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Lebensstile, Haustiere und Märchen von E.T.A. Hoffmann
Kralle und Kumpels, unfreiwillig fies
Eine Tiergang soll Kindern die Lust auf Haustiere verderben
Was waren sie doch für ein trauriger Trupp: Miss Mjuu, eine mausgraue Katze mit nur noch fünf Zähnen. Pantoffel, ein ängstliches Kaninchen, das schielende Meerschweinchen Doktor Fritten und Kralle, ein alter Hund mit struppigem Fell und Ohren so groß wie Bratpfannen. „Er war der lächerlichste Hund auf der ganzen Welt“, dachte Kralle. „Und genau deshalb wollte ihn niemand haben.“ Das denkt auch Peter Bockschneider, das Lama am anderen Ende des Tierheims: „Niemals werdet ihr hier rauskommen.“ Wobei auch Peter noch niemand rausgeholt hat, weil er dann und wann immer so böse pupst, dass alle fast ohnmächtig werden.
Am Anfang ist Anna Lotts Kinderroman so realistisch, dass es wehtut. Doch dann überkommt die Tiere der Mut der Verzweiflung: Sie brechen aus. Aber wovon sollen sie jetzt leben? Dem arbeitslosen Bademeister, der immerhin noch das verfallene Schwimmbad als Bleibe hat, kommt eine Idee: Wer wenn nicht dieses Quintett kann Kindern den Wunsch nach einem Haustier austreiben? All die Eltern, denen ihre Gschrappen ständig mit etwas Flauschigem in den Ohren liegen, zahlen gern und gut dafür.
Also legt die „Agentur der fiesen Viecher“ los. Sie knurren und kratzen, schielen und stinken. Die Kinder sind verschreckt, die Eltern begeistert. Bis Kralle den neunjährigen Louis verschrecken soll. Aber ach, dieses unerschrockene Kind träumt sein Leben lang von genau so einem Hund wie ihm, Kralle! Louis mag ihn, und Kralle mag Louis. Auch für die anderen Tiere wird gesorgt.
Ganz aus der Sicht der Tiere geschrieben, witzig und optimistisch, wird Anna Lott sicher viele Kinder abholen. Auch die Zeichnungen von Thomas M. Müller sind so herzzerreißend wie lustig. Nur die Eltern seien gewarnt: Dieses Buch wird Kindern den Wunsch nach einem Haustier sicher nicht verderben.
GERLINDE PÖLSLER
Anna Lo : Kralle & Co. – Agentur der fiesen Viecher. dtv, 176 S., € 14,40 (ab 8)
Das Beste aus zwei Lebenswelten
In „Kaiserschmarrn“ raufen sich zwei Familien zusammen
Im Schachtelhaus von Arthurs Familie steht, liegt und hängt alles in Reih und Glied. Schließlich ist der Papa Architekt und hat es selbst geplant. Das Zuhause von Arthurs neuen Freunden Fanny und Freddy dagegen ist ein Kramasuri mit Messie-artigen Auswüchsen: Hinter dem Haus wuchert ein Schrotthaufen. Findet zumindest Fannys Mutter. Ihr Papa nennt das „Protest gegen die Wegwerfgesellscha “. Irgendwann wird er das alles reparieren!
Hauptberuflich ist er Schamane, er führt seine Klienten in den Wald, auf dass diese sich Bäume umarmend von ihren Problemen lösen. Dass der neue Nachbar, Arthurs Papa, nun in diesem Wald ein stylisches Baumhaus bauen und dafür einen alten Baumriesen umhacken will, packt er gar nicht. Außer mit ihren zankenden Vätern müssen sich Arthur und seine Freunde noch mit der Ziege herumschlagen, die nach Verzehr schamanischer Kräuter zu sprechen anhob: Sie hält sich für „Kaiser Cäsar Napoleon Alexander den Größeren“. Und beansprucht sogar Arthurs Bett für sich.
