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Ein Jahr wie kein anderes

Der Vorstand der ERSTE Stiftung: Mario Catasta (CEO), Eva Höltl, Franz Portisch, Boris Marte (stv. CEO), Foto: Peter M. Mayr

Ivan Krastev erkennt in den Auswirkungen der den größten Teil des Jahres im Homeoffice geCoronapandemie auf die Welt (Ist heute schon arbeitet, eine Situation, auf die wir technisch und morgen?) ein Paradox: Obwohl wir 2020 mög- organisatorisch gut vorbereitet waren. Wir haben lichst großen Abstand voneinander halten sollten außerdem alles getan, um Sicherheit und Stabiliund zeitweilig Grenzen geschlossen wurden, ha- tät in der Zusammenarbeit mit den zahlreichen ben wir uns alle mehr denn je, Initiativen und Partnerorgaja vielleicht zum ersten Mal in Wichtig war uns vom nisationen zu gewährleisten, der Geschichte überhaupt, als BewohnerInnen einer Welt ge- ersten Moment der Krise an, obwohl wir uns gleichzeitig, wie viele andere, auf Zeiten fühlt, schicksalshaft miteinander den Grundstein für finanzieller Ungewissheit verbunden, vereint im Kampf gegen das Virus. Wir leben weltweit alle in der gleichen Krise, den kommenden Neuanfang zu legen. einstellen mussten. Wichtig war uns vom ersten Moment der Krise an, den Grundstein auch wenn sie nicht für alle die- für den kommenden Neuanselben Folgen hat. Darum werden sich wohl viele fang zu legen. Rückblicke auf 2020 ähnlich lesen. Hier ist unsere Bei vielen Projekten konnten Programme nicht Version einer Rückschau auf ein Jahr wie kein an- wie geplant durchgeführt werden. So wurden zum deres. Beispiel Kulturstätten in den meisten europäischen Zu Beginn des Jahres fühlten wir von der ERS- Ländern über Monate geschlossen, um die InfekTE Stiftung uns gestärkt von den inspirierenden tionszahlen in der Bevölkerung zu senken. KünstIdeen, die uns im Vorjahr die Gäste unserer Vor- lerInnen, ProjektmanagerInnen, JournalistInnen, tragsreihe zum 200-Jahr-Jubiläum mit auf den StipendiatInnen, DozentInnen und andere an ProWeg in eine nachhaltige Zukunft gegeben hatten. grammen beteiligte Personen konnten gar nicht Als Gastgeber wollten wir diese Gedanken mit oder nur sehr eingeschränkt reisen. Konferenzen, unseren KollegInnen im Mai auf der Konferenz des Ausstellungen, Seminare und ähnliche VeranstalEuropean Foundation Centre in Wien teilen. Die tungen konnten nicht oder nur online stattfinden. Konferenz mit dem Titel „Foundations and The Auch die Zweite Sparkasse bot ihre Beratung nun New Normal“ musste natürlich auf das Jahr 2021 online an. Gleichzeitig war der NGO-Sektor von verschoben werden. Die neue Normalität wurde ab ähnlichen wirtschaftlichen Problemen betroffen März zur Realität der Coronapandemie. Die Arbeit wie der For-Profit-Bereich, bekam aber in etlichen der ERSTE Stiftung war davon in mehrfacher Hin- Ländern wesentlich weniger oder keine staatlisicht stark betroffen. Die MitarbeiterInnen haben chen Ausgleichshilfen angeboten. Außerdem ver-

