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Kommunikationsfreiheit für Religionen Der Rechtsphilosoph Stefan Hammer über das Kreuz im Klassenzimmer und Religionsfreiheit er Rechtswissenschaftler Stefan Ham­ mer arbeitet als Professor am Insti­ tut für Rechtsphilosophie der Universität Wien. Er ist Mitglied des Forschungszen­ trums Religion and Transformation in Con­ temporary Society.

INTERVIEW: ROBERT PRAZAK

Herr Hammer, sollte sich die Schule nicht ganz von der Religion verabschieden? Stefan Hammer: Nein, das glaube ich nicht, sonst müsste sie sich von viel mehr verab­ schieden: von allen weltanschaulichen Be­ zügen oder gar von allem, was man nicht empirisch belegen kann. Die Schule soll­ te im Gegenteil über verschiedene religiöse und weltanschauliche Grundeinstellungen informieren, zumal diese vielfältiger wer­ den. Es steigt einerseits die religionsindif­ ferente Orientierung breiter Bevölkerungs­ kreise, andererseits ist die Religion mehr zum Thema geworden. Man sollte in der Schule mit dem jeweiligen Selbstverständ­ nis solcher Überzeugungen konfrontiert werden. Das ist derzeit nur im Religions­ unterricht gegeben, es fehlt die Vielfalt. Re­ ligionen und Weltanschauungen sollten in der Schule pluralistischer repräsentiert sein. Was sagt das Kreuz im Klassenzimmer aus? Hammer: Es ist ein Relikt aus einer Zeit, als ein größerer Anteil der Bevölkerung christlich orientiert war. Es gilt ja die Re­ gel, dass es nur aufgehängt wird, wenn die Mehrheit der Schüler und Schülerinnen christlich ist – insofern verläuft sich das Thema ohnehin. Ich halte es aber für pro­ blematisch, weil das Kreuz an der Wand nicht anders gedeutet werden kann, als dass der Staat als Bildungsträger das Symbol für eine bestimmte religiöse Orientierung posi­ tiv besetzt. Man sollte sich von einem säku­ laren Staat erwarten, dass er nicht punktu­ ell eine bestimmte Religion bewertet. Ist verpflichtender Ethikunterricht für alle ab der neunten Schulstufe, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, richtig? Hammer: Das ist ambivalent, weil es nur für jene gilt, die nicht den Religionsunter­ richt einer anerkannten Religionsgemein­ schaft besuchen. Das bedeutet: Es wird für wichtig erachtet, dass jene Personen eine Anleitung für ethische Grundlagen benöti­ gen, die nicht einer Kirche oder Religions­ gemeinschaft angehören, die in der Schule vertreten ist. Anderen Religionen oder Welt­ anschauungen wird dies nicht zugetraut. Ich halte es für problematisch, einen Teil der Gesellschaft zu ermächtigen, das selbst zu gestalten, einen anderen aber nicht. Der geplante Status des Ethikunterrichts wird aber auch vom Grundverständnis getragen, dass es einen kategorialen Unterschied zwi­ schen säkularer Ethik auf der einen Seite und Religionen bzw. Weltanschauungen auf der anderen Seite gibt. Stehen dahinter grundsätzliche Debatten?

„Religiös geprägten Einstellungen sollte Kommunikationsfreiheit im öffentlichen Raum bleiben“ STEFAN HAMMER UNIVERSITÄT WIEN

