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7.2 Beschreibung des physio-logic®-Übungprogramms

Das Schroth Best Practice-Programm®

7.2 BESCHREIBUNG DES PHYSIO-LOGIC®ÜBUNGPROGRAMMS

Das physio-logic®-Übungsprogramm beinhaltet: 1. symmetrische Mobilisationsübungen zur Verbesserung der Lordosierung mit Zielrichtung auf L1/2 und zur Mobilisierung der Kyphosierung der unteren Brustwirbelsäule, 2. die Schulung der physio-logic®-Alltagshaltungen und 3. die Schulung der Korrekturbewegung auch in der Fortbewegung. Die symmetrischen Mobilisationsübungen werden wiederholt angewendet. Diese Übungen können nur mit passivem Widerstand oder durch Haltungsreflexe durchgeführt werden. Aktiv sind wir nur in der Lage, die Wirbelsäule gesamthaft zu beugen oder zu strecken. Bei den physio-logic®-Übungen kommt es darauf an, die Lendenlordose zu verstärken und gleichzeitig Kräfte in die Rekyphosierung der unteren Brustwirbelsäule zu leiten. Im Stehen kann man einfach die lumbale Lordose durch Beckenkippung und Protraktion der unteren vorderen Rippenbögen verstärken. Diese Ausgangsstellung verbessert reflektorisch die Kyphosierbarkeit der Brustwirbelsäule – ein Korrekturmanöver, welches bei einer idiopathischen Skoliose wünschenswert ist. Es ist allerdings nicht das Ziel dieser Übungen, die Lumballordose auf Höhe von L5/S1 zu verstärken, weil dies zu vermehrtem Stress im lumbosakralen Scharnier führt. Die Lordose sollte vielmehr ihren Scheitelpunkt auf Höhe von L1–L2

Abbildung 88: Als Teil des physio-logic®-Programms führt der Catwalk zu einer Relordosierung der oberen Lendenwirbelsäule und zu einer Rekyphosierung der Brustregion. Beim Gehen sollten die unteren Rippenbögen vorwippen. Im Alltag kann diese Übung unauffällig ausgeführt werden. Im Idealfall sollten alle physio-logic®Übungen mit leicht vorgelehntem Rumpf ausgeführt werden. Der Catwalk hat zwei Phasen: 1. Abrollphase (Abrollen von der Ferse auf die Fußsohle). 2. Übergang zur Spielbeinphase (Verlagern des Gewichts vom Fuß auf die Zehen). In der ersten Phase (links) ist die Lordose der Lendenwirbelsäule stark ausgeprägt; in der zweiten Phase (drittes Bild von rechts) ist sie weniger stark zu sehen. LESEPROBE

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141 Abbildung 89a–c: Die Übung „Schlange am Felsvorsprung“ kann im Stehen und im Sitzen durchgeführt werden. Wir erzielen eine passive Widerlagerung der Lumballordose und mobilisieren die Brustwirbelsäule unter Nutzung kyphosierender Synergieeffekte durch das Herabführen der Arme gegen den Widerstand des elastischen Bandes in die Innenrotation/Abduktion. LESEPROBE

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Abbildung 90: Passive Widerlagerung der Lendenwirbelsäule bei gleichzeitiger Auslösung einer Kyphose der Brustwirbelsäule. Bei dieser Übung sollte der obere Rumpf nur so weit angehoben werden, dass noch der volle Kontakt zwischen der Lendenwirbelsäule und dem Kissen darunter besteht.

Abbildung 91: Der Catwalk, hier von einer Gruppe Patientinnen ausgeführt, folgt den physiologic®-Prinzipien. LESEPROBE

finden. Dies kann gesichert werden, wenn beide unteren Rippenbögen nach vorne gebracht werden (Weiss und Weiss 2012). Interessanterweise erfordert die auf diese Weise korrigierte Rumpfeinstellung bei optimaler Ausführung keine spürbare Muskelspannung (Abbildung 85). Zur asymmetrischen dreidimensionalen Haltungskorrektur können wir SchrothÜbungen nach den Prinzipien des physio-logic®-Programms modifizieren. An die Stelle der ersten und der zweiten Beckenkorrektur aus dem ursprünglichen SchrothProgramm treten die Beckenkippung und die Ventralisierung der unteren Rippenbögen. Die Korrektur der Alltagsaktivitäten (ADL-Training) ist äußerst wichtig, um das Haltungsstereotyp gewohnheitsmäßig zu verändern. Aus diesem Grunde wird das physio-logic®-Alltagstraining im Stehen und Gehen durchgeführt (Abbildungen 86–88). Hierzu wird der sogenannte „Catwalk“ gelehrt, welcher die Basisprinzipien des physio-logic®-Progamms beinhaltet; ebenso die einfache „NUBA“-Haltung als Ausgangspunkt. Diese Position wurde abgeleitet von der physiologischen Haltung eines nordafrikanischen, natürlich lebenden Eingeborenenstammes (Abbildung 83). Weitere Übungen aus dem physio-logic®-Programm werden in den folgenden Abbildungen dargestellt (Abbildungen 89a–c, 90, 91).

