der ERSTE Stiftung in der Zivilgesellschaft und gleichzeitig ihre Rolle als Haupteigentümerin der Erste Group neu denken. Nur wenn es uns in dieser Doppelrolle gelingt, eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, entsprechen wir auch zukünftig dem Gründungsgedanken der Stiftung. Mehr dazu ab Seite 19. Als Stiftung, die über das Gedeihen einer über 200 Jahre alten Bank wacht, stehen wir außerdem fest hinter folgender Botschaft: 1 + 1 = 2! An den großen Gleichungen für ein gutes Leben künftiger Generationen müssen wir noch weiter arbeiten. Viel arbeiten. Aber die Gesetze der Mathematik und viele andere Methoden, die Welt zu lesen, zu verstehen und dann für alle besser zu machen, kennen wir. Es liegt an uns, die besten Lösungen zu finden.
Boris Marte CEO
Wolfgang Schopf stv. CEO
Eva Höltl Vorstandsmitglied
Martin Wohlmuth Vorstandsmitglied 7
ERSTE Stiftung: Zwei wichtige Aufgaben Die ERSTE Stiftung ist eine Sparkassen-Privatstiftung gemäß österreichischem Sparkassengesetz. Entsprechend ihrer Stiftungserklärung hat sie gleichzeitig zwei Funktionen zu erfüllen: dem Gemeinwohl zu dienen und eine dauerhafte Beteiligung an der Erste Group Bank AG zu halten. Wiederaufnahme der Dividendenzahlung durch die Erste Group Um dem Gemeinwohl zu dienen, soll die ERSTE Stiftung Teile ihrer Dividende aus der Beteiligung an der Erste Group Bank AG („Erste Group“) in gemeinnützige Projekte investieren. Die Höhe der Dividende wird jährlich vom Vorstand der Erste Group vorgeschlagen und von der Hauptversammlung der Aktionär:innen beschlossen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat 2020 eine Empfehlung für die Europäischen Banken ausgesprochen, aufgrund der zu erwartenden Belastungen des Finanzsektors durch die Covid-19-Krise bis zum Herbst 2021 eine begrenzte Dividende auszuschütten. Aus diesem Grund wurde im Mai 2021 eine Dividende von lediglich EUR 0,50/Aktie ausgeschüttet. Nach Auslaufen der Empfehlung der EZB hat die Erste Group eine außerordentliche Hauptversammlung abgehalten, in der eine Nachtragsdividende von zusätzlich EUR 1,00/Aktie für das Geschäftsjahr 2020 beschlossen wurde. Mit der erhaltenen Dividende wurden einerseits der laufende Betrieb sowie die Zuwendungen der ERSTE Stiftung finanziert. Andererseits wurde ein Kredit in Höhe von EUR 20 Mio., der im Jahr 2020 aufgenommen wurde, zurückgeführt. Änderungen in der Beteiligungsstruktur der Erste Group Gemäß Stiftungserklärung soll die ERSTE Stiftung dauerhaft und qualifiziert an der Erste Group beteiligt sein. In dieser Rolle wurde die ERSTE Stiftung durch Unterzeichnung mehrerer Syndikatsverträge mit anderen Aktionären gestärkt. Diese Gruppe von Aktionären unter der Führung der ERSTE Stiftung besteht aus der überwiegenden Anzahl der österreichischen Sparkassen, zahlreichen Sparkassenstiftungen und Anteilsverwaltungssparkassen (zusammen die „Sparkassengruppe“) und dem Mehrheitsaktionär, der Vienna Insurance Group, Wiener Städtische Wechselseitiger Versicherungsverein – Vermögensverwaltung („VIG“), und der CaixaBank S. A. Letztere hat ihren Anteil an der Erste Group in Höhe von 9,9 % im November 2021 in den Markt verkauft, wobei die VIG 1 %-Punkt erworben hat. D ie Syndikatsvereinbarung mit der 8
CaixaBank S. A. ist somit ausgelaufen. Das verbliebene Syndikat hält zum Jahresende 2021 nunmehr 21,9 % des Grundkapitals der Erste Group. Damit kann sich eine der größten Retail-Banken Zentralund Osteuropas auch weiterhin auf eine solide und stabile Eigentümerstruktur stützen. Durch die Vereinbarungen des Syndikats ist die ERSTE Stiftung berechtigt, das Stimmverhalten der Vertragspartner bei Aufsichtsratswahlen zu bestimmen. Die Sparkassengruppe, die gemeinsam einen syndizierten Anteil von rund 6,4 % hält, hat das Recht, ein Mitglied des Aufsichtsrats der Erste Group Bank AG zu nominieren. Die ERSTE Stiftung hat in der Vergangenheit die Erste Group bei ihren regionalen und überregionalen Investitionen unterstützt und dafür wiederholt an Kapitalerhöhungen der Erste Group teilgenommen. Dafür wurden Verbindlichkeiten aufgenommen. Zum Jahresende 2021 beträgt der Schuldenstand der ERSTE Stiftung EUR 200 Mio. Die wirtschaftliche Beteiligung der ERSTE S tiftung an der Erste Group Bank AG liegt n unmehr bei 11,25 %. Erste Group-Aktie Die Aktie der Erste Group verzeichnete im abgelaufenen Jahr einen Kurszuwachs von 65,8 %, nachdem sie im Vorjahr mehr als ein Viertel ihres Kurswertes eingebüßt hatte. Mit dieser Entwicklung erzielte die Aktie den zweitstärksten Anstieg in ihrer Kurshistorie seit 1997 – im Jahr 2012 lag dieser bei 76,8 %. Der Aktienkurs stieg von EUR 24,94 zum Jahresende 2020 auf einen Schlusskurs zum Ultimo 2021 von EUR 41,35. Der Tiefstkurs lag am 5. Jänner 2021 bei EUR 24,80, der Höchstkurs wurde am 11. November bei EUR 41,95 erreicht. Ausschlaggebend für diese Entwicklung waren – abgesehen vom Anstieg der Bankaktien im Allgemeinen – die über dem Konsensus liegenden operativen Ergebnisse, eine deutlich bessere Entwicklung der Kreditqualität und der Risikovorsorgen als zu Beginn der Krise erwartet sowie verbesserte Konjunkturaussichten in den Kernmärkten Zentral- und Osteuropas. Die Rückkehr zu einer progressiven Dividendenpolitik wurde von den Marktteilnehmern ebenfalls positiv aufgenommen.
Projektumsetzungen und Förderungen 2021 71 umgesetzte oder unterstützte Projekte
Aktionärsstruktur zum 31. Dezember 2021 nach Investor:innen (in %) Ausgegebene Aktien: 429.800.000
Sparkassen und Sparkassenstiftungen* ERSTE Stiftung* identifizierte Handelspositionen
11 %
6%
1%
Wiener Städtische Wechselseitiger Versicherungsverein*
Zuwendungen an Projektpartner EUR 5,7 Mio.
Mitarbeiter:innen* 4%
1% 5%
Private Investor:innen Österreich
Gesamtsumme: EUR 8 Mio.
72 %
Gründungsfinanzierungen* EUR 1,9 Mio.
institutionelle und private Investor:innen international
direkte Projektaufwendungen EUR 0,4 Mio.
* Die ERSTE Stiftung kontrolliert insgesamt 21,9 % der Aktien hinsichtlich der Stimmrechte bei Aufsichtsratswahlen der Erste Group Bank AG (inklusive 10,7 % aus den Anteilen der Sparkassen und SparkassenPrivatstiftungen sowie des Wiener Städtische Wechselseitiger Versicherungsverein und der Erste Mitarbeiterbeteiligung Privatstiftung) und ist mit 11,25 % wirtschaftlich an der Erste Group Bank AG beteiligt.
* Die Gründungsfinanzierung erhielten die Two Next GmbH und die Erste Social Finance GmbH.
Kursverlauf der Erste Group-Aktie und wichtiger Indizes (indexiert) Erste Group-Aktie Austrian Traded Index (ATX) DJ Euro Stoxx Banks
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1. 1. 2021
31. 12. 2021
Arbeiten an Gegenwart und Zukunft
Für ein moralisches Bekenntnis zur Faktizität Boris Marte, CEO der ERSTE Stiftung, im Gespräch mit dem Historiker Timothy Snyder
Im Rahmen der Videoreihe The Call (siehe auch Seite 122) diskutierte im vergangenen Jahr ERSTE Stiftung-CEO Boris Marte mit dem bekannten Historiker Timothy Snyder über „Trumpismus“, semi-autoritäre Regime, die Grenzen der digitalen Welt, die Macht neuer Medien und nicht zuletzt über die Notwendigkeit eines moralischen Bekenntnisses zur Wahrheit im 21. Jahrhundert. Der Professor für Geschichte an der Universität Yale und Autor der Bücher Die amerikanische Krankheit, Über Tyrannei, Der Weg in die Unfreiheit, Black Earth und Bloodlands erhielt für sein Werk den Literaturpreis der American Academy of Arts and Letters, den Hannah-ArendtPreis für politisches Denken und den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Am 8. Mai 2019 hielt er auf Einladung der ERSTE Stiftung im Rahmen der Wiener Festwochen eine viel beachtete „Rede an Europa“ auf dem Wiener Judenplatz. Im Folgenden lesen Sie Auszüge aus dem Gespräch, das erstmals am 11. März 2021 in Tipping Point, dem Onlinemagazin der ERSTE Stiftung, veröffentlicht wurde.
Zelte von Migrant:innen hinter dem Stacheldrahtzaun der belarussisch-polnischen Grenze in der Nähe des Dorfes Usnarz Gorny, wo sie am 25. Jänner 2022 zwischen den Stellungen des polnischen und des belarussischen Militärs festsaßen. Tausende von Migrant:innen versuchten 2021 die belarussisch-polnische Grenze zu überqueren. Der Westen machte das belarussische Regime für die Situation verantwortlich, das Menschen aus dem Nahen Osten und Afghanistan eine einfache Einreise in die EU in Aussicht stellte. Foto: Wojtek Radwanski/AFP/picturedesk.com
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Boris Marte: Tim, Sie müssen zurzeit sehr zufrieden sein, da ja quasi täglich Geschichte passiert. Was bedeutet das für Ihre Arbeit als Historiker? Wie kann uns Geschichte zu einer besseren Zukunft führen? Timothy Snyder: Das ist eine wichtige und gute Frage, Boris, weil sie wertschätzend ist. Aber aus der Sicht eines praktizierenden Historikers oder einer praktizierenden Historikerin fühlt sich unsere Realität gar nicht so an. Wir haben nicht den Eindruck, dass die Menschen sich für die Geisteswissenschaften oder für Geschichte interessieren. Im Gegenteil. Eine Ironie unserer Zeit, des frühen 21. Jahrhunderts, ist, dass wir Geschichte dringend brauchen, damit sie uns erklärt, was gerade geschieht. Dennoch wird sie im Allgemeinen ignoriert. Ich höre immer wieder: Ist dieser Vergleich wirklich angebracht? Kann man wirklich diese Analogie herstellen? Diese Reaktionen sind ein Zeichen dafür, dass die Menschen es vermeiden, über die Vergangenheit nachzudenken, weil sie glauben, die Gegenwart sei außergewöhnlich und so etwas wie jetzt hätte sich noch nie zuvor zugetragen. Das Problem an dieser Einstellung ist, dass sie alles zulässt. Sie entmachtet alle, denn wenn alles neu und anders ist, bedeutet das, dass wer immer gerade an der Macht ist, alles machen kann, was er oder sie möchte, ohne eine Diskussion, ohne Angabe von Gründen, ohne dass jemand innehält und nachdenkt. Historiker:innen sagen: „Nein, das ist nichts völlig Neues. Nichts ist jemals völlig neu. Alles hat eine Ähnlichkeit mit etwas anderem. Alles entsteht aus etwas anderem.“ Und wenn wir einmal kurz durchatmen und über plausible Parallelen und einige Zusammenhänge nachdenken, erkennen wir, was wir übersehen. Diese angeblich schockierende und 14
neuartige Gegenwart, die eine unverzügliche Reaktion von denen zu erfordern scheint, die Macht ausüben, sieht plötzlich anders aus. Ab dem Moment, wo sie anders aussieht, gewinnen wir an Bodenhaftung und können aktiv werden. So kann Geschichte von Nutzen sein. Aber wie können die Menschen in einer Demokratie durch eine kollektive Debatte lernen? Wie können wir sicherstellen, dass dieses Wissen Teil der öffentlichen Debatte ist, damit die Demokratie in unserer Zeit funktioniert? Es ist die Erkenntnis des 21. Jahrhunderts, dass wir ein echtes Bekenntnis zu Fakten brauchen. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts vertraten viele Leute, die sich für Befürworter:innen der Demokratie und der Menschenrechte hielten, die Meinung, dass wir uns nicht auf eine einzige Wahrheit festlegen müssen, dass es eigentlich keine Wahrheit gibt. Und dass es Teil unserer individuellen Subjektivität, also dessen, was wir beschützen wollen, ist, dass jede und jeder die Welt anders wahrnimmt. Wer bestimmt also, was Wahrheit ist? Es stellte sich aber heraus, dass diese Einstellung zutiefst entmachtend ist. Wenn es keine Wahrheit gibt, die wir anstreben, wenn für jeden einzelnen Menschen nur seine oder ihre eigenen Ansichten zählen, bleibt am Ende nur Geld und Macht übrig, womit man sich groß in Szene setzt und die Menschen schnell überzeugt und dann einfach zum nächsten Ziel weiterzieht. Um die Menschen wieder zu ermächtigen, muss man ihnen sagen, dass es tatsächlich eine reale Welt gibt. Und in dieser realen Welt können sie sich gegenüber anderen Menschen, gegenüber Institutionen und Regierungen behaupten. In einer Fake-Welt kann
„Um die Menschen wieder zu ermächtigen, muss man ihnen sagen, dass es tatsächlich eine reale Welt gibt.“
man sich nicht gegen Regierungen, Konzerne und die Mächtigen wehren. Es muss also ein echtes Bekenntnis und die entsprechenden Institutionen geben. Wir müssen klarstellen, dass Fakten nicht einfach da sind. Das ist auch eine Erkenntnis des 21. Jahrhunderts. Wir möchten gerne glauben, dass ein freier Markt und der normale Austausch zwischen Menschen die Fakten automatisch an die Oberfläche bringen. Dem ist aber nicht so. Wenn wir die Wahrheit wollen, müssen wir sie erschaffen. Wir müssen sie herstellen. Wir sehen die wichtigen Wahrheiten nicht, die Dinge, die jeden Tag um uns herum passieren, womit wir wieder bei Ihrer ersten Frage wären. Die Umweltverschmutzung, Ungleichheiten oder auch die neue Pandemie, über die die amerikanischen Zeitungen nicht berichten, weil es keine Zeitungen mehr gibt. Darüber brauchen wir Fakten und diese Fakten müssen produziert werden, sie sind nicht einfach da. Wir brauchen Leute, die diese Fakten produzieren, Journalist:innen vor Ort, die dafür bezahlt werden, diesen Job zu machen. Aber in Russland und auch in meiner Heimat verschwindet dieser Job allmählich, und wenn das passiert, verschwinden die Fakten und damit auch das Vertrauen in Fakten. Dann befinden wir uns in einer seltsamen quasi-autoritären Situation, wo alles erlaubt ist. Es muss also ein moralisches Bekenntnis zu Fakten geben, egal ob links, rechts oder in der Mitte. Und wir müssen alles tun, um die entsprechenden Institutionen zu schützen, wie etwa Journalist:innen lokaler Medien, die Tag für Tag Fakten schaffen.
Als Donald Trump auf Twitter gesperrt wurde, war das ein Schock. Der Vorfall machte deutlich, wie sehr unsere Demokratien heute von einer Handvoll Kanälen abhängig sind, durch die sie die Menschen erreichen. Andere Kanäle existieren nicht mehr. Wo führt das noch hin? Da sind wir wieder bei Ihrer ersten Frage zum Nutzen von Geschichte. Geschichte hilft uns genau in diesen Fragen. Sie hilft uns dabei, über neue Medien zu reflektieren. Neue Medien waren schon immer etwas Weltbewegendes. Nach der Erfindung des Buchdrucks verlor Europa rund ein Drittel seiner Bevölkerung in Religionskriegen, bis der Buchdruck sich etabliert hatte und die Fragen sich um Urheberschaft und V erifizierbarkeit d rehten. Das Radio wurde von den Nazis eingesetzt, da sie früh die Möglichkeit erkannten, dieselbe Nachricht zeitgleich in alle Haushalte zu senden.
Wir leben in Zeiten, in denen große Technologiekonzerne dominieren und die Demokratie stark von diesen Tech-Konzernen abhängig ist. 15
„Statt Menschen auf der Suche nach Wahrheit zu sein, werden wir selbst zu Suchobjekten.“
Dasselbe gilt jetzt für das Internet. Wir brauchen nicht zu denken, wir würden dieses Hightech-Medium vernünftiger nützen. Nichts in der Geschichte rechtfertigt diese Annahme. Vielmehr zeigt uns die Geschichte, dass jedes neue, mächtige Medium von Menschen lange Zeit dazu missbraucht wurde, damit verrückte Sachen anzustellen. Das trifft genauso auf das Internet zu. Es ist wie eine neue Droge, die wir erst seit einer halben Stunde kennen und mit der wir noch experimentieren. Die Geschichte sagt uns: Diesmal haben wir keine 150 Jahre Zeit. Wir können es uns nicht leisten, noch mal 150 Jahre Religionskriege zu führen. Wir müssen in den nächsten Jahren eine Lösung finden. Die Geschichte lehrt uns auch, dass um jedes neue Medium schlussendlich ein regulierendes System entsteht. Dieses ganze Gerede, dass das Internet nicht regulierbar sei, dass es den Gesetzen des Marktes, der Freiheit folgen müsse, das stimmt einfach nicht. Jedes neue Medium hat zwangsläufig irgendwann seine eigenen Regeln. Die Frage ist nur, welche Regeln wir haben möchten. Ich habe kein Problem damit, wenn Twitter und Facebook Trump nur donnerstags freischalten oder ihn komplett sperren. Das ist keine Frage der Moral. Die Frage ist vielmehr, warum so wenige Medien so viel Macht besitzen. Es geht in Wahrheit nicht um unseren Zugang zu Information, sondern eher um deren Zugriff auf uns. Ob wir einen Tweet von Trump sehen oder nicht, hängt davon ab, was diese Firmen von uns zu wissen glauben. Und das bereitet mir Sorgen. 16
Statt Menschen auf der Suche nach Wahrheit zu sein, werden wir selbst zu Suchobjekten. Meiner Meinung nach ist es egal, ob Trump auf Twitter ist oder nicht. Es ist natürlich besser, wenn er es nicht ist. Aber es geht darum, dass diese Unternehmen so viel zentralisierte Macht darüber haben, was wir zu sehen bekommen und was nicht. Manche europäischen Staaten fanden „Trumpismus“ toll, manche liebäugeln mit Putin und führen zu Hause ein semiautoritäres Regime. Die Europäische Union ist auch etwas unglaubwürdig geworden, weil diese Länder Mitglieder sind. Es ist schwierig, einem Land am südlichen Balkan zu erklären, dass es bestimmte Werte einhalten muss, wenn es der EU beitreten möchte, während einige Mitglieder diese Grundwerte, auf denen die EU aufgebaut wurde, nicht einhalten. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Es gibt gerade eine günstige Gelegenheit für eine Debatte zwischen einigen europäischen Staaten und der neuen amerikanischen Regierung, denn die Auslandspolitik der neuen amerikanischen Regierung baut auf Demokratie. Ungarn und Polen standen gewissermaßen unter dem Schutz der Trump-Regierung. Vor allem die Beziehung zwischen der ungarischen Regierung und der amerikanischen Regierung unter Trump war besonders innig, wobei Trumps Leute eher in der lernenden Position waren als in der lehrenden. Ich finde, einige europäische Staaten und die USA sollten jetzt Gespräche darüber führen, wie De-
mokratisierung gelingen kann. Ich stimme Ihnen zu: Es ist schade, dass die Demokratisierungsauflagen der EU nur dann gelten, wenn man der EU beitreten will. Sobald man drin ist, kann man im Prinzip machen, was man will. Schlaue Politiker wie Orbán haben herausgefunden, wie man diese Logik bis zum Äußersten ausreizen kann. Ich habe da keine klare Antwort, weil meiner Meinung nach politische Fragen in der EU wichtiger sein sollten als wirtschaftliche. Aber so funktioniert die EU derzeit nicht. Für die EU ist das eine existenzielle Frage. Sie sind vollkommen zu Recht besorgt, weil die EU aufgrund ihres Image weltweit eine gewisse Autorität ausstrahlt. Das trifft jedenfalls auf die Vereinigten Staaten zu und auf Belarus, die Ukraine und Russland. Man kann diese Art von Autorität nicht erlangen, man hat sie einfach. Wenn es aber, sagen wir, zwei oder drei autoritäre Regime innerhalb der EU gibt, wird sie diese Autorität bald einbüßen. Aber auch da bin ich nicht völlig pessimistisch. Nehmen wir Russland und Belarus als Beispiel. Die Revolutionsbewegungen dort sind hausgemacht. Die Ironie ist nun, dass Russland sich jahrelang bemüht hat, jegliche Art von demokratischem Widerstand in den postsowjetischen Staaten als Ergebnis von amerikanischer Einmischung darzustellen. Und dann kam Präsident Trump und gab ihnen auch noch recht. Er sagte: „Ja, das waren alles unsere Komplotte. Die Leute wollen doch keine Demokratie. Wir mischen uns jetzt nicht mehr ein. Und ich, Trump, finde dich, Putin, eigentlich ganz
toll. Ich finde, dein Regime ist großartig.“ Und genau zu dieser Zeit entstanden enorme prodemokratische Bewegungen in Belarus und Russland, die ein Beweis dafür sind, dass nicht alles ein Resultat von Machenschaften Amerikas oder der EU ist. Unser Ruf wiegt mehr als unsere Taten, weitaus mehr. Aber viel wichtiger ist: Die Menschen wollen tatsächlich Demokratie. Wir hatten schon recht, als wir über die Entwicklungen in den USA oder in Ungarn und Polen lamentiert haben. Aber auf der anderen Seite haben wir die Slowakei, Belarus und Russland. Dort sehen wir klar, dass trotz der Verbreitung von autoritären Regimen in den letzten 15 Jahren die Leute nach Demokratie verlangen. Die Menschen wollen gehört werden. Das ist wie ein Weckruf, denn ich sehe einen Teil des Problems der EU und der USA darin, dass wir etwas zynisch in Bezug auf Demokratie geworden sind. Wir glauben nicht mehr an uns und deshalb ist es ganz gut, diese frischen Stimmen von außen zu hören, die uns daran erinnern, dass Demokratie etwas ist, wofür man Opfer bringt, und nicht etwas Selbstverständliches.
Hier gehts zum Video auf tippingpoint.net bit.ly/377itrd
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Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen Mit dem WERKRAUM 21 eröffnete die ERSTE Stiftung 2021 einen anhaltenden Strategieprozess und machte sich auf die Suche nach außergewöhnlichen Lösungen in Zeiten großer Erschütterung.
Im Jahr 2006 nahm die ERSTE Stiftung im Zeichen der Biene, des historischen Wappentiers der Sparkassen, ihre Aktivitäten für das Gemeinwohl auf. Am 20. Mai 2018 riefen die Vereinten Nationen zum ersten Mal den „Internationalen Tag der Biene“ aus. Damit sollte die wichtige Rolle dieser Tiere für das Ökosystem und die Wirtschaft hervorgehoben werden. Diese Rolle ist auch uns klar. Wir wollen außerdem die besondere Bedeutung der ERSTE Stiftung, der Hauptaktionärin der Erste Group, für die Ausrichtung ihrer Bank und die gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit unterstreichen. Wir müssen umsetzbare Ideen und Lösungen entwickeln und Prozesse starten, die uns alle gemeinsam in eine gute Zukunft führen. Dieser Vision gaben wir ab März 2021 Zeit, Raum und einen Namen: WERKRAUM 21. Der WERKRAUM 21 ist eine Initiative der ERSTE Stiftung und der erste Schritt in einem tiefgreifenden Strategieprozess, der derzeit noch nicht abgeschlossen ist. Die Ergebnisse sollen ab Mitte 2022 vorliegen. Der WERKRAUM 21 ist sowohl ein digitaler als auch ein analoger Raum. Wir wollen die historische Kernbotschaft der ERSTE Stiftung neu definieren. Aber nicht nur das, die Biene soll auch in die Zukunft fliegen. Dazu müssen wir die Programmatik der ERSTE Stiftung anpassen und neue Handlungsfelder entwickeln. Angesichts der dramatischen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, technologischen und ökologischen Einschnitte geht es um die Rolle der ERSTE Stiftung in der Zivilgesellschaft und gleichzeitig um ihre Rolle als Haupteigentümerin der Erste Group. Nur wenn es in dieser Doppelrolle gelingt, eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, entsprechen wir auch zukünftig dem Gründungsgedanken der Stiftung. Der Blick und die Expertise von außen Der WERKRAUM 21 knüpfte ein neues kognitives Netzwerk und schuf innovative Räume der Zusammenarbeit. Eine Reihe internationaler Fachleute ging mit Workshops, Lesungen und Debatten auf die Fragen ein, die wir gestellt haben. Eng begleitet wurde dieser Prozess von einer Gruppe außergewöhnlicher Persönlichkeiten aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Innovation, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema beschäftigte. In einer ersten Serie von Lectures im Mai wurden vier Aspekte vertieft. Der Sozialwissenschaftler Wolfgang Lutz, Gründungsdirektor des Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital in Wien, sprach in einem Onlineforum vor anderen Expert:innen und Mitarbeiter:innen und Stakeholdern der ERSTE Stiftung über „The Socio-Demographic Future of CESEE in a Global Context“. Für den Umgang mit dem Klimawandel hielt er die Unterscheidung zwischen Risikominderung und Anpassung für entscheidend. Judy Dempsey, Europe’s Futures Fellow 2020/2021 (siehe auch Seite 88), lange Jahre Journalistin unter anderem der New York Times und der Financial Times, Senior Fellow bei Carnegie Europe und seit 2012 Chefredakteurin des Strategic Europe-Blogs, versuchte in ihrer Lecture die Frage zu beantworten: „Is the Future Fitness of the EU Dependent on the Future Fitness of CEE?“ Am Ende sieht sie das Problem, aber auch die Lösung in Geschichtsvergessenheit. „Wenn die Vergangenheit nicht Thema ist, ist es unmöglich, sich mit der Gegenwart oder der Zukunft zu befassen.“ 19
WERKRAUM 21, Offsite in Traunkirchen, Juni 2021, Fotos: Igor Bararon
Sehr konkret wurde Annamaria Lusardi, die weltweit führende Expertin im Bereich finanzieller Bildung. Sie ist Professorin für Wirtschaft und Rechnungswesen an der George-Washington-Universität und Gründerin sowie wissenschaftliche Direktorin des Global Financial Literacy Excellence Center (GFLEC). Finanzielle Gesundheit sei wie Wasser, fasste sie ihr Plädoyer „Walk the Talk: What Really Defines a Financial Health Company?“ für mehr Finanzbildung zusammen. Man brauche sie im System, damit dieses gedeihe. Sie verwendete eigentlich das Wort „erblühen“ (flourish) – das Summen der Biene schwang in ihren Ausführungen mit. Den Abschluss der Vortragsreihe bildete eine aktuelle Einordnung der Pandemie. Barbara Prainsack, die Professorin und Leiterin des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Wien, ist Mitglied der österreichischen Bioethikkommission und der Europäischen Gruppe für Ethik der Naturwissenschaften und der Neuen Technologien, die die Europäische Kommission berät. The Pandemic Within – Policy Making for a Better World lautete der Titel ihres aktuellen Buchs und der Präsentation, die zur Diskussion anregen sollte. Ihre Botschaft war so klar wie herausfordernd: „Es ist schwierig, die Welt zu verändern, weil unser Leben komplex und miteinander verwoben ist. Wir können die Umwelt nicht schützen, ohne die Art und Weise zu ändern, wie wir Geschäfte machen, wie wir arbeiten, wie die Regierung arbeitet.“ Nach den Lectures war der nächste Schritt eine intensive Vernetzung der weiteren Expert:innen in Workshops und Reflexionsgruppen. Die Ergebnisse flossen am Ende des Jahres in die nächste Stufe des Strategieprozesses ein, der im Jahr 2022 vorläufig abgeschlossen sein soll. Denn einen endgültigen Schlusspunkt hinter einen Anpassungsprozess werden uns die sich rasch verändernden Verhältnisse nicht erlauben. Eine Fortsetzung lesen Sie also im Geschäftsbericht 2022. 20
ERSTE Stiftung-CEO Boris Marte zum aktuellen Strategieprozess der ERSTE Stiftung und der diskursiven Atmosphäre im WERKRAUM 21:
„Wir haben sehr lange darüber nachgedacht, wie so ein Prozess heute stattfinden kann. Wie können wir Menschen in diesen Prozess integrieren, die sich nicht nur auf klassische Weise ‚einbringen‘, sondern derart angesprochen fühlen, dass sie sozusagen ihr Innerstes hergeben, dass wir eine Diskussion führen, die andere Tiefen und Dimensionen erreichen kann? Denn es steht ja heute das große Ganze auf dem Spiel. Wir müssen über unsere Haltung sprechen und wir müssen uns selbst – und ich rede hier von uns als Menschen, aber auch von uns als Organisation, von uns als Stiftung oder von uns als Bank – ins Spiel bringen. Die Stiftung muss ihren Platz in der Geschichte finden, damit sie sich an die neue Situation anpassen kann. Dieser Gedankenschritt muss stattfinden. Dann ist auch Utopisches möglich. Schließlich können wir nicht davon ausgehen, dass etwas tatsächlich unrealistisch ist, nur weil es heute als unrealistisch gilt. Wenn wir zwei, drei Generationen zurückdenken, dann ist der Zustand, in dem wir heute leben, aus der Vergangenheit betrachtet totale Utopie. Aber um den Wandel wirklich auf den Boden zu bringen, müssen wir uns darauf vorbereiten, durch das Tal der Transformation zu gehen. Mich interessiert im diskursiven Austausch mit den Expert:innen, dessen Formate sich im vergangenen Jahr immer wieder gewandelt haben: Haben wir verstanden, wie wir diese Transformation bewältigen? Sind wir richtig aufgestellt? Haben wir das Material? Haben wir strukturelle Entscheidungen getroffen? Haben wir die richtigen Menschen an Bord? Und können wir das durchtragen? Diese Strukturen müssen wir bauen. Heben wir der Biene die Flügel und lassen sie ins 21. Jahrhundert fliegen.“
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EXTERNE MITGLIEDER DER REFLEXIONSGRUPPE DES WERKRAUM 21
„Wir sind gefragt, einen ganzheitlich nachhaltigen Zugang zu finden: Wie können wir den Anforderungen einer wachsenden Bevölkerung auf einem Planeten mit limitierten Ressourcen gerecht werden, und zwar ökologisch, ökonomisch und spirituell?“
Charly Kleissner ist Pionier und Botschafter für wirkungsorientiertes Investieren. Der promovierte Informatiker ist Mitbegründer von Toniic, einem globalen Netzwerk von Impact-Investoren. Sein Ziel ist es, das Wirtschafts- und Finanzsystem so zu verändern, dass es der Menschheit und dem Planeten dient statt nur sich selbst. 1993 stieß Kleissner zu NeXT, wo er in enger Zusammenarbeit mit Steve Jobs das Betriebssystem OS X entwickelte, das heute noch auf AppleGeräten im Einsatz ist.
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„Gesundheit bedeutet: Balance finden. Die Stiftung achtet auf die Balance der Ziele: wirtschaftliche, soziale und ökologische. Balance ist aber auch wichtig zwischen Individuum und Gemeinschaft.“
Monika Hoffmann ist Mitbegründerin und Geschäftsführerin des Unternehmens viable, das Innovation-Consulting anbietet. Als Geschäftsführerin und TurnaroundManagerin war sie für ein Unternehmen mit 2 Mrd. Euro Umsatz tätig und baute ein Strategieentwicklungsteam für OMV auf. Zudem war sie mehrere Jahre lang als Management Consultant bei McKinsey & Company tätig. Die MBA-Absolventin der Harvard Business School begann ihre Karriere als Investmentbankerin.
„Wir können mit Bewegungen wie Fridays for Future nur bestehen, wenn ihre Organisation sich dezentralisiert: Flexibilität, Schnelligkeit und Anpassungsfähigkeit sind notwendig, weil so viel gleichzeitig passiert. Dafür muss ich zulassen, dass sich innerhalb einer Organisation kleine Bewegungen entwickeln können.“
Alois Flatz hat als Company-Builder und Venture-Investor mehr als 25 Jahre Erfahrung im Bereich Private Equity, Investment-Management und Nachhaltigkeit. Er ist Mitbegründer des Dow Jones Sustainability Index und fungierte als Berater für Al Gore und dessen Firma Generation Investment Management. Er hat mehrere Finanzdienstleister, die nachhaltige Investment-Strategien verfolgen, mitgegründet und aufgebaut.
„Findet den richtigen Zeitpunkt, etwas Eigenes aufzubauen und von anderen zu lernen. Seid mutig genug, einen anderen Weg einzuschlagen. Europa braucht eine solche Stiftung.“
Johanna Mair ist Professorin für Organization, Strategy and Leadership an der Hertie School in Berlin. Zudem ist sie Distinguished Fellow am Stanford Center on Philanthropy and Civil Society, Academic Editor des Stanford Social Innovation Review und Co-Direktorin des Global Innovation for Impact Lab. In der Vergangenheit war sie ein sehr engagiertes Mitglied des Beirats der ERSTE Stiftung; heute sitzt sie im Beirat von Erste Financial Life Park (FLiP).
„Eine Marke wird künftig mehr mit Haltung als mit Auftritt identifiziert werden. Die Haltung bleibt gleich, der Auftritt ändert sich.“
Tom Wallmann ist Marketingund Kommunikationsberater für unterschiedliche Marken wie Bogner, Red Bull oder Engel & Völkers. Von 2012 bis 2018 war er Global Marketing Director von Marc O’Polo. Seit 2018 ist er Managing Owner von Tom Wallmann Consulting sowie Founding Partner von Trampoline/Born to Protect Creativity. Tom Wallmann ist Mitglied des Board of Advisors der Vienna Contemporary.
„Für eine nachhaltigere Welt braucht es keine einzelnen Instrumente seitens der Politik, sondern eine Veränderung der Handlungsweise aller ökonomischen Akteur:innen. Es ist wichtig, dass wir partizipativ an das herangehen, was wir vorhaben.“
Sigrid Stagl forscht als ordentliche Professorin seit 20 Jahren in den USA, Großbritannien und Österreich zu ökologischer Ökonomie und Umweltwirtschaft, Arbeitsökonomie und Makroökonomie. Sie leitet das Department für Sozioökonomie und ist Co-Direktorin des Competence Center STaR (Sustainability Transformation and Responsibility) an der WU Wien.
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Von der Krise zur Chance. Wie kann Philanthropie zu nachhaltigem Wandel beitragen? Von 18. bis 20. Oktober 2021 kamen 400 hochrangige Vertreter:innen gemeinnütziger Stiftungen und Verbände zum ersten Mal seit über zwei Jahren auf der von der ERSTE Stiftung und anderen führenden philanthropischen Organisationen der Region ausgerichteten 31. Jahreskonferenz des Europäischen Stiftungsverbands (European Foundation Centre, EFC) in Wien zusammen. Nach zweijähriger Pause und einer globalen Pandemie, die auf das Weltgefüge, wie wir es kennen, beispiellose Auswirkungen hatte, bot die Konferenz die Gelegenheit, zu erörtern, wie philanthropisches Wirken auf der Dynamik neuer Entwicklungen der letzten beiden Jahre aufbauen kann, um zu einem wirklich nachhaltigen Wandel beizutragen – nicht in ferner Zukunft, sondern im Hier und Jetzt.
Für Delphine Moralis, seit einem Jahr neue CEO des EFC, war die Konferenz pandemiebedingt die erste Gelegenheit, die Mitglieder des Verbands persönlich kennenzulernen.
Ausführliches Talk Europe!-Interview mit Delphine Moralis auf tippingpoint.net bit.ly/3O4Hcgj
Talk Europe!-Spezial auf tippingpoint.net. Mit vielen Stimmen aus der Konferenz. bit.ly/3jvcsqJ
„Nach der längeren covidbedingten Lockdownphase haben wir uns zum ersten Mal seit über zwei Jahren endlich wieder persönlich getroffen. Das ließ uns die Dringlichkeit der Herausforderungen umso mehr spüren – von der Klimakrise über soziale Themen bis hin zu den Bedrohungen für die Demokratie.“ Delphine Moralis
Die Konferenz, die unter strengen Pandemieauflagen und mit einer begrenzten Teilnehmerzahl stattfand, lud zu zwei Plenarveranstaltungen, 16 parallel stattfindenden Diskussionsrunden und 17 Coffee House Talks ein, bei denen ausgewählte Projekte gemeinnütziger Initiativen in und um Wien vorgestellt wurden. Höhepunkte der Konferenz In den Plenarveranstaltungen, Sitzungen und Diskussionsrunden der Konferenz rückten einige Themen immer wieder in den Fokus. Erkannt wurde die Bedeutung der Diversität im Stiftungswesen, um neue Ideen und unterschiedliche Sichtweisen einfließen zu lassen. Die Teilnehmer:innen plädierten für eine „Machtverschiebung“ bei gemeinnützigen Stiftungen durch mehr Beteiligung bei der Vergabe von Mitteln und stärkere Einbindung von lokalen Initiativen und Menschen vor Ort. Der Intersektionalität mit einem Fokus auf einen ökosystemischen Ansatz, der unterschiedliche Partner:innen aus allen Sektoren einbezieht, wurde ebenfalls große Bedeutung beigemessen. Insgesamt waren die drei Tage von dem Eindruck geprägt, dass der philanthropische Sektor jetzt mehr denn je auf Worte Taten folgen lassen muss – insbesondere beim Klimawandel drängt die Zeit. „Nach der längeren covidbedingten Lockdownphase haben wir uns zum ersten Mal seit über zwei Jahren endlich wieder persönlich getroffen. Das ließ uns die Dringlichkeit der Herausforderungen umso mehr spüren – von der Klimakrise über soziale Themen bis hin zu den Bedrohungen für die Demokratie“, stellte Delphine Moralis, CEO des europäischen Stiftungsverbands, fest. „Gleichzeitig war in den drei Tagen die sehr deutliche Hoffnung zu spüren, gemeinsam aktiv zu werden und so in dieser kritischen Zeit das volle Potenzial gemeinnütziger Arbeit freizusetzen.“
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Die Referent:innen appellierten an die Delegierten, mutig zu sein und ihre Denkmuster und Herangehensweisen zu hinterfragen.
Kumi Naidoo, Global Ambassador von Africans Rising for Justice, verwies auf Martin Luther Kings Idee einer „Bewegung der Unangepasstheit“ und forderte die Philanthropie auf, unerschrocken zu sein und sich nicht an eine Welt anzupassen, in der soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit hingenommen werden. Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, insbesondere der Klimakrise, dürfe der philanthropische Sektor nicht die Fehler wiederholen, die im Zuge der Finanzkrise 2008 gemacht wurden. Damals lag der Schwerpunkt auf der Wiederherstellung und Erhaltung der Systeme. Jetzt gehe es um eine umfassende Systemerneuerung, die damit beginnt, den Menschen vor Ort zuzuhören und sie einzubeziehen. Auf diese Weise könne man weitaus mehr bewirken als mit jeder noch so großen vom philanthropischen Sektor kontrollierten Geldsumme.
Boris Marte, CEO der ERSTE Stiftung, griff das Thema Risiko auf und wies darauf hin, dass aus den Privilegien, die der philanthropische Sektor genießt, eine Verantwortung erwachsen würde, Risiken einzugehen. Er appellierte an die Delegierten, nicht vor Risiken und Misserfolgen zurückzuschrecken, sondern dies als Chance zu sehen, daraus zu lernen.
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Anne-Birgitte Albrectsen, CEO der LEGO Founda tion, hob die vielen Werte hervor, die der NGO-Sektor, gemeinnützige Stiftungen, Unternehmen und die Politik gemein haben. Diese Werte partnerschaftlich zu verknüpfen sei für die Lösung der Probleme, mit denen wir als Gesellschaft konfrontiert sind, unerlässlich. Sie wies auf das enorme ungenutzte Potenzial des philanthropischen Sektors als Risikokapitalgeber hin und führte den Delegierten die Notwendigkeit, Risiken einzugehen, vor Augen. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben müssten philanthropische Organisationen auf Diversität setzen, sowohl intern als auch in Bezug auf ihre Partner und Stakeholder, indem sie andere Meinungen und Sichtweisen als jene, die gemeinhin den philanthropischen Sektor kennzeichnen, einbeziehen und aufgreifen.
Andreas Treichl, Chairman der ERSTE Stiftung, rief alle Bereiche der Gesellschaft dazu auf, die Klimakrise zur obersten Priorität zu machen. Die notwendigen Veränderungen würden zwangsläufig mit sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen verbunden sein. Die Philanthropie könne die negativen Auswirkungen dessen jedoch abfedern. Unternehmen müssten sich ihrer Verantwortung für die Umwelt und die Gesellschaft bewusst werden und gemeinnützige Organisationen sollten sich wiederum mit Unternehmen in der Klimapolitik engagieren, da man nur gemeinsam stark genug sei, um die Klimakrise zu bewältigen.
EFC-Präsident Angel Font wies darauf hin, dass die Konferenz nur aufgrund der Entwicklung von CovidImpfstoffen – auch dank einiger geringer, aber wesentlicher Zuschüsse von Stiftungen zu Beginn der Forschung an mRNA-Impfstoffen – als Präsenzveranstaltung stattfinden konnte. Dies sei ein hervorragendes Beispiel für die katalytische Wirkung, die Philanthropie haben kann, wie auch für die zentrale Bedeutung sektorübergreifender Partnerschaften bei der Entwicklung echter Lösungen. Er rief die Delegierten auf, jene Wirkungsfelder zu finden, wo eine gezielte, strategische Förderung echten Wandel herbeiführen kann.
