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Street Art Battle
Mein Name ist Ulyana Nevzorova. Ich lebe und arbeite als bildende Künstlerin in Minsk, der Hauptstadt von Belarus. In meinen neuen Arbeiten versuche ich die politischen Vorgänge in meinem Land zu verarbeiten. Ich habe mein ganzes bisheriges Leben in einer Diktatur verbracht. An diesem Punkt überlagern sich meine Rolle als Bürgerin und meine künstlerische Praxis. Hier sind einige Beispiele meiner Aktionen aus dem letzten Jahr.
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Das ist ein Graffiti auf einem Trafohäuschen in einem Wohngebiet von Minsk. Es stammt nicht von mir, aber ich habe mich schon immer sehr für Street-Art interessiert. Ich habe die Arbeit fotografiert, um sie zu archivieren. Denn jedes Graffiti wird in Belarus von den Stadtwerken übermalt. Das ist sozusagen Zensur im öffentlichen Raum. Ich wollte dieses Bild mit meiner Kamera vor dem Vergessen bewahren.
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So sieht es dann aus, wenn die Stadtwerke ein Protestgraffiti bemerken und übermalen.
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Nachdem meine Schwester und ich die Übermalung bemerkt hatten, beschlossen wir, auch einen Beitrag zu leisten und das Wandbild weiter zu verändern. Die weiß-rot-weiße Flagge, die ehemalige Nationalflagge, die Lukaschenko 1995 abgeschafft hat, ist ein Symbol der Opposition und der aktuellen Proteste.
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Die rot-grüne Flagge, welche seit 1995 die Nationalflagge von Belarus ist, verkörpert das Regime von Lukaschenko. So reagierten Unbekannte auf unseren Eingriff und übermalten die Protestflagge.
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Die Antwort von meiner Schwester und mir kam postwendend.
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Diese Version des Bildes wurde von Unbekannten auf ziemlich brutale Weise beschädigt.
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STREIK
In der Folge ergänzten wir das zerkratzte Bild mit Informationen über die Streikenden und Verfolgten der Protestbewegung in Belarus. Wir zählten damals: mehr als 14.000 Inhaftierte, mehr als 450 Foltervorwürfe, 6 Todesfälle von DemonstrantInnen und 0 gegen PolizistInnen eingeleitete Verfahren.
Folgende Nachricht der Regierung erhielten die EinwohnerInnen von Belarus per SMS:
„Sehr geehrte Bürger! Das Innenministerium weist darauf hin, dass jegliche Form von Graffiti und Bemalungen im öffentlichen Raum eine strafrechtliche Verfolgung mit bis zu zwölf Jahren Haft mit sich bringt.“
Ich habe als Reaktion auf diese Benachrichtigung dann den Text der SMS als Graffiti im öffentlichen Raum in Minsk angebracht und mit dem Leitspruch der Protestierenden ergänzt: Жыве Беларусь! (Freiheit für Belarus!)
Menschen, die bei einer Protestaktion etwas in der Hand gehalten haben – ein Plakat, eine Flagge, der Gegenstand ist egal, auch die Botschaft ist gleichgültig –, waren vorrangig Ziel der Polizei und wurden als Erste angegriffen. Das wollte ich mit meiner Aktion thematisieren. Die Aktion hat insgesamt nur eine Minute gedauert. So lange fährt die U-Bahn von einer Station bis zur nächsten. Aber in dieser Zeit ist viel passiert. Meine Aktion ist zu einem echten Happening geworden.
Ich stand schweigend da und meine Schwester filmte. Es gab viele Reaktionen, nicht nur positive, sondern auch negative bis hin zu Handgreiflichkeiten. Meine Schwester wurde sogar angegriffen. Plötzlich zog der Mann, der hinter mir stand und gar nicht zu meinem Team gehörte, die weiß-rot-weiße Flagge mit dem alten Staatswappen von Belarus aus seiner Tasche und hat damit meine Aktion stimmig vervollständigt.
Doch damit war die Aktion noch nicht zu Ende. Meine Schwester Maria Kalenik wurde wegen dieser vermeintlichen Ordnungswidrigkeit von den Behörden belangt. Am 12. November 2020 wurde meine Wohnung im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gegen meine Schwester gemäß Artikel 342, Abs.1 durchsucht. Maria ist bis heute als politische Gefangene inhaftiert.
Während der Hausdurchsuchung wurde das Poster gefunden und beschlagnahmt. Vor ihrer Inhaftierung sagte Maria, das Plakat gehöre ihr. Der Text „Dieses Plakat kann zum Grund meiner Verhaftung werden“ wurde im Bericht festgehalten – und ist somit in die Polizeigeschichte eingegangen. Da der Prozess gegen meine Schwester immer noch läuft, ist das Plakat noch konfisziert und liegt bei den Ermittlungsbehörden. Aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es noch einmal zu mir zurückkehrt.