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PR – Journalismus – Social Media: Ein Spannungs verhältnis in Krisenzeiten
© Verena Simlinger
Julia Schweighofer
Paul Trummer, Senior Consultant bei Gaisberg, spricht mit „PRaktivium“ über die Rolle von Social Media in der Krisenkommunikation, Machtverschiebungen und derzeitige Herausforderungen der PR.
Julia Schweighofer: In der letzten Podcast-Folge Ihrer Agentur behandeln Sie das Thema „Unternehmen in Schieflage“ und welche Entscheidungen den Unterschied zwischen Scheitern und Neustart ausmachen. Können Sie kurz die wichtigsten Punkte nennen, wie ein Turnaround gelingen kann?
Paul Trummer: Restrukturierungen, Werksschließungen und weitere Maßnahmen sind eine besondere Situation für die Geschäftsführung und keine alltägliche Aufgabe. Deswegen braucht es Transparenz, offene Kommunikation, Führungskompetenz und Expert*innen mit Erfahrung. Wichtig ist, sich bei der Kommunikation in die schwierige Lage der Mitarbeiter*innen hineinzuversetzen und mit Empathie zu kommunizieren.
Schweighofer: In herausfordernden Situationen spielt der Journalismus eine große Rolle. Wie hat sich das Verhältnis zwischen PR und Journalismus Ihrer Meinung nach entwickelt?
Trummer: In Krisenzeiten ist insbesondere die interne Kommunikation von zentraler Bedeutung. Mitarbeiter*innen sollen es nicht aus der Zeitung erfahren, wenn ihr Standort geschlossen wird. Für den Journalismus waren Bad News dieser Art immer schon berichtenswert. Durch die Sozialen Medien ist die Kanalvielfalt gestiegen und die Geschwindigkeit hat sich erhöht. Zudem sehen wir eine Zunahme von Gesinnungs- und Parteimedien, die liebend gern Bad News verbreiten. Das alles hat Auswirkungen auf die PR-Arbeit: Bei Unternehmenskrisen wird heute zuerst einmal oft getwittert, anstatt eine klassische Presseaussendung zu verfassen.
Schweighofer: Welche Folgen ergeben sich aus dieser Entwicklung im Hinblick auf das Machtverhältnis zwischen PR und Journalismus?
Trummer: Durch die Flut an Kanälen ist das Info-Angebot unübersichtlicher geworden: Wir wissen oft nicht, wer genau in den sozialen Medien publiziert, mit welcher Ausbildung oder Hidden Agenda. Deswegen ist aus meiner Sicht die Bedeutung des Journalismus gerade in Krisenzeiten noch stärker geworden, da wir hier verlässliche Quellen brauchen. Gleichzeitig sind die Herausforderungen an die Journalist*innen gestiegen, weil sie von allen Seiten mit Informationen bombardiert werden. Sie müssen jetzt Twitter im Auge behalten und gleichzeitig noch Print-, Online- und Social Media-Beiträge verfassen.
Schweighofer: Mit welchen weiteren Herausforderungen hat die PR zu kämpfen?
Trummer: Die Webseiten der Medien sowie Soziale Medien haben die Reaktionsgeschwindigkeit für die KrisenPR enorm beschleunigt. Auf Kund*innenseite sind es insbesondere Internationalisierungstendenzen, wo lokale PR-Abteilungen geschlossen werden, wodurch regionale Kontakte verloren gehen. Auf der Medienseite sehen wir einen zunehmenden ökonomischen Druck für klassische Medien: Es gibt immer mehr Budget für Social MediaAnzeigen, Influencer*innen & Co. Bei klassischer PrintWerbung wird hingegen eingespart.
Schweighofer: Welche Rolle spielt Social Media in der Dreiecksbeziehung PR – Journalismus – Social Media in Krisenzeiten?
Trummer: Krisen rücken ein Unternehmen sehr unvermittelt ins Licht der Öffentlichkeit. Entscheidungen wie Standortschließungen oder Mitarbeiterabbau sind für Außenstehende oft schwer nachvollziehbar. Zahlreiche Unmutsäußerungen in den Sozialen Medien sind dann oft die Folge. Die Polarisierung und das Empörungsniveau in den Sozialen Medien sind sehr hoch – auch wenn es nur aus der ersten Emotion heraus passiert. Entscheidend ist oft die Berichterstattung in den klassischen Medien in Krisenzeiten: Auch wenn der Grundtenor auf Social Media negativ erscheint, kommt der richtige Shitstorm erst dann, wenn auch klassische Medien negativ darüber berichten.
Schweighofer: Wie beeinflusst Social Media die Abhängigkeit zwischen PR und Journalismus?
