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c) Ausprägung der objektiven Funktion der Grundrechte

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b) Vorbildfunktion

Der Staat darf daher „für andere Staaten keine Anreize setzen, dieses (notwendige) Zusammenwirken zu unterlaufen. Er soll durch sein eigenes Handeln auch internationales Vertrauen stärken, dass Klimaschutz, insbesondere eine Umsetzung vertraglicher vereinbarter Klimaschutzziele, auch mit Blick auf grundrechtliche Freiheiten zu lebenswerten Bedingungen gelingen kann“.66 Deutschland soll damit eine Vorbildfunktion wahrnehmen67 und zum positiven Musterbeispiel für den weltweiten Klimaschutz werden. Erfolge im Innern sollen zu Erfolgen weltweit führen, indem eine Atmosphäre des Vertrauens in der internationalen Staatengemeinschaft gefördert wird und so alle Staaten gemeinsam dazu beitragen, mehr Klimaschutz zu betreiben. Deutschland soll insoweit ein Leuchtturm sein.

Diese Vorbildfunktion nach außen setzt ambitioniertes Handeln im Innern voraus. Dadurch wirkt die Internationalität des Klimaschutzes auf den innerstaatlichen Bereich zurück. Dabei bestimmt der Gesetzgeber, welche Bereiche wie stark zum (international vorbildhaften) Klimaschutz beizutragen haben. Aus der Art. 20a GG zu entnehmenden klimabezogenen Vorbildfunktion Deutschlands folgt also nicht notwendig eine Vorbildfunktion aller CO2relevanten Bereiche und Aktivitäten. Nur in ihrer Gesamtheit müssen sie ein weltweites Musterbeispiel formen. Allerdings werden angesichts der Reduktionslasten und der dafür erforderlichen tiefgreifenden Verhaltensumstellung in diversen Feldern68 viele Bereiche betroffen sein müssen. Auch die EU-Kommission betont in ihrem Klimapaket „Fit for 55“ vom 14. 07. 202169 die Notwendigkeit verschiedener Maßnahmen in zahlreichen Sektoren von der Gebäudeenergieeffizienz über die Energieerzeugung und die Mobilität bis zur Land- und Forstwirtschaft, die erst in ihrem Zusammenwirken die notwendige CO2-Reduktion bringen. Daher braucht es gerade für die vom BVerfG geforderte Vorbildfunktion, die für die EU auch die Kommission anstrebt,70 einer Betrachtung aller Sektoren, um ein für den Klimaschutz effektives Gesamttableau zu entfalten. Dabei liegt es nahe, die dafür den wirksamsten Beitrag liefernden Sektoren besonders herauszugreifen, ohne dass aber große Bereiche ausgespart werden können. Es muss nur nicht jedes Feld Musterbeispiel sein. Die vom BVerfG

66 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 203. 67 So bereits Frenz, in der Vorauflage, § 1 KSG Rn. 14. 68 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 249. 69 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen v. 14. 07. 2021, „Fit für 55“: auf dem Weg zur Klimaneutralität – Umsetzung des EU-Klimaziels für 2030, COM(2021) 550 final. 70 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen v. 14. 07. 2021, „Fit für 55“: auf dem Weg zur Klimaneutralität – Umsetzung des EU-Klimaziels für 2030, COM(2021) 550 final, S. 15.

angesprochenen lebenswerten Bedingungen71 legen auch eine Einbeziehung wirtschaftlicher Folgen nahe. Für jeden erfassten Bereich bedarf es einer normativen Festlegung von Standards etwa für bestimmte Verhaltensweisen oder für CO2-Reduktionspflichten,72 wie dies die EU-Kommission in ihrem Klimapaket „Fit for 55“ vorgegeben hat.

c) Verdichtung völkerrechtlicher Regelungen

Durch diese Vorbildfunktion Deutschlands für die wirksame Umsetzung vertraglich vereinbarter Klimaschutzziele zu lebenswerten Bedingungen verdichtet das BVerfG zugleich völkerrechtliche Verpflichtungen. Es verweist eigens auf den freiwilligen Mechanismus nach dem Pariser Klimaabkommen, 73 verlangt aber die Umsetzung vertraglich vereinbarter Vertragsziele. Damit ist Deutschland praktisch verpflichtet, dieses Abkommen möglichst klimaschützend zu verwirklichen. Das Klimaziel ist in § 1 Satz 3 einfachgesetzlich festgelegt und damit durch die Wechselwirkung und als Ausdruck des Umweltstaatsziels verfassungsfest. Es muss so umgesetzt werden, dass andere Staaten Vertrauen in die deutschen Klimaschutzanstrengungen entfalten und so dazu bewogen werden, auch eigene Maßnahmen zu ergreifen. Insofern kann und soll Deutschland Vorbild sein. Daher bedarf es ambitionierter Umsetzung und Realisierung im Innern, damit die Zielvorgaben des Pariser Klimaabkommens möglichst wirksam zur Geltung kommen können, und zwar weltweit. Zu dieser ambitionierten Vorgehensweise gehört, dass lebenswerte Bedingungen verbleiben, auch mit Blick auf grundrechtliche Freiheiten.74 Werden diese allzu stark beeinträchtigt, geht die positive Vorbildfunktion für andere Staaten verloren.

d) CO2-Restbudget

Korrespondierend zu der gebotenen Vorbildfunktion legt das BVerfG Deutschland auch ein restriktiv berechnetes CO2-Restbudget zugrunde, ohne es rechtlich verpflichtend zu machen, ohne aber auch große Abweichungen zu ermöglichen.75 Daran zeigt sich allerdings die Problematik, wenn völkerrechtliche Festlegungen vom BVerfG verdichtet werden und zu konkreten Folgerungen Anlass geben (näher u. Rn. 103 ff.). Ansatzpunkt dafür ist auch die Irreversibilität des Klimawandels, aus der die Berücksichtigung der aus einem qualitätssichernden Verfahren hervorgegangenen Schätzungen des IPCC zur Größe des verbleibenden globalen CO251

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71 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 203. 72 Näher zur Kreislaufwirtschaft Frenz, Grundzüge des Klimaschutzrechts, 2. Aufl. 2022, Rn. 540 ff. 73 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 204. 74 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 203. 75 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 228 f.

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