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Die vier Moderatorinnen der Themendiskussionen von links oben im Uhrzeigersinn: Lakshmi Sunderam (openDemocracy), Lucy Bernholz (Digital Society Lab/Stanford University), Liz McKeon (IKEA Foundation) und Claire Boulanger (Fondation de France).
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Vier Tracks: Klima, Demokratie, Philanthropie und Gesellschaft Die Diskussionsrunden an den drei Konferenztagen gliederten sich in vier Tracks: Klima, Demokratie, Philanthropie und Gesellschaft. Die behandelten Themen reichten von den Auswirkungen der Modeindustrie auf Klima und Gesellschaft über Digitalisierung, die Bedeutung unabhängiger Medien im Zeitalter der Desinformation und Aushöhlung der Demokratie bis hin zur Förderung der Handlungskompetenz von Menschen und Basisbewegungen und vielem mehr.
Klima Der von Liz McKeon (Portfolio Lead Climate Action der IKEA Foundation) moderierte Track rief zu Engagement, Motivation und Geschlossenheit auf, alle Möglichkeiten in diesem entscheidenden Jahrzehnt auszuschöpfen, in dem die von Märkten, Regierungen und der Zivilgesellschaft ergriffenen Maßnahmen die Lebensqualität auf unserem Planeten für das nächste Jahrhundert bestimmen werden. Zu Beginn der Konferenz gab McKeon der Diskussion drei Richtungen vor: Wie kann der philanthropische Sektor mehr erreichen, als nur zwei Prozent seiner Mittel für Klimafragen aufzuwenden, wie eine kürzlich vom EFC durchgeführte Bestandsaufnahme der Umweltförderprogramme in Europa zeigt? Wie können Stiftungen bewusst einen Zusammenhang zwischen der Klimakrise und all den anderen Problemen, vor denen wir stehen, wie Flüchtlingsfragen, Obdachlosigkeit, Ernährung, Kinderrechte u. a., herstellen? Wie kann die Philanthropie die „Klimaangst“ junger Menschen lindern und die Kreativität, das Verantwortungsbewusstsein und die Resilienz der Jugend für die Bekämpfung des Klimawandels nutzen? Im Abschlusspanel hob McKeon zusammenfassend hervor, wie wichtig das Bewusstsein für unsere starke Vernetzung sei und dass wir allein keine Fortschritte erzielen können. Sie forderte die Teilnehmer:innen auf, die auf der Konferenz an den Tag gelegte kollaborative Energie mitzunehmen und „Sinnstifter:innen“ zu werden, die sich nicht davor scheuen, mutig zu sein.
Demokratie Im Demokratie-Track unter der Leitung von Lakshmi Sundaram (Geschäftsführerin von o penDemocracy) hatten die Teilnehmer:innen Gelegenheit, zu untersuchen, wie gemeinnützig tätige Stiftungen die enormen Herausforderungen für die Demokratie in der Welt nach Ende der Pandemie angehen können. Als mögliche Wege aufgezeigt wurden die Ausweitung und Intensivierung von Bürgerbeteiligungen, die Bekämpfung von Desinformation und die Unterstützung unabhängiger Medien. Im Eröffnungspanel wies Sundaram auf Stressfaktoren für die Demokratie in der heutigen Zeit hin. Dazu würden Angriffe auf die Medien, Desinformation, politisch motivierte Morde und die Behinderung zivilgesellschaftlichen Engagements zählen, was sich in der Regel überproportional auf Randgruppen auswirke. Sie sah die Diskussionsrunden in diesem Track als Gelegenheit, Möglichkeiten zu erörtern, wie diesen Faktoren entgegengewirkt werden und wie der philanthropische Sektor die Demokratie wieder in die richtige
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Richtung lenken kann. Abschließend appellierte Sundaram an die Delegierten, ihrem Handeln Dringlichkeit zu verleihen und Stiftungen als politische Akteurinnen zu verstehen, ob sie nun wollen oder nicht. Der philanthropische Sektor müsse die Themen, mit denen er sich befasst, mit einem neuen und tiefgreifenden Verständnis dafür angehen, wie unterschiedlich sich diese Themen auf marginalisierte Gruppen auswirken. Es sei von entscheidender Bedeutung, Wege zu finden, um hochgesteckte Ziele in konkrete Maßnahmen umzusetzen.
Philantropie Lucy Bernholz (Senior Research Scholar und Direktorin des Digital Society Lab an der Stanford University) führte die Delegierten durch den Philanthropie-Track, wo gemeinnützige Maßnahmen anhand dreier Ebenen analysiert wurden: die Legitimität der Philanthropie innerhalb von Demokratien, ihre Verantwortung hinsichtlich der Einschränkung zivilgesellschaftlicher Räume (insbesondere dort, wo digitale Abhängigkeiten eine Rolle spielen) sowie die von einzelnen Stiftungen während der Pandemie etablierten Verhaltens- und Vorgehensweisen, die neue Chancen für die Zukunft bieten. Bernholz’ wichtigste Botschaft an die Teilnehmer:innen zum Abschluss der Konferenz lautete, unbequem zu sein. Die Pandemie habe eine Unsicherheit gegenüber früheren Selbstverständlichkeiten erzeugt. Sie forderte den Sektor dazu auf, dieses Unbehagen für neue Arbeits- und Denkansätze zu nutzen. Wichtig sei es außerdem, sich der Tatsache zu stellen, dass es organisierte Kräfte gibt, die sich gegen die vom gemeinnützigen Sektor propagierten Veränderungen stemmen. Bei all dem sei es unerlässlich, so Bernholz, dass Stiftungen hinausgehen und an die Gesprächstische eingeladen werden, an denen sie derzeit nicht sitzen. Sie müssten versuchen, dort einen Beitrag zu leisten, wo der Wandel bereits stattfindet, wo die Arbeit bereits im Gange ist, wo Menschen danach streben, ihre brillanten Ideen für eine positive Zukunft für sich und andere zu verwirklichen. Für Philanthrop:innen sei es der falsche Weg, Menschen an den eigenen Tisch zu holen.
Gesellschaft Claire Boulanger (Expertin für Solidaritätsfragen bei der Fondation de France) moderierte den Track Gesellschaft. Da sich die Zahl der Privat- und Unternehmensstiftungen in Europa in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt hat, wird der philanthropische Sektor zu einem immer wichtigeren Akteur im sozialen Zusammenhalt und der sozialen Erprobung auf nationaler und lokaler Ebene. In dieser Diskussionsrunde wurde untersucht, wie Stiftungen den Dialog und die Vernetzung fördern, die Schwächsten stärken und den Übergang zu nachhaltigeren Modellen beschleunigen können. Im Eröffnungsplenum erklärte Boulanger, dass die Diskussionsrunden in diesem Track die Gelegenheit böten, die trennenden und verbindenden Elemente in diesem Bereich zu identifizieren und herauszufinden, wie die Philanthropie diese nutzen könne, um Brücken zu bauen und aktiv zu werden. Zum Abschluss der Konferenz lobte Boulanger die Energie und Inspiration, die im Laufe der drei Tage entstanden sind, und bestärkte die Delegierten, diese in ihren Alltag mitzunehmen. Besonders wichtig sei es, die Handlungskompetenz unmittelbar Betroffener zu stärken und sie aktiv an philanthropischen Projekten zu beteiligen. Weiters war die gesellschaftliche Spaltung ein Thema dieser Diskussionen, dem die Phi lanthropie mehr Bedeutung beimessen müsse.
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Kenan al Baredi
Eine Flüchtlingsgeschichte Einen weiteren Höhepunkt der Konferenz bot das Eröffnungsplenum, das im Wiener Gartenbaukino stattfand. Der Vorsitzende des Programmkomitees der Konferenz Franz Karl Prüller (Senior Advisor des Vorstands der ERSTE Stiftung) stellte den Gästen den Chairman der ERSTE Stiftung Andreas Treichl und Kenan al Baredi vor, einen Immigranten aus Syrien und Hauptdarsteller des preisgekrönten Konferenztrailers. Kenan erzählte, wie er als Geflüchteter nach Österreich kam und nun hier sein Universitätsstudium der biomedizinischen Wissenschaften abschließt.
Die Bürgermeister von Budapest und Riga über die Förderung der Demokratie in ihren Städten Zu Wort kamen außerdem die Bürgermeister zweier Städte in Ländern, in denen die Demokratie gefährdet ist. Auch sie brachten ihre Ansichten und Erfahrungen zu den Fragen und Themen der Konferenz ein. Der Budapester Bürgermeister Gergely Karácsony sprach über den „Pakt der freien Städte“, eine 2019 ins Leben gerufene Zusammenarbeit der Stadtoberhäupter von Prag, Bratislava, Warschau und Budapest. Dieser Pakt, der mittlerweile in vielen Ländern auf der ganzen Welt unterzeichnet wurde, bekräftigt das Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und bietet einen Raum für den Austausch über Fragen der Stadtentwicklung und der Eindämmung des Klimawandels. Karácsony wies auf das große Potenzial der Philanthropie als Partnerin von Städten hin und nannte beispielhaft die Open Society Foundations (OSF), die den Bürger:innen Ungarns kostenlose Covid-Tests zur Verfügung stellte, als sich die Zentralregierung weigerte, dies zu tun. Mārtiņš Staķis, der Bürgermeister von Riga, zeigte sich überzeugt, dass Stadtverwaltungen eine entscheidende Rolle dabei spielen würden, Bürger:innen in den demokratischen Prozess einzubinden. Er berichtete über die Umstrukturierung der zentralen Stadtverwaltung in Nachbarschaftszentren mit Koordinator:innen und ihren Teams, die direkt mit den Einwohner:innen zusammenarbeiten. Zudem habe er ein neues Programm zur Unterstützung der Zivilgesellschaft in der Stadt ins Leben gerufen, da seiner Meinung nach nur zivilgesellschaftlich aktive Städte florieren könnten. In Bezug auf das Klima betonte er, dass gutes Stadtmanagement nur unter Berücksichtigung von Klimafragen möglich sei.
Coffee House Talks Ein Nachmittag der Konferenz war 17 Coffee House Talks gewidmet, die den Delegierten die Möglichkeit boten, Wien zu erkunden und lokale Initiativen in den Bereichen sozialer Wohnbau, soziales Unternehmertum, Stadtentwicklung und demokratische Kultur – um nur einige zu nennen – aus erster Hand kennenzulernen. Alle Gespräche wurden von Fachleuten und lokalen Akteur:innen moderiert und einige fanden in traditionellen Wiener Kaffeehäusern statt. Alle Fotos dieses Beitrags: eSeL.at/Lorenz Seidler
Mārtiņš Staķis (Bürgermeister von Riga) und Gergely Karácsony (Bürgermeister von Budapest)
Wir glauben, dass Finanzkompetenz auch Lebenskompetenz ist. Alle Menschen wünschen sich finanzielle Unabhängigkeit und ein würdevolles Leben in Wohlstand. Um diese Ziele erreichen zu können, brauchen wir gute Kenntnisse darüber, wie man mit Geld umgeht. Zu diesem Wissen müssen alle Zugang haben. Wir eröffnen jungen und älteren Personen Möglichkeiten, sich finanziell zu bilden, und entwickeln Werkzeuge für jene, die in einer schwierigen finanziellen Lage sind, ihre Handlungsfähigkeit und damit ihre persönliche Freiheit zurückzugewinnen.
Finanzielle Gesundheit für alle
#WissenMachtSicher Mit einer Studie zum Finanzwissen von Jugendlichen feierte der Erste Financial Life Park (FLiP) 2021 sein fünfjähriges Bestehen.
„Finanzbildung ist dafür da, dass man dann zumindest als Erwachsener nicht vollkommen aufgeschmissen ist und keinen Plan von allen möglichen finanziellen Themen hat.“
„Man könnte mich sofort übers Ohr hauen, weil ich keine Ahnung habe, wie viel Miete normal ist, wie viel man für ein Auto zahlt usw. Mir fehlen die Relationen.“
„Ich kann auch Geld sparen, aber dann gebe ich es plötzlich aus, ohne es so wirklich zu merken.“
Der Erste Financial Life Park (FLiP) feierte im Oktober 2021 seinen 5. Geburtstag. Aus Anlass des Jubiläums wurde eine unabhängige Studie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wo junge Menschen selbst Defizite bei ihrem Wissen über Wirtschaft und Geld verorten. Dieser partizipativ erstellte, von der ERSTE Stiftung finanzierte Jugendbericht wurde 2021 von der unabhängigen Organisation YEP – Stimme der Jugend in Kooperation mit FLiP erstellt. Der YEP-Jugendbericht #WissenMachtSicher geht der Frage nach, was sich Jugendliche für eine wirkungsorientierte Finanzbildung der Zukunft wünschen. An der Studie waren über 800 junge Menschen aus ganz Österreich im Alter von 14 bis 20 Jahren aktiv beteiligt und haben sich online und offline eingebracht. Aus ihren Perspektiven, Einschätzungen, Ideen und Bedürfnissen ist dieser Jugendbericht entstanden. Die spielerischen und demokratiebildenden Workshops fanden in allen Regionen Österreichs statt, es wurde auf die Stadt-LandVerteilung sowie auf eine starke Diversität der Schulformen geachtet, um die gesamte österreichische Bildungslandschaft im Bericht abzubilden.
Die zentralen Erkenntnisse der Studie lauten: Der Finanzbildung wird von den Schüler:innen ein hoher Stellenwert beigemessen, doch besteht wenig Vertrauen in die Zukunft und viele Schüler:innen sehen sich nicht in einer aktiven Rolle, da sie zu wenig Wissen und kaum Ansprechpartner:innen haben. Rund 50 % der Schüler:innen fühlen sich in Bezug auf Finanzbildung wenig bis nicht auf die Zukunft vorbereitet. „Guten Umgang mit Geld“ definieren die Jugendlichen als Bewusstsein und die Selbstkontrolle über ihr Konsumverhalten sowie das Wissen und die Anwendung von Spar- beziehungsweise Investitionsmethoden. Jugendliche haben einen starken Wunsch danach, Geld besser einschätzen zu können. Vor allem die Verdienstmöglichkeiten in unterschiedlichen Berufen und die Anschaffungskosten sowie laufenden Kosten von Konsumgütern.
Eine Studie der ASB Schuldnerberatungen GmbH aus dem Jahr 2020 ergab, dass ein Viertel der Klient:innen von Schuldenberatungsstellen in Österreich unter 30 Jahre alt ist und rund 30.000 Euro Konsumschulden hat. Der Erste Financial Life Park (FLiP) ist Österreichs prominentestes Projekt im Bereich Finanzbildung. Im Rahmen einer interaktiven Tour werden jungen Menschen Fähigkeiten und Kompetenzen vermittelt, die sie für die finanziellen Entscheidungen ihres Lebens brauchen. Der FLiP fördert mit seinem Angebot die finanzielle Eigenverantwortung, betreibt Vorsorge gegen Überschuldung und trägt damit auch zur Armutsprävention bei.
Jugendliche wollen Grundsatzfragen über Finanzpolitik stellen, mehr über die Hintergründe unseres derzeitigen Finanzsystems wissen und sich auch kritisch mit dem System auseinandersetzen. Jugendliche wollen alltägliche Verwaltungsaufgaben verstehen: Verwaltungsaufgaben und bürokratische Prozesse stellen einen der größten Faktoren für Verunsicherung der Jugendlichen dar. Jugendliche definieren drei Orte der Finanzbildung: Schule, Familie, Internet. Als wichtigsten Ort für die Finanzbildung der Zukunft sehen die Jugendlichen die Schule. In der Pflichtschule können alle jungen Menschen ungeachtet ihres familiären Hintergrunds erreicht werden und die Schule kann korrekte, unabhängige Informationen vermitteln. Derzeit würde die Schule für ihre Finanzbildung im Durchschnitt die Note „Genügend“ bekommen. Ein Drittel der Jugendlichen gibt an, zu Hause nur sehr wenig oder gar nicht über das Thema Geld zu sprechen. Die Jugendlichen wollen durch praktische Erfahrungen, durch eigenes Ausprobieren und durch den direkten Kontakt mit vertrauenswürdigen Expert:innen mehr Finanzwissen erlangen.
financiallifepark.at
YEP – Stimme der Jugend ist eine unabhängige Organisation und ein Social Enterprise, das sich für Mitsprache, Mitbestimmung und Mitgestaltung junger Menschen einsetzt und gänzlich parteipolitisch unabhängig arbeitet, um die authentische Stimme der Jugend einzubringen. Dafür setzt YEP in Kooperation mit innovativen Organisationen, Unternehmen und Institutionen inklusive (Jugend-) Beteiligungsprozesse auf und schafft so neue Möglichkeiten für Partizipation.
yep-austria.org
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Eine:r von fünf Jugendlichen hat keinen Überblick darüber, wie viel Geld er/sie im Monat ausgibt
60 %+
20 %
Mehr als 60 % der Jugendlichen gaben an, wenig oder nichts über das Thema Finanzbildung zu wissen
der Jugendlichen hatten schon mal die Sorge, dass sie geliehenes Geld nicht zurückzahlen können
Deine Einschätzung, wie viel weißt du schon über Finanzbildung? Gesamt
Unterschied nach Geschlecht 5% 11,5 %
Wie viel weißt du schon über das Thema Finanzbildung?
5
32,6 %
4
männlich weiblich
% 35
1
30 25
23,2 %
3
20 15 10
2 27,7 %
5 0
1
2
3
(Skala 1-5; 1 = „Ich weiß nichts über das Thema Finanzbildung“, 5 = „Ich weiß viel darüber“.)
Hattest du schon einmal Sorge, dass du das Geld, das du dir geborgt hast, nicht mehr zurückzahlen kannst?
15,5 % Ja, es ist schon mal passiert, dass ich deshalb Sorgen hatte
58,2 % Nein, das ist mir noch nie passiert (ich leihe mir nur Geld, wenn ich es zurückzahlen kann)
4,5 % Ja, ich hatte schon oft Sorgen deshalb
21,8 % Nein, denn ich habe mir noch nie Geld ausgeborgt
40
4
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Themen, die Jugendliche als überdurchschnittlich wichtig einstufen, und die Reihenfolge, in welcher sie diese Themen priorisieren:
2 Arbeitswelt, Gehalt und Berufsorientierung Wie viel verdient man in verschiedenen Berufen? Was können Angestellte erwarten?
1 Steuern Wie funktionieren Steuern, welche gibt es und was muss man wann zahlen?
3 Budget und Fixkosten Wie geht man mit Geld um? Mit welchen Kosten muss man rechnen?
4 Verträge Was muss man beachten, wenn man z. B. einen Handyvertrag oder Miet vertrag abschließt?
5 Sicherheit und finanzielle Förderungen Wie bekomme ich Hilfe vom Staat: Wie funktioniert das AMS, Wohnförderung, Bildungsförderung? 6 Investitionen Was du mit deinem Geld alles machen kannst, damit es gut angelegt ist
7 Geld und Klima/Nachhaltigkeit Was hat Geld mit Nachhaltigkeit und der K limakrise zu tun? Wie kann ich sinnvoll investieren?
8 Banken und Co Was machen Banken und andere Finanz institutionen?
Was Social Banking kann Die ERSTE Stiftung fördert seit Langem die Entwicklung und Ausweitung von Social-Banking-Leistungen zur Lösung sozialer Herausforderungen in Mittel- und Osteuropa. Als Hauptaktionärin der Erste Group, einer der größten Banken der Region, sehen wir hier eine unserer Kernkompetenzen. Die Kund:innen des Social Banking der Erste Group sind Gründer:innen, Kleinunternehmen, soziale Organisationen sowie einkommensschwache Menschen, die üblicherweise nicht auf die Hilfe von Banken zurückgreifen können. Wir investieren daher in die Entwicklung von wirkungszentrierten Finanzprodukten in der Erste Social Finance Holding (ESFH), einem auf Social Banking spezialisierten gemeinsamen Unternehmen der Erste Group und ERSTE Stiftung für Impact-Investment, das sich aus der Erste Group heraus entwickelt hat. 2021 hat die ERSTE Stiftung an einer Kapitalerhöhung in der ESFH im Ausmaß von 940.000 EUR teilgenommen. Franz Karl Prüller spricht mit dem Geschäftsführer der ESFH, Peter Surek, darüber, wie sich das Potenzial und die Leistungen von Social-Banking-Angeboten in den letzten Jahren verändert haben. Welche Dimensionen innovatives und engagiertes Social Banking heute annehmen kann, zeigt ein Beispiel aus der Slowakei. Alexandra Christandl berichtet von einem für die ganze Region richtungsweisenden Projekt der slowakischen Tochter der Erste Group, der Slovenská sporiteľňa (SLSP). In einer Zeit rasch steigender Wohnungspreise ermöglicht die Social- Banking-Abteilung der SLSP unter der Leitung von Rasťo Blažej gemeinsam mit der ESFH Menschen ein würdiges Leben nach dem Prinzip „Housing First“. Länder wie die Slowakei erproben so die Entwicklung eines marktfinanzierten Systems leistbarer Mietwohnungen.
Soziale Organisationen bei Skalierung, Wachstum und mehr Wirksamkeit unterstützen Franz Karl Prüller, Senior Advisor des Vorstands der ERSTE Stiftung, im Gespräch mit Peter Surek, Geschäftsführer der Erste Social Finance Holding, über die Besonderheiten und Potenziale von Social Banking.
Franz Karl Prüller: Was waren rückblickend auf das Jahr 2021 die wichtigsten Errungenschaften des Social Banking der Erste Group? Peter Surek: Am wichtigsten war für uns, dass wir unseren Kund:innen in diesen schwierigen Zeiten der Pandemie zur Seite stehen konnten. Im Jahr 2021 haben wir mehr als 2.000 Kredite im Wert von 40 Millionen Euro vergeben. Dank der Unterstützung der ERSTE Stiftung konnten wir auch spezielle Covid-Notfallkredite zu Nullzinsen für den gemeinnützigen Sektor bereitstellen. Außerdem haben wir unser Mentoring-Programm für Kund:innen in finanziellen Schwierigkeiten ausgebaut. Damit haben wir bewiesen, dass wir nicht nur in guten Zeiten für unsere Kund:innen da sind, sondern sie auch in schwierigen Zeiten unterstützen. Zudem konnten wir bedeutende neue Initiativen starten und skalieren, die problemorientiert und wirkungszentriert sind und eigens entwickelte Finanzlösungen erfordern. Wir haben Impact-Projekte im Bereich Wohnbau gestartet: In unserem Unternehmen Dostupný Domov („Leistbares Wohnen“) in der Slowakei besitzen wir nun ca. 70 Wohnungen, die über NGOs an bedürftige Menschen vermietet werden (siehe Seite 48). In Österreich wurden die Kautionskredite ausgeweitet und die Initiative für Menschen in schwierigen Wohnverhältnissen mit der Bereitstellung von 200 Wohnungen fortgesetzt. In Ungarn hat sich das Sozialwohnbau-
projekt, das einkommensschwache Menschen bei Renovierungsarbeiten unterstützt, gut weiterentwickelt. In Serbien konnten wir in Zusammenarbeit mit einem Firmenkunden ein neues wirkungsorientiertes Projekt namens Nase Selo („Unser Dorf“) zur Revitalisierung ländlicher Gemeinden skalieren. Und schließlich haben wir unser Quasi-Eigenkapital-Programm gestartet, das Mezzaninkapital für wachsende soziale Organisationen und soziale Infrastrukturprojekte bereitstellt. Dies ist unser erster kleiner Schritt in Richtung ImpactInvestment. Die ersten beiden Transaktionen dieses Produkts wurden 2021 abgewickelt. Wenn Sie die letzten zehn Jahre betrachten – wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung sozialer Bankdienstleistungen und -produkte in der Erste Group? Ich bin selten ganz zufrieden, da ich immer nach mehr, nach Besserem strebe, aber ich muss zugeben, dass wir viel positives Feedback von den an unseren Initiativen beteiligten Menschen bekommen: in erster Linie vor allem von unseren Kund:innen, die sich unterstützt und ernst genommen fühlen. Wir haben auch sehr positive Reaktionen von Organisationen aus dem Bereich der sozialen Finanzierung oder des Impact-Investment erhalten. Und natürlich die überaus ermutigende Reaktion der Europäischen Kommission in Form eines persönlichen Lobs von Kommissar Nicolas Schmit anlässlich des 45
Erste Social Finance 2021 in Zahlen 38.000 Kund:innen werden durch finanzielle und/oder pädagogische Maßnahmen unterstützt 425 Mio. Euro bereitgestellte Mittel 77.500 Arbeitsplätze in der Region wurden erhalten oder geschaffen 58 % der Kund:innen berichteten von einer Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation trotz der Auswirkungen von Covid-19 48 % der finanzierten Startunternehmer:innen könnten das Unternehmen ohne unsere Finanzierung nicht starten 79 % der finanzierten Sozialorganisationen können mit den zur Verfügung gestellten Mitteln ihren sozialen Auftrag besser erfüllen 457 Menschen haben im Rahmen der Pilotprojekte für leistbaren Wohnraum ein neues Zuhause gefunden 2 innovative Finanzinstrumente wurden eingeführt: der Social Impact Bond und Quasi-Eigenkapital
Starts unseres Quasi-Eigenkapital-Programms. Ich denke, dies ist ein Beweis dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Rückblickend auf die letzten zehn Jahre können wir sagen, dass wir zur Entwicklung des Marktes beigetragen haben: Es gab keinen Markt für die Finanzierung sozialer Organisationen, für die Finanzierung von Unternehmensgründer:innen oder für die Finanzierung und Unterstützung von Menschen in schwierigen wirtschaftlichen bzw. sozialen Lebenslagen. Wir haben diese Märkte gemeinsam mit unseren Kund:innen entwickelt und gleichzeitig das Profil unserer Bank geschärft. Wir können mit Fug und Recht behaupten, dass derzeit die gesamte Führungsebene von der Sinnhaftigkeit des Social Banking und seiner Wirksamkeit für die Gesellschaft dank seines soliden Geschäfts- und Finanzierungsmodells überzeugt ist. Sie haben viel Erfahrung mit Social-Banking-Initiativen und können dabei auf ein großes internationales Netzwerk zurückgreifen: Wo sehen Sie Good-Practice-Modelle, die für die weitere Entwicklung des Social Banking in der Erste Group inspirierend sein können? Im Bankensektor gibt es die Big Player wie die Micro Bank, die zur Caixa Group in Spanien gehört, und die französischen Sparkassen oder BNP Paribas, die ebenfalls Mikrokredite und Impact Finance anbieten. Wir stehen in Kontakt mit mehreren Mikrofinanzierungsunternehmen und Impact Fonds in der Region und können uns über verschiedene Praktiken und Erfahrungen austauschen. Unser Vorteil gegenüber anderen ist, dass eine sehr starke Bank hinter uns steht, die unsere Aktivitäten mit ihrer starken regionalen Präsenz und einer soliden Bilanz unterstützt. Im Gegensatz zu vielen Impact Fonds oder Mikrofinanzierungsunternehmen müssen wir uns daher 46
vor der Kreditvergabe nicht erst um die Mittelbeschaffung kümmern: Wir verfügen über Mittel innerhalb der Erste Group, die wir direkt an unsere Kund:innen weitergeben können. Der zweite große Vorteil ist die Unterstützung durch unsere größte Aktionärin, die ERSTE Stiftung, bei verschiedenen Bildungsaktivitäten, die von der Stiftung mitfinanziert werden. Die Stiftung hilft uns auch bei der Entwicklung innovativer Programme für finanzielle und nicht finanzielle Dienstleistungen, wie z. B. zinslosen Krediten während der Covid-Krise oder speziellen Garantien, die wir derzeit für unsere Kund:innen vorbereiten. Was sind Ihrer Erfahrung nach die wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen in Mittel- und Osteuropa, auf die das Social Banking mit Produkten und Dienstleistungen reagieren könnte? Als wir kurz nach der Finanzkrise mit dem Social Banking begannen, war das größte Problem die sehr hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter jungen Menschen. In den Balkanländern lag sie bei 40 Prozent! Dies war der Beginn unserer Aktivitäten: Durch Mikrofinanzierungen und Start-upFinanzierungen für Kleinunternehmen unterstützten wir die Schaffung von Arbeitsplätzen. Heute sehen wir in den rasch steigenden Immobilienpreisen eine große Herausforderung für die Gesellschaft, da es für Menschen mit niedrigen, aber auch mittleren Einkommen zu einem echten Problem wird, leistbaren Wohnraum zu finden. In den letzten fünf Jahren sind die Immobilienpreise in einigen unserer Märkte um fast 100 Prozent gestiegen, und trotz niedriger Zinssätze und leicht steigender Einkommen haben die Menschen Schwierigkeiten beim Erwerb von Wohneigentum. Deshalb haben wir unser Sozialwohnbauprogramm gestartet.
Zum einen haben wir Menschen auf der untersten Einkommensebene, die keinen Zugang zu angemessenem Wohnraum haben, unterstützt und entwickeln nun eine umfassendere und größere Initiative zur Bereitstellung von erschwinglichem Wohnraum in der Region. Das andere Thema betrifft nicht nur Osteuropa, sondern auch den Westen. Im Bereich der Pflege sind in Mittel- und Osteuropa hohe Investitionen nötig, weil die Last der Betreuung älterer Menschen nicht mehr allein von den Familien getragen werden kann. Dafür braucht es Institutionalisierung und angemessene Unterstützung – auch hier kann eine wirkungsorientierte Finanzierung eine wichtige Rolle spielen. Das dritte Thema ist der Zugang zu Bildung. Viele Menschen können sich eine Umschulung nicht leisten oder ihr Studium nicht fortsetzen, weshalb wir mögliche Finanzierungslösungen für Qualifizierung und Bildung ausloten. Muss Social Banking im Bankwesen verankert sein? Oder können Sie sich auch andere finanzielle oder nicht finanzielle Dienstleistungen vorstellen, um soziale Bedürfnisse in unserer Gesellschaft zu stillen? Im Erste Social Banking setzen wir unsere Kernkompetenz als Banker:innen ein, um Wirkung zu erzielen. Natürlich ist das Finanzwesen nur ein kleines Puzzlestück bei der Suche nach Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen. Der Finanzsektor hat jedoch das Potenzial, Organisationen und Einzelpersonen, die Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu bieten haben, in ihrer Handlungskompetenz zu stärken. Mit unseren Finanzprodukten und Finanzintermediationen sollten und können wir ihnen helfen, zu skalieren, zu wachsen und ihre Wirksamkeit zu erhöhen. Gleichzeitig benötigen viele Organisa-
tionen Unterstützung in nicht finanzieller Form wie Schulungen, Kapazitätsaufbau und Knowhow-Transfer, die wir im Rahmen des Social Banking ebenfalls anbieten können. Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen der ERSTE Stiftung und der Erste Group bei der gemeinsamen Entwicklung von Dienstleistungen und Produkten, die auf soziale Bedürfnisse und Herausforderungen zugeschnitten sind? Wir befinden uns im Bereich Social Finance in einer europaweit einzigartigen Position: Wir haben eine starke Bank, aber auch eine starke Stiftung mit ihrem philanthropischen Einfluss und einer aktiven Aktionärsrolle in der Bank. Das gibt uns die Möglichkeit, Lösungen zu entwickeln, die weder die Bank noch die Stiftung allein anbieten könnten. Wir sprechen von neuen Instrumenten, die unter dem Begriff „Blended Fi nance“ auftauchen, mit deren Hilfe konzessionäres phi lanthropisches Kapital zur Risikoabsicherung beitragen und so kommerzielles Kapital für bestimmte Projekte mobilisieren kann, die mit rein kommerziellen Mitteln nicht zu finanzieren wären. Ein weiteres Instrument sind Garantien, die philanthropische oder öffentliche Einrichtungen den Banken geben, um in Bereiche vordringen und Risiken eingehen zu können, die normalerweise nicht in Betracht kommen würden. Auch Bildungsaktivitäten kombinieren wir mit Finanzierungen – unser Rezept für die sehr guten Resultate bezüglich notleidender Kredite im Social Banking: Finanzielle Unterstützung sollte immer in Kombination mit Weiterbildung gewährt werden. Aus dem Blickwinkel unserer einzigartigen institutionellen Verbindung bin ich also sehr optimistisch, dass wir diese Lösungen weiterentwickeln und damit unsere gemeinsame Wirksamkeit effektiv steigern können. 47
Wohnprojekt in der Slowakei gibt Bedürftigen ein neues Zuhause Von Alexandra Christandl
Gemeinsam mit dem öffentlichen Sektor und sozialen Organisationen, die sich um Kund:innen in schwierigen Lebenslagen kümmern, entwickelte das Social Banking der Slovenská sporiteľňa (SLSP) ein innovatives Konzept für leistbares Wohnen, um Kund:innen zu helfen, ein neues Zuhause zu finden. Das Konzept hat zudem auch große öffentliche Aufmerksamkeit erregt, da die SLSP die erste Bank in der Slowakei ist, die eine Sozialanleihe zur Finanzierung von bezahlbarem Wohnraum herausgibt. 2020 gründete die SLSP in Zusammenarbeit mit der Slovak Investment Holding und der SLSP Stiftung das Unternehmen Dostupný Domov (slowakisch für „leistbares Wohnen“), das vereinzelt Wohnungen auf dem Sekundär- und Primärmarkt kauft. Diese werden dann unter dem Marktpreis an soziale Organisationen vermietet, die sich um bedürftige Menschen ohne Wohnung kümmern und diesen nicht nur soziale Unterstützung, sondern auch eine bezahlbare Unterkunft bieten. Dabei wird ein sogenannter „Housing First“-Ansatz verfolgt, der Menschen ohne Wohnung durch die Bereitstellung einer leistbaren Unterkunft in einer guten Nachbarschaft integriert. Der Schwerpunkt liegt darauf, benachteiligten und schutzbedürftigen Menschen wie misshandelten Müttern mit Kindern, Familien in Krisensituationen, denen der Verlust ihrer Wohnung droht, oder Kindern aus Pflegefamilien nach Erreichen der Volljährigkeit bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Daher arbeitet das Social Banking der SLSP mit gemeinnützigen sozialen Organisationen, Stiftungen und Gemeinden zusammen, um den Wohnungsbedarf der Begünstigten zu ermitteln. Bislang konnten dadurch bereits 71 Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. „Im Social Banking entwickeln wir Lösungen, die sich mit gesellschaftlichen Herausforderungen auf finanziell nachhaltige Weise auseinandersetzen. Mit Dostupný Domov planen wir, in den nächsten fünf Jahren einen Bestand von rund 1.500 Wohnungen zu erreichen. Dies wollen wir mit zusätzlichem Eigenkapital aus der Erste Social Finance Holding, der Slovak Investment Holding und der erwähnten Sozialanleihe erreichen. So können wir nicht nur geeignete Wohnungen auf dem Markt kaufen, sondern uns auch an kleinen Immobilienentwicklungsprojekten beteiligen“, sagt Rasťo Blažej, Leiter des Social Banking bei SLSP. Geld anlegen – für einen guten Zweck und eine kleine Rendite Als erste Bank in der Slowakei gibt die SLSP Sozialanleihen im Wert von 9 Mio. Euro aus, um bezahlbaren Wohnraum für sozial benachteiligte Menschen in der Slowakei zu finanzieren. Sozialer Wohnungsbau ist dabei ein Thema, das einfach zu erklären ist und zudem ein geringes Risiko für Investor:innen mit sich bringt. Die Anleihe wird in erster Linie an Private-Banking-Kund:innen verkauft, ist aber auch via Online-Banking für slowakische Privatkund:innen erhältlich. Der Nennwert der Anleihe beginnt bei 1.000 Euro, wodurch auch kleinere Investitionen ermöglicht werden. Die Wirksamkeit des Projekts zeigen Beispiele wie diese: Nach der Geburt ihres zweiten Kindes musste eine junge, von häuslicher Gewalt betroffene Mutter mit dem Neugeborenen und der fünfjährigen Tochter von der Entbindungsstation wieder direkt zurück in die Kriseneinrichtung ziehen, in der sie eigentlich nur vorübergehend untergebracht sein sollte. Die Initiative für leistbaren Wohnraum fand für die drei eine leistbare Wohnung. Auch ein zehnjähriger Junge und seine Mutter, die mehrere Jahre in Notunterkünften lebten, fanden durch die Initiative eine neue Bleibe.
Mehr über das Wohnprojekt auf slsp.sk bit.ly/3xiaLoN
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Die Wohnungen im Projekt für leistbares Wohnen in der Slowakei sind renoviert und verfügen über eine Basisausstattung, sodass man sofort einziehen und sich zu Hause fühlen kann. Fotos: Dostupný Domov
„Wir planen, in den nächsten fünf Jahren einen Bestand von 1.500 Wohnungen zu erreichen.“ Rasťo Blažej, Leiter des Social Banking der Slovenská sporiteľňa
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Zweite Sparkasse: Seit 15 Jahren eine Bank wie keine andere Die Pionierin des Social Banking in Österreich feierte Geburtstag. Die Zweite Sparkasse ist die einzige soziale Bank Österreichs. Sie wurde 2006 gegründet, um den zigtausend Menschen, die wegen ihrer schwierigen finanziellen Situation von ihrer Bank gekündigt worden waren, wieder ein Konto und damit Zugang zu einer zeitgemäßen finanziellen „Infrastruktur“ zu bieten. Die Initiative dazu ging von der ERSTE Stiftung aus, die auch das Gründungskapital von 5,8 Mio. Euro zur Verfügung stellte. In einer vor der Gründung durchgeführten österreichweiten Umfrage wurde eine solche Initiative der Erste Bank gar nicht zugetraut. Umgekehrt hatten einige Sparkassenvertreter:innen Sorge, die von der „Bank für Menschen ohne Bank“ angesprochene Kundenschicht könnte den Sektor in ein schlechtes Licht rücken. Was für ein Irrtum!
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Kaum ein Ereignis im österreichischen Bankensektor löste in den vergangenen 15 Jahren so ein großes und auch positives mediales Echo aus wie die Entwicklung der Zweite Sparkasse. Ihre Gründung und ihr Aufbau waren eine Pionierleistung, die weltweit Beachtung gefunden hat. Und sie darf sich auf die Fahnen heften, die Probleme der kontolosen Menschen aufgezeigt und zu einer EU-weiten Regelung mit dem „Recht auf ein Konto“ beigetragen zu haben. Mehr noch: Die EUKommission lobte diese österreichische Sparkasse mehrfach als „vorbildliche Initiative“. Mit der Zweite Sparkasse wurde der 200 Jahre alte Gründungsgedanke der Sparkassen „wiederbelebt“, all jenen Menschen Zugang zu Bankdienstleistungen zu verschaffen, denen dieser sonst verwehrt gewesen wäre. Sie ist für Kund:innen da, um die sich sonst keine Bank kümmert. „Weil es manchmal nicht alleine geht“ wurde so zum Motto der Zweite Sparkasse. Hier bekommen Kund:innen nicht nur ein Konto, sondern auch wieder ihre Würde. Die Zweite Sparkasse arbeitet weder umsatz- noch profitorientiert. 360 ehrenamtliche Mitarbeiter:innen bringen ihre Bankerfahrungen unentgeltlich in ihrer Freizeit österreichweit in sieben Filialen ein. Sie bieten Beratung und Unterstützung für Kund:innen so lange als notwendig – und auf Augenhöhe. Auch die Leistungen der ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen sind gleich viel wert, es gibt keine hierarchischen Ebenen, lediglich definierte Verantwortungen und einen gleichfalls ehrenamtlichen Vorstand, der diese auch nach außen wahrnimmt. Vermittelt werden die Kund:innen von einem Netzwerk von NGOs, allen voran den Schuldnerberatungen. Das gemeinsame Ziel ist es, die Kund:innen rasch wieder zu verlieren, also für die „erste Bankenwelt“ fit zu machen. Seit der Gründung hat die Zweite Sparkasse bereits mehr als 20.000 Menschen und ihren Familien eine zweite Chance und damit neue Hoffnung gegeben. Etwa 4.500 von ihnen konnten erfolgreich zu anderen Sparkassen in die Betreuung übergeleitet werden und sind heute Kund:innen der Sparkassengruppe.
