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Jeder Mensch ist Teil des Wirtschaftslebens

In Österreich wurde eine Stiftung für Wirtschaftsbildung gegründet

Wirtschafts- und Finanzbildung gilt als eine der Schlüsselqualifikationen und sollte deshalb ein zentraler Bildungsinhalt im 21. Jahrhundert sein. Jede und jeder soll befähigt sein, mündig, eigenständig, verantwortungsbewusst und kompetent an der Entwicklung und Gestaltung der Wirtschaft – und damit der Gesellschaft insgesamt – mitzuwirken. Allerdings bestehen beim Wissen der ÖsterreicherInnen über Grundbegriffe und Funktionsweisen des Finanz- und Wirtschaftslebens deutliche Lücken. Der Wissensstand über Grundbegriffe und Funktionsweisen des Finanz- und Wirtschaftslebens in der österreichischen Bevölkerung ist erschreckend niedrig. Diesen Befund bestätigen auch wissenschaftliche Status-quo-Erhebungen.

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Das gemeinsame Anliegen, Wirtschaftsbildung als zentralen Bildungsinhalt in Österreich zu verankern, ließ die Arbeiterkammer, die ERSTE Stiftung, die Industriellenvereinigung, die Innovationsstiftung für Bildung, die MEGA Bildungsstiftung, die Oesterreichische Nationalbank sowie die Wirtschaftskammer Österreich im Dezember 2020 zusammen aktiv werden: In einem noch nie dagewesenen Schulterschluss mobilisierten und bündelten die sieben Partnerorganisationen Ressourcen zur Stärkung einer breiten wirtschaftlichen Allgemeinbildung in Österreich und gründeten gemeinsam die Stiftung für Wirtschaftsbildung.

Das erklärte Ziel der neu gegründeten Stiftung ist die langfristig wirksame, systemische Verankerung von wirtschaftlichen Bildungsinhalten in der schulischen und außerschulischen Allgemeinbildung. Dabei setzt man auf enge Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium, um aktuelle Entwicklungen bezüglich Lehrplänen und Unterrichtsprinzipien miteinfließen zu lassen, und widmet sich gemeinsam großen Fragen wie: Was braucht es, um die schulische und außerschulische Wirtschaftsbildung der ÖsterreicherInnen zu stärken? Welches Wissen und welche Fähigkeiten sollten SchülerInnen haben, um alltägliche Lebenssituationen in wirtschaftlicher Hinsicht besser beurteilen und erfolgreich bewältigen zu können? Wie kann erreicht werden, dass SchülerInnen mit mehr praktischer Wirtschaftsbildung die Schule abschließen? Wie kommen diese Ansätze in unser Bildungssystem?

Durch die Vielfalt der Perspektiven der sieben Gründungspartner ist eine nachhaltige institutionelle Trägerschaft ebenso sichergestellt wie eine inhaltliche Breite. Zudem bündeln die Partner künftig in einer beispielgebenden, organisationsübergreifenden Zusammenarbeit ihre bestehenden Aktivitäten zum Thema, mit dem Ziel, eine umfassende Wirtschaftsbildungsplattform zu schaffen. Im Arbeitsprogramm der Stiftung fokussiert man auf drei Bereiche: die Verankerung im regulären Bildungssystem, Unterstützungsmaßnahmen für PädagogInnen sowie Bewusstseinsbildung auf relevanten StakeholderEbenen.

Den Erste Financial Life Park (FLiP) gibt es seit 2016. Hier lernen junge Menschen, „dass jeder Mensch in der einen oder anderen Form Teil des Wirtschaftslebens ist“. Foto: Marlena König

Maribel Königer sprach mit dem Aufsichtsratspräsidenten der ERSTE Stiftung und Vertreter der ERSTE Stiftung im Aufsichtsrat der Stiftung für Wirtschaftsbildung, Andreas Treichl, über die neue Initiative.

Wenn man bedenkt, wie wichtig Finanz- und Wirtschaftsbildung ist, warum gibt es dann so großen Aufholbedarf?

