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IM GESPRÄCH
Verkehrswende, Digitalisierung, E-Mobilität: Unsere Fortbewegung beschäftigt uns in Zeiten von Klimawandel, Urbanisierung und Pandemie mehr denn je. „future“ hat bei 2 Experten nachgefragt, welche Trends die Krise beschleunigen und welche sie ausbremsen.
VON JAKOB LEISSING
DI Jürgen Zajicek ist Research Engineer am Austrian Institute for Technology und leitet Forschungsprojekte zum multimodalen umweltfreundlichen Transport von Personen und Gütern. Stichwort „Mobilität“: Welche Themen werden uns in den nächsten Jahrzehnten besonders beschäftigen? Jürgen Zajicek: Der Fokus wird in den nächsten 10 Jahren auf der Verringerung des CO2 Ausstoßes liegen. Der Trend geht weg von Verbrennungsmotoren, hin zur Elektrifizierung der Antriebe. In Bezug auf die Urbanisierung müssen neue Mobilitätslösungen gefunden werden, die den MikroÖV (Nahmobilitätsangebote für den Personenverkehr, vorrangig auf kommunaler Ebene, Anm.) als Zubringer zum öffentlichen Verkehr stärken. Pendler*innen, die wegen mangelnder Anbindung auf das Auto nicht verzichten können, sollten spätestens am Stadtrand in Parkhäusern abgefangen werden. Wenn man diese Personen dort in das höherrangige ÖVNetz einspeisen könnte, wäre das ideal. Wichtig wäre auch, die Kosten für die Parkhäuser gleich in den Preis für das Ticket miteinzurechnen. Adrian Wagner: Genau das ist der Punkt: Das Auto bzw. der motorisierte Individualverkehr werden nicht verschwinden, aber sie sollen einen möglichst geringen Anteil in der Wegekette einnehmen. Zajicek: In manchen Regionen muss man eben die „First oder Last Mile“ mit dem Auto fahren: vom eigenen Haus bis zur Anbindung oder einem Verkehrsknoten, wo man dann in den öffentlichen Überlandverkehr einsteigen kann.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Güter und Nachtzugverkehr? Zajicek: In Bezug auf den Güterverkehr muss das Ziel sein, den Hauptlauf der Transporte dort, wo es Sinn macht, auf die Schiene zu bringen. Die Feinverteilung der Waren („First und Last Mile“) sollte mit klimaschonenden Lkw stattfinden, die diese Kurzstrecken locker elektrisch zurücklegen. Mit der Verlagerung entsteht allerdings ein Kapazitätsproblem auf den Strecken, dem mit Automatisierung und geeigneten Sicherungssystemen entgegnet werden kann. Das Ziel muss sein: der internationale Hauptlauf der Waren per Schiene und die Feinverteilung über Elektromobilität. Die Kapazitäten dafür müssen aber erst geschaffen werden. Wagner: Wichtig für den Personenverkehr ist, ein entsprechendes Angebot zu schaffen, damit der Zug auch auf der Langstrecke konkurrenz
fähig ist. Viele Destinationen innerhalb Europas sind auch mit dem Zug bestens erreichbar. Derzeit nimmt Österreich beziehungsweise die ÖBB gerade eine Vorreiterrolle ein und positioniert die Marke Nightjet erfolgreich. Ab Dezember 2020 wird Amsterdam angefahren, seit Februar besteht eine zweiwöchentliche Verbindung nach Brüssel. Ein Vorteil ist auch, dass die Bahn hier verschiedene Preiskategorien für die Fahrten bieten kann, mit einem Platz im Sitzwagen, Liegewagen oder Schlafwagen.
Welche technischen und politischen Meilensteine sehen Sie kommen? Zajicek: Grundsätzlich müsste Kostenwahrheit hergestellt werden, um die Bahn zur Straße konkurrenzfähiger zu machen, weil zum einen der Dieselpreis gestützt wird und zum anderen die Sicherheitsstandards im Vergleich zur Straße viel strenger sind. Im Personenverkehr ist das geplante 123Ticket ein wichtiger Schritt. Wenn für die Kund*innen alles mit einem Ticket und einer App machbar ist, eingeschlossen das bereits erwähnte Parken in den P&R Anlagen am Stadtrand bzw. an den Nahverkehrsknoten in der Fläche, dann wird so ein Angebot auch gut angenommen. Wagner: Das 123Ticket ist definitiv mehr als eine politische Willensbekundung. Es müssen aber auch die notwendigen Voraussetzungen für die gesteigerte Nachfrage geschaffen werden. Für die Kund*innen ist ein Gesamtpaket das Wichtigste. Sobald die Kund*innen für ihre Wege Tickets bei verschiedenen Anbietern über mehrere Plattformen buchen müssen, ist der Anreiz, einfach ins bereits vorhandene Auto einzusteigen, sehr groß.
Die Hauptaufgabe wird sein, die Leute wieder zum Umstieg auf den öffentlichen Verkehr zu motivieren, die durch die Pandemie den Individualverkehr stärker genutzt haben.
Ing. Dipl.Ing. Adrian Wagner, BSc, Junior Researcher am Carl Ritter von Ghega Institut für Mobilitätsforschung der FH St. Pölten
Die CoronaPandemie hat die Art, wie wir uns bewegen, verändert. Welche Vorteile könnten sich daraus ergeben? Wagner: Die Hauptaufgabe wird sein, jene Leute wieder zum Umstieg auf den ÖV zu motivieren, die durch die Pandemie den Individualverkehr
Ing. Dipl.-Ing. Adrian Wagner, BSc ist Junior Researcher am Carl Ritter von Ghega Institut für integrierte Mobilitätsforschung der FH St. Pölten und beschäftigt sich in seiner Dissertation mit Optimierungsmöglichkeiten durch Automatisierung im Güterverkehr.
stärker genutzt haben – und durch verschiedene Maßnahmen gleich auch neue Kund*innen zu gewinnen. Dass es jetzt mehr Homeoffice gibt, kann auch für den öffentlichen Verkehr ein Vorteil sein. Auch wenn die Pandemie ihn Fahrgäste kostet: Es geht ja letztlich nicht darum, möglichst viele Fahrgäste zu generieren, sondern CO 2 einzusparen und den Individualverkehr einzuschränken. Zajicek: Die Pandemie hat gezeigt, dass das Homeoffice ein attraktives Konzept ist. Dadurch „fehlen“ zwar Leute in den öffentlichen Verkehrsmitteln. So wird aber wiederum Platz geschaffen für diejenigen, die an diesem Tag in die Firma müssen. Man könnte sich an dieser Stelle fragen: „Wieso müssen alle Punkt 8 Uhr ihren Dienst antreten“? Wenn ich durch Ausbau der Gleitzeitmodelle den Mobilitätsbedarf über den Tag und nach den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen verteile, dann nehme ich da auch einen riesigen Kapazitätsdruck beim ÖV heraus. So ein Umdenken würde ich jedenfalls als Vorteil sehen. Damit würde sich die Mobilität der Zukunft schon ein Stück weit verändern.