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Von „Taste the Waste“ zu „10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?“: Der Dokumentarist Valentin Thurn

Der Dokumentarfilmer a Valentin Thurn hat ein Gespür dafür, komplexe Zusammenhänge filmisch verständlich zu machen. In seinem Dokumentarfilm „Taste the Waste“ (2011) gelang es ihm, die von den Industrienationen betriebene massenhafte Verschwendung von Lebensmitteln, die auf dem Müll landen, zu erhellen. Wobei er nicht nur dem System nachspürte, sondern auch Initiativen zeigte, die ein verantwortungsvolleres Verhalten mit Lebensmitteln vorleben. In seinem aktuellen Dokumentarfilm „10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?“ (Kritik in dieser Ausgabe) fragt Thurn nun, wo in Zukunft die Nahrung herkommen soll, die jeder Einzelne täglich zum Überleben benötigt. Und erneut stellt er innovative Ansätze für die Ernährungssicherung auf lokaler oder regionaler Ebene vor. Thurn: „Sie alle offenbaren, welch enormen Einfluss wir mit unserem Essverhalten haben.“ Von Peter Strotmann

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Geflügelmast in Indien, solidarische Landwirtschaft in Bonn, ein fleischfreier, 250.000 Euro teurer Burger brutzelt in einer Pfanne: Bilder aus dem Film „10 Milliarden – wie werden wir alle satt?“. Fünf Jahre zuvor hatte sich der Kölner Dokumentarfilmer Valentin Thurn schon einmal mit dem Thema Lebensmittel beschäftigt. In „Taste the Waste“ (2011) galt sein Augenmerk allerdings nicht der Herstellung von Nahrungsmitteln und dem dramatischen weltweiten Ernährungsengpass, der sich abzeichnet, sondern deren Vernichtung. „Taste the Waste“ kam am 8. September 2011 in die deutschen Kinos, nachdem der Film bereits ein Jahr vorher in einer kürzeren Fassung im Fernsehen gelaufen war. Zunächst startete er mit nur sieben Kopien; der kleine Verleih, so Thurn, sah für einen

Film, in dem es um Müll geht, wenig Publikumsinteresse. Der Verleih irrte. Das Thema Lebensmittelmüll fiel anscheinend auf fruchtbaren Boden, es bildete gewissermaßen „gesellschaftspolitischen Humus“ – und das schnell. „Taste the Waste“ wurde zum Musterbeispiel für einen Erfolg durch Mundpropaganda. Thurn: „Der Film lief in wenigen Kinos an, mit sieben Kopien, aber die Säle waren ständig voll. Und dann haben sie über drei bis vier Monate einen konstanten Sockel von 7.000 Besuchern pro Woche gehabt. Das ging so weiter, weiter, weiter. Es stieg sogar auf 10.000. Am Ende hatten 130.000 Zuschauer „Taste the Waste“ gesehen. Geschätzt ein Viertel bis ein Drittel davon waren Schulklassen mit ihren Lehrern, nicht alle 130.000 dürften also freiwillig im Kino gewesen sein. Andererseits: Vielleicht wurden auf diesem Wege ja doch einige Missverständnisse, wenn nicht über die Herkunft („Wie – Kartoffeln wachsen nicht im Glas?!“), dann über die Entsorgung und Vernichtung von Lebensmitteln aus der Welt geschafft. „Taste the Waste“ ist eine filmische Bestandsaufnahme, ohne Sprecher,

Kommentar, mit nur wenigen, dafür umso pointierteren InfoTexttafeln. Aber die bestürzenden Zahlenspiele sind es nicht, die hängen bleiben. Als ich seinerzeit die Filmpremiere in Köln erlebte, setzten sich viele Bilder in meinem Kopf fest, die nicht mehr auszulöschen waren. Zum ersten Mal sah ich Mülltaucher bei ihrem nächtlichen Treiben, erfuhr überhaupt, dass es so etwas wie „Containern“ gibt. Und ich sah einen Brotberg, wie ich ihn noch nie gesehen hatte: eine Halde von Brot- und Backwaren, vielleicht noch tagesfrisch, aber nicht mehr verkäuflich, abgeladen von LKW-Containern. Was solche Bilder in den Köpfen auslösen, lässt sich natürlich nicht ermessen. Aber „Taste the Waste“ zeitigte konkrete Folgen. Thurn: Fünf Tage nach der Fernsehausstrahlung meldete sich der Landwirt schaftsminister