Mangelnde Finanz- und Wirtschaftsbildung in den Schulen ist in der Tat kein neues Phänomen, das hat in Österreich Tradition. Ich glaube, dass man sich dem Thema in der Vergangenheit einfach nicht intensiv genug gewidmet hat. Erfreulicherweise ist aber das Bewusstsein, dass hier etwas getan werden muss, in den letzten Jahren stark gestiegen. Es gibt jetzt eine sehr breite Basis in der Zivilgesellschaft, mit durchaus unterschiedlichen Positionen, und auch die Politik verspürt eine viel größere Dringlichkeit, hier etwas zu unternehmen. Jetzt besteht eine Möglichkeit, dieses Thema anzugehen und umzusetzen.

Warum ist dieser sogenannte Schulterschluss gerade jetzt gelungen? Gab es ein Momentum?

Finanz- und Wirtschaftsbildung weckt nun mal nicht so viele Emotionen wie die Umwelt. Ich glaube nicht, dass es möglich sein wird, ein Fridays for Future für Finanzbildung auf die Beine zu stellen. Aber ich denke schon, dass die Politik gespürt hat, dass sich mehr und mehr Menschen mit diesem Thema auseinandersetzen, das ja auch ein sehr ernstes ist. Mangelnde Wirtschafts- und Finanzbildung leistet zu der berühmten Schere, die sich zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet und über die jetzt alle reden, einen ordentlichen Beitrag.

Auf dem Erste Campus hat vor bald fünf Jahren der Erste Financial Lifepark (FLiP) eröffnet. Welche Erfahrungen wurden dort mit der Finanzbildung für SchülerInnen gemacht?

Wir haben gesehen, was passiert, wenn man – wie der FLiP auf hervorragende Weise zeigt – versucht, jungen Menschen Wirtschafts- und Finanzthemen in einer für sie geeigneten Form näherzubringen. Die jungen Menschen kommen dann nämlich drauf, dass das Thema nicht nur interessanter und wichtiger ist, als sie geglaubt haben, sondern dass es auch viel einfacher zu verstehen ist, als sie befürchtet haben. Man muss dafür nur die richtigen Methoden, die richtigen Mittel und die richtigen Lehrkräfte haben. Im FLiP zeigen wir jungen Menschen, dass die Wirtschaft nicht ein geschlossener Kreis ist, über den sie etwas lernen sollen, sondern dass jeder Mensch in der einen oder anderen Form Teil des Wirtschaftslebens ist. Sie sollen verstehen, dass man genau so viel über finanzielle Gesundheit wissen sollte, wie man über körperliche und geistige Gesundheit weiß.

Wie wird die Stiftung für Wirtschaftsbildung diese für SchülerInnen tauglichen Formate konkret entwickeln und wie werden sie dann ins staatliche Schulsystem implementiert?

Zunächst finde ich es großartig, dass eine so breite und diverse Gruppe beschlossen hat, sich diesem Thema zu widmen. Mit uns dabei sind die Wirtschaftskammer, die Arbeiterkammer, die Nationalbank, die Industriellenvereinigung und zwei privatrechtliche Stiftungen. Wir decken da eigentlich alle Interessenvertreter ab. In den drei Jahren, die die Stiftung fürs Erste ausfinanziert ist, ist der Aufbau eines Systems für die Ausbildung von Lehrkräften prioritär. Weiters beginnen wir mit Pilotprojekten an Schulen. Ein schöner Erfolg wäre es, relativ bald in jedem Bundesland einen Schulversuch für Wirtschaft und Finanzen zu haben. Wir konzentrieren uns dabei auf die Sekundärstufe 1, also die 10- bis 14-Jährigen, weil wir glauben, dass das ein ganz entscheidendes Alter im Leben ist, in dem man Wirtschaft und Finanzen erlernen kann.

Was wäre denn eine Benchmark, um zu beurteilen, dass das Wirtschaftswissen der Bevölkerung gestiegen oder angemessen ist? Der Aktienbesitz, die Verschuldungsquote? Die private Altersvorsorge?