Schuldenprävention und Betreutes Konto Im Laufe der Jahre hat sich das Angebot der Zweite Sparkasse immer mehr erweitert. Gemeinsam mit der Organisation „Jugend am Werk“ und der Schuldnerberatung starteten im Jahr 2010 Finanzbildungs-Workshops für Jugendliche. Es sollten nicht erst Opfer „finanzieller Unfälle“ betreut, sondern die Entstehung solcher Unfälle möglichst vermieden werden. Expert:innen der Zweite Sparkasse kommen seitdem zu den Jugendlichen, damit diese nie in die Zweite Sparkasse kommen müssen. Sie sensibilisieren sie im Umgang mit Geld und machen sie auf Schuldenfallen im Alltag aufmerksam. Seit der Eröffnung des Erste Financial Life Park (FLiP) (siehe Seite 38) wird auch dieses Lernzentrum in die Workshops einbezogen, die aufgrund der Maßnahmen zum Schutz vor der Corona-Pandemie zuletzt allerdings häufig nur online stattfinden konnten. Ein zusätzliches Angebot ist seit 2016 das „Betreute Konto“, eine Dienstleistung der Schuldnerberatung Wien in Kooperation mit ausgewählten Banken. Hauptvertragspartner ist die Zweite Sparkasse. Die Zielgruppe für ein Betreutes Konto sind Menschen, die meist in einem Betreuungsverhältnis zu einer Sozialeinrichtung stehen und Schwierigkeiten haben, Zahlungsprioritäten zu erkennen und einzuhalten, und dadurch von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Über 1.500 Personen haben diesen Service bereits in Anspruch genommen. Ein Mikrokredit für Wohnen der Zweite Sparkasse in Wien ermöglicht es seit Ende 2020 Menschen mit geringen Ressourcen, Mietkautionen und Ablösen für Kücheneinrichtungen zu bezahlen und damit eine eigene Wohnung zu erhalten. 55
Der ehrenamtliche Vorstand der Zweite Sparkasse: Günter Benischek (Vorsitzender), Brigitte Guttmann, Robert Schmidbauer. Fotos: Zweite Sparkasse
Wechsel im Vorstand Mit 1. Juli 2021 wurde Robert Schmidbauer, Leiter des Group Secretariat der Erste Group und des Bereichs Recht der Erste Bank Oesterreich sowie bereits seit 2019 ehrenamtlich in der Zweite tätig, vom Sparkassenrat der Zweite Sparkasse zum Mitglied des Vorstands bestimmt. Schmidbauer folgte Gerhard Ruprecht nach, der dem Vorstand seit Gründung der Zweite Sparkasse im Jahr 2006 angehörte und planmäßig am 30. Juni 2021 ausschied. Günter Benischek bedankte sich bei Gerhard Ruprecht: „Gerhard hat in 15 Jahren als ehrenamtlicher Vorstand die Zweite Sparkasse geprägt. Für die Zweite – seine Bank – ist er immer da gewesen und wird es zukünftig als einfacher Mitarbeiter auch sein. Ein Glücksfall für uns!“
Über die Bank für die „zweite Chance“ freuten sich am Eröffnungstag der Wiener Filiale am 21. November 2006 in ihren damaligen Funktionen: Evelyn Hayden (ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende), Andreas Treichl (CEO der Erste Group), Gerhard Ruprecht (ehrenamtlicher Vorstand) und Franz Küberl (Präsident der Caritas). Foto: Zweite Sparkasse
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„Kosten- und Einsparungsziele sowie Zeitlimits werden auch in der Zukunft kein Thema für uns sein.“
Maribel Königer, die seit der Eröffnung der Zweite Sparkasse Medienanfragen und PR nach außen betreut hat, im Gespräch mit Vorstandschef Günter Benischek. Maribel Königer: Die ersten 15 Jahre der Zweite Sparkasse sind für mich wie im Flug vergangen. Wie gut kann ich mich noch an die Eröffnung am 21. November 2016 im Beisein des Bundespräsidenten Heinz Fischer erinnern. Aber die wichtigste Frage bei einem Jubiläum ist ja: Wie geht es weiter? Wo ist „die Zweite“ in 15 Jahren? Günter Benischek: Es wäre vermessen, darüber zu spekulieren, wohin sich die Zweite Sparkasse in den nächsten Jahren entwickeln wird. Gibt’s uns dann überhaupt noch? Sind wir die Bank für Kund:innen, die unter den immer strengeren Radar der Europäischen Zentralbank fallen und in einer „normalen“ Bank nicht mehr betreut werden? Sind wir die Bank für den sozialen Sektor? Können wir unser erfolgreiches Modell in andere Länder „exportieren“ – und gibt es dann überall dort, wo die Erste ist, auch eine Zweite? Stimmt. Niemand kann für die nächsten 15 Jahre planen – aber für die nächsten Jahre lässt sich die Zukunft vielleicht einschätzen? Sicher ist, dass man uns infolge der Pandemie verstärkt brauchen wird. Die sozialen Auswirkungen dieser Pandemie sind noch nicht voll sichtbar und werden uns zumindest in den kommenden zwei Jahren sehr beschäftigen. Fix ist leider auch, dass uns einige Kolleg:innen aus der Gründergeneration der Zweite Sparkasse bald nicht mehr zur Verfügung stehen werden. In den nächsten 15 Jahren kommt ein Generationswechsel auf uns zu, auf den wir uns bereits heute einstellen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen müssen erhalten bleiben. Das macht unsere Bank so wertvoll. Daher sollen künftig alle in der Erste Bank und den Sparkassen Erfahrungen mit und in der Zweite
Sparkasse sammeln können. Konkret setzen wir hier bei den Azubis und den jungen Führungskräften an. Auch werden bei uns künftig andere Formen der Mitarbeit (z. B. Homeoffice) möglich sein. Die Finanzbildungs-Workshops finden bereits teilweise online statt, weshalb wir sie auch NGOs in den Bundesländern anbieten werden. Für unsere Bundesländer-Kolleg:innen ergeben sich so neue Möglichkeiten zur Mitarbeit. Wird sich die Angebotspalette der Zweite Sparkasse verändern? Unser zentrales Produkt bleibt das private Zahlungsverkehrskonto. Immer wird die Zweite Sparkasse jenen Menschen Dienstleistungen und Beratung anbieten, die sie in der herkömmlichen Bankenwelt nicht (mehr) ausreichend bekommen. Gibt es denn noch Wünsche, die sich in der Zukunft erfüllen ließen? Wir wollen mit unseren Filialen und Korrespondenzsparkassen in ganz Österreich unsere Dienste anbieten. Eine Geschäftsstelle in Vorarlberg wünschen wir uns nach wie vor. Und welche Hindernisse erwarten Sie? Eine Herausforderung wird für uns in den nächsten Jahren sicher, dass die Prozesse in den Sparkassen immer mehr standardisiert und Ausnahmen immer schwieriger und teuer werden. Gleichzeitig sind Standardprozesse für uns zum Teil nicht brauchbar und auch nicht leistbar. Seitens der Zweite Sparkasse versuchen wir hier zu harmonisieren. Wir wollen weiterhin unsere Zeit ganz den Kund:innen widmen. Kosten- und Einsparungsziele sowie Zeitlimits werden auch in der Zukunft kein Thema für uns sein. So werden wir eine kleine, aber sehr wertvolle Bank für den Sparkassensektor und für Österreich bleiben. Eine solche wird es auch in 15 Jahren noch b rauchen. 57
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Alexander Maly Dipl.-Sozialarbeiter, Sparkassenrat i. R., Konsulent der Schuldnerberatung Wien, Lektor FH Campus Wien
Andreas Treichl Präsident des Sparkassenrats der Zweite Sparkasse, Chairman der ERSTE Stiftung
„Die letzten 15 Jahre haben mir gezeigt, welche Kraft in der 200 Jahre alten Idee steckt, Menschen zu helfen, die sich nicht mehr selbst helfen können, und wie aktuell dieser Gedanke auch heute leider immer noch ist. Dass wir als Zweite immer noch hohe Relevanz haben, ist der Tatsache geschuldet, dass wir nicht nur ein Konto anbieten, sondern auch ein Umfeld schaffen, in dem Vertrauen und Fürsorge herrschen. Das zeigt, wie wichtig ein menschlicher Umgang in Bezug auf Geld ist.“
„Menschen, die am unteren Ende der finanziellen Leistungsfähigkeit stehen, haben meist besondere Probleme mit neuesten Entwicklungen rund um die Themen Geld, Kredit und Banken. Die Zweite Sparkasse hilft diesen Menschen, den Blick auf das Wesentliche zu richten und ‚unerwünschte Nebenwirkungen‘ all dieser Veränderungen zu mildern. So ganz nebenbei erzeugen die Mitarbeiter:innen der Zweite Sparkasse auch ein wichtiges ‚zweites Bild‘, welche gesellschaftliche Funktion eine Bank auch haben kann.“
Franz Portisch Generalsekretär des Österreichischen Sparkassenverbands
„Die Idee zur Gründung der Zweite Sparkasse war vor 15 Jahren einzigartig: Getragen von ausschließlich ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen bietet sie in finanzielle Not geratenen Menschen ein Girokonto in Kombination mit einer umfassenden Beratung an – und zwar auf Augenhöhe und mit viel Einfühlsamkeit. Es entspricht zu 100 Prozent der Gründungsidee der Sparkassen, allen Menschen den Zugang zu mehr Wohlstand zu ermöglichen und sich um ihre finanzielle Gesundheit zu kümmern.“
Boris Marte CEO ERSTE Stiftung
„Die Zweite war das erste Projekt, dem die Stiftung zum Leben verholfen hat. Mit den 5,8 Mio. Euro für das Gründungskapital ist die Zweite Sparkasse auch mit Abstand das größte Investment, das wir je getätigt haben. Dass es auch eines der sinnvollsten war, zeigen die vergangenen 15 Jahre. Der Kreis der NGOs, die die Kund:innen betreuen, ist mit den Jahren nicht nur enorm gewachsen, sondern hat sich auch zu einem Netzwerk für Innovationen gewandelt, ohne das die Zweite nicht existieren könnte.“
Gerda Holzinger-Burgstaller CEO Erste Bank
„Die Gründung der Zweite Sparkasse ist ein beispielloses Engagement in der Armutsbekämpfung. Schuldenberatung ist ein grundlegender Eckpfeiler in der Bekämpfung einer persönlichen, finanziellen Not. Wir sind damit Anlaufstelle für alle, die alleine nicht mehr aus der Krise finden. Ich wünsche mir für die Zukunft der Zweite, dass man sie gar nicht mehr braucht. Aber bis dahin werden wir noch viel Arbeit haben und dazu beitragen, dass Menschen finanziell wieder auf die Beine kommen.“
Bernhard Spalt CEO Erste Group
„Die Zweite Sparkasse ist in den letzten 15 Jahren zu einem festen Bestandteil der Erste-Familie geworden. Unsere Mitarbeiter:innen haben sie mit großem persönlichem Einsatz zu dem gemacht, was sie heute ist. Eine Initiative der Sparkassengruppe, auf die wir jeden einzelnen Tag stolz sind. Die sozialen Herausforderungen unserer Gesellschaft verändern sich mit der Zeit. Kleiner werden sie allerdings nicht. Mit der Aufgabe, niemanden zurückzulassen, wird die Zweite daher auch in Zukunft viel zu tun haben.“
Franz Karl Prüller Senior Advisor der ERSTE Stiftung
„Als einer derjenigen, die die Freude und das Privileg hatten, die Zweite Sparkasse vom Anfang an zu entwickeln, bin ich besonders stolz auf das Engagement und den immer noch andauernden Enthusiasmus, mit dem die Mitarbeiter:innen und Vorstände, aber auch diejenigen in der Erste Bank, die uns unterstützen, sich den Aufgaben der Zweite Sparkasse widmen.“
Wir glauben, dass die meisten Menschen wollen, dass es auch anderen gut geht. Viele setzen sich persönlich für ihre Mitmenschen ein, im Beruf oder ehrenamtlich. Deshalb unterstützen wir diejenigen, die sich für einen Wandel unserer Gesellschaft zum Besseren engagieren. Wir investieren in die Entwicklung neuer digitaler Methoden, in Weiterbildung und Organisationsentwicklung von NGOs und in den Ausbau von Netzwerken nachhaltiger sozialer Unternehmen. Wir wollen Menschen stärken, die den sozialen Herausforderungen unserer Zeit aktiv begegnen.
Unterstützer:innen unterstützen
„Wir müssen Forschung so erklären, dass sie uns allen dient“ Mit Eva Höltl sprach Maribel Königer.
Seit März 2020 ist die Arbeitsmedizinerin Dr. Eva Höltl Vorstandsmitgliedder ERSTE Stiftung. Im Hauptberuf leitet sie seit 15 Jahren das Gesundheitszentrum der Erste Bank Österreich, der österreichischen Tochter der Erste Group, deren Hauptaktionärin die ERSTE Stiftung ist. In dieser Funktion war sie auch für das Pandemiemanagement bei Österreichs größter Bank zuständig. Eva Höltl war 2021 außerdem neben weiteren Personen Sprecherin der Initiative „Österreich impft“ und ist Vizevorsitzende des Fachausschusses für psychosoziale Gesundheit im Obersten Sanitätsrat, dem wichtigsten Beratungsgremium des österreichischen Gesundheitsministers. In der ERSTE Stiftung wirkt sie unter anderem bei der Entwicklung einer digitalen Anwendung zur Erleichterung des Alltags für pflegende Angehörige mit, die von der ERSTE Stiftung-Tochter Two Next in Zusammenarbeit mit Sozialorganisationen 2022 zur Marktreife gebracht werden soll.
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Foto: Peter M. Mayr
Maribel Königer: Ich kann mich gut erinnern: Ihr erster offizieller Tag in der ERSTE Stiftung war kurz vor Beginn des ersten coronabedingten Lockdowns. Welchen Eindruck haben Sie nach nun mehr zwei Jahren von der Stiftung?
nur medizinisch zu bewältigen. Wir müssen das Soziale ganz stark im Auge behalten.
Eva Höltl: Vorweg möchte ich sagen, dass ich die ERSTE Stiftung und ihre Tätigkeit schon immer mit großem Interesse verfolgt habe. Deshalb bin ich jetzt mit großer Freude dabei. Es stimmt, mein Eintritt in den Vorstand erfolgte mit Beginn dieser viralen Pandemie. Sie war und ist eine medizinische Herausforderung, die uns im Gesundheitszentrum und mir im Besonderen sehr viel Kraft und Zeit abverlangt hat. Anfangs hatte ich deswegen nicht die Zeit, mich so in der Stiftung einzubringen, wie ich es gern getan hätte. Andererseits sind in dieser Pandemie ganz viele Fragen aufgetaucht, die klassische Stiftungsthemen sind. Wie können wir zum Beispiel Personengruppen ansprechen, die wir schon vor der Pandemie schlecht erreichen konnten, etwa junge Menschen oder Menschen, die keinen Zugang zu klassischen Informationskanälen haben? Das war ein Problem beim Contact Tracing. Bei den Quarantäneregelungen hat sich gezeigt, dass auch Mitarbeiter:innen der Erste Bank in zum Teil sehr beengten Verhältnissen leben. Was sollten wir einem Lehrling sagen, der, bevor es die Impfung gab, mit Eltern, Großeltern oder Schwiegereltern zwei Zimmer bewohnt? Ich glaube, dass besonders die soziale Frage eine der größten Herausforderungen der Pandemie war. Es ist nicht möglich, die Pandemie
Genau. Sie zeigt, wie wichtig deren Arbeit ist. Das Team hat schon 2020 fantastische Arbeit im Sozialbereich vollbracht. Es wurde zum Beispiel sofort „Erste Hilfe“ geleistet. NGOs konnten dank rascher Unterstützung ihre Tätigkeit in der Region weiterführen. Auch wenn es für eine Rückschau heute (Anm.: das Gespräch wurde im Februar 2022 geführt) noch zu früh ist, kann man doch sagen, dass es zwar viele Irritationen und Unklarheiten gab, aber vieles auch gut gelungen ist. Die Reaktion der Stiftung auf die Pandemie kam schnell und proaktiv. Die großen Herausforderungen wurden unmittelbar angegangen. Die Situation der Pflege, die vorher schon schlecht war, hat sich zum Beispiel im Zuge der Pandemie massiv verschlechtert. Es gab Phasen, wo sie fast zusammengebrochen wäre und die Zivilgesellschaft extrem gefordert war, unterstützend einzugreifen. Hier hat die Stiftung sehr gute Antworten gefunden.
Hier ist die Brücke zur Arbeit der ERSTE Stiftung …
Darauf kommen wir noch zu sprechen. Noch mal zur Aussage, dass die Pandemie nicht nur medizinisch bewältigt werden kann. Wie dann? Weshalb ich Arbeitsmedizinerin geworden bin und nicht Hausärztin: Die medizinische, die 63
In Österreich startet die Impfung gegen das Coronavirus am 27. Dezember 2020 im KaiserFranz-Josef-Spital in Wien. Christoph Wenisch, der Leiter der Infektionsabteilung, freut sich über seine Impfung und den Erfolg der Wissenschaft. Foto: Georges Schneider/APA/picturedesk.com
soziale, die ökologische und die wirtschaftliche Frage sind aufs Engste miteinander verwoben. Wir müssen immer alle Aspekte sehen, zum Beispiel auch den Zusammenhang zwischen dem Entstehen von Pandemien und dem Eingriff des Menschen in die Natur und die Lebensräume von Wildtieren. Wenn wir uns nur auf eine Seite konzentrieren, werden wir keine guten Lösungen für die Menschen zustande bringen. Man kann dann vielleicht eine akute medizinische Bedrohung abwenden. Aber wirklich helfen kann man nur, wenn man versteht, dass sich hinter einer medizinischen Bedrohung immer auch eine soziale Bedrohung verbirgt. Es gibt Menschen, die schlechtere Karten haben, die benachteiligt sind, die nicht so leicht an Informationen kommen. Der Zeitpunkt meines Starts bei der Stiftung mag also vielleicht ein ungünstiger gewesen sein, er war aber im Nachhinein auch ein sehr wichtiger für mich. Mit der Pandemie hat sich plötzlich bewahrheitet, was ich schon immer gespürt habe: dass mich Sozialmedizin noch mehr interessiert als Akutmedizin. So gesehen ist es ein Privileg, dass ich diese beiden Interessenfelder gleichermaßen bestellen kann. Was ist denn bisher bei der Bewältigung der Pandemie im Rückblick gut und was weniger gut gelaufen? Die Pandemie hat ein großes Thema zutage gefördert, das leider offen geblieben ist und uns noch lange beschäftigen wird: Health Literacy. Wie kann es uns gelingen, Menschen mit den Möglichkeiten der Medizin in Zeiten vertraut zu machen, in denen Antworten nicht eindeutig sind, die Forschung noch nicht den einen Ausweg kennt, in denen Informationen sich laufend ändern und Angst das vorherrschende Gefühl ist? Wir haben schon wieder vergessen, dass es zu Beginn der Pandemie keine Möglichkeit gab, die Erkrankung zu heilen, keine Impfung, dafür aber schwere Ver64
läufe. Wir hatten in der Bank Mitarbeiter:innen, die jeden Tag vor Ort ihren Job gemacht haben und zum Teil mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist sind. Anfangs wussten wir ja nicht einmal, ob Masken schützen – heute unvorstellbar. Wie sind Sie vorgegangen? Zuerst mussten wir organisieren, wie wir zusammenarbeiten, wie wir mit Kund:innen arbeiten, wie wir uns austauschen. Ein überdurchschnittliches Know-how und eine schon vorher weit fortgeschrittene Digitalisierung haben uns enorm geholfen, damit wir in der Stiftung und in der Bank überhaupt weiterarbeiten konnten. Es hat sich aber auch gezeigt, dass es viele Bereiche gibt, die nicht digitalisiert sind, wo Menschen vor Ort arbeiten müssen. Diese Kolleg:innen hatten natürlich Angst, sich anzustecken oder Menschen anzustecken, die ihnen nahestehen. Es gab unzählige Fragen, die Situation war hochkomplex. Deshalb haben wir konsequent und früh begonnen, so zu kommunizieren, wie wir glauben, dass es die meisten gut verstehen. Wir haben von März 2020 bis zum heutigen Tag beinahe im Wochenrhythmus jene Informationen an die Mitarbeiter:innen weitergegeben, die zum jeweiligen Zeitpunkt verfügbar waren. In der Medizin sind Informationen – wie in den Naturwissenschaften – das zum aktuellen Zeitpunkt beste Wissen, das wir haben. Das haben wir dazugesagt. Als Impfungen verfügbar waren, haben wir allen nicht nur erklärt, dass die Impfung wirksam und sicher ist, sondern auch wie diese Technologien funktionieren, vor allem wie Medikamente ganz grundsätzlich zugelassen werden. Was ist eine Marktzulassung, was eine bedingte Zulassung, was eine Notzulassung? Warum das? Das war ein zentraler Erfolgsmoment. Wir hatten von Anfang an die Hypothese, dass das V ertrauen
„Die medizinische, die soziale, die wirtschaftliche und die ökologische Frage sind aufs Engste miteinander verwoben.“
in die Behörden und Institutionen, die die Impfung bewilligen und empfehlen, entscheidend ist. Oder anders gesagt: Misstrauen in diese Institutionen kann sehr gefährlich sein. Es war lange unklar, über welchen Zeitraum der Impfschutz anhält oder wie Impfungen gegen Mutationen wirken. Wir versuchten, die verfügbaren Informationen den Menschen so zu vermitteln, dass klar war, dass dies der Wissensstand von heute ist, dass bestimmte Sachen unbestritten stimmen und dass wir manches einfach noch nicht wissen. Diese sehr ehrliche, transparente Form der Information hat aus meiner Sicht dazu geführt, dass alle in Bank und Stiftung gut über die Impfungen Bescheid wussten. Diese Glaubwürdigkeit sorgte dafür, dass wir im Haus eine außergewöhnlich hohe Maßnahmenadhärenz und relativ rasch sehr hohe Impfquoten hatten. Wir haben uns auch immer bemüht, auf jene Kolleg:innen zuzugehen, die Angst und Sorge hatten. Denn auch die Sorge ist legitim. Wir haben auf Information gesetzt. In der Bank gibt es seit März 2020 eine Hotline, die sieben Tage die Woche von einem Arzt oder einer Ärztin besetzt ist. Das war wichtig, weil die öffentlichen Hotlines überlastet waren und Mitarbeiter:innen dringende Fragen hatten. Trotzdem empfinden es manche Menschen als Zumutung, die Maßnahmen zur Prävention der Pandemie mitzutragen. Wie sollte man darauf reagieren? Was wir jetzt sehen, was von manchen als Spaltung der Gesellschaft bezeichnet wird, ist natürlich durch eine müde und mürbe gewordene Bevölkerung erklärbar. Wir hören seit zwei Jahren von nichts anderem mehr als der Pandemie. Und niemand kann so gut wie ich den Wunsch verstehen, dass es jetzt mal genug ist. (Lacht.) Die große Mehrheit ist jedoch sehr dankbar, dass es die Impfung gibt, die uns auf jeden Fall davor schützt, schwer krank zu werden.
Aber natürlich ist die entscheidende Frage: Wie kann Kommunikation funktionieren, ohne dass es Gewinner:innen und Verlierer:innen gibt? Ohne dass es zu Radikalisierungen kommt? Ohne dass Fakten nicht mehr wahrgenommen werden können, weil eine so hohe Frustration herrscht? Wie kommunizieren wir so, dass wir nicht plötzlich Kolleg:innen ausgrenzen, weil sie Entscheidungen treffen, die nicht die unseren sind, nur weil wir möchten, dass es endlich vorbei ist? Wir haben aber auch viel dazugelernt. Einiges davon hat uns wahrscheinlich robuster gemacht und wird uns in Zukunft helfen. Wir haben gesehen, dass wir unter widrigen Umständen das Richtige tun und gut kommunizieren können. Und wir haben gesehen, was dort passiert, wo dies nicht gelungen ist. Was wird die größte Hürde sein, die wir in dieser Zukunft nehmen müssen, für die wir nun besser gerüstet sind? Innerhalb eines Jahres ist es gelungen, eine völlig neue Impfung gegen ein unbekanntes Virus auf die Beine zu stellen. Das ist für mich als Medizinerin eine unfassbare Leistung der Wissenschaft, trotz der Vorarbeiten, die ich natürlich kenne. Jetzt haben wir eine wirksame Impfung und in einigen Ländern gibt es massive Konflikte, ja Unruhen, weil Menschen nicht glauben können, dass uns der Impfstoff hilft. Es gibt eine tiefe Skepsis, dass der Fortschritt – nicht nur im medizinischen Bereich – uns allen zugutekommt. Ich sehe eine große Herausforderung darin, eine immer schneller voranschreitende und immer komplexere Forschung so zu erklären, dass sie möglichst vielen von uns dient. Die Menschen müssen verstehen, dass Innovation dazu beitragen kann und wird, nicht nur Pandemien, sondern auch andere schwere Krankheiten zu heilen. Wir müssen Vertrauen aufbauen, dass Forschung dazu da ist, unser aller Leben in vielerlei Hinsicht besser und leichter zu machen. 65
Plakat auf der Demonstration gegen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie im Wiener Resselpark am 26. Oktober 2021. Foto: Isabelle Ouvrard/SEPA.Media/ picturedesk.com
Wobei es auch kein Widerspruch zum Nutzen von Erfindungen sein sollte, dass Menschen, die etwas entdecken, oder Firmen, die es produzieren, Geld damit verdienen. Wir müssen genau hinschauen, wie das gute Leben, das uns Forschung und Innovation bringen sollen, für alle wirksam wird. Sonst wird die Gruppe derer, die dagegen sind, immer größer, weil sie sich zurückgelassen fühlen. Das ist aus meiner Sicht nicht in allen Bereichen gut gelungen, in Österreich und manchen osteuropäischen Ländern noch weniger als in anderen. Besonders schäbig fand ich auch, dass Menschen mit Bedenken für politische Interessen instrumentalisiert wurden. Für mich als Arbeitsmedizinerin und Vorstandsmitglied der ERSTE Stiftung ist tatsächlich die alles entscheidende Frage, wie wir es in Zukunft besser schaffen, Gruppen, die in einem fast bedrohlichen Ausmaß ablehnend auf Forschung und Fortschritt reagieren, besser zu erreichen. Wie kann das gelingen? Da gilt es, von den Besten zu lernen. Das V ertrauen in die Wissenschaft hängt mit dem Vertrauen zusammen, dass deren Erkenntnisse adäquat umgesetzt werden. Und da sind wir bei der Politik, denn dort werden die Entscheidungen getroffen. In den skandinavischen Ländern sieht man: Je g rößer das Vertrauen in die Politik im Allgemeinen ist, desto größer das Vertrauen, dass die Maßnahmen, die getroffen wurden, die richtigen sind. Besonders schade ist, dass wir in Österreich sehr viele Menschen aus sozioökonomischen Risikogruppen schlecht erreichen. Das liegt zum Teil an fehlenden Sprachkenntnissen, aber auch an Ängsten, die wir zu wenig kennen, um adäquat darauf eingehen zu können. Wir werden ebenso in der Zukunft – hoffentlich nicht in Form von Pandemien – immer wieder Situationen haben, in denen es wichtig ist, dass Menschen gute Informationen bekommen, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können. 66
Kritische Haltungen werden aber bleiben und sollen es ja auch, oder? Natürlich, es geht ja nicht darum, dass alle gleich denken und entscheiden. Ich halte Diversität für wichtig. Jeder Mensch muss die Fragen „Wie möchte ich leben?“ oder „Wie viel Fortschritt möchte ich in mein Leben lassen?“ für sich selbst beantworten. Worauf sich wohl alle einigen können ist, dass es uns besser gehen wird, wenn die Pandemie vorbei ist. Wir sind da derzeit auf einem gar nicht so schlechten Weg. Alles, was jetzt dazu dient, zu überzeugen und nicht weiter zu spalten, ist sinnvoll und wird uns am Ende helfen. Dennoch wäre es fatal, wenn das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung völlig schwände. Da ist sicherlich die Politik gefordert, aber das kann auch eine Stiftungsaufgabe sein. Besonders in Zentral- und Osteuropa sehen wir ja schon länger, wie sich die politische Kultur zum Negativen verändert hat, und überlegen, wie man dort die Zivilgesellschaft unterstützen kann. Das ist nicht auf die Pandemie beschränkt. Die Bank bemüht sich um Wohlstand für alle, die Stiftung hat ein besonderes Interesse am funktionierenden Dialog einer demokratischen Öffentlichkeit. Wie bereits angesprochen ist die Pflege eines der großen gesellschaftlichen Themen und auch ein Arbeitsfeld der Stiftung. Worum geht es denn da genau? Das ist meine Herzensangelegenheit, auch weil sie so wichtig ist. Kurz zur Erklärung, wie ich dazu gekommen bin. Ich leite seit 15 Jahren das Gesundheitszentrum der Erste Bank und bin oft damit konfrontiert, dass unsere Mitarbeiter:innen durch Krankheit oder wegen erkrankter Angehöriger in eine Situation kommen, in der sie den beruflichen, aber auch privaten Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. Das hat auch mit veränderten sozialen Strukturen und erhöhter Mobi-
„In Österreich gibt es eine Million pflegende Angehörige!“
lität zu tun. Es gibt die Großfamilien nicht mehr, die alles abfedern; es gibt zunehmend alleinerziehende Menschen und viele, ob in der Stadt oder auf dem Land, die versuchen, unterschiedliche Anforderungen unter einen Hut zu kriegen. Erwerbstätige, also die Altersgruppe der 18- bis 65-Jährigen, haben Eltern, die irgendwann einmal in eine Phase der Pflegebedürftigkeit kommen. Manche leben in anderen Bundesländern, ein Elternteil stirbt oder kommt ins Krankenhaus, Demenzerkrankungen nehmen zu. Und dann entgleiten die Dinge relativ rasch. In Österreich, einem Land, in dem neun Millionen Menschen leben, gibt es eine Million pflegende Angehörige! Das ist eine riesige Zahl. Man kann sich ausrechnen, wie viele von insgesamt 8.500 Mitarbeiter:innen bei unserer Bank in Österreich, aber auch anteilig in der Stiftung betroffen sind. Seit die Pandemie die Schwächen offengelegt hat, wird das Thema Pflege mit der Dringlichkeit besprochen, die es verdient. Warum nicht schon früher? Leider ist die Pflege nicht erst seit der Pandemie ein schwieriges Thema. Zum einen ist der organisatorisch-bürokratische Teil hochgradig komplex. Zum anderen macht das Thema Angst, weil sich die Belastung für die Pflegenden über eine längere Dauer steigern kann und irgendwann ein Leben zu Ende geht. Das Ausmaß der Betreuung ist im Einzelfall sehr unterschiedlich. Manche bezeichnen sich gar nicht als betreuende Angehörige, wenn sie nach der Arbeit die gebrechliche Großmutter versorgen. Diese unglaublich vielen Menschen bei der Pflege ihrer Angehörigen zu unterstützen, sie überhaupt zu ermöglichen, ist so wichtig. Denn wenn diese Pflege ausschließlich extern gemacht werden müsste, bräche das System rasch zusammen. Man hat schon in der Pandemie gesehen, was passiert, wenn Tageseinrichtungen geschlossen werden müssen und zum
Beispiel Demenzkranke den ganzen Tag mit der Familie auf engem Raum im Homeoffice verbringen müssen. Das war sehr schwer. Da wollen wir ansetzen. Worum geht es bei der Lösung genau? Wir nutzen unsere Expertise im Bereich der Digitalisierung, um ein Tool, eine App für pflegende Angehörige zu schaffen, die ihnen die nötigen Informationen rasch und verständlich zur Verfügung stellt. Das klingt simpel, aber daran haben sich schon viele die Zähne ausgebissen. Die Frage, welche Informationen die pflegenden Angehörigen wirklich brauchen, ist gar nicht so leicht. Und die Anwendung muss extrem niederschwellig und einfach in der Bedienung sein: Wer mit einem Smartphone umgehen kann, soll das Tool nutzen können. Je niedriger der sozioökonomische Status ist, desto höher die quantitative Pflegeleistung. Wer in gering bezahlten Jobs oder Teilzeit arbeitet, pflegt am meisten. Aus anderen Studien ist bekannt: Je mehr Information der oder die pflegende Angehörige hat, desto sicherer fühlt er oder sie sich und desto mehr ist er oder sie auch bereit zu pflegen. Ein weiterer kritischer Punkt ist der Datenschutz. Bei der Digitalisierung von Sozialprojekten sind zur Klärung der Datenschutzfragen Pionierleistungen zu erbringen. Natürlich sind alle großen Pflegeinstitutionen eingebunden, denn sie müssen das Tool später verwenden und sie haben die Expertise. „Clara“, so der Arbeitstitel der App, soll ihre Arbeit ergänzen und erleichtern. Es ist großartig, dass ich mit der ERSTE Stiftung einen Beitrag leisten kann, dass pflegende Angehörige künftig auf wichtige Fragen klare Antworten von Fachleuten auf ihrem Smartphone erhalten werden: Wie gehe ich das an? Was brauche ich für die Pflege? Was kann ich tun? Was gibt es? Was kostet Pflege? Mit wem kann ich über dieses Thema reden? 67
Schlag auf Schlag Victor Clopotar ist Kupferschmied in Rumänien. Früher hat er traditionelle Kessel gemacht, mit Unterstützung von co/rizom hat ihn die internationale Designwelt entdeckt. Porträt von Karin Pollack, Bilder von Pauline Thurn und Taxis und Matei Plesa
Es ist ein kühler Morgen, doch die Sonne scheint schon über die Häuser im rumänischen Brateiu. Irgendwo kräht ein Hahn. Victor Clopotar marschiert mit einem großen Stoß Ästen über seinen Hof. „Ich bin Victor“, sagt er und ist guter Laune, weil er Menschen, die kommen, um ihm bei seiner Arbeit über die Schulter zu schauen, mag. Er ist ein „Kalderaš“, so werden die Kupferschmiede der Roma seit Jahrhunderten genannt. Einst waren sie viele hier im Dorf, wird Victor erzählen, heute sind nur mehr wenige seiner Zunft übrig.
Das Feuer ist angezündet und brennt, doch die Glut ist noch nicht heiß genug. Victor schneidet einstweilen aus einer Kupferplatte runde Kreise. Aus diesem harten Material wird er mit Hammer und Amboss Schalen in weich geschwungenen Formen entstehen lassen. Denn Victor stellt nicht mehr ausschließlich die hier in der Gegend üblichen rustikalen Haushaltsgegenstände her, sondern Objekte, die auf den großen internationalen Designmessen für Aufsehen sorgen. „Neues zu machen, hat mich von Anfang an gereizt“, sagt er und erinnert sich, wie alles vor sieben Jahren begann. „Mesteshukar ButiQ“ (MBQ) war jene von der ERSTE Stiftung unterstützte Initiative, bei der Victor Clopotar internationale Designer:innen kennenlernte. Victors Arbeiten fielen sofort auf. Am Anfang wurden traditionelle Stücke von ihren rustikalen Elementen befreit, doch durch sein Können haben sich bald viele gemeinsame Ideen materialisiert. „Sein Talent ist phänomenal – nicht nur seine dreidimensionale Vorstellungskraft, sondern auch seine bedingungslose Genauigkeit.“ Auch heute, an diesem sonnigen Vormittag, wird Victor Clopotar wieder die Grenzen des eigenen Könnens ausreizen. Das Kupferblech ist über dem Feuer warm geworden, er setzt sich auf seinen Schemel und wirft einen Blick auf die Skizze neben ihm. Mit Hammer und Amboss wird er dieses Blech in ein bauchiges, weich geschwungenes Objekt verwandeln. Immer wieder wird er sein Werkstück zurück zum Feuer bringen, um es „formbar wie Ton“ zu machen, erklärt er. Es kann sein, dass dieser Vorgang bis zu 70 Mal wiederholt werden muss, denn vieles, was Clopotar macht, braucht Abertausende Schläge, um zu dem zu werden, was er selbst als gelungen und damit fertig betrachtet. Die im Laufe der Zeit entstandenen Kollektionen haben in den vergangenen Jahren auf internationalen Messen in Paris, Mailand oder New York für Furore gesorgt. Dass Objekte eines Handwerkers aus Brateiu in Rumänien in den großen Metropolen gefeiert werden, macht ihn stolz – und selbstbewusst.
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Trotz seines Erfolges ist Victor Clopotar überaus traditionsbewusst geblieben. So, wie es hier für die Kalderaš üblich ist, trägt er bei der Arbeit stets eine Bundfaltenhose, ein buntes Jackett und einen Hut. Aus der Zusammenarbeit mit MBQ ist eine Kooperation mit co/rizom entstanden, einer Initiative der ERSTE Stiftung, die Handwerker:innen neue Karrierewege eröffnen will. Dem co/rizom-Team, bestehend aus Andrei Georgescu, Alina Serban und Nadja Zerunian, geht es nun darum, den rumänischen Kupferschmied dabei zu unterstützen, ein eigenes kleines Unternehmen aufzubauen. Victor Clopotar, der nur wenige Jahre in der Schule war, versteht, wie professionelle Produktion, Vermarktung und Vertrieb funktionieren. Und tatsächlich ist dieser Prozess weit gediehen. Victor weiß, dass Materialkosten kalkuliert werden müssen und dass jede Kollektion erst einmal Prototypen braucht. Erst so lassen sich Material und Kosten berechnen, was dann wiederum wichtig für den Verkaufspreis und den Vertrieb seiner Waren ist. Victor Clopotar ist sich bewusst, dass er es über die Grenzen von Siebenbürgen hinaus schaffen muss. Das co/rizom-Team hat den rumänischen Kupferschmied zu Homo Faber, einer Initiative der Michelangelo-Stiftung zur Förderung Europas talentiertester Handwerker:innen, vermittelt. Im April 2022 werden seine Arbeiten als Teil der „Next of Europe“-Ausstellung in Venedig zu sehen sein. Denn die italienische Stiftung setzt sich dafür ein, traditionsreiches Handwerk zu erhalten. Kupferschmiede sind in der industrialisierten Welt rar geworden. Victor Clopotar ist somit nicht zuletzt auch einer, der alte Kulturtechniken bewahrt. Er hat das Schmieden von Tabletts, Kannen und Destillierkesseln von seinen Vorfahren gelernt und hofft, dass sein Sohn eines Tages seinen Platz einnehmen wird. Denn: „Leute sterben, aber sie lösen sich nicht in Luft auf, sondern lassen etwas für nächste Generationen zurück“, sagt der 37-Jährige. Und dank der Kooperation mit co/rizom hat er es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. So konnte er sich im Vorjahr eine kleine Werkstatt einrichten, wo er auch dann arbeiten kann, wenn es draußen regnet. Er heizt nicht immer mit Holz, sondern hat manchmal auch eine Gasflasche parat, weil das schneller geht. Zudem hat er sich ein Auto gekauft, was ihm beim Transport seiner Waren das Leben erleichtert. Seine Pläne für die Zukunft: Mithilfe von co/rizom will Victor nun eine eigene Marke gründen. VCR steht für „Victor Clopotar Romania“ und er will nicht, wie bisher, immer nur Auftragsarbeiten erledigen, sondern eigene Kollektionen entwerfen. „Klack, klack, klack“ klingt es metallisch über den Hof in Brateiu. Wenn das rhythmische Klopfen kurz verstummt, dann nur, weil Victor gerade Augenmaß nimmt und überprüft, ob das, was er macht, gut genug ist. „Ohne euch hätte ich nie gewusst, was ich alles erreichen kann“ sagt er. Und arbeitet dann weiter.
co/rizom co/rizom ermöglicht traditionellem Handwerk den Zugang zu einem globalisierten Markt. Ein digitales Tool löst komplexe Prozesse auf und gliedert sie in sieben einfache Schritte, von der Anpassung getesteter Verfahren für die Entwicklung von Sozialunternehmen und Produkten bis zur Adaption passender Strategien für Marketing und Branding. In kleinen Sozialunternehmen organisierte Handwerker:innen können damit als zuverlässige und vertrauenswürdige Lieferant:innen großen Einzelhandelskonzernen gegenübertreten. Das sichert ihre finanzielle Stabilität und ermöglicht ihnen ein solides, selbstbestimmtes Finanzleben. Derzeit nehmen Handwerkstreibende aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Österreich, Rumänien, Ungarn und Usbekistan am Programm teil.
corizom.org
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Wir glauben, dass die europäische Idee es wert ist, um sie zu kämpfen. Komplexe Probleme wie die Klimakrise, die negativen Folgen der Globalisierung sowie eine völlig veränderte Präsenz und Nutzung von Medien und Information haben bei vielen Menschen zu Ängsten und Pessimismus geführt. Neue Gräben zwischen Ost und West scheinen sich aufzutun. Einfache Lösungen klingen verführerisch, verschärfen aber die Situation. Wir wollen Netzwerke mit den besten Köpfen mit politischen Entscheidungsträger:innen zusammenbringen, Qualitätsjournalismus für eine informierte Öffentlichkeit fördern und die Debatte über ein widerstandsfähiges, demokratisches, vereintes Europa mitgestalten.