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kino valentin thurn Alle Szenen aus „10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?“

Produkte fördern – think global, eat local. Thurn: Das ist aber etwas, woran meine ganzen kommerziellen Partner – Filmproduktion, Kinoverleih – kein Interesse haben. Damit verdient man kein Geld. Deshalb sind das mein Antrieb und meine Zeit, die ich investiere. Spätestens da wird der Dokumentarist zum Aktivisten… Thurn: Es galt ja lange als Maxime: Man soll sich mit keiner Sache gemein machen, und sei sie noch so gut. Ich fand diese Maxime nie richtig, weil ich glaube, dass man, egal was man tut, nie objektiv sein kann. Allein schon durch die Auswahl meiner Geschichten bin ich subjektiv. Und dann ist es für den Zuschauer doch besser, er weiß, wo ich stehe. Das bedeutet jetzt nicht manipulative Meinungsmache, ganz im Gegenteil. Ich glaube halt nicht an Objektivität, aber ich glaube an Fairness.

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Den anderen Standpunkt respektvoll anhören, dann aber sagen: „Nein, ich sehe das ganz anders.“

Der Reiseleiter In Thurns neuem Film „10 Milliarden – wie werden wir alle satt?“ erleidet dieses „Schicksal“ exemplarisch der berühmt-berüchtigte Hedgefonds-Manager Jim Rogers, der seine ganz eigene Meinung dazu äußern darf, wie die Ernährungskrisen der Zukunft zu lösen sind – jedenfalls nicht über „eat local“ –, auch wenn er irgendwann etwas ungehalten auf die Fragen reagiert. Anders als in „Taste the Waste“ wird Thurn hier nun auch als Macher sicht- und hörbar, als eine Art Reiseleiter. Thurn: Das war relativ frühzeitig klar, als wir gesehen haben: Das ist ja noch viel, viel komplexer als das, was wir mit „Taste the Waste“ gemacht haben. Es gibt

viele Dinge, die man schon mal gehört und gesehen hat, aber es hat sich noch keiner an so einen Rundumschlag gewagt. Da haben wir überlegt, dass ein roter Faden rein muss. Ich habe eben versucht, alles einzuordnen. Man muss es ja auch bewerten, und zwar nicht so, dass ich sage: Ich weiß, wo’s lang geht, sondern: Das ist die eine Meinung, das ist eine andere Meinung, ich aber sehe es so. Also auch durchaus als Möglichkeit für den Zuschauer, sich von mir abzugrenzen, aber argumentativ. Hatten Sie die Idee zu „10 Milliarden…“ schon im Kopf, während „Taste the Waste“ entstand? Thurn: Tatsächlich kam die Idee fast wie ein Auftrag des Publikums. Die Kinodiskussionen bei „Taste the Waste“ begannen beim Mindesthaltbarkeitsdatum, also in der eigenen Küche, und endeten beim Welthunger.

So war der Film auch irgendwie angelegt, aber das hat mir noch einmal klargemacht, dass diese Verbindung – ich bin über meinen Konsum mit der Welt verbunden – eigentlich noch intensiver untersucht werden muss. Den Sprung von der Verschwendung zur Produktion, den hat der Kontakt mit dem Publikum quasi hervorgebracht. Bringt es für den Dokumentarfilmer Thurn nicht eine gewisse Belastung mit sich, dass man nach diesen beiden Filmen überlegen muss: Was mache ich als nächstes? Welche Erwartungen muss ich jetzt erfüllen? Thurn: Das stimmt, ich bin jetzt sozusagen auf das Thema Ernährung festgelegt. Beim zweiten Film gab es auch ganz deutlich das Gefühl, das muss ich jetzt machen, das gehört dazu. Den nächsten Film werde ich nicht über ein Ernährungsthema machen. Es ist gut, mal was ganz anderes zu machen. •

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