future 12: Future Work Skills

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D A S M A G A Z I N D E R F H S T .  P Ö L T E N

Ausgabe 12 · Juni 2020

FUTURE WORK SKILLS Welche Fähigkeiten sollen Hochschulen heute vermitteln, weil wir sie morgen brauchen? Ein Dossier über die gefragtesten Kompetenzen der Zukunft. Lunch in der Online-Mensa  ·  Computer-Power für den Impfstoff  ·  Zu Gast in Südafrika


I nha lt

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AKTUELL spusu-Akademie, Coronahilfe, Arbeitgeber*innenranking, Campus-Podcast und mehr

GEMEINSAM DURCH DIE KRISE Wie die Umstellung auf Fernbetrieb während Corona gelang

LUNCH IN DER ONLINE-MENSA Peers4You mit virtuellen Beratungs­ formaten während Corona

FORSCHUNG & PRAXIS #CoronaAlltag – sozialwissenschaftliche Feldforschung in Zeiten der Pandemie

COMPUTER-SUPER-POWER FÜR DEN IMPFSTOFF

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Von der Dolmetscherin zur TechnikExpertin: Anna Schürmann

HELLE KÖPFE Ausgezeichnete Leistungen an der FH St. Pölten

ZU GAST IN ... … Südafrika. FH-Absolventin Anna Voraberger studierte ein Jahr an der Stellenbosch University.

BLITZLICHTER Blockchain-Summit, Corona Kitchen und jede Menge virtuelle Konferenzen.

ST. PÖLTEN UND DIE WELT Die thailändische Gast-Forscherin Udsanee Pakdeetrakulwong bringt Blockchain und Bio-Eier zusammen.

AUCH DA STECKT FH DRIN

FUTURE WORK SKILLS

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Die FH St. Pölten unterstützt das Projekt Folding@home

IN DER PRAXIS

Dossier

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WAS HÄNSCHEN NICHT WISSEN KONNTE Über die Anforderungen der Arbeitswelt von morgen

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WÖRTLICH GENOMMEN

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WISSEN, WAS MORGEN ZÄHLT

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VORBEREITEN – ABER WORAUF?

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IHRE MEINUNG

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BLICK VON AUSSEN

Welche Eigenschaften suchen Sie bei Mitarbeiter*innen?

Projektbeispiele aus den aktuellen Curricula

Josef Weißenböck und Ulf-Daniel Ehlers im Doppelinterview

Wie beschäftigt Sie das Thema „Future Work Skills“? Eine Dozentin, ein Student und ein Lektor geben Auskunft.

Michael Köttritsch über den zeitlosen Wert von Herzensbildung, Allgemein­bildung und Begeisterung

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Impressum Herausgeberin: Fachhochschule St. Pölten GmbH, Matthias ­Corvinus-Straße 15, 3100 St. Pölten · Chefredaktion: Mag. Daniela Kaser, MAS · Redaktion: Mag. Mark Hammer, Jakob Leissing, MA · Fotos und Illustrationen: Shutterstock/vasabii/Egger & Lerch (S. 1, 13 –16, 18, 20, 21, 24, 25), Martin Lifka Photography (S. 3, 4, 7, 9), Peter Rauchecker (S. 3, 6), privat (S. 4), NLK Pfeiffer (S. 5), Notruf NÖ (S. 5), Fotoatelier Hermann Fuchsluger (S. 8, 12), Soza Jan (S. 10), FH St. Pölten (S. 12, 16, 22, 23), Josef Bollwein/www.flashface.com (S. 12), Rafael Fesel (S. 12), wavemakerglobal (S. 12), Deloitte feel­ image (S. 19), ÖBB/Andreas Jakwerth (S. 19), Rainer Friedl (S. 19), Susanne Krum (S. 22), kronehit (S. 23), Clemens Fabry (S. 25), Getty Images (S. 26), Anna Voraberger (S. 26, 27), Stellenbosch University (S. 27), FH St. Pölten/Carola Berger (S. 28), Michaela Moser (S. 28), Stefanie Prauchner (S. 29), FH St. Pölten/Mario Ingerle (S. 29), Suksawat Saelim (S. 30), FH St. Pölten/Florian Kibler (S. 31) · Grafik und Produktion: Egger & Lerch Ges.m.b.H., 1030 Wien · Druck: Gugler GmbH, 3390 Melk/Donau


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Edi to r i a l

FUTURE WORK SKILLS – DIE ZUKUNFT IST SCHON GEGENWART Vieles, was vor ein paar Monaten noch wie Zukunftsmusik klang, ist plötzlich Realität: Kaum jemand hätte es wohl für möglich gehalten, dass mit Ende März der gesamte Unterricht der FH St. Pölten auf Fernlehre umgestellt werden könnte. Es war eine unglaubliche Herausforderung für alle Beteiligten – die wir mit vereinten Kräften hervorragend gemeistert haben. Schon vor der Krise war klar, dass die digitalisierte Arbeitswelt ganz neue, eigene Ansprüche an die Hochschullehre stellt. Schließlich sollen die Lehrinhalte auch auf die Anforderungen der Berufswelt reagieren. Darum adaptieren wir an der FH St. Pölten laufend unser Studienangebot und unsere Lehrmethoden und kooperieren dabei gerne auch mit externen Partner*innen. So bieten wir u ­ nseren Studierenden eine zukunftsweisende Ausbildung mit besten Karrierechancen. Lesen Sie in der neuen Ausgabe von „future“, wie solche Future Work Skills am besten vermittelt werden und worauf es – wie wir glauben – jetzt und in Zukunft ankommen wird. Wir freuen uns über Ihr Interesse an unserem Magazin und wünschen eine spannende Lektüre! Dipl.-Ing. Gernot Kohl, MSc FH-Prof. Dipl.-Ing. Hannes Raffaseder FH-Prof. Dipl.-Ing. Johann Haag · Juni 2020


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Gutes Image FHK-Studie. Die österreichische Fachhochschul-Konferenz (FHK) ließ unter Führungskräften das Image von Fachhochschulen erheben. Wie schon bei einer vorangegangenen Querschnittsbefragung der Bevölkerung schnitten die Fachhochschulen auch hier sehr gut ab: Gut 3 ­Viertel (76 Prozent) der befragten öster­ reichischen Führungskräfte haben einen (sehr) guten Eindruck von Fachhochschulen. Mit Zustimmungs­ raten von 80 Prozent und darüber loben die Führungskräfte die guten Berufsaussichten, die Nähe zur ­W irtschaft und den Praxisbezug als besondere Stärken von Fachhochschulen.

Neue Studien­ gangsleiterin Medien und Wirtschaft. Im Herbst 2020 startet an der Fachhochschule St. Pölten das neue Bachelorstudium Management & Digital Business. Es bereitet Studierende auf eine Management-Karriere in nationalen und internationalen Unternehmen mit Fokus auf die digitalen Chancen und Herausforderungen der modernen Wirtschaft vor. Die Wirtschafts­ pädagogin und Bildungsexpertin Doris Kantauer wird den neuen ­Studiengang leiten. Kantauer setzte zuvor bei Microsoft Österreich digitale Transformationsprojekte mit Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Schulen um und leitete seit 2017 den Bildungsbereich des Unternehmens.

Podcast gestartet Campus Talk – der Wissens­ podcast der FH St. Pölten. Zukunftsweisende Forschung, innovative Lehre und spannende Ein­ blicke ins Hochschulleben: Mit dem neuen Podcast der FH St. Pölten sind Sie immer bestens informiert. Im zehnminütigen Wissensformat lernen Sie unter anderem, wie eine Blockchain funktioniert, was es mit Digitaler Ethik auf sich hat und warum Data Scientists besonders sexy sind. Der Podcast startet mit 2 Episoden pro Monat. Live-­ Diskussionen werden folgen. Abrufbar ist der Campus Talk auf allen Podcast-Plattformen und unter: podcast.fhstp.ac.at

Neues OnlineDiskussionsformat Inspiring Chats. Im Frühjahr ­startete die FH St. Pölten ein neues Diskussionsformat: die „Inspiring Chats – Ideen für die Zukunft zeigen neue Wege aus der Krise“. In dieser Serie von Chats können sich Interessierte online über aktuelle Themen austauschen, darunter: die Zukunft der Arbeit, der Regionen, der ­Produktion, der Bildung und der Mobilität. An den Vorträgen und ­Diskussionen sollen unter anderem CEOs von Leitbetrieben, Wissenschaftler*innen, Entwickler*innen, Studierende, Start-ups, Erfinder*innen und Künstler*innen teilnehmen. https://www.digitalmakershub.at/ inspiring-chats/

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Campus Talk

Beste Arbeitgeberin Arbeitgeber*innenranking. Die Zeitschrift „trend“ präsentierte in Kooperation mit Statista, kununu und Xing das Ranking der 300 besten Arbeitgeber*innen Österreichs des Jahres 2020. Die FH St. Pölten erreichte insgesamt Platz 10, im Bereich „Bildung und Forschung“ liegt sie auf Platz 1. Grundlage für das Ranking ist eine Befragung von Mitarbeiter*innen in mehr als 1.000 Unternehmen. Die FH St. Pölten setzt seit Jahren auf ein vielfältiges Maßnahmenprogramm, um die Arbeitsbedingungen attraktiv zu gestalten und laufend zu verbessern, unter anderem mit Projekten zum Employer Branding und zur betrieb­ lichen Gesundheitsförderung.


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CERN-Technologie für FH-Start-ups Studium und Forschung. ­Studierende niederösterreichischer Fachhochschulen waren im Februar beim Kernforschungszentrum CERN zu Gast, darunter auch 7 Studierende aus dem Department Informatik und Security der FH St. Pölten. Im Rahmen einer „CERN-BIC Screening Week“ e ­ r­arbeiteten die Studierenden gemeinsam mit Forscher*innen und ­Mentor*innen Ideen zur wirtschaft­ lichen Umsetzung von CERN-Knowhow und -Technologien, um sie in weiterer Folge zu Geschäftsmodellen zu entwickeln.

Studierende unterstützen Corona-Hotline Hilfe in der Krise. Die telefonische Gesundheitsberatung 1450 wird für die Bundesländer Niederösterreich, Burgenland und Kärnten vom Notruf Niederösterreich betreut. Um die gute Qualität bei einer steigenden Anzahl von Anrufen zu halten, stockte Notruf Niederösterreich das Personal vorüber­gehend um 40 Expert*innen auf, die aus verschiedenen Fachhochschulen und Universitäten mit pflegerisch-medizinischem Hintergrund rekrutiert wurden. Auch ­Studierende des Bachelorstudiums Gesundheits- und KrankenpflegePLUS der FH St. Pöl­ten unterstützen in arbeitsintensiven 12-Stunden-­ Schichten die Hotline. Zudem sind Studierende des S ­ tudiengangs bei „Corona-Drive-In-­Abnahmestellen“ und „mobilen Abstrich-Teams“ im Einsatz.

Auch Studierende der FH St. Pölten geben kompetent Auskunft bei der Notruf­ nummer 1450.