Ein demokratisches Europa bewahren
Der Balkan als Bewährungsprobe für ein geopolitisches Europa Von Srđjan Cvijić und Dimitar Bechev
Im Jahr 2006 verkündete der damalige EU-Chefdiplomat Javier Solana, dass es die Aufgabe Europas sei, „eine globale Macht, eine Kraft für das Gute in der Welt“ zu werden. Nur zwei Jahre vor der Wirtschaftskrise versprach die EU durch die rosarote Brille, in ihrer Nachbarschaft einen „Kreis befreundeter Staaten“ aufzubauen. Mittlerweile ist dieser Optimismus weitgehend verflogen: Angesichts der immer noch andauernden Covid-19-Pandemie, einer im „Feuerring“ jenseits der EU-Grenzen drohenden Migrationskrise und des weltweit zunehmenden Autoritarismus blicken die meisten Europäer:innen mit Sorge auf das internationale Geschehen. Ungeachtet dieser düsteren Realität ist das Ziel der EU das gleiche wie vor 15 Jahren. Wie auch ihre Vorgängerinnen erhebt die derzeitige EU-Kommission unter Präsidentin von der Leyen den Anspruch, eine „geopolitische“ zu sein, indem sie die Interessen und Werte der EU auf die Welt projiziert. Der entscheidende Unterschied besteht heute jedoch darin, dass die Europäer:innen insbesondere durch die Trump-Präsidentschaft erkannt haben, dass die bedingungslose Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten ausgedient hat. Daher versucht die EU, ihren Platz als echter Global Player zu behaupten. Die Geschichte zeigt uns, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Vor 200 Jahren, am 2. Dezember 1823, ließ US-Präsident James Monroe in seiner Rede vor dem Kongress die ganze Welt wissen, dass „die amerikanischen Kontinente … fortan nicht mehr als Objekt zukünftiger Kolonisierung durch europäische Mächte“ anzusehen seien. Die Mon82
roe-Doktrin erklärte den amerikanischen Doppelkontinent für Großbritannien, Frankreich oder andere Außenmächte zum Tabu. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 versucht Russland mit wechselndem Erfolg, seinen Einfluss auf das, was es „das nahe Ausland“ nennt, geltend zu machen und den Westen auf Distanz zu halten. China verfolgt in Teilen Asiens ähnliche Ziele. Ein flüchtiger Blick in die Geschichte lehrt uns, dass es bislang keiner Großmacht gelungen ist, sich auf globaler Ebene zu behaupten, ohne zuvor ihre Macht in der Peripherie zu festigen. Seit Jahren verfolgt die EU eine auf dieses Ziel ausgerichtete Politik: die Erweiterung. Von sechs Mitgliedern in den 1950er-Jahren ist die Union auf 27 angewachsen – ein Beweis für ihre Anziehungskraft. Doch im Gegensatz zu anderen Großmächten verknüpft die Strategie der EU Geopolitik mit transformativen Bestrebungen. Die Verankerung der demokratischen Wende in Süd- und später in Osteuropa entsprach dem strategischen Ziel der Vereinigung des Kontinents. Für die politischen Eliten und die Gesellschaft im Allgemeinen bedeutete die „Europäisierung“, sprich: der EUBeitritt, einen sicheren Weg vom Autoritarismus (ob rechts oder kommunistisch) zu einer liberalen Demokratie. Die Nicht-Erweiterung funktioniert nicht Heute befindet sich die Erweiterungspolitik jedoch in einer tiefen Krise. Das Engagement der EU in der westlichen Balkanregion bleibt ein Lippenbekenntnis. Während die Beitrittsverhandlun-
Das Rathaus von Sarajewo leuchtet am Europatag, dem 9. Mai, in den Farben der Flaggen der Europäischen Union und Bosnien und Herzegowinas. Foto: Dreamstime
gen in der Vergangenheit zwischen zwei und acht Jahren dauerten, verlaufen die Gespräche mit den „Spitzenkandidaten“ Montenegro und Serbien in einem enttäuschend langsamen Tempo. In Podgorica wird seit mehr als acht Jahren, in Belgrad seit sechs Jahren verhandelt. Andere Anwärter wie Nordmazedonien und Albanien haben Mühe, den Prozess überhaupt zu initiieren, während Bosnien und Herzegowina und der Kosovo hoffnungslos hinterherhinken. Kosovo ist der einzige Balkanstaat, dessen Bürger:innen für die Einreise in die EU nach wie vor ein Visum benötigen. Doch nicht nur das Tempo der EU-Erweiterung, auch ihr Inhalt gestaltet sich problematisch. Angesichts der illiberalen Wende in Ungarn und Polen, den Top-Performern der Erweiterung von 2004, fragen sich Politiker:innen in den EU-Ländern, ob eine Aufnahme der Halbdemokratien des Balkans klug sei. Für Staatsoberhäupter wie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron hat die interne Konsolidierung der EU Vorrang vor der Erweiterung. Diese passive Haltung gibt anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit, das Thema Erweiterung in Beschlag zu nehmen. Bulgarien sah sich selbst von Deutschland, das die Erweiterung befürwortet, nicht ausreichend unter Druck gesetzt, sein Veto gegen die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien im Dezember 2020 fallen zu lassen. Das liegt daran, dass die EU der Meinung ist, sie habe Wichtigeres zu tun: der neue Haushalt und der Streit mit Warschau und Budapest über die daran geknüpften Bedingungen, die geopoliti-
schen Herausforderungen durch die Türkei, Russland und China oder die Einigung auf eine gemeinsame Migrationspolitik. Das sind nur einige Beispiele; die Liste der Prioritäten, die Vorrang vor der Erweiterung um die westlichen Balkanstaaten haben, geht weit darüber hinaus. Das Problem ist, dass eine De-facto-Politik der Nichterweiterung zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung geworden ist. Je mehr sich die EU zurückzieht, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die politischen Eliten in den westlichen Balkanländern die Vorgaben der EU beherzigen werden. Gleichzeitig rechtfertigt das schwindende Bekenntnis zu demokratischen Reformen in den Kandidatenländern nur die ablehnende Haltung Brüssels. Daraus ergibt sich eine widersprüchliche Situation. Einerseits ist der Westbalkan bereits gut in den europäischen Markt integriert und profitiert – was den Handel, aber bis zu einem gewissen Grad auch die Freizügigkeit betrifft – von einem privilegierten Zugang zur EU. Auf der anderen Seite kämpft die Region mit einem wiedererstarkten Autoritarismus und grassierendem Nationalismus. Die Rechtsstaatlichkeit ist bestenfalls problematisch. Serbien wurde 2018 von der internationalen Beobachtungsstelle Freedom House auf einen „eingeschränkt freien Staat“ herabgestuft. Präsident Aleksandar Vučić hat schrittweise alle Kontrollmechanismen demontiert, die in den ersten zwölf Jahren der PostMilošević-Demokratie mühsam aufgebaut worden waren, bevor seine Partei an die Macht kam. Aus diesem Grund liegt die EU-Vision, die bereits innerhalb der Union selbst unter Beschuss steht, 83
auf dem Balkan in Trümmern. Die vermeintliche Bereitschaft der EU, Vučić und andere Autokraten aus der Verantwortung zu nehmen, bringt die progressivsten Kräfte in den Gesellschaften des Westbalkans gegen die EU auf, da eine solche (Un)tätigkeit seitens der EU in ihren Augen den Anspruch der Union, demokratische und liberale Werte hochzuhalten, untergräbt. Der Umgang mit autoritären Rückschritten Die entscheidende Lehre aus früheren Erweiterungsschritten in Mittel- und Osteuropa ist, dass die europäische Integration eine verstärkende Wirkung hat. In den 1990er- und 2000er-Jahren konnten dadurch Reformen fest verankert werden, die eher von innen als von außen angestoßen wurden. In den 2010er-Jahren legitimierte und finanzierte die EU bedauerlicherweise Regierungen, die liberale demokratische Grundsätze untergruben, wie die Regierung von Viktor Orbán in Ungarn anschaulich zeigt. Gleichermaßen hat sich die EU in den westlichen Balkanländern in jüngerer Zeit zu einer Stütze des autoritären Status quo entwickelt. Infolgedessen befinden sich die prodemokratischen Kräfte auf dem westlichen Balkan in der schwierigen Lage, die Zusammenarbeit Brüssels mit räuberischen Eliten zu rechtfertigen bzw. verzweifelt nach trügerischen alternativen Transformationsmodellen zu suchen, in denen Europa durch Abwesenheit glänzt. Entvölkerung und Abwanderung fordern ebenso weiteren Tribut von der internen Dynamik für Veränderungen. Der demokratische Rückschritt in Verbindung mit der Vereinnahmung staatlicher Strukturen ebnet den Rivalen der EU, wie Russland, der Türkei und China, den Weg, ihren Einfluss auf dem Balkan geltend zu machen. Im Allgemeinen ziehen die Staatsoberhäupter der Balkanländer die russische, türkische und chinesische Präsenz jener der EU vor, weil sie ihnen neue Einnahmequellen bieten. Verbindungen zu Moskau, Peking oder Ankara erhöhen auch den Einfluss amtierender Regierungen gegenüber der EU durch Aufbauschen des geopolitischen Werts ihrer Länder im Ringen zwischen Europa und seinen Konkurrenten. Die Verwässerung der EU-Forderungen nach Re84
formen in für die Machtausübung bedeutsamen Bereichen, sei es in den Medien, im Justiz- und Polizeiwesen oder im öffentlichen Dienst, ist ein Zugeständnis, das die Eliten des westlichen Balkans augenscheinlich zu akzeptieren bereit sind. Angesichts der demokratischen Rückschritte in Ungarn, Polen oder den Westbalkanstaaten haben die politischen Eliten an der Spitze der EU vor allem zwei Schlussfolgerungen gezogen: zum einen, dass die Erweiterung 2004 zu früh erfolgt sei, und zum anderen, dass der gleiche „Fehler“ auf dem Westbalkan nicht wiederholt werden dürfe. Doch abgesehen davon, dass die EU neue Hürden für die Bewertung der Beitrittsfähigkeit eines Landes eingeführt hat, hat sie keine Lösung für das Problem des Demokratiedefizits in den Kandidatenländern gefunden. Die Dauer der Beitrittsverhandlungen wird weder eine institutionelle Konsolidierung noch eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit garantieren. Hervorzuheben sei hier, dass das Wiederaufleben des Autoritarismus innerhalb der EU kein Beweis für das Scheitern der Erweiterung ist. Die EU-Erweiterung hat die Wirtschaft und Gesellschaft in Polen, Ungarn und den übrigen mittel- und osteuropäischen Ländern unbestritten verändert. Doch die Hoffnung, dass Europa alle innenpolitischen Missstände und Defizite aus eigener Kraft beheben könnte, war von Anfang an heillos naiv. Damit die EU ihr Versprechen einer demokratischen Konsolidierung einlösen kann, muss der Beitrittsprozess Hand in Hand mit den innerstaatlichen Kräften und nicht gegen sie arbeiten. Qualifizierte Mehrheit und Macht des Volkes Eine von den westlichen Balkanländern propagierte Lösung ist die Stärkung der regionalen Integration als Mittel zur Ankurbelung der Wirtschaft und gleichzeitigen Vorbereitung auf ihre mögliche EU-Mitgliedschaft in zehn bis 15 Jahren. Ein sogenanntes „Mini-Schengen“ ist in den letzten Jahren zu einem Schlagwort geworden, für das sich Serbien, Nordmazedonien und Albanien starkgemacht haben. So edel das Ziel einer regionalen Zusammenarbeit auch sein mag, sie wird nicht zu einem robusten Wirtschaftswachs-
Sollte sich die EU als unfähig erweisen, eine demokratische Erneuerung Ungarns zu unterstützen, wird sie auf dem westlichen Balkan keine Chance haben.
tum führen, geschweige denn demokratische Missstände beheben. Tatsächlich wurde der Warenhandel auf dem Westbalkan nach mehr als zwei Jahrzehnten EU-geförderter, multilateraler Initiativen wie dem Mitteleuropäischen Freihandelsabkommen oder dem in Sarajewo ansässigen Regionalen Kooperationsrat bereits weitgehend liberalisiert. Mini-Schengen könnte einige nichttarifäre Handelshemmnisse beseitigen, aber es wird weder zu mehr Rechtsstaatlichkeit noch zu einer Verbesserung der demokratischen Rechenschaftspflicht beitragen, was eine unabdingbare Voraussetzung für langfristiges Wachstum ist. Ähnliche regionale Initiativen sind willkommen, aber kein Ersatz für einen vollständigen EU-Beitritt aller westlichen Balkanstaaten. Der geopolitische Imperativ der EU, eine Vormachtstellung gegenüber ihrer Peripherie einzunehmen, bedingt eine Beschleunigung der Erweiterung. Die Herausforderung besteht jedoch darin, die Reformen in den Kandidatenländern nicht zu untergraben, indem man ihnen die Tür zur EU-Mitgliedschaft öffnet. Bislang ist es der EU nicht gelungen, ein geeignetes Transformationsmodell auszuarbeiten. Kosmetische Änderungen wie die überarbeitete Erweiterungsmethodik, die von Frankreich Anfang 2020 forciert wurde, werden den autoritären Rückschritt auf dem westlichen Balkan nicht aufhalten, sondern vermutlich nur die Beitrittsgespräche verlängern. Jede inhaltliche oder strukturelle Verbesserung der Beitrittsverhandlungen ist ohne eine gründliche Reform des Entscheidungsprozesses bedeutungslos. Gegenwärtig macht es das Einstimmigkeitsprinzip im Beitrittsprozess unmöglich, demokratische Vorreiter wie Nordmazedonien zu belohnen und Nachzügler wie Vučićs Serbien zu bestrafen. Einstimmige Entscheidungen über jeden Schritt eines Landes auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft bieten einzelnen Mitgliedstaaten eine bequeme Ausrede, den Beitritt aufgrund bilateraler Streitigkeiten oder ihrer eigenen Innenpolitik zu bremsen. Auch die Sanktionierung von abtrünnigen Staaten wird durch die Einstimmigkeit erschwert. Die Regel, wonach alle 27 Mitgliedstaaten einer
Entscheidung zustimmen müssen, macht die sogenannte „Reversibilitätsklausel“, das Markenzeichen der neuen Erweiterungsmethodik der Europäischen Kommission, zu einer zahnlosen Hinhaltetaktik. Das Europäische Parlament hat bereits zweimal für eine formelle Aussetzung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gestimmt – 2017 und im März 2019. Die Europäische Kommission und der Rat sind diesem Beispiel nicht gefolgt. Die Chancen, die autoritären Staaten des Westbalkans zu bestrafen, sind noch geringer. Der Versuch, den Westbalkan zu transformieren, während man gleichzeitig Mühe hat, die Autokraten innerhalb der EU wie Orbán in Schranken zu halten, gleicht dem aussichtslosen Unterfangen, die Decke in der eigenen Wohnung zu übermalen, um den Wasserschaden des Nachbarn im oberen Stockwerk zu kaschieren, anstatt diesen dazu zu bringen, sein Waschbecken zu reparieren. Die Machthaber:innen auf dem Balkan haben vom benachbarten Ungarn gelernt, wie man den Staat vereinnahmen kann, ohne europäische Sanktionen zu riskieren. Sollte sich die EU als unfähig erweisen, eine demokratische Erneuerung Ungarns zu unterstützen, wird sie auf dem westlichen Balkan keine Chance haben. Der Weg nach vorne ist die Einführung einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung bei den Erweiterungsverhandlungen, aber auch die vollständige Umsetzung des Mechanismus, der die Auszahlung von Mitteln aus dem EU-Haushalt an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit knüpft. Wenn die berühmte transformative Kraft der EU zu positiven Ergebnissen führen soll, muss die Reform der Entscheidungsfindung bei den Beitrittsgesprächen von einem basisdemokratischen Anstoß in den westlichen Balkanländern begleitet sein. Das bedeutet, dass die Zivilgesellschaft in ihren Ländern eine saubere Politik fordern und auf Veränderungen, auch durch Beteiligung am wahlpolitischen Geschehen, drängen muss. Es gibt eine Reihe ermutigender Beispiele im weiteren EU-Raum, von der Slowakei über Rumänien bis nach Nordmazedonien. Eine praktikable Erweiterungspolitik sollte die Entwicklung von Mechanismen zur direkten Stärkung überzeug85
ter proeuropäischer Kräfte umfassen: rhetorisch durch Anprangerung jeglicher Vereinnahmung des Staates, aber auch materiell durch Investitionen in zivilgesellschaftliche Einrichtungen und Medien, die sich zur Aufgabe gemacht haben, die Machthaber:innen zur Rechenschaft zu ziehen. Selbst mit Trump an der Macht sind die USA in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel vorangegangen: Radio Free Europe hat seine Arbeit in Ungarn, Rumänien und Bulgarien wieder aufgenommen.
Demokratien könnte den langfristigen Interessen der EU womöglich weniger schaden als eine Verschiebung des Beitritts auf unbestimmte Zeit. Natürlich sollte es Vorsichts- und Absicherungsmaßnahmen geben. Um sicherzustellen, dass die sechs neuen potenziellen Mitglieder (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien) die ohnehin schon komplizierten EU-internen Entscheidungsprozesse nicht durcheinanderbringen, könnte ihr Stimmrecht eingeschränkt werden, bis sie demokratische und rechtsstaatliche Standards erfüllen.
Die richtigen Prioritäten Der Versuch, Rechenschaftspflicht und Rechtsstaatlichkeit in den westlichen Balkanstaaten zu fördern, sollte dem anderen Ziel der EU nicht im Weg stehen: der Schaffung einer freien und demokratischen Union vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer. Wie die Beispiele – Orbáns Ungarn und Vučićs Serbien – zeigen, ist es innerhalb der EU ebenso schwierig, autoritären Rückschritten entgegenzuwirken, wie außerhalb der Union. Auch die Nichterweiterung kann den westlichen Balkan nicht vor der Vereinnahmung staatlicher Einrichtungen bewahren. Die Aufnahme mangelhafter
Ob es den Beamt:innen in Brüssel – oder auch in Paris und Berlin – gefällt oder nicht, das „geopolitische Europa“ erlebt seine erste Bewährungsprobe auf dem westlichen Balkan. Um zu zeigen, dass ihre Handlungen und ihr Engagement auf internationaler Ebene etwas bewirken, sollte die EU zunächst ihre Ziele durchsetzen und ihre Rolle im eigenen Hinterhof – oder besser gesagt in ihrem Vorgarten (in Anbetracht der Lage des westlichen Balkans im Vergleich zum Rest der Union) – behaupten. Nur dann wird Europa in der Lage sein, in seiner weiteren Nachbarschaft oder gar auf globaler Bühne zu reüssieren.
Europe’s Futures ist eine Kooperation der ERSTE Stiftung mit dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) zur Entwicklung neuer Perspektiven für ein wiedererstarktes, vereintes und demokratisches Europa. Liberal-demokratische Stimmen aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa führen eine hochrangige akademische, gesellschaftliche und politische Debatte über die Zukunft der Europäischen Union. Denn Europa erlebt eine der dramatischsten und herausforderndsten Zeiten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das europäische Projekt steht auf dem Spiel und die liberale Demokratie wird sowohl von innen als auch von außen herausgefordert. Staatliche und nicht staatliche Akteur:innen aller Richtungen sehen den dringenden Bedarf, brennende Probleme anzusprechen und das mit dem politischen Friedensprojekt mühsam Erreichte zu konsolidieren. Seit 2018 treffen sich jedes Jahr sechs bis acht führende europäische Expert:innen am IWM in Wien. Das Stipendienprogramm Europe’s Futures stellt eine einzigartige Plattform für Ideen zur Verfügung. Hier werden grundlegende Maßnahmen erörtert, mit deren Hilfe es gelingen kann, die gegenwärtige Situation und die Zukunft Europas zu stärken und weiterzuentwickeln. Basierend auf eingehender Forschung und konkreten Maßnahmenvorschlägen lebt das Programm vom Austausch mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, der Öffentlichkeit und den Medien. Europe’s Futures wird von Ivan Vejvoda geleitet.
europesfutures.eu
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Europe’s Futures-Stipendiat:innen 2020/2021
Ioannis Armakolas ist Politikprofessor, Ideenschmied und führender griechischer Experte für Südosteuropa. Im Rahmen seines Stipendiums führte Armakolas die erste umfassende Analyse des Prespa-Abkommens durch, im Rahmen dessen der sogenannte Mazedonien-Namensstreit beigelegt wurde. Ziel war es, die Dynamik der Beilegung des Streits zwischen Griechenland und Nordmazedonien zu verstehen und Lehren für die EU über die Besonderheiten der Konflikte auf dem Balkan, ihr Potenzial zur Beilegung sowie die Rolle, die die europäische Diplomatie und ihr Einfluss in naher Zukunft spielen können, herauszuarbeiten. Armakolas ist Assistenzprofessor für Vergleichende Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Südosteuropa an der Fakultät für Balkanstudien, Slawistik und Orientalistik der Universität Makedonien und Senior Research Fellow bei der Griechischen Stiftung für Europa und Außenpolitik, deren Südosteuropa-Programm er leitet. Er ist Chefredakteur von Southeast European and Black Sea Studies.
nationaler Ebene hierarchisch höher stehenden Akteuren (EU, USA, Russland, Türkei usw.) geworden sind, aber auch die Machtdynamik zu ihrem Vorteil zu manipulieren wissen. Bechev ist Gastwissenschaftler bei Carnegie Europe, wo der Fokus seiner Arbeit auf Mittel-, Ost- und Südosteuropa ruht, Dozent an der Oxford School of Global and Area Studies der Universität Oxford und Autor von Turkey under Erdogan (Yale University Press, 2022) sowie Mitherausgeber von Russia Rising: Putin’s Foreign Policy in the Middle East and North Africa (Bloomsbury, 2021). Er schreibt regelmäßig für bedeutende Nachrichtenmedien.
Srđjan Cvijić ist ein renommierter Menschenrechtsexperte und befasst sich als Wissenschaftler schwerpunktmäßig mit dem westlichen Balkan. Cvijićs Arbeit als Europe’s Futures-Stipendiat konzentrierte sich auf den demokratischen Übergang am Beispiel Serbien, vom Sturz Miloševićs 2000 bis zur Covid-19-Pandemie. Dabei zeigte er auf, wie sich die Unfähigkeit der postautoritären Regierungen, ein Vertrauensverhältnis zu den Bürger:innen aufzubauen, nachteilig auf den Erfolg des demokratischen Experiments in Serbien auswirkte. Cvijić ist Senior Policy Analyst am Open Society European Policy Institute in Brüssel und leitet die Interessenvertretung der Open Society Foundation in Europa in mehreren außenpolitischen Bereichen wie EU-Erweiterung, westliche Balkanstaaten, Türkei und Nordafrika. Cvijić hat zahlreiche wissenschaftliche und politische Publikationen über die Außenbeziehungen der EU und die Politik des Balkans veröffentlicht.
Dimitar Bechev ist einer der führenden europäischen Experten für Fragen zum Einfluss der Türkei und Russlands in Europa und im Mittelmeerraum. Als Europe’s Futures-Stipendiat untersuchte Bechev die internationale Politik der europäischen Peripherie, in der Staaten und Eliten (der Beitrittskandidaten) zum Spielball von auf inter87
Julia De Clerck-Sachsse ist Oxford-Wissenschaftlerin, Diplomatin und ehemalige Beraterin der Hohen Vertreterinnen der EU Ashton und Mogherini. Als Europe’s Futures-Stipendiatin untersuchte sie, wie Brüsseler Kommunikationsexpert:innen europäische Narrative in einer Zeit konstruieren, in der die europäische Integration zunehmend infrage gestellt wird. Angesichts der aktuellen Veränderungen im politischen Diskurs, sei es durch soziale Medien oder populistische Kampfansagen, interessierte sie insbesondere, welche Rolle das Wecken von Emotionen anstelle rationaler Argumente in der Kommunikation spielt. Ziel ihrer Arbeit ist es, die Bedeutung von Narrativen in der EU hervorzuheben, um deren Bemühungen zur Förderung der Demokratie sowohl innerhalb als auch außerhalb der Union zu unterstützen.
Judy Dempsey ist eine der lautesten Stimmen im europäischen Zivilsektor, ehemalige Journalistin und Autorin des Buchs Das Phänomen Merkel. Als Europe’s Futures-Stipendiatin untersuchte sie im Rahmen ihrer umfassenden politischen Analysen zum Rückgang der Demokratie die Entwicklungen im Bereich Rechtsstaatlichkeit in Polen und dadurch entstehende Herausforderungen für die Europäische Union. Dempsey ist Senior Fellow bei Carnegie Europe und Chefredakteurin des Blogs Strategic Europe. Sie war für den International Herald Tribune und die Financial Times tätig, berichtete für die Irish Times und den Economist und schrieb an mehreren Büchern über Osteuropa mit.
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Kapka Kassabova ist eine international anerkannte, in Sofia geborene Schriftstellerin, die sich mit dem Balkan beschäftigt, und Autorin des viel gelobten Buchs To the Lake. Sie nahm am E urope’s Futures-Stipendium teil, um für ein in Arbeit befindliches Buch mit dem Titel Elixir zu recherchieren und Beiträge zu schreiben. Schwerpunkt des Werks ist das Leben in den Bergdörfern Südbulgariens als Mikrokosmos eines geopolitisch und wirtschaftlich marginalisierten Europas von heute. Es stellt dringende Fragen über Ungleichheit und Doppelmoral und darüber, was dies über die viel gepriesenen europäischen Werte von heute aussagt: Welche Verbindungen bestehen zwischen ökologischer Gesundheit und der des Menschen, kulturellem Synkretismus und seinem Verhältnis zu Toleranz, und gibt es so etwas wie einen modernen europäischen Arbeitsmarkt, in dem sklavenähnliche Arbeitsbedingungen toleriert werden?
Teresa Reiter Auch wenn sie die EU für ein beispielloses Friedensprojekt hält, konzentrierte sich Reiter im Rahmen ihres Europe’s Futures-Stipendiums darauf, die weniger perfekten Aspekte in der Bilanz der friedenserhaltenden EU-Einsätze auf dem westlichen Balkan und insbesondere den österreichischen Zugang zur Geschichtsvermittlung der Balkankriege der 1990er-Jahre an den Sekundarschulen des Landes zu untersuchen. Die gelernte Journalistin ist Expertin für Außen- und Sicherheitspolitik und berichtete für verschiedene europäische Medien über europäische und außenpolitische Themen. Als Fachreferentin für Außen- und Europapolitik, Migration, Landesverteidigung und Entwicklungszusammenarbeit war sie im NEOS-Parlamentsklub tätig. Im Jahr 2019 kandidierte sie für die Wahlen zum Europäischen Parlament.
Alison Smale Die Gründungsherausgeberin der International New York Times und ehemalige UN-Untergeneralsekretärin nutzte das Europe’s Futures-Stipendium für eine Analyse des heutigen Mediensektors in Ost- und Mitteleuropa hinsichtlich seiner Offenheit, Fundiertheit und Unabhängigkeit, um den Leser:innen, Zuschauer:innen und Nutzer:innen die Nachrichten zu liefern, die sie brauchen, und die Instrumente und Analysen bereitzustellen, mit denen sich die Auswirkungen von Ereignissen – vor dem Hintergrund von 30 Jahren demokratischer Entwicklung in der Region – beurteilen lassen. Die Journalistin und Redakteurin begann ihre Karriere in verschiedenen Funktionen bei Associated Press in Bonn, Moskau und Wien, bevor sie zur New York Times und später zu den Vereinten Nationen als Untergeneralsekretärin für Globale Kommunikation wechselte.
Ivan Vejvoda ist der Leiter von Europe’s Futures am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien, dem er seit September 2021 als Rektor vorsteht. Bevor er 2017 als Permanent Fellow zum IWM kam, war er Senior Vice President for Programs des German Marshall Fund (GMF) of the United States. Von 2003 bis 2010 fungierte er als Geschäftsführer des Balkan Trust for Democracy des GMF. Vejvoda kam 2003 zum GMF, nachdem er sich in der serbischen Regierung als leitender Berater der Premierminister Zoran Ðjinđjić und Zoran Živković in Fragen der Außenpolitik und europäischen Integration verdient gemacht hatte. Davor war er Geschäftsführer des in Belgrad ansässigen Fund for an Open Society. In den 1990er-Jahren spielte Vejvoda eine tragende Rolle in der demokratischen Oppositionsbewegung Jugoslawiens und verfasste zahlreiche Publikationen zu Themen wie demokratischer Übergang, Totalitarismus und Wiederaufbau nach dem Krieg auf dem Balkan.
Alle Porträtfotos: IWM
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Kein Mensch ist eine Insel ... Eine Betrachtung von Sanja Bojanic
Eine Insel zu erreichen, braucht Zeit. Und es braucht Initiative und Willen, ihr einen Namen zu geben. Und dann ist dieser auch noch schwer auszusprechen: Cres. Cres, ein gängiger Begriff bei den alten Griechen. Χέρσος, Chersos: unfruchtbares Land, ein Wanderparadies. Der stimmlosen alveolaren Affrikate, diesem „ts“ (wie in „Zeit“), fehlt es an weiteren Vokalen, um sanft zum rollenden „r“ zu gleiten. Der Name sträubt sich und es dauert, bis man die Insel erreicht. Einmal dort angekommen, fällt es einem schwer, sie wieder zu verlassen. Wir haben unser Center for Advanced Studies Southeast Europe im Oktober 2019 im Palais Moise in der Stadt Cres mit einem wunderbaren Vortrag von Bernard Stiegler eröffnet. Noch zu Präpandemiezeiten warnte er weitblickend, dass „wir angesichts systemischer Risiken systemische Antworten finden müssen“. Dies sei „nur durch den Schutz, die Kultivierung und die Teilhabe von Wissen möglich“. Zu den „systemischen Risiken“, auf die sich Stiegler bezog, zähl(t)en die vielfältigen und komplexen ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Krisen und Gesundheitsbedrohungen, die sich mit immer größerem Tempo rund um den Globus ausweiten und das Ergebnis eines unzulänglichen internationalen institutionellen Designs sind, das die Voraussetzungen für die Entwicklung derart komplexer Bedrohungen und Ungerechtigkeiten erst ermöglichte. Wie können wir das System verändern? Was braucht es, um auf seine Risiken zu reagieren? Wo steuern wir hin? Und was, wenn wir – im Sinne des Dichters als „ein Teil des Festlands“, das wie „eine Scholle ins Meer gespült wird“ – spüren und schließlich erfahren, dass wir „weniger“ sind? All dies mit einem Mal, auf einer Insel in der nördlichen Adria, wo uns gesagt wird, dass wir innehalten sollen, für einen kurzen Moment, im Labyrinth der Tramuntana. Innehalten, um die Bewegungen der Erde und all ihre Erschütterungen wahrzunehmen. Cres ist die größte Insel des Archipels und die am dünnsten besiedelte. Die Winter sind windig und wie in Venedig erinnert uns das Acqua alta daran, dass es gut ist, eine Weile zu schwimmen, bevor man festen Boden erreicht. Wir kamen vom Festland auf die Insel und brachten den Wunsch nach struktureller und funktioneller Neugestaltung mit, damit eine kosmopolitische Gemeinschaft entstehen und kooperative Heterogenität gedeihen kann. Zu diesem „Wir“ gehören über 70 junge Wissenschaftler:innen, die das Zentrum in den mehr als sechs Jahren seit seinen Anfängen aufgenommen hat, um Forschung neu zu denken und eine engagierte Gemeinschaft zu bilden. Zuweilen war diese Erneuerung sorgfältig geplant und in Form eines „AntiEvents“ konzipiert: wie 2020, als der Austausch aus der Ferne und die damit einhergehende Isolation, die passive Wahrnehmung und die Distanziertheit zunahmen, als wir die gemeinsame Zeit hier auskosten und nutzen wollten, um im Palais Moise auf der Insel zusammenzuarbeiten. Bei unserem Anti-Event ging es nicht primär darum, den „besten Stand“ unserer Forschung zu präsentieren, wie man es bei einer wichtigen Veranstaltung tun würde, sondern unsere Zeit an einem Ort zu nutzen, um die laufenden Arbeiten im Kollegen- und Freundeskreis zum Besseren zu verändern. Wir machten weiter, indem wir umsichtig allen Erfordernissen entsprachen, die die epidemiologische Situation gebot und akzeptierten, wenn auch widerstrebend, dass der Staat in unserem Namen entschied, ob wir uns frei bewegen durften. Ständig daran erinnert, dass „der Schutz, die Kultivierung und die Teilhabe von Wissen“ nicht gegeben sind, sondern geduldig verdient werden wollen, praktiziert unsere Gemeinschaft junger Forschender und Aktivist:innen all dies auf einmal: vernünftig zu leben in einer Zeit, die aus den Fugen geraten ist, und aktiv auf den Moment zu warten, das Richtige zu tun. Insel Cres, Foto: istockphoto.com/Goran Stimac
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Das Palais Moise ist ein denkmalgeschütztes, 500 Jahre altes Patrizierhaus im historischen Zentrum von Cres. Alle Fotos auf dieser Doppelseite: CAS SEE
Sanja Bojanic forscht in den Bereichen Kulturphilosophie, Medien und Queer-Studies mit einem übergreifenden Engagement für das Verständnis zeitgenössischer Formen von Gender-, Rassen- und Klassenpraktiken, die soziale und affektive Ungleichheiten untermauern, die in modernen gesellschaftlichen und politischen Kontexten besonders verstärkt werden. Sie unterrichtet an der Akademie für angewandte Kunst in Rijeka.
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Das Center for Advanced Studies Southeast Europe (CAS SEE) wurde 2013 als eine auf Sozial- und Geisteswissenschaften spezialisierte Organisationseinheit der Universität Rijeka gegründet. Die Vision des Zentrums ist es, die Freiheit der Forschung zu fördern und die notwendigen Voraussetzungen für innovative, intellektuelle und wissenschaftliche Entwicklung zu gewährleisten. Das CAS SEE befindet sich im Palais Moise, einem auf der nordadriatischen Insel Cres gelegenen Renaissancegebäude, das einen einzigartigen Ort für kritisches Denken und Innovation bietet. Die ERSTE Stiftung ist nicht nur eine der wichtigsten Gründungspartner:innen und Unterstützer:innen des CAS SEE, sondern beteiligt sich auch aktiv an der Konzeption und Steuerung der Aktivitäten und der programmatischen Entwicklung des Zentrums. Hedvig Morvai, Direktorin für Strategie und Europa der ERSTE Stiftung, ist Vorsitzende des internationalen Gremiums der fördernden Organisationen des CAS SEE. Seit 2013 unterstützen wir die Arbeit des CAS SEE über sein jährliches Fellowship-Programm für junge Forschende. Im Jahr 2021 veranstalteten wir im Rahmen von Europe’s Futures – Ideas for Actions (siehe Seite 86) im Palais Moise unser Leitseminar.
Center for Advanced Studies Southeast Europe Moise Palace Zagrad 6, 51557 Cres, Kroatien
cas.uniri.hr
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Zehn Denkanstöße zur Förderung unabhängiger Medien Wie kann die Philanthropie unabhängigen Journalismus in Krisenzeiten unterstützen? Timothy Large hat die folgenden zehn Kernpunkte einer Diskussion auf dem Weltkongress 2021 des International Press Institute (IPI) zusammengefasst.
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Bei der Förderung unabhängiger Medien sollte ein Ökosystem-Ansatz verfolgt werden, der eine systematische Zusammenarbeit zwischen philanthropischen Institutionen, Regierungen, Investor:innen und anderen Akteur:innen vorsieht.
In die Unterstützung unabhängiger Medien sollten vermehrt Steuergelder fließen, ohne dabei die redaktionelle Unabhängigkeit zu gefährden, laut Empfehlung des Forum on Information and Democracy 0,1 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts.
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Einer langfristigen, operativen Unterstützung ist vor kurzfristigen, projektbezogenen Finanzierungen Vorrang zu geben.
Wohlhabende Länder sollten einen größeren Teil ihres Entwicklungs hilfebudgets für die Unterstützung unabhängiger Medien aufwenden. Der International Fund for Public Interest Media empfiehlt ein Prozent des Entwicklungshilfebudgets.
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Der bürokratische Aufwand für unabhängige Medien, die eine Förderung erhalten, soll verringert werden.
Lokale Medien und kleinere Nischenmedien sollten nicht vernachlässigt werden.
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Philanthropische Institutionen sollten Medienorganisationen dabei unterstützen, selbst für ihre Finanzierung zu sorgen.
Philanthropische Institutionen sollten sich darum bemühen, andere Akteur:innen einzubinden, einschließlich zivilgesellschaft licher Organisationen und ImpactInvestor:innen.
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Es sollten mehr Mittel für Rechtshilfe bereitgestellt werden, um Rechts streitigkeiten entgegenzuwirken, die darauf a bzielen, unabhängige Medien zum Schweigen zu bringen.
Der Philanthropie sollte keine überhöhte Bedeutung beigemessen oder ihr Potenzial für die Nachhaltigkeit der Medien überbewertet werden, insbesondere nicht in einem Umfeld, das unabhängigem Journalismus feindlich gegenübersteht.
An der Diskussion im Presseclub Concordia im Rahmen des IPI-Weltkongresses am 16. September 2021 nahmen 17 Expert:innen sowie interessierte Gäste teil, die meisten persönlich vor Ort. Manche, wie Mira Milosevic (Global Forum for Media Development), wurden online zugeschaltet. Foto: IPI
Wie kann der philanthropische Sektor angesichts der zunehmenden Herausforderungen für unabhängige Medien dabei helfen, die Redaktionen am Laufen zu halten, ohne dabei Abhängigkeiten zu schaffen oder Kollateralschäden zu verursachen? Wie können Fördergeber:innen angesichts immer knapper werdender Budgets zu einer pluralistischen und freien Medienlandschaft beitragen? Diese und weitere Fragen wurden von Vertreter:innen von Förderorganisationen, Journalist:innen sowie Medienentwicklungsexpert:innen auf dem Weltkongress 2021 des International Press Institute (IPI) bei einem Round Table in Wien erörtert. Ihr Ziel: Empfehlungen für Stiftungen auszuarbeiten, die sich die Journalismusförderung zur Aufgabe gemacht haben. Moderiert wurde die Diskussion von Marius Dragomir, Direktor des Center for Media, Data and Society der Central European University, und Maribel Königer, Direktorin für Kommunikation, Journalismus und Medien der ERSTE Stiftung, Chefredakteurin des Online-Magazins der Stiftung und verantwortlich für die Programme der Stiftung zur Förderung von investigativem Journalismus in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Zu den Teilnehmer:innen zählten Vertreter:innen des Forum on Information and Democracy, des Global Forum for Media Development, des International Fund for Public Interest Media, der Open Society Foundations, der Stiftung Fritt Ord, der Limelight Foundation, von Porticus, Civitates, der KonradAdenauer-Stiftung, des Media Development Investment Fund, von Eurozine, des Balkan Investigative Reporting Network, von Reporting Democracy, der Europäischen Kommission und des International Press Institute.
Sustainable Financing of Media: How Can Philanthropy Help? Nachhaltige Finanzierung von Medien: Was kann die Philanthropie tun? wurde gemeinsam vom International Press Institute und der ERSTE Stiftung organisiert. Der IPI-Weltkongress 2021 fand von 15. bis 17. September 2021 in Wien statt.
ipiwoco2021.sched.com
An der Diskussion nahmen u. a. Christoph Plate (Media Programme Subsahara Africa der Konrad-Adenauer-Stiftung) und Dragana Obradovic (Balkan Investigative Reporting Network) teil; weitere Gäste waren im Hintergrund von links nach rechts Nicholas Watson (Reporting Democracy), Kathryn Geels (European Journalism Centre), Peter Erdélyi (444.hu) und Andreas Lamm (European Centre for Press and Media Freedom). Foto: IPI
Reporting Democracy ist der Beitrag der ERSTE Stiftung zur F örderung von kritischem, unabhängigem Journalismus. Gemeinsam mit dem Balkan Investigative Reporting Network haben wir diese grenzüberschreitende journalistische Plattform gegründet. Unabhängige Journalist:innen recherchieren und behandeln Themen, Trends und Ereignisse, die die Zukunft der Demokratie in Mittel-, Ost- und Südosteuropa prägen. Reporting Democracy liefert Reportagen, Interviews und Analysen von Korrespondent:innen aus 14 Ländern. Journalist:innen vor Ort erhalten Reportageaufträge und Stipendien für ausführliche Berichte und Recherchen. Alle Artikel erscheinen in englischer Sprache. Die meisten werden zudem in die jeweilige Landessprache übersetzt und dank eines wachsenden Netzwerks lokaler Medienpartner:innen von mehreren Medien veröffentlicht. Ein breites Spektrum von Expert:innen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft kommentiert aktuelle Themen innerhalb eines geografischen Raums, der sich über Mittel- und Osteuropa und den Balkan, von der Ostsee bis zur Ägäis erstreckt.
Ziel von Civitates ist die Etablierung eines starken, gemeinwohlorientierten, unabhängigen Journalismus, der sich für die Demokratie in Europa einsetzt, indem er Machtmissbrauch und die Ursachen der Polarisierung aufdeckt und einen Raum bewahrt, in dem alle Stimmen Gehör finden. Die Initiative soll dazu beitragen, dem Sektor erhebliche Finanzmittel zur Verfügung zu stellen und den engagierten, aber überlasteten Organisationen in diesem Bereich strukturelle Unterstützung zukommen zu lassen. Civitates vergibt insgesamt 2.467.000 Euro für einen Zeitraum von drei Jahren an elf unabhängige, gemeinwohlorientierte journalistische Organisationen in ganz Europa. Ein Auswahlkomitee, das sich aus den Stiftungspartner:innen von Civitates zusammensetzt und von einer breit gefächerten Expertengruppe beraten wird, hat die folgenden Organisationen ausgewählt, die seit 2021 gefördert werden: 444.hu, Direkt36 (beide Ungarn), IPRI – Investigative Reporting Project Italy (Italien), Stichting Bellingcat (Niederlande), Fundacija Pismo, OKO (beide Polen), Divergente (Portugal), Átlátszó Erdély, Press One (beide Rumänien), Pod črto (Slowenien) und Civio (Spanien).
civitates-eu.org
reportingdemocracy.org
Wir glauben, dass Kultur ein zentraler Bestandteil unserer Identität ist. Jede Gesellschaft braucht Kultur: als Labor, in dem die Vergangenheit reflektiert, die Gegenwart kritisiert und die Zukunft imaginiert wird. Kultur stärkt komplexe Identitäten in den Gesellschaften Osteuropas. Wir möchten daher, dass wichtige künstlerische Praktiken der jüngeren osteuropäischen Geschichte erforscht werden. Das kulturelle Erbe der Dissidentengeschichte muss gesichert und einem internationalen Publikum zugänglich gemacht werden. Künstler:innen brauchen (Frei-)Räume für ihre Produktion, Theoretiker:innen internationale Anerkennung für ihre Arbeit; und beides, Werk und Interpretation, sollte zugänglich sein.