Hammer: Dahinter steht die Überlegung, dass in einem säkularen Staat bzw. einer liberalen Demokratie nur Argumente zu­ gelassen werden sollen, die freistehend sind, also rational und unabhängig von re­ ligiös-weltanschaulichen Voraussetzungen. Aus der öffentlichen Vernunft soll ausge­ schlossen werden, was der amerikanische Rechtsphilosoph John Rawls „comprehen­ sive doctrines“ genannt hat, also umfassen­ de Theorien – paradigmatisch dafür sind eben Religionen. Es gibt aber heute in der Gesellschaft eine diffuse Vielfalt von reli­ giös und säkular geprägten weltanschau­ lichen Orientierungen. Dazu zählt etwa, dass wir in einer Umwelt leben, für die wir verantwortlich sind. Es gibt auch säkulare Grundüberzeugungen, von denen man nicht ohne Weiteres sagen kann, dass sie freiste­ hend wären. Das zeigt sich in der Diskus­ sion um die Sterbehilfe. In solchen Fragen gibt es keine saubere religiös-weltanschau­ liche Neutralität, also von allem gereinigt, was man gern als metaphysisch bezeichnet. Müsste es in der Schule einen Ethikunterricht für alle geben? Hammer: Ja, und umgekehrt müsste der Religionsunterricht in der Sekundarstufe so gestaltet werden, dass sich unterschied­ liche Religionen und Weltanschauungen selbst diskursiv einbringen können. Zuge­ geben, ein anspruchsvolles Modell, aber da­ für ­besteht in der Gesellschaft ein Bedarf. Wie beurteilen Sie die Unterscheidung zwischen anerkannten und nicht anerkannten Religionsgemeinschaften? Hammer: Der rechtliche Zugang ist arbiträr. Es gibt das Anerkennungsgesetz, wodurch man den höchsten Status erreichen kann, mit bestimmten Bedingungen, die für alle gleich sind. Daneben bestehen viele Ein­ zelgesetze, die eine punktuelle gesetzliche Anerkennung für religiöse Gemeinschaften vorsehen, die oft weit unter den Voraus­ setzungen im Anerkennungsgesetz liegen. Im Verhältnis zwischen anerkannten und nicht anerkannten Religionsgemeinschaften ist der Gleichheitssatz auch in der Verfas­ sungsrechtsprechung fast suspendiert, das ist die entscheidende Lücke. Da hat der Eu­ ropäische Gerichtshof bereits Korrekturen anbringen müssen. Es ist insgesamt kei­ ne diskriminierungsfreie Rechtslage und Rechtspraxis. So hat man es etwa den Ale­ viten in ihren unterschiedlichen Ausrich­ tungen sukzessive schwer gemacht. Ist es problematisch, Sicherheit oder Integration über den Umweg des Religionsrechts zu regeln? Hammer: Ja. Religions- und Sicherheits­ politik diffundieren, der Kristallisations­ punkt dafür ist das Stichwort „politischer Islam“. Es wird die Vorbereitung terroris­ tischer Aktivitäten befürchtet, und es mag stimmen, dass auch Religionen dieses

­ otenzial ­haben können. Im europäischen P Kontext wird vor allem der Islam als mög­ licher Motivationsgrund für terroristische Präsenz gesehen. Auf anderen Kontinenten können das andere Religionen sein, siehe etwa Indien. Das hat keine Religion gepach­ tet, auch das Christentum hat ja eine nicht nur glorreiche Vergangenheit. Auch ist es nicht auf Religionen beschränkt und daher keine spezifisch religionspolitische Frage. Fragen zur Sicherheit und Terrorismusprä­ vention stellen sich in Bezug auf Religions­ gemeinschaften nicht anders als in Bezug auf andere Gruppen. Was halten Sie vom Islamgesetz? Hammer: Die Gefahr, die vom Islam aus­ geht, wird als spezifisch angesehen. Doch was hat das mit dem Religionsrecht zu tun? Abgesehen davon werden bestimmte Ange­ hörige unter Generalverdacht gestellt, sie­ he etwa Islam-Landkarte. Was denken Sie über das Scharia-Verbot? Hammer: Scharia ist ein Begriff, der der De­ finition jener überlassen werden sollte, die sie betrifft. Man kann sie ja nicht verbie­ ten, weil man annimmt, dass sich daraus radikale Tendenzen missbräuchlich legiti­ mieren. Man verbietet auch nicht christliche Lehren, weil sich daraus der Klu-Klux-Klan legitimieren könnte. Was Scharia heißt, wird von unterschiedlichen Richtungen im Islam unterschiedlich interpretiert. Dass sich aus dem Koran keine Rechtsvorschriften ablei­ ten, ist zwar nicht der Mainstream, aber es gibt reformtheologische Tendenzen in diese Richtung und die Meinung im Islam, dass säkulares Recht für Muslim*innen verbind­ lich ist, wenn sie in einem Gemeinwesen mit Religionsfreiheit leben. Was bedeutet Religionsfreiheit? Hammer: Religionen werden heute oft als Identitätsmarker angesehen und darauf re­ duziert. So werden Bevölkerungsteile mit Migrationshintergrund primär aus reli­ giöser Sicht wahrgenommen, Menschen aus bestimmten Regionen vornehmlich als Muslim*innen. Dabei werden Zugehörigkei­ ten auf kulturelle Identitäten reduziert und von liberaler Seite als Teil der Multikultura­ lität akzeptiert. Tritt Religion jedoch mit ei­ nem ethischen Geltungsanspruch auf, heißt es sofort: Da ist die Grenze. Weil man zwi­ schen säkular-freistehend und religiös-meta­ physisch unterscheidet nach dem Motto: Wir sind zwar für die Vielfalt kultureller Identitä­ ten, aber Vorsicht, wenn Religion Legitimi­ tätsansprüche an gesellschaftliche Entwick­ lung und politische Entscheidungen impli­ ziert. So passen die multikulturelle Einstel­ lung und eine Ausgrenzung dessen, was als metaphysisch etikettiert wird, zusammen. Religionsfreiheit sollte aber auch dazu die­ nen, dass religiös geprägten Einstellungen eine gleichwertige Kommunikationsfreiheit im öffentlichen Raum garantiert bleibt.

FOTO: ROBERT PRAZAK

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