Veranstaltungen build.well.being – „Alexa Challenge for Wellbeing“ Online-Tagung zum digitalen Gesundheitswesen 09. bis 19.06.2020 Creative Media Summerschool und Industry Meets Makers Sommerschule und Hackathon 29.06. bis 03.07.2020 Jugenduni Young Campus 24. bis 28.08.2020 Arlt Symposium Fachtagung der Sozialen Arbeit zum Thema „sozial.digital | Hilfe! Wir digitalisieren uns“ 16. bis 17.09.2020 IT-SECX: IT Security Community Exchange Fachtagung zum Thema „Security Risk Economics“ 02.10.2020 Lange Nacht der Forschung 09.10.2020 9. Tag der Lehre zu „Digital Learning in Zeiten von Corona“ 22.10.2020

Ausbildung für IT-Fachkräfte

Auch Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner kam zur Eröffnung der spusu-Akademie.

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spusu-Akademie. Um dem ­bestehenden Fachkräftemangel in der IT-Branche entgegenzuwirken, ­startete der österreichische Mobilfunkanbieter spusu ein eigenes Nachwuchs-Programm, die spusu-­ Akademie. spusu kooperiert dabei mit der FH St. Pölten und der ­Ferdinand Porsche Fern-FH. Die FH St. Pölten steuert unter anderem einen Programmierlehrgang für Java zur spusu-Akademie bei.

Weitere Infos auf: fhstp.ac.at/events


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6 Gute Zusammenarbeit, auch in der Krise: Hannes Raffaseder, Gernot Kohl und Johann Haag

GEMEINSAM DURCH DIE KRISE Mit Beginn der Coronakrise musste die FH St. Pölten auf Fernbetrieb umstellen. Dass das gelang, liegt vor allem an der guten Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung, Kollegium, Departments und FH-Services. V O N

J A K O B

L E I S S I N G

Die FH St. Pölten trägt eine große Verantwor­ tung für über 3.400 Studierende, 360 haupt­ berufliche Mitarbeiter*innen und über 840 ­nebenberufliche Lehrende. „Die Ereignisse rund um die Eindämmung des Coronavirus haben uns als Fachhochschule natürlich vor große Herausforderungen gestellt. Gemeinsam mit unserem Krisenmanagement-Team, den Departments sowie den Service-Abteilungen haben wir die Umstellung vom regulären Lehr- und Arbeitsbetrieb auf einen Fernbetrieb bestens bewerkstelligt. Für den großartigen Einsatz aller Beteiligten bedanke ich mich herzlich“, so Gernot Kohl, Geschäftsführer der FH St. Pölten. DIREKTER DRAHT ZU DEN ­M ITARBEITER*INNEN Den direkten Draht zu den Mitarbeiter*innen hielt die Geschäftsführung über Newsletter und sogenannte Town-Hall-Formate aufrecht. „In diesen Skype-Konferenzen hatten alle Mit­­ arbeiter*innen die Möglichkeit, Fragen an die Geschäftsführung zu stellen“, so Kohl. Zudem unterstützte die FH St. Pölten aktiv zivilgesell­ schaftliches Engagement mit Freistellungen für Studierende und Mitarbeiter*innen, die sich zum freiwilligen Zivil- und Milizdienst meldeten.

ENGE ABSTIMMUNG MIT DEN STUDIERENDEN Und auch von den Studierenden wurde die Umstellung sehr gut angenommen. Hannes Raffaseder, Mitglied der Geschäftsführung der FH St. Pölten, zieht eine erste positive Bilanz: „Zentral für den reibungslosen Umstieg von Präsenzbetrieb auf Fernlehre war nicht nur unser bestens vorbereitetes Krisenmanagement-­ Team, sondern auch die enge Zusammenarbeit mit der ÖH. Alle Maßnahmen werden eng mit den Studierendenvertreter*innen abgestimmt – so waren die Studierenden immer bestmöglich informiert.“ FERNLEHRE UND VIRTUELLE ­S TUDIENBERATUNG Fernlehre, eLearning und virtueller Unterricht wurden über Nacht von Schlagworten zur gelebten Praxis: „Wir haben unseren Lehrenden die Infrastruktur sowie den technischen und didaktischen Support zur Seite gestellt. Ihr kreativer Umgang mit diesen Werkzeugen und die Bereitschaft, neue Lehrformate auszu­ probieren, hat mich in den letzten Monaten beeindruckt“, so Johann Haag, Mitglied der Geschäftsführung. Während der Unterricht für die bereits Inskribierten möglichst ohne Unterbrechung weiterlaufen sollte, war es auch wichtig, all jene zu informieren, die sich für ein Studium an der FH St. Pölten interessieren. „Wir haben unseren Tag der offenen Tür kurzer­ hand in den virtuellen Raum verlegt. Über 700 Besucher*innen haben an unseren online. infodays im April teilgenommen“, so Haag.


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GEMEINSAMER LUNCH IN DER ONLINE-MENSA Das studentische Beratungsformat Peers4You setzt während der Coronakrise auf virtuelle Angebote. V O N

J A K O B

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Auch Studierende kämpfen mit der aktuellen Situation: Kein fester Tagesablauf, nur selten kommt man aus den eigenen 4 Wänden, so­ziale Kontakte fallen weg. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus wirken sich auch auf das psychische Wohlbefinden aus. Genau hier setzt das Beratungsangebot Peers4You an.

Vielen Studierenden fehlt der Smalltalk zwischen den Vorlesungen. OnlineFormate wie die virtuelle Mensa schaffen Abhilfe.

„REDEN STATT SCHWEIGEN“ Unter dem Motto „Reden statt schweigen“ bietet Peers4You seit dem Frühjahr 2019 ein umfassen­ des Beratungsangebot von Studierenden für Studierende. Interessierte können via Mail, anonymem Kontaktformular oder durch das direkte Ansprechen eines Peers, also eines „Paten-Studierenden“, ein Beratungsgespräch vereinbaren. „Abgesehen vom direkten Kontakt können wir alle Hilfestellungen auch virtuell weiter anbieten. Zusätzlich haben wir für die Zeit des Social Distancing weitere virtuelle Formate auf die Beine gestellt“, erklärt die stu­ dentische Projektleiterin Jacqueline Zeilinger.

DIE MENSA IM WOHNZIMMER Die „Peers Show“ gibt in kleinen Video­bot­ schaften Hilfestellung zu aktuellen Themen wie Schlaf- oder Zeitmanagement. Und wer An­sprache sowie einen Fixtermin im Tages­ ablauf braucht, ist von Montag bis Freitag um die Mittagszeit willkommen in der virtuellen Mensa. Dort können sich Studierende während des Essens in verschiedenen „Räumen“ über selbst gewählte Themen austauschen, von anderen lernen und so die eigene Isolation durch­ brechen: „Es geht uns bei diesen Angeboten vor allem darum, das Gefühl zu vermitteln, nicht alleine zu sein. Der Kontakt zu den Studienkol­ leg*innen soll aufrechtbleiben“, betont Zeilinger. Damit dabei das ganz reale leibliche Wohl nicht zu kurz kommt, stellen Peers gemeinsam mit Studierenden und Dozent*innen aus dem Studiengang Diätologie auch einfache und gesunde Kochrezepte zur Verfügung. VORREITERROLLE IM ­FACHHOCHSCHULBEREICH Bei all diesen Aktionen kann die FH St. Pölten auf ein gut funktionierendes Netzwerk an bereits ausgebildeten Peers zurückgreifen – und nimmt somit eine Vorreiterrolle in Österreich ein. Kein Wunder übrigens, dass sich Peers4You gerade in Krisenzeiten bewährt, denn: „Das System kommt ursprünglich aus dem Bereich der Blaulicht­ organisationen, die Einsatzkräften ein nieder­ schwelliges Beratungskonzept mit geschulten Kolleg*innen anbieten wollten“, erklärt Martin Hochreiter, Fachverantwortlicher im Bereich IT & Infrastruktur an der FH St. Pölten. Gemein­ sam mit Elisabeth Weber-Schigutt (Dozentin am Department Soziales) und Sabine Fichtinger (Dozentin am Department Medien und Wirt­ schaft) hat er Peers4You 2018 ins Leben gerufen.

peers4you.fhstp.ac.at

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F o r sc hung & Pr a x is

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#CORONA-ALLTAG – SOZIALWISSENSCHAFTLICHE FELDFORSCHUNG IN ZEITEN DER PANDEMIE V O N

A S T R I D

Mag. (FH) Mag. Dr. Astrid Ebner-Zarl forscht am Institut für Medienwirtschaft der FH St. Pölten.

E B N E R - Z A R L

Auch die Sozialwissenschaften müssen in Zeiten von Corona Flexibilität beweisen: Denn die Krise wirkt sich auf die verfügbaren methodischen Möglichkeiten aus – und damit auf die ­Bandbreite von Problemstellungen, die bearbeitet werden können. Methoden wie Online-Surveys oder Inhaltsanalysen können zwar auch im Home­ office umgesetzt werden. Wo Feldforschung nötig ist, stehen die Sozialwissenschaften jedoch vor großen Herausforderungen. Nicht alles lässt sich in digitale Räume verlagern, v. a. wenn die zentralen Erkenntnisse aus ­Interak­tion, gemeinsamem Tun oder unmittel­ barer Beobachtung erwachsen. Beispiele aus unserer Forschung illustrieren das. KURZ VOR CORONA: DIGITALES ­B ETEILIGUNGSPROJEKT MIT JUGENDLICHEN Im Projekt „Gemeinsam in der digitalen Gesell­ schaft“ entwickeln Schüler*innen Online-­ Lernmaterialien über Auswirkungen von Digitalisierung weiter. Dabei soll zugleich die Medienkompetenz der Jugendlichen im Projekt und jene von Schüler*innen, die diese Lern­ materialien nutzen, gefördert werden. Während mehrtägiger Hackathons setzen die Schüler*in­ nen ihre Ideen um. Für Erfahrungswerte zur künftigen partizipativen Gestaltung von Lernmitteln wird der Prozess sozialwissen­ schaftlich begleitet, unter anderem durch teilnehmende Beobachtung. ZUSAMMENARBEIT MIT BÜRGER­W ISSENSCHAFTLER*INNEN Im Projekt „Trading Cultures“ untersuchten wir die Rolle von internationalen Medienmessen für den globalen Strom von Content und die Branchenidentität: Auf 6 Messen aus der Buch-, Musik- und Fernsehbranche beobachteten wir

den Handel, der dort stattfindet; die Frankfurter Buchmesse besuchten wir im Projekt „Inside Trading Cultures“ gemeinsam mit 12 Citizen Scientists ein zweites Mal. Wir haben das Glück, dass diese Projekte schon abgeschlossen sind oder die zentralsten Arbeitspakete vor der Coronakrise abgewickelt wurden. Andernfalls stünden wir in solchen Projekten schnell vor dem Nichts. SCHWIERIG: FORSCHUNG OHNE SOZIALES LEBEN Der Ausnahmezustand wird vermutlich andauern, bis ein wirksames Medikament oder ein Impfstoff gefunden wird. Für eine Wissen­ schaft, deren zentraler Gegenstand das soziale Leben ist, bedeutet dies methodische und thematische Einschnitte. Selbst nach der Rückkehr zu einer teilweisen Normalität ist fraglich, ob z. B. bei internationalen Großevents oder bei Forschung mit Schulklassen stets Sicherheitsabstände und hygienische Vorsichts­ maßnahmen eingehalten werden können; solche Vorhaben bleiben also noch länger undurch­ führbar. Andererseits sind gerade Wandlungs­ prozesse im sozialen Leben durch Corona wichtige Forschungsthemen, die wir aufgreifen sollten. Digitale Erhebungsmöglichkeiten stoßen aber auch hier an ihre Grenzen. Eine lange Version des Kommentars erschien als Beitrag zur Serie #CoronaAlltag bei APA Science: http://science.apa.at/ CoronaAlltag. Das Projekt „Gemeinsam in der digitalen Gesellschaft“ wird von der Innovationsstiftung Bildung/Public Science OeAD GmbH finanziert. Partner*innen sind die Private Neue Mittelschule Zwettl, die Hertha Firnberg Schulen für Wirtschaft und Tourismus und der Verein Digitale Bildungsgesellschaft. Die Projekte Trading Cultures und Inside Trading Cultures wurden vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert. Partner*innen waren der ORF, mica, Residenz-Verlag und mehrere europäische ­Hochschulen.