Es gibt eine große Anzahl an Parametern, an denen man Wirtschafts- und Finanzbildung messen kann, auch die angesprochenen. Allerdings kann man mangelnden Aktienbesitz nicht als ein Problem der Wirtschaftsbildung ansehen. Die Gründe dafür sind vielfältig. An der Zusammensetzung des Vermögens der Bevölkerung kann man jedoch schon erkennen, ob mehr oder weniger Kenntnisse vorhanden sind. Aber das hängt natürlich auch von den Angeboten ab. Ähnlich ist es beim Schuldenstand. Man wird nicht in zehn Jahren sagen können, die österreichische Bevölkerung sei jetzt gebildeter, deshalb sei die private Verschuldungsquote zurückgegangen. Eine bessere Finanzbildung wird man aber sehr wohl daran erkennen können, dass es unseriöse Finanzdienstleister, Betrüger, Zocker, Pyramidenspiele und dergleichen sehr viel schwerer haben werden, mit ihren Produkten bei den Menschen zu landen. Es wäre ein gutes Zeichen, wenn solche Fälle zurückgehen würden. Messen wird man den Kenntnisstand der Bevölkerung letztlich durch Umfragen.

Freuen sich Banken überhaupt auf besser gebildete KundInnen? Mit weniger informierten verdient man eventuell mehr Geld – Stichwort: dauerhafte Kontoüberziehung – und die gebildeten sind womöglich kritischer.

Das ist ein wichtiger Punkt. Natürlich kann ich einem finanziell nicht gebildeten Kunden oder einer Kundin leichter etwas verkaufen als jemandem, der oder die sich in der Materie auskennt. Aber wenn das weiterhin die Art und Weise wäre, wie Banken agieren, dann wird es Banken in der Zukunft sowieso nicht mehr geben, denn dann führen sie sich selbst ad absurdum. Es ist die Aufgabe der Banken, sich um die finanzielle Gesundheit ihrer Kunden zu kümmern.

Die GründerInnen der Stiftung für Wirtschaftsbildung erhielten am 15. Dezember 2020 Unterstützung von Bildungsminister Heinz Fassmann (Mitte). Von links: Georg Knill (Industriellenvereinigung), Robert Holzmann (Oesterreichische Nationalbank), Mariella Schurz (MEGA Bildungsstiftung), Günter Thumser (Innovationsstiftung für Bildung), Renate Anderl (Arbeiterkammer), Harald Mahrer (Wirtschaftskammer Österreich), Andreas Treichl (ERSTE Stiftung); Foto: APA Fotoservice/Ludwig Schedl

Andreas Treichl, Präsident des Aufsichtsrats der ERSTE Stiftung und Aufsichtsratsmitglied der Stiftung für Wirtschaftsbildung bei der Pressekonferenz anlässlich der Gründung im Dezember 2020, Foto: APA Fotoservice/Ludwig Schedl

Die Stiftung für Wirtschaftsbildung zeigt als gemeinnützige Stiftung auch, wie man mit privatem Geld Gesellschaft mitgestalten kann. Das Thema Stiftungen und privat finanziertes Gemeinwohl ist in Österreich aber weiterhin noch exotischer als Finanzbildung, oder?

Wir werden mit der Stiftung für Wirtschaftsbildung nicht das Problem der gemeinnützigen Stiftungen in Österreich lösen. Wir spüren im Übrigen auch in dieser Konstellation, dass bei manchen VertreterInnen der öffentlichen Hand noch immer ein gewisses Misstrauen gegenüber gemeinnützigen Stiftungen besteht, deren Mittel aus der Privatwirtschaft kommen. Da liegt noch Arbeit vor uns, um dem negativen Image entgegenzuwirken, das noch immer von den eigennützigen Privatstiftungen aus den 1990er-Jahren auf die gemeinnützigen abfärbt. Aber wenn man sich ansieht, wer sich in den letzten zwölf Monaten mit dem Thema Wirtschafts– und Finanzbildung beschäftigt hat, ist uns da schon sehr viel gelungen. Vor fünf Jahren hat man zum Thema nichts gehört und jetzt reden – auch dank der Stiftung für Wirtschaftsbildung – sehr, sehr viele Leute darüber. So ein kleiner Fridays-for-Future-Moment ist also schon passiert.

STIFTUNG FÜR WIRTSCHAFTSBILDUNG

Gegründet am

15. Dezember 2020

Partner

Arbeiterkammer, ERSTE Stiftung, Industriellenvereinigung, Innovationsstiftung für Bildung, MEGA Bildungsstiftung, Oesterreichische Nationalbank, Wirtschaftskammer Österreich

Budget

jährlich 1,4 Mio. Euro (4,2 Mio. Euro gesichert)

Laufzeit

vorerst drei Jahre, eine Verlängerung ist möglich

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