Filmdienst 12 2016

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fIlM DIenST Das Magazin für Kino und Filmkultur

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www.filmdienst.de

reiSe nacH „aUStenWorlD“ Jane austen schuf mehr als „nur“ literatur. Passagen durch ihre längst multimediale erzählwelt. kino Der barmHerZiGkeit ein Plädoyer für das Prinzip hoffnung und für ein kino, das mit seinen figuren barmherzig umgeht. rÜckScHaU canneS eine nachlese herausragender entdeckungen beim wichtigsten filmfest der welt.

ulRICH TuKuR

9. Juni 2016 € 5,50 69. Jahrgang

DER SCHAUSPIELER IST AUS DER DEUTSCHEN FILMLANDSCHAFT NICHT WEGZUDENKEN. WÜRDIGUNG EINES PHÄNOMENALEN ALLESKÖNNERS.


inHALT DIE NEUEN KINOFILME

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ALLE STArTTErmINE

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7 Göttinnen 16.6. Café Nagler 9.6. Demolition – Lieben und Leben 16.6. Einmal Mond und zurück 9.6. Erlösung 9.6. Hannas schlafende Hunde 9.6. Himmelskind 9.6. Miss Hokusai 16.6. Ein neues Leben 16.6. Oflu Hoca’nın Şifresi 2 19.5. Pause 9.6. Professor Love 9.6. Rockabilly Requiem 9.6. Schau mich nicht so an 16.6. Seitenwechsel 2.6. Sky – Der Himmel in mir 9.6. Song of My Mother 9.6. Stolz und Vorurteil & Zombies 9.6. Das Talent des Genesis Potini 16.6. The Other Side of the Door 2.6. Until I Lose My Breath 16.6. Vor ihren Augen 9.6. Wanja 9.6. Warcraft: The Beginning 26.5. Wie die Anderen 9.6.

kinoTiPP

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café naGler

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ein neues leben

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erlösunG

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Professor love

der katholischen Filmkritik

36 Das TalenT Des Genesis PoTini Bewegende Underdog-Story über einen genialen Schachspieler mit bipolarer Störung, der benachteiligte Jugendliche trainiert.

FERnSEH-TiPPS 56 Trotz Fußball-Konkurrenz: Auf arte ist ein Animationsfilm-Special mit hochwertigen Erstausstrahlungen zu sehen, außerdem strahlt der Sender erstmals Dominik Grafs historisches Liebesdrama „Die geliebten Schwestern“ aus. Das Erste startet seine Filmreihe „Filmdebüt im Ersten“.

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Hannas scHlafenDe HunDe

Fotos: TITEL: Katharina John/Festival des deutschen Films Ludwigshafen. S. 4/5: Koch, Salzgeber, Kairos, NFP, Alpenrepublik, Wild Bunch, Festival de Cannes, Universum, Constantin, Arsenal

nEU iM kino


12 | 2016 DIE ARTIKEL inHALT kino

AkTEURE

FiLMkUnST

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cannes 2016

10 cannes 2016

ulricH Tukur

22 constantin wulff

e-mail aus HollywooD

27 e-mail aus hollywood

Auch wenn die Preis-Entscheidungen der Internationalen Jury enttäuschten, kann sich der Cannes-Jahrgang 2016 insgesamt sehen lassen. Eine Nachlese der beeindruckendsten Filmerlebnisse.

mit seinem Dokumentarfilm „Wie die Anderen“ schuf der regisseur ein akkurates Porträt der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ein Gespräch über die Arbeit ohne Vorurteile und Intervention.

Die Studios setzen im Sommer überwiegend auf Franchise-Fortsetzungen. Zumindest aber Steven Spielberg wendet sich mit seiner Kinderbuchverfilmung „The BFG“ gegen das Einheitsangebot.

Von Josef Lederle und Margret Köhler

Von Ralph Eue

Von Franz Everschor

17 deutscher filmpreis

24 ulrich tukur

Die „Lola“-Verleihung 2016 bot eine vielfältige Preisauswahl und manche Überraschung. Beobachtungen zu einer Gala zwischen Klasse und Konsens. Von Horst Peter Koll

18 jane austen

Die romane der 1817 verstorbenen Schriftstellerin haben längst ein Eigenleben entwickelt und werden multimedial weitergesponnen. Eine Passage durch „Austenworld“. Von Felicitas Kleiner

21 fokus türkei (ii)

Der Darsteller vermag trotz seiner Dauerpräsenz in Kino und Fernsehen jeder rolle etwas Besonderes mitzugeben. Beim „Festival des deutschen Films“ in Ludwigshafen wird er mit dem „Preis für Schauspielkunst“ geehrt. Die Würdigung eines Alleskönners. Von Alexandra Wach

28 barmherzigkeit

Je gnadenloser menschliche Schwächen und gesellschaftliche missstände offengelegt werden, umso mehr „Kunst“? Ein Klischee, das das anspruchsvolle Kino oft bedient. Denn es gibt auch einen menschenfreundlicheren Weg, mit Figuren umzugehen. Plädoyer für ein Kino der Barmherzigkeit. Von Johannes Binotto

32 niklaus schilling

Der am 6. mai verstorbene regisseur erforschte in seinen Filmen deutsche Kino- und Kultur-mythen. Ein Nachruf. Von Ulrich Kriest

Türkische Arthouse-Horrorfilme üben subversiv Kritik an missverhältnissen in der türkischen Gesellschaft. Der zweite Teil unserer reihe über Tendenzen im aktuellen türkischen Kino. Von Emine Yildirim

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RUBRIKEN EDITorIAL INHALT mAGAZIN DVD-KLASSIK DVD/BLU-rAy TV-TIPPS P.S. VorSCHAU / ImPrESSUm

Seite 66: Auch 35 Jahre nach John Waters ist Geruchskino weiterhin keine glorreiche Idee, meint Kolumnist Peter Strotmann.

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kino CANNES 2016

Der Ärger über die skandalöse Jury-Entscheidung in Cannes ist allmählich verraucht, nun lässt sich das 69. Festival an der Croisette (11.-22.5.) aus einer nüchternen Perspektive noch einmal in Blick nehmen. Die Bilanz fällt dabei positiv aus. Von Josef Lederle

Man sollte sich vergegenwärtigen, dass Enttäuschungen, Fehlschläge und bisweilen auch bittere niederlagen so sehr zum Filmgeschäft gehören wie falsche anschlüsse oder schwierige Finanzierungen. Der Weg in den Olymp – das FestivalPlakat mit Michel Piccoli auf den Stufen der Villa Malaparte in Jean-Luc Godards „Die Verachtung“ (1963) rief dies unmissverständlich in Erinnerung – ist steil und führt nicht selten ganz woanders hin. Fehlentscheidungen von Festival-Jurys fallen dabei eigentlich unter die Kategorie „geringere Übel“, auch wenn man das mit Blick auf „Toni Erdmann“ etwas weniger sportlich nimmt. Doch wenn man schon beim Bäcker am frühen Morgen auf die Tragikomödie von Maren Ade angesprochen wird, braucht man sich um den fehlenden Turbo-Effekt einer „Palme“ keine Sorgen zu machen; auch wird die phänomenale, bislang noch nie

