4 minute read
Pressefreiheit. Wenig Gutes zu berichten
Ein Auszug aus dem Trendbericht zur Medienfreiheit für Reporting Democracy
Überall in Mittel- und Südosteuropa haben Regierungen während der Pandemie verstärkt Einfluss auf unabhängige Medien ausgeübt, um mit unterschiedlichsten Mitteln die Berichterstattung zu kontrollieren. Dem halten flinke, technisch versierte und oft über Crowdfunding finanzierte Medien-Startups entgegen.
Advertisement
Die Plattform Mapping Media Freedom des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) erfasst Einschränkungen, Bedrohungen und Verstöße, denen Medienschaffende in 43 Ländern ausgesetzt sind. Der jüngste Monitoring-Bericht, der sich auf den Zeitraum zwischen Juli und Oktober 2020 bezieht, verzeichnete europaweit 111 Warnungen, davon allein 53 in der Region Mittel- und Südosteuropa. Die meisten Warnungen bezogen sich auf psychische oder körperliche Bedrohungen; weniger häufig, aber dennoch weit verbreitet, waren Klageandrohungen und Zensur.
Die Politisierung der öffentlichen und unabhängigen Medien in Mittel- und Südosteuropa ist ein langfristiger Trend, der sich in den vergangenen Jahren verstärkt hat. Laut Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen verzeichnet Ungarn seit 2018 einen dramatischen Rückgang um 16 Plätze. Serbien fiel um 17 Plätze und die Tschechische Republik um sechs Plätze zurück. Bulgarien belegt Rang 111 – das mit Abstand schlechteste Ergebnis innerhalb der EU und das zweitschlechteste in Europa nach Belarus.
Die Pandemie bot den nationalistisch-populistischen Regierungen in der Region Gelegenheit, mehr Kontrolle über die Medien auszuüben. In Ungarn, dem wohl die eklatantesten Verletzungen der Medienfreiheit in der EU vorgeworfen werden, besteht der Modus Operandi darin, die Medienmacht in den Händen von Regierungsgetreuen zu konzentrieren. „Die Medienvielfalt ist in Ungarn stark gefährdet. Unabhängige Medien werden systematisch behindert und eingeschüchtert“, schrieb die Europäische Kommission in ihrem ersten Bericht zur Rechtsstaatlichkeit, der im Oktober 2020 veröffentlicht wurde.
Oligarchen und Politik tun sich oft zusammen, um die Berichterstattung und kritische Stimmen zu kontrollieren. Dies gilt insbesondere für mächtige Regierungsparteien, die versuchen, ihre starke politische Position für eine gewogenere Berichterstattung und Medienkontrolle zu nutzen. Politiker und Oligarchen machen sich zunehmend sogenannte SLAPP-Klagen zunutze, um kritische Berichterstattung juristisch anzufechten, was zu kostspieligen und langwierigen Gerichtsverhandlungen führt. Dies fördert letztlich die Selbstzensur von JournalistInnen, die nicht in Schwierigkeiten geraten wollen. Die Übernahme unabhängiger Medien durch regierungstreue Kräfte und staatliche Unternehmen wird ebenso eine abschreckende Wirkung auf eine kritische Berichterstattung haben.
Die Forderungen unabhängiger Medienbeobachtungsstellen nach einem Einschreiten der EU und internationaler Organisationen/Regierungen werden immer lauter. Jüngstes Beispiel ist eine Gruppe von
„Eine gesunde Demokratie braucht eine gewisse Öffentlichkeit, in der die BürgerInnen und ihre VertreterInnen auf der Grundlage gemeinsamer Fakten einen intensiven Diskurs führen. Diese Öffentlichkeit wiederherzustellen, ist nun zentrale Aufgabe für die Erneuerung der liberalen Demokratie.“ Timothy Garton Ash, Historiker, The Guardian, 8. Februar 2021
Grafik: Reporting Democracy
17 Organisationen, die im Vorfeld einer Debatte über die Medienfreiheit in Polen, Ungarn und Slowenien im Europäischen Parlament am 10. März 2021 in einem offenen Brief an die Europaabgeordneten appellierte, die Europäische Kommission möge handeln.
Der erste Bericht der Europäischen Kommission zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in der Union im Jahr 2020 zeigte große Defizite auf, insbesondere in Polen und Ungarn, aber auch in anderen Ländern der Region. Der für Juli erwartete Bericht für das Jahr 2021 wird einen besseren Einblick in die Entwicklung der Medienfreiheit während der Pandemie liefern. Trotz der relativ schleppenden EU-Prozesse sind Maßnahmen zum Schutz der Medienfreiheit auf den Weg gebracht worden. Es ist jedoch unklar, welche Wirkung sie zeigen werden und ob sie jene Staaten, die die Presse- und Medienfreiheit verletzen, davon abhalten können, ihre Bemühungen zur Zerschlagung unabhängiger Medien fortzusetzen.
Während das Internet negative Medieneinflüsse wie Desinformation und Fake News gefördert hat, hat es auch das Aufkommen neuer flinker, technisch versierter und häufig über Crowdfunding finanzierter Recherchemedien ermöglicht, die zunehmend zu den wichtigsten Stimmen zählen, um Regierungen in der Region zur Rechenschaft zu ziehen. Die EU und NGOs bieten immer mehr digitale Initiativen zur Finanzierung von Medien-Start-ups an. Nach Angaben der Europäischen Kommission vom Februar 2021 gibt es derzeit 18 laufende bzw. in Vorbereitung befindliche Projekte, in die knapp 20 Millionen Euro an EU-Finanzmitteln fließen. Die Finanzierung soll nach Wünschen der Kommission erhöht und eine langfristige Unterstützung für diese Art von Projekten im Rahmen des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens sichergestellt werden. Dieser könnte über das Programm „Kreatives Europa“ zum ersten Mal einen eigenen Finanzrahmen für Medienvielfalt, Journalismus und Medienkompetenz in Höhe von mindestens 61 Millionen Euro beinhalten.
Dieser Beitrag ist Teil des jüngsten Trendberichts zur Medienfreiheit in Mittel- und Osteuropa von Pavel Hanosek für Reporting Democracy. Den vollständigen Trendreport 2021 finden Sie hier (in englischer Sprache):
Die ERSTE Stiftung und das Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) haben 2019 eine grenzüberschreitende journalistische Plattform gegründet: Reporting Democracy. Unabhängige JournalistInnen recherchieren und hinterfragen die Themen, Trends und Ereignisse, die die Zukunft der Demokratie in Mittel-, Ost- und Südosteuropa prägen. Reporting Democracy veröffentlicht Berichte, Interviews und Analysen von KorrespondentInnen aus 14 Ländern. JournalistInnen vor Ort erhalten Aufträge und finanzielle Unterstützung für ausführliche Berichte und Recherchen. Jedes Frühjahr identifizieren JournalistInnen und ExpertInnen die großen Trends mit vermutlich nachhaltigen Auswirkungen, indem sie die jüngsten Entwicklungen in der Region analysieren.