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Ökologie „Stumme Erde“, „Das Schweigen der Frösche“ und „Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch“

Ein Vogel mit faltig-runzligem Kopf und einem Schnabel wie ein verdorrter Knochen. Dazu schwarze Federn, „als wäre er gerade Opfer einer he igen Explosion geworden … – wem beim Anblick eines Waldrapps nicht umgehend das Herz aufgeht, der hat vermutlich keines.“ Doch so strubbelig er daherkommt, so gut hat er den Menschen geschmeckt: Schon im 17. Jahrhundert war der Waldrapp großteils weggeknurpselt. Nur noch um die 500 freilebende Exemplare gab es zwischenzeitlich.

In „Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch. Ein prekäres Bestiarium“ stellen Heiko Werning und Ulrike Sterblich knapp 50 Tierarten vor, deren Überleben akut bedroht ist. Es ist eines von mehreren neuen Büchern, die das Artensterben thematisieren. So wie Rachel Carson 1963 mit ihrem einflussreich gewordenen Buch „Der stumme Frühling“ vor dem Auslöschen von Arten warnte, so mahnt nun der britische Naturschützer Dave Goulson in „Stumme Erde“ vor dem Insektenschwund. Vom Warten auf ein Quaken oder Tschilpen erzählt Pauline de Bok in „Das Schweigen der Frösche oder Die Kunst die Natur zu belauschen“. Alle drei Bücher gehen auf ganz unterschiedliche Art an das Thema heran, jedes funktioniert auf seine Weise.

Zhous Scharnierschildkröte zieht sich in ihren Panzer zurück, wann immer ihr „etwas nicht behagt: schlechtes Wetter, doofe Leute, so was halt“. Dann klappt sie den Bauchpanzer hoch und – zack! – ist Ruhe. Ganz anders der Tasmanische Beutelteufel, der Wutbürger unter den Tieren: Wenn er sich aufregt, springt er stinkend, schreiend und mit roten Ohren durch die Gegend. Und er regt sich o auf.

Heiko Wernings und Ulrike Sterblichs Buch über so sonderbare wie seltene Spezies ist voller Witz geschrieben – und hat damit das Zeug, möglichst vielen Menschen ihre Botscha nahezubringen: dass man etwas dagegen tun kann, und zwar nicht nur allgemein, etwa indem man den Klimawandel aufzuhalten versucht. Für viele Arten gebe es in ihrem angestammten Lebensraum nämlich keine Hoffnung mehr: Der „Bremsweg“ sei viel zu lang.

Als Beispiel nennen die Autoren den Vaquita, einen Delfin, der im Golf von Kalifornien lebt, doch in großer Zahl in Netzen ertrunken ist, mit denen Fischer einer anderen Fischart nachstellten. Obwohl schon 1978 formal unter Schutz gestellt, ging die Ausbeutung weiter. 2020 existierten nur noch neun Exemplare. Kaum jemand glaubt noch an das Überleben des kleinen Delfins. „Die einzige Rettung für viele Arten wird deshalb darin bestehen, ihnen Asyl in menschlicher Obhut zu gewähren“, so die Autoren. Beide arbeiten bei Citizen Conservation, einem Verbund aus Zoos und privaten Züchtern. Diese halten und vermehren seltene Tiere, um die Nachkommenscha irgendwann wieder in ihren natürlichen Lebensraum auszuwildern. Gerade private Tierhalter widmen sich hingebungsvoll der Haltung auch weniger populärer Arten wie kleinen Fröschen, Fischen oder Spinnen.

Aber – Eisbären im Zoo halten? Die Skepsis ist groß: Was nützt es denn, wenn eine Art nicht mehr in der Natur, sondern nur noch „hinter Glas“ lebt? Die Autoren begegnen dem mit überzeugenden Argumenten. „Wir antworten darauf stets, dass es darum geht, Optionen für die Zukun zu erhalten.“ Etwa, die Tiere in wiederhergestellten Lebensräumen neu anzusiedeln.