Was das 69. Filmfestival in Cannes über die Perspektiven des kinos verrät

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erreichte 3,7-Punkte-Wertung im Kritikerspiegel von „Screen“ (die ihre eigentliche Zuspitzung im 0,2-Punkte-Desaster für „The Last Face“ von Sean Penn erfuhr) noch immer in Erinnerung bleiben, wenn die Preise der George-Miller-Jury längst vergessen sind.

kompromisslose Filme muten mehr zu Der eigentliche Grund aber, zuversichtlich in die nähere Zukunft des Kinos zu schauen, liegt in der Qualität von „Toni Erdmann“ und anderer Cannes-Filme. In ihnen ist vielfach eine ungewohnte Kompromisslosigkeit zu spüren, ein Wagemut, riskantere Wege einzuschlagen, sich von allzu vertrauten Mustern zu lösen und dem Publikum mehr als üblich zuzumuten. Das beginnt bei der Länge der Filme, die sich um Standardfor-


CANNES 2016 kino mate wenig scheren, es bestimmt ihre Dramaturgien und schlägt sich auch in visuellen Zumutungen nieder. Um bei „Toni Erdmann“ zu bleiben, der in vielerlei Hinsicht aus dem Wettbewerb herausragte: Darin hätte der Versuch des pensionierten Musiklehrers (Peter Simonischek), mit seiner dauerbeschäftigten Tochter (Sandra Hüller) etwas mehr in Kontakt zu kommen, nach dem väterlichen Überraschungsbesuch in Bukarest frustriert-versöhnlich enden können. Stattdessen aber startet der kunstvoll schillernde Film nochmals durch, erhöht die Drehzahl, schlägt mehr als einen Haken und findet ein Ende, das weder happy noch tragisch, sondern vieldeutig ist. Dass die Inszenierung für diesen kühnen Wurf am Ende 162 Minuten braucht, zahlt sich mehr als aus: in teilweise spektakulären Weitungen, die um

die Charaktere herumgesponnen sind. Die Handlung kommt dadurch zwar auch voran, doch das ist – wie im Übrigen auch die Komik des Films – eher sekundär; irgendwann wird die „Miss Schnuck“ genannt Unternehmensberaterin von ihrem peinlichen Vater wie in Kindheitstagen sogar genötigt, einen Whitney-Houston-Song zum Besten zu geben. In der schaurig-schönen, zweiminütigen Performance des Liedes spiegelt sich dann die ganze Ambivalenz ihrer Beziehung auf Schönste wider, zwischen gegängelt, überfordert, vertraut und zur Selbstbehauptung ermächtigt. Einer von vielen funkelnden Momenten, die nur zustande kommen, weil bei der Produktion niemand mit der Stoppuhr daneben stand. Man wird über „Toni Erdmann“ (Kinostart: 14.7.) noch viel lesen und sprechen. Eines der Themen dürfte die Nacktheit sein, die metaphorisch, aber auch im buchstäblichen

Sinn eine zentrale Rolle spielt. Am An-, Umund Ausziehen der Figuren und an ihrer Kleidung ließen sich alle inneren Konflikte der Figuren nachzeichnen, an der Differenz zwischen Eros, Sex und Scham ließe sich eine kleine Kultur- und Businessgeschichte des frühen 21. Jahrhunderts skizzieren. Und dann gibt es da auch noch ein zotteliges „Kukeri“-Wesen, das im Südosten Europas böse Geister vertreiben soll.

Familiäre Räume bieten Schutz und Geborgenheit Das Familienthema, das bei Maren Ade die Basis bildet, von der alles ausgeht, tauchte in vielen Filmen und sehr unterschiedlichen Gestalten auf. In den nicht weniger sperrigen rumänischen Filmen von Cristi Puiu („Sieranevada“) und Cristian Mungiu („Bacalaureat“) kreist die Handlung we-

Preise Cannes 2016 Goldene Palme „I, Daniel Blake“ von Ken Loach Grand Prix Xavier Dolan für „Juste la fin du monde“ Preis der Jury Andrea Arnold für „American Honey“ Beste Regie (ex aequo) Cristian Mungiu für „Bacalaureat“ Olivier Assayas für „Personal Shopper“ Bestes Drehbuch Asghar Farhadi für „Forushade“ Beste Darstellerin Jaclyn Jose in „Ma’Rosa“ von Brillante Mendoza Bester Darsteller Shahab Hosseini in „Forushande“ Ehrenpalme Jean-Pierre Léaud Camera d’or „Divines“ von Houda Benyamina Prix Un Certain Regard „The Happiest Day in the Life of Olli Maki“ von Juho Kuosmanen FIPRESCI-Preis „Toni Erdmann“ von Maren Ade

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kino CANNES 2016

sentlich um Zusammenhalt und Bedrohung einer (Groß-)Familie, in „American Honey“ von Andrea Arnold dient ein Minibus als Zuhause einer fahrenden Truppe entwurzelter Jugendlicher, die „on the road“ quer durch den Mittleren Westen der USA unterwegs sind und in ihrer Zweckgemeinschaft Platz, Schutz und Geborgenheit suchen. Joel Edgerton und Ruth Negga kämpfen als schwarz-weißes Ehepaar Loving im gleichnamigen Drama von Jeff Nichols neun Jahre lang darum, mit ihren Kindern legal als Familie zusammenleben zu dürfen, bis der US-amerikanische Supreme Court 1967 ihre Ehe endlich auch juristisch für legal erklärt. Und die als beste Darstellerin geehrte philippinische Aktrice Jaclyn Jose zieht am Ende von „Ma’ Rosa“ selbst los, um das fehlende Bestechungsgeld aufzutreiben, damit sie und ihr Mann aus dem Gefängnis freikommen und ihre drei Kinder in den Slums von Manila wieder unter einem Dach zusammenkommen können. Auf unterschiedliche Weise, aber mit hoher Energie und filmästhetisch teils sehr elaboriert, entfalten diese Filme Bilder einer bedrohten Zusammengehörigkeit, die ihrerseits die handelnden Figuren aber zu außergewöhnlichen Aktivitäten anstachelt. Vor allem die Frauen entdecken ihr Kämpferinnen-Herz, sich wie Donna Clara (Sonia

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Braga) in Kleber Mendonça Filhos „Aquarius“ nicht mit den Zumutungen der gesellschaftlich gerade angesagten Verhältnisse abzufinden, sondern für ihre Visionen zu fighten. Über kurz oder lang wird diese Bewegung sogar selbst das Festival in Cannes verändern, das im Gefolge der altbackenen „Goldenen Palme“ für Ken Loachs „I, Daniel Blake“ weltweit als der „Club der alten Männer“ kritisiert wurde, der das Festival unter Thierry Frémaux inzwischen ja auch ist. Keine Frage: Die nächste Jury-Präsidentin wird eine Frau sein. Vielleicht nimmt sich das Filmfest ja auch die Ökumenische Jury zum Vorbild, in deren sechsköpfiger Jury in diesem Jahr nur ein einziger Mann saß. Unter den vielen starken, überraschenden Filmen, von denen einige auf diesen Seiten in kleinen Vignetten vorgestellt werden, hob sich einer durch seinen Minimalismus besonders ab, der in seinem Gleichmut, aber auch in seiner Aufmerksamkeit für Details noch eine andere Perspektive in die Zukunft des Kinos öffnete. Jim Jarmusch verzaubert in „Paterson“ mit einem haikuartigen Filmpoem, einer schwebend-lichten Miniatur über die Schönheit des Augenblicks und das Glück des Alltäglichen. In der titelgleichen Stadt in New Jersey folgt der Film sieben Tage und einen Morgen lang einem Busfahrer namens Paterson (wie