Mehr zu den Projekten auf research.fhstp.ac.at


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ojekts des Pr Aufruf g@home Foldin forschung: rona zur Co e.org gathom in ld fo / https:/ tzen unterstü eine e m o h m Link lding@ Wer Fo dt unter diese rgt dafür, so , lä möchte herunter. Sie m freie re m a w ra ft g o ro S as P g dass d rleistun Rechne kann. n e nutz

COMPUTER-SUPERPOWER FÜR DEN IMPFSTOFF Die FH St. Pölten stellt dem weltweiten gemeinnützigen Forschungsprojekt „Folding@home“ Rechnerleistung zur Verfügung. V O N

M A R K

BESSERE CHANCEN IN DER VIRUS-­ ENTSCHLÜSSELUNGS-LOTTERIE Warum diese Art der Unterstützung wesentlich ist? Greg Bowman, Biochemiker der Universität Washington und Leiter der Initiative, vergleicht die einzelnen Beträge zur gesamten Rechner­ leistung mit den Tickets einer Lotterie: Je mehr Tickets man kauft, umso höher die Chance auf einen Gewinn. Oder im übertragenen Sinn: desto höher die Wahrscheinlichkeit, schneller einen Wirkstoff gegen das Virus zu finden.

H A M M E R

„Folding@home“ ist ein Volunteer-Computing-­ Projekt für Krankheitsforschung, das die Pro­ teinfaltung und andere Arten von Molekular­ dynamik untersucht. Entwickelt wurde das Modell bereits im Jahr 2000 an der amerikani­ schen Stanford-Universität. Derzeit erforscht es die Proteinstrukturen des Coronavirus. Statt die Rechenleistung eines einzelnen Computers zu verwenden, wird dabei eine komplexe Aufgabe in Teilaufgaben aufgeteilt. Diese werden auf mehrere Rechner verteilt, um schneller eine Lösung zu finden. 15 MAL SCHNELLER ALS DIE 500 SCHNELLSTEN SUPERCOMPUTER Mitte April erreichte die kombinierte Rechen­ leistung von „Folding@home“ die fünfzehn­ fache Geschwindigkeit der 500 schnellsten Supercomputer der Welt. Eine beeindruckende Leistung, die dazu beitragen soll, möglichst rasch einen Impfstoff gegen Covid-19 zu finden. · Juni 2020

Um diese Computer-Super-Power zu generieren, suchen die Forscher*innen nach Personen und Unternehmen, die freie Rechnerleistung anbieten. Diesem Aufruf folgte nun auch die FH St. Pölten, die Computerkapazitäten aus ihren Netzwerklaboren zur Verfügung stellt.

FH-NETZWERKLABORE IM DIENST DER CORONAFORSCHUNG „Unsere Studierenden haben uns auf diese Initiative aufmerksam gemacht“, sagt Helmut Kaufmann, Leiter des Departments Informatik und Security der FH St. Pölten. „Die FH kann mit ihren leistungsstarken Netzwerklabors neben der Fernlehre auch die Kapazitäten aufbringen, um die Suche nach einem Mittel gegen das Coronavirus aktiv zu unterstützen – auch wenn es ‚nur‘ die notwendige Rechenleis­ tung ist.“ Zur Verfügung gestellt wird etwa freie Grafikleistung, ohne dass es dabei zu Verzöge­ rungen oder Ressourcenengpässen in den Laboren kommt, die derzeit in Fernlehre verwendet werden. „Wir leiten einfach die Rechenleistung bis zur nächsten regulären Nutzung durch die FH an die globale Forschungsinitiative weiter“, erklärt Daniel Haslinger, der das Projekt an der FH umgesetzt hat.

Mehr zur Forschung an der FH St. Pölten: research.fhstp.ac.at


I n de r Pr a x is

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Noch Fragen zu den Arbeitsabläufen bei Siemens? Anna Schürmann kann sie auf Deutsch, Englisch und Russisch beantworten.

Die Möglichkeit, Studium und Lehre zu kombi­ nieren, war für Anna Schürmann ausschlag­ gebend, noch einmal ein Bachelorstudium zu beginnen. „Nach dem Abschluss meines Dolmetschstudiums habe ich einfach noch eine Herausforderung gesucht. In der Schule sind mir Mathematik, Physik und Chemie immer leicht gefallen, und so war für mich klar, dass ich ein technisches Studium machen will“, erzählt die 24-Jährige. Die Kooperation zwischen der FH St. Pölten und Siemens ist das öster­ reichweit erste ausbildungsintegrierte Studium. Die Kombination aus Smart Engineering und Lehre bietet Schürmann die perfekte Kombina­ tion aus praktischer Berufsausbildung und wissenschaftlichem Studium.

DAS BESTE AUS 2 WELTEN Von der Dolmetscherin zur TechnikExpertin: FH-Studentin Anna Schürmann kombiniert das Bachelorstudium Smart Engineering mit einer Lehre zur Elektrotechnikerin bei Siemens. V O N

J A K O B

L E I S S I N G

BERUFSFELD ENERGIETECHNIKERIN Parallel zum Studium in St. Pölten absolviert Schürmann bei der Siemens Energy Austria GmbH die Ausbildung zur Elektrotechnikerin. Nach zweieinhalb Jahren schließt sie die Lehre mit der Facharbeiter*innenprüfung ab. Nach drei­einhalb Jahren hat sie zusätzlich den Bachelor of Science in Engineering in der Tasche – und damit beste Karrierechancen. „Momentan machen mir das Studium und die Arbeit bei Siemens sehr viel Freude. Ich kann mir gut vorstellen, auch nach dem Abschluss weiter bei Siemens tätig zu sein. Am liebsten im Bereich der Energietechnik“, so Schürmann. Energietechniker*innen errichten, warten und ent­wickeln in Kraftwerken die elektrische Infrastruktur. „Im Herbst waren wir einige Wochen bei der OMV und haben dort an konkreten Projekten gearbeitet. Dieser Bereich würde mich auch in Zukunft sehr interessieren“, erzählt Schürmann, die sich momentan im zweiten Semester ihres Studiums befindet.


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Smart Engineering studieren

ENGER WISSENSTRANSFER Nach einer intensiven Arbeitswoche bei Siemens ist Schürmann freitags und samstags an der FH St. Pölten und setzt sich dort mit den Grund­ lagen in den Bereichen IT, Elektrotechnik und Maschinenbau auseinander. Nach den ersten beiden Semestern gibt es die Möglichkeit, sich in den Bereichen Smart Manufacturing und

Nach dem Abschluss meines Dolmetschstudiums habe ich noch eine Herausforderung gesucht. Anna Schürmann

Smart Automation zu vertiefen. Ziel des Studiengangs ist es, Studierende für das interdisziplinäre Aufgabengebiet der Industrie 4.0 auszubilden und die Anwendung digitaler Technologien und innovativer Geschäftsmodelle mit modernster Industrieproduktion zu ver­ knüpfen. „Neben den Grundlagen lerne ich im Studium vor allem, wie man in verschiedenen Industriebranchen Probleme und Herausforde­ rungen identifiziert und mithilfe digitaler Technologien löst“, so Schürmann. FAIBLE FÜR TEAMARBEIT Wenn es darum geht, Lösungen für Problem­ stellungen zu finden, arbeitet Schürmann besonders gerne im Team. Dabei profitiert sie von der guten Durchmischung in ihrem Jahrgang hinsichtlich Alter, Berufserfahrung und Ausbildungsstand: „Einige haben eine HTL absolviert, einige stehen schon länger im Berufsleben und bringen eine dementsprechend große Erfahrung mit. Das ist ein großer Vorteil, wenn man sich zu Problem- und Aufgabenstel­ lungen austauschen kann und von der Erfah­ rung der Kolleg*innen profitiert.“ Auch an der FH steht der praxisorientierte Zugang zu den Lehrinhalten im Vordergrund. „Wir haben neulich mit einem Physical Computing Kit geübt und so spielerisch Erfahrungen mit dem Programmieren von Werkzeugen gesammelt.“ · Juni 2020

Virtual & Augmented Reality, das Internet der Dinge, Cyber-Security: Smart Engineering verknüpft die ­Herstellung von Produkten in der modernen Industrie mit digitalen Technologien und den dazugehörigen Geschäftsmodellen. In enger Ko­­ operation mit ca. 70 Partner­unter­ nehmen bildet der duale ­Studiengang Expert*innen im stark interdisziplinären Aufgaben­gebiet der „Industrie 4.0“ aus. Stets unter Berücksichtigung des wichtigsten Faktors in der ­Produktion – des Menschen.

KARRIERE IN DER INTERNATIONALEN ARBEITSWELT Obwohl die Freizeit durch das dichte Programm mit Lehre und Studium rar ist, nutzt ­Schürmann die Zeit gerne, um sich mit Freund*innen zu treffen oder ins Fitnessstudio zu gehen. Einmal im Jahr besucht sie auch ihre Mutter in Russland. Schürmann ist in Moskau aufgewachsen und spricht Russisch, Deutsch und Englisch. Obwohl sie eine Tätigkeit als Dolmetscherin nicht mehr interessiert, würde sie ihre Sprachkenntnisse in Zukunft gerne auch beruflich nutzen. „Sich in mehreren Sprachen verständigen zu können, ist definitiv ein großer Vorteil in einer internatio­ nalen Arbeitswelt“, so Schürmann. Mit der einzigartigen Kombination aus Studium und Lehre stehen ihr ohnehin alle Türen offen.


