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b) Vorbildfunktion

nungsmodelle mit einem globalen CO2-Restbudget zwischen 420 und 1170 Gigatonnen ab 2018 geschätzt hat.126 Auf dieser Basis wiederum hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen für das Ziel, den Anstieg der mittleren Erdtemperaturen mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 % auf 1,75 Grad Celsius zu begrenzen, ein ab 2020 verbleibendes konkretes nationales Restbudget von 6,7 Gigatonnen abgeleitet.127

2. Keine feste Zahl

Die Abhängigkeit der Ableitung des Sachverständigenrats für Umweltfragen von Wertungen und auch von Unsicherheiten in der Berechnung erkennt zwar auch das BVerfG an und sieht hier erhebliche Unsicherheiten, weshalb daraus noch kein „zahlengenaues Maß für die verfassungsgerichtliche Kontrolle“ und keine Beanstandung der gesetzlichen Regelungen bis 2030 folgt,128 legt diese Berechnung aber gleichwohl seinen näheren Untersuchungen zugrunde.129 Inzwischen konkretisierte der IPCC-Bericht vom 09. 08. 2021 die bisherigen Entwicklungen und konstatierte irreversible Ereignisse wie das Ansteigen der Meeresspiegel. Unabhängig davon müssen nach dem BVerfG die gesetzlichen Reduktionsmaßgaben den bisherigen Zahlenwerten Rechnung tragen.130 Ausgehend von dem durch den Sachverständigenrat für Umweltfragen ermittelten Restbudgetwert von 6,7 Gigatonnen hielt das BVerfG zwar § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG 2019 i. V. m. Anlage 2 hinsichtlich der bis 2030 zugelassenen CO2-Mengen für verfassungsgemäß, betont aber, dass damit das zugrunde gelegte Restbudget bis 2030 bereits weitgehend aufgezehrt wird.131 Damit wird das vorhandene Budget praktisch ausgeschöpft und so den künftigen Generationen alsbald nach 2030 kein Raum mehr zu CO2-relevanten Freiheitsausübungen gelassen (kaum ein Jahr).132 Das würde dafür sprechen, schon stärkere Reduktionslasten vor 2030 als verpflichtend anzusehen. Sie 102

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126 IPCC, Special Report on Global Warming of 1,5 °C, 2018, Chapter 2, S. 108 Tabelle 2.2. 127 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 219; SRU, Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa, Umweltgutachten 2020, S. 52, 88, Rn. 111. Näher Rn. 30. 128 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 236 f. 129 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, explizit Rn. 231. 130 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 229, 237. 131 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 230 ff. 132 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 246.

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106 sind in der Argumentation angelegt.133 So weit geht das BVerfG aber nicht.134 Die Rechnung, dass das CO2-Budget bis 2031 aufgebraucht ist, kann daher nur beispielhaften Charakter haben.135 Die endgültige Festlegung obliegt dem Gesetzgeber, wie auch das BVerfG betont.136 Dieser reagierte prompt mit einem erhöhten CO2-Änderungsziel bis 2030 in Höhe von 65 %, aber ohne Festlegung eines Gesamtemissionshöchstbudgets. Aber auch dazu besteht keine explizite Verpflichtung (s. sogleich Rn. 107). Die Union einigte sich am 21. 04. 2021 auf eine Reduktionsmenge von 55 % und schrieb diese im mittlerweile verabschiedeten EU-Klimagesetz in Art. 4 Abs. 1 fest, zu verwirklichen über eine Gesamtheit von Maßnahmen, welche die EU-Kommission in ihrem Klimapaket „Fit for 55“ vom 14. 07. 2021 vorgezeichnet hat.