dafür geboren: Adam Driver) durch seine Routinen, angefangen beim morgendlichen Blick auf die Uhr bis zum Feierabendbier in der Kneipe nebenan. Der Protagonist liebt die Poesie des ebenfalls aus Paterson stammenden Dichters William Carlos Williams und schreibt täglich selbst ein Gedicht in ein kleines Notizbuch, das dem Zauber der Worte nachlauscht. Im Gegensatz zu seiner zeitlosen Konstanz ist seine Partnerin Laura in steter Veränderung begriffen. Mit nicht ermüdender Energie bemalt sie ihre Kleider, die Wohnung und alles, was ihr in die Finger fällt, mit schwarz-weißen Ornamenten. Eine fein komponierte, visuell wie akustisch ausbalancierte Ode auf die Rituale des Alltags, auf das Verhältnis von Beständigkeit und Wandel, Dauer und Neuanfang, die sich mit einem still-staunenden „Aha!“ schließlich auch in anderen Welten weiterspinnt. Jarmuschs Spiel mit Resonanzen, Wiederholungen und dem Gleichklang scheinbar ähnlicher Dinge gelingt in der Schluss-Coda sehr unterschiedlicher „Aha“-Momente ein polyphoner Akkord, der sich als verblüffterhellende Quintessenz des 69. Filmfestivals in Cannes wie von selbst aufdrängt. •

Big Winner Auch unter US-kritikern war die Enttäuschung groß, als „Toni Erdmann“ am Ende leer ausging. mit ungewohnter Deutlichkeit wurde hier das missfallen über die Jury-entscheidung kritisiert. Damit wiederholte sich ein Phänomen, das schon seit Jahren zu beobachten ist: festivalpreise spiegeln nur noch in seltenen fällen die meinung der kritiker wider. Die „new york Times“ schrieb: „noch lange, nachdem die welt längst vergessen hat, wer 2016 (in cannes) den Preis gewann, wird man sich daran erinnern, dass dies das Jahr war, in dem uns miss ade „Toni erdmann“ gab, ein werk von großer schönheit, großen Gefühlen und großem kino.“ Ev.

Fotos: Festival de Cannes

„Paterson“ von Jim Jarmusch


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BARMHERZIGKEIT filmkunst

kunst ist, wenn es weh tut. Diese uneingestandene maxime scheint in vielen köpfen zu rumoren. in den wettbewerben der großen filmfestivals erhalten die bitteren, tragischen stoffe weit mehr aufmerksamkeit als komödien: relevant ist, was deprimiert. Dies aber ist eine zur konvention erstarrte schwarzseherei, die dringend einer korrektur bedarf. nun hat die katholische kirche 2016 als das „Jahr der barmherzigkeit“ ausgerufen – was ein Plädoyer für das Prinzip Hoffnung ist. und auch für ein kino, das mit seinen figuren barmherzig umgeht. von Johannes binotto

„moderne Zeiten“ von Charles Chaplin (1936) zeigt zwei solidarische Seelen auf dem Weg zu neuen Ufern. Ein schönes Beispiel für „barmherziges“ Kino.

Ernsthaftigkeit zeigt sich, wo es schoauf Seriosität verspielt. Er belegt, dass er nungslos zur Sache geht: Wahrheit muss vom Kino offenbar nicht mehr erwartet als wehtun. Davon zumindest scheinen all naiven Eskapismus Marke Traumfabrik. jene Kritiker überzeugt, die die UnverEine solche Logik erkennt künstlerische söhnlichkeit eines Films als Beweis für Konsequenz allein in der Unerbittlichkeit. dessen hohen Anspruch nehmen. „Große Ein Festhalten an der Hoffnung kann in Regisseure sind Visionäre, und Visionäre dieser Perspektive ausschließlich eine billisind unbarmherzig“, hat die Schauspielege Lüge sein. Was aber, wenn diese Logik rin Isabelle Huppert über Michael Haneke selbst naiv ist? gesagt, und tatsächlich werden Regisseure Das Kino der Unerbittlichkeit, das sich viel wie Haneke oder Lars von Trier und früher darauf einbildet, die Hoffnungslosigkeit Ingmar Bergman gerade für die Unerder Welt bis zu ihrem bitteren Ende bittlichkeit ihrer Filme bewundert. auszubuchstabieren, ist gerade in In der eisernen Konsequenz, mit diesem Anspruch naiv, uns die Die ganze, der sie die Hoffnungen ihrer (und traurige Wahrheit? ganze, traurige Wahrheit zeigen auch unserer) Figuren als bloße Eine Anmaßung! zu wollen. Die Wahrheit nämlich Illusion demontieren, beweisen lässt sich nie ganz sagen, wie es sie ihre Meisterschaft als Filmauder Psychoanalytiker Jacques Lacan toren. Unbarmherzigkeit wird zum betont. Und wo man sie dennoch ganz Gütesiegel, an dem man die ernste Kunst zu sagen versucht, ist es nicht die Wahrim Gegensatz zur bloßen Unterhaltung heit. Vielmehr lässt sich die Wahrheit einzig erkennen kann. in Form eines stotternden „Halb-sagens“ Barmherzigkeit hingegen gerät in solcher artikulieren. Nicht umsonst sind es für die Perspektive sogleich in den Verdacht, eine Psychoanalyse gerade jene Formen des Kapitulation vor dem kitschigen MassenSprechens, die keinen Anspruch auf volle geschmack zu sein. Wo ein Film derartige Glaubwürdigkeit erheben können – das StotKompromisse eingeht, kompromittiert er tern, der Versprecher, auch der Traum oder sich selbst. Und wo ein Filmemacher seinen der Witz –, in denen die Wahrheit des SubCharakteren gar ein Happy End zugejekts mit Vorliebe aufscheint. Wahr ist dieses steht – diese verachtenswerte Hollywoodhalbe Sprechen, weil auch die Wahrheit des Konvention –, da hat er jeden Anspruch Subjekts nie eine ganze ist, sondern in sich

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filmkunst BARMHERZIGKEIT

widersprüchlich und zerrissen. Die Wahrheit ist, wie Lacan sagen würde, ein „Nicht-Alles“. Damit insistiert der Psychoanalytiker auf einer nie ganz einzuebnenden Kontingenz des Lebens: Unsere Existenz ist nicht vollständig determiniert, sondern besitzt eine fundamentale Offenheit. Es ist diese Offenheit, von der das tragische Denken nichts wissen will. In Tragödien wie in Sophokles’ „König Ödipus“ verläuft das Schicksal der Figuren entlang einer fugenlosen Kausalkette, in der sich jede Hoffnung ausschließlich als Illusion entpuppt. Jeder Versuch, das Schicksal abzuwenden, führt dies nur noch zwingender herbei. Entsprechend gibt auch das tragische Kino der Unerbittlichkeit vor, das Ende bereits zu kennen, so wie Lars von Trier den Weltuntergang schon am Anfang von „Melancholia“ vorwegnimmt. Hier filmt einer, der alles bereits im Voraus zu wissen glaubt und der weiß, dass es keine Rettung geben kann. Das Kino der Barmherzigkeit hingegen lässt