He lle Kö pfe

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A S T R I D

E B N E R - Z A R L

C H R I S T I A N

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F R E I S L E B E N - T E U T S C H E R

Abgeschlossene Dissertationen

Astrid Ebner-Zarl

Christian F. Freisleben-Teutscher

Astrid Ebner-Zarl, Forscherin am Institut für Medienwirtschaft der FH St. Pölten, und Christian F. Freisleben-Teutscher vom Service- und Kompetenzzentrum für Innovatives Lehren und Lernen (SKILL) der FH St. Pölten haben ihre Dissertationen abgeschlossen. Ebner-Zarl schrieb ihre Arbeit zum Thema: „Die Entgrenzung von Kindheit in der Mediengesellschaft“ im Fach Soziologie an der Johannes Kepler Universität Linz. Sie untersucht die These vom „Ver­ schwinden der Kindheit“ und die Wahrnehmung, dass die Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter zusehends brüchig geworden sind. Freisleben-Teutschers Dissertation „Lehren und Lernen mit Angewandter Improvisation: Förderung von Kooperation und Partizipation online und offline“ an der PH Heidelberg untersucht den Einsatz von Improvisationsmethoden und kreativen Herangehensweisen in der Hochschullehre. A R M I N

K I R C H K N O P F

U N D

M A G D A L E N A

S T E I N A C K E R

Gründerpreis für Lernquiz-App

Armin Kirchknopf

Magdalena Steinacker

Unsere Forschungsassistent*innen Armin Kirchknopf und Magdalena S ­ teinacker wurden für ihre Lernquiz-App Tenjin mit dem Creative Business Award 2020 von Niederösterreichs Gründeragentur riz up ausgezeichnet. Die Audience-­ Response-App Tenjin hilft, Quiz und Umfragen interaktiver und d ­ ynamischer zu gestalten. Studierende und Lehrbeauftragte setzen sie schon jetzt gerne beim Lernen und in der Vermittlung ein. Vorteile dieser Anwendung sind neben dem Management der Fragen die ansprechende Live-Visualisierung sowie die übersichtliche Ergebnistabelle. Die App ist frei verfügbar. tenjin.fhstp.ac.at C A R I N A

B A U M G A R T N E R

Vertreterin im Vatikan

Carina Baumgartner

Carina Baumgartner, Absolventin des Bachelorstudiums Soziale Arbeit an der FH St. Pölten, ist Mitglied im vatikanischen Jugendkomitee. Das Komitee berät das Dikasterium für Laien, Familie und Leben, eine der Zentralbehörden der römisch-katholischen Kirche, in Jugendfragen. Das Komitee setzt sich aus jungen Frauen und Männern zusammen, 6 aus Europa, 4 aus Süd­amerika, je 3 aus Afrika und Asien, 2 aus Nordamerika und je 1 Mitglied aus dem Nahen Osten und aus Australien. K A T H A R I N A

M E R K L E

Digital Superhero

Katharina Merkle

Im Jänner wurde in Wien erstmals der Digital Super Hero Award vergeben. Katharina Merkle, Absolventin der Studiengänge Media- und Kommunikationsberatung sowie Digital Media Management, ist eine der Digital Superheroes. Sie wurde in der Rubrik Media für ihre Arbeit in der digitalen Mediaberatung ausgezeichnet. Merkle arbeitet seit 11 Jahren in der Branche, derzeit als Director Digital Strategy bei der Agentur Wavemaker. Das Fachmedienportal Internet World Austria und der iab austria vergeben den Preis in Kooperation mit dem Hauptsponsor willhaben.


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Dossier

FUTURE WORK SKILLS 14

WAS HÄNSCHEN NICHT WISSEN KONNTE Über die Anforderungen der Arbeitswelt von morgen

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WÖRTLICH GENOMMEN

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WISSEN, WAS MORGEN ZÄHLT

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VORBEREITEN – ABER WORAUF?

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IHRE MEINUNG

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BLICK VON AUSSEN

Welche Eigenschaften suchen Sie bei Mitarbeiter*innen?

Projektbeispiele aus den aktuellen Curricula

Josef Weißenböck und Ulf-Daniel Ehlers im Doppelinterview

Wie beschäftigt Sie das Thema „Future Work Skills“? Eine Dozentin, ein Student und ein Lektor geben Auskunft.

Michael Köttritsch über den zeitlosen Wert von Herzensbildung, Allgemein­ bildung und Begeisterung

Gut gerüstet für die Jobs der Zukunft Dieser Tage sitzen viele von uns im Homeoffice. Die Digitalisierung der Arbeitswelt und sozialer ­Kontakte wurde noch nie so stark spürbar wie in den letzten Wochen. Leichter tun sich momentan all jene, bei denen digitales Know-how auf Sozial­ kompetenz trifft. Denn diese beiden sind „Future Work Skills“. So werden Fähigkeiten abseits des Fachwissens genannt, die Menschen – und damit auch unsere Absolvent*innen – in Zukunft am Arbeitsmarkt b ­ rauchen werden: lösungs- und projektorientiertes Denken, Kreativität und die Fähigkeit, auf Unvor­hergesehenes flexibel zu reagieren, Selbstmanagement, soziale Kompetenzen sowie interkulturelles und fächerübergreifendes Handeln. Diese Fähig­keiten braucht auch unsere Gesellschaft. Sie brauchte sie immer schon, doch heute umso mehr, um komplexen Herausforderungen wie dem ­Klimawandel zu begegnen – oder eben auch einer Pandemie. Wenn diese Future Work Skills von ­persönlichen Stärken wie Engagement und ­Begeisterung begleitet werden, umso besser: ­Solche Mitarbeiter*innen wünscht sich wohl jedes Unternehmen. Das Dossier dieses Magazins zeigt, wie stark die Future Work Skills an Bedeutung gewonnen haben und wie man sie gezielt trainiert. Wir stellen Projekte an unserer FH vor, die diese Kompetenzen vermitteln. Wir haben Verantwortliche von Unternehmen gefragt, welche Fähigkeiten sie an ihren Mitarbeiter*innen besonders schätzen, und präsentieren zum Thema außerdem persönliche Sichtweisen von Lehrenden, Studierenden und möglichen zukünftigen Arbeitgeber*innen. FH-Prof. Dipl.-Ing. Johann Haag Chief Operation Officer (COO) FH-Prof. Mag. Dr. Monika Vyslouzil FH-Kollegiumsleiterin

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WAS HÄNSCHEN NICHT WISSEN KONNTE Die Arbeitswelt verändert sich immer rascher. Auf welche Future Work Skills soll man sich heute vorbereiten, und wie können Hochschulen sie vermitteln? Eine Suche nach den gefragtesten Fähigkeiten der Zukunft. V O N

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In kürzester Zeit hat die Coronakrise unsere Arbeitswelt komplett auf den Kopf gestellt: Hochschulen verlagern von heute auf morgen den Großteil der Lehre auf digitale Formate. Homeoffice wird nicht nur salonfähig, sondern zum Gebot der Stunde. Besprechungen mit Kolleg*innen finden auf Online-Plattformen statt, Workflows und Informationsflüsse werden angepasst. Zumin­ dest gilt dies für jene Berufe und Arbeiten, die sich online durchführen lassen. Natürlich gibt es auch Arbeitsbereiche, für die der direkte persönliche Kontakt unverzichtbar ist – wie Handel, Gesundheitsversorgung oder Infra­ struktur. Und auch die 100-prozentige Fernlehre wird nicht von ewiger Dauer sein. Die Corona­ krise hat zudem die Diskussion angefacht, welche Jobs für die Gesellschaft am notwendigs­ ten sind, um zumindest auf Sparflamme zu funktionieren. Diese Diskussion wird wohl auch nach der Krise fortgeführt werden. Auch ohne Krise verändert sich die Arbeitswelt. Neue Technik, neue (Online-)Geschäftsmodelle und vieles mehr erfordern von Mitarbeiter*in­ nen neue Fähigkeiten. Das Sprichwort „Was

Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ ist in gewisser Weise noch gültig, wirkt aber in Zeiten des lebenslangen Lernens ein wenig überholt. Erwachsene Arbeitnehmer*in­ nen sind heute gefordert, sich ständig weiterzuentwickeln. Durch die sich rasch wandelnde Welt – Stich­ wort Digitalisierung – braucht Hans heute Fähigkeiten, von denen Hänschen, seine Lehrer*innen, Uniprofessor*innen und Men­ tor*innen vor Jahrzehnten und sogar vor wenigen Jahren noch keine Ahnung hatten. Menschen mittleren Alters können sich noch daran erinnern, wann sie ihr erstes Mail geschrieben oder ihr erstes Handy benutzt haben. Das Faxgerät ist aus fast allen Büros verschwunden, dafür sollte man wissen, was ein Boomerang auf Instagram kann. ZUKÜNFTIGE FÄHIGKEITEN FÜR ZUKUNFTSFÄHIGKEIT Fachwissen bleibt wichtig. Das steht nicht zur Diskussion. Als Work Skills der Zukunft, ohne die es im Job nicht geht, gelten aber kritisches Denken, Kreativität, Problemlösungskompe­ tenz, Selbstmanagement, emotionale Intelli­ genz, Kommunikationsfähigkeit sowie das Fortsetzung auf Seite 16


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15 %

aller Xing-Mitglieder arbeiten in Berufen, die erst nach dem Jahr 2003 entstanden sind. Xing-Umfrage, zitiert in www.derbrutkasten.com/new-work-trends

+27 % Um

stieg die Anzahl der Jobs im Dienstleistungssektor weltweit zwischen 1995 und 2015. Die Anzahl der Jobs im produzierenden Bereich ging im gleichen Zeitraum um

-20 %

zurück.

www.oecd.org/future-of-work

57 %

aller Xing-Mitglieder fühlen sich durch Trainings und Weiterbildungen, die aktuell im eigenen Unternehmen angeboten werden, nicht ausreichend auf die fortschreitende Digitalisierung vorbereitet. Xing-Umfrage, zitiert in www.derbrutkasten.com/new-work-trends

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Erwachsenen verfügen nicht über die notwendigen Fähigkeiten in Computerund Kommunikationstechnologien (IKT) für zukünftige Jobs. www.oecd.org/future-of-work

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erfolgreiche Arbeiten in interdisziplinären und internationalen Teams. Die Studiengänge der FH St. Pölten fördern all diese Fähigkeiten mit vielen Projekten (mehr dazu auf Seite 20). Laut Monika Vyslouzil, der Leiterin des Kollegiums der FH St. Pölten, lässt sich die Frage nach den Future Work Skills nicht auf den Ausbildungs­ bereich oder gar die Welt der Fachhochschulen beschränken. Die Studiengänge der FH bewegen sich per se sehr nah an den Erfordernissen der Praxis und Bedürfnissen der Arbeitswelt, was Vyslouzil zufolge ein generelles Qualitätsmerk­ mal des Studiums an einer Fachhochschule ist. Indem sie die Lehre mit anwendungsorientierter Forschung verbindet, stattet die FH St. Pölten ihre Studierenden mit den besten Fähigkeiten für die Zukunft aus. Entscheidend ist laut Vyslouzil im Kontext der Future Work Skills auch die Fähigkeit, flexibel auf Umbrüche zu reagieren, sei es Digitalisie­ rung oder Klimawandel oder – ganz aktuell – eine unvorhersehbare gesundheitliche Krisen­ situation. Und auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit beim Lösen von Problemen gilt in solchen Situationen als Future Work Skill. „Interdisziplinarität wird bei uns großgeschrie­ ben. Durch die unterschiedlichen Departments ergeben sich optimale Möglichkeiten übergrei­ fender Lehrveranstaltungen und Projekte, die das Lernen über den eigenen Horizont hinaus ermöglichen und damit eine wertvolle Grund­ lage für die Offenheit in der interdisziplinären Zusammenarbeit im Beruf legen“, erklärt Vyslouzil. Um die großen Aufgaben der Gesell­ schaft zu lösen, brauche es kritische Geister, die sich an den Vorgaben der Vereinten Nationen orientierten, um nachhaltige Entwicklungsziele

Vernetztes Denken, Kommunikationsfähigkeit und Kreativität: 3 Soft Skills, die in der Arbeitswelt der Zukunft immer wichtiger werden.

