Wenn Du Deine eigene Wahrheit besitzt, kannst Du sie verzerren wie du willst.
John David McAfee, 1945–2021, Unternehmer und Entwickler von Antivirensoftware
Architekturbiennale in Venedig
Biennale mit Grazer Beitrag Die Grazer Künstlerin und Architekturhistorikerin Azra Aksamija ist mit zwei herausragenden Arbeiten im venezianischen Arsenale bei der Architekturbiennale 2021 vertreten. Von Michael Petrowitsch
K
Fotos: Gage Skidmore, Thomas Fischer, Heimo Binder
omplexe Erscheinungsformen unserer Welt in lesbare und konsumierbare Aufbereitung zu übersetzen ist ein beschwerliches Ding. Gerade im Bereich der Kunst und der Architektur kommen gesellschaftspolitisch vertrackte Situationen allzu oft zu verklausuliert daher. Azra Aksamija ist da eine wohltuende Ausnahme. Wir trafen die Professorin am Bostoner MIT vor und mit ihren Arbeiten an den Eröffnungstagen der Biennale in Venedig und lassen uns einführen.
Du bist einerseits als Einzelkünstlerin vertreten, andererseits hast du mit deinem Team eine zweite Arbeit vorgelegt. Womit beschäftigst du dich gerade in deinen Arbeiten? Im Großen und Ganzen handelt es sich um eine symbolische Betrachtungsart von pluralistischen Gesellschaftsstrukturen. Eine der vielen Lesarten könnte etwa das Sichtbarmachen einer marginalisierten Schicht von Menschen sein. Eines der ausgestellten Projekte spricht über Menschen, die beispielsweise in der Bauindustrie und in der Architektur arbeiten, oder von Leuten, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind. Und historisch sichtbar machen lässt sich das anlassbezogen in der Globalisierung, die von Westen nach Osten ging, und damit landen wir schon in Venedig. Das war und ist ein Ort, an dem
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sich verschiedene Interessen entfalteten und entfalten. Teilweise erkennt man die Fragilität von natürlichem und kulturellem Erbe an den Figuren mit Helm, die aus Glas aus Murano sind. Diese Fragilität aus Glas in Blau zum Beispiel steht für die UN, die uns schützen sollte, die aber auch als fragil und zerbrechlich gezeigt haben. Die Arbeit historisiert zwei Zeitdimensionen, die historische und die zeitgenössische. Die Probleme, die die Architekturindustrie im Zusammenspiel des kulturellen Austausches wahrnimmt, die wir sehr stark aus Venedig kennen, sind eine Sache die wir mitnehmen können. Wir können eben von diesem kulturellen Erbe lernen. Mein persönlicher Zugang zur Kunst und Architektur kommt auch über die Wissensvermittlung, mir geht es in diesem Falle um klassische Aufklärung und um die Fragestellung, ob Kunst und Kultur die Welt positiv verändern können. Was treibt dich an? Ich bin eine Proponentin des kritischen Optimismus, wobei die ganze diesjährige Biennale diese Massage nach draußen schickt. Wenn wir so weitermachen und alles negativ sehen, können wir es eh vergessen. Wir können und müssen Menschen im kleinen Rahmen inspirieren. Wir können und sollen neue Horizonte öffnen und Probleme anders »erschauen«. So ist etwa die zweite Arbeit eine reine Intervention, die ich mit meinem Forschungs-
team erarbeitet habe. Die Biennale ist ein guter Kanal und ein Sound, um diese Stimmen von Unterdrückten an die Öffentlichkeit zu befördern. Es ist wohl komisch, das in einem wunderschönen Kontext zu machen, wenn du weißt, dass anderswo die Leute zerbombt werden. Und in den Flüchtlingslagern in Syrien tausende Leute sitzen. Und diesen Stimmen von Unterdrückten will ich eine Öffentlichkeit geben. Globale Foren und der intellektuelle Diskurs sind wichtig und das verstehe ich nicht als Egotrip, sondern als Brainstorming, wie im Titel und Motto der heurigen Biennale »How will we live together?« ohnehin zum Ausdruck kommt.
Lässt sich dieses Konzept auf jüngere Menschen übertragen? Wie sind denn deine Instrumentarien, das auf die nächste Generation an kritischen Mitmenschen weiterzugeben? Für Studenten, die noch nie ein Flüchtlingslager gesehen haben, ist das augenöffnend und das macht sie auf ihr eigenes Privileg aufmerksam, ein wenig umzudenken: Nämlich die Tatsache, dass sie Teil von einem globalen System von Ungerechtigkeit und Ausbeutung sind. Ich arbeite bewusst mit (!!!) meinen Studenten. Es geht nicht darum »White Savior« zu sein, sondern Blickwinkel zu öffnen. Gibt es aufgrund der Krise eine Art Rückwärtsentwicklung in Sachen Gerechtigkeit und Menschenrechte?