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seinen Figuren die Hoffnung und einen Aus- zeigen, wovor er sonst gerne die Augen weg aus dem scheinbar Unabänderlichen. verschließt. Wie Cassavetes in Filmen wie Es beharrt bis zum Filmschluss darauf, dass „Gesichter“ („Faces“, 1968) oder „Eine auch das offensichtlichste Ende noch nicht Frau unter Einfluss“ („A Woman Under the feststeht. Das Kino der Barmherzigkeit Influence“, 1974) seinen Charakteren ist eines des „Ja, aber…“. Und es zu Leibe rückt und mit maximaler „Pate“ erweist sich überraschenderweiEhrlichkeit zu zeigen versucht, wie für ein kino se auch als ein Kino der Demut, schwer es die Menschen sich in ihindem der Regisseur nämlich ein- der Barmherzigkeit: ren Versuchen machen, miteinanJohn Cassavetes der zu leben, das ist auch für den gesteht, nicht alles zu wissen. Wo der Unbarmherzige den Ausgang Zuschauer durchaus schmerzhaft. der Dinge bereits zu kennen glaubt, Cassavetes’ Blick auf die Menschen hält der Barmherzige am Möglichkeitsspielist hartnäckig. Unbarmherzig aber ist er nie. raum des „Nicht-Alles“ und damit an der Am Ende von „Gloria, die Gangsterbraut“ Hoffnung fest. („Gloria“, 1980) steht der kleine Junge Phil, Bei kaum einem anderen Filmemacher lässt dem die Mafia auf den Fersen ist und der sich dies eindrücklicher illustrieren als bei dabei nur von der in die Jahre gekommeJohn Cassavetes (1929-1989), dem vielnen Gangsterbraut Gloria beschützt wurde, leicht radikalsten Vertreter eines Kinos der allein auf einem Friedhof und spricht zu den Barmherzigkeit. Dabei kann man Cassavetes Steinen. Er wisse, dass Gloria tot sei, sagt gewiss weder Anbiederung beim Massener. Und er möchte, dass sie es wisse, dass er geschmack vorwerfen, noch Feigheit vor es weiß. Da fährt ein Wagen in die Friedder Aufgabe, dem Zuschauer auch das zu hofsallee. Eine alte Frau mit grauen Haaren

Der letzte mann 1924

Das Wunder von mailand 1950

Happy-Go-lucky 2007

f.W. murnau erzählt eine herzzerreißende Abstiegsgeschichte: Ein Hotelportier (Emil Jannings) wird altersbedingt gnadenlos degradiert: Er muss seine Uniform abgeben, landet als Klomann in den Toiletten im Keller und schämt sich dafür fast zu Tode. Ein Mann am Ende? Nicht bei Murnau, der ihn mit einer märchenhaften Fügung begnadigt: Ein steinreicher sterbender Hotelgast vermacht dem Klomann sein Vermögen; zum guten Schluss sehen wir ihn fröhlich mit seinem besten Freund im Hotelspeisesaal tafeln. Nicht realistisch, aber herrlich utopisch: Die existenzielle Unsicherheit der Zwischenkriegsära, die Abstiegsängste des Kleinbürgertums – erst beschworen, dann aufgelöst von einem Regisseur, der sich die Freiheit nimmt, die Würde seiner Figur zu retten.

Als Verrat am neorealismus haben es manche kritiker empfunden, als Vittorio de sica am Ende die sozial Ausgegrenzten Mailands aus ihrer bedrückenden Zwangslage befreite und sie auf fliegenden Besen vom tristen Boden der Tatsachen abheben ließ. Der fantastische „Eskapismus“ ist jedoch ein Manifest der Weigerung, sich den gesellschaftlichen Gegebenheiten einfach zu ergeben, und setzt auf die Hoffnung als subversive Kraft der Veränderung.

Das leben ist kein Ponyhof? Die Protagonistin in mike leighs komödie hat sich dafür entschieden, dass es das sehr wohl sein kann, im Sinne von: nicht hart, nicht deprimierend, nicht voller feindseliger Mitmenschen, sondern spielerisch, freud- und liebevoll. Mit dieser Einstellung durchs Leben zu kommen, ist manchmal ein Drahtseilakt. Leigh lässt seine Protagonistin mitunter schwanken, doch bleibt sein Film immer ihr Verbündeter: Glücklichsein mag nicht leicht sein, aber es ist eine Option, für die wir uns entscheiden können. Um vielleicht andere damit anzustecken.

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Das Zimmer meines sohnes 2001 Einen schrecklicheren schlag, als das eigene kind zu verlieren, kann man sich schwer vorstellen. Wenn in Nanni Morettis Film der Sarg über dem Jungen geschlossen wird, hat das etwas erschütternd Absolutes, und man fragt sich, wie es danach überhaupt noch weitergehen kann. Um genau dieses „Wie“ geht es: Moretti umkreist, wie man in die Trauer hinein-, aber auch wie man durch sie hindurchgeht. Bis der Tod nicht mehr den Horizont ausfüllt und verdunkelt. Er findet Bilder von der Meeresküste, wo die Familie wieder zueinander findet. Ein Ort, der eine Grenze markiert, aber auch die Aussicht ins Weite.


Fotos: Kinowelt/Pidax/Tobis/Alamode/Splendid/Pandora/Paramount

BARMHERZIGKEIT filmkunst

steigt aus und ruft den Jungen zu sich. Es ist Gloria, maskiert mit Perücke, welche ihr der kleine Phil, während er in ihren Armen liegt, vom Kopf zieht und fortwirft. Man hat dieses Happy End in seiner Unglaubwürdigkeit „traumhaft“ genannt. Cassavetes selbst hat über diesen Schluss lapidar gemeint: „Ich habe ihn so gemacht, weil ich nicht wollte, dass der Junge leidet. Was ist das für ein Film, wenn der Junge am Schluss durchdreht? Ich wollte den Menschen, der den Jungen beschützt hat, nicht vernichten.“ Wo ein anderer Filmemacher die Figuren in ihrer Qual zurückgelassen hätte und sich diese Schonungslosigkeit als besonders konsequent hätte auslegen lassen, zieht Cassavetes aus dem Umstand, dass er als Regisseur in der fiktiven Welt des Films Schicksal spielen kann, die gegenteilige Konsequenz, nämlich die, seinen Figuren barmherzig beizustehen. Verschiedentlich hat John Cassavetes auf seine Liebe zu den Filmen von Frank Capra