I nterdisziplinarität wird bei uns großgeschrieben. Durch die unterschiedlichen Departments ergeben sich optimale Möglichkeiten übergreifender Lehrveranstaltungen und Projekte, die das Lernen über den eigenen Horizont hinaus ermöglichen. FH-Prof. Mag. Dr. Monika Vyslouzil, Leiterin des FH-Kollegiums

eim projektorientierten Lernen B erkennen Studierende, dass ihr Lernerfolg mit der Fähigkeit zu Eigeninitiative, Eigenmotivation, Teamarbeit und Kooperations­ bereitschaft zusammenhängt. Mag. Dr. Josef Weißenböck, Leiter des Service- und Kompetenzzentrums für Innovatives Lehren und Lernen (SKILL) der FH St. Pölten


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Preisgekröntes Wahlmod u l zu erreichen, und dabei im Lernen und Handeln flexibel blieben. „Wir haben in unseren Geneh­ migungsleitfaden zur Entwicklung neuer und Überarbeitung bestehender Studienprogramme viele Hinweise aus internationalen Unterlagen sowie eigenen Erfahrungen eingearbeitet“, so Vyslouzil. LERNEN AUS DER KRISE Der Wandel der Lebens- und Arbeitswelt wird angetrieben von globalen gesellschaftlichen, ökonomischen und technologischen Entwick­ lungen. „Dieser Wandel durch die Digitalisie­ rung erfolgt nicht kontinuierlich und fließend, sondern bringt disruptive Veränderungen mit sich, er umfasst die gesamte Wertschöpfungs­ kette“, sagt Wilhelm Brandstätter von der Sektion für Universitäten und Fachhochschulen im Bundesministerium für Bildung, Wissen­ schaft und Forschung. Dies bedeute nicht nur neue und höhere Anforderungen an die techno­ logischen und digitalen Fähigkeiten der Beschäftigten, sondern auch hinsichtlich der geforderten Soft Skills. Die wachsende Kom­ plexität und Vernetztheit erfordere nicht nur höhere fachliche Qualifikationen, sondern Mitarbeiter*innen müssten in Zukunft noch anpassungsfähiger, flexibler, kreativer und teamfähiger sein als bisher. Zudem sollten sie vernetzt denken können und interkulturelle Kompetenz mitbringen.

Interdisziplinär und international – das iLab der FH St. Pölten Seit dem Wintersemester 2018/19 bietet die FH St. Pölten als innovatives Wahlmodul das Interdisciplinary Lab (iLab) an. Im iLab setzen sich ­Studierende in interdisziplinären und internationalen Teams ein Semester lang intensiv mit einem praxisrelevanten Projekt auseinander – von der Idee bis zur Umsetzung. Sie beschäftigen sich mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen und erlangen einen erweiterten Blick auf die Fach­ disziplin, die ihrem Studium zugrunde liegt. Bei der Umsetzung der konkreten Projekte können die ­Teilnehmer*innen zugleich auch ihre fachlichen und überfachlichen Kompetenzen schärfen. „Unsere täglichen Lebensbereiche sind in noch nie dagewesener Weise von digitalen Technologien und wissenschaftlichen Erkenntnissen durchdrungen. Diese sollen es uns ermöglichen, die vielfältigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen, stellen uns aber auch vor neue, oft unvorhergesehene Probleme. Im iLab wenden Studierende Fachwissen in Teams und in der Praxis an. Die Projekte fördern Eigenständigkeit und Selbstmanagement. Damit schärfen und vertiefen sie Fähigkeiten, die in Zukunft am Arbeitsmarkt sehr gefragt sein werden“, erklärt Alois Frotschnig, Leiter des Departments Medien und Digitale Technologien der FH St. Pölten und Initiator des iLabs. 2019 wurde das iLab mit dem „Ars Docendi“Staats­preis für exzellente Lehre in der Kategorie „Kooperative Lehr- und Arbeitsformen“ ausge­ zeichnet.

„Durch die weltweite Covid-19-Pandemie wird deutlich, wie sehr Wirtschaft und Gesellschaft global vernetzt sind, welche ungeheure Bedeu­ tung die Digitalisierung für das Funktionieren der Gesellschaft und die Entwicklung von Lösungsstrategien hat, Stichwort Data Science. Lösungsstrategien, auch das wird in der Krise besonders sichtbar, erfordern Kooperation, auch über nationale und kulturelle Grenzen hinweg“, sagt Brandstätter.

die den unterschiedlichen Bedürfnissen und Lebensrealitäten der Studierenden angepasst sind“, so Brandstätter.

DAS LEHREN, WAS MORGEN ZÄHLT Damit sich (Fach-)Hochschulen auf diese Situation einstellen und entsprechend ausbil­ den können, brauchen sie laut Brandstätter neben der Präsenzlehre neue Lernorte, virtuell und physisch. „Die zunehmende Diversifizie­ rung der Studierenden erfordert vielfältige Angebote, aber auch flexible Programme und die Entwicklung neuer Lehr- und Lernformate,

Der österreichische Hochschulsektor, und gerade auch der Fachhochschulsektor, hätten hier viele Best-Practice-Beispiele vorzuweisen, sei es in der Entwicklung innovativer Studien­ modelle wie etwa der dualen Studienpro­ gramme, in denen ein Ausbildungsbetrieb als zusätzlicher Lernort in die Ausbildungspartner­ schaft quasi „hereingeholt wird“, oder durch innovative Lehr- und Lernformen, bei denen

fhstp.ac.at/ilab

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projektbasiertes Lernen in internationalen Teams erfolgt und so reale Bedingungen der Arbeitswelt im Studium erprobt und erlernt werden. Auch die Förderung unternehmeri­ schen Denkens und die Unterstützung von Start-ups zählen für Brandstätter dazu. In allen diesen Bereichen gehört die FH St. Pölten zu den Vorreiter*innen unter den Bildungs­ institutionen, etwa durch das eigene Start-upProgramm „Creative Pre-Incubator“, das Interdisciplinary Lab (iLab, siehe Seite 17) und den Einsatz innovativer Lehrmethoden. Das Service- und Kompetenzzentrum für Innovatives Lehren und Lernen (SKILL) der FH St. Pölten unterstützt Lehrende dabei, innovative Lehr­ methoden zu erproben. Ein Ansatz ist das projekt­orientierte Lernen. „Es schafft einen optimalen Rahmen, in dem zweierlei möglich wird: Studierende profitieren in der Teamarbeit von der Vielfalt der Gruppe und können indivi­ duelle Fähigkeiten einbringen, im Team lernen und an den eigenen Kompetenzen arbeiten. Und sie erkennen, dass ihr Lernerfolg mit der Fähigkeit zu Eigeninitiative, Eigenmotivation, Teamarbeit und Kooperationsbereitschaft zusammenhängt“, sagt SKILL-Leiter Josef Weißenböck.

Linktipps Service- und Kompetenzzentrum für Innovatives Lehren und Lernen (SKILL) der FH St. Pölten skill.fhstp.ac.at Studie Future Works Skills 2020 des Institute for the Future (IFTF) www.iftf.org/futureworkskills „The Future of Work“: Themenseite der OECD www.oecd.org/future-of-work Mehrere Berichte des World Economic Forum befassen sich mit dem Thema „Future of Jobs“ www.weforum.org/reports

STUDIENGÄNGE ENTWICKELN – MIT BLICK NACH VORNE Die Entwicklungsteams für neue Studiengänge und die Studiengangsleitungen bestehender Studiengänge an der FH St. Pölten legen großen Wert darauf, diese sogenannten Future Work Skills zu vermitteln und in den Studien­ programmen und Unterrichtsmethoden zu berücksichtigen. Unterstützt werden sie dabei vom FH-Service Hochschulentwicklung. „Wir fragen Unternehmen und Praktikumsanbie­ ter*innen nach dem Bedarf an Kompetenzen außerhalb des konkreten Fachs und bitten um einen Ausblick in die Zukunft. Die Future Work Skills passen zum Konzept der Kompetenzorien­ tierung, das wir verfolgen: Alle Curricula der

Die Future Work Skills passen zum Konzept der Kompetenzorientierung, das wir verfolgen. Mag. Dr. Katalin Szondy, Leiterin des FH-Service Hochschulentwicklung

Studiengänge sollen in ihren Lehrveranstaltun­ gen und Modulen 4 Kompetenzen vermitteln, die letztendlich die Handlungskompetenz der Absolventinnen und Absolventen stärken“, sagt Katalin Szondy, Leiterin des FH-Service Hoch­ schulentwicklung der FH St. Pölten. Zu diesen Kompetenzen gehören neben der Fachkompe­ tenz (Fachwissen) auch die Methodenkompe­ tenz (etwa darüber, wie man Wissen erwirbt) sowie die Sozialkompetenz und Selbstkompe­ tenz. Letztere umfasst neben Einstellungen, Motiven und Wertehaltungen etwa Selbstwahr­ nehmung und Selbstorganisation. Laut Szondy erweisen sich vor allem duale Studiengänge als besonders gut geeignet für die Vermittlung der Future Work Skills. Studierende dieser Studien­ gänge profitieren davon, dass hier Theorie und Praxis besonders eng verzahnt sind und Unternehmen als zweite Lernorte eingebunden werden.

Duale Studiengänge kombinieren Theorie und Praxis – und vermitteln die Future Work Skills besonders gut.


Wörtlich genommen

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Welche Eigenschaften wünschen Sie sich heute von Mitarbeiter*innen, welche werden es in 10 Jahren sein?

Durch die Digitalisierung und durch technologische Innovationen verändern sich Berufsbilder und deren Anforderungen laufend. Dadurch sind Flexibilität und eine schnelle Auffassungsgabe gefragt. Neben der fachlichen Entwicklungsbereitschaft darf emotionale Intelligenz im schnellen Wandel nicht vernachlässigt werden. Kommunikationsstärke und die Fähigkeit, Bedürfnisse von Menschen zu erkennen und darauf einzugehen, sind auch in Zukunft essenziell. Katharina Wolf, MA ist als HumanResource-Expertin bei Deloitte Ansprechpartnerin für alle Personalthemen. Sie begleitet Karrierewege in den Bereichen Risk Advisory sowie Financial Advisory.

Man kann in jedem Beruf Großes erreichen. Voraus­ setzung ist, dass ein Beruf auch eine Berufung ist. Die Basis ist eine ­K ombination aus theoretischer und praktischer Ausbildung. Das heißt auch, sich nicht auf einen Karriereweg fest­ zulegen, sondern für mehr Möglichkeiten offen zu sein und sich zu engagieren. Emotionale Intelligenz, Problemlösungskompetenz, kritisches Denken und Entwicklungsbereitschaft sind die Top-Skills – heute und in Zukunft. Ing. Mag. (FH) Andreas Matthä ist Vorstandsvorsitzender (CEO) der ÖBB Holding.