Freiraum zeitgenössische Kultur
Bratislava – Wien: Eine asynchrone Nachbarschaft Zu Roman Ondaks Installation SK Parking Von Wolfgang Kos
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Wien war 2001 der ideale Schauplatz für eine hintersinnige ZeitRaum-Aktion, bei der Autos als Anschauungsmaterial dienten. Heute gilt SK Parking als eines der präzisesten Kunstwerke zur psycho-topografischen Stimmungslage zwischen Ost und West. Zwölf Jahre nach der auch in der Kulturszene euphorisch begrüßten „Öffnung“ unternahm der slowakische Konzeptkünstler Roman Ondak einen bereits damals melancholisch anmutenden Nachbarschaftsbesuch im nahen und doch so fernen Wien. Melancholisch war die Intervention, weil 2001 bereits zu spüren war, dass der in Richtung Westen drängende Enthusiasmus der sogenannten „OstKünstler:innen“ im internationalen Kunstbetrieb nach einer Phase kurzatmiger Neugier als lediglich peripheres Phänomen schubladisiert wurde. Ondaks Projekte zeichnet aus, dass sie Situationen kreieren. Sie schaffen, um den Kurator und Theoretiker Igor Zabel zu zitieren, eine „Konstellation von Dingen, Menschen und Räumen, die im Kern von dem abweicht, was erwartet und als selbstverständlich vorausgesetzt wird“. Bevor er ein Projekt beginne, so der Künstler einmal, gebe es „eine Geschichte, die bereits da ist“. Diese gelte es mit formalen und nonverbalen Mitteln anschaulich zu machen. Wenn Ondak wie bei SK Parking Demarkationslinien und Übergänge austestet, geschieht dies nicht in einem abstrakten Niemandsland, sondern in behutsamer Auseinandersetzung mit realen und häufig paradoxen Raumbeziehungen. Bei SK Parking betrug die überbrückte Distanz kartografisch 80 Kilometer. „Nur“ 80 Kilometer, sollte man hinzufügen. Nachdem die Beziehung zwischen Bratislava und Wien im Kalten Krieg abgeriegelt war und die historischen Nachbarstädte einander fremd geworden waren, wurde nach der slowakischen Staatsgründung von 1994 mit Verblüffung registriert, dass nirgendwo sonst in Europa zwei Hauptstädte so nahe beisammenliegen. Doch es sollte lange dauern, bis sich einigermaßen pragmatische, wenn auch keine tiefgehenden Beziehungen entwickelten. Gemeinsam mit Freunden chauffierte Roman Ondak 2001 sieben Škodas älterer Bauart von Bratislava zur Wiener Secession. Wo sie losfuhren, repräsentierten sie ärmliche Normalität im Kontext kontinuierlich wachsender Konsumwünsche, im Straßenbild von Wien mussten sie mit mitleidigen Blicken rechnen. Abgestellt wurden die glanzlosen Autos auf dem Parkplatz hinter der Secession. Dort blieben sie als kaum wahrnehmbare Merkwürdigkeit für die Ausstellungsdauer von zwei Monaten wie eingefroren stehen. „Einerseits bin ich neugierig darauf“, so Ondak zur Aktion SK Parking, „welche Formen und Situationen wir alle noch als Kunst empfinden können. Gleichzeitig versuche ich, diesen Raum auch für Menschen zu öffnen, die mit Kunst nicht vertraut sind, und von ihnen zu lernen.“
Roman Ondak, SK Parking, 2001, Installationsansicht Erste Campus Wien 2021, Foto: Oliver Ottenschläger, © Kontakt Sammlung, Wien
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Für manche Passant:innen blieben die in Wien ausgesetzten Kleinwagen mit slowakischen Kennzeichen unter der Wahrnehmungsgrenze, andere vermuteten fremde, vielleicht sogar illegale Eindringlinge in die wohlgeordnete Konsummetropole Wien. Warum fuhren sie nicht wie die schäbigen, meist stinkenden Autobusse, die in den 1990er-Jahren neugierige Tagesbesucher:innen aus der Slowakei nach Wien brachten, am Abend wieder zurück über die Grenze? Wer hatte ihr Dauerparken auf einem hochwertigen Privatgelände überhaupt genehmigt? Roman Ondak war die Rolle eines Grenzgängers zwischen den Systemen vertraut. Der 1966 geborene Künstler konnte sein Kunststudium, nachdem ihm dieses jahrelang verwehrt worden war, erst 1988 beginnen, als an slowakischen Akademien noch der Sozialistische Realismus Mainstream war. 1994 schloss er es ab, knapp nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs und einer befreienden Revolution, die an der Kunsthochschule Bratislava mit einem Ausbruch spontaner Begeisterung gefeiert wurde. Ondak gehört zu jener ersten postkommunistischen Künstlergeneration seines Landes, für die die benachbarte Weststadt Wien nicht mehr jene unerreichbare Draußenwelt war, vor der viele ihrer Vorgänger:innen und Lehrer:innen in provinzieller Selbstbeschränkung geflüchtet waren. Mit Stippvisiten in Wien, wohin man eifrig zum Ideen-Shopping fuhr und in kommerziellen und öffentlichen Kunsträumen endlich Werke von Weltstars aus der Nähe erleben konnte, ließ sich das bislang auf Schleichwegen angeeignete Wissen über zeitgenössische Kunst auf den aktuellen Stand bringen. Dies geschah, mit der Škoda-Expedition vergleichbar, unbemerkt: ohne freundliche Begrüßung, ohne substanziellen Dialog mit der Wiener Kunst-Community, die sich wiederum zu gut war, um in Bratislava oder Budapest Nachschau zu halten. Ausnahmen bildeten spezialisierte Kunstscouts wie die Galerie Knoll oder springerin. Umso wertvoller waren Kontakte, die hielten und weitertrugen. So wurde Wien in den Neunzigern zumindest vorübergehend zu einem Brückenkopf. Für Ondak, der seit 2004 von der Wiener Galerie Martin Janda vertreten wird, wurde die Nachbarstadt zur Schaltstelle für eine internationale Karriere. Bereits vor der Wiener Aktion von 2001 waren seine Arbeiten in einigen mittel- und westeuropäischen Städten zu sehen gewesen. SK Parking war Roman Ondaks sehr persönlicher Beitrag zur keineswegs auf Ostbeobachtung beschränkten Gruppenausstellung Ausgeträumt … und unterstrich an einem konkreten Modellfall jene keimende Skepsis, die Kuratorin Kathrin Rhomberg mit Blick auf systemüberschreitende Verwerfungen diagnostizierte. In ihrem Leittext schrieb sie, „dass unsere soziale und politische Wirklichkeit nach Jahren der Hoffnung und Zuversicht gegenwärtig weitgehend desillusioniert wahrgenommen wird“.
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Roman Ondak, SK Parking, 2001, Installationsansicht Erste Campus Wien 2021, Foto: Oliver Ottenschläger, © Kontakt Sammlung, Wien
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Roman Ondak, SK Parking, 2001, Installationsansicht Secession Wien, 2001. Foto: mit freundlicher Genehmigung des Künstlers
Roman Ondak, SK Parking, 2001, Installationsansicht Kunsthalle Bratislava, 2021, Foto: Archiv KHB/Martin Marenčin
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Das galt nicht nur für die künstlerische Utopie eines befruchtenden Austauschs zwischen Ost und West, sondern generell für den Traum einer umfassenden Demokratisierung und einer sich öffnenden Gesellschaft. Längst zeichnete sich ab, dass die Transformation der postsozialistischen Länder Ostmitteleuropas schroffer und asozialer als erhofft ablief und von hemmungsloser Deregulierung und einem überfallsartig durchgesetzten Neoliberalismus mit grotesken Begleiterscheinungen bestimmt war. Bei SK Parking griffen Ondaks konzeptuelle Methoden perfekt ineinander. Was als subversive, mobile Performance ohne Publikum begonnen hatte, wechselte den Aggregatzustand und erstarrte vorübergehend zu einer Skulptur im öffentlichen Raum. Anschließend wurden die Props, die geliehenen Autos, an ihre Besitzer:innen retourniert und verschwanden wieder im slowakischen Verkehrsalltag. Zurück blieb eine Serie von dokumentarischen, seltsam geisterhaften Fotografien. Danach wurde das Werk als Sinnbild für ein ganz spezielles Zeitfenster der Erinnerung überantwortet. So blieb es, bis sich die Aktion nach 20 Jahren überraschenderweise wieder materialisierte. Das Ensemble der blechernen Kurzzeitstatisten wurde, nach einem unerwarteten Reenactment vor dem Gebäude der Kunsthalle in Bratislava, wie seinerzeit nach Wien überstellt und verwandelte sich nun in ein mit Inventarnummer versehenes bleibendes Kunstobjekt. Anlass für die Reprise war der Erwerb von sieben alten Škodas durch die Kontakt Sammlung, die den bei SK Parking verwendeten entsprechen, sie also zitieren. Nicht die Fahrzeuge sind Originale (schließlich waren bereits 2001 deren individuelle Geschichten irrelevant), dafür sollen Ideen und Geist einer historisch relevanten Aktion reanimiert werden. In der vorläufigen Dauerpräsentation stehen die angejahrten und aus der Zeit gefallenen slowakischen Automobile, die heute die Anmutung von liebenswürdigen Oldtimern haben, in Reih und Glied in der Tiefgarage des Erste Campus – eine irgendwie exotische Installation inmitten von schweren Kundenkarossen und Dienstwagen im schwarz glänzenden Managerdress. Was sich über die vergangene Zeit hinweg spiegelt, ist das Bild gesellschaftlicher Asychronizität. Denn in den 1990er-Jahren waren im Kontrast zu Ondaks spätkommunistischen Škodas auch in Bratislava immer mehr schwere Fahrzeuge neuesten Zuschnitts unterwegs – dicke SUVs und übermotorisierte schwarze Nobellimousinen als Prestigesymbole einer aufsteigenden, finanzstarken Klasse. Da waren ärmliche Škodas bereits vom Aussterben bedroht.
Wolfgang Kos wurde 1949 in Mödling geboren und lebt in Wien. Der Historiker, Radiojournalist und Ausstellungskurator war von 1969 bis 2003 Redakteur beim ORF-Hörfunk (u. a. „Musikbox“, „Diagonal“) und von 2003 bis 2015 Direktor des Wien Museums. Von 1995 bis 2010 war er Mitglied des Kunstrats der EVN Collection. Zurzeit befasst er sich vor allem mit Kunst in der Landschaft. Sein jüngstes Buch: Der Semmering. Eine exzentrische Landschaft (2021, Residenz Verlag).
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„Wir wollen Lernen in ein Abenteuer verwandeln“ Heide Wihrheim, Projektmanagerin der ERSTE Stiftung, spricht mit Dóra Hegyi, der Direktorin von tranzit.hu, über den neuen Space of Opportunity in Budapest.
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Die Kunstinitiative tranzit.hu eröffnete am 20. September 2021 den Space of Opportunity, einen neuen Raum für Kultur in der B udapester Josefstadt. Der Community-Space heißt junge Menschen mit einem vielfältigen Programm willkommen und lädt sie dazu ein, gemeinsam Kunst zu machen, über Philosophie zu diskutieren oder an B ewegungskursen teilzunehmen. Sie sollen sich ihres Potenzials als mündige und verantwortungsbewusste Bürger:innen bewusst werden und lernen, dieses zu nutzen.
Heide Wihrheim: Im Herbst 2021 hat tranzit.hu in Budapest den Space of Opportunity eröffnet. Was kann dieser Raum? Wie wird das Programm aussehen und wer entwirft es? Dóra Hegyi: Wir haben unseren neuen Community-Space „Raum der Möglichkeiten“ genannt und es ist tatsächlich ein leerer Raum, der mit Ideen und Programm gefüllt werden kann. Wir mieten die circa 160 Quadratmeter großen Räumlichkeiten, die wir bis auf die Ziegelwände freigelegt und minimalistisch renoviert haben, in der Práter utca 63. Das war früher ein Kosmetiksalon. Es gibt fünf Räume mit verschiedenen Funktionen. Wir haben eine Bibliothek mit Leseraum, eine Galerie mit Kino, eine Küche, die auch Gemeinschaftsraum ist, einen Raum für kreative Tätigkeiten und ein Medienzimmer. Wir bieten regelmäßig verschiedene Workshops an, etwa zu Kunst, Philosophie, Bewegung und Meditation, und organisieren öffentliche Programme wie Diskussionen, Filmabende oder Ausstellungsprojekte. Die Mitbegründer:innen der Initiative sind im Kulturbereich tätig, alle mit einer Prise Idealismus ausgestat-
Oben: Eingang des Space of Opportunity, Foto: Panka Szeszák. Links: „Bewegung und Haiku“ mit Ági Sarlós und Judit Kemenesi, Foto: Ágnes Sarlós
tet, offen dafür, auch außerhalb der Spielregeln ihrer Profession zu agieren und transdisziplinär zu arbeiten. Das ist, glaube ich, ein Grundstein: Wir machen nicht nur Integrationsarbeit oder kämpfen für Menschenrechte, wir möchten über wichtige Themen mit Mitteln der Kunst und anderer kreativer Felder sprechen. Das klingt, als hänge der Space of Opportunity auch mit der derzeitigen politischen Situation in Ungarn zusammen. tranzit.hu ist seit 15 Jahren im Feld der zeitgenössischen Kunst tätig. Wie die anderen tranzit- Organisationen verstehen wir zeitgenössische Kunst als eine Form des Dialogs, als einen Diskurs, in dem Krisen antizipiert, aufgezeigt und Tabuthemen ans Tageslicht gebracht werden. In den letzten Jahren haben wir oft darüber gesprochen, dass die Transitperiode des ehemaligen Ostblocks nicht, wie erwartet, vorbei ist, sondern die globalisierte Welt sich im Wandel befindet. Wirtschaftskrisen, die Klimakrise und zuletzt die Covid19-Pandemie erschüttern alle Regionen der Erde. 107
„Wer erst einmal den Weg zu uns gefunden hat, lässt sich inspirieren und bleibt gerne.“
Der Wohlfahrtsstaat des Westens scheint keinen Schutz mehr zu bieten, das System der Demokratie ist nicht stabil, einst als sicher geltende Wertesysteme halten nicht mehr. Ungarn wird seit mehr als einem Jahrzehnt von einer antidemokratischen Politik bestimmt, die die machtgierigen Befürworter:innen der Regierung durch Korruption unterstützt, während sie die Bedürftigen im Stich lässt und notwendige Infrastrukturen zugunsten unnötiger Investitionen vernachlässigt. Eine offene und solidarisch funktionierende Gesellschaft wird systematisch demontiert, Institutionen demokratischer Kontrolle ausgeschaltet. Und deshalb habt ihr den Space of Opportunity ins Leben gerufen? Genau. In einer solchen Situation ist es überaus wichtig, die jungen Menschen, die Generationen der Zukunft, zu unterstützen und ihnen Methoden und Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie in der Lage sind, Kritik zu äußern und die richtigen Fragen zu stellen. Fähigkeiten, die sie in den meisten Schulen nicht erlernen. Alle jungen Menschen brauchen Unterstützung, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Besonders wichtig finden wir es jedoch, diejenigen zu stärken, die von zu Hause aus keine „Wegweiser“, keine Orientierungshilfe mitbekommen. Kunst und Kreativität erachten wir dafür als bestens geeignete Mittel, weil sie ein Denken out of the box ermöglichen und dazu anregen, das Gegebene zu hinterfragen. Wir wollen junge Menschen zwischen 14 und 26 Jahren erreichen, also Schüler:innen in der Mittelschule genauso wie junge Erwachsene, die noch auf der Suche sind. Der Raum befindet sich im 8. Bezirk von Budapest. Was ist das Besondere an dieser Gegend? Józsefváros – die Josefstadt – ist ein sehr lebendiger Bezirk und einer der multikulturellsten der Stadt. Es ist auch einer der ärmsten Bezirke 108
in Budapest, der während des Sozialismus sehr vernachlässigt wurde. Es gibt viele schöne H äuser hier, die um die Jahrhundertwende gebaut worden sind, aber nur sehr langsam renoviert werden. In den letzten zehn Jahren wurde die Infrastruktur stark verbessert, es wurden zwei Metrostationen gebaut, aber die Menschen sind arm geblieben oder wurden durch die Gentrifizierung aus der Gegend vertrieben. Seit zwei Jahren hat Budapest einen progressiven Bürgermeister und auch der 8. Bezirk hat endlich eine offene und zukunftsorientierte Bezirksleitung. Heute gibt es hier Sozialprogramme für die Integration und Förderung der bedürftigen Bewohner:innen. Im Bezirksamt findet die Arbeit von Bürgerinitiativen inzwischen Anerkennung, wir fühlen uns hier wertgeschätzt und willkommen. Eure Aktivitäten richten sich vor allem an ein jugendliches Publikum, das mit sozialer Benach teiligung kämpft. Wie schafft man es, diese gleichzeitig über- und unterforderten Jugendlichen nicht an ihre Frustration zu verlieren, sondern für die Gemeinschaft zu gewinnen? Nach unserer Erfahrung sind gerade die jungen Menschen, die wir so gerne mit unseren Angeboten und Ideen motivieren und unterstützen möchten, am schwersten zu erreichen. Schüler:innen aus Kunstgymnasien oder Student:innen, die nach einer Gemeinschaft und guten Gesprächen suchen, finden leichter Zugang zu u nseren Programmen. Wir wenden verschiedene Strategien an, um auch die „Unmotivierten“ und „Verlorenen“ zu erreichen, damit sie ihre Fähigkeiten entwickeln und Defizite ausgleichen können. Wir wollen für sie Lernen in ein Abenteuer verwandeln, sie sollen Partizipation als inneres Bedürfnis erleben. Oft müssen wir sie einzeln ansprechen und sie bringen dann ihre Freund:innen mit. Wer aber erst einmal den Weg zu uns gefunden hat, lässt sich inspirieren und bleibt gerne. Die Zusammenarbeit mit Schulen funktioniert auch sehr gut, da sind ganze Klassen in ein Projekt involviert.
Euer erstes Ausstellungsprojekt, Colonia Herbaria, das Ende 2021 eröffnet wurde, ist ein gelungenes Beispiel für so eine Schulkooperation. Gemeinsam mit einer Gartenbauschule habt ihr den Space of Opportunity in eine botanische Sammlung verwandelt. Richtig, für Colonia Herbaria haben wir in Zusammenarbeit mit Künstler:innen und jungen Menschen permanente Installationen für unseren Raum entwickelt. Die Künstlerin Kitti Gosztola und die Kunstkritikerin Judit Árva, beide Mitbegründerinnen des Space of Opportunity, haben mit Schüler:innen eines Gartenbautechnikums kooperiert. Sie haben sich über die Geschichte der Zimmerpflanzen unterhalten und analysiert, wie diese mit der Geschichte der Kolonialisierung und der Wohnsituation zusammenhängen. Dann haben sich alle Teilnehmer:innen eine Pflanze ausgesucht und deren Eigenschaften beschrieben. So entstand eine gewisse Identifikation und diese ermöglichte es, über persönliche Empfindungen und die Beziehung zur Gemeinschaft zu sprechen. Die Pflanzen wurden dabei auch als Subjekte behandelt. Junge Setzlinge und Topfpflanzen, die wir über einen öffentlichen Aufruf gesammelt haben, wurden in den Räumen installiert. Sie erhielten Beschriftungen, durch die wir ihre „Stimmen“ hören konnten. Eine Monstera deliciosa ließ zum Beispiel wissen: „Die Löcher in den Blättern sind Wunden, die nie heilen – sie machen mich trotzdem stark.“
„Monstera Deliciosa” in der Ausstellung Colonia Herbaria, 2021, Foto: Zsuzsanna Simon
„Die Löcher in den Blättern sind Wunden, die nie heilen – sie machen mich trotzdem stark.“ Die „Stimme“ einer Monstera deliciosa bei der Eröffnungsausstellung Colonia Herbaria 109
Colonia Herbaria-Workshop am 2. Dezember 2021, Foto: Anna Vörös
Space of Opportunity (Lehetőségek tere) Práter utca 63 1083 Budapest
lehetosegektere.hu
facebook.com/lehetosegektere
tranzit.org
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Dóra Hegyi ist Kuratorin und Kritikerin. Sie lebt in Budapest. Seit 2005 ist sie Direktorin von tranzit.hu, einem Mitglied des in Osteuropa ansässigen transnationalen Netzwerks tranzit.org. Sie ist Initiatorin, Kuratorin und Herausgeberin von Ausstellungen sowie von Bildungs-, Forschungs- und Publikationsprojekten, die Kunst als einen Raum für kritische Debatten betrachten, der zwischen verschiedenen Bereichen und Disziplinen vermitteln und als Katalysator für Veränderungen fungieren kann. Zu ihren jüngsten Projekten als Ko-Kuratorin und Mitherausgeberin gehören Creativity Exercises: Emancipatory Pedagogies in Art and Beyond (2014–2019), War of Memories (2015), Imagining Conceptual Art (2017), 1971 – Parallel Nonsynchronism (2018– 2019) und Space of Opportunities (seit 2019).
Paris Viitorului – neuer Raum für zeitgenössische Kunst in Bukarest
Ansicht der Ausstellung Din fibre, un foc (Aus Fäden, ein Feuer) von Ioana Stanca aus der Ausstellungsreihe „Crimele sunt abolite. Nu mai există decât pasiuni. (Verbrechen sind abgeschafft, nur Leidenschaften bleiben)“, 2021, Foto: Edi Constantin
Im Jahr 2021 nutzte tranzit.ro/București die Schaufensterfläche im Erdgeschoß des Gebäudes, in dem der Verein sein Büro hat, als temporären Ausstellungsraum. Paris Viitorului ist inspiriert vom Namen der Straße, in der das Gebäude steht („Viitorului“ bedeutet Zukunft), sowie einer Reihe von Verweisen auf kulturelle Parallelen zwischen Bukarest und Paris im 21. und 19. Jahrhundert. Das Schaufenster lud dazu ein, Kunstwerke auszustellen, um der Frage nachzugehen, ob Kunst in Zeiten pandemiebedingter Einschränkungen Ware oder Notwendigkeit ist. Paris Viitorului – kuratiert von der Künstlerin Raluca Popa und tranzit.ro/ București – ist gleichzeitig Galerie, Schaufenster, Vitrine, Resonanzkasten, Ort der Beobachtung und Vorwegnahme sowie eine Einladung zur Reflexion über die Stadt als eine andere Welt: eine Welt der Möglichkeiten und der Vorstellungskraft, von vielfältiger Vertrautheit, kritischer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Vertrauen in die Zukunft.
Paris Viitorului Mihai Eminescu 182/Ecke Viitorului Sektor 2, Bukarest Die Ausstellungsreihe „Crimes are abolished. Only passions remain.“ fand von 20. September bis 31. Oktober 2021 statt. Mehr über das Projekt auf tranzit.org bit.ly/3O8iNX2
ERSTE Stiftung Netzwerk
Was war 2021 im Netzwerk der ERSTE Stiftung los?
JÄNNER
Gerald Knaus erhält Bruno-Kreisky-Anerkennungspreis 2020 Am ersten Tag des neuen Jahres wird bekannt gegeben, dass der Bruno-Kreisky-Anerkennungspreis 2020 an Gerald Knaus geht und an sein 2020 bei Piper erschienenes Buch Welche Grenzen brauchen wir? Zwischen Empathie und Angst – Flucht, Migration und die Zukunft von Asyl. Aus der Begründung der Jury: „In dieser bemerkenswerten Publikation liefert Knaus eine Analyse des Zustands von Demokratie und des Umgangs mit den Menschenrechten anhand des Themas Flucht und Migration im Schatten der Lebensumstände der Geflüchteten auf den griechischen Inseln. Der Soziologe analysiert nicht nur die verfahrene Situation und politische Debatte, sondern sucht nüchtern und kenntnisreich nach Wegen einer menschenwürdigen wie pragmatischen Asylpolitik. Ohne Dramatisierung macht er Vorschläge zur Steuerung der Migration in Europa unter der Maßgabe, dass Migration ohne Kontrolle weltfremd sei und Kontrolle ohne Empathie unmenschlich werde.“ Wir gratulieren! Gerald Knaus war 2018/2019 Europe’s Futures Fellow am IWM. Mehr zum Projekt siehe Seite 86.
Eva Höltl wird Sprecherin der Initiative „Österreich impft“
Am 11. Jänner wird „Österreich impft“, die bundesweite Initiative zur Aufklärung über die Coronaschutzimpfung, der Öffentlichkeit vorgestellt. Diese Initiative, gestartet vom Roten Kreuz und unterstützt von der österreichischen Bundesregierung, informiert von nun an breit und objektiv über die Vorteile der Coronaschutzimpfung. Hierzu klären fünf Sprecher:innen der Initiative, allesamt hoch angesehene Expert:innen auf ihren jeweiligen Fachgebieten, transparent und medizinisch fundiert über die Wirkungsweise, Sicherheit 114
sowie Wichtigkeit der Impfung auf. Zu ihnen gehört Eva Höltl, Arbeitsmedizinerin, Mitglied des Vorstands der ERSTE Stiftung, Leiterin des wissenschaftlichen Beirats der Österreichischen Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention, Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Leiterin des Gesundheitszentrums der Erste Bank. Bis Mitte 2021 werden über 200 Institutionen und Organisationen in ganz Österreich die Initiative unterstützen. Siehe auch Interview auf den Seiten 62–67.
MÄRZ
Isabelle Ioannides unterstützt ELIAMEP
Die 1988 in Athen gegründete Griechische Stiftung für Europa- und Außenpolitik (ELIAMEP) ist ein in Griechenland führender, unabhängiger, nichtstaatlicher, gemeinnütziger Think-Tank, der politikorientierte Forschung betreibt und politische Entscheidungsträger:innen, Wissenschaftler:innen und die breite Öffentlichkeit mit zuverlässigen Informationen und fundierten politischen Handlungsvorschlägen versorgt, um zur Entwicklung evidenzbasierter Antworten auf wichtige europäische und außenpolitische Herausforderungen beizutragen. Isabelle Ioannides (Europe’s Futures-Stipendiatin 2019/2020) wird bei ELIAMEP als Forschungsmitarbeiterin tätig sein. Mehr über das Europe’s Futures-Stipendium siehe Seite 86.
APRIL
Ungarisches Staatsfernsehen attackiert Franziska Tschinderle Die österreichische Journalistin und Autorin des ERSTE Stiftung Magazins Tipping Point, Franziska Tschinderle, wird in den Hauptnachrichten des ungarischen Fernsehsenders MI vom 7. April
namentlich angegriffen. Die Journalistin des Wochenmagazins Profil habe EU-Abgeordnete der ungarischen Regierungspartei Fidesz „mit Fragen provoziert“, heißt es. In dem dreiminütigen Beitrag des Staatssenders werden Screenshots von E-Mails gezeigt, die die Journalistin an die FideszDelegation im Europaparlament geschickt hatte. Darin ging es unter anderem um ein Treffen Anfang April von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán mit Matteo Salvini, dem Chef der italienischen Partei Lega, und Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki bezüglich der Gründung einer neuen politischen Kooperation. Tschinderle hatte unter anderem gefragt, warum Vertreter:innen des französischen Rassemblement National und der österreichischen FPÖ bei dem Treffen nicht anwesend waren. Der Moderator des TV-Beitrags kommentiert das mit den Worten: „Solche Fragen stellen nur Amateurjournalisten.“ Tschinderle meint gegenüber der APA, sie habe den Eindruck, dass der Fall auch im „kritischen Lager“ in Ungarn als Zäsur wahrgenommen worden sei, weil nun bereits das reine Stellen von Fragen an den Pranger gestellt werde. „Am wichtigsten ist, dass Journalist:innen gemeinsam Flagge zeigen. Das betrifft nicht nur mich. Ungarischen Kolleg:innen passiert das jeden Tag.“ Unterstützung für Tschinderle äußern in Österreich Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), die Grünen, die SPÖ, die NEOS und die Journalistenorganisationen Reporter ohne Grenzen und der Presseclub Concordia.
Der Film „entwickelt sich zu einer bewegenden, persönlichen Reise durch eine nahezu unbekannte Geschichte. Indem sie den Überlebenskampf ihrer Familie während des Zweiten Weltkriegs mit ihren eigenen Erfahrungen als Roma-Angehörige in der heutigen Zeit verbindet, schafft Vera Lacková ein Bild, das in all seinen Aspekten menschlich ist, ohne falsche Kategorisierungen, und das sowohl die Freude an der Familie als auch den Schmerz der systematischen Verfolgung offenbart“, erklärt die Jury in der Bekanntmachung am 26. April. goEast, ein Projekt des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums, zeigt jährlich in Wiesbaden über 110 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme aus Mittel- und Osteuropa. Weitere Ehrungen für den Film waren in diesem Jahr der Preis für den besten Spielfilm beim Ake Dikhea? Romani Filmfestival und eine lobende Erwähnung durch die Jury des tschechischen Verbands der Regisseur:innen, Drehbuchautor:innen und Dramaturg:innen, ARAS.
Filmstill mit Vera Lacková und Stanislav Mičev, dem ehemaligen Generaldirektor des Museums des slowakischen Nationalaufstands, aus dem Film Ako som sa stala partizankou/How I Became a Partisan. Regie: Vera Lacková, Slowakei/Tschechien 2021, Foto: Petr Racek
Undoing Landscape am Erste Campus
Franziska Tschinderle, Foto: Martin Valentin Fuchs
goEast-Filmfestival: Preis für Vera Lacková und ihren Film How I Became a Partisan Der Film How I Became a Partisan von Regisseurin Vera Lacková (Slowakei/Tschechien 2021) feiert beim jährlich stattfindenden Festival goEast seine Weltpremiere – und bekommt gleich seine erste Auszeichnung. Er erhält den mit 4.000 Euro dotierten Preis für Kulturelle Vielfalt. Wir gratulieren!
Die Ausstellung Undoing Landscape entstand im Zusammenhang mit dem gleichnamigen, von Adam Szymczyk geleiteten Seminar an der Akademie der bildenden Künste Wien, das von der Kontakt Sammlung initiiert und von der ERSTE Stiftung gefördert wurde. Zwischen 28. April und 27. Mai ist sie in der Fenstergalerie der ERSTE Stiftung am Erste Campus zu sehen. Das Seminar setzte sich mit dem Thema Landschaft auseinander. Die Erfahrung von Landschaft ist ihrer Natur nach mit vielfältiger Wahrnehmung und Bewegung verbunden. Eine solche Erfahrung war den Studierenden jedoch durch die Covid19-Pandemie nicht möglich. Statt Spaziergängen 115
Undoing Landscape in der Fenstergalerie der ERSTE Stiftung, Foto: Anthia Loizou
und Ortsbesichtigungen beschränkte sich die Auseinandersetzung mit dem Thema auf d igitale Gespräche mit Adam Szymczyk und internationalen Künstler:innen. Die Ergebnisse dieses virtuellen Austauschs über Landschaft haben die Studierenden mit Siebdrucken festgehalten. Zu sehen sind Werke von Viktoria Bayer, Anna Bochkova, Emma Carlén, Kristina Cyan, Louise Deininger, Marie Yaël Fidesser, Lisa Grosskopf, Anthia Loizou, Clemens Matschnig, Taro Meissner, Kamryn Pariso, Ursula Pokorny, Rasmus Richter, Olga Shapovalova, Rini Swarnaly Mitra und Kanako Tada.
tagion. The Global Threat to D emocracy (Bristol University Press). Mary Kaldor (London School of Economics and Political Science): „Ein lesenswertes, faszinierendes und anregendes Buch. Das Konzept des autoritären Protektionismus bietet einen neuen konzeptionellen Rahmen, um die gegenwärtige Ausbreitung gefährlicher politischer Phänomene zu verstehen.“ Und Paul Mason lobt: „Eine wichtige und fesselnde Lektüre. Luke Cooper warnt davor, dass der Kampf zwischen demokratischen und autoritären Systemen noch lange nicht vorbei ist. Vielmehr wird er unsere Politik noch für Jahrzehnte bestimmen.“
M A I
Judy Dempsey erhält Ernest-Udina-Preis 2021 Judy Dempsey, Europe’s Futures-Stipendiatin 2020/2021 (siehe auch Seite 86), wurde mit dem Premio Ernest Udina a la Trayectoria Europeísta 2021 ausgezeichnet. Die renommierte Journalistin berichtete für die Financial Times, den Economist, die International Herald Tribune und die Irish Times vorwiegend über europäische Themen und ist mittlerweile Senior Fellow bei Carnegie Europe und seit 2012 Chefredakteurin des Blogs Strategic Europe. Die Jury würdigte „die Fähigkeit zur Analyse und didaktische Berufung“ Dempseys. Der am Europatag, dem 9. Mai, bekannt gegebene Preis wird vom katalanischen Journalistenverband, von der Vertretung der Europäischen Kommission in Barcelona, vom Büro des Europäischen Parlaments in Barcelona, von der katalanischen Regierung, vom Stadtrat von Barcelona und von Diplocat, dem Rat für öffentliche Diplomatie Kataloniens, unterstützt. Wir gratulieren!
JUNI
Luke Cooper veröffentlicht neues Buch über autoritäre Politik Luke Cooper, Europe’s Futures-Stipendiat 2018/2019, präsentierte sein neues Buch Authoritarian Con116
„Alles Clara“ gewinnt die Magenta TUN Challenge 2021
Überreichung des Preisgeldes für das Siegerprojekt der Magenta TUN Challenge 2021 an Nicole Traxler, Geschäftsführerin Two Next (links) und die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin Christine Fichtinger (Mitte) durch Andreas Bierwirth, CEO der Magenta Telekom (rechts), Foto: Moni Fellner
Die App Clara soll künftig Menschen, die sich um nahestehende Personen kümmern, mit professionellen Berater:innen aus Pflege, Sozialarbeit oder Psychologie verbinden und so erstmals eine digitale Schnittstelle zwischen dem informellen und professionellen Pflegesektor schaffen. Diese App der Zukunft gewinnt am 11. Juni mit einem glänzenden Pitch das Finale bei 4GAMECHANGERS auf dem österreichischen Privatsender PULS 4. Clara wird als Siegerprojekt der Magenta TUN Challenge 2021 ausgezeichnet. Wir gratulieren! Der Magenta TUN (Technologie- und Nachhaltig-
keitsfonds) vergibt jährlich 50.000 Euro für Innovationen zur Lösung von Umweltproblemen und für nachhaltiges Handeln. 42 innovative Projekte haben sich für den Magenta TUN 2021 beworben. Clara erreicht den ersten Platz und kann 20.000 Euro mit nach Hause nehmen. Dank Clara stehen Betroffenen bald professionelle Berater:innen mit langfristiger Erfahrung zur Seite, mit denen sie sich in virtuellen Beratungsräumen persönlich über aktuelle Fragen, aber auch langfristige Begleitung via Chat, Telefonie, Sprach- und Bildnachrichten austauschen können. Vorangetrieben wird Clara in Zusammenarbeit mit Two Next, einem Tochterunternehmen der ERSTE Stiftung, das mit digitalen Produkten und Services zur Lösung sozialer Herausforderungen beiträgt.
Start für Demokratiewerkstatt nach österreichischem Vorbild in der Slowakei Das Österreichische Parlament, die ERSTE Stiftung und das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) errichten mit Partnerparlamenten Demokratiewerkstätten für Kinder und Jugendliche in Europa. Am 25. Juni unterzeichnen der österreichische Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Boris Kollár, der Präsident des Nationalrats der Slowakischen Republik, eine Absichtserklärung. In der Slowakei soll eine Demokratiewerkstatt nach österreichischem Vorbild entwickelt werden, um das Demokratiebewusstsein bei Jugendlichen des Landes zu stärken. Kinder zwischen acht und 15 Jahren setzen sich in der Demokratiewerkstatt in Workshops mit den Themen Demokratie und Parlament auseinander, mit Partizipation, Gesetzgebung, Wahlen, der Geschichte ihres Staates durch den Besuch von Zeitzeug:innen sowie mit den Themen Europa und Medien. Auf Initiative des Österreichischen Parlaments und unterstützt von der ERSTE Stiftung sind bisher vergleichbare Einrichtungen in den nationalen Parlamenten Montenegros (2014) und des Kosovo (2018/2019) entstanden. 2020 wurde gemeinsam mit dem Partner IDM in Albanien und Nordmazedonien mit der Implementierung begonnen.
Boris Kollár, der Präsident des Nationalrats der Slowakischen Republik, besucht 2021 die Demokratiewerkstatt in Wien. Foto: Parlamentsdirektion/Thomas Topf
JULI
Dimitar Bechev Gastwissenschaftler bei Carnegie Europe Dimitar Bechev (Europe’s Futures-Stipendiat 2020/2021, siehe auch Seite 86) wurde zum Gastwissenschaftler bei Carnegie Europe, einem der führenden europäischen Thinktanks, ernannt. Der Fokus seiner Arbeit ist auf Mittel-, Ost- und Südosteuropa gerichtet.
Direkt36 deckt vom ungarischen Staat eingesetzte Spionagesoftware gegen B ürger:innen auf
András Pethő, Foto: Direkt36
Im Juli 2021 veröffentlichte das ungarische Nachrichtenportal Direkt36 die ersten Berichte über das Pegasus-Projekt. Im Rahmen dieser internationalen Zusammenarbeit investigativer Journalist:innen hatte man Regierungsspionage gegen normale Bürger:innen aufgedeckt, die als potenzielle Ziele für die Überwachung mit der vom israelischen Unternehmen NSO Group entwickelten Spionagesoftware Pegasus ausgewählt wurden. Laut NSO dient die Spionagesoftware der Bekämpfung von „schweren Verbrechen und Terrorismus“, doch 2020 wurde der gemeinnützigen französischen Organisation Forbidden Stories eine Liste mit 50.000 Telefonnummern zugespielt, die führenden Oppositionsmitgliedern, Menschenrechtsaktivist:innen, Journalist:innen, Anwält:innen und politisch Andersdenkenden zugeordnet werden konnten. Direkt36, ein ungarischer Partner von Civitates, spielte bei den Recherchen eine wichtige Rolle. András Pethő, Mitbegründer und Herausgeber von Direkt36: „Das ist eine der größten Storys, die wir je hatten. Ich bin stolz darauf, dass wir in der Lage waren – und immer noch sind –, diese Geschichten zu erzählen, obwohl der Druck enorm war. Im Laufe der Recherchen zeigte sich, dass zwei meiner Kollegen bei Direkt36 selbst Ziel einer Pegasus-Überwachung gewesen waren. Die Ereignisse überschlugen sich, als ein Politiker der ungarischen Regierungspartei zugab, dass die Regierung die Pegasus-Spionagesoftware beschafft und eingesetzt hatte. Vonseiten der Regierung wurde der Einsatz dieser Software gegen Medien und Opposition immer noch nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert.“ 117
AUGUST
Erstes Europäisches Forum Alpbach unter Präsident Andreas Treichl Von 18. August bis 3. September findet das Europäische Forum Alpbach 2021 (EFA) statt. Im Mittelpunkt stehen Beiträge zur Sicherung und Finanzierung der Zukunft Europas sowie zur Klimakrise und zum Potenzial, diese als Chance zu nutzen. „Ich bin sehr zufrieden mit dem, was wir in diesem Jahr auf die Beine gestellt haben. Ich habe das Gefühl, die Leute gehen mit unseren Neuerungen mit, weil man wieder qualitätsvolle Gespräche führen kann“, resümiert Andreas Treichl, der auch Chairman der ERSTE Stiftung ist, über das erste Forum, dem er als Präsident vorsteht. Änderungen gibt es einige: Erstmals wird die Konferenz als hybride Veranstaltung abgehalten. Der Großteil des Programms findet vor Ort in Alpbach statt und wird digital ausgestrahlt. Dass trotz Covid-19-Restriktionen mehr als 4.500 Personen aus 62 Ländern an den rund 240 Einzelveranstaltungen des Forums teilnehmen, spricht für das hybride Konzept, das pandemiebedingt in diesem Jahr notwendig ist. Mit Ende des Jahres gibt es außerdem einen Wechsel an der Spitze des Forums und der Stiftung. Werner Wutscher, Generalsekretär des EFA, und Sonja Jöchtl, Geschäftsführerin der Europäisches Forum Alpbach Stiftung, werden von Feri Thierry, dem langjährigen Politikberater und ehemaligen Bundesgeschäftsführer der NEOS, abgelöst. Werner Wutscher wird sich künftig verstärkt seinen unternehmerischen Tätigkeiten widmen und in den EFA-Vorstand kooptiert. Sonja Jöchtl wird mit dem EFA inhaltlich weiter zusammenarbeiten.
viennacontemporary 2021 mit neuem Konzept und neuer Leitung
Boris Ondreička und Markus Huber, Foto: Peroutka/Die Presse
Von 2. bis 5. September öffnet in Wien die größte österreichische Messe für zeitgenössische Kunst ihre Türen, mit der ERSTE Stiftung als Hauptpartnerin. Unter der Leitung des neu bestellten künstlerischen Leiters Boris Ondreička findet die viennacontemporary dieses Jahr in einem neuen, experimentellen Format statt und zieht bewusst in die Stadt hinein, wo sie mit dem Galerienfestival curated by und ausgewählten Wiener Galerien unter dem Label invited by vc kooperiert. In der Alten Post im Zentrum Wiens präsentiert viennacontemporary 25 geladene Galerien aus Zentralund Osteuropa. Boris Ondreička war Direktor der Kunstinitiative tranzit.sk und kuratorisch bei der Thyssen-Bornemisza Art Contemporary in Wien tätig. Die Messe wurde in eine Non-Profit-Organisation mit mehrköpfigem Vorstand verwandelt, um künftig einfacher mit anderen Partner:innen kooperieren zu können. Neben Investor und Mehrheitseigentümer Dimitry Aksenov gehören diesem Gremium Marta Dziewańska, Kuratorin am Kunstmuseum Bern, Boris Marte, CEO der ERSTE Stiftung, und Marketingberater Tom Wallmann an.
SEPTEMBER
Ivan Vejvoda wird Rektor des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen Ivan Vejvoda, Leiter des Projekts Europe’s Futures (siehe auch Seite 86), wurde zum Rektor des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) ernannt und löste damit Shalini Randeria ab, die das Rektorat der Central European University
„Alles Clara“ im Finale des Get Active Social Business Award
(CEU) übernahm (Amtseinführung siehe November).
Die Finalist:innen des Get Active Social Business Award 2021, Foto: BEN DORO DAD Werbeagentur
Sieben Projekte haben es ins Finale des Get Active Social Business Award geschafft, darunter die von Two Next initiierte App Clara zur Unterstützung pflegender Angehöriger. Die Jury des 118
Preises, der schließlich an die Kleidertausch-App uptraded ging, bestand aus Vertreter:innen des Initiators Coca-Cola Österreich, dem NPO- und SE-Kompetenzzentrum der WU Wien, aus Contrast EY Management Consulting, gabarage upcycling design, 4GAMECHANGERS und dem Medienpartner Der Standard.
Social Impact Award ist „Inclusive Entrepreneurship Initiative of the Year 2021“ Am 15. September wurde die Arbeit von mehr als 60 NGOs, Unternehmen und Einzelpersonen aus ganz Mittel- und Osteuropa in Brüssel bei den Emerging Europe Awards 2021 ausgezeichnet, der vierten Ausgabe eines Programms, das Best Practice, Innovation und Mut in der gesamten Region sichtbar machen will. Der von der ERSTE Stiftung unterstützte Inkubator Social Impact Award konnte sich über die Auszeichnung „Inklusive Entrepreneurship-Initiative des Jahres 2021“ freuen. Wir gratulieren!