(1897-1991) hingewiesen. Sie seien für ihn Dieses barmherzige Land Capras, dem sich die größten Werke, die je gedreht wurden, John Cassavetes zugehörig fühlt, ist freilich ihnen habe er immer nacheifern wollen. nichts anderes als Amerika – jenes Amerika Dieser Verweis auf Capra, diesen unbeirrals der Idee der „unbegrenzten Möglichbaren Optimisten des amerikanischen keiten“, als ein nie abzuschließendes Kinos, mag den oberflächlichen Projekt. Und in der Tat erweist sich Prinzip Hoffnung: Cassavetes in seinem Insistieren Betrachter verwundern. TatsächEin kino der lich aber teilt Cassavetes mit auf dem Möglichkeitsspielraum unbegrenzten Capra denselben unerschütterder Veränderung als ein zumöglichkeiten lichen, barmherzigen Glauben tiefst amerikanischer Regisseur an das Individuum und dessen und Denker, für den gilt, was der Möglichkeit zur Veränderung. „Wie Philosoph Stanley Cavell in Bezug Capra mache ich Filme über den Einzelnen, auf Ralph Waldo Emerson als „Task of der sich gegen die Masse behauptet. Ich Onwardness“ bezeichnet hat – als „Aufgabe möchte, dass meine Filme einen wahrhaft des Vorwärts“: „Der Aufbruch, das Sichdemokratischen Geist reflektieren. Um auf-den-Weg-machen, ist es, bei all unserer die Welt zu verändern, müssen wir beim Verlorenheit, worin die Hoffnung besteht menschlichen Verhalten anfangen, beim und alles, worauf wir hoffen können. Es ist menschlichen Geist, und geht es in Capras der Aufbruch aus der Verzweiflung, welche Filmen im Grunde nicht genau darum? Ich sonst unser Schicksal wäre.“ Von dieser sehe ein herrliches Land, das zu Gefühlen Philosophie zu lernen, ohne dabei den Blick fähig ist. Für mich ist es Capras Land und für die Wirklichkeit zu verlieren, würde auch wird immer Capras Land sein.“ dem Kino jenseits der USA guttun. •

Bad lieutenant – Cop ohne Gewissen 2009 Ein Happy End ist in Hollywood selten ein Gnadenakt. Meist verdienen es sich die Helden durch Mut, Tugendhaftigkeit und vorbildlichen Einsatz für andere. Nicht so in Werner Herzogs durchgeknallter Variante von Abel Ferraras düsterem „Bad Lieutenant“. Für einen Typen wie den von Nicolas Cage gespielten Cop – drogenabhängig, korrupt, abgewrackt – wäre eigentlich Erlösung nur im Tod möglich. Herzog aber lässt ihn nicht nur davonkommen, sondern beruflich wie privat die Treppe hochfallen. Die Welt bei Herzog ist eben unberechenbar. Und manchmal ist es ganz gut, wenn wir nicht bekommen, was wir verdienen.

le Havre 2011 Von der normandie kennt man eigentlich nur trostlose kinobilder. Aki Kaurismäki aber nimmt sich von Anfang an die Freiheit, die Welt der kleinen Leute in warmen und herzlichen Tönen zu zeichnen. So zögert der alternde Schuhputzer Marcel nicht lange, als ihm ein afrikanischer Flüchtlingsjunge über den Weg läuft. Mit anrührender Selbstverständlichkeit helfen er und zahlreiche Freunde dem Jungen, und Kaurismäki lässt es sich nicht nehmen, mit „Wundern“ dafür zu sorgen, dass sie ihr Ziel auch erreichen.

nebraska 2013 Der Junge mit dem fahrrad 2011 Wie so oft bei den Brüdern Dardenne ist auch die soziale situation des titelgebenden Jungen alles andere als aussichtsreich: Der eigene Vater hat das leidende Kind in die staatliche Fürsorge abgeschoben. Doch die Dardennes lassen ihn einem Engel in Menschengestalt begegnen (unprätentiös und gar nicht überirdisch gespielt von Cécile de France), der ihm als zuverlässige Bezugsperson zur Seite steht. Eine Erlösungsgeschichte, die bei allem Realismus zeigt, wie viel Gutes ein Mensch bewirken kann, wenn er Liebe und Solidarität zu zeigen wagt.

Viel Elend ist in Alexander Paynes film zu sehen, der dorthin führt, wo die Wirtschaftskrise die Amerikaner am härtesten getroffen hat: Die ländlichen Staaten des Mittleren Westens. Woody Grant (Bruce Dern) wird wie ein vom Himmel gefallener Engel behandelt, als er persönlich den Millionengewinn einer Lotterie abholen möchte. Doch der vermeintliche Gewinn ist ein Werbetrick, den der demente, altersschwache Woody nicht begreifen will. Dass sich sein Sohn seiner annimmt, ihn durch zwei Bundesstaaten kutschiert und gegen Angriffe verteidigt, entspringt der zwingenden Logik des Films: der mitleidenden Perspektive, einen Menschen gerade im Augenblick der Schwäche nicht allein zu lassen.

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kRiTikEn neue FiLme

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Das Talent des Genesis Potini Maori-Drama um ein Schachgenie

setzt gleich ein Ziel an, das jedem außer ihm absurd vorkommt: Die Kinder aus kaputten Familien und halbkriminellen Verhältnissen in nur sechs Wochen zur nationalen Juniorenmeisterschaft zu führen. Es ist eine tragikomische Pointe des Films, dass in der porträtierten Lebenswelt nur Genesis – durch seine manischen Schübe – zum Optimismus fähig zu sein scheint. Selbst die Organisatoren des Schachclubs glauben nicht daran, dass sie bei ihren Schützlingen mehr bewirken können, als ihnen eine Ablenkung vom Alltag zu bieten oder sie am Abfackeln ihrer Schule zu hindern. Auf lange Sicht läuft es dennoch auf Knast oder Arbeitslosenhilfe hinaus. Der 1982 geborene Regisseur stellt die rauen Lebensbedin-

gungen in der neuseeländischen Peripherie, die überwiegend von Indigenen bewohnt ist, mit einem eindringlichen, sehr glaubhaften Realismus dar. Bei Robertson erscheint die weitgehend vernichtete MaoriKultur anfangs nur in traurigpervertierter Form in den Tätowierungen und Männlichkeitsritualen der brutalen Biker, bevor Genesis ein positives Gegenbeispiel entgegensetzt: Um das Prinzip des Schachspiels zu erläutern, greift er auf MaoriMythen zurück und begrüßt seine Schüler, zu denen bald auch Mana gehört, als seine „Whanau“, seine Familie. Als Dokument über das Dilemma zwischen Tradition und Trostlosigkeit der MaoriAbkömmlinge fällt der Film höchst präzise aus. Nahtlos

knüpft er damit an die beiden wohl bekanntesten NeuseelandFilme an, an Lee Tamahoris „Die letzte Kriegerin“ (1994) und Niki Caros „Whale Rider“ (2002); der Schauspieler Cliff Curtis verkörpert in allen drei Filmen tragende Rollen. Als bipolares Schachgenie Genesis Potini, das tatsächlich mit Ghettokids spielte und 2011 mit 47 Jahren starb, gelingt Curtis eine verblüffende Transformation: Fiebrig und unberechenbar spielt er diesen sanften Riesen, mit körperlicher Wucht, die sich immer wieder gegen ihn selbst richtet, und zugleich mit Momenten beinahe kindlicher Hilflosigkeit. Es liegt vor allem an Curtis, dass sich das harte Sozial- und Krankheitsdrama bemerkenswert gut mit der recht konventionellen Geschichte vom

