![](https://assets.isu.pub/document-structure/221220130514-954f49b9043a9a614b704f7849c0cee1/v1/c8ffe0f66bb6bf5eb9fd637c6d25f234.jpeg?width=720&quality=85%2C50)
5 minute read
2.2 Die Entwicklung der Skoliosebehandlung nach Katharina Schroth
Geschichte
Advertisement
Die Geschichte der konservativen Behandlung von Skoliose ist sehr lang und reicht zurück bis zu den Methoden des Hippokrates um 460–370 v. Chr. (Vasiliades et al. 2009). Obwohl seit Hippokrates mehr als 2.000 Jahre vergangen sind, basierten die Hauptansätze der konservativen Behandlung von Skoliose im frühen 20. Jahrhundert wie auch heute noch auf weitgehend mechanischen Behandlungsprinzipien. Verschiedene Korrekturübungen wurden in den vergangenen zwei Jahrhunderten in vielen Teilen Europas entwickelt und angewendet. Bei einigen davon (Abbildung 18) wurden gleich drei Therapeuten für die Behandlung eines einzigen Patienten benötigt (Oldevig 1913). Die Geschichte der Skoliosebehandlung nach Katharina Schroth beinhaltet die Entwicklungsarbeit von drei Generationen. Den Anfang machten die Eigenbeobachtungen von Katharina Schroth (Lehnert-Schroth 1973). Die eigenen Korrekturbewegungen im Spiegel zu beobachten, war ein wichtiger Teil des ursprünglichen Schroth-Programms. Auf diese Weise wurden die Korrekturbewegungen, die Haltungswahrnehmung und die visuelle Wahrnehmung aufeinander abgestimmt (Abbildung 26). Da die Atmung und die damit einhergehenden funktionellen Korrekturen in ihrer Methode eine große Rolle spielten, konzentrierte sich Katharina Schroth in ihrer ersten Broschüre auf die Atmung im Allgemeinen (Schroth 1924). Später erläuterte sie die Bedeutung der Haltungswahrnehmung und deren Verbesserung mithilfe bestimmter Korrekturübungen (Schroth 1931, 1935). Was die Skoliose anbelangt, so begann die Geschichte der Familie Schroth in Ostdeutschland Anfang des letzten Jahrhunderts. Katharina Schroth begann den Einstieg in ihr Berufsleben als Lehrerin an einer Handels- und Sprachenschule. Jedoch entschied sie sich dafür, ihrer Karriere eine Wende zu geben und eine Ausbildung an einer Gymnastikschule (Vorläufer der Physiotherapieschule) zu absolvieren. Sogleich erkannte sie, dass die dort erlernten Methoden nicht auf Skoliose zugeschnitten waren und sie begann, die Patienten so zu behandeln, wie sie sich selbst korrigierte. 49 Ab 1921 wurde diese neue Form der Haltungskorrektur, die Korrektur des Atemmusters und der Haltungswahrnehmung in ihrem eigenen kleinen Institut in Meißen über einen Zeitraum von jeweils drei Monaten durchgeführt (Abbildung 34). In den späten 30er- und frühen 40er-Jahren wurde sie dabei von ihrer Tochter Christa Schroth unterstützt. Während dieser Zeit beschäftigte sie sich hauptsächlich mit Patienten, deren Wirbelsäulenkrümmung in der Regel 80° überschritt, die große Rippenbuckel hatten und sehr steife Fehlstellungen aufwiesen (Abbildungen 35 und 36). LESEPROBE
Geschichte
![](https://assets.isu.pub/document-structure/221220130514-954f49b9043a9a614b704f7849c0cee1/v1/ed2f429af971a859dfc9ccf928ee5553.jpeg?width=720&quality=85%2C50)
Abbildung 34: Katharina Schroth (hinten mittig) mit ihren Patienten in den 1930ern. (Historisches Bild aus dem Archiv von Christa Lehnert-Schroth).
![](https://assets.isu.pub/document-structure/221220130514-954f49b9043a9a614b704f7849c0cee1/v1/62ede5ba23948c78871d3eaa49327ad1.jpeg?width=720&quality=85%2C50)
Abbildung 35: Eine Patientin mit starker Verkrümmung, die in den 1930ern in Katharina Schroths erstem Institut in Meißen behandelt wurde. (Historisches Bild aus dem Archiv von Christa Lehnert-Schroth). Abbildung 36: Eine weitere Patientin mit starker Verkrümmung, die in Katharina Schroths Institut behandelt wurde. (Historisches Bild aus dem Archiv von Christa Lehnert-Schroth, Bad Gottleuba 1950, zweites Schroth Institut, Ostdeutschland).LESEPROBE
![](https://assets.isu.pub/document-structure/221220130514-954f49b9043a9a614b704f7849c0cee1/v1/79a5591a7d07b7f0a4732d4fad8ed42b.jpeg?width=720&quality=85%2C50)
Abbildung 37: Eine Patientengruppe mit schweren thorakalen Verkrümmungen arbeitet mit dem Muskelzylinder. (Historisches Bild aus dem Archiv von Christa Lehnert-Schroth, Meißen in den 1930ern).