Bellingcat gewinnt zwei News & Documentary Emmys Doppelte Anerkennung für das Kollektiv unabhängiger Journalist:innen in Amsterdam: Am 28. September gehen gleich zwei Auszeichnungen des bedeutendsten Fernsehpreises der USA für Nachrichtensendungen und Dokumentationen, die News & Documentary Emmy Awards, an den TV-Sender CNN und Bellingcat. Eine gemeinsame Untersuchung von Bellingcat und The Insider in Zusammenarbeit mit dem deutschen Magazin Spiegel und CNN hat umfangreiche Telekommunikations- und Reisedaten aufgedeckt, die den russischen Föderalen Sicherheitsdienst (FSB) mit der Vergiftung des prominenten russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny in Verbindung bringen. Das Investigativteam von Bellingcat hat eine Zeitleiste der Bewegungen, Telefonanrufe und Aktivitäten der FSB-Agent:innen und des Teams von Alexei Nawalny zusammengestellt. CNN/Bellingcat erhalten die Preise in den Kategorien „Outstanding Investigative Report in a Newscast“ sowie „Outstanding Research: News“. Wir gratulieren! Bellingcat ist ein unabhängiges internationales Kollektiv von Rechercheur:innen sowie Investigativ- und Bürgerjournalist:innen mit Sitz in den Niederlanden. Seit 2021 gehört Bellingcat zur ersten Kohorte unabhängiger journalistischer Organisationen, die von der Stiftungsplattform Civitates gefördert werden, zu deren Mitgliedern auch die ERSTE Stiftung zählt (siehe Seite 97).
Spendenübergabe durch Aufsichtsrätinnen Ilse Fetik und Barbara Pichler
Spendenübergabe an den Samariterbund Burgenland (von links nach rechts): Franz Karl Prüller, Senior Advisor des Vorstands der ERSTE Stiftung, Barbara Pichler (Betriebsratsvorsitzende der Erste Group Bank AG), Wolfgang Dihanits (Geschaftsführung Samariterbund Burgenland Rettung und Soziale Dienste gem. GmbH) und Ilse Fetik (Betriebsrats vorsitzende der Erste Bank)
Die aus den Betriebsräten der Erste Group und Erste Bank entsandten Aufsichtsratsmitglieder in die ERSTE Stiftung, Ilse Fetik (BRV Erste Bank) und Barbara Pichler (BRV Erste Group), übergeben am 30. September im Namen der Stiftung und im Beisein von ERSTE Stiftung Senior Advisor Franz Karl Prüller symbolisch Spenden an vier österreichische Sozialorganisationen. Im Hinblick auf die besonderen Herausforderungen in diesen Pandemie-Zeiten wurden folgende vier Organisationen und Projekte ausgewählt. Die Volkshilfe Wien, vertreten durch Geschäftsführerin Tanja Wehsely und Betriebsratsvorsitzende Heidemarie Supper, unterstützt in existenziellen Notlagen wie z. B. bei der notwendigen Thermen-/Heizungswartung, der Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen etc. Der Verein ImmoHumana/Verein für Mütter in Not, vertreten durch den Obmann und Gründer Georg Slawik, hilft bei der Wohnungssuche für Frauen und Kinder nach Gewalterfahrung. Der Arbeiter-Samariter-Bund Österreich, vertreten durch Geschäftsführer Wolfgang Dihanits, erfüllt „Herzenswünsche“, z. B. bei schweren Erkrankungen. „SEED – Hier wachsen Ideen“, vertreten durch den Programmleiter Georg Ruttner-Vicht, stellt technisch notwendige Ausstattung für das Distance-Learning und die Finanzierung von kreativen Projekten für Kinder, die seitens der Schulen nicht finanziert werden können, zur Verfügung. In den Gesprächen bei der Scheckübergabe mit den Verantwortlichen der ausgewählten Spendenorganisationen sind die geschilderten Lebenssituationen besonders berührend. Alle NGO-Vertreter:innen betonen die Wichtigkeit dieser Unterstützungen und ihre Freude über dieses Zeichen der Solidarität der ERSTE Stiftung mit der Arbeit sozial engagierter Menschen in Krisenzeiten. Für Ilse Fetik, die sich zum Jahresende in den Ruhestand verabschiedet, ist dies der letzte offizielle Auftritt als Aufsichtsrätin. Herzlichen Dank für ihr langjähriges Interesse an den vielfältigen Aufgaben der ERSTE Stiftung! 119
O K TO B E R
NOVEMBER
Die Zweite Sparkasse wird 15 Jahre alt Am 4. Oktober 1819 wurde die Erste österreichische Spar-Casse für Menschen gegründet, die bisher als Kund:innen von Banken nicht in Betracht kamen. Und am 4. Oktober 2006 wiederholte sich die Geschichte: Die Zweite Wiener Vereins-Sparkasse, kurz: Zweite Sparkasse, wurde für Menschen eröffnet, die eine zweite Chance und ein Konto brauchen, um finanziell wieder auf die Beine zu kommen. 2021 feiern wir 15 Jahre Zweite Sparkasse. Wir gratulieren zum Jubiläum der Bank für Menschen ohne Bank, die ihr Angebot seit den ersten Tagen kontinuierlich an die Bedürfnisse der Kund:innen angepasst hat! Siehe auch die Seiten 52–59. Der ehrenamtliche Vorstand geht außerdem mit einem neuen Mitglied in die Zukunft: Bereits Anfang Juli folgte Robert Schmidbauer auf Gerhard Ruprecht, der dem Vorstand seit Gründung der Zweite Sparkasse im Jahr 2006 angehörte und sich wie geplant nach 15 Jahren aus dem Leitungsgremium verabschiedete.
Shalini Randeria neue Rektorin der CEU In einer feierlichen Zeremonie am 8. November in Wien wird Shalini Randeria, bisher Rektorin des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen, in ihr neues Amt als Rektorin der Central European University in Wien und Budapest eingeführt. Sie ist die erste Frau, die diese Rolle seit der Gründung der Universität vor 30 Jahren übernimmt. Die Professorin für Sozialanthropologie und Soziologie am Graduate Institute of International and Development Studies (IHEID) in Genf sowie Direktorin des Albert Hirschman Centre on Democracy am IHEID folgt in dieser Funktion Michael Ignatieff nach, dessen Amtszeit im Juli endete.
Der Erste Financial Life Park wird fünf Jahre alt Mit einer spritzigen Eröffnungsfeier am 28. Oktober 2016 begann die Erfolgsgeschichte des Erste Financial Life Parks auf dem Erste Campus. Auch das ist nun schon wieder fünf Jahre her. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, FLiP! Mehr zu den FLiPAktivitäten im Jubiläumsjahr auf den Seiten 38–41.
Foto: IWM/Klaus Ranger
Foto: IWM/Klaus Ranger
Olga Shparaga präsentiert ihr neues Buch in Wien Die im Exil lebende belarussische Philosophin Olga Shparaga ist am 19. November auf Einladung von tranzit.at in Wien zu Gast, um ihr aktuelles Buch Die Revolution hat ein weibliches Gesicht. Der Fall Belarus (Suhrkamp Verlag 2021) zu präsentieren und über die aktuellen Vorkommnisse in Belarus zu berichten. Feminin, friedlich, postnational – so charakterisiert die Autorin die Umbrüche in ihrem Land und stellt die Ereignisse in den Kontext europäischer und globaler Emanzipationsbewegungen. Olga Shparaga lehrt Philosophie am European College of Liberal Arts (ECLAB) in Minsk. Sie ist Mitglied der feministischen Gruppe des Koordinierungsrats, des politischen Gremiums der Opposition in Belarus. Mit Unterstützung von tranzit.at soll es außerdem eine russische Übersetzung des Buchs geben.
Amanda Coakley (Europe’s Futures-Stipendiatin 2021/2022 – siehe Seite 86) erhielt das One World Media Fellowship 2021 für Journalist:innen und Filmemacher:innen, die wenig beachtete Geschichten aus dem Globalen Süden erzählen. Ihre Story: Durch das Schmelzen des majestätischen Fedtschenko-Gletschers sehen sich Gemeinden in Tadschikistan nicht nur ihrer Lebensgrundlage, sondern auch ihrer Traditionen beraubt. Ihr Ziel: tiefgehende und detaillierte Reportagen an der Schnittstelle von Kultur, Klimawandel und Konflikt.
Kapka Kassabova gewinnt den Prix du Meilleur Livre Étranger 2021 Kapka Kassabova (Europe’s Futures-Stipendiatin 2020/2021, siehe Seite 86) gewann den Prix du Meilleur Livre Étranger für ihr Buch L’Écho du lac als bestes ausländisches Sachbuch in Frankreich 2021. Der Preis wurde am 25. November in Paris verliehen. Wir gratulieren! Zum Buch: „In unserer Herkunftslinie der Frauen vertrete ich die vierte Generation, die auswandert.“ Um diese Spirale
Amanda Coakley erhält One World Media Fellowship 2021
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des Exils zu durchbrechen, macht sich Kapka Kassabova auf zu den Quellen der Geschichte ihrer Mütter, den Seen von Ohrid und Prespa, den beiden ältesten Seen Europas, zu gleichen Teilen in Nordmazedonien, Griechenland und Albanien gelegen. Es beginnt eine lange Reise auf den Spuren ihrer Vorfahren.
RARE: Menschenrechtsverteidiger:innen treffen sich in Wien
RARE-Empfang in der ERSTE Stiftung. Von links nach rechts: Stephanie Krisper (Mitglied des Österreichischen Parlaments/ NEOS), Hedvig Morvai (ERSTE Stiftung), Marta Pardavi (ungarisches Helsinki-Komitee), Foto: Polina Georgescu
Recharging Advocacy for Rights in Europe (RARE) ist ein neues Modell zur Stärkung der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit in Euro pa in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, ziviler Raum und Grundrechte, die in vielen Teilen der Europäischen Union extrem unter Druck stehen. Der Bedarf an einer neuen Generation von Menschenrechtsverteidiger:innen, die über die nötigen Fähigkeiten verfügen und auf ein Solidaritätsnetzwerk zurückgreifen können, um gegen diese Bedrohungen vorzugehen, veranlasste die Hertie School, das ungarische und das niederländische Helsinki-Komitee dazu, RARE ins Leben zu rufen. Das einzigartige, von der ERSTE Stiftung unterstützte Projekt zum Aufbau von Kapazitäten und Allianzen zielt darauf ab, ein stärkeres Netzwerk von europäischen Menschenrechtsverteidiger:innen aufzubauen. Durch eine Reihe gemeinsamer Schulungen und Advocacy-Arbeit will RARE 25 Menschenrechts-NGOs aus 13 EUMitgliedstaaten weiterbilden und stärken. Das Programm kombiniert eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Vernetzung und Lobbyarbeit mit wichtigen Institutionen, die die Menschenrechtsarbeit in Europa unterstützen. Im November 2021 trafen sich die Teilnehmer:innen in Wien und hatten Gelegenheit zum Austausch mit der EU-Grundrechteagentur, dem OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte sowie mit Vertreter:innen der österreichischen Regierung und des Parlaments.
Swetlana Tichanowskaja hält Keynote am Institut für die Wissenschaften vom Menschen Visegrad Insight und das Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) organisierten anlässlich des Besuchs von Swetlana Tichanowskaja in Österreich eine besondere Veranstaltung. Welchen Platz nimmt Belarus auf der politischen Agenda des Westens ein? Wie wirkt sich die aktuelle Situation auf die zukünftige Zusammenarbeit aus? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Vortrags von Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja am 23. November im IWM. Es folgte eine Podiumsdiskussion mit Franak Viačorka, dem außenpolitischen Berater von Swetlana Tichanowskaja, Die Presse-Auslandsredakteur Christian Ultsch und Katherine Younger, Forschungsleiterin „Ukraine in European Dialogue“ am IWM. Es moderierte Wojciech Przybylski, Chefredakteur der Zeitschrift Visegrad Insight und Europe’s Fu tures-Stipendiat. Die Veranstaltung stand unter der Schirmherrschaft des Projekts „Europe’s Futures – Ideas for Action“, einer strategischen Partnerschaftsinitiative des IWM mit der ERSTE Stiftung.
DEZEMBER
Quo Vadis, Aida? von Jasmila Žbanić gewinnt Europäischen Filmpreis
Filmstill mit Jasna Đuričić aus: Quo Vadis, Aida? Regie: Jasmila Žbanić | AT/BX/RO/PL/FR/NL/DE 2020 | 104 min
Das Filmdrama Quo Vadis, Aida? wurde als bester europäischer Film des Jahres ausgezeichnet. Der Film der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić über das Massaker von Srebrenica erhielt zudem den Preis für die beste Regie und die beste Darstellerin, Jasna Đuričić. Die Europäische Filmakademie gab die Entscheidung am 11. Dezember in Berlin bekannt. Wegen der Pandemie gab es auch in diesem Jahr keine große Gala. Regisseurin Žbanić bedankte sich per Videozuschaltung und widmete den Film den Frauen und Müttern von Srebrenica sowie den getöteten Söhnen, Ehemännern und Vätern. Wir gratulieren herzlich!
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Auch 2021 haben wir wieder wichtige Stimmen aus unserem Netzwerk vor die Kamera gebeten, um ihre Sicht der Dinge darzulegen. Dafür haben wir die Videoreihe fortgeführt, die wir im ersten Jahr der Covid-19-Pandemie entwickelt hatten: The Call. Sie ist ein Versuch, die politischen, kulturellen und sozialen Veränderungen unserer Zeit aufzugreifen und im Gespräch mit Denker:innen und Macher:innen unserer Community besser zu verstehen. Nach einer pandemiebedingten Pause ist außerdem die beliebte Serie Talk Europe! mit gleich zwei neuen Episoden zurück. Wir wagen darin einen Blick in die Zukunft der europäischen Stiftungen. Die selbst produzierten Videos veröffentlichen wir im Onlinemagazin Tipping Point der ERSTE Stiftung, um den Dialog innerhalb der Community der Stiftung zu beleben. 123
„Der Green Deal darf nicht über Ängste transportiert werden“ The Call mit Judy Dempsey Boris Marte sprach in The Call mit der renommierten Journalistin und Autorin Judy Dempsey über Solidarität, Politik der Angst, die neue technologische Revolution, Defizite des Green Deal und die Jugend als treibende Kraft für die Gestaltung unserer Zukunft.
124
„Revolutionen sind unglaublich gefährlich und disruptiv. Und wenn sie gelingen sollen, muss man immer auch an den Tag danach denken.“
The Call auf tippingpoint.net bit.ly/3rjGt0O
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„Es ist eine Ironie unserer Zeit – des frühen 21. Jahrhunderts, dass wir Geschichte doch so dringend brauchen, damit sie uns erklärt, was gerade geschieht.“
The Call auf tippingpoint.net bit.ly/377itrd
126
„Für ein moralisches Bekenntnis zur Faktizität“ The Call mit Timothy Snyder In der Sonderausgabe von The Call diskutiert Boris Marte mit dem bekannten Historiker Timothy Snyder über „Trumpismus“, semiautoritäre Regime, die historische Bedeutung von Pandemien, Cyberkriege, Limits der digitalen Welt, die Macht neuer Medien und die Notwendigkeit eines moralischen Bekenntnisses zur Faktizität im 21. Jahrhundert.
127
„Migration ist Evolution“ The Call mit Kilian Kleinschmidt Hedvig Morvai im Gespräch mit dem Changemaker und SwitxboardGründer Kilian Kleinschmidt in einer Folge von The Call über die „neue Normalität“, die uns erwartet, über Vernetzung, nichtwahrgenommene Chancen, warum wir Migration und Bewegung fördern und nicht verhindern sollten und wie unsere Welt überleben kann.
128
„Wenn wir davon reden, dass Menschen dort bleiben sollen, woher sie kommen, und dass wir sie dabei unterstützen sollten, haben wir nicht verstanden, wie sich die Menschheit entwickelt hat.“
The Call auf tippingpoint.net bit.ly/3KE7fJg
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„Die Krise als Chance“ Eine Talk Europe!-Spezialausgabe Die Jahreskonferenz des European Foundation Centre (EFC) befasst sich seit mehr als 30 Jahren mit gesellschaftlichen Fragen, die für die Zukunft Europas und der Welt insgesamt relevant sind. Im Oktober 2021 war Wien pandemiebedingt mit eineinhalb Jahren Verspätung zum ersten Mal Gastgeberin einer verkleinerten Ausgabe des größten Stiftungstreffens in Europa. Die ERSTE Stiftung stand sowohl dem Programmkomitee wie auch dem Veranstaltungskomitee vor. Das Video versammelt viele Stimmen der knapp 400 Teilnehmer:innen. Einen Bericht von der Konferenz finden Sie auf den Seiten 26–35.
130
„Wie kann Philanthropie auf der Dynamik der Innovationen der letzten zwei Jahre aufbauen, um einen wirklich nachhaltigen Wandel zu beschleunigen, nicht in ferner Zukunft, sondern hier und jetzt?“
Talk Europe! auf tippingpoint.net bit.ly/3jvcsqJ
131
„Angesichts der existenziellen Krise der Menschheit haben Stiftungen die Chance und vermutlich auch die Verpflichtung, das Thema Klima wandel in ihre Arbeit einzubeziehen.“
Talk Europe! auf tippingpoint.net bit.ly/3O4Hcgj
„Jede Stiftung sollte sich um das Klima kümmern“ Talk Europe! mit Delphine Moralis Delphine Moralis, Chief Executive von Philea (bis November 2021 European Foundation Centre – EFC), betont die Bedeutung von Stiftungen angesichts der Pandemie und der zunehmenden Ungleichheit, der Klimakrise und der Probleme, mit denen Demokratien und Gesellschaften konfrontiert sind. Stiftungen können Risiken eingehen, Wege bereiten, Brücken bauen, investieren und Vorreiter sein. Sie haben jetzt die einzigartige Chance, ihre privaten Mittel strategisch einzusetzen, um Veränderung zu ermöglichen und die Welt in die richtige Richtung zu lenken.
133
Eine Auswahl interessanter Neuzugänge der ERSTE Stiftung Bibliothek im Jahr 2021, zusammengestellt und kommentiert von Bibliotheksleiterin Jutta Braidt
SUBORNA BARUA Principles of Green Banking: Managing Environmental Risk and Sustainability Berlin/Boston, De Gruyter 2020, XXI, 139 Seiten Ökologische Nachhaltigkeit ist vielleicht die wichtigste gesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit. Sie wird ein hohes Maß an Finanzierung und Investitionen erfordern, wobei dem Bankensektor eine wesentliche Aufgabe zukommt. Banken können durch die Berücksichtigung ökologischer Belange in ihren internen und externen Geschäftsabläufen eine umfassendere und weitreichende Rolle spielen. Principles of Green Banking gibt einen umfangreichen Überblick über die verschiedenen Aspekte eines nachhaltigen Bankenwesens und präsentiert sowohl Theorien und Grundlagen als auch praktische Anleitungen zur Umsetzung von Green Banking.
134
KATE CRAWFORD Atlas of AI. Power, Politics, and the Planetary Costs of Artificial Intelligence New Haven and London, Yale University Press 2021, 327 Seiten Wie beeinflusst künstliche Intelligenz (KI) unser Verständnis von uns selbst und unseren Gesellschaften? Auf der Grundlage von über zehn Jahren Forschung entlarvt Kate Crawford KI als eine Technologie der Extraktion: von den Mineralien, die der Erde entnommen werden, über schlecht bezahlte Informationsarbeitskräfte bis hin zu den Daten, die aus jeder Aktivität und Äußerung ausgelesen werden. Dieses Buch deckt auf, wie dieses globale Netzwerk eine Verschiebung hin zu undemokratischen Regierungsformen und zunehmender Ungleichheit vorantreibt. Crawford konzentriert sich dabei weniger auf Codes und Algorithmen, sondern bietet uns eine materielle und politische Perspektive auf das, was nötig ist, um KI zu erzeugen, und wie sie Macht zentralisiert. Ein dringender Weckruf, der aufzeigt, was auf dem Spiel steht, wenn Technologieunternehmen künstliche Intelligenz nutzen, um die Welt zu verändern.
ACHIM ENGELBERG An den Rändern Europas. Warum sich das Schicksal unseres Kontinents an seinen Außengrenzen entscheidet München, DVA 2021, 288 Seiten Wie hat sich Europa in den letzten Jahrzehnten verändert, wenn wir es von seinen Rändern her betrachten? Achim Engelberg bereist seit vielen Jahren Europas Außengrenzen von Island bis Sizilien, von Spanien bis zum Balkan. Nach dem Kalten Krieg wurde es dort gefährlicher. Die 1990er-Jahre waren geprägt von der Rückkehr des Krieges, von den ökonomischen Schockwellen, die Osteuropa erfassten und Westeuropa unsozialer machten. Die vielen Flüchtlinge aus zerfallenden Staaten des Ostens und vom Balkan verstörten, das Sterben im Mittelmeer begann. Es war 1989 nicht das von Francis Fukuyama postulierte Ende der Geschichte erreicht – vielmehr brachen Ungewissheit und Unsicherheit über das stolze und saturierte Europa herein.
DANIEL GRÚŇ, CHRISTIAN HÖLLER, KATHRIN RHOMBERG Stano Filko, Miloš Laky, Ján Zavarský: White Space in White Space = Biely priestor v bielom priestore, 1973–1982 Wien, Schlebrügge.Editor 2021, 221 Seiten Diese Publikation zeichnet erstmals den komplexen Entwicklungsverlauf der kollektiven Arbeit White Space in White Space nach – von ihrem ersten Erscheinen 1973/1974 über ihre Transformation in ein Einzelwerk von Stano Filko bis hin zu ihrer letzten Version im Jahr 1982. Initiiert wurde die Dokumentation dieser umfangreichen Recherche von Daniel Grúň 2015 von der Kontakt Sammlung. Dieser Sammelband will White Space in White Space zu einem festen Platz in der europäischen Kunstgeschichte verhelfen und versammelt wichtige Beiträge und Texte von Jiří Valoch, Július Koller, Boris Ondreička, Vít Havránek, Ješa Denegri, Noit Banai, Lisa Grünwald u. a.
erstestiftung.org/library
135
Eine Auswahl interessanter Neuzugänge der ERSTE Stiftung Bibliothek im Jahr 2021, zusammengestellt und kommentiert von Bibliotheksleiterin Jutta Braidt
MAJA UND REUBEN FOWKES, ILONA NÉMETH (HRSG.) Ilona Németh – Eastern Sugar Berlin, Sternberg 2021, 303 Seiten
BYUNG-CHUL HAN Infokratie. Digitalisierung und die Krise der Demokratie Berlin, Matthes & Seitz 2021, 88 Seiten
Eastern Sugar war der Name, den Générale Sucrière und Tate & Lyle ihrem Joint Venture zur Übernahme von Zuckerfabriken in Mitteleuropa nach dem Fall des Kommunismus im Jahr 1989 gaben. Mitte der 2000er-Jahre ließ sich das französisch-britische Konsortium seine Investitionen ausbezahlen, um von einer Entschädigungsregelung der Europäischen Union zu profitieren, und schloss dauerhaft seine Standorte. Ausgangspunkt dieses Werks sind die umfangreichen Recherchen der Künstlerin Ilona Németh zur Geschichte der Zuckerproduktion in der Region, von den Anfängen im frühen 19. Jahrhundert, als die Zuckerrübe aus dem Norden dem Zuckerrohr aus dem Süden Konkurrenz machte, bis hin zu den sozialen Auswirkungen der rasanten Talfahrt der Industrie am Höhepunkt der Globalisierung. Eine verblüffende Untersuchung des Mikrokosmos der Mechanismen des postkommunistischen Übergangsprozesses anhand von kritischen Texten, Gesprächen und künstlerischen Interventionen. Die Publikation wurde von der ERSTE Stiftung unterstützt.
Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran. Wir sind benommen vom Kommunikations- und Informationsrausch. Gleichzeitig spüren wir eine Ohnmacht angesichts des Tsunamis der Information, die deformative und destruktive Kräfte entfaltet. Die Digitalisierung erfasst inzwischen auch den Bereich des Politischen und führt zu massiven Verwerfungen im demokratischen Prozess. Wahlkämpfe als Informationskriege werden mit allen erdenklichen technischen und psychologischen Mitteln geführt. Social Bots, die automatisierten Fake-Accounts in den sozialen Medien, verbreiten Fake News, Hetze und Hass und beeinflussen die politische Meinungsbildung. Troll-Armeen greifen in die Wahlkämpfe ein, indem sie gezielt Desinformation betreiben. Verschwörungsmythen und Propaganda beherrschen die politische Debatte. Byung-Chul Hans neuer Essay beschreibt die heutige Krise der Demokratie, indem er sie auf den digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit zurückführt. Han gibt der Krise einen Namen – „Infokratie“ – und verortet sie im Informationsregime als neue Herrschaftsform.
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DANIEL R. HEADRICK Macht euch die Erde untertan. Die Umweltgeschichte des Anthropozäns Aus dem Englischen von Martin Richter, Darmstadt, wbg Theiss 2021, 638 Seiten Was im Buch Genesis (1,28) der Bibel noch als Auftrag des Schöpfers an die Menschen verkauft wird – „bevölkert die Erde, unterwerft sie euch“, die landwirtschaftliche Bewirtschaftung des Planeten und die Nutzung seiner Rohstoffe, zeitigt heute dramatische Folgen. Überschwemmungen, Epidemien, Dürren, Artensterben … Daniel Headrick berichtet von den allgegenwärtigen Folgen des Imperativs dieser Inanspruchnahme und dokumentiert sie in einer den Globus umspannenden Geschichte der großen menschengemachten Transformation. DAS Buch zur Umweltgeschichte! Die englische Originalausgabe ist unter dem Titel Humans versus Nature 2019 bei Oxford University Press erschienen.
ESTELLE HERLYN, MAGDALÈNE LÉVY-TÖDTER (HRSG.) Die Agenda 2030 als Magisches Vieleck der Nachhaltigkeit. Systemische Perspektiven Wiesbaden, Springer Fachmedien 2020, XVI, 340 Seiten Gegenstand des Buchs ist eine systemische Auseinandersetzung mit der Agenda 2030 und den 17 Sustainable Development Goals. Das Ziel der Agenda ist es, die Welt in einen dauerhaft aufrechterhaltbaren Zustand zu bringen, in dem die planetaren Grenzen eingehalten und die Bedürfnisse aller Menschen befriedigt werden. Dabei kann der Zustand des Gesamtsystems oder eines Subsystems anhand von fünf Systemparametern beschrieben werden: Weltbevölkerungsgröße, BIP, Verteilung des Wohlstands, benötigte Ressourcen relativ zur Ressourcenverfügbarkeit, technologischer Fortschritt. Die globale Reichweite der Agenda und verteilte Zuständigkeiten – von global bis national, über klassische Politikressorts hinweg und über verschiedene Gruppen von Akteur:innen in Politik, Unternehmen und Zivilgesellschaft – werden anhand einzelner Handlungsfelder konkretisiert.
137
Eine Auswahl interessanter Neuzugänge der ERSTE Stiftung Bibliothek im Jahr 2021, zusammengestellt und kommentiert von Bibliotheksleiterin Jutta Braidt
KATAPULT (HRSG.) 102 grüne Karten zur Rettung der Welt Berlin, Suhrkamp 2020, 203 Seiten Wie viel Tropenwald verliert die Erde jedes Jahr? Welche Stadt investiert am meisten in Radwege? Wie gut setzen die Staaten das Pariser Klimaschutzabkommen um? Wie heiß wird es 2050 in Oslo? Und überhaupt: Bestimmt jeder Einzelne über die Zukunft der Welt oder ist vor allem die Politik gefordert? Antworten auf diese und viele andere Fragen finden sich in den erschreckenden, erhellenden und auch Mut machenden Karten von Deutschlands innovativstem Magazin. „Die Grafiken setzen auf die Prinzipien Knappheit, Überraschung und Humor. So sieht eine Weltkarte mit Ozeanen voller roter Punkte wie in Blut getränkt aus. Es gibt lediglich vier schwarze Punkte an den Küsten, das sind die vier Menschen, die 2018 bei einer Haiattacke ums Leben kamen.“ (goethe.de/rosinenpicker)
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VIKTOR MARTINOWITSCH Revolution Roman Aus dem Russischen von Thomas Weiler, Dresden u. a., Voland & Quist 2021, 400 Seiten Nach Paranoia (2014) und Mova (2016) erschien Anfang 2021 der neue Roman des belarussischen Schriftstellers Viktor Martinowitsch. Wenngleich er die Revolution im Titel trägt, bezieht er sich nicht auf die aktuellen Proteste in seinem Heimatland. Statt eines Anti-Lukaschenko-Revolutionsbuchs hält man eine Dystopie mit Thrillerund Politelementen in Händen. Erzählt wird die Geschichte von Michail German, der, korrumpiert durch das Leben im Moskau der Gegenwart, zunächst als Dozent für Architektursemiotik tätig ist, dann Karriere macht und sich schließlich einer postsowjetischen Untergrundorganisation mit Geheimdienstmethoden anschließt. Anspielungsreich und witzig, hervorragend übersetzt von Thomas Weiler.
BARBARA PRAINSACK Vom Wert des Menschen. Warum wir ein bedingungsloses Grundeinkommen brauchen Wien, Brandstätter 2020, 191 Seiten
ADAM TOOZE Shutdown. How Covid Shook the World’s Economy London, Allen Lane 2021, XII, 354 Seiten
Geld ohne Leistung? Einfach so? Und wer soll das bezahlen? Das sind nur einige Fragen, wenn es um das bedingungslose Grundeinkommen geht – Fragen, die angesichts der Folgen der Coronakrise aktueller sind denn je. Barbara Prainsack liefert Antworten. Und das abseits von Ideologien. Die international renommierte Expertin für Technologiepolitik erklärt verständlich zentrale Begriffe, deckt falsche Argumente auf und erhellt, wie die Umsetzung in Österreich, Deutschland und Europa gelingen kann. Ein Leitfaden für das Sozialsystem von morgen, bei dem eine Frage im Mittelpunkt steht: Wie viel ist der Mensch in Zeiten der Digitalisierung und tiefgreifender Umbrüche noch wert? Die Antwort betrifft uns alle.
Mit einem Fokus auf die Bereiche Finanzen und Wirtschaft wird hier die Geschichte der Pandemie in einen Rahmen gesetzt, der ein ernüchterndes neues Licht darauf wirft, wie unvorbereitet die Welt auf die Krise war und wie tief die Risse sind, die sie in Alltag und Wirtschaft hinterlassen hat. Das Virus hat die Wirtschaft ebenso heftig angegriffen wie unsere Gesundheit, und es ist kein Impfstoff in Sicht, der dagegen ankommt. Tooze beleuchtet, wie soziale Strukturen, politische Interessen und Wirtschaftspolitik zusammenwirken und welche verheerenden Folgen dies für die Menschheit hat – vom örtlichen Krankenhaus bis zur Weltbank. Er spannt den Bogen von den Auswirkungen der Wechselkursschwankungen bis hin zur Schwächung von Institutionen im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich im Namen der Effizienz.
139
DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung JAHRESABSCHLUSS 2021
141
Bilanz zum 31. 12. 2021 DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung
AKTIVA 1.
2.
3.
TEUR 31. 12. 2020
0,00
0
Schuldtitel öffentlicher Stellen und Wechsel, die zur Refinanzierung bei der Zentralnotenbank zugelassen sind
0,00
0
a) Schuldtitel öffentlicher Stellen und ähnliche Wertpapiere
0,00
0
b) zur Refinanzierung bei Zentralnotenbanken zugelassene Wechsel
0,00
0
Forderungen an Kreditinstitute b) sonstige Forderungen
4.
Forderungen an Kunden
5.
Schuldverschreibungen und andere festverzinsliche Wertpapiere a) von öffentlichen Emittenten b) von anderen Emittenten darunter: eigene Schuldverschreibungen
6.
Aktien und andere nicht festverzinsliche Wertpapiere
7.
Beteiligungen darunter: an Kreditinstituten
29.154.120,90
9.
Immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens
10.
Sachanlagen darunter: Grundstücke und Bauten, die vom Kreditinstitut im Rahmen seiner eigenen Tätigkeit genutzt werden
10.686
0,00
0 311.213,84
12.
Sonstige Vermögensgegenstände
13.
Gezeichnetes Kapital, das eingefordert, aber noch nicht eingezahlt ist
14.
Rechnungsabgrenzungsposten
15.
Aktive latente Steuern
SUMME DER AKTIVA
306
345.355,69
6.633
0,00
0
345.355,69
6.633
0,00
0 0,00
0
314.332.705,25 311.354.467,69
313.159 311.354
327.630.028,78 0,00
327.630 0
0,00
35
537.065,00
615
0,00
Anteile an einer herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Gesellschaft darunter: Nennwert
10.686
29.154.120,90
Anteile an verbundenen Unternehmen darunter: an Kreditinstituten
11.
TEUR 31. 12. 2020
EUR
Kassenbestand, Guthaben bei Zentralnotenbanken und Postgiroämtern
a) täglich fällig
8.
EUR
0 0,00
0,00
0 0
4.796.786,18
4.849
0,00
0
41.178,68
46
0,00
0
677.148.454,32
663.959
0,00
0
Posten unter der Bilanz 1.
142
Auslandsaktiva
Bilanz zum 31. 12. 2021 DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung
PASSIVA 1.
2.
EUR
TEUR 31. 12. 2020
EUR
Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten
TEUR 31. 12. 2020
0,00
20.043
a) täglich fällig
0,00
0
b) mit vereinbarter Laufzeit oder Kündigungsfrist
0,00
20.043
Verbindlichkeiten gegenüber Kunden a) Spareinlagen
0,00
0
0,00
0
aa) täglich fällig
0,00
0
bb) mit vereinbarter Laufzeit oder Kündigungsfrist
0,00
0
b) sonstige Verbindlichkeiten
0,00
0
aa) täglich fällig
0,00
0
bb) mit vereinbarter Laufzeit oder Kündigungsfrist
0,00
0
darunter:
darunter:
3.
Verbriefte Verbindlichkeiten a) begebene Schuldverschreibungen b) andere verbriefte Verbindlichkeiten
4.
Sonstige Verbindlichkeiten
5.
Rechnungsabgrenzungsposten
6.
Rückstellungen a) Rückstellungen für Abfertigungen b) Rückstellungen für Pensionen
205.674.666,70
205.675
0,00
0
205.674.666,70
205.675 4.059.255,11
3.617
0,00
0
743.522,03 0,00
687 0
0,00
0
c) Steuerrückstellungen
312.662,03
330
d) sonstige
430.860,00
357
6a.
Fonds für allgemeine Bankrisiken
0,00
0
7.
Ergänzungskapital gemäß Teil 2 Titel I Kapitel 4 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013
0,00
0
8.
Zusätzliches Kernkapital gemäß Teil 2 Titel I Kapitel 3 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013
0,00
0
darunter: Pflichtwandelschuldverschreibungen gemäß § 26 BWG 8b.
Instrumente ohne Stimmrecht gemäß § 26a BWG
9.
Gezeichnetes Kapital
10.
Kapitalrücklagen a) gebundene
0,00
0 0,00
0
0,00
0
79.147.249,86
79.147
79.147.249,86
79.147
b) nicht gebundene
0,00
0
c) Rücklage für eigene Aktien
0,00
0
Übertrag
289.624.693,70
309.169
143
Bilanz zum 31. 12. 2021 DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung
PASSIVA
11.
EUR
TEUR 31. 12. 2020
EUR
Übertrag
289.624.693,70
Gewinnrücklagen
387.523.760,62
a) gesetzliche Rücklage b) satzungsmäßige Rücklagen c) andere Rücklagen d) Rücklage für eigene Aktien
145.228.257,23
TEUR 31. 12. 2020 309.169 354.790
145.228
0,00
0
242.295.503,39
209.562
0,00
0
12.
Haftrücklage gemäß § 57 Abs. 5 BWG
0,00
0
13.
Bilanzgewinn
0,00
0
677.148.454,32
663.959
0,00
0
SUMME DER PASSIVA Posten unter der Bilanz 1.
Eventualverbindlichkeiten darunter:
2.
a) Akzepte und Indossamentverbindlichkeiten aus weitergegebenen Wechseln
0,00
0
b) Verbindlichkeiten aus Bürgschaften und Haftung aus der Bestellung von Sicherheiten
0,00
0
Kreditrisiken darunter: Verbindlichkeiten aus Pensionsgeschäften
0,00 0,00
0 0
3.
Verbindlichkeiten aus Treuhandgeschäften
0,00
0
4.
Anrechenbare Eigenmittel gemäß Teil 2 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013
0,00
0
darunter Ergänzungskapital gemäß Teil 2 Titel I Kapitel 4 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 5.
0,00
Eigenmittelanforderungen gemäß Art. 92 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013
0 0,00
0
darunter: Eigenmittelanforderungen gemäß Art. 92 Abs. 1 lit. a bis c der Verordnung (EU) Nr. 575/2013
6.
144
a) harte Kernkapitalquote
0,00
0
b) Kernkapitalquote
0,00
0
c) Gesamtkapitalquote
0,00
0
Auslandspassiva
0,00
0
Gewinn-und-Verlust-Rechnung 2021 DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung EUR 1.
Zinsen und ähnliche Erträge darunter: aus festverzinslichen Wertpapieren
2.
Zinsen und ähnliche Aufwendungen
I. 3.
TEUR Vorjahr
EUR
TEUR Vorjahr
116.140,49 73.007,39
300 216
6.245.518,07
6.258
NETTOZINSERTRAG
-6.129.377,58
–5.958
Erträge aus Wertpapieren und Beteiligungen
49.542.934,00
0
a) Erträge aus Aktien, anderen Anteilsrechten und nicht festverzinslichen Wertpapieren
0,00
0
b) Erträge aus Beteiligungen
38.042.934,00
0
c) Erträge aus Anteilen an verbundenen Unternehmen
11.500.000,00
0
4.
Provisionserträge
5.
Provisionsaufwendungen
6.
Aufwände aus Finanzgeschäften
7.
Sonstige betriebliche Erträge
II.
BETRIEBSERTRÄGE
8.
Allgemeine Verwaltungsaufwendungen a) Personalaufwand
0,31
0
19.892,27
40
32,81
0
1.706,32
5
43.395.403,59
–5.993
4.660.198,98
3.860
1.915.569,63
1.666
1.407.567,61
1.251
darunter: aa) Löhne und Gehälter bb) Aufwand für gesetzlich vorgeschriebene soziale Abgaben und vom Entgelt abhängige Abgaben und Pflichtbeiträge
340.288,65
322
cc) sonstiger Sozialaufwand
15.825,88
15
dd) Aufwendungen für Altersversorgung und Unterstützung
59.980,62
56
0,00
0
91.906,87
22
2.744.629,35
2.194
ee) Dotierung der Pensionsrückstellung ff) Aufwendungen für Abfertigungen und Leistungen an betriebliche Mitarbeitervorsorgekassen b) sonstige Verwaltungsaufwendungen (Sachaufwand) 9.
Wertberichtigungen auf die in den Aktivposten 9 und 10 enthaltenen Vermögensgegenstände
10.
Sonstige betriebliche Aufwendungen
III.
BETRIEBSAUFWENDUNGEN
IV.
BETRIEBSERGEBNIS
116.061,98
155
0,00
0
4.776.260,96
4.015
38.619.142,63
–10.008
145
Gewinn-und-Verlust-Rechnung 2021 DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung EUR
EUR
Übertrag (IV. Betriebsergebnis)
TEUR Vorjahr
TEUR Vorjahr
38.619.142,63
-10.008
Wertberichtigungen auf Forderungen und Zuführungen zu Rückstellungen für Eventualverbindlichkeiten und für Kreditrisiken
0,00
0
Erträge aus der Auflösung von Wertberichtigungen auf Forderungen und aus Rückstellungen für Eventualverbindlichkeiten und für Kreditrisiken
0,00
0
13.
Wertberichtigungen auf Wertpapiere, die wie Finanzanlagen bewertet werden, sowie auf Beteiligungen und Anteile an verbundenen Unternehmen
217.862,07
517
14.
Erträge aus Wertberichtigungen auf Wertpapiere, die wie Finanzanlagen bewertet werden, sowie auf Beteiligungen und Anteile an verbundenen Unternehmen
0,00
0
38.401.280,56
–10.525
0,00
0
11.
12.
V. 15.
ERGEBNIS DER GEWÖHNLICHEN GESCHÄFTSTÄTIGKEIT Außerordentliche Erträge darunter: Entnahmen aus dem Fonds für allgemeine Bankrisiken
16.
0,00
Außerordentliche Aufwendungen darunter: Zuweisungen zum Fonds für allgemeine Bankrisiken
17.
Außerordentliches Ergebnis (Zwischensumme aus Posten 15 und 16)
18.
Steuern vom Einkommen und Ertrag darunter: Ertrag aus latenten Steuern
0 0,00
0,00
0 0
0,00
0
–17.316,37
17
–17.316,37
17
19.
Sonstige Steuern, soweit nicht in Posten 18 auszuweisen
0,00
0
19a.
Ergebnis aus Spaltungen
0,00
0
VI.
JAHRESÜBERSCHUSS/JAHRESFEHLBETRAG (Vj)
38.418.596,93
–10.542
20.
Rücklagenbewegung
38.418.596,93
–10.542
darunter: D otierung der Haftrücklage
0,00
0
Auflösung der Haftrücklage
0,00
0
VII.
JAHRESGEWINN
0,00
0
21.
Gewinnvortrag
0,00
0
22.
Aufgrund eines Gewinnabführungsvertrags abgeführte Gewinne
0,00
0
VIII.