Gute Mitarbeiter*innen erkennt man an den folgenden nicht taxativ aufgezählten Eigenschaften, die neben einer entsprechenden fachlichen Qualifikation heute und auch in 10 Jahren unerlässlich für den Unternehmenserfolg sind: Sie erledigen Dinge, auch wenn sie nicht zu ihrer Stellenbeschreibung gehören, sie können durchaus sonderbar (exzentrisch) sein, sie wissen, wann man sich zurücknimmt, sie loben andere Mitarbeiter*innen, sie hinterfragen den Status quo und sie hassen Stillstand. Mag. Gerda Krumböck ist Personal­ leiterin des Pressehauses in St. Pölten (NÖN/BVZ) und nebenberufliche Lektorin an der FH St. Pölten.

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WISSEN, WAS MORGEN ZÄHLT Der Titel dieses Textes ist zugleich das Credo unserer Werbemaßnahmen – und das Kernziel unserer Studien- und Lehrgänge: Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln, die in Zukunft am Arbeitsmarkt gefragt sind. Die folgenden Projektbeispiele zeigen, wie unsere Lehrenden Future Work Skills in die Curricula einbetten. V O N

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Sommerliche ­IdeenErnte in München

Videokonsultationen und ­ virtuelle Patient*innen Die Studiengänge Physiotherapie und Digital Healthcare befassen sich ­intensiv mit kommenden Formen der Telerehabilitation und der digitalen Kommunikation im medizinischen Bereich. Während der Ausbildung ­entwickeln die Studierenden Kom­ munikationskanäle für das Training daheim oder für den sozialen Austausch unter Senior*innen. Zugleich bereiten sie sich selbst auf Telearbeit und V ­ ideokonsultationen vor. Um Patient*innen besser versorgen zu können, wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gesundheits- und Sozial­ berufen immer wichtiger. Um zukünftige Fachkräfte schon während des Studiums darauf vorzubereiten, hat die FH St. Pölten das interprofessionelle Lehrprojekt PROMISE gestartet. Hier arbeiten Studierende der Diätologie, Physiotherapie, Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Sozialen Arbeit gemeinsam an ­konkreten Fallbeispielen.

Die (angehenden) Diätolog*innen an der FH St. Pölten trainieren ihre Fähigkeiten übrigens auch an vir­ tuellen Patient*innen. Die Lehrver­ anstaltung „Leadership und digitale ­Innovation“ für die Studiengänge ­Physiotherapie und Diätologie stärkt innovatives ­Denken und Handeln, und ein inter­disziplinär ausgerichtetes Idea Lab ­vermittelt digitales Knowhow anhand digitaler Medien und Anwendungen wie Ernährungs-­Apps. Und: Das neue Curriculum des Studien­gangs ­Diätologie verstärkt die zukünftig gefragten Skills kritisches Denken, emotionale ­Intelligenz, kulturenübergreifende Kompetenzen und Trans­disziplinarität.

Im Laufe des Studiums am Department Medien und Wirtschaft entstehen viele neue Ideen – oft auch ganz unabhängig von Impulsen, die in den Lehrveranstaltungen gesetzt werden. Regelmäßig fehlt allerdings im Unterricht die Zeit, solche Ideen konsequent zu Ende zu denken. Hier setzen das Start-upCamp und eine Lehrveranstaltung zum Thema Kreativität an, in deren Rahmen Projekte weiter­entwickelt und fallweise auch konkret umgesetzt werden können. Dazu steht jedes Jahr eine ganze Woche zur Verfügung, in der die Studierenden von 6 bis 8 Coaches aus unterschiedlichen Bereichen der ­W irtschaft unterstützt werden – und das ganz bewusst an einem Ort außerhalb der FH St. Pölten, nämlich in München. Die Coaches sollen vor allem Möglichkeiten aufzeigen und Denkanstöße ­liefern. Unter ihrer ­fachlichen Anleitung entwickeln ­Studierende ihre Ideen für Start-ups und Initiativen weiter – und setzen so projektbasiertes Lernen in der ­Praxis um.


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Mit Plan und Spiel gefragte Unter­nehmenskompetenzen erwerben Das reale Planspiel „Wie gründe ich ein Eisenbahnunternehmen“ im ­Masterstudium Bahntechnologie und Management von Bahnsystemen ­vermittelt wichtige unternehmerische Kompetenzen. Aufgaben im realitätsbezogenen Setting sind das Design und die Umsetzungsstrategie eigener Geschäftsideen im Bahnwesen. Die Studierenden nehmen dabei verschie-

dene Rollen von Playern im System Bahn ein. Sie trainieren unter­ nehmerisches Denken, den Aufbau von Kooperationen, das Handeln in vor­gegebenen, aber selbst gewählten Rollen, die geschäftsmäßige Inter­ aktion mit Partner*innen, Konkurrent*innen, Behörden und Kund*innen und das professionelle Präsentieren ihrer Vorgangsweisen. Oberstes Ziel sind das Verknüpfen von Infrastrukturund Absatzbereichen und ein tiefgehendes Systemverständnis. Deshalb wurde die Lehrveranstaltung „von ­hinten nach vorne“ designt: Welche Kompetenzen sollen erworben ­werden, welche Lehrform ist dafür ­geeignet und wie lassen sich die Inhalte prüfen?

Schlüsselkompetenzen in technischen Berufen Mit den beiden Studiengängen IT Security und Information Security ­bietet die FH St. Pölten eine konse­ kutive 360-Grad-Ausbildung in allen wesentlichen Schwerpunkten der ­IT-­Sicherheit. Seit 2015 werden die ­Curricula laufend weiterentwickelt, um neben dem F ­ achwissen systematisch auch neue Schlüsselkompetenzen in die Lehrveranstaltungen zu integrieren. Die Leistung der Studierenden in ­diesen Schlüsselkompetenzen fließt in die Gesamtnote der jeweiligen Lehrveranstaltung ein. Es handelt

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sich dabei um Methodenkompetenzen (z. B. Analy­se- und Synthesefähigkeit), Sozialkompetenzen (z. B. Kooperations- und K ­ ommunikationsfähigkeit) sowie Selbst­­kompetenzen (z.  B. Selbst­­ management und ethisches Bewusstsein). Diese Skills werden zuvor von Expert*innen vermittelt und gefördert und sollen die Absolvent*innen auf eine dynamische Arbeitswelt vorbereiten.

Mehr Persönlichkeit, mehr ­Professionalität Das Bachelorstudium Soziale Arbeit umfasst ein Modul zur Persönlichkeits­ entwicklung, das Studierende vom ersten bis zum sechsten Semester begleitet. Unter dem Titel „Professionelle Entwicklung“ fördert dieses ein reflektiertes Selbstverständnis der eigenen professionellen Persönlichkeit. Dazu gehört neben der Reflexion der eigenen Entwicklung unter anderem, den Blickwinkel anderer zu ­verstehen oder eine übergeordnete ­Perspektive auf „das große Ganze“ einzunehmen. Die Persönlichkeits­ entwicklung bildet dabei einen gleichwertigen Baustein neben anderen Studieninhalten wie Praxisschwerpunkten oder Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens.

Blog zum Thema An der FH St. Pölten gibt es viel mehr Projekte, Lehrveranstaltungen und Initiativen zu Future Work Skills, als hier angeführt werden können. Weitere Beispiele finden sich im Blog des Service- und Kompetenzzentrums für Innovatives Lehren und Lernen (SKILL): https://skill.fhstp.ac.at/tag-der-lehre


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VORBEREITEN – ABER WORAUF?

Professor Dr. phil. habil. Ulf-Daniel Ehlers ist Professor für Bildungs­ management und Lebenslanges Lernen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg.

Warum wir Future Work Skills brauchen: Josef Weißenböck von der FH St. Pölten und Ulf-Daniel Ehlers von der dualen Hochschule Baden-Württemberg im Doppelinterview über Schlüsselkompetenzen, nachhaltige Lehrmodelle und den notwendigen Kulturwandel in der Lehre. V O N

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Der Begriff „Future Work Skills“ ist in aller Munde: Was ist damit überhaupt gemeint?

Mag. Dr. Josef Weißenböck ist Leiter des FH-Service SKILL (Service- und Kompetenz­ zentrum für Innovatives Lehren und Lernen).

Ulf-Daniel Ehlers: Es wird schon seit den 1980erJahren verstärkt diskutiert, ob das Zusammen­ spiel zwischen dem Lehrangebot von Hochschu­ len und den aktuellen Jobanforderungen noch stimmt. In der Forschung war die Rede von „gradual attributes“, „key competences“ und „21st century skills“. Heutzutage sprechen wir von Future Work Skills. Diese Diskussion ist also keine neue, allerdings muss man sagen, dass der Ruf nach Future Work Skills durch die aktuellen gesellschaftlichen Umbrüche in einer digitalisierten Welt immer lauter wird. Es stellt sich die Frage: Wie bereiten wir Menschen auf den zukünftigen Jobmarkt vor, wenn wir nicht wissen, wie genau der aussieht? Wir haben für Future Work Skills 17 verschiedene Profile definiert, die sich auf 3 Bereiche aufteilen: subjektive, objektive und organisations- oder sozialbezogene Kompetenzen. Beispiele sind etwa Selbstmanagement, Agilität in Bezug auf die soziale und organisationale Umwelt und Kooperationsfähigkeit. Josef Weißenböck: Das althergebrachte Modell von klaren Berufsfeldern, für die wir Curricula designen, wird in den nächsten Jahren wegbre­ chen. Ich merke bei den aktuellen Curriculums-­ Entwicklungen an der FH St. Pölten, dass das Thema Future Work Skills bei den wesentlichen Playern sehr präsent ist und vor allem von

unseren Kooperationspartnern aus der Wirt­ schaft stark eingebracht wird. Vor einigen Jahren waren wir hier als hochschuldidaktische Expert*innen noch die treibende Kraft. Verste­ hen Sie mich nicht falsch: Fachkompetenz wird auch weiterhin wichtig sein. Aber der beruf­liche Erfolg von Absolvent*innen wird immer stärker von Future Work Skills abhängig sein. Neben­ bei bemerkt: In unserem Umfeld und in den Branchen, für die die FH St. Pölten aus­bildet, werden diese Skills jetzt schon ein­gefordert. Wir sollten dazu übergehen, von Contemporary Work Skills zu sprechen.

Wird in der Diskussion mit zu vielen Schlag­ wörtern hantiert? Ist der Hype um Future Work Skills gerechtfertigt? Ehlers: In der Diskussion um Bildungssysteme gibt es immer Schlagwörter. Die kommen meistens nicht als klar definierte Begriffe daher, sondern sind Leitmarken und Bündel an Konzepten. Das ist beim Thema Future Skills auch so. Bildung bekommt aus verschiedenen Gründen einen immer wichtigeren Stellenwert. Deswegen ist auch die Diskussion darüber, wie Bildung zu konzipieren ist, zentral: Wie können wir möglichst vielen Menschen gesellschaft­ liche Mitwirkungsmöglichkeiten bieten? Weißenböck: Zum Hype will ich grundsätzlich bemerken, dass es eine gute wissenschaftliche Praxis ist, jeden Hype kritisch zu hinterfragen. Fortsetzung auf Seite 24


Ihre Meinung

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Let‘s talk about ... Future Work Skills Unser Cover-Thema bedeutet für jede*n etwas anderes. Wir haben persönlich nachgefragt: 3 Dinge, die in Ihrem Job jede*r können muss? Sind „Future Work Skills“ für Sie ein Thema? Wie bleiben Sie fit für die Arbeitswelt der Zukunft?