3. Gleichwohl vorprägende Bedeutung trotz anderer Berechnungsmöglichkeiten auch nach Völkerrecht

Durch mangelnde Festlegungen für die Zeit nach 2030 sieht das BVerfG die aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgende Pflicht des Gesetzgebers verletzt, die in Art. 20a GG verfassungsrechtlich notwendigen Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen.137 Dies erfolgt allerdings faktisch auf der Basis der Annahme des Restbudgets nach dem Sachverständigenrat für Umweltfragen, obwohl damit erhebliche Unsicherheiten verbunden sind.138 Zudem ist der Bericht des IPCC zu den Klimazahlen auf der Klimafolgenkonferenz in Kattowitz zwar begrüßt, aber nicht als verbindlich zugrunde gelegt worden (s. o. Rn. 7 f.). So legt das BVerfG wie der Sachverständigenrat für Umweltfragen eine Berechnung zugrunde, die völkerrechtlich nicht fest anerkannt ist. In Art. 4 Abs. 4 des Pariser Klimaabkommens ist nur die Verpflichtung auf absolute gesamtwirtschaftliche Emissionsreduktionsziele vorgesehen, nicht auf feste Budgets (näher Rn. 5, 107).

133 Frenz, Klimaschutz nach BVerfG-Beschluss und EU-Klimagesetz, EnWZ 2021, 201 (202). 134 Auch Faßbender, Der Klima-Beschluss des BVerfG – Inhalte, Folgen und offene Fragen, NJW 2021, 2085 (2090). Kritisch dagegen Clever, der schon die Konzeption eines CO2-Restbudgets und das Anlegen eines darauf basierenden Reduktionspfads als einen Eingriff in die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers beanstandet, s. Clever, Der Klimaschutz-Beschluss des BVerfG – Fernglas ohne Justierschraube?, ER 2021, 179 (181 f.). 135 S. bereits Frenz, Anmerkung zum BVerfG, Beschluss vom 24. 03. 2021 (1 BvR 2656/18 u. a.), Freiheitsbedingter Klimaschutz für die junge Generation, DVBl 2021, 810 (818). 136 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 236 a. E. 137 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 273. 138 S. hierzu auch Clever, Der Klimaschutz-Beschluss des BVerfG – Fernglas ohne Justierschraube?, ER 2021, 179 (180 f.).

In Art. 4 Abs. 4 des Pariser Klimaabkommens ist für entwickelte Länder zwar eine Führungsrolle vorgesehen, aber nur durch die Verpflichtung auf absolute gesamtwirtschaftliche Emissionsreduktionsziele, nicht notwendig feste Budgets. Deren Notwendigkeit hat das BVerfG der internationalen Tragweite des aus Art. 20a GG abgeleiteten Klimaschutzgebotes und der daraus folgenden vertrauensbildenden Musterfunktion Deutschlands entnommen (näher o. Rn. 25), ohne dass sich aber aus Art. 20a GG ein genauer Verteilungsschlüssel entnehmen lässt139 oder gar eine entsprechende völkerrechtliche Festlegung besteht. Die Entwicklungsländer sollen nur allgemein ihre Minderungsanstrengungen verstärken und werden ermutigt, mit der Zeit angesichts der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten auf gesamtwirtschaftliche Emissionsreduktions- oder -begrenzungsziele überzugehen. Dass die entwickelten Länder sogleich solche Ziele ansetzen, ist ihr verstärkter Beitrag. Dieser besteht daher nicht notwendig in konkreten, festgefügten CO2-Budgets. Ebenso wenig völkerrechtlich herzuleiten ist die Bemessung des auf Deutschland entfallenden Restbudgets nach seinem Anteil an der Weltbevölkerung i. H. v. 1,1 %.140 Dabei liegen seine CO2-Emissionen derzeit bei 2 %.141 Zwar erfüllt es damit eine Führungsrolle entsprechend Art. 4 Abs. 4 des Pariser Klimaabkommens. Zudem müssen viele Länder erst noch eine Entwicklung bewältigen, um auf einen Standard zu kommen, wie ihn die Industrieländer haben, welche früher schon in erheblicher Weise CO2 emittierten. Jedoch ist eine Ausrichtung am Anteil an der Weltbevölkerung nicht zwingend. Art. 2 Abs. 2 des Pariser Klimaabkommens, den das BVerfG in Bezug nimmt,142 sieht eine Durchführung nach dem Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und den jeweiligen Fähigkeiten angesichts der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten vor. Daher können auch ökonomische und soziale Aspekte entsprechend der in Art. 2 Abs. 1 des Pariser Klimaabkommens genannten nachhaltigen Entwicklung hereinspielen. Es ist also nicht eine Ausrichtung auf den Anteil an der Weltbevölkerung gefordert, die ohne eine tiefgreifende Deindustrialisierung und Wohlstandsverringerung schwerlich möglich sein wird, außer es gelingt sehr rasch, Wirtschaftswachstum klimaneutral zu bewältigen, wie es die EU-Kommission in ihrem Green Deal propagiert.143 Das Beispiel der Stahlpro107