Fotos S. 36-51: Jeweilige Filmverleihe

Ein alltäglicher Anblick ist Genesis Potini gewiss nicht: Den Kopf fast kahlgeschoren, die Zähne voller Lücken, beständig vor sich hinmurmelnd. Wenn er dann noch am Beginn des Films gemächlich durch heftig prasselnden Regen stapft, eine regenbogenfarbene Decke um den gewaltigen Leib gewickelt und die Hände euphorisch zum Himmel erhoben, versteht man durchaus, dass der Koloss seinen Mitmenschen potenziell gefährlich erscheint. Der neuseeländische Regisseur James Napier Robertson reizt die Frankenstein-Monster-hafte Erscheinung seines Protagonisten jedoch nur kurz aus. Sehr bald wird deutlich, dass Genesis ein durch und durch gutmütiger Mann und nur für sich selbst eine Gefahr ist. Seit seiner Jugend leidet der etwa Vierzigjährige an einer bipolaren Störung und hat mehr als das halbe Leben in der Psychiatrie verbracht. Außer seinen abgetragenen Klamotten und einigen Zeitungsartikeln – vergilbte Erinnerungen an jugendliche Erfolge als Schachspieler – hat er nichts, schon gar keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Eine letzte Chance bietet daher der Einzug bei seinem Bruder Ariki. Feste Strukturen sollen Genesis helfen, seine Anfälle in den Griff zu bekommen. Andernfalls droht ihm die geschlossene Abteilung. Doch bei seinem Bruder erwartet ihn keineswegs Stabilität: Zwar freundet sich dessen TeenagerSohn Mana mit dem sanftmütigen Onkel an, doch der aufbrausende Ariki und seine groben Biker-Kumpane können mit Genesis wenig anfangen. Es sieht schlecht für Genesis aus, bis er einen Schach-Club für Jugendliche aus seinem verarmten Viertel entdeckt und sich als Betreuer aufdrängt. Enthusiastisch erscheint er zur ersten Trainingsstunde und


neue FiLme kRiTikEn Aufstieg eines Underdog-Teams verbindet. Denn am Erfolg des Vorhabens, bei den Landesmeisterschaften um den Titel zu kämpfen, zweifelt man keine Sekunde. Man freut sich aber doch über die Fortschritte und Triumphe der unterprivilegierten Kinder, die schließlich in die Sphäre der weißen Oberschicht vordringen. In der steten Rückbindung an diese andere Ebene entwickelt der Film eine Spannung, die vergleichbaren Plots über die fruchtbare Beziehung von Schülern und Mentoren normalerweise fehlt. Nicht der Weg zum Ruhm gegen alle Widerstände ist hier das Entscheidende, sondern vielmehr die Frage: Wie lange kann das angesichts der harschen Realität außerhalb des Schachclubs wohl gutgehen? Marius Nobach BeweRTunG DeR FiLmKommiSSion

Ein gutmütiger 40-jähriger Maori mit bipolarer Störung findet nach Jahren in der Psychiatrie Unterschlupf bei seinem Bruder. Während er bei dessen kriminellen Biker-Kumpanen aneckt, findet er Anschluss an einen Schachclub für Jugendliche. Selbst ein hochbegabter Schachspieler, setzt er alles daran, die unterprivilegierten Kinder zur nationalen Meisterschaft zu führen. Der auf dem Leben des Schachgenies Genesis Potini (1963-2011) beruhende Film verbindet Ghetto- und Krankheitsrealität mit einer spannenden Underdog-Geschichte. In der Hauptrolle brillant gespielt, berührt das Drama auch durch seine Anbindung an die Maori-Kultur. – Sehenswert ab 16.

THE DARK HORSE. Neuseeland 2016 Regie: James Napier Robertson Darsteller: Cliff Curtis (Genesis), James Rolleston (Mana), Kirk Torrance (Noble), Wayne Hapi (Ariki), Miriama McDowell (Sandy), Barry Te Hira (Mutt) Länge: 124 Min. | Kinostart: 16.6.2016 Verleih: Koch | FSK: ab 12; f FD-Kritik: 43 945

Hannas schlafende Hunde Ein Mädchen entdeckt seine jüdischen Wurzeln

Mit neun Jahren besteht für Hanna Berger kein Zweifel daran, dass sie anders ist als die anderen. Ihre Religionslehrerin fragt sie nach der Herkunft ihrer Oma Ruth aus. Die Mitschüler gehen ihr pöbelnd aus dem Weg, und ein dem Alkohol nicht abgeneigter Hausmeister beschimpft sie nach einer missglückten Vergewaltigung als „Judengfrast“, dem er schon während des Krieges den Zutritt zum Luftschutzkeller verwehrt habe. Ende der 1960er-Jahre ist der Antisemitismus der Nazi-Zeit im österreichischen Provinznest Wels noch immer präsent. Von der kämpferischen Oma bekommt Hanna die Bestätigung, eine Jüdin zu sein, während ihre Mutter lieber schweigt, sich in der Scheinnormalität einrichtet und in ihrer verinnerlichten Opferrolle versucht, den jüdischen „Makel“ auszublenden. Sie erzieht ihre beiden Kinder erzkatholisch, während ihr Mann so tut, als spiele das Thema für ihn keine Rolle. Hannas nicht abreißenden Fragen aber kann

die Familie irgendwann nicht mehr mit Lügen begegnen. Alte Wunden brechen auf; die Konfrontation mit früheren Tätern aus der Nachbarschaft lässt sich nicht umgehen. Regisseur Andreas Gruber, der selbst in Wels aufgewachsen und ein Mitschüler von Elisabeth Escher ist, der Autorin des gleichnamigen Romans, versteht das Gesellschaftsdrama als Fortsetzung seines vor mehr als 20Jahren entstandenen Films „Hasenjagd“, der die Verfolgung von entflohenen Sträflingen aus dem KZ Mauthausen durch die SS und NSSympathisanten thematisierte. Grubers Anliegen ist respektabel, und das Sujet der in den Köpfen nachhallenden Ideologie erinnernswert, insbesondere angesichts neuer rechtspopulistischer Bewegungen. Allerdings fällt die Umsetzung etwas angestrengt aus. Was die Szenen an Emotionalität nicht hergeben, erzwingt überdeutliche Klaviermusik. Gleichzeitig verbietet sich die Inszenierung jede Dramatik, um die unver-

besserlich-braunen Fanatiker nicht allzusehr ins Monströse zu überhöhen. Ein Spagat, der vor allem im Kino nicht aufgeht. Zudem gerät auch die Symbolik etwas plump, wenn ein Maulwurf mit den Abgasen eines Mopeds getötet wird. Hannelore Elsner als in sich ruhende, aber auch scharfzüngige Zeugin der NS-Verfolgung überzeugt zwar mit gewohnter Präsenz, und auch Franziska Weisz als Mutter gelingt eine erschreckend auf Abwehr geeichte Körpersprache. Der Rest der Figuren dieses gehemmten Sittenbildes oszilliert aber zwischen Karikatur und blassen Stichwortgebern einer gutgemeinten Botschaft, die den pädagogischen Impetus chronisch mitschwingen, adäquate inszenatorische Lösungen aber schmerzlich vermissen lässt. Alexandra Wach

BeweRTunG DeR FiLmKommiSSion

Ende der 1960er-Jahre entdeckt ein neunjähriges Mädchen aus dem oberösterreichischen Wels mit Hilfe der Großmutter seine jüdische Identität und erkennt, warum seine Familie jedes Aufsehen vermeidet. Um sie herum leben frühere Täter, in denen die braune Ideologie noch immer lebendig ist. Das nach einem Roman von Elisabeth Escher inszenierte Gesellschaftsdrama versagt sich jede Dramatik, um die Ewiggestrigen nicht ins Monströse zu überhöhen. In den Hauptrollen gut gespielt, mangelt es dem ambitionierten Sittenbild freilich an Emotionalität, was die überdeutliche Filmmusik nicht ausgleichen kann. – Ab 14.