Leonora Leitls Kinderliteratur füllt bereits ein ganzes Bücherregal, sie ist Trägerin des Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreises. Und weil sie auch die Meisterklasse für Grafik- und Kommunikationsdesign in Linz absolviert hat, illustriert sie ihre Bücher gleich selbst. Die Sache mit der Voodoopuppe, die mutmaßlich Fannys Papa dem Arthur-Papa samt Nadeln im Kopf vor die Haustür legt, ist ein bisserl dick aufgetragen. In Summe aber hat Leonora Leitl liebevoll zwei Arten zu leben porträtiert – und lässt die ungleichen Neo-Nachbarn am Ende einander doch näherkommen. Man muss einander ja nicht den ganzen Tag abbusseln und kann doch Gemeinsames finden, so die Botscha . „Geht es Ihnen eigentlich auch so, dass Sie der Restlfresser der Familie sind“, fragt der eine Vater den anderen. „Ja“, erwidert der: „Nach mir kommt nur der Komposthaufen.“ Na bitte, geht doch! GP
Leonora Leitl: Kaiserschmarrn: Mein grandioser Sommer mit Ziege. Kunstansti er, 208 S., € 22,60 (ab 6)
Gemeines Gemüse und eine Fliege als Lehrer
Sophie Reyer hat zwei fantastische Märchen des großen Romantikers E.T.A. Hoffmann neu erzählt
Magister Tinte ist ein Unsympath, nennt er doch geliebte Märchenbücher ‚Firlefanz‘. Aber dass er eine Fliege ist!“
So schreibt die Lyrikerin und Performerin Nora Gomringer in ihrem Vorwort, und es ist ein würdiger Au akt zu dem, was in diesem Buch noch alles kreuchen, fleuchen und aus der Erde steigen wird. Sophie Reyer nämlich, Wiener Philosophin und Autorin (zuletzt erschien ihr Roman „1431“), hat E.T.A. Hoffmanns Märchen „Die Königsbraut“ und „Das fremde Kind“ neu erzählt. Anlass ist der heuer 200. Todestag des deutschen Romantik-Schri stellers, der auch Karikaturist, Jurist und Kapellmeister war und seine Zeitgenossen überforderte. So fand einer der Brüder Grimm, Wilhelm, zwar an Hoffmanns Erzählung „Nußknacker und Mausekönig“ Gefallen, erklärte aber: „Dieser Hoffmann ist mir widerwärtig mit all seinem Geist und Witz von Anfang bis zu Ende.“ Wenn das kein Versprechen ist! In beiden Erzählungen stellt Reyer uns liebevolle Eltern vor, doch Unheil dräut von außen. Man stelle sich das mal vor: Der neue Hauslehrer drückt den Geschwistern zur Begrüßung die Hände – und die durchzuckt ein greller Schmerz! „Doch Magister Tinte kicherte nur – und zeigte ihnen dann eine kleine Nadel, die er heimlich in seiner Hand versteckt hatte.“ Auffällig auch, dass er immer die Süßigkeiten beschnuppert und eigenartig summt und brummt.
Illustriert hat die schrägen Geschichten Poul Dohle, der sich mit seinen fantastischen Geschöpfen einen Namen gemacht hat. Da wird ihm auch die zweite Geschichte sehr recht gekommen sein. Darin ignoriert das Ännchen, eine leidenscha liche Gärtnerin, die Anzeichen nahender Gefahr. Oder ist es normal, dass es aus der Erde kichert?
Mit feinem Humor treibt Reyer das Drama voran. Das Ännchen, wie es hin- und hergerissen ist, als ein angeblicher Baron kommt und es mit „Geliebteste Braut!“ begrüßt. „Zugegeben: Besonders edel sah er nicht aus. Er war keine drei Fuß hoch, sein Kopf war viel zu groß und sehr dick und die Nase lang und krumm.“ Dem Ännchen graut davor, den Zwerg zu heiraten – bis er offenbart, dass er in Wahrheit der Gemüsekönig ist und das Ännchen somit Königin würde. „Und mit einem Mal kam ihr der Gnom mit dem großen Kopf auch gar nicht mehr so hässlich vor!“
In Scharen steigt hier das illustre Personal aus dem Gemüsegarten und versucht die Menschen mit sich unter die Erde zu ziehen. Am Ende aber gelingt es, dem Bösen die Tür zu weisen. In Ännchens Fall hil ihr Verlobter, ein Dichter, der sich endlich vom Schreibpult losreißen kann. Auch in das Leben des Geschwisterpaars ist nicht nur der schauderha e Schulmeister getreten, sondern auch das Mädchen mit dem Rosenkleid. Oder war es ein Junge in Laubhosen? Ein Schatz an Geist und Witz, damit hatte Grimm recht. GP