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Biografie Der jüdische Rüstungsindustrielle Fritz Mandl Historie Michael Wildts „Zerborstene Zeit“ über deutsche

Fritz Mandl: „Patronenkönig“ und Grenzgänger

Biografie: Ursula Prutsch erzählt das Leben des jüdischen Rüstungsindustriellen zwischen Nazis und Geheimdiensten

Der Molden-Verlag bewirbt das Buch „Wer war Fritz Mandl“ mit den Worten: „Zu lesen wie ein Film“. Widersprüchliche Persönlichkeiten besitzen eben Sehnsüchte und Abgründe und haben das Zeug, einen Plot zu entwickeln, der nach Verfilmung schreit.

Der Biografie Fritz Mandls hat sich Ursula Prutsch angenommen, Professorin für US-amerikanische und lateinamerikanische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Fritz Mandl war der homo oeconomicus schlechthin. Der Rüstungsindustrielle exportierte Patronen in alle Welt, war Faschist, fürchtete im Krieg um das Heimatland und hoffte gleichzeitig, dass dieser lange dauert, um die Kassen zu füllen. Als erster Ehemann der Schauspielerin Hedy Lamarr wusste er auch kulturelles Kapital einzusetzen. Sein Leben spiegelt österreichische Geschichte von Karl Lueger bis zum Untergang der Monarchie wider, von der Ersten Republik über die Zwischenkriegszeit und den Austrofaschismus bis zur Zerstörung der Demokratie.

Fritz Mandl wurde 1900 unehelich geboren, der Vater war konfessionslos mit jüdischer Herkun . Schon 1924 trat Fritz in das Familienunternehmen ein, die Patronenfabrik Hirtenberg, bald der bedeutendste Munitionsbetrieb Österreichs. Vier Jahre zuvor hatte es einen Brandanschlag auf die Fabrik gegeben, den Mandl kommunistischen Arbeitern zuschrieb: Illegalerweise war Munition aus Hirtenberg an die polnischen Streitkrä e verschoben worden, die ihren jungen Staat gegen die Sowjetunion verteidigten. Nicht allein deshalb verachtete Mandl alles Linke. Ein No-Go war für ihn auch der Anschlusswunsch an Deutschland, der bis 1933 auch unter prominenten Vertretern der Sozialdemokratie bestand.

Die Ausschaltung des Parlaments und die Errichtung eines faschistischen Staats waren ihm recht, Engelbert Dollfuß war ihm zu schwach. Mit katholisch geprägter Ständeordnung im Kopf war er überzeugt, dass der Faschismus die „bessere Demokratie“ wäre. Er war ein enger Freund von Ernst Rüdiger Starhemberg, dem Heimwehrfürsten, Bundesführer der Vaterländischen Front und Vizekanzler unter Kurt Schuschnigg. Ihn und die Heimwehr unterstützte Mandl finanziell und mit Waffen, er bewunderte den italienischen Diktator Benito Mussolini. Im argentinischen Exil, wohin er 1938 nach dem „Anschluss“ ging, war das für seine Geschä e nicht mehr opportun, zumindest nach außen hin legte er die Haltung ab.

Mandls Imperium reichte von Hirtenberg über die Schweiz bis in die Niederlande, nach Deutschland und Polen, bis Argentinien, Mexiko, Uruguay und Peru. „In Österreich zog er die Fäden“, schreibt Prutsch: „Selbst wenn man ihn nicht mochte, so kam man nur schwer an ihm vorbei.“

Sein Netzwerk umfasste schillernde Figuren aus der österreichischen und internationalen Industrie-, Politik- und BankenSchickeria, durch das Exil kamen weitere Verbindungen hinzu. In der Lektüre ergibt das einen Parforceritt durch die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts bis in die Jahre des österreichischen Bundespräsiden-

In Österreich zog er die Fäden. Selbst wenn man ihn nicht mochte, so kam man nur schwer an ihm vorbei

URSULA

PRUTSCH

Ursula Prutsch: Wer war Fritz Mandl. Waffen, Nazis und Geheimdienste. Die Biografie. Molden, 304 Seiten, € 30,–

ten Kurt Waldheim und zur Noricum-Affäre der 1980er-Jahre. Die Historikerin weiht in die besondere Quellenlage ein: Sie erhielt Zugang zum fein säuberlich geordneten Familiennachlass mit Rechnungen und Geschä sberichten, Briefen an Banken und Militärs. Allerdings betrifft er nur die Jahre im argentinischen Exil. Gespräche mit Freunden Mandls, Archive in London und Wien, Rom und Buenos Aires halfen, die Außensicht zu vervollständigen.

Als Mandl in Buenos Aires von Bord ging, lag „dank des Schweizerischen Bankvereins reichlich Geld auf einem Konto für ihn bereit, und auch auf ein paar Bekannte würde er hier zählen können“. Selbst von Argentinien aus kooperierte er mit den Nazis. Fürs Geschä war ihm Gesinnung egal. Prutsch enthüllt seine Verfemung als jüdischen Nazi und angeblichen Freund des argentinischen Präsidenten Juan Péron. Peinlich genau vollzieht sie die Geldflüsse und Verbindungen zur Schweiz nach, prü die Kontakte zu höchsten politischen Kreisen und stellt manches richtig.

Mandls Konten in Argentinien wurden eingefroren, nachdem die Amerikaner ihn auf die schwarze Liste gesetzt hatten. Einstige Mitarbeiter stellten ihn als NaziAgenten dar. Die New York Times berichtete. Er wurde zum Spielball amerikanischer und argentinischer Interessen und landete im Gefängnis, allerdings zu luxuriösen Bedingungen.

Prutsch beleuchtet die Ereignisse mit dramaturgischer Eleganz, die Leserin kann sich die Szenen genau vorstellen. Etwa die Süffisanz Mussolinis, wenn Mandl ihn bittet, die Filmkopien seiner Ehefrau au aufen zu dürfen, der damaligen Hedy Kiesler, spätere Lamarr. Er möge doch die Aufführung der „Ekstase“ verbieten! Mussolini genoss es – und lehnte ab. Hedy Kiesler wurde dank der ersten Nacktrolle im Film Kult.

Präzise beschreibt Prutsch auch Nebenfiguren wie den Diener Pokorny, der als überzeugter Nazi in den Diensten des jüdischen Herrn keine Chance hatte, eine andere Stelle zu finden. Pokorny schreibt am Ende an Mandl: „Ich war immer überzeugt davon, dass Ihre guten Freunde zugleich Ihre größten Feinde waren.“ Literarische Hinweise wie etwa auf Franz Nabl Theaterstück „Schichtwechsel“ bringen die Sichtweisen in Deckung zueinander.

Faktenreich macht Ursula Prutsch anhand der Biografie eines Rüstungsindustriellen mit Hang zum Glamour Geschichte lebendig. Man sieht fast vor sich, wie der Diener Pokorny seinen Herrn beobachtet. Was für eine Filmszene wäre das, wenn wir aus seiner Perspektive sähen, wie Mandl Hedy Kiesler zum ersten Mal begegnet. Aber das ist Fiktion. Die Historikerin ist der Wahrheit verpflichtet. Sie erzählt sie auf inspirierende Weise.

LYDIA MISCHKULNIG

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