Deutschland/Österreich 2016 Regie: Andreas Gruber Darsteller: Hannelore Elsner (Ruth Eberth), Nike Seitz (Johanna Berger), Franziska Weisz (Katharina Berger), Rainer Egger, Nico Liersch Länge: 120 Min. | Kinostart: 9.6.2016 V: Alpenrepublik | FD-Kritik: 43 946

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kritiken auf dvd/Blu-ray

Bevor es mit der EM losgeht: Drei Dokumentarfilme porträtieren die Fußball-Stars Cristiano Ronaldo, Lionel Messi und Zlatan Ibrahimović Das Leben erzählt offensichtlich immer auf die bekannten Dokumente, die man dieselben Fußball-Erfolgsgeschichten: mehr oder minder zufällig mit der FernsehUnterprivilegierte Jungs aus nicht gerade kamera der Sportkanäle eingefangen hat. sonnenbeschienenen Verhältnissen entwiKeiner der drei Filme macht sich die Arbeit ckeln schon dann ihre Liebe zum Ball, wenn oder hat das Budget (oder die Rechte?), mit andere gefühlt gerade mit dem Laufen aneigenen Kameras den Helden bei der Arbeit fangen, und erspielen sich mit ihrem sportzu folgen. Die Regisseure, das kommt lichen Talent Status und Anerkennung. Bei noch hinzu, haben zudem einen anderen ganz wenigen ist da aber noch etwas mehr: Anspruch. Sie wollen (nur) den Menschen eine Gabe, mit dem Ball so umzugehen, hinter der Fassade des Glamourbetriebes dass es Staunen macht, die sie befähigt Profifußball aufzeigen. „Human Interest“durch gegnerische Reihen zu marschieren, Stories sind schließlich ein Verkaufsschlaals seien da nur Statisten, die dazu da sind, ger. der Genialität ein eindrückliches Forum zu Anthony Wonke macht dies in „Ronaldo“ bieten. Cristiano Ronaldo, Lionel Messi und meisterlich – und berechnend. Gemäß Zlatan Ibrahimović sind solche Lichtgestalseinem Image wird der portugiesische ten des Fußballs. Ihnen gehen Hochglanzfußballer von Real drei Dokumentarfilme auf den Madrid klar, aseptisch, leb- und Grund – oder doch nicht?! kritiklos überhöht. Dabei postuGemeinsam ist den Filmen liert der Dokumentarfilm doch durchweg das Desinteresse, im Werbetext gerade, Intimes besagte Gabe zu erkunden. Was aus dem (Familien-)Leben des macht einen Fußballer aus, der 31-jährigen Stürmers preiszugealle anderen Profis überstrahlt? ben. Umarmungen mit ManaKeiner der drei Regisseure gern, Freunden, Herziges mit hat die Fähigkeiten (oder das der Mutter und seinem kleinen Interesse?!), ihre „BetrachtungsSöhnchen, das er seit seiner Zlatan gegenstände“ auf dem Platz ins Geburt (2010; die Mutter wird dE uNGE ZlaTaN rechte Licht zu rücken. Zugegenicht verraten) allein erzieht. Niederlande/Schweden/ ben: Es ist schwierig, Fußball zu Dieses pikante private Detail Italien 2015 | r: fredrik inszenieren, dem Fußballer bei bleibt ebenso unangetastet wie Gertten, Magnus Gertten | seinen einsamen Geniestreichen 96 Min. | FSk: ab 6 | seine polarisierenden (menschzu folgen. So beschränken sich lichen) Eigenschaften. Hier wird Anbieter: alamode | „Ronaldo“, „Messi“ und „Zlatan“ FD-kritik: 43 970 unverblümt gehuldigt und als

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Messi

ronaldo

Spanien 2014 | r: Àlex de la Iglesia | 93 Min | FSk: ab 6 | Anbieter: Capelight | FD-kritik: 43 971

GB 2015 | r: anthony Wonke | 93 Min. | FSk: ab 0 | Anbieter: universal | FD-kritik: 43 972

Fotos: Jeweilige Anbieter

Legenden-Leben: Drei Fußballerkarrieren

(schwacher) dramaturgischer Spannungsbogen das Streben nach der „Weltfußballer des Jahres“-Trophäe inszeniert, um die er sich mit seinem Dauerrivalen Messi jährlich streitet. Wesentlich entspannter geht da Àlex de la Iglesia mit dem Argentinier Lionel Messi um, der seit seiner Jugend den Spitzenclub FC Barcelona als Stürmer maßgeblich prägt. Der 28-Jährige taucht hier gar nicht erst auf. Vielmehr unterhalten sich in einem Restaurant an unterschiedlichen Tischen Kollegen, Freunde und Familie über den Werdegang des Ballkünstlers. Eingestreut werden erstaunlich stimmige Reenactment-Szenen aus Messis Kindheit und die üblichen Ligaspiel-Kabinettstückchen. Ein kurzweiliger, wenn auch ein wenig hektischer, aber immens origineller Ansatz – zumal interessanterweise Rivale Ronaldo im Film gar keine Rolle spielt. Last but not least der Dokumentarfilm über den Rebellen, Unsympath und „Geisterscheider“ Zlatan Ibrahimović, geboren 1981 in Schweden. In „Zlatan“ der Brüder Fredrik und Magnus Gertten werden lediglich die Frühphase des Meisterstürmers in seinem Heimatverein Malmö FF und sein erstes großes Engagement bei Ajax Amsterdam beleuchtet. Doch dank großartiger Home Movie-Aufnahmen und ernsthafter Interviews mit Wegbegleitern entsteht ein kritisches, vor allem realistisches Bild eines Fußballers, dessen Eigensinn Grundstock, aber auch Fallstrick seines Genies markiert. Von diesen drei nun erhältlichen Dokumentationen ist „Zlatan“ sicherlich das aufwühlendste, erkenntnisreichste und formal ambitionierteste Schlaglicht aus einem Fußballerleben. Jörg Gerle


KritiKen fernseh-tiPPs

SA

07.35-08.55 mdr Rosas Traum R: Manne Lindwall Mädchen träumt von Popstar-Karriere Schweden 2006 Ab 12 14.00-15.30 KiKA Der Junge mit den Goldhosen R: Ella Lemhagen Junge findet Hose mit Wunderfunktion Schweden/Dänemark 2014 Ab 10 20.15-22.25 Servus TV The Door in the Floor R: Tod Williams Melodram nach John Irving USA 2004 Ab 16 20.15-21.55 zdf_neo Der Dieb von Monte Carlo R: Neil Jordan Gentleman-Gangster plant großen Coup Großbritannien 2002 Ab 14 21.55-23.25 BR FERNSEHEN Angsthasen R: Franziska Buch Phobiker krempelt nach Krebsdiagnose Leben um Deutschland 2007 Ab 14 22.00-23.45 einsfestival Der Spitzel – 50 Dead Men Walking R: Kari Skogland Kleinkrimineller spioniert für Briten in IRA Großbritannien/Kanada 2008 02.45-04.05 ZDF Kein großes Ding R: Klaus Lemke Berlin-Film mit ungewöhnlicher Buddy-Geschichte Deutschland 2013 Ab 16

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SO

SAMSTAG 11. Juni

SoNNTAG 12. Juni

20.15-21.55 7MAXX Die nackte Kanone R: David Zucker Polizeifilm-Parodie mit Leslie Nielsen USA 1988 Ab 12 21.55 - 23.35: Die nackte Kanone 2 ½ 23.35 - 01.00: Die nackte Kanone 33 1/3

11. Juni, 20.15-21.55

zdf_neo

Der Dieb von Monte Carlo Der irische Regisseur Neil Jordan hat sich schon in diversen Genres versucht, vom Fantasy-Horror („Zeit der Wölfe“) bis zu Liebesdramen („Das Ende einer Affäre“). Mit „Der Dieb von Monte Carlo“ lieferte er 2002 ein Caper Movie auf den Spuren von Jean-Pierre Melvilles „Drei Uhr nachts“: Ein Gentleman-Ganove (Nick Nolte) von dubioser Herkunft, der wieder einmal auf dem Tiefpunkt seiner Karriere angelangt ist, plant an der französischen Riviera einen letzten großen Coup. Beim Beutezug gegen das Casino von Monte Carlo hat er es allerdings nicht auf das Geld, sondern auf die wertvollen Gemälde der japanischen Besitzer abgesehen. Ein souverän inszenierter, raffinierter Genrefilm, der mit einem großartigen Hauptdarsteller und atmosphärischer Kameraarbeit punktet.