BILANZGEWINN
0,00
0
146
Anhang zum Jahresabschluss 2021 DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung
147
1 1.1 1.2 1.3
Allgemeine Angaben Einleitung Gliederung des Jahresabschlusses Haftung der Privatstiftung für die Sparkassen AG
149 149 149 149
2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7
Angaben zu Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden Generalnorm Bewertungsmethoden Fremdwährungsforderungen und -verbindlichkeiten Beteiligungen und Anteile an verbundenen Unternehmen Forderungen Wertpapiere Immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen Verbindlichkeiten Rückstellungen
149 149 149 149 150 150 150 150 151 151
3
Änderungen von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden
151
4 Angaben zur Bilanz 4.1 Fristengliederung Forderungen und Verpflichtungen 4.2 Forderungen an und Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen und gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht 4.3 Beziehungen zu verbundenen Unternehmen 4.4 Beteiligungen und Anteile an verbundenen Unternehmen 4.5 Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen 4.6 Wertpapiere 4.7 Unterschiedsbeträge bei Schuldverschreibungen und anderen festverzinslichen Wertpapieren 4.8 Finanzinstrumente des Anlagevermögens 4.9 Im Folgejahr fällig werdende Schuldverschreibungen 4.10 Nachrangige Vermögensgegenstände 4.11 Anlagevermögen 4.12 Zwischenkörperschaftsteuer gemäß § 22 Abs. 2 KStG 4.13 Verpflichtungen gegenüber verbundenen Unternehmen 4.14 Leasing- und Mietverpflichtungen 4.15 Sonstige Verbindlichkeiten 4.16 Aufgeschobene Steuer aus der formwechselnden Umwandlung der Anteilsverwaltungssparkasse in die ERSTE Stiftung 4.17 Rückstellungen für Steuern 4.18 Sonstige Rückstellungen 4.19 Aufgliederung der Kapital- und Gewinnrücklagen 4.20 Sonstige außerbilanzielle Geschäfte
151 151 151 151 151 152 153 153 153 153 153 154 156 156 156 156 156 157 157 157 157
5
Kapitalflussrechnung
158
6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
Angaben zur Gewinn-und-Verlust-Rechnung Zinsen und ähnliche Erträge Zinsen und ähnliche Aufwendungen Erträge aus Wertpapieren und Beteiligungen Aufwendungen für den Abschlussprüfer Rücklagenzuführung Entwicklung des Stiftungsvermögens
158 158 158 158 159 159 159
7
Ereignisse nach dem Abschlussstichtag
159
8
Liquidität
159
9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5
Angaben zu Organen und Arbeitnehmer:innen Anzahl der Arbeitnehmer:innen Kredite an Vorstand und Aufsichtsrat Aufwendungen für Abfertigungen und Pensionen Organbezüge Namen der Organmitglieder
160 160 160 160 160 160
148
1 Allgemeine Angaben 1.1
Einleitung
Die Aufstellung des Jahresabschlusses 2021 erfolgte gemäß § 18 Privatstiftungsgesetz (PSG) unter sinngemäßer Anwendung der diesbezüglichen Bestimmungen des Unternehmensgesetzbuchs (UGB) sowie unter Berücksichtigung der einschlägigen Bestimmungen des Bankwesengesetzes (BWG) in der jeweils geltenden Fassung. Angaben und Erläuterungen, welche sich durch die Änderungen in den anzuwendenden Rechnungslegungsbestimmungen ergaben, sind Kapitel 3 (Änderungen von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden) zu entnehmen. Zudem ist auf die weiterhin geänderten Rahmenbedingungen aufgrund der Covid-19-Pandemie hinzuweisen. Die WHO hat am 11. 3. 2020 im Zusammenhang mit der Ausbreitung von Covid-19 einen öffentlichen Gesundheitsnotstand von globalem Ausmaß erklärt, der erhebliche Auswirkungen auf die Menschen und Unternehmen in der ganzen Welt nach sich zieht. Für die Privatstiftung ergaben sich aus der Covid-19-Pandemie Auswirkungen aufgrund fehlender Erträge aus der Beteiligung an der Erste Group Bank AG, da die EZB eine dringende Empfehlung ausgesprochen hat, bis zum 30. 9. 2021 keine Dividendenausschüttungen vorzunehmen (EZB 2020/62). Im Jahr 2021 beliefen sich die Dividendenerträge auf EUR 49.542.934,00 (Vorjahr: TEUR 0). Die Annahme der Going-Concern-Prämisse wird durch diese Auswirkungen jedoch nicht berührt und ist weiterhin angemessen. 1.2
Gliederung des Jahresabschlusses
Durch die formwechselnde Umwandlung der Anteilsverwaltungssparkasse „DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Anteilsverwaltungssparkasse“ in „DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung“ (in der Folge die ERSTE Stiftung) und die damit verbundene Buchwertfortführung ergibt sich hinsichtlich der Gliederung des Jahresabschlusses der Privatstiftung eine Fortführung der BWG-mäßigen Gliederung. 1.3
Haftung der Privatstiftung für die Sparkassen AG
Mit der Eintragung im Firmenbuch entstand gemäß § 7 Abs. 1 PSG die ERSTE Stiftung. Die Anteilsverwaltungssparkasse besteht gemäß § 27b Abs. 1 SpG als Privatstiftung weiter. Die Privatstiftung ist seit 19. Dezember 2003 im Firmenbuch beim Handelsgericht Wien unter der FN 072984f und der Firma „DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung“ eingetragen.
2 Angaben zu Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden 2.1
Generalnorm
Der Jahresabschluss wurde unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung sowie der Generalnorm, ein möglichst getreues Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Privatstiftung zu vermitteln, aufgestellt. Bei der Bewertung der Vermögensgegenstände und Schulden wurde der Grundsatz der Einzelbewertung beachtet und eine Fortführung der Privatstiftung unterstellt. Dem Vorsichtsprinzip wurde Rechnung getragen. 2.2
Bewertungsmethoden
2.2.1 Fremdwährungsforderungen und -verbindlichkeiten Fremdwährungsforderungen und -verbindlichkeiten, Valuten und Fremdwährungsschecks wurden mit dem Referenzkurs der EZB bewertet. Erträge aus der Währungsumrechnung wurden in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung berücksichtigt.
149
2.2.2 Beteiligungen und Anteile an verbundenen Unternehmen Beteiligungen und Anteile an verbundenen Unternehmen wurden mit Anschaffungskosten bewertet, soweit nicht aufgrund einer voraussichtlich dauernden Wertminderung eine Abwertung erforderlich war (bzw. wurden mit einem niedrigeren beizulegenden Wert angesetzt). 2.2.3 Forderungen Forderungen an Kreditinstitute und sonstige Forderungen wurden nach den Vorschriften des § 207 UGB bewertet. Erkennbaren Risiken wurde durch entsprechende Wertberichtigung Rechnung getragen. 2.2.4 Wertpapiere Wertpapiere (Schuldverschreibungen und andere festverzinsliche Wertpapiere, Aktien und andere nicht festverzinsliche Wertpapiere) werden entsprechend ihrer Zuordnung zu den Finanzanlagen sowie abhängig davon, ob es sich um Forderungen und forderungsähnliche Finanzinstrumente (FFI) im Sinne der AFRAC-Stellungnahme 14 handelt, wie folgt bewertet: •
Wertpapiere, bei denen es sich um FFI handelt, werden zu fortgeführten Anschaffungskosten abzüglich der Wertminderungen, die sich aus den Ausfallrisiken ergeben, bewertet. FFI sind Schuldinstrumente, für die die Absicht besteht, sie bis zur Endfälligkeit zu halten, und deren Wert nicht von Risiko- und Ertragsstrukturen potenziell beeinträchtigt wird, die erheblich von den Ausfallrisiken des Instruments abweichen.
•
Schuldinstrumente des Anlagevermögens, die keine FFI sind, werden zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet und bei dauerhafter Wertminderung auf den niedrigeren beizulegenden Zeitwert abgeschrieben („gemildertes Niederstwertprinzip“).
Die Zuordnung der Wertpapiere zum Umlaufvermögen, zu den Finanzanlagen oder den FFI erfolgt entsprechend den vom Stiftungsvorstand beschlossenen Organisationsrichtlinien. Sind bei festverzinslichen Wertpapieren, welche die Eigenschaft von Finanzanlagen haben, die Anschaffungskosten höher als der Rückzahlungsbetrag, dann wird der Unterschiedsbetrag gemäß § 56 Abs. 2 BWG zeitanteilig abgeschrieben. Eine gemäß § 56 Abs. 3 BWG mögliche zeitanteilige Zuschreibung von Unterschiedsbeträgen erfolgt nicht. Stellt sich in einem späteren Geschäftsjahr heraus, dass die Gründe für die Abschreibung auf den niedrigeren beizulegenden Zeitwert nicht mehr bestehen, wird der Betrag wieder zugeschrieben. Der beizulegende Zeitwert ist gemäß § 189a Z 4 UGB der Börsenkurs oder Marktpreis; im Fall von Finanzinstrumenten, deren Marktpreis sich als Ganzes nicht ohne weiteres ermitteln lässt, der aus den Marktpreisen der einzelnen Bestandteile des Finanzinstruments oder dem Marktpreis für ein gleichartiges Finanzinstrument abgeleitete Wert; falls sich bei Finanzinstrumenten ein verlässlicher Markt nicht ohne Weiteres ermitteln lässt, der mithilfe anerkannter Bewertungsmodelle und ‑methoden bestimmte Wert, sofern diese Modelle und Methoden eine angemessene Annäherung an den Marktpreis gewährleisten. 2.2.5 Immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen Immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens und Sachanlagen wurden zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten, vermindert um planmäßige lineare Abschreibungen, bewertet. Die Abschreibungsdauern blieben im Berichtsjahr unverändert. Die Abschreibungsdauer beträgt für •
immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens 4 Jahre (25 %),
•
sonstige Sachanlagen zwischen 4 und 15 Jahre (zwischen 25 % und 6,67 %).
Geringwertige Vermögensgegenstände wurden im Zugangsjahr voll abgeschrieben und als Abgänge erfasst.
150
2.2.6 Verbindlichkeiten Verbindlichkeiten wurden mit dem Erfüllungsbetrag angesetzt. 2.2.7 Rückstellungen Die Rückstellungen wurden in Höhe des Erfüllungsbetrags gebildet, der bestmöglich zu schätzen war. Sonstige Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr wurden mit einem marktüblichen Zinssatz abgezinst. Als marktüblicher Zinssatz wurde jener Zinssatz gewählt, zu dem sich Unternehmen mit hochklassiger Bonitätseinstufung entsprechendes Fremdkapital beschaffen können.
3 Änderungen von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden Gegenüber dem Vorjahr wurden im Berichtsjahr folgende Änderungen von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden vorgenommen: Wertpapiere, die als Forderungen und forderungsähnliche Finanzinstrumente einzustufen sind, wurden erstmals zu Anschaffungskosten vermindert um Wertminderungen für Ausfallrisiken bewertet.
4 Angaben zur Bilanz In der Bilanz werden die einzelnen Bilanzposten gemäß Kapitel 2 bewertet und ausgewiesen. In den folgenden Anhangangaben werden die Buchwerte jedoch ohne die zeitanteiligen Zinsen ausgewiesen. 4.1
Fristengliederung Forderungen und Verpflichtungen
Fristengliederung der nicht täglich fälligen Forderungen und Guthaben und der nicht täglich fälligen Verpflichtungen gegenüber Kreditinstituten und Nichtbanken (nach Restlaufzeiten): 31. 12. 2021
31. 12. 2020
EUR
TEUR
nicht täglich fällige Verpflichtungen bis 3 Monate
200.000.000,00
0
0,00
200.000
mehr als 1 Jahr bis 5 Jahre
4.2 Forderungen an und Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen und gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht verbundene Unternehmen
Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht
31. 12. 2021
31. 12. 2020
31. 12. 2021
31. 12. 2020
EUR
TEUR
EUR
TEUR
Forderungen an Kunden
0,00
0
300.000,00
300
Schuldverschreibungen
0,00
0
145.125,00
6.597
1.901,13
85
0,00
0
sonstige Forderungen
4.3
Beziehungen zu verbundenen Unternehmen
Die Geschäftsbeziehungen zu verbundenen Unternehmen wurden im branchenüblichen Rahmen abgewickelt. 4.4 Beteiligungen und Anteile an verbundenen Unternehmen Beteiligungen und Anteile an verbundenen Unternehmen enthalten Anteile an folgenden wesentlichen Unternehmen und weisen nach den letzten uns vorliegenden Jahresabschlüssen Eigenkapital und Ergebnis wie folgt aus: 151
Firma und Sitz der Gesellschaft
Anteil am Kapital gesamt (davon indirekt)
Eigenkapital
letztes Ergebnis
Jahresabschluss per Jahr
in %
EUR
EUR
11,25 % (5,35 %)
9.354.406.875,26
1.782.322.253,51
31. 12. 2021
Erste Social Finance Holding GmbH, Wien
40,00 %
4.708.348,22
5.564,77
31. 12. 2020
Fund of Excellence Förderungs GmbH, Wien
42,00 %
-94.416,19
-169.127,88
31. 12. 2020
Sparkassen Beteiligungs GmbH & Co KG, Wien
50,50 %
1.216.011.588,13
287.105.082,68
30. 06. 2021
Erste Group Bank AG, Wien
Sparkassen Beteiligungs GmbH, Wien
100,00 %
53.716,94
-2.285,44
31. 12. 2021
Two Next GmbH, Wien
100,00 %
313.997,56
-221.002,44
31. 12. 2020
Der Buchwert der Beteiligungen in Höhe von EUR 314.332.705,25 (Vorjahr: TEUR 313.159) betrifft mit EUR 2.978.237,56 (Vorjahr: TEUR 1.804), erhöht einerseits um einen im Jahr 2021 gewährten Gesellschafterzuschuss von EUR 940.000,00 und andererseits um eine per 31. 12. 2021 durchgeführte Zuschreibung in Höhe von EUR 234.037,93, die 40 %-ige Beteiligung an der Erste Social Finance Holding GmbH und mit EUR 311.354.467,69 (Vorjahr: TEUR 311.354) die Beteiligung an der Erste Group Bank AG. Dieser Buchwert repräsentiert insgesamt einen Bestand von 25.361.956 Stück Erste Group Bank-Stammaktien, die – je nach Anschaffungsperiode – auf drei verschiedenen Depots mit unterschiedlichen Anschaffungskosten geführt werden und die per 31. 12. 2021 einen Anteil am Grundkapital von 5,90 % (Vorjahr: 5,90 %) darstellen. Der Marktwert dieser Beteiligung, berechnet auf Basis des Schlusskurses der Wiener Börse von EUR 41,35, lag per Jahresultimo bei EUR 1.048.716.880,60. Bei der ERSTE Stiftung handelt es sich im Verhältnis zur Erste Group Bank AG um kein übergeordnetes Kreditinstitut (Kreditinstitut oder Finanz-Holdinggesellschaft), das eine Kreditinstitutsgruppe im Sinne des § 30 Abs. 1 BWG begründet, weshalb die Einbeziehung der ERSTE Stiftung in den Konsolidierungskreis gemäß BWG nicht erforderlich ist. Auch unternehmensrechtlich ist gemäß § 244 UGB kein Konzernabschluss zu erstellen. Die 42 %-ige Beteiligung an der Fund of Excellence Förderungs GmbH wurde im Jahr 2020 auf EUR 0,00 (Vorjahr: TEUR 0) abgeschrieben, da diese ihre Geschäftstätigkeit nur mehr auf die Abwicklung der bestehenden Verträge beschränkt und keine neuen Geschäftsabschlüsse tätigt. Unter dem Bilanzposten „Anteile an verbundenen Unternehmen“ ist die Sparkassen Beteiligungs GmbH & Co KG mit einem Buchwert von EUR 327.560.028,78 (Vorjahr: TEUR 327.560), aus der Einbringung von insgesamt 23 Mio. Stück EGB-Aktien (Vorjahr: 23 Mio. Stk.), ausgewiesen. Der Anteil, der von der ERSTE Stiftung indirekt über die Sparkassen Beteiligungs GmbH & Co KG am Grundkapital der Erste Group Bank AG gehalten wird, liegt bei 5,35 % (Vorjahr: 5,35 %). Der durch die ERSTE Stiftung direkt kontrollierte Anteil beträgt somit per 31. 12. 2021 insgesamt 11,25 % (Vorjahr: 11,25 %). Die CaixaBank S. A. hielt bis zum Verkauf am 4. November 2021 einen 9,92 %-igen Anteil am Grundkapital der Erste Group Bank AG und bildete gemäß Aktionärsvereinbarung (Preferred Partnership Agreement) mit anderen Kernaktionären der Bank ein Syndikat. Nach diesem Verkauf setzt sich dieses Bündnis von Kernaktionären aus der ERSTE Stiftung, den Sparkassen sowie deren Stiftungen und Wiener Städtische Wechselseitiger Versicherungsverein – Vermögensverwaltung – Vienna Insurance Group zusammen. Letzterer erhöhte am 9. November 2021 seinen Anteil um 1,00 % auf insgesamt 4,08 % (Vorjahr: 3,08 %) am Grundkapital der Erste Group Bank AG und hält somit 17.532.884 Stück (Vorjahr: 13.234.884 Stück) Erste Group Bank AG-Aktien. Gemeinsam mit den Syndikatspartnern kontrollierte die ERSTE Stiftung direkt und indirekt 22,25 % (Vorjahr: 31,16 %) am Grundkapital der Erste Group Bank AG. Der durchschnittliche Bewertungskurs je Erste Group-Aktie für die von der ERSTE Stiftung direkt sowie indirekt in Form ihres Anteils an der Sparkassen Beteiligungs GmbH & Co KG gehaltenen Erste Group-Aktien lag per 31. 12. 2021 bei EUR 13,21. Ebenfalls in diesem Posten ausgewiesen sind die 100 %-igen Beteiligungen an der Sparkassen Beteiligungs GmbH und an der Two Next GmbH mit einem Buchwert von jeweils EUR 35.000,00 (Vorjahr: TEUR 35). Im Jahr 2021 wurde der Two Next GmbH ein Gesellschafterzuschuss in Höhe von EUR 1.000.000,00 gewährt, welcher per 31. 12. 2021 voll abgeschrieben wurde. 4.5
Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen
Es bestehen keine Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen, welche wesentlich und marktunüblich sind.
152
4.6
Wertpapiere
Die in Aktiva 5 enthaltenen, zum Börsehandel zugelassenen Wertpapiere, Beteiligungen und Anteile an verbundenen Unternehmen gliedern sich wie folgt: zum Börsehandel zugelassen, börsenotiert
Schuldverschreibungen und andere festverzinsliche Wertpapiere
4.7
nicht börsenotiert
davon bewertet wie Anlagevermögen
andere Bewertung
EUR
EUR
EUR
EUR
345.125,00
0,00
345.125,00
0,00
Unterschiedsbeträge bei Schuldverschreibungen und anderen festverzinslichen Wertpapieren
Die Anschaffungskosten bei Schuldverschreibungen und anderen festverzinslichen Wertpapieren waren teilweise niedriger als der Rückzahlungsbetrag, der verbleibende Unterschiedsbetrag betrug EUR 4.875,00 (Vorjahr: TEUR 553). 4.8
Finanzinstrumente des Anlagevermögens
31. 12. 2021 Schuldverschreibungen und andere festverzinsliche Wertpapiere 31. 12. 2020 Schuldverschreibungen und andere festverzinsliche Wertpapiere
Buchwert EUR
Zeitwert EUR
stille Lasten EUR
stille Reserven EUR
345.125,00
351.545,00
0,00
6.420,00
Buchwert TEUR
Zeitwert TEUR
stille Lasten TEUR
stille Reserven TEUR
6.597
7.174
0
577
Der beizulegende Zeitwert (Fair Value) ist derjenige Betrag, der in einem aktiven Markt aus dem Verkauf eines Finanzinstruments erzielt werden könnte oder der für einen entsprechenden Erwerb zu zahlen wäre. Sofern Marktpreise verfügbar waren, werden diese zur Bewertung herangezogen. Bei fehlenden Marktpreisen wurden Bewertungsmodelle, insbesondere das Barwertverfahren, herangezogen. 4.9
Im Folgejahr fällig werdende Schuldverschreibungen
Im Folgejahr werden von den Schuldverschreibungen und anderen festverzinslichen Wertpapieren EUR 145.125,00 (Vorjahr: TEUR 6.452) fällig. Von den begebenen, börsefähigen Schuldverschreibungen werden EUR 200.000.000,00 (Vorjahr: TEUR 0) fällig. 4.10 Nachrangige Vermögensgegenstände
Schuldverschreibungen
31. 12. 2021
31. 12. 2020
EUR
TEUR
145.125,00
6.597
Gegenüber verbundenen Unternehmen oder Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, waren folgende Vermögensgegenstände nachrangig:
Schuldverschreibungen
31. 12. 2021
31. 12. 2020
EUR
TEUR
145.125,00
6.597
4.11 Anlagevermögen Die Entwicklung des Anlagevermögens (Anlagenspiegel) findet sich umseitig.
153
Anlagenspiegel Anschaffungskosten Anschaffungskosten per 1. 1. 2021 EUR
Bezeichnung Wertpapiere d) Schuldverschreibungen
6.597.025,00
Summe
6.597.025,00
Beteiligungen
313.568.167,69
Anteile an verbundenen Unternehmen
328.130.028,78
Immaterielle Vermögensgegenstände b) Sonstige
520.447,90
Summe
520.447,90
Sachanlagen b) Betriebs- und Geschäftsausstattung
909.807,35
Summe
909.807,35
Anteile an herrschender Gesellschaft
0,00
Summe Anlagevermögen
649.725.476,72
Kumulierte Abschreibungen und Buchwerte
Bezeichnung
Kumulierte Abschreibung per 1. 1. 2021 EUR
Abschreibung 2021 EUR
Zuschreibungen 2021 EUR
Wertpapiere d) Schuldverschreibungen
0,00
0,00
0,00
Summe
0,00
0,00
0,00
Beteiligungen
409.500,37
0,00
234.037,93
Anteile an verbundenen Unternehmen
500.000,00
1.000.000,00
0,00
b) Sonstige
485.097,90
35.350,00
0,00
Summe
485.097,90
35.350,00
0,00
b) Betriebs- und Geschäftsausstattung
294.630,35
80.711,98
0,00
Summe
294.630,35
80.711,98
0,00
0,00
0,00
0,00
1.689.228,62
1.116.061,98
234.037,93
Immaterielle Vermögensgegenstände
Sachanlagen
Anteile an herrschender Gesellschaft Summe Anlagevermögen
154
Sonstiges 2021 EUR
Zugänge 2021 EUR
Abgänge 2021 EUR
Umbuchungen 2021 EUR
Anschaffungskosten per 31. 12. 2021 EUR
0,00
200.000,00
6.451.900,00
0,00
345.125,00
0,00
200.000,00
6.451.900,00
0,00
345.125,00
0,00
940.000,00
0,00
0,00
314.508.167,69
0,00
1.000.000,00
0,00
0,00
329.130.028,78
0,00
0,00
0,00
0,00
520.447,90
0,00
0,00
0,00
0,00
520.447,90
0,00
2.599,98
2.599,98
0,00
909.807,35
0,00
2.599,98
2.599,98
0,00
909.807,35
0,00
0,00
0,00
0,00
0,00
0,00
2.142.599,98
6.454.499,98
0,00
645.413.576,72
Kum. Abschr. Abgänge per 31. 12. 2021 EUR
Kum. Abschr. Umbuchungen per 31. 12. 2021 EUR
Kumulierte Abschreibung per 31. 12. 2021 EUR
Buchwert per 31. 12. 2021 EUR
Buchwert per 31. 12. 2020 EUR
0,00
0,00
0,00
345.125,00
6.597.025,00
0,00
0,00
0,00
345.125,00
6.597.025,00
0,00
0,00
175.462,44
314.332.705,25
313.158.667,32
0,00
0,00
1.500.000,00
327.630.028,78
327.630.028,78
0,00
0,00
520.447,90
0,00
35.350,00
0,00
0,00
520.447,90
0,00
35.350,00
2.599,98
0,00
372.742,35
537.065,00
615.177,00
2.599,98
0,00
372.742,35
537.065,00
615.177,00
0,00
0,00
0,00
0,00
0,00
2.599,98
0,00
2.568.652,69
642.844.924,03
648.036.248,10
155
4.12 Zwischenkörperschaftsteuer gemäß § 22 Abs. 2 KStG Es besteht eine Forderung gegenüber der Republik Österreich aus der Verrechnung der Zwischenkörperschaftsteuer in Höhe von EUR 7.929.188,60 (Vorjahr: TEUR 7.993). Es ist im Zeitpunkt der Erstellung des Jahresabschlusses nicht absehbar, ob beziehungsweise wann die unverzinste Forderung an die Republik Österreich aus der Vorauszahlung der Zwischenkörperschaftsteuer mit Kapitalertragsteuer auf Zuwendungen verrechnet werden kann. Aus diesem Grund wurde sie in Höhe von 50 % wertberichtigt. Der Nennbetrag der Forderung aufgrund der noch nicht verrechneten Zahlungen der Zwischenkörperschaftsteuer beträgt EUR 63.467,51 (Vorjahr: TEUR 143). 4.13 Verpflichtungen gegenüber verbundenen Unternehmen Gegenüber verbundenen Unternehmen bestanden keine wesentlichen, nicht in der Bilanz ausgewiesenen Verpflichtungen. 4.14 Leasing- und Mietverpflichtungen Für das folgende Geschäftsjahr bestehen Verpflichtungen aus den in der Bilanz nicht ausgewiesenen geleasten oder gemieteten Sachanlagen von EUR 298.263,21 (Vorjahr: TEUR 295); die Summe dieser Verpflichtungen für die folgenden fünf Jahre beläuft sich auf EUR 1.493.187,80 (Vorjahr: TEUR 1.477). 4.15 Sonstige Verbindlichkeiten In den sonstigen Verbindlichkeiten waren folgende wesentliche Einzelposten enthalten:
Verbindlichkeiten offene Rechnungen Verbindlichkeiten Zuwendungen
31. 12. 2021
31. 12. 2020
EUR
TEUR
232.680,74
150
3.824.066,74
3.362
4.16 Aufgeschobene Steuer aus der formwechselnden Umwandlung der A nteilsverwaltungssparkasse in die ERSTE Stiftung Die formwechselnde Umwandlung der Anteilsverwaltungssparkasse in die ERSTE Stiftung gilt gemäß § 13 Abs. 5 Z 1 KStG mit Ablauf des Umwandlungsstichtages, somit 1. April 2003, als bewirkt. Umwandlungsstichtag ist der Tag, zu dem die Schlussbilanz der Anteilsverwaltungssparkasse gemäß § 27a Abs. 6 SpG aufgestellt wurde. Die aus der Umwandlung entstehende Steuerpflicht (der auf die einzelnen Wirtschaftsgüter der Schlussbilanz der Anteilsverwaltungssparkasse entfallenden Unterschiedsbeträge zwischen den steuerlich maßgebenden Buchwerten und den Teilwerten) verschiebt sich aufgrund eines Antrags gemäß § 13 Abs. 5 Z 2 KStG teilweise bis zur Veräußerung oder dem sonstigen Ausscheiden der Wirtschaftsgüter aus der ERSTE Stiftung. Dieser Antrag wurde im Rahmen der Abgabe der Steuererklärung 2003 gestellt. Der in Evidenz genommene Unterschiedsbetrag resultiert aus der Differenz zwischen dem Verkehrswert und dem Steuerwert der Erste Bank der oesterreichischen Sparkassen AG (nunmehr Erste Group Bank AG)-Stammaktien vor Umwandlung und wurde wie folgt ermittelt: Der Steuerwert der Aktien der Erste Bank der oesterreichischen Sparkassen AG betrug vor Umwandlung EUR 31,48 (nach Aktiensplit EUR 7,87) pro Aktie. Der Verkehrswert der Aktien wurde als Sechs-Monats-Durchschnitt von Oktober 2002 bis März 2003 ermittelt und belief sich auf EUR 61,10 (nach Aktiensplit EUR 15,28). Die Differenz von EUR 29,62 (nach Aktiensplit EUR 7,41) wurde für 19.831.809 Stück Aktien (somit EUR 587.418.182,58) als Unterschiedsbetrag in Evidenz genommen. Durch Verkäufe in den Jahren 2004, 2005, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014 und 2015 verringerte er sich auf EUR 294.895.657,74. Der Unterschiedsbetrag für 1.500.000 Stück Aktien wurde bereits 2003 versteuert. Die ERSTE Stiftung erzielt vor allem Einkünfte aus Kapitalvermögen und sonstige Einkünfte aus der Veräußerung von Beteiligungen, die gemäß § 13 Abs. 3 KStG bis einschließlich 2010
156
einer Zwischensteuer von 12,5 % und ab dem Jahr 2011 einer Zwischensteuer von 25 % (Vorjahr: 25 %) unterliegen. Die Erhebung der Zwischensteuer unterbleibt insoweit, als von der Stiftung Zuwendungen erfolgen und hierfür tatsächlich Kapitalertragsteuer entrichtet wird. Über die entrichtete und allenfalls wieder gutgeschriebene Zwischensteuer ist ein Evidenzkonto zu führen; der dort erfasste Betrag beläuft sich per 31. Dezember 2021 auf EUR 7.929.188,60. 4.17 Rückstellungen für Steuern Die passive Steuerabgrenzung aus dem Jahr 2018 in Höhe von EUR 312.253,00 wurde für die in den Jahren 2013 bis 2015 nachträglich geltend gemachten Betriebsausgaben, welche bereits bei der Betriebsprüfung 2008 bis 2012 (abgeschlossen im Jahr 2015) aberkannt wurden, gebildet. Sich daraus ergebende etwaige Nachzahlungen wurden im Jahr 2018 als Rückstellung zugeführt. Der Rechtsansicht der Betriebsprüfung wurde somit bei der Berechnung des Steueraufwandes gefolgt, inhaltlich wird sie aber von der ERSTE Stiftung nicht geteilt und durch ein Rechtsmittel bekämpft. Die latenten Steuern beruhen auf temporären Differenzen im Bereich der Abgrenzung von sonstigen betrieblichen Erträgen, die nach § 29 EStG zu versteuern sind. Die Rückstellung für latente Steuern weist zum 31. 12. 2021 einen Buchwert in Höhe von EUR 409,03 (Vorjahr: TEUR 18) aus. 4.18 Sonstige Rückstellungen
Steuerrückstellung
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
31. 12. 2020
Verbrauch
Auflösung
Dotationen
31. 12. 2021
329.978,40
0,00
17.316,37
0,00
312.662,03 230.360,00
Personalrückstellungen
58.117,00
58.117,00
0,00
230.360,00
Prüfungskosten
13.000,00
13.000,00
0,00
17.000,00
17.000,00
286.000,00
214.234,60
51.765,40
163.500,00
183.500,00
687.095,40
285.351,60
69.081,77
410.860,00
743.522,03
Sachaufwand
4.19 Aufgliederung der Kapital- und Gewinnrücklagen In den Kapitalrücklagen ist die gebundene Kapitalrücklage im Zuge der formwechselnden Umwandlung im Jahr 2003 dotiert worden. Diese Kapitalrücklage resultiert aus den ursprünglich der Privatstiftung gewidmeten Vermögensgegenständen und ist gemäß § 27a Abs. 4 Z 4 des SpG grundsätzlich zu erhalten. Sie kann zur Deckung von im Zusammenhang mit den ursprünglich gewidmeten Vermögensgegenständen entstehenden Veräußerungsverlusten oder der Ertragssteuer auf Umwandlungs- oder Veräußerungsgewinne auf dieselben Vermögensgegenstände geschmälert werden. 4.20 Sonstige außerbilanzielle Geschäfte Es bestehen keine nicht in der Bilanz und auch nicht gemäß § 237 Abs. 1 Z 2 UGB anzugebende außerbilanzielle Geschäfte, welche für die Beurteilung der Finanzlage der Gesellschaft notwendig sind.
157
5 Kapitalflussrechnung
-/+
2021 EUR
2020 EUR
Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag
38.418.596,93
-10.542.437,70
Gewinne/Verluste aus Wertpapieren
-548.100,00
0,00
+
Wertberichtigungen auf Forderung an Kunden
0,00
+
0,00
Wertberichtigungen auf Finanzanlagevermögen
765.962,07
516.800,00
+
Abschreibung (operativ)
116.061,98
155.636,02
+
Zunahme der langfristigen Rückstellungen
0,00
0,00
+
Steueraufwand
0,00
0,00
=
Geldflüsse aus operativer Tätigkeit
38.752.520,98
-9.870.001,68
86.904,00
-466.661,33
424.072,47
-1.222.909,48
+/-
Zunahme/Abnahme der Vorräte, der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie anderer Aktiva
+/-
Zunahme/Abnahme der Verbindlichkeiten (ohne Bank- und Wechselverbindlichkeiten) sowie anderer Passiva
+/-
Zunahme/Abnahme der kurzfristigen Rückstellungen
=
Mittelzufluss/Mittelabfluss aus der laufenden Geschäftstätigkeit
-
Auszahlungen für Investitionen in das Anlagevermögen
+/-
Kauf/Verkauf von Aktien und andere nicht festverzinsliche Wertpapiere
+/-
Kauf/Verkauf bzw. Einbringung von EBG-Aktien
56.426,63
169.674,19
39.319.924,08
-11.389.898,30
-2.599,98
-158.029,02
6.800.000,00
0,00
0,00
13.240.000,00
Einbringung Sparkassen Beteiligungs GmbH & Co KG
0,00
13.240.000,00
Kauf/Verkauf von EBG-Aktien
0,00
0,00
-940.000,00
0,00
-940.000,00
0,00
Gewinne aus dem Verkauf von EBG-Aktien -
Investitionen in Beteiligungen Erste Social Finance Holding GmbH (vormals good.bee Holding GmbH) Fund of Excellence Förderungs GmbH
+/-
Investitionen in Anteile an verbundenen Unternehmen
0,00
0,00
-1.000.000,00
-13.775.000,00
Sparkassen Beteiligungs GmbH Sparkassen Beteiligungs GmbH & Co KG Two Next GmbH =
Mittelzufluss/Mittelabfluss aus der Investitionstätigkeit
+/-
Einzahlung/Auszahlungen aus der Tilgung/Aufnahme von Bankverbindlichkeiten
+/-
verbriefte Verbindlichkeiten
=
0,00
-13.240.000,00
-1.000.000,00
-535.000,00
4.857.400,02
-693.029,02
-20.000.000,00
20.000.000,00
0,00
0,00
-20.000.000,00
20.000.000,00
Zuwendungen
-5.709.441,34
-5.412.073,47 2.504.999,21
Mittelzufluss/Mittelabfluss aus der Finanzierungstätigkeit
Zahlungswirksame Veränderung des Finanzmittelbestandes
18.467.882,76
-
Stand der flüssigen Mittel am Anfang der Periode
10.686.238,14
8.181.238,93
+
Stand der flüssigen Mittel am Ende der Periode
29.154.120,90
10.686.238,14
Gesamtveränderung des Finanzmittelbestandes
18.467.882,76
2.504.999,21
6 Angaben zur Gewinn-und-Verlust-Rechnung 6.1
Zinsen und ähnliche Erträge
Die Zinserträge in Höhe von EUR 116,140,49 (Vorjahr: TEUR 300) resultieren im Wesentlichen aus den Erträgen aus festverzinslichen Wertpapieren. 6.2
Zinsen und ähnliche Aufwendungen
Die Zinsaufwendungen betragen insgesamt EUR 6.245.518,07 (Vorjahr: TEUR 6.258) und betreffen zur Gänze Zinsaufwände für Kreditaufnahmen bei Kreditinstituten und für die emittierte Anleihe. 6.3
Erträge aus Wertpapieren und Beteiligungen
Die Dividendenerträge aus den direkt gehaltenen Anteilen an der Erste Group Bank AG beliefen sich auf EUR 38.042.934,00 (EUR 1,5 pro Aktie) und aus den indirekt gehaltenen Anteilen durch die 158
Beteiligung an der Sparkassen Beteiligungs GmbH & Co KG auf EUR 11.500.000,00 (EUR 0,5 pro Aktie). Die Nachtragsdividende aus dem Dezember 2021 in Höhe von EUR 1,00 pro Aktie der indirekt gehaltenen Anteile wird erst im Jahr 2022 nach Feststellung des Jahresabschlusses der Sparkassen Beteiligung GmbH & Co KG in den Büchern der ERSTE Stiftung berücksichtigt. 6.4
Aufwendungen für den Abschlussprüfer
Die Aufwendungen für den Abschlussprüfer betrugen für die Prüfung des Jahresabschlusses 2020 EUR 16.011,50 (Vorjahr: TEUR 12). Für das Geschäftsjahr 2021 wurden EUR 17.000,00 rückgestellt (Vorjahr: TEUR 13). Andere Leistungen wurden nicht erbracht. 6.5
Rücklagenzuführung
Der Jahresüberschuss von EUR 38.418.596,93 (Vorjahr: Jahresfehlbetrag: TEUR 10.542) wurde im Jahresabschluss zur Gänze den Rücklagen zugeführt. 6.6
Entwicklung des Stiftungsvermögens 31. 12. 2021
Gebundenes Widmungskapital per 1. 4. 2003 Gebundene Gewinnrücklage per 31. 12. 2020 (bzw. 2019) zuzüglich Dotierungen 2003 bis 2020 (bzw. 2019) abzüglich Zuwendungen 2005 bis 2020 (bzw. 2019) Stiftungsvermögen per 1. 1.
31. 12. 2020
EUR
TEUR
79.147.249,86
79.147
72.508.808,00
72.509
385.859.421,23
396.402
–103.578.602,32
–97.765
433.936.876,77
450.293
abzüglich Zuwendungen 2021 (bzw. 2020)
–5.684.463,22
–5.813
zuzüglich Dotierung 2021 (bzw. abzgl. Auflösung 2020)
38.418.596,93
–10.543
Stiftungsvermögen per 31. 12.
466.671.010,48
433.937
davon gebundene Rücklage per 31. 12.:
224.375.507,09
224.376
davon freie Rücklage per 31. 12.:
242.295.503,39
209.561
Zum Bilanzstichtag 31. 12. 2021 beträgt das buchmäßige Vermögen der ERSTE Stiftung, wie oben ersichtlich, ohne stille Reserven bzw. stille Lasten EUR 466.671.010,48 (Vorjahr: TEUR 433.937). Diese Veränderung des Stiftungsvermögens resultiert einerseits aus der Dotierung der freien Rücklagen des Jahresüberschusses 2021 in Höhe von EUR 38.418.596,93 und andererseits aus der Rücklagenverwendung durch Zuwendungen an Begünstigte gemäß § 3 der Stiftungserklärung in Höhe von EUR 5.684.463,22.
7 Ereignisse nach dem Abschlussstichtag Es sind keine wesentlichen Ereignisse nach dem Abschlussstichtag eingetreten.
8 Liquidität Im Berichtsjahr 2021 konnte durch die Dividendenzahlungen der Erste Group Bank AG-Aktien in Höhe von EUR 49,5 Mio. ein Kredit in Höhe von insgesamt EUR 20 Mio. getilgt werden. Weiters hat die Erste Group Bank AG angekündigt, der Hauptversammlung vorzuschlagen, für das Geschäftsjahr 2021 wieder eine Dividende in Höhe von EUR 1,60/Aktie auszuzahlen. Die ERSTE Stiftung konnte in den letzten Jahren aufgrund der erfolgten Ausschüttungen freie Rücklagen von über EUR 242 Mio. aufbauen. Zur Sicherstellung von ausreichender Liquidität steht der Stiftung ein jederzeit ausnutzbarer Rahmenkredit einer österreichischen Großbank von bis zu EUR 35 Mio. zur Verfügung. Der überwiegende Teil der Verbindlichkeiten (eine privatplatzierte Anleihe über EUR 200 Mio.) ist im Jänner 2022 fällig gewesen und wurde wie folgt umgeschuldet: EUR 100 Mio. langfristig fix bis 2027, EUR 30 Mio. bis 2023 und EUR 65 Mio. kurzfristig unter einem Jahr Restlaufzeit. Es ist geplant, die Fälligkeiten 2022 und 2023 aus den Dividenden der Erste Group rückzuführen. Die geplanten und bereits zugesagten Zuwendungen an Begünstigte können daher ausgeschüttet werden und es ist auch ausreichend Liquidität für das folgende Geschäftsjahr vorhanden, um sämtliche Verbindlichkeiten zu bedienen, die geplanten Aktivitäten durchzuführen und den Schuldenabbau wie geplant weiter fortzuführen.
