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BAUEN IM BESTAND
ERWECKT Diese mittelalterliche Hofanlage stand Jahrzehnte weitgehend ungenutzt in zentraler Innenstadtlage. Dank der (dringend notwendigen) Sanierung wurden acht Wohnungen geschaffen. Weitere Beispiele für herausragendes Sanieren stellt die Architektenkammer Baden-Württemberg auf www.akbw.de vor.
NOCH ZU RETTEN?
ABREISSEN ODER BEHALTEN? IN DEN MEISTEN FÄLLEN IST LETZTERES BESSER FÜR DAS KLIMA. WIR ERKLÄREN, WARUM EIN ALTBAU EINE ZWEITE CHANCE VERDIENT UND DEN RENOVIERUNGS-AUFWAND RECHTFERTIGT.
Ohne Frage: Ein Neubau ist reizvoll. Brauchen die Bauherren drei Kinderzimmer oder nur eines? Will die Familie ein Gästezimmer, ein schickes Home-Offi ce oder beides? Wie geräumig soll der Hauswirtschaftsraum werden? Wer neu baut, hat großen Gestaltungsfreiraum und kann den Grundriss frei nach seinen Bedürfnissen entwerfen. Hinzu kommt: Wer heute baut, muss ein energieeffi zientes Gebäude errichten. Das schreibt der Gesetzgeber vor. Eigentlich, könnte man meinen, spräche alleine dies mit Blick aufs Klima klar für einen Neubau und gegen eine Renovierung eines Bestandsgebäudes. Falsch. Ein Grund dafür ist, dass wir uns die Ökobilanz anschauen müssen. Was versteht man unter dem Wort? Die Ökobilanz sagt aus, welche Einwirkungen das Gebäude auf die Umwelt hat. Sie will etwa wissen, wie viel Energie es benötigt. Nicht nur im Betrieb – sprich für Heizung und Warmwasser – sondern auch, um Baumaterialien herzustellen, zu transportieren, zu lagern, zu verkaufen und zu entsorgen. Nur so entsteht ein vollständiges (Öko-)Bild.
DIE SUMME ALLER DINGE
Diese graue Energie (mehr dazu auf S. 14) macht einen großen Anteil aus. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) betont, dass gut ein Drittel aller Treibhausgasemissio-
PLATZ SCHAFFEN
Aus einem unausgebauten Dachgeschoss mitten in Berlin wurde nach der Renovierung ein Heim für die Familie der Prenzlschwäbin. Velux nen eines Gebäudes bei der Herstellung und
Errichtung entstehen. Also bereits vor der tatsächlichen Nutzung! Je energieeffi zienter ein Haus ist, desto größer wird der prozentuale Anteil der grauen Energie. Die Fachhochschule Burgenland hat ausgerechnet, dass es sogar mehr Energie benötigt, ein Niedrigenergie- und Passivhaus herzustellen, als das Gebäude im gesamten Lebenszyklus an Heizenergie benötigen wird. FAZIT
WIRD KNAPP
Wieviel Holz, welches Dämmmaterial, wieviel Aluminium, Beton und Linoleum werden für den Neubau verwendet? Die Ökobilanz sieht sich auch an, welche Materialien für den Bau benötigt werden. Zum einen, weil es Einfl uss auf die graue Energie hat. Zum anderen, weil die Rohstoffe abgebaut werden müssen und jeder Rohstoff sich anders auf die Umwelt auswirkt. Holz wächst nach, Kalkstein nicht. Die natürlichen Ressourcen werden zunehmend knapper. Deshalb ist wichtig, das vorhandene optimal zu nutzen. Auch, da über die Hälfte des deutschen Müllaufkommens Bau- und Abbruchabfälle sind.
FLÄCHENVERBRAUCH
Ein weiterer Punkt, der für eine Renovierung spricht: der Flächenverbrauch. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) gibt an, dass in Deutschland jeden Tag rund 60 Hektar Landschaft verbaut werden, um Platz für Gewerbe, Wohnungsbau, Verkehr und Erholungsfl ächen zu schaffen. Das entspricht grob einem kleinen Einfamilienhaus pro Minute! Für jede Wiese die verschwindet, verschwindet Lebensraum für die Tier- und Pfl anzenwelt. Unverbaute Fläche braucht es auch, damit Regenwasser versickern kann. Der Flächenverbrauch ist vor allem bitter, weil er unnötig ist, da es in guter Lage Häuser gibt, die aber unbewohnt sind, weil sie renoviert werden müssten. Ein weiterer Vorteil von Bestandsgebäuden: Anschlüsse wie Stromleitungen und Abwasserkanäle sind vorhanden. Das spart Geld. Apropos Flächenverbrauch: Seit Jahren wird die Wohnfl äche pro Person immer größer. Eine Renovierung zwingt uns, mit dem Platz auszukommen, der vorgegeben ist. (Mehr zu Suffi zienz auf S. 96.)
In Deutschland stehen 20 Millionen Bestandsgebäude. Es wäre ein ökologischer Supergau, würden wir alle alten Häuser abreißen und durch neue ersetzen – und seien sie noch so energieeffi zient. Das Klimaziel lässt sich nur erreichen, wenn der Bestand erhalten und verbessert wird. Optimiert werden muss er, weil wir in Deutschland alleine ein Drittel der Energie benötigen, um die Wärme und den Strom für Gebäude bereitzustellen. Undichte Fenster, schlechte Dämmung, veraltete Heizungsanlagen – Altbauten können wahre Energiefresser sein. Wer renoviert, leistet auch deshalb einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz, weil er dafür sorgt, dass wir weniger Energie aus dem Fenster verheizen. Dem Staat ist bewusst, welch wichtige Rolle Renovierungen beim Klimaschutz spielen. Deshalb plant er auch in Zukunft Fördergelder dafür. Und Hand aufs Herz: Sie schauen sich doch auch gerne VorherNachher-Bilder von Umbauten an? Ein alter Bauernhof, der zu einem renovierten Schmuckstück wird. Ein alter Bungalow, der nach dem Umbau Loft-Charakter bekommt. Oft macht den Reiz das aus, was der Altbau vorgegeben hat. Massive Holzbalken, die freigelegt wurden, ungewöhnliche Grundrisse, die Platz für einen romantische Leseerker bieten: Ein Altbau zwingt uns, kreativ zu werden. Wenn Sie ein neues Zuhause suchen, geben Sie dem Bestand eine Chance. Ein Tipp zum Schluss: Sie machen es sich wesentlich einfacher, wenn Sie von Anfang an Architektinnen und Energieexperten (S. 94) einbinden. (mla)