Trummer: Der klassische Ablauf hat sich verändert. Beispielsweise finden vertrauliche Unterlagen manchmal über
© Gaisberg/Peter Rigaud
Paul Trummer ist Senior Consultant bei Gaisberg und unterstützt seine Kund*innen in herausfordernden Situationen im Umgang mit Medien. Kommunikationserfahrung sammelte er als Pressesprecher eines Finanzministers sowie als Wirtschafts- bzw. Politik-Journalist bei einer österreichischen Tageszeitung.
Soziale Medien ihren Weg in die Öffentlichkeit. Verweigert ein Medium mit Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte die Berichterstattung, gibt es zehn weitere Anbieter, die gerne als Aufdeckerplattform agieren. Bei diesen Empörungsmedien sind Bad News dann Good News. Das ist unter anderem dem Druck und der wirtschaftlichen Lage geschuldet. Durch Social Media ist die Konkurrenz und auch der Kampf um aufmerksamkeitsstarke Inhalte heute noch intensiver geworden.
Schweighofer: Soziale Netzwerke haben die Mediennutzung sowie die Kommunikation in den letzten Jahren stark verändert und nehmen auch immer mehr die Rolle als Informationskanal ein. Braucht es den Journalismus in Zukunft überhaupt noch?
Trummer: Ja, davon bin ich überzeugt. Der Journalismus hat weiterhin eine wichtige Filterfunktion in der ganzen Informationsflut. Ideal wäre aber, wenn ein Ereignis von allen Seiten beleuchtet und nicht nur eine einzige Meinung wiedergekaut wird. Durch den Algorithmus in den Sozialen Medien konsumieren wir hauptsächlich Inhalte, die unserem Denken entsprechen und damit vorgefertigte Meinungen verstärken. Die Gelegenheit, mit anderen Ansichten konfrontiert zu werden, nimmt somit immer mehr ab. Genau dafür braucht es den Journalismus mehr denn je.
Schweighofer: Seit der Pandemie sind plötzlich wissenschaftliche Expert*innen wie Virolog*innen äußerst gefragt. Inwiefern glauben Sie, dass Wissenschaftler*innen in der PR künftig eine stärkere Rolle spielen werden?
Trummer: Expertentum wird immer eine große Rolle spielen. Wir brauchen Expert*innen für die Einordnung von Ereignissen, mit denen wir nicht umgehen können. Ich bin eigentlich überrascht, wie lange die CoronaPandemie schon als Thema besteht. Üblicherweise wird beim News Cycle nach zwei bis drei Wochen eine Krise von einer anderen abgelöst. Die Pandemie an sich besteht aber eigentlich aus einer Vielzahl von kleinen und großen Krisen. Expert*innen sind ein klassisches Ergebnis dieser langen Kommunikationsphase, da die Rezipient*innen unterschiedliche Aussagen hören und sehen wollen. Ich glaube aber, wenn die Pandemie abflacht, werden die Gesundheits-Expert*innen etc. von anderen Expert*innen abgelöst, z.B. im Klimabereich. Somit würde ich es jetzt nicht als Höhenflug der Expert*innen bezeichnen, sondern als einen natürlicher Ablauf in der Berichterstattung.
Schweighofer: Wem vertrauen Rezipient*innen in der Krise tendenziell mehr? Der PR, dem Journalismus oder Inhalten auf Social Media?
Trummer: Wie wir in der Corona-Pandemie sehr gut beobachten können, war insbesondere in der ersten Phase die Zustimmung zur Regierungskommunikation und den klassischen Medien, wie dem ORF sehr hoch. In Krisenzeiten erwarten die Menschen klare Ansagen und umfassende Kommunikation. Je länger die Pandemie dauert und je mühsamer es für die Menschen ist, desto mehr alternative Informationsquellen werden herangezogen und die Zweifler*innen suchen nach anderen Meinungen.
Schweighofer: Wie wird sich das Spannungsverhältnis PR – Journalismus – Social Media in der Krisenkommunikation in Zukunft entwickeln?
Trummer: Ich sehe das etwas skeptisch, da Journalismus und PR aufgrund des ökonomischen Drucks in manchen Bereichen teilweise verschmelzen werden. Das betrifft vor allem Fach- und Special Interest-Medien. Gleichzeitig werden dann auch die Einkommensströme in Richtung Social Media verlagert und die Print-Auflagen leiden dann darunter. Die entscheidende Frage ist, ob die großen Medien ebenfalls in diese Richtung gehen, oder ob sie es schaffen, die Unabhängigkeit der Redaktion zu bewahren. Für die Konsument*innen wird es schwieriger zu erkennen, was bezahlter oder journalistischer Content ist. Bei den großen Tageszeitungen kommt es zukünftig darauf an, wohin die Reise geht: Überlegungen in Richtung der Aufstockung der Presseförderung als Basis-Sockel nach der letzten Inseratenaffäre gibt es – das wäre definitiv ein wichtiger Schritt, um die Unabhängigkeit der Redaktionen abzusichern.