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Feminismus Amia Srinivasans „Das Recht auf Sex“

Zirkusnummern und Sex nach Drehbuch

Was tun, damit Sex wirklich frei ist? Philosophie-Jungstar Amia Srinivasan über Pornografie und Rassismus im Schlafzimmer

Hat sich die Lage von jungen Frauen als sexuelle Wesen verschlechtert? Vertie Online-Dating „diskriminierende Spurrillen“? Hat die Pornografie den Feminismus auf dem Gewissen? Was wäre zu tun, damit Sex wirklich frei ist? Was prägt unser Begehren?

Es sind Fragen wie diese, die Amia Srinivasan in ihrem Debüt, der Essaysammlung „Das Recht auf Sex“, diskutiert. Bei den fünf langen und an Recherche prallen Schreibstücken handelt es sich durchwegs um Texte, die „kein Zuhause“ bieten, wie Srinivasan gleich einleitend klar macht. Denn in ihnen wägt die Philosophin weitaus mehr Fragen ab, als sie Antworten gibt, und verweilt, „wo notwendig, im Unbequemen und Ambivalenten“.

Amia Srinivasan ist ein Jungstar der Philosophie. Die 37-Jährige, die als Tochter indischer Eltern in New York, Taiwan, Singapur und London aufwuchs, studierte in Yale und Oxford Philosophie. Seit 2020 bekleidet sie als erste Frau und jüngste Professorin den Chichele-Lehrstuhl für Soziale und Politische Theorie an der Universität Oxford. Vor ihr hatte diesen unter anderen Isaiah Berlin inne, einer der einflussreichsten Denker des Liberalismus nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der akademische Elfenbeinturm ist Srinivasans Sache nicht. Stattdessen grei sie aktuelle Debatten auf: sexuelle Belästigung, Prostitution und Pornografie, Rassismus im Schlafzimmer, #MeToo, Gender und Transgender, den Einfluss von Herrscha sstrukturen auf Lust und Begehren. Lauter Gebiete, zu denen sich Feministinnen mitunter kontroverse Denkgefechte lieferten und liefern. Womit man schon bei einem der großen Vorzüge von Srinivasans Buch wäre: Es bietet einen exzellenten Überblick über die feministischen Denkschulen der letzten Jahrzehnte und wägt deren Stimmen aufs Ausführlichste gegeneinander ab.

Nicht, dass Srinivasan mitunter nicht eindeutig Stellung bezöge wie in dem Es-

Wer begehrt wird und wer nicht, ist politisch motiviert und häufig von allgemeinen Herrscha s- und Ausgrenzungsstrukturen bestimmt

AMIA

SRINIVASAN

Amia Srinivasan: Das Recht auf Sex. Feminismus im 21. Jahrhundert. Kle -Co a, 320 S., € 24,70

say „Warum man nicht mit seinen Studierenden schlafen sollte“. Den der Lehre o immanenten Eros stellt sie darin nicht in Abrede, spricht sich aber – nach ausführlicher Diskussion der Richtlinien, die inzwischen die meisten Bildungsinstitutionen zu sexuellen Beziehungen zwischen Lehrenden und Studierenden eingeführt haben – eindeutig dafür aus, dass ein guter Lehrer Abstand hält, denn: „Es ist ein Unterschied, ob man das Begehren, das man in den Studierenden entfacht, genießt und sie unterdessen von sich ablenkt oder ob man sich selber zum Objekt des Begehrens macht.“

In einem weiteren Kapitel denkt sie über das Thema Pornografie nach. „Gespräche mit Studierenden über Pornografie“ entstand, nachdem Srinivasan klar geworden war, dass ihre Studierenden der ersten Generation angehören, die mit Internetpornografie aufgewachsen ist. Sie beklagen, dass von ihnen „beim Sex Zirkusnummern“ und Sex nach (Porno-)Skript erwartet würde, der vor allem die weibliche Lust ignoriere.

„Bei ihrer ersten realen intimen Begegnung … stand das Drehbuch für sie bereits fest, jedenfalls für die Heteros unter ihnen; es diktierte nicht nur Ablauf, Gestik und Lautäußerungen, sondern auch, welche Reaktionen, welches Begehren und welches ‚Machtverhältnis‘ korrekt waren.“ Srinivasans Essay ist eine hochinteressante Reflexion darüber, inwieweit allzeit zugängliche Mainstream-Internetpornografie oder auch Online-Dating-Plattformen mit ihren Kategorisierungen die erotische Vorstellungskra beschneiden, weil sie diese durch ein normiertes, patriarchal geprägtes Konsummuster überlagern.

Nicht minder fesselnd ist ihr viel gelobter Essay „Das Recht auf Sex“. Bei seinem ersten Erscheinen in einer Zeitschri vor einigen Jahren wirbelte er so viel Staub auf, dass Srinivasan ihm nun in der Buchfassung eine 88 Punkte umfassende Reaktion auf Widersprüche, Kritik und Zuspruch, die sie erreichten, nachgestellt hat. Im Essay selbst wird die titelgebende Frage nach dem „Recht auf Sex“ verhandelt, und zwar ausgehend von der aggressiven, misogynen Subkultur der „Incels“ (involuntary celibates, unfreiwillig Zölibatäre) und ihres Helden, des Attentäters Eliot Rodger, der 2014 in einem Amoklauf in Kalifornien ein halbes Dutzend Menschen tötete und doppelt so viele verletzte. Sein Motiv: sich dafür zu rächen, dass die „bosha en Miststücke“ von Frauen ihm zustehenden Sex verweigert hatten.

Srinivasan nimmt den Fall zum Anlass, um Begehrensmuster, sexuelles Empowerment und Entitlement sowie sexuelle Vorlieben entlang rassistischer Prägungen unter die Lupe zu nehmen. Sie reflektiert über Abstufungen von „Fickbarkeit“, „bei der es nicht darum geht, wessen Körper als sexuell verfügbar gilt …, sondern darum, wessen Körper denjenigen, mit denen sie Geschlechtsverkehr haben, den höchsten Status verleihen“.

Auch dieser Essay beharrt auf Ambivalenz: „Auf der einen Seite steht das Eingeständnis, dass niemand verpflichtet ist, jemand anders zu begehren, niemand das Recht hat, begehrt zu werden, auf der anderen die Erkenntnis, dass wer begehrt wird und wer nicht, politisch motiviert ist und häufig von allgemeinen Herrscha s- und Ausgrenzungsstrukturen bestimmt wird.“

Kurzum: Sex ist hochpolitisch. Der Gesellscha entkommt man auch im Schlafzimmer niemals. In jedem Fall aber – was keine Kritik an Srinivasans exzellentem Buch ist, sondern die Beobachtung der eigenen Reaktion auf die Vielschichtigkeit der darin verhandelten Themen – weiß man nach der Lektüre ihrer Essays nicht mehr, ob man es eher mit Theodor Fontane („das ist ein weites Feld“) oder mit Fred Sinowatz („das ist alles sehr kompliziert“) halten soll. Der Kopf raucht einem mit Gewissheit, und neue Einsichten zum Nachsinnen gewinnt man jede Menge.

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