3 Skills: Diätolog*innen arbeiten mit Menschen. Neben den fach­ lichen Fähigkeiten sind soziale Kompetenz, hohe Belastbarkeit und gute Kommunikationsfähigkeit wichtig. Lebenslanges Lernen ist Voraussetzung, es gibt sogar eine berufsrechtliche Fortbildungspflicht. Thema: Das beschäftigt uns selbstverständlich, denn wir bilden unsere Studierenden für die Zukunft aus! Das Gesundheitswesen ­verändert sich stark. Daher müssen sich Diätolog*innen auch anpassen und verändern. In der Ausbildung werden die Curricula regelmäßig evaluiert und an künftige Erfordernisse angepasst. Arbeitswelt der Zukunft: Indem ich neugierig und offen bleibe für Neues wie neue Technologien oder Digitalisierung. Aktuell zeigt uns die Coronakrise, wie rasch sich die Arbeitswelt verändern kann. FH-Prof. Daniela Wewerka-Kreimel, MBA ist Diätologin und arbeitet als Dozentin im Department Gesundheit an der FH St. Pölten. Sie ist Mitglied einer Arbeitsgruppe von Spezialist*innen der European Federation of the Associations of Dietitians (EFAD).

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3 Skills: Ich engagiere mich gerade in einem Gastro-Social-­ Business. Dort brauche ich Durchhaltevermögen, Flexibilität, Experimentierfreudigkeit und Akzeptanz des Nicht-Wissens. Thema: Ich bin in keinem klassischen Handlungsfeld – insofern gelten viele Dinge, die ich gelernt habe, für meinen Job nicht. In konkreten Situationen muss ich individuell und flexibel (re)agieren, Patentrezepte gibt es nicht. Arbeitswelt der Zukunft: Wer etwas verändern oder neue Strukturen aufbauen möchte, muss Dinge ausprobieren. Vieles wird nicht funktionieren und das muss man aushalten. Man muss auch die Einstellung ablegen, dass man sowieso weiß, wie die Welt funktioniert. Niemand ist allwissend. Michael Hiesinger, BA absolvierte das Bachelorstudium Soziale Arbeit an der FH St. Pölten. In seiner Abschlussarbeit beschäftigte er sich mit der motivierenden Gesprächsführung in Erstgesprächen der niederschwelligen Suchthilfe.

3 Skills: Für einen Programm­ direktor gibt es neben den „sicht­ baren“ Bereichen wie Programm­ inhalten sehr viel strategische Arbeit: Studien, Personalplanung, Kommunikation, Kontakt zu Werbekunden, Budgetierung, Texten. Voraussetzung dafür ist Spaß an der Arbeit und die Bereitschaft, sich jeden Tag weiterzuentwickeln – im Zeitalter der ­Disruption und des Umbruchs der Medien hilft es auch, eine Leidenschaft für Technologie (und Mathematik) zu haben. Thema: Ein altes Bonmot sagt: „Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen.“ Als ich in die Branche eingestiegen bin, gab es Internet stundenweise am Dial-upModem. Heute bespielen wir digitale Kanäle wie Facebook, Instagram oder TikTok. Grafik und Video waren in der Radiobranche vor 15 Jahren noch Fremdworte. Arbeitswelt der Zukunft: Laufend dazulernen, Austausch mit Kolleg*innen in anderen Märkten und: Immer offen sein für Neues. Rüdiger Landgraf, MA MBA ist Programmdirektor von kronehit und Lektor an der FH St. Pölten.


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Blickt man hinter die Begriffe, wird klar, dass alle eine ähnliche Stoßrichtung haben. Wir haben vor 3 Jahren einen Tag der Lehre zum Thema Deeper Learning durchgeführt und diesen bewusst mit dem Zusatz „nachhaltiges Lernen“ versehen. Diesen Ansatz haben wir den gängigen Praxen in der Hochschullehre gegen­ übergestellt, wo es immer noch üblich ist, Inhalte kurzfristig für Prüfungen auswendig zu lernen. Das ist kritisch zu hinterfragen. Wie kommen wir da zu nachhaltigen Lernmodellen? Wie stärken wir problembasierte Zugänge? Wie stärken wir interkulturelle Kompetenz? Wie bringen wir das alles mit der Digitalisie­ rung zusammen?

Es muss eine Kulturentwicklung stattfinden. Wichtig ist, dass man eine gute Zielvorstellung entwickelt. Prof. Dr. Ulf-Daniel Ehlers, Professor für Bildungs­ management und Lebenslanges Lernen

In welchem Verhältnis stehen Deeper Learning bzw. nachhaltiges Lernen und Future Work Skills zueinander? Weißenböck: Wir haben an der FH das inter­ disziplinäre Projektsemester iLab entwickelt. Das ist unser Flaggschiff, mit dem wir versuchen, Deeper Learning auch praktisch umzusetzen. Im iLab arbeiten unsere Studierenden gemein­ sam mit Incomings aus aller Welt an praktischen und interdisziplinären Problem­stellungen. Die Arbeitssprache ist Englisch. 2019 wurde das iLab mit dem „Ars Docendi“-­Staatspreis für innovative Lehre ausgezeichnet. Ehlers: Wir haben eine „Next Skills Initiative“, die sich mit der Veränderung der Hochschullehre auseinandersetzt. Das sind didaktische und strukturelle Veränderungen, die in Richtung Deeper Learning, personalisiertes Lernen, individualisierte Lernpfade und andere innova­ tive Lehr- und Lernmodelle gehen.

Die Coronakrise hat große Umstellungen im Hochschulbereich notwendig gemacht. Wie wird sich unsere Art zu lehren und lernen durch die Krise verändern? Ehlers: Veränderungen in Richtung Future Skills benötigen eigentlich eine andere Heran­ gehensweise. Bisher wurden an den Hochschulen reflexartig Zusatzinstitutionen geschaffen. Ging es um Schlüsselqualifikationen, haben wir Zentren für Schlüsselqualifikationen ins Leben gerufen. Es ist natürlich nicht schlecht, so etwas zu haben. Aber zukünftig geht es darum, innerhalb der Curricula Veränderungen vorzu­ nehmen. Das kann nicht von heute auf morgen passieren, hier muss eine Kulturentwicklung stattfinden. Wichtig ist vor allem, eine konkrete Zielvorstellung zu entwickeln, damit man weiß, in welche Richtung es gehen soll. Weißenböck: Man muss seriöserweise sagen: Das kann niemand wissen. Was aber bereits sichtbar wird, ist ein wichtiger Schub in unserer Digitalisierungsstrategie. Für uns ist die Frage wesentlich, wie wir auch qualitativ in der Fernlehre weiterkommen können. Denn nach einigen Wochen im Onlinebetrieb kann mit­ unter auch „der Schmäh ausgehen“ und die frontale Videokonferenz nicht mehr den Ansprüchen der Studierenden genügen. Hier stehen wir in SKILL als Support für die Weiter­ entwicklung zur Verfügung. Ich denke, für unsere Lernkultur und die digitalen Lernwege bringt die Coronakrise durchaus inspirierende Impulse. Weiterführende Infos:

skill.fhstp.ac.at ulf-ehlers.net


Blick von außen

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Es sind nur 3 Dinge Diese Future Work Skills klingen vielleicht langweilig, sind aber nicht zu unterschätzen: Denn heute wie gestern – und auch morgen – zählen in der Arbeitswelt vor allem 3 Eigenschaften.

Mag. Michael Köttritsch leitet das Ressort „Management & Karriere“ der Tageszeitung „Die Presse“. Er ist seit 2003 Redakteur und leitet die „Presse“Lehrredaktion.

Was ist uns nicht alles geweissagt worden (bevor alle nur mehr von der Krise sprachen), worauf es ankommen würde: Wer im Netz nach den „Future Work Skills 2020“ sucht, der bekommt geistreiche Antworten wie „die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen“, „kritisches Denken“, „Kreativität“, „geistige Flexibilität“ oder „Sozialkompetenz“. Das hört sich gut an, und doch sind es nur Allgemeinplätze. Diese Skills hatte man im besten Fall auch schon vor 5, 10, 50, 100 und noch mehr Jahren. Neu ist vielleicht die digitale Kompetenz – doch die bedeutet ja letztlich auch nur: auf der Höhe der Zeit zu sein, was Techniken und Methoden betrifft. „Herzensbildung, Allgemeinbildung und Begeisterung!“ Worauf es gestern/heute/morgen ankommt, klingt wahrscheinlich langweilig, ist aber nicht zu unterschätzen: Herzensbildung, breite Allgemein­ bildung und Begeisterung für zumindest ein Fachgebiet. Das ist Aufgabe genug, wenn man die 3 Bereiche ernst nimmt. Wer sie abdeckt und mitbringt, wird keine Probleme mit dem haben, was unter der Neuen Welt des Arbeitens verstanden wird: Diese Menschen werden ihre Welt aufmerksam beobachten, beseelt und ideenvoll arbeiten und es für selbstverständlich halten, dass das Büro nicht mehr der einzige Ort für Arbeit ist, dass die Diversität der Arbeitsstile im Team von Vorteil ist, dass sich die Unternehmensgrenzen gegenüber Kund*innen und Lieferant*innen nach und nach auflösen, dass traditionelle Organisationsstrukturen an Bedeutung verlieren und dass Vollzeitbeschäftigung von anderen Arbeitszeitmodellen abgelöst wird.

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Zu Ga st in …

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SÜDAFRIKA: SPRINGBOKS, STUDIUM UND SAFARI FH-Absolventin Anna Voraberger verbrachte ein Studienjahr an der Stellenbosch University, forschte dort für ihre Masterarbeit und wurde nebenbei noch zur Rugby-Expertin. V O N

Anna Voraberger blieb länger in Süd­ afrika als ursprünglich gedacht.

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Stellenbosch, etwa eine Autostunde östlich von Kapstadt gelegen, ist eine Studentenstadt: Auf 20.000 Einwohner*innen kommen knapp 30.000 Studierende, die an 8 Fakultäten unterrichtet werden. „Hier spielt sich unglaub­ lich viel am Campus ab. Zwischen den Studen­ tenheimen werden regelmäßig Wettkämpfe abgehalten. Das Campus-Leben hat hier eine lange Tradition und die Universität einen sehr guten Ruf“, erzählt Anna Voraberger, die 2019 ein Jahr im südlichsten Land Afrikas verbracht hat. „Ursprünglich war nur ein Semester geplant, aber mir hat es so gut gefallen, dass ich unbedingt verlängern wollte, um auch meine Masterarbeit hier schreiben zu können“, so die 24-jährige Absolventin des Masterstudiums Digital Marketing und Kommunikation (ehe­ mals Media- und Kommunikationsberatung).