11. Juni, 02.45-04.05

ZDF

11. Juni, 20.15-22.25

Servus TV

Kein großes Ding

The Door in the Floor

Das wilde Filmemachen hat Klaus Lemke nicht verlernt. obwohl Jahrgang 1940, dreht er weiterhin unverdrossen kleine, rebellische Zeitstücke, mal mehr, mal weniger gelungen. „Kein großes Ding“ (2013) ist der mittlere Teil seiner „Berlin“-Trilogie (nach „Helden für Berlin“, 2012). Es geht um die Freundschaft zweier Kleinkrimineller, die es auf die Bühne zieht. Eine junge Frau spielt natürlich auch mit, aber die Handlung orientiert sich eher an der Beziehung der Männer. Das alles ist in typischer Lemke-Guerilla-Manier gedreht, mit improvisierten Dialogen und einer Frische, der man die Drehbuchmängel gerne nachsieht.

Vordergründig ist der Schriftsteller Ted (Jeff Bridges) in Leinensakko und Strohhut ein intellektueller Bohemien, der seinen Assistenten nicht ohne Hintersinn für die Sommermonate mit aufs Familienanwesen geschleppt hat. Der schüchterne Student soll seine depressive Frau (Kim Basinger) auf andere Gedanken bringen, die immer noch nicht über den Unfalltod der beiden Söhne hinweggekommen ist. In von mildem Sommerlicht durchfluteten Breitwandbildern fängt die Kamera die heitere Atmosphäre des an der Atlantikküste liegenden ortes ein, die im harten Kontrast zur angespannten Sprachlosigkeit der Eheleute steht.

20.15-22.15 arte Wie der Wind sich hebt R: Hayao Miyazaki Historien-Anime über Flugzeugkonstrukteur Japan 2013 Sehenswert ab 14 20.15-22.25 TELE 5 Der Teufelshauptmann R: John Ford Stimmungsvoller Westernklassiker USA 1949 Sehenswert ab 14 00.20-02.13 Das Erste Looking for Eric R: Ken Loach Kollegen und Fußballer Eric Cantona stehen Mann in Krise bei GB/Fr. 2009 Sehenswert ab 14

12. Juni, 20.15-01.00 7MAXX

Die nackte Kanone Als anarchische Zeitsatire und Parodie quer durch die Filmgeschichte hat die „Nackte Kanone“-Saga rund um den debilen, aber höchst effektiven Polizisten Frank Drebin (Leslie Nielsen) zwischen 1988 und 1994 Geschichte geschrieben. Auch heute noch ist die irrwitzige Zitatencollage mit den zu vernachlässigenden Plots höchst vergnüglich, vielleicht auch, weil das verantwortliche Trio David Zucker-Jerry Zucker-Jim Abrahams die Filme dermaßen mit Gags füllte, dass einige mittlerweile unverständliche Anspielungen kaum ins Gewicht fallen. Manchmal ist mehr nicht unbedingt falsch, eine Philosophie, der auch 7MAXX huldigt: ohne sich um etwaige Lachkrämpfe zu sorgen, zeigt der Sender alle drei Teile hintereinander weg.


FERNSEH-TIPPS KRiTiKEN

Ab 12. Juni

arte

Animationsfilmreihe & „Wie der Wind sich hebt“ Pixar und Dreamworks in allen Ehren; aber es gibt auch jenseits von Hollywood große Animationsfilmkunst. Anlässlich des „Festival international du film d’animation d’Annecy“ im Juni zeigt ARTE sein alljährliches Animationsfilm-Special, in dem sich das aufs Schönste nachvollziehen lässt. Neben einer Sondersendung zu dem französischen Festival, das eine der weltweit wichtigsten Plattformen des Animationsfilms ist, versammelt die Reihe den Anime-Klassiker „Akira“ (1987) und eine Reihe hochkarätiger Erstausstrahlungen. Den Auftakt macht der letzten Film von Altmeister Hayao Miyazaki, „Wie der Wind sich hebt“. In Anime-Form entfaltet dieser ein Drama um eine sehr zwiespältige historische Figur: Hintergrund ist die japanische Rüstungsindustrie vor und während des Zweiten Weltkriegs; im Zentrum steht der Flugzeug-Designer Jiro Horikoshi, der bei der Entwicklung der zum Angriff auf Pearl Harbor verwendeten Jagdflugzeuge eine wichtige Rolle spielte. Miyazaki macht daraus die Lebensgeschichte eines Träumers, der schon als Kind Visionen vom Fliegen hat, bei der Realisierung seines Traums dann jedoch in die harsche Welt der Rüstungsindustrie und des Krieges verwickelt wird. Ein beklemmend schöner, vielschichtiger Blick auf eine kontroverse Biografie. 12.6., 20.15-22.15 12.6., 22.15-00.15 13.6., 22.05-23.35 17.6., 23.40-00.35 17.6., 00.35-01.05

12./16. Juni

Wie der Wind sich hebt Akira Der Tag der Krähen Kurzschluss: Sondersendung Animationsfilmfestival Annecy Der Weihnachtskuchen

Das Erste/rbb Fernsehen

Fotos S. 56-65: Jeweilige Sender

Ken Loach Eigentlich hatte sich Ken Loach mit „Jimmy’s Hall“ (2014) schon vom Filmemachen zurückgezogen. Doch dann fühlte sich der englische Filmemacher, der am 17. Juni seinen 80. Geburtstag feiert, von der Kahlschlag-Politik unter David Cameron persönlich so herausgefordert, dass er mit „I, Daniel Blake“ darauf antwortete – und in Cannes prompt mit der „Goldenen Palme“ geehrt wurde. Zu seinem Jubiläum haben die Sender dennoch nicht die kämpferischsten Filme des Briten ausgewählt, sondern zwei Beiträge, die Loachs Witz und seine Schlitzohrigkeit herausstellen. In „Looking for Eric“ (12.6., 00.20-02.13, Das Erste) erhält ein frustrierter Briefträger unerwartet Hilfe vom französischen Fußballstar Eric Cantona, und in „Angel’s Share“ (16.6., 23.00-00.35, rbb) entdeckt ein Glasgower Hitzkopf, dass er eine feines Näschen für Whisky hat, was ihm einen Ausweg aus seiner misslichen sozialen Lage eröffnet.

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