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7.3 SCHULUNG DER ALLTAGSAKTIVITÄTEN

Es kann nicht nur ein entscheidender motivationsfördernder Faktor sein, wenn Schroth-Übungen in Alltagssituationen ausprobiert werden, mitunter macht es auch mehr Spaß als das strikte Üben in definierter Ausgangsposition. Es gilt aber nicht nur, Übungen in Alltagssituationen zu integrieren – der sogenannte „Muskelzylinder“ ist durchaus beim Zähneputzen durchführbar (siehe auch Abbildung 92) –, sondern auch Ruhehaltungen einzustudieren, in welchen die Betroffenen auch einmal lockerlassen können, ohne die Krümmung in dieser Ruhehaltung zu fördern. Da es bequem ist, in der Krümmung zu ruhen, muss zunächst eine kleine Hürde übersprungen werden. Ein Prozess muss eingeleitet werden, der den Betroffenen demonstriert, dass sie auch in zumindest teilweiser Korrektur ausruhen können. 143 Eine Umgewöhnung ist also erforderlich, welche genaueste Einweisung verlangt. Alleine aber über die Kognitionsfähigkeit, also das Verstehen, ist auch dieser Prozess nicht immer zu bewältigen, zumal psychosoziale Faktoren den Verinnerlichungsprozess behindern können. Zwar scheint es einen Mechanismus zu geben, nach dem während der Übungszeit, die unter stationären Bedingungen teilweise sogar mehr als vier Stunden täglich betragen kann, ein mentales Engramm aufgebaut wird, welches ein gutes LESEPROBE

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Abbildung 92: Patientin beim morgendlichen Zähneputzen in der Ausgangsstellung Muskelzylinder.

Haltungsgefühl erzielen lässt. Allerdings wird dieses Engramm in manchen Fällen sofort im Anschluss an die Übungssituation wieder ausgeschaltet bzw. aus dem Bewusstsein verbannt. Dies mag daran liegen, dass die Skoliose an sich, als deformierende Erkrankung und unangenehme Erfahrung, verdrängt wird und sich die Betroffenen somit gegen das Alltagsmanagement (ADL) sperren. Um so wichtiger erscheint es, die Verbindung zwischen Übung und Alltag regelrecht einzustudieren. Die Beantwortung der Fragestellungen: „Welches ist meine richtige entspannte Sitzhaltung?“, „Welches ist meine richtige Liegeposition?“, oder „Wie lehne ich mich im Stand am besten an?“, kann nur unter Berücksichtigung des individuellen Befundes erfolgen. Bei radiologisch einbogigen Krümmungsmustern ist die Vorgehensweise recht einfach. In diesen Fällen ist nur darauf zu achten, dass in den Ruhepositionen Haltungen eingeübt werden, welche die Hauptkrümmung öffnen, während bei doppelbogigen Krümmungsmustern hingegen beide Hauptkrümmungen auch in der Ruheposition aufgerichtet werden müssen, weshalb hier ein längeres Üben notwendig ist. In den Abbildungen 93–96 sind die entsprechenden Möglichkeiten krümmungsmusterabhängig demonstriert. Die Schulung der Alltags-Ruhehaltungen muss getrennt von dem bis ins Kleinste ausgeklügelten Korrekturprogramm der dreidimensionalen Skoliosebehandlung nach Schroth betrachtet werden. Es ist nicht möglich, dass während einer dieser Alltags-Ruhehaltungen jede funktionelle Ausgleichskrümmung Berücksichtigung findet. Hauptziel ist es, progredienzförderndes „Hängen“ in der Hauptkrümmung zu vermeiden. LESEPROBE

Abbildung 93: (a) Patientin mit Krümmungsmuster 3B rechts, (b) mit Belastung des rechten Beines und Kippen des Beckens unter den Rippenbuckel. Im Sitzen (c) sollte die Patientin versuchen, die frontale Translationsbewegung zu unterstützen, indem sie den Schultergürtel nach links verschiebt. Bei einem 3BH-Muster kreuzt das rechte Bein über das linke Bein, um die Beckenkippung zu verstärken.

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145 Abbildung 94: (a) Patientin mit Krümmungsmuster 3B rechts, (b) mit Belastung des linken Beines, Schieben des Beckens unter den Rippenbuckel. Beim Sitzen (c) sollte die Patientin versuchen, die frontale Translationsbewegung zu unterstützen, indem sie den Schultergürtel nach links verlagert. Beim Muster 3BN kreuzt das linke Bein das rechte Bein oder beide Füße ruhen auf dem Boden, um das Becken in Neutralposition zu fixieren. LESEPROBE

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Abbildung 95: (a) Patientin mit einem Krümmungsmuster 4B (double major). Bei den alltäglichen Aktivitäten muss man darauf achten, eine Translationsbewegung des Rumpfes nach links einzuleiten (b), die durch die Verschiebung des Schultergürtels nach links unterstützt wird. Dabei ist es wichtig, dass das rechte Becken nicht angehoben wird, um die Lumbalkrümmung zu öffnen. Im Sitzen wird das linke Bein über das rechte Bein gekreuzt, um die rechte Beckenhälfte auf der Sitzfläche zu fixieren, wodurch die Lumbalkrümmung offen bleibt (d).

Abbildung 96: (a) Patientin mit einem Krümmungsmuster 4BL mit einfacher lumbaler Krümmung. In diesem Fall muss das Augenmerk bei alltäglichen Aktivitäten nicht immer auch auf die kleinere, sekundäre, nichtstrukturelle Thorakalkrümmung gerichtet werden. Das wichtigste sichtbare Merkmal bei diesem Muster ist die rechts hervorstehende Hüfte, die durch eine entsprechende Belastung des linken Beines im Stehen zentriert werden kann (b). Im Sitzen sollte die Belastung auf der rechten lateralen Gesäßregion liegen, wodurch das Becken entgegen der Schwerkraft automatisch nach links in Richtung der Korrektur gedrückt wird (c). LESEPROBE

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