RUGBY IN DER RAINBOW NATION In ihrer Masterarbeit hat sich Voraberger mit dem Nationalsport Südafrikas auseinanderge­ setzt: In keinem anderen Sport ist Südafrika so erfolgreich wie im Rugby. Die Springboks, wie das Team von den Fans genannt wird, gewan­ nen 2019 ihren dritten Weltmeistertitel und sind seither gemeinsam mit Neuseeland Rekord­ weltmeister. Für viele sind die Springboks der identitätsstiftende Faktor in Südafrika. Das war allerdings nicht immer so. „Lange war das Nationalteam nur weißen Spielern vorbehalten. Mittlerweile ist fast die Hälfte der Spieler schwarz, und erstmals hat ein schwarzer Kapitän das Team in eine Weltmeisterschaft geführt – und gewonnen“, berichtet Voraberger. Dieses Spannungsfeld hat die Oberösterreiche­ rin fasziniert. Ihre Masterarbeit setzt sich mit


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den verschiedenen Wahrnehmungen der „Marke Springboks“ in den zahlreichen Volks­ gruppen auseinander. Denn Südafrika wird nicht umsonst als „Rainbow Nation“ bezeich­ net: Alleine die Nationalhymne wird in 5 ver­ schiedenen Sprachen gesungen. NEUE PERSPEKTIVEN Gereizt hat Voraberger auch die neue Perspektive der Vortragenden im Bereich Marketing. In Europa seien der Markt gesättigt und die Bedürf­ nisse der Bevölkerung befriedigt. Das ändere natürlich einiges an der Herangehensweise im Marketing. In Südafrika seien dagegen viele Grundbedürfnisse nicht gedeckt, und so ergebe sich eine völlig andere Situation. „Für mich war es eine tolle Erfahrung, einmal wegzukommen von der europäischen Sichtweise. So konnte ich meinen Horizont auch beruflich erweitern“, betont Voraberger, die von der Qualität des Unterrichts in Stellenbosch begeistert war. AUSLANDSERFAHRUNG ALS GROSSE CHANCE Während in Europa Masterstudien zumeist 4 Semester in Anspruch nehmen, dauert ein Stu­ dium in Südafrika nur 1 Jahr. Dafür wird 1 Jahr zwischen Bachelor und Master einge­schoben, das sogenannte „Honours Degree“. In diesem Jahr hat Vorarberger ihre Kurse besucht. „Mir haben das Leben am Campus und die Art des Unterrichts

Die staatliche Stellenbosch University (gegründet 1881) ist die älteste Universität ­Südafrikas. An der re­ nommierten Hochschule gibt es 10 Fakultäten und über 40 Forschungs­­ einrichtungen. 6 frühere süd­afrikanische Premier­ minister graduierten in Stellenbosch. Heute ist die Universität auf 4 verschiedene Standorte verteilt, den Haupt­ campus, die Tygerberg-­ Fakultät für Medizin in Kapstadt, die Belville Park Business School in Kapstadt sowie die Fakultät für Militärwissen­ schaften in Saldana. sun.ac.za

einfach sehr zugesagt. Ich kann allen Studie­ renden empfehlen, die Chance zu nutzen und ein Auslandssemester in Südafrika zu machen“, so Voraberger. Die guten Erfahrungen der 24-Jährigen, die mittlerweile bei „Resch & Frisch“ als Junior Marketing Managerin tätig ist, haben bereits zu weiteren Kooperationen mit der FH St. Pölten geführt. ST. PÖLTEN – STELLENBOSCH Seit Kurzem ist Stellenbosch eine neue Partner­ hochschule des Departments Bahntechnologie und Mobilität. Studierende aus dem Depart­ ment können sich bereits ab dem Wintersemes­ ter 2020/21 für ein Auslandssemester bewerben. In einigen Forschungsprojekten gibt es bereits eine enge Zusammenarbeit: So wurden für das Projekt LICONRE, das Lebenszykluskosten im Schienenverkehr errechnet, Workshops in Südafrika und St. Pölten abgehalten und Erfahrungen im Bereich des Kostenmanage­ ments von Bahnsystemen ausgetauscht.

Impressionen eines gelungenen Aufenthalts in Südafrika: ein Rugbyspiel vor rot glühender Bergkulisse, Voraberger auf Erkundungstour und inmitten von Freundinnen und Freunden

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B lit z lic ht e r

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Expert*innen gaben im März Einblick in die Anwendung der Blockchain-Technik in Unternehmen und Kultur­ einrichtungen.

Corona Kitchen

Ergonomie-Tipps, Bewegungs-Challenge und Corona Kitchen für das Arbeiten daheim

Tipps und Hilfe fürs Homeoffice. Der neue Alltag hat seine Tücken: improvisierte Schreibtische, technische Pannen und das Eingeschlossensein auf engem Raum über lange Zeit. Die FH St. Pölten unterstützt hier ihre Teams. Mitarbeiter* innen des Departments Gesundheit geben allen Kolleg*innen der FH St. Pölten gerne Tipps, wie etwa zum richtigen Einstellen des Schreibtischs daheim oder stellen Bewegungs-Challenges. Mitarbeiter*innen des Departments Soziales haben außerdem eine „Corona Kitchen“ eingerichtet, einen digitalen Raum, der werktags „ge­­ öffnet“ hat. Alle Kolleg*innen können sich dort einklinken, um miteinander zu tratschen, still nebeneinander zu arbeiten, Fragen zu stellen, Dampf abzulassen – oder einfach nur einen Witz zu erzählen.


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Blockchain Summit Neue Forschungszentren. ­Blockchain-Technologie zählt heute zu den wichtigsten Innovationstreibern im digitalen Wandel. An der Fachhochschule St. Pölten forschen und entwickeln 2 der wichtigsten Blockchain-Zentren in Österreich: das Austrian Blockchain Center (ABC) und das Josef Ressel Zentrum für Blockchain-Technologien & Sicherheitsmanagement. Beide ­Zentren wurden im März, noch vor der Coronakrise, bei einem Blockchain Summit an der FH St. Pölten vorgestellt und es wurde der ABC-Standort Niederösterreich eröffnet. Expert*innen aus der Praxis gaben Einblick in die Anwendung der Blockchain-Technik in Unter­ nehmen und Kultureinrichtungen und berichteten zu aktuellen ­Forschungsergebnissen.

Virtuelle Konferenzen & Co. Termine und Corona. Viele Tagungen und Konferenzen der FH St. Pölten wurden in den letzten Wochen auf Online-Formate umgestellt. Dabei kamen viele verschiedene Tools zum Einsatz, von gestreamten Vorträgen bis zu Online-Diskussionen und Videokonferenzen. Online abgehalten wurden zum Beispiel die folgenden Veranstaltungen: XChange Reality!, Fachtagung zum Thema Virtual/Mixed Reality und OpenGLAM-Kulturhackathon Social Work Science Day, Fachtagung der Sozialen Arbeit c-tv Konferenz – Disruptive Technologies, Konferenz des Departments Medien und Digitale Technologien

Fanden heuer online statt: Der Social Work Science Day, die Tagung XChange Reality, die c-tv-Konferenz und das Symposium Medienethik

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St . Pö lt e n und die We lt

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THE BLOCKCHAINAND-EGG PROBLEM Researcher Udsanee Pakdeetrakulwong visiting from Thailand investigates how to track the production chain of organic eggs using the Blockchain technology. B Y

J A K O B

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The demand for organic food is greater than ever before – also in Asia, and in Thailand in particular, the consumption of products from sustainable and organic agriculture is on the rise. Udsanee Pakdeetrakulwong, researcher at Nakhon Pathom Rajabhat University in Thailand, is currently investigating the use of the Blockchain technology for tracking organic eggs. “Food safety and the seamless traceability of the production chain are becoming more and more important to consumers, especially when it comes to eggs”, explains Pakdeetrakulwong.

Nakhon Pathom Rajabhat University State-run Nakhon Pathom Rajabhat University in Central Thailand was founded in 1963 as a “Teacher Training School” for girls and women and was elevated to university status in 2004. The university currently has six faculties, among them “Science and Technology”.

Guestresearcher Udsanee Pakdeetrakulwong first went to Australia, than to Austria.

TRACEABILITY MORE IMPORTANT THAN EVER During her stay at the St. Pölten UAS in March, Udsanee Pakdeetrakulwong and her new colleagues from the Institute of Creative\Media/ Technologies, Thomas Moser and Jamilya Nurgazina searched for a Blockchain-based

system that guarantees an overview of the origin, production conditions and supply chains of organic eggs: “The decentralised technology of Blockchain provides a forgery-proof method to transparently map the process of food production”, states Pakdeetrakulwong. “INTERNATIONAL PERSPECTIVES AND INFLUENCES” The research semesters that Pakdeetrakulwong has spent abroad were made possible by the Ernst Mach Grant-ASEA UNINET. First, the researcher went to Australia, where she completed her PhD and got to know an Austrian researcher who recommended Austria as a place to do research. When she found out about the Austrian Block­ chain Center, where the St. Pölten UAS leads the division for “Emerging Industries & Blockchains in Manufacturing”, she applied for the grant: As a scientist, it is extremely important to let your projects be enriched by various international perspectives and influences. For me, it has been an opportunity to visit this beautiful country together with my husband and daughter and to engage in research here.” EXCHANGE BETWEEN THAILAND AND AUSTRIA The successful collaboration between Udsanee Pakdeetrakulwong and the St. Pölten UAS could open doors at the international level for re­ searchers and students from the St. Pölten UAS as well. “We are now searching for ways to open the partnership between my home university and the St. Pölten UAS in order to promote the further exchange of researchers and students”, says Pakdeetrakulwong whose family have also enjoyed their stay in Austria – despite the restrictions due to the coronavirus. The only drawback: “My daughter would have loved to see the snow. But we’ll just have to come back, won’t we? Maybe we’ll be lucky next time.”


Au c h d a st ec k t

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Das Digital Health Lab an der FH St. Pölten ist ein interdisziplinäres Forschungslabor. Es verbindet Forschung zu Gesundheits­themen mit digitalen Technologien. So etwa vor Kurzem mit einem spielerischen Gleichgewichts­training mit VR-Brillen. Das Labor unterstützt in der Gangund Bewegungs­ rehabilitation Ansätze wie maschinelles Lernen, Informations­visualisierung, Virtual & Augmented Reality, Bewegungs­ erfassung (Motion Capturing) und MenschComputer-Interaktion.


„Gemeinsam mit unserem Krisenmanagement-Team, den Departments sowie den ServiceAbteilungen haben wir die Umstellung vom regulären Lehr- und Arbeitsbetrieb auf einen Fernbetrieb bestens bewerkstelligt.“ Seite 6

„Die FH kann mit ihren leistungs­ starken Netzwerklabors auch die Suche nach einem Mittel gegen das Coronavirus unterstützen.“ Seite 9

„Wir fragen Unternehmen und Praktikumsanbieter*innen nach dem Bedarf an Kompetenzen außerhalb des konkreten Fachs und bitten um einen Ausblick in die Zukunft. Die Future Work Skills passen zum Konzept der Kompetenzorientierung, das wir verfolgen.“ Seite 18

„Worauf es gestern/heute/morgen ankommt, klingt wahrscheinlich langweilig, ist aber nicht zu unterschätzen: Herzensbildung, breite Allgemeinbildung und Begeisterung für zumindest ein Fachgebiet.“ Seite 25

www.fhstp.ac.at


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