159
9 Angaben zu Organen und Arbeitnehmer:innen 9.1
Anzahl der Arbeitnehmer:innen
Die durchschnittliche Anzahl der Arbeitnehmer:innen betrug 17,19 Angestellte (Vorjahr: 18,5). Insgesamt sind dies 23 Arbeitnehmer:innen (Vorjahr: 24). 9.2
Kredite an Vorstand und Aufsichtsrat
An die Mitglieder des Vorstands bzw. Aufsichtsrats hafteten keine Kredite oder Vorschüsse aus. 9.3
Aufwendungen für Abfertigungen und Pensionen
Für Arbeitnehmer:innen wurden EUR 69.000,00 (Vorjahr: TEUR 0) für freiwillige Abfertigungen rückgestellt. 9.4
Organbezüge
Entsprechend § 13 Stiftungserklärung erhalten die Mitglieder des Stiftungsvorstands für ihre Tätigkeit eine mit ihren Aufgaben und mit der Lage der ERSTE Stiftung in Einklang stehende, vom Aufsichtsrat festzulegende Vergütung, es sei denn, das Mitglied des Stiftungsvorstands erhält regelmäßige Bezüge von der Erste Group Bank AG oder einer von ihr beherrschten Gesellschaft. Die Gesamtbezüge der Mitglieder des Vorstands beliefen sich auf EUR 431.920,71 (Vorjahr: TEUR 309). An ehemalige Mitglieder des Vorstands und deren Hinterbliebene wurden keine Bezüge verausgabt. An die Mitglieder des Aufsichtsrats wurden für die Jahre 2019 und 2020 Vergütungen in Höhe von EUR 149.472,19 ausbezahlt (Vorjahr: TEUR 0). Für das Jahr 2020 und 2021 besteht eine Rückstellung in Höhe von EUR 120.000,00 (Vorjahr: TEUR 190). 9.5
Namen der Organmitglieder
Folgende Personen waren als Mitglieder des Vorstands tätig: Mag. Boris Marte, Vorsitzender des Vorstands Wolfgang Schopf, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands; ab 6. 12. 2021 Mag. Martin Wohlmuth; ab 6. 12. 2021 Dr. med. Eva Höltl Folgende Personen waren zeitweise als Mitglieder des Vorstands tätig: Mag. Dr. Mario Catasta, Vorsitzender des Vorstands; bis 5. 12. 2021 Mag. Franz Portisch; bis 5. 12. 2021 Folgende Personen waren als Mitglieder des Aufsichtsrats tätig: Mag. Andreas Treichl, Vorsitzender des Aufsichtsrats Dr. Manfred Wimmer, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats Mag. Bettina Breiteneder Dipl.-Ing. Maximilian Hardegg Barbara Pichler Mag. Philipp Thurn und Taxis GD Dr. Johanna Rachinger Dr. Markus Trauttmansdorff Kurt Zangerle; ab 1. 7. 2021 Mag. Dr. Mario Catasta; ab 6. 12. 2021 Mag. Franz Portisch; ab 6. 12. 2021 Folgende Personen waren zeitweise als Mitglieder des Aufsichtsrats tätig: Ilse Fetik; bis 30. 6. 2021 Die Vereinsversammlung bestand aus 119 Mitgliedern (Vorjahr: 112) und 36 Ehrenmitgliedern (Vorjahr: 36). Vereinsvorsteher: Mag. Andreas Treichl
160
LAGEBERICHT 2021
1 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen 2021 erlebte die Weltwirtschaft trotz pandemiebedingter zeitlich befristeter LockdownMaßnahmen in den meisten Ländern einen außerordentlich starken Aufschwung. Dieser war in den meisten großen Volkswirtschaften von massiven Aufwärtstrends geprägt, insbesondere – dank umfangreicher fiskalischer Unterstützung – in den Vereinigten Staaten. In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern wurden die positiven Auswirkungen der zunehmenden Auslandsnachfrage und gestiegener Rohstoffpreise durch einen – oftmals aufgrund der verzögerten Verfügbarkeit von Impfstoffen – langsameren Impffortschritt und eine teilweise Rücknahme makroökonomischer Unterstützungsmaßnahmen zum Teil abgeschwächt. Von den Schwellen- und Entwicklungsmärkten zeigten China und Indien wieder ein besseres Wachstum als andere große Volkswirtschaften. Weltweit entwickelten sich die meisten Branchen gut, der Dienstleistungssektor hatte allerdings mit Gegenwind aufgrund der pandemiebedingten Lockdown-Maßnahmen zu kämpfen. Obwohl sich die Arbeitsmärkte rascher als während der globalen Finanzkreise erholten, blieb die Beschäftigung unter dem Niveau vor der Pandemie. Das breit gestützte Wachstum der Weltwirtschaft wurde hauptsächlich durch die Erholung des Privatkonsums und der Investitionen getrieben. Die Sachgütererzeugung litt unter Lieferkettenproblemen, die durch die Blockade des Suezkanals im März 2021 und die Schließung einiger großer Häfen in China vorübergehend noch weiter verschärft wurden. Lieferkettenprobleme waren 2021 auch einer der wesentlichen Treiber der Inflation. Der steile Preisanstieg bei Konsumgütern war, insbesondere in den USA, eine Folge des durch Konjunkturmaßnahmen ausgelösten enormen Nachfrageschubs. Auch die Rohstoffpreise zogen stark an und lagen vielfach über den vor der Pandemie verzeichneten Niveaus. Die Nachfrage nach Öl blieb hoch. Die Preise von Metallen und Agrarprodukten erhöhten sich deutlich. Insgesamt stieg das reale BIP weltweit um 5,9 %1. Von den großen Zentralbanken hob nur die Bank of England ihren Leitzinssatz im Jahr 2021 an. Die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed), die Bank of Japan und die Europäische Zentralbank (EZB) beließen ihre Leitzinsen das gesamte Jahr hindurch unverändert. Die Zentralbanken setzten ihre während der Pandemie aufgelegten Anleihenankaufprogramme fort, doch kündigten sowohl die Fed als auch die EZB in der zweiten Jahreshälfte an, ihr monatliches Ankaufsvolumen in Zukunft reduzieren zu wollen. Die US-amerikanische Wirtschaft entwickelte sich 2021 sehr gut. Sie erholte sich dank großzügigerer fiskalischer Maßnahmen rascher als die meisten anderen entwickelten Volkswirtschaften. Hohe Einkommenszuwächse förderten den Konsum. Die Arbeitslosenquote sank deutlich auf 3,9 %2. Im Rahmen des im März 2021 beschlossenen American Rescue Act flossen USD 1,9 Billionen an zusätzlichen Fiskalhilfen, womit die seit Beginn der Pandemie insgesamt gewährte Fiskalunterstützung auf über ein Viertel des BIP – ein in Friedenszeiten bisher beispielloses Niveau – anstieg. Die Fed deutete an, dass angesichts der zunehmenden Inflation die von ihr seit Beginn der Pandemie verfolgte expansive Geldpolitik bald zu Ende gehen werde. Im Dezember 2021 kündigte sie für März 2022 das Ende ihrer pandemiebedingten Anleihenkäufe an. Damit bereitete sie den Weg für Zinsanhebungen, nachdem vor dem Hintergrund einer stetigen Erholung des Arbeitsmarktes bereits Sorgen über die hohe Inflation zum Ausdruck gebracht worden waren. Bis zum Jahresende 2021 hatte die Fed Staatsanleihen und sonstige Wertpapiere im Wert von mehr als USD vier Billionen angekauft. Das reale BIP der USA wuchs 2021 um 5,6 %3. Auch der Euroraum erholte sich mit einem realen BIP-Wachstum von 5,2 %4 deutlich. Frankreich, Italien und Spanien entwickelten sich besser als Deutschland, das wesentlich stärker unter der Knappheit von Rohstoffen, Halbfertigprodukten und Halbleitern, insbesondere für die Automobilindustrie, aber auch Bauholz litt. Der Sommertourismus profitierte von weniger strengen 1 2 3 4
I WF: World Economic Outlook Update, January 2022: Rising Caseloads, A Disrupted Recovery, and Higher Inflation (imf.org) (Download am 16. Februar 2022) Bureau of Labor Statistics: The Employment Situation – January 2022 (bls.gov), Household Data, S. 8 (Download am 16. Februar 2022 ) IWF: World Economic Outlook Update, January 2022: Rising Caseloads, A Disrupted Recovery, and Higher Inflation (imf.org) (Download am 16. Februar 2022) IWF: World Economic Outlook Update, January 2022: Rising Caseloads, A Disrupted Recovery, and Higher Inflation (imf.org) (Download am 16. Februar 2022)
161
Reisebeschränkungen. Die Haushalte reagierten auf die zeitweilige Lockerung der Maßnahmen mit einer Kauflust, die den Privatkonsum in der Europäischen Union befeuerte. Insgesamt erholte sich die Wirtschaft auf breiter Basis, wozu alle Komponenten der Inlandsnachfrage positiv beitrugen. Unterstützt wurde das Wachstum auch von der Verbesserung der Arbeitsmarktlage und der breiten Umsetzung des Aufbau- und Resilienzplans der Europäischen Kommission. Dieser bildet zusammen mit dem 2020 aufgelegten NextGenerationEU-Fonds das größte Konjunkturprogramm, das in Europa jemals finanziert wurde. In die Höhe schnellende Energiepreise, insbesondere bei Gas und Strom, heizten die Inflation an. Die Strom- und Gaspreise erhöhten sich im Lauf des Jahres um das Fünffache und erreichten im Dezember 2021 neue Höchststände. Die EZB führte ihre lockere Geldpolitik fort. Sie bestätigte, dass sie ihre Anleihenkäufe im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufsprogramms (PEPP) zumindest bis Ende März 2022 beibehalten werde, und setzte ihre Nettokäufe im Rahmen des Anleihenkaufprogramms (APP) mit einem monatlichen Volumen von EUR 20 Mrd. fort. Über Refinanzierungsgeschäfte – insbesondere die dritte Serie gezielter längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO-III) – wurde den Banken des Euroraums weiterhin Liquidität zur Verfügung gestellt, um die Kreditvergabe an Haushalte und Unternehmen zu unterstützen. Die EZB beließ ihren Diskontsatz das ganze Jahr 2021 hindurch bei null. Im Einklang mit der europäischen Entwicklung erlebte auch Österreich 2021 einen wirtschaftlichen Aufschwung. Angesichts der in vielen Sektoren raschen Erholung und Normalisierung begann die österreichische Regierung, ihre Covid-Unterstützungsmaßnahmen ab Mitte 2021 anzupassen, indem sie Maßnahmen in Sektoren, in denen sich die Bedingungen verbesserten, reduzierte oder auslaufen ließ. Im November 2021 verfügte die Regierung jedoch aufgrund des steilen Anstiegs der Infektionszahlen und der absehbaren Überlastung der medizinischen Ressourcen einen weiteren landesweiten Lockdown bis Mitte Dezember. Da dieser Lockdown nur wenige Wochen andauerte, hatte er auf die Gesamtentwicklung der Wirtschaft keine dramatische Auswirkung. Die Lockerung der Reisebeschränkungen ermöglichte eine Erholung der bedeutenden Tourismuswirtschaft. Nach einem sehr guten Jahresbeginn litt die österreichische Exportindustrie unter den Lieferkettenproblemen, konnte aber dennoch einen Wachstumsbeitrag leisten. Die wirtschaftliche Erholung wurde auch durch den Privatkonsum und eine erhebliche Ausweitung der Investitionen getragen. Steigende Öl- und Gaspreise trieben die Inflation im Jahresverlauf deutlich in die Höhe. Insgesamt stieg 2021 die Inflation im Durchschnitt um 2,8 %5. Kurzarbeit half, die Auswirkungen des Wirtschaftsabschwungs auf den Arbeitsmarkt abzumildern. Die Arbeitslosenquote lag bei 6,2 %6. Der im März 2020 eingerichtete Covid19-Krisenbewältigungsfonds wurde wieder zur Finanzierung temporärer Unterstützungsmaßnahmen wie Fixkostenzuschüssen und diverser Maßnahmen zur Entschädigung von Verlusten oder Umsatzeinbrüchen während der verschiedenen Lockdowns eingesetzt. Die österreichische Wirtschaft wuchs 2021 stärker als erwartet, das BIP pro Kopf lag zum Jahresende bei EUR 45.6007. Die Volkswirtschaften in Zentral- und Osteuropa entwickelten sich trotz der temporären LockdownMaßnahmen gut. Die rasche Erholung wurde hauptsächlich durch den Konsum der privaten Haushalte und Investitionen getrieben, während Störungen der Lieferketten sich negativ auf die Industrieproduktion und die Exporte auswirkten. Die Lieferengpässe betrafen insbesondere die Automobilindustrie in Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Die kroatische Wirtschaft wurde durch die besser als erwartete Entwicklung des für das Land so wichtigen Fremdenverkehrs wesentlich unterstützt. In Rumänien trug auch der bedeutende Agrarsektor zum Wirtschaftswachstum bei. Die staatlichen Maßnahmen halfen, die negativen Auswirkungen der zeitweiligen Einschränkungen auf die Beschäftigung abzumildern. Die Fiskalpakete verhinderten einen Einbruch der Haushaltseinkommen. Damit stiegen die Arbeitslosenquoten in CEE nur mäßig und blieben im Vergleich zu vielen westeuropäischen Ländern niedrig. In den meisten CEE-Ländern blieb die Gesamtverschuldung im Verhältnis zum BIP unter den vor der Krise verzeichneten Höchstwerten. Zahlreiche Zentralbanken der Region hoben im Lauf des Jahres ihre Leitzinsen an. Am stärksten wurden die Zinsen von der Tschechischen Nationalbank hinaufgesetzt, aber auch Polen, Ungarn und Rumänien erhöhten ihre Leitzinsen im zweiten Halbjahr in mehreren Schritten. In der gesamten Region ließen angebotsseitige Engpässe, ein gestiegener Preisdruck bei Dienstleistungen und Energie sowie höhere Lebensmittelpreise und lokale Faktoren wie Mieten, Tabaksteuern und angespannte lokale Arbeitsmärkte den Inflationsdruck steigen. Die tschechische Krone wertete 2021 als einzige regionale Währung gegenüber dem Euro auf, was hauptsächlich auf die restriktivere Geldpolitik der Tschechischen Nationalbank zurückzuführen war. Andere CEE-Währungen wie der rumänische Leu, der ungarische Forint oder der polnische Zloty werteten gegenüber dem Euro geringfügig ab. Alle Volkswirtschaften der CEE-Region entwickelten sich 2021 positiv. Die Bandbreite reicht von 3,03 %8 in der Slowakei bis zum sogar zweistelligen Prozentanstieg in Kroatien9.
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tatistik Austria: http://www.statistik.at/web_de/statistiken/wirtschaft/preise/verbraucherpreisindex_vpi_hvpi/022835.html S (Download am 16. Februar 2022) Statistik Austria: Arbeitslose (internationale Definition) – Monatsschätzer (statistik.at) (Download am 16. Februar 2022) Statistik Austria: https://pic.statistik.at/web_de/statistiken/wirtschaft/volkswirtschaftliche_gesamtrechnungen/index.html (Download am 16. Februar 2022), 2020 um BIP-Wachstum angepasst Europäische Kommission: https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/economic-performance-and-forecasts/ economic-performance-country/slovakia/economic-forecast-slovakia_en (Download am 18. Februar 2022) Europäische Kommission: https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/economic-performance-and-forecasts/ economic-performance-country/croatia/economic-forecast-croatia_en (Download am 18. Februar)
Am 24. Februar 2022 eskalierte der russisch-ukrainische Konflikt mit einem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Derzeit sind die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine noch schwer abzuschätzen. Zwar hat sich über die letzten Jahre die wirtschaftliche Rolle Russlands als Exportmarkt für die Länder Zentraleuropas laufend verringert, dennoch sind die meisten Staaten weiterhin abhängig vom Import russischer Energieträger. Die Entwicklung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine hat keine unmittelbare direkte Auswirkung auf die ERSTE Stiftung, da sie in keinem der Staaten präsent ist.
2 Stiftungszweck: Gemeinnützige Tätigkeit Die ERSTE Stiftung ist im Jahr 2003 aus der Ersten Österreichischen Spar-Casse Anteilsverwaltung hervorgegangen, dem Rechtsnachfolger der Ersten Österreichischen Spar-Casse. 1819 eröffnete dieser Sparkassenverein in Wien die erste Bank für Menschen, die bisher keine Möglichkeit hatten, selbst für ihre Zukunft vorzusorgen. Von den Gründern hat die Stiftung den Einsatz für die Menschen geerbt. Die ERSTE Stiftung investiert Teile ihrer Dividende in die Region, in der die Erste Group tätig ist. Ihre Ziele sind die Unterstützung jener, die sich um gesellschaftlich benachteiligte Gruppen kümmern, finanzielle Gesundheit für alle, die Bewahrung der Demokratie in Europa und die Schaffung von Freiräumen für zeitgenössische Kultur. Die Stiftung agiert dabei als innovativer Motor, vernetzt Stakeholder und unterstützt Wissensvermittlung in den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas unter der Prämisse, dass möglichst viele Menschen an der öffentlichen Debatte über den richtigen Kurs für notwendige gesellschaftliche Veränderungen teilnehmen und Argumente allen verständlich sein sollen. Die Stiftung stärkt Initiativen für den Wandel und trägt zur Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft und zum Fortschritt in der Region bei. Die Hauptaktionärin der Erste Group schützt nicht nur deren Aktionärsstruktur, sondern gewährleistet auch, dass das Stiftungsvermögen in ausreichendem Maße für ihre Förderziele zur Verfügung steht. Auch das Jahr 2021 stand unter den Vorzeichen der weltweiten Pandemie. Auf der erstmals in Wien veranstalteten Jahreskonferenz des europäischen Dachverbands gemeinnützig tätiger Stiftungen, des European Foundation Centre (EFC), wurden Wege aus den vielen Krisen diskutiert, die die Gesellschaften nicht nur in Europa beschäftigen, und welche Rolle Stiftungen dabei einnehmen können. Im Folgenden einige Beispiele der gemeinnützigen Tätigkeit des Jahres 2021: Finanzielle Gesundheit für alle Gleich zwei Projekte im Bereich Finanzielle Gesundheit haben 2021 Geburtstag gefeiert. Die Zweite Sparkasse kann auf 15 erfolgreiche Jahre zurückblicken. Flexibilität dank ehrenamtlicher Mitarbeiter:innen und die Entwicklung immer neuer Angebote für Menschen in finanziell herausfordernder Lage sind die Stärken der „Bank für Menschen ohne Bank“, damals wie heute. Das fünfjährige Jubiläum konnte der Erste Financial Life Park (FLiP) begehen, der leider im letzten Jahr monatelang keine Schulklassen willkommen heißen konnte. Zum Geburtstag hat sich der FLiP eine Studie zur Finanzbildung von Jugendlichen geschenkt. Die Ende 2020 gegründete Stiftung für Wirtschaftsbildung hat 2021 unter dem Motto „Fürs Leben lernen“ ihre operative Arbeit aufgenommen. Österreichs zentrale Plattform für die Stärkung und Verbreiterung einer lebensweltbezogenen und verantwortungsvollen Wirtschaftsbildung in der schulischen Allgemeinbildung startete mit Aktionstagen in Schulen und den ersten Schulpiloten. Die Social Banking-Aktivitäten der Erste Group, die von der ERSTE Stiftung unterstützt werden, waren auch 2021 breit über die Gruppe und die Region gestreut. Unter anderem wurde mit „Quasi-Eigenkapital“ ein nachrangiges Darlehen für NGOs entwickelt, das in allen Tochterbanken angeboten wird und die Kapitalbasis von Gemeinnützigen günstig stärken kann, ohne die Eigentümerstruktur zu verändern. Unterstützer:innen unterstützen Two Next: das 2020 gegründete Start-up der ERSTE Stiftung für den Zugang zu Lernerfahrungen für gemeinnützige Organisationen, die digitale Produkte und Services anbieten wollen, konzentriert sich seit 2021 besonders auf die Bereiche Pflege und pflegende Angehörige sowie finanzielle Inklusion. In der zweiten Jahreshälfte wurde u. a. eine Konferenz zum Thema Pflegende Angehörige vorbereitet, die den Auftakt von 2022 bilden sollte. Ein demokratisches Europa bewahren Europe’s Futures, eine Kooperation mit dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen zur Erforschung der wichtigsten Risiken und Probleme, vor denen Europa und seine liberale
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demokratische Ordnung stehen, hat 2021 die vierte Generation Stipendiat:innen willkommen geheißen. Das Capacity- und Alliance-Building-Programm Recharging Advocacy for Rights in Europe (RARE) verbindet 26 führende europäische Verteidiger:innen der Menschenrechte. Sie waren im Herbst zu Gast in Wien. Im Bereich Medienfreiheit und unabhängiger Journalismus wirkt die Plattform Reporting Democracy. Das Thema „Nachhaltige Finanzierung von unabhängigen Medien“ wurde außerdem auf dem IPI World Congress 2021 in Wien auf einem Podium diskutiert, bei dem die ERSTE Stiftung Mitgastgeberin war. Freiräume für zeitgenössische Kultur In Prag wurde die bereits 2020 verschobene Biennale Matters of Art pandemiebedingt 2021 in reduzierter Form umgesetzt, eine Fortsetzung ist im Folgejahr geplant. In Budapest und Bukarest eröffneten die dortigen tranzit-Organisationen neue Räume, um ihre Sichtbarkeit und das Angebot für Jugendliche und Kulturinteressierte zu erhöhen.
3 Finanzinstrumente und Risikomanagementziele Das Kursrisiko aus der Beteiligung an der Erste Group Bank AG: Im Stiftungszweck ist das Halten einer qualifizierten Beteiligung an der Erste Group Bank AG definiert. Der wesentliche Vermögenswert der ERSTE Stiftung wird durch die Beteiligung an der Erste Group Bank AG repräsentiert. Daraus besteht eine ertragsmäßige Abhängigkeit von den Dividendenerträgen der Erste Group Bank AG und dem damit einhergehenden Risiko von fehlenden Ausschüttungen. Dieses Risiko hat sich zuletzt im Geschäftsjahr 2020 verwirklicht, da aufgrund der Empfehlung der EZB an Kreditinstitute zu Dividendenausschüttungen keine Dividende an die Privatstiftung ausgeschüttet wurde. Im Jahr 2021 wurde die Dividendenzahlung durch die Erste Group wieder aufgenommen. Das Zinsänderungsrisiko aus aufgenommenen Krediten und begebenen Anleihen: Sämtliche begebenen Anleihen sind fix verzinst. Die übrigen Refinanzierungen in Form von Krediten haben eine Laufzeit von maximal 18 Monaten. Das Liquiditätsrisiko: Die Zinszahlungen für aufgenommene Verbindlichkeiten sowie deren Tilgung sollen langfristig durch den Dividendenertrag aus der Beteiligung an der Erste Group Bank AG finanziert werden. Für die Überbrückung allfälliger kurzfristiger Liquiditätsengpässe bis zur Zahlung einer Dividende steht ein ausreichender Rahmen in Form einer Barvorlage zur Verfügung. Es besteht kein Fremdwährungsrisiko und ein minimales Ausfallrisiko aus Forderungen (EUR 200.000,00).
4 Bilanzentwicklung Das sich aus der Umwandlungsbilanz der „DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Anteilsverwaltungssparkasse“ ergebende Vermögen bleibt der ERSTE Stiftung auf Dauer gewidmet und ist dieser zu erhalten. Begünstigungen dürfen nur aus Erträgen der ERSTE Stiftung zugewendet werden. Das Vermögen resultiert im Wesentlichen aus den Dividendenerträgen der Beteiligung an der Erste Group Bank AG. 4.1
BILANZ
Die Bilanzsumme hat sich im Berichtsjahr um TEUR 13.189 von TEUR 663.959 auf TEUR 677.148 verringert. 4.1.1
AKTIVA
Forderungen an Kreditinstitute Das Giroguthaben von TEUR 29.154 (Vorjahr: TEUR 10.686) wird bei der Erste Bank der oesterreichischen Sparkassen AG gehalten. Forderungen an Kunden Diese Position stellt ein Darlehen gegenüber der Erste Social Finance Holding GmbH, mit der 164
ein Beteiligungsverhältnis besteht, dar. Dieses Darlehen wurde für die Durchführung des vom Sozialministerium vergebenen „Social Impact Bond – Perspektive: DIGITALISIERUNG“ in Höhe von TEUR 311 (inklusive Zinsabgrenzungen) (Vorjahr: TEUR 306) gewährt. Wertpapiere Der Bilanzposten Wertpapiere in Höhe von TEUR 345 (Vorjahr: TEUR 6.634) enthält Schuldverschreibungen (Veranlagung) der Erste Group Bank AG von TEUR 145 und der Social Financing SK S. R. O. von TEUR 200. Beteiligungen Dieser Posten erhöht sich um TEUR 1.174 und steht mit TEUR 314.333 (Vorjahr: TEUR 313.159) zu Buche. Dieser Effekt lässt sich durch die Bewertungen von TEUR 234 und die Gewährung eines Gesellschafterzuschusses von TEUR 940 der Erste Social Finance Holding GmbH erklären. Die ERSTE Stiftung hält zum Bilanzstichtag direkt 25.361.956 Stück Aktien (Vorjahr: 25.361.956 Stück) an der Erste Group Bank AG mit einem Buchwert von TEUR 311.354 (Vorjahr: TEUR 311.354). Gemeinsam mit den Syndikatspartner:innen und der Sparkassen Beteiligungs GmbH & Co KG kontrollierte die Stiftung direkt und indirekt 22,25 % (Vorjahr: 31,16 %) am Grundkapital der Erste Group Bank AG. Der durchschnittliche Buchwert pro Aktie der direkt gehaltenen Anteile errechnet sich auf EUR 12,28 pro Aktie (Vorjahr: EUR 12,28). Der Bilanzposten Beteiligungen beinhaltet des Weiteren die Beteiligung an der Erste Social Finance Holding GmbH (Anteil 40 %), deren Buchwert mit TEUR 2.978 (Vorjahr: TEUR 1.804) zu Buche steht, und der Beteiligung an der Fund of Excellence Förderungs GmbH (Anteil 42 %) mit einem Buchwert von TEUR 0 (Vorjahr: TEUR 0). Anteile an verbundenen Unternehmen Die ERSTE Stiftung hat in die Sparkassen Beteiligungs GmbH & Co KG 23 Mio. Stück (Vorjahr: 23 Mio. Stück) ihrer Erste Group Bank-Aktien bzw. 5,35 % (vormals 5,35 %) am Grundkapital der Erste Group Bank AG eingelegt, welche mit TEUR 327.560 (Vorjahr: TEUR 327.560) zu Buche stehen. Des Weiteren enthält diese Position Anteile an der Sparkassen Beteiligungs GmbH mit einem Buchwert von TEUR 35 (Vorjahr: TEUR 35) sowie an der Two Next GmbH mit einem Buchwert von TEUR 35 (Vorjahr: TEUR 35). Sonstige Vermögensgegenstände Dieser Posten in der Höhe von TEUR 4.797 (Vorjahr: TEUR 4.848) enthält hauptsächlich Forderungen gegenüber dem Finanzamt, die im Wesentlichen aus dem Evidenzkonto der Zwischensteuer mit TEUR 3.965 (Vorjahr: TEUR 3.996) bestehen. 4.1.2 PASSIVA Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten Per 31. 12. 2021 weist dieser Posten einen Buchwert von TEUR 0 aus (Vorjahr: TEUR 20.043). Der jederzeit ausnutzbare Rahmenkredit einer österreichischen Großbank von bis zu TEUR 35.000 wurde im Frühjahr 2021 wieder auf ein weiteres Jahr verlängert. Verbriefte Verbindlichkeiten Der Stand dieses Bilanzpostens ist unverändert gegenüber dem Vorjahr und weist einen Buchwert von TEUR 205.675 (Vorjahr: TEUR 205.675) auf. Ebenfalls in diesem Posten ausgewiesen sind Zinsabgrenzungen in Höhe von TEUR 5.675. Sonstige Verbindlichkeiten Der Bilanzposten sonstige Verbindlichkeiten in der Höhe von TEUR 4.059 (Vorjahr: TEUR 3.617) enthält Verbindlichkeiten aus bereits zugesagten, jedoch noch nicht ausgezahlten Zuwendungen im Ausmaß von TEUR 3.824 (Vorjahr: TEUR 3.362) sowie sonstige TEUR 235 (Vorjahr: TEUR 255). Rückstellungen Rückstellungen von TEUR 744 (Vorjahr: TEUR 687) wurden für Steuern in Höhe von TEUR 313 (Vorjahr: TEUR 330) sowie Personal- und sonstige Aufwendungen in Höhe von TEUR 431 (Vorjahr: TEUR 357) gebildet.
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Rücklagen Das Stiftungsvermögen (Kapital- und Gewinnrücklagen) beläuft sich nach Zuwendungen an Begünstigte im Ausmaß von TEUR 5.684 (Vorjahr: TEUR 5.813) und nach Dotierung von Rücklagen aus dem Jahresüberschuss 2021 in Höhe von TEUR 38.418 (Vorjahr: Auflösung von Rücklagen TEUR 10.542) per 31. 12. 2021 auf TEUR 466.671 (Vorjahr: TEUR 433.937). Die freie Rücklage beinhaltet dabei zum Bilanzstichtag EUR 4.831.423,19 noch nicht ausgenützte Mittel aus dem Zuwendungsbudget der Vorjahre. Diese stehen 2022 – zusätzlich zum laufenden Budget 2022 – für Zuwendungen zur Verfügung. 4.2
GEWINN-UND-VERLUST-RECHNUNG
Im abgelaufenen Geschäftsjahr resultierten die wesentlichen Erträge der ERSTE Stiftung aus den Anteilen an der Erste Group Bank AG sowie den Zinsen aus der Veranlagung des Stiftungsvermögens. Konkret wurden im Geschäftsjahr 2021 Dividendenerträge in Höhe von TEUR 49.543 und Zinserträge in Höhe von TEUR 116 (Vorjahr: TEUR 299) erwirtschaftet. Nettozinsertrag Der Nettozinsertrag weist einen Überhang der Zinsaufwendungen über die Zinserträge in Höhe von TEUR 6.129 (Vorjahr: TEUR 5.958) aus. Betriebserträge Dieser Posten (einschließlich des o. a. Nettozinsertrags) in Höhe von insgesamt TEUR 43.359 (Vorjahr: TEUR 5.993) enthält im Wesentlichen die Dividendenausschüttung der Erste Group Bank AG in Höhe von TEUR 49.543. Betriebsaufwendungen Die Betriebsaufwendungen im Ausmaß von TEUR 4.776 (Vorjahr: TEUR 4.015) setzten sich aus Personalaufwand in Höhe von TEUR 1.915 (Vorjahr: TEUR 1.666), dem Sachaufwand in Höhe von TEUR 2.745 (Vorjahr: TEUR 2.194) und Abschreibungen in Höhe von TEUR 116 (Vorjahr: TEUR 155) zusammen. Wertberichtigungen auf Forderungen und Zuführung zu Rückstellungen für Eventualverbindlichkeiten und für Kreditrisiken Dieser Posten weist ein Ergebnis von TEUR 218 (Vorjahr: TEUR 517) aus und setzt sich aus der Abschreibung des Gesellschafterzuschusses an die Two Next GmbH von TEUR 1.000, der Zuschreibung der Erste Social Finance Holding GmbH von TEUR 234 sowie aus dem realisierten Gewinn aus der getilgten Anleihe AT000B007943 von TEUR 584 zusammen. Steuern Im Posten Steuern sind Ertragsteuern in Höhe von TEUR negativ 17 (Vorjahr: TEUR positiv 18) enthalten. Jahresüberschuss Der Jahresüberschuss in Höhe von TEUR 38.418 (Vorjahr: Jahresfehlbetrag TEUR 10.542) wurde bereits in der Bilanz zur Gänze den Rücklagen zugeführt.
5 Ausblick auf 2022 Der Anteil des Kernaktionärssyndikats, bestehend aus der ERSTE Stiftung, den Sparkassen und deren gemeinsamer Tochter, der Sparkassen Beteiligungs GmbH und Co KG, der Erste Mitarbeiterbeteiligung Privatstiftung sowie dem Wiener Städtischen Wechselseitigen Versicherungsverein, an der Erste Group Bank AG hat sich durch den Ausstieg der Caixabank S. A. auf 22,25 % reduziert. Es ist Ziel der verbliebenen Mitglieder, diesen Anteil mittelfristig wieder zu erhöhen. Der überwiegende Teil der Verbindlichkeiten (eine privatplatzierte Anleihe über EUR 200 Mio.) ist im Jänner 2022 fällig gewesen und wurde wie folgt umgeschuldet: EUR 100 Mio. langfristig fix bis 2027, EUR 30 Mio. bis 2023 und EUR 65 Mio. kurzfristig unter einem Jahr Restlaufzeit. Es ist geplant, die Fälligkeiten 2022 und 2023 aus den Dividenden der Erste Group rückzuführen.
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Die Erste Group hat für das Geschäftsjahr 2021 eine Dividende in Höhe von EUR 1,60/Aktie, zahlbar im Juni 2022, angekündigt. Für 2022 ist das Zuwendungsbudget mit EUR 8,0 Mio. leicht erhöht gegenüber 2021 beschlossen worden, um verstärkt die Fokussierung auf Projekte mit hoher und langfristiger Wirkung im internationalen gemeinnützigen Bereich fortzusetzen. Beim Sach- und Personalaufwand ist eine moderate Steigerung geplant. . Wien, den 19. 4. 2022 Der Vorstand:
Mag. Boris Marte Vorsitzender
Wolfgang Schopf stv. Vorsitzender
Dr. med. Eva Höltl Vorstandsmitglied
Mag. Martin Wohlmuth Vorstandsmitglied
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Mitglieder des Vereins „DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung“
(Stand 31. 12. 2021) ANGYAN Dr. Thomas ATTEMS Mag. Dr. Johannes ATTENSAM Ing. Oliver BADELT Univ.-Prof. Dr. Christoph * BARTENSTEIN MA MMag. Dr. Ilse * BERCHTOLD-OSTERMANN Mag. Dr. Eleonore * BLAHUT Mag. (FH) Stephan BLEYLEBEN-KOREN Dr. Elisabeth BOLLMANN Dkfm. Harald (verstorben im März 2021) BREITENEDER Mag. Bettina BRETSCHNEIDER Dr. Rudolf BURGER Dr. Ernst * CATASTA Mag. Dr. Christine CATASTA Dr. Mario CLARY UND ALDRINGEN MBA Dkfm. Maximilian DRAXLER Mag. Christiane DÜKER Dipl.-Bw. Gabriele EBERLE Doraja EGERTH-STADLHUBER Mag. Dr. Henrietta EISELSBERG Dr. Maximilian ERSEK Mag. Hikmet FEYL Dr. Peter * FLATZ Dr. Alois M. FÖLSS Mag. Herwig GATNAR Anton GEIGER Ing. Franz * GEYER Dr. Günter GLATZ-KREMSNER Mag. Bettina GLAUNACH Dr. Ulrich GRUSZKIEWICZ Mag. LL. M. Jan GÜRTLER Dkfm. Elisabeth GÜRTLER Dr. Rudolf GUTSCHELHOFER Univ.-Prof. Dr. Alfred HAFFNER Dr. Thomas M. HAGG MSc Valerie HARDEGG Dipl.-Ing. Maximilian HAUSER Dr. Wulf Gordian HEINISCH Dr. Michael HIMMELFREUNDPOINTNER Friedrich HOFFMANN MBA Monika HÖLTL Dr. Eva HOLZINGER-BURGSTALLER MMag. Gerda HOMAN Mag. Jan HORNSTEIN-TOMIĆ Dr. Caroline HUMER Rudolf KALSS Univ.-Prof. Dr. Susanne KANTA Mag. Helene KAPSCH Mag. Georg * KLEINITZER Dr. Peter KNECHTEL Dr. LL. M. Gerhard KOLLMANN Mag. Dagmar KRAINER-SENGER-WEISS LL. M. Dr. Elisabeth 168
KRISTEN Dkfm. Dr. Walter KUCSKO-STADLMAYER Univ.-Prof. Dr. Gabriele * KÜHNEL MA Mag. Mariana KUHNERT Dr. Caroline KWIZDA Dkfm. Dr. Johann F. LAMEZAN-SALINS Dr. Dominik LANDAU DDr. Michael LASSHOFER Mag. Robert VON LATTORFF MBA Philipp LIEBEN-SEUTTER Christoph * LOUDON Dr. Ernst-Gideon MAIR Prof. Dr. Johanna MANG em. o. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Dr. h. c. mult. Herbert MARENZI Dr. Stefan MARTE Mag. Boris MAYR-HARTING Mag. Clemens MECHTLER Mag. Bernhard MITTERBAUER Dipl.-Ing. Dr. Dr. h. c. Peter MÜLLER Univ.-Prof. Dr. Markus NEUNTEUFEL Ing. Johann NIMMERVOLL Dr. Maximilian NISS MBA Dr. Therese OBERHAMMER Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Paul PIRKER DDr. Horst PLACHUTTA Mario * POLSTERER-KATTUS Dr. Ernst * PORTISCH Mag. Franz PRÜLLER MSc Franz Karl RACHINGER Dr. Johanna RAIDL Dkfm. Dr. Claus J. * RATH Mag. Philipp RETTER Dkfm. Herbert F. * REUTTER Dr. Georg ROBATHIN Dr. Heinz RÖDLER Dipl.-Ing. Mag. Friedrich SALM-REIFFERSCHEIDT Dr. Franz SCHELLHORN Dr. Franz SCHNEIDER Dr. Graham Paul * SCHOPF Wolfgang SCHÜSSEL Dr. Wolfgang * SORGER MBA Dipl.-Ing. Felix SPALLART Dr. Michael SPALT Mag. Bernhard * STEIN-PRESSL Mag. Susanne STICKLER Dipl.-Ing. Friedrich STIMPFL-ABELE Dr. Alfons STRADIOT Georg SUTTER-RÜDISSER Prof. Dr. oec. Michèle F. SZCZEPANSKI Valerie TAPPEINER Univ.-Prof. Dr. Gerhard THEISS Mag. Johannes THURN UND TAXIS MBA Mag. Philipp TRAUTTMANSDORFF Dr. Markus TREICHL Mag. Andreas TUMA Zdenek
UHER Dr. Thomas * UMDASCH MBA Mag. Stefan UNTERBERGER Dr. Andreas WALDSTEIN Georg WEINZIERL Mag. Christine WENCKHEIM Christiane WIMMER Dr. Manfred WINCKLER Univ.-Prof. Dr. Georg WOHLMUTH Mag. Martin WOLF Dr. Richard ZERDIK Dr. Michael ZIMPFER MBA Univ.-Prof. Dr. Michael ZUNA-KRATKY Dr. Gabriele *
WIESMÜLLER Dr. Heinrich ZEIDLER Mag. Dr. Franz
* Mitgliedschaft ruhend gestellt
PAMMER Dr. Ernst
EHRENMITGLIEDER
45-jährige Vereinsmitgliedschaft (Beitritt 29. 4. 1976)
BENISEK Walter BLAHUT Dkfm. Dr. Dietrich CESKA Dr. Franz DORALT em. Univ.-Prof. Dr. Peter ESSL Prof. Karlheinz FUCHS Dkfm. Dr. Konrad GALLE Dr. Klaus GEIECKER Dkfm. Otto GLEISSNER Dr. Friedrich HARMER Dr. Gustav HAUMER Dr. Hans HUTSCHINSKI Dipl.-Ing. Werner JONAK Friedrich KARNER Dr. Dietrich KESSLER Dr. Heinz KURZ Dr. Otto LÖWENTHAL-MAROICIC Dr. Franz MARENZI Dr. Heinrich MARSONER Dkfm. Dr. Helmut NETTIG Walter (verstorben am 29. 9. 2020) NIEDERSÜSS Rudolf PAMMER Dr. Ernst PASCHKE em. Univ.-Prof. DI DDr. h. c. Fritz RAUCH Franz ROBATHIN Ing. Heinz (verstorben am 2. 3. 2021) RUSTLER Dr. Peter SCHIMETSCHEK Herbert SCHMITZ Dr. Richard SCHNEIDER Dr. Georg-Jörg SCHWARZENBERG Karl Fürst zu SENGER-WEISS Dkfm. Heidegunde SENGER-WEISS Dipl.-Ing. Paul STREISSLER Dr. Erich TAUS Dr. Josef TUPPY em. Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Hans ULRICH Dr. Wolfgang
Ehrungen 2021 60-jährige Vereinsmitgliedschaft (Beitritt 21. 4. 1961) KURZ Dr. Otto
50-jährige Vereinsmitgliedschaft (Beitritt 14. 5. 1971)
STRADIOT Georg
40-jährige Vereinsmitgliedschaft (Beitritt 15. 5. 1981) BLAHUT Dkfm. Dr. Dietrich JONAK Friedrich MARSONER Dkfm. Dr. Helmut TAUS Dr. Josef
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ERSTE Stiftung Gremien und Team (Stand 31. 12. 2021)
Aufsichtsrat Andreas Treichl, Vorsitzender Manfred Wimmer, stellv. Vorsitzender Bettina Breiteneder Mario Catasta Maximilian Hardegg Barbara Pichler Franz Portisch Johanna Rachinger Philipp Thurn und Taxis Markus Trauttmansdorff Kurt Zangerle Barbara Kampits, Assistentin des Vorsitzenden des Aufsichtsrats
Vorstand Boris Marte, CEO Wolfgang Schopf, stellv. CEO, CFO Eva Höltl Martin Wohlmuth Franz Karl Prüller, Berater des Vorstands Susanne Schaller, Assistentin des Vorstands
Projektmanagement Ursula Dechant, Grant-Managerin Hedvig Morvai, Direktorin Strategie und Europa Barbora Orlíková, Projektkoordinatorin Marianne Schlögl, Managerin Strategische Partnerschaften Nicole Traxler, Projektmanagerin Heide Wihrheim, Projektmanagerin
ERSTE Stiftung Bibliothek Jutta Braidt, Leiterin
Kommunikation Maribel Königer, Direktorin Kommunikation, Journalismus und Medien Miroslava Holečková, Kommunikationsspezialistin Gerald Radinger, Kommunikationsexperte Jovana Trifunović, Kommunikationsexpertin
Finanzen, Recht & Organisation Sabine Altmann, Officemanagerin Simona Rhomberg, Juristin Johannes Steiner, Officemanager Ľubica Vopičková, IT-Koordinatorin und Sachbearbeiterin Buchhaltung Eva Zalesky, Organsitzungsmanagerin
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Impressum Herausgeberin DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung Am Belvedere 1, 1100 Wien office@erstestiftung.org www.erstestiftung.org Redaktion Maribel Königer (verantw.), Miroslava Krása, Gerald Radinger, Jovana Trifunović Autor:innen Dimitar Bechev, Sanja Bojanić, Jutta Braidt, Alexandra Christandl, Srđjan Cvijić, Maribel Königer, Wolfgang Kos, Timothy Large, Boris Marte, Karin Pollack, Franz Karl Prüller, Andreas Treichl, Jovana Trifunović, Heide Wihrheim, Martin Wohlmuth Visuelles Konzept EnGarde: Thomas Kloyber, Lini Taschner Illustrationen Thomas Kloyber, Norma Nardi, Lini Taschner Lektorat Elisabeth Schöberl Übersetzungen Barbara Maya, Douglas Fox, Communicate for you Fotos auf den Seiten 24, 43, 50 und 69 sowie auf dem Umschlag: Transport der Škoda-Autos (siehe Beitrag Seite 100– 105) aus der Slowakei nach Wien, 2021, Fotograf: Marco Balaz, © Kontakt Sammlung, Wien. Porträts Seite 22: Verena Nagl, Nico Schmalzl, Fotostudio Fasching; Seite 23: Hertie School, Rainer Hosch, Daniel Schmelz; Seite 45: privat, Seite 110: Constantin Iordachi. Andere Fotos soweit nicht anders vermerkt: Copyright © ERSTE Stiftung © ERSTE Stiftung, Wien 2022
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www.erstestiftung.org