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139 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 225. 140 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 225. S. bereits vorstehend Rn. 384. 141 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 202. 142 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 225. 143 Ziff. 1 (Einleitung) der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – „Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa, Investitionsplan für den europäischen Grünen Deal“, COM(2020) 21 final; näher dazu Rn. 81.

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113 duktion auf der Basis von Wasserstoff (Green Steel) zeigt aber, dass dieser Prozess erst begonnen hat und nicht notwendig sogleich vollzogen werden kann.

Jedoch auch auf dieser Basis gilt die Ausrichtung auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse und damit die Erhaltung der Wirtschaft, wie auch die Union in ihrem EU-Klimapaket „Fit for 55“ betont. Das legt eine Ausrichtung an den bestehenden CO2-Emissionen nahe, die dann möglichst rasch zu reduzieren sind, und damit ein doppelt so hohes CO2-Restbudget für Deutschland als vom Sachverständigenrat für Umweltfragen ermittelt. Auch nach Art. 2 Abs. 1 des Pariser Klimaabkommens sind auf dieser Ebene die Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung und die Arbeitsplätze einzubeziehen und jeder Vertragsstaat kann diese Komponenten eigenständig gewichten, ohne dass der Klimaschutz dominieren muss, solange der Vertragsstaat seinen Verantwortlichkeiten und Fähigkeiten entsprechend auf das Paris-Klimaziel hinarbeitet und dafür Maßnahmen ergreift. Art. 2 und Art. 4 Abs. 4 des Pariser Klimaabkommens verlangen damit nicht das vom BVerfG herangezogene CO2-Restbudget für Deutschland von 6,7 Gigatonnen ab 2020, ja nicht einmal ein festes Budget. Die Führungsrolle der Industriestaaten, die das BVerfG für Deutschland konkretisiert, wird durch absolute gesamtwirtschaftliche Emissionsreduktionsziele erfüllt, so wie sie die EU und Deutschland durch Minderungsquoten von 55 % bzw. 65 % bis 2030 festgelegt haben. Insoweit genügten auch die bisherigen 55 % nach § 3 KSG 2019. Eine völkerrechtliche Vorbildfunktion haben die nunmehr normierten 88 % CO2-Reduktion bis 2040. Das Pariser Klimaabkommen lässt also andere Berechnungen für ein nationales CO2-Restbudget zu als vom BVerfG in Anlehnung an den Sachverständigenrat für Umweltfragen faktisch zugrunde gelegt, ja verpflichtet nicht zu dessen Festlegung. Eine Pflicht zu dessen Berechnung leitet das BVerfG aus der internationalen Tragweite des Klimaschutzgebotes nach Art. 20a GG ab, um das Vertrauen anderer Staaten in den Willen Deutschlands zur Realisierung des Klimaschutzes zu fördern. Diese internationale Tragweite definiert es aber auch selbst und verknüpft sie mit völkerrechtlichen Setzungen, die es wiederum im Lichte dieses international auszurichtenden Klimaschutzgebotes definiert.

4. Im Widerspruch zur Wesentlichkeitstheorie

An anderer Stelle betont das BVerfG, dass der Gesetzgeber die maßgeblichen Entscheidungen treffen muss. So verweist es darauf, dass das Gesetzgebungsverfahren dem erforderlichen Interessenausgleich die gebotene Legitimation vermittelt.144 Wenn dem aber so ist, so können auch nur die Inhalte zugrunde gelegt werden, welche auch Inhalt des Gesetzgebungsverfahrens waren. Es erfolgte im KSG 2019 keine Festlegung, nach welchen Parametern

144 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 213 in Bezug auf § 1 Satz 3 KSG.

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