RARITÄTENSCHAU: GERLINDE PÖLSLER

ILLUSTRATION: GEORG FEIERFEIL

Dave Goulson: Stumme Erde. Warum wir die Insekten re en müssen. Hanser, 368 S., € 25,70

Pauline de Bok: Das Schweigen der Frösche oder Die Kunst, die Natur zu belauschen. C.H. Beck, 320 S., € 24,70

Heiko Werning, Ulrike Sterblich: Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch. Ein prekäres Bestiarium. Galiani, 240 S., € 22,70

Ob das möglich ist, werde man sehen: „Ist die Art erst einmal verschwunden, gibt es diese Option jedenfalls nicht mehr.“

Pauline de Bok ist zu Beginn ihres Buchs unterwegs zu ihrem Zweitwohnsitz in Mecklenburg. Seit 20 Jahren bewohnt sie dort einen ehemaligen Kuhstall. „Die ganze Fahrt von Amsterdam hierher war ich unruhig, […] wollte wissen, in welchem Zustand ich das Land und das Grundstück vorfinden würde – und den Tümpel.“

Die Frage, ob Wasser im Tümpel steht und das Quaken von Fröschen zu hören sei, zieht sich durch das Buch. „Ich fühle nichts Weiches, nichts Schlickiges […] Der Tümpel ist trocken, knochentrocken.“ Kein Leben darin.

Über 18 Monate lässt die Schri stellerin uns am Leben auf ihrem Stück Land teilhaben. Sie beobachtet Geburt und Paarung, Leben und Sterben, Fressen und Gefressenwerden, sie dokumentiert, wie sich die Landscha verändert: durch Trockenheit, invasive Arten und die Landwirtscha . Maismonokulturen breiten sich aus, um Futter für die Autotanks zu liefern.

Der Text entwickelt einen Sog, man spürt, dass de Bok über Monate völlig allein mit der Natur war. Beim Einschlafen gleiten Fledermäuse über ihren Kopf, in der Morgendämmerung ru vom Froschteich eine Rohrdommel. Immer wieder hält die Autorin Zwiesprache mit dem Laubfrosch, der hartnäckig auf sich warten lässt.

Sich selbst sieht de Bok als Teil des Biotops, als „Menschentier“ unter Tieren, das gar nicht anders kann, als sich am Töten und Fressen zu beteiligen. Und sei es, dass sie den Gemüsegarten umgräbt und dabei Kleintiere umbringt. Sie legt künstliche Tümpel für Schwalben und Insekten an, doch wovon es „zu viel“ gibt, das tötet sie: Waschbären zum Beispiel, weil diese als invasive Spezies gelten. Sie fladern Vögeln die Eier, fressen Küken, Frösche und Hasen. Als Jägerin weiß sie, was zu tun ist. Und so wird der Waschbär zu Gulasch, einmal schmurgelt ein Wildschweinkopf im Rohr.

Das Buch ist anregend, weil de Bok heikle Fragen nicht scheut: Was kann der ökologisch gutwillige Mensch durch Tun oder Verzicht bewirken? Was ist kontraproduktiver Unsinn? Manches aber reizt zu Widerspruch. So wir sie Menschen, die sich nicht am Töten anderer Arten beteiligen wollen, „Hybris“ vor. „Hoffart“ entdeckt sie auch in Projekten wie Icarus: Dieses stattet Zugvögel mit Minisendern aus, um herauszufinden, wie man ihnen beim Überleben helfen kann. Warum aber sollen nur erstere Bemühungen hochmütig sein, das Erschießen trächtiger Waschbären oder das Töten zwecks Fleischgewinns aber nicht?

Ebenso gut lesbar wie prall an Fakten ist Dave Goulsons „Stumme Erde“. Als Fün ähriger klaubte er Raupen in seine Jausendose und beobachtete, wie sie sich in schwarz-rote Nachtfalter verwandelten. Das war’s, seither hat er sein Leben kleinen Krabblern verschrieben.