Geschichte
Zusätzlich zu den individuellen Übungen und den passiven, manuellen Korrekturen durch einen Therapeuten wurden Gruppenbehandlungen eingeführt, die eine gemeinsame Behandlung von Patienten mit ähnlichen Krümmungsmustern ermöglichten (Abbildung 37). Dem Institut waren ein großer Garten und eine kleine Hütte mit Hilfsmitteln angegliedert. Der Großteil der Behandlungen wurde im Garten durchgeführt, da Frischluft und Sonnenstrahlen die allgemeine Gesundheit der Patienten verbesserten, besonders zu einer Zeit, in der es die Leute nicht gewohnt waren, ihre Haut direktem Sonnenlicht auszusetzen – oder den Blicken anderer.
Die eigenen Korrekturbewegungen im Spiegel zu beobachten, war schon immer wichtig. Dies wird in Abbildung 30 deutlich, worauf die individuelle Behandlung eines Patienten durch Christa Schroth vor einem Spiegel in den 1940er-Jahren zu sehen ist. Auch Franz Schroth, der Ehemann von Katharina Schroth, half im ersten Institut bei individuellen Korrekturen und speziellen Kräftigungsübungen. Bereits in den späten 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts entbrannte ein Kampf der Behandlungsmethoden. Prof. Scheede aus Leipzig, an dessen Institut Übungen nach Hoffa durchgeführt wurden, führte einen „Kleinkrieg“ gegen das 51 kleine Institut von Katharina Schroth, da sie weder eine professionell ausgebildete Therapeutin noch Ärztin war, sondern eine Lehrerin, die lediglich eine zusätzliche Gymnastikausbildung durchlaufen hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste Katharina Schroth ihr Institut in Meißen hinter sich lassen. Bevor sie nach Westdeutschland kam, war sie während der früheren 50erJahre gemeinsam mit ihrer Tochter vom Staat in einer kleinen Klinik in Bad Gottleuba angestellt. LESEPROBE
Geschichte
Von Bad Gottleuba zogen Katharina Schroth und ihre Tochter nach dem Zweiten Weltkrieg nach Bad Kreuznach in Westdeutschland, um in den frühen 60er-Jahren ein neues Institut in Bad Sobernheim zu eröffnen. In diesem Institut konnten zeitgleich mehr als 150 Patienten über einen Zeitraum von sechs Wochen behandelt werden (Abbildungen 38 und 39). Nach der Scheidung von ihrem ersten Ehemann, Ernst Weiss, heiratete Christa Schroth Adalbert Lehnert. Dieser half ihr, die neue Klinik aufzubauen und war auch in die Behandlung der Patienten involviert. In den 70er-Jahren entwickelte Christa Lehnert-Schroth die Methode weiter und führte eine simple Klassifikation ein, die bis heute von Physiotherapeuten genutzt wird (Abbildung 40). Zusätzlich dazu entdeckte sie, wie wichtig die lumbosakrale (Gegen-) Krümmung der Wirbelsäule für die musterspezifische Haltungskorrektur ist. Die Ergebnisse ihrer Entwicklungsarbeit beschrieb sie in ihrem Buch „Dreidimensionale Skoliosebehandlung“, das 1973 veröffentlicht wurde und heute bereits in der neunten Auflage erhältlich ist (Lehnert-Schroth 1973). Dieses historisch bedeutsame Buch ist heute auch in den Sprachen Englisch, Spanisch, Türkisch, Chinesisch, Japanisch und Koreanisch verfügbar.
![](https://assets.isu.pub/document-structure/221220130514-954f49b9043a9a614b704f7849c0cee1/v1/122ec2ebdd33bfcd5acdbf8df443d4da.jpeg?width=720&quality=85%2C50)
Abbildung 38: Christa LehnertSchroth, Katharina Schroths Tochter, mit einer Patientengruppe in ihrem neuen Institut in Bad Sobernheim. (Prospekt Sanatorium Lehnert-Schroth in den 1970ern). (Historisches Bild aus dem Archiv von Christa Lehnert-Schroth).
LESEPROBE
In den 70er-Jahren wurden erste Forschungsarbeiten zur Verbesserung der Vitalkapazität und der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit bei Skoliosepatienten nach stationärer Behandlung durchgeführt, die zur Anerkennung der Methode an einigen Universitäten beitrugen (Götze 1976, Götze et al. 1977). Auch der Einfluss der lumbosakralen Krümmung der Wirbelsäule auf die Korrektur bestimmter Krümmungsmuster wurde Ende der 70er-Jahren erkannt (LehnertSchroth 1981, 1982). Christa Lehnert-Schroth stellte fest, dass eine funktionelle Beinlängendiskrepanz bei Lumbalskoliosen schon allein durch die Korrektur der Lumbalkrümmung korrigiert werden kann (Lehnert-Schroth 1981). Das Institut wurde in den 80er-Jahren von „Sanatorium Lehnert-Schroth“ in „Katharina-Schroth-Klinik“ umbenannt, als Katharina Schroth bereits nicht mehr aktiv praktizierte. Dennoch kämpfte sie weiterhin für ihre Behandlungsmethode und führte viele Diskussionen mit Professoren zahlreicher deutscher Universitäten. Bis zu ihrem Tod am 19. Februar 1985 setzte sie sich für die nicht-operative Skoliosebehandlung ein.
Geschichte
![](https://assets.isu.pub/document-structure/221220130514-954f49b9043a9a614b704f7849c0cee1/v1/ef447bba83016c58628fe8f581d9c986.jpeg?width=720&quality=85%2C50)
Abbildung 39: Übungsaufbau im Sobernheim-Institut. (Prospekt Sanatorium Lehnert-Schroth in den 1970ern). (Historisches Bild aus dem Archiv von Christa Lehnert-Schroth).