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schärfte sich die soziale Ungleichheit: Plötzliche Auftrags- oder Arbeitslosigkeit, prekäre Lebensverhältnisse, schwierige Bedingungen für Eltern und Kinder im Homeschooling, Pflegekrisen oder schwere bis tödliche Krankheitsverläufe ließen die Probleme von (potenziellen) KlientInnen vieler NGOs schlagartig wachsen. Als direkte Reaktion auf diese Lage hat die ERSTE Stiftung noch im Frühjahr 2020 Maßnahmen umgesetzt, die speziell auf AkteurInnen der Zivilgesellschaft während der Pandemie zugeschnitten waren. Im April 2020 setzte die ERSTE Stiftung den CEE Solidarity Fund als unbürokratischen Härtefallfonds für kleine bis mittelgroße NPOs in Mittel- und Südosteuropa auf. Weiters stellte eine umfassende Social-Banking-Initiative der Erste Group und ERSTE Stiftung insgesamt rund 25 Millionen Euro an Liquidität für gemeinnützige Organisationen in Kroatien, Österreich, Rumänien, Serbien, Slowakei, Tschechien und Ungarn zur Verfügung. Die ERSTE Stiftung übernahm die für das Jahr 2020 fälligen Zinszahlungen. Auch in vielen Projekten reagierte man schnell. Im April 2020 rief zum Beispiel die Journalismusplattform Reporting Democracy JournalistInnen auf, darüber zu berichten, wie die Pandemie Politik und Gesellschaft in Mittel-, Ost- und Südosteuropa verändert. Parallel zu den raschen Antworten auf die Krise wurde die Arbeit an langfristigen Projekten fortgesetzt. So haben wir mit Two Next eine GmbH ins Leben gerufen, die künftig gemeinnützigen Organisationen dabei hilft, digitale Produkte und Services in Bereichen anzubieten, die die Pandemie besonders ins Rampenlicht gerückt hat: Pflege und finanzielle Inklusion. Wir konnten aufgrund unserer langjährigen Erfahrung im Erste Financial Life Park (FLiP) mit wichtigen Stakeholdern der österreichischen Sozialpartnerschaft eine neue Allianz schmieden, um die Stiftung für Wirtschaftsbildung ins Leben zu rufen, die Finanz- und Wirtschaftsbildung künftig im Lehrplan der Schulen in Österreich verankern helfen will. Die Pandemie hat manchmal verdeckt, dass 2020 auch noch andere Vorkommnisse unsere Aufmerksamkeit verdienten. Die Zustände in den Flüchtlingslagern auf der Insel Lesbos, auf dem Boden der Europäischen Union also, und in Bosnien blieben 2020 durchgehend ungelöst und schreien nach neuen Lösungen, wie Europa mit Asyl und Migration umgeht. Die verfahrene Debatte aufbrechen will Gerald Knaus, langjähriger Partner der ERSTE Stiftung und Alumnus von Europe’s Futures. Er stellte in der ERSTE Stiftung im Herbst sein Buch Welche Grenzen wollen wir? vor und überreichte es danach persönlich dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen. Wir haben die Zeit aber auch genutzt, um in „Innovationsdialogen“ mit unserem Partnernetzwerk den Blick entschlossen nach vorne zu richten. Welche Erkenntnisse ziehen wir aus der Gesundheitskrise? Was wird davon länger bleiben? Wie werden wir als Gesellschaft und Wirtschaft ein neues Verhältnis zur Natur finden können? Sind wir bereit für das Leben und Wirtschaften in einer dekarbonisierten Welt? 2020 hat nochmals eindrücklich gezeigt, dass wir in einer Zeitenwende leben und dass wir uns als Stiftung, die mit ihrem Auftrag eine langfristige Perspektive einnimmt, noch länger mit diesen Fragen beschäftigen müssen werden. Auch mit dem Thema, wie wir die Herausforderungen der Zukunft in starken Demokratien bewältigen können. So passt es gut ins Bild, dass es gelungen ist, AktivistInnen und KünstlerInnen aus Minsk dank des kurzfristig (mit tranzit.at) aufgelegten ResidencyProgramms Solidarity Belarus nach Österreich zu bringen, um ihnen einen Moment der Erholung und des Wiedererstarkens zu ermöglichen. Das Jahr 2021 hat hoffnungsvoll mit der Aussicht auf eine wirksame Impfung gegen die Pandemie begonnen. Gleichzeitig werden wir die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Krise noch lange spüren. Es liegt auch an uns, die richtigen Erkenntnisse daraus zu ziehen und sie in Ideen und Konzepte der Zukunftsgestaltung münden zu lassen. Jedenfalls werden wir nicht zu einer Normalität vor der Pandemie zurückkehren können. Lassen wir die Chance nicht ungenutzt vorüberziehen, die uns die Erfahrungen einer weltweiten Krise geboten haben. Denn die Herausforderungen in der nahen Zukunft werden noch größer sein. Wir werden auch künftig die besondere Identität und die Freiheit des Gestaltens der ERSTE Stiftung dazu nützen, unseren Beitrag zu einem besseren Leben zu leisten!

Mario Catasta Boris Marte

CEO stv. CEO

Eva Höltl Franz Portisch

Vorstandsmitglied Vorstandsmitglied

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