Nicht nur deren filigrane Schönheit bringt er uns näher, auch die vielen Aufgaben, die sie übernehmen: den Planeten sauber halten zum Beispiel. Gäbe es nicht all die Viecher, die sich durch Kuhfladen und anderen Dung wühlen, die Weiden dieser Welt würden unter dem Mist ersticken. Insekten „bestäuben unsere Nutzpflanzen, kompostieren Dung, Laub und Leichen, erhalten den Boden gesund, halten Schädlinge in Schach“. Vögel, Fische und Frösche brauchen sie als Nahrung. „Ohne Insekten“, so der Professor für Biologie an der University of Sussex, „funktioniert einfach nichts.“

Seit aber der kleine Dave seine ersten Raupen einsammelte, ist die Masse von Insekten Schätzungen zufolge um 75 Prozent geschrump . Durch den Verlust von Lebensräumen, eingeschleppte Krankheiten, nächtliche Beleuchtung. Zu Pestiziden hat Goulson selbst etliche Studien durchgeführt, etwa zu Neonicotinoiden, die Hummeln und Bienen Orientierungssinn und Gedächtnis rauben. „Unser chemischer Angriff auf die Natur“, so der Wissenscha ler, „ähnelt einem Genozid, der immer mehr Tier- und Pflanzenarten vernichtet.“

Noch weniger bekannt ist, wie sehr die Erderwärmung den Insektenschwund beschleunigen wird. Prinzipiell sei zu erwarten, dass die meisten Arten Richtung Norden in höhere Regionen wandern werden. Aber wie sollen sie das tun, wenn sie fast überall nur intensiv bewirtscha ete Äcker und zugepflasterte Flächen vorfinden? „Die Wahrscheinlichkeit, dass sie es schaffen, nach Norden zu ziehen, um dem Klimawandel zuvorzukommen, ist gering; vor allem deshalb, weil sie sich von bestimmten Pflanzenarten ernähren, die dann eigentlich mitwandern müssten.“

Von den Entwicklungen profitierenwerden dagegen die Schadinsekten in der Landwirtscha : Weil die Winter immer milder werden, vermehren sie sich das ganze Jahr über. Die Ernteerträge bei Getreide, Reis und Mais würden daher laut Schätzungen mit jedem Grad der Erwärmung um etwa ein Zehntel zurückgehen. Ebenfalls prima gedeihen werden die Anophelesmücke, Hauptüberträgerin der Malaria, und die Gelbfiebermücke.

Goulson lässt seine Leserscha mit diesen Aussichten aber nicht einfach erschlagen sitzen. Den Abschlussteil widmet er der Frage: „Was können wir tun?“ Erst einmal gelte es, Bewusstsein für die Gefährdung der Insekten zu schaffen, weil die, abgesehen von Bienen und Schmetterlingen, kaum Fans haben. Es folgen zahlreiche Tipps, etwa wie man im eigenen Garten und auf dem Balkon Insekten anlocken kann.

Den größten Hebel sieht er aber bei der Ernährung, wobei er nicht „mit dem Finger auf die Bauern zeigen“ will. Vieles müsse sich von Grund auf ändern, etwa der hohe Konsum tierischer Lebensmittel. Drei Viertel der globalen Anbauflächen würden für die Fleisch- und Milchproduktion genutzt. Ein Drittel der weltweit hergestellten Kalorien werde außerdem verschwendet. Würde man das ändern, dann kriegten die Bauern die Weltbevölkerung auch ohne Pestizide satt. Politiker sollten dieses Buch lesen.

„Für den St.-Helena-Riesenohrwurm und die Franklin-Hummel ist es bereits zu spät“, schließt Goulson, „für einen Großteil des Lebens auf unserem Planeten jedoch noch nicht.“ Ein aufmunterndes Beispiel erzählen auch die Autoren des „Prekären Bestiariums“: Nachdem Tiergärten Waldrappe nachzüchteten, gibt es wieder Kolonien in freier Natur. Weil die zerzausten Vögel nicht mehr wissen, wie man in den Süden fliegt, setzen Waldrappliebhaber sich in Ultraleichtflieger und fliegen voraus. Zurück finden die Tiere allein. Und siehe da, nach 350 Jahren Pause überqueren heute wieder regelmäßig Waldrappe die Alpen. F

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