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Der Muskelzylinder
Das Schroth Best Practice-Programm®
Eine Vereinfachung der Übungen trägt wesentlich dazu bei, die Aufmerksamkeit auf das Haltungsempfinden zu richten, wodurch die Übung alltagsgegenwärtig wird. Es ist insbesondere der Alltag, den wir mit unseren Übungen beeinflussen wollen, da man mit 20 Minuten Übung alleine keinen wesentlichen Einfluss auf die Prognose einer Skoliose nehmen kann. Somit möchten wir uns auf nur fünf wesentliche Übungen aus diesem Programm und auf drei einfache Hilfsgriffe konzentrieren, mit deren Hilfe man als Physiotherapeut die Übung vereinfachen und effektiv gestalten kann. Bei Anwendung dieser einfachen Techniken benötigen Patienten nur noch die Erinnerung an den therapeutischen Griff, und sie können die optimale Übungseinstellung automatisch und ohne „Hüftholz“ oder andere, im Alltag nicht verfügbare, Hilfsmittel abrufen. Da die Hilfsmittel nicht schon zu Beginn der Methodenentwicklung zur Verfügung standen, sehen wir uns berechtigt, dieses Übungsprinzip als „Ur-Schroth“ bzw. als das Originalprinzip anzusehen. Zuletzt sollen noch die neuesten Erkenntnisse der über die Extremitäten-induzierten Synergieeffekte gewürdigt werden: Wenn man beide Arme in Elevationsstellung bringt, führt dies in der Brustwirbelsäule zu einer antikyphotischen Synergie. Bringt man beide Arme in Retroversion (und ggf. auch noch in Innenrotation und Abduktion), so erzielt man eine kyphosierende Synergie im Bereich der Brustwirbelsäule. Wird allerdings der Arm der Paketseite in Elevationsstellung gebracht und der Arm der schwachen Seite in Retroversion, so erzielt man – wie bei der idiopathischen Skoliose generell erwünscht – auf der Paketseite einen antikyphosierenden und auf der schwachen Seite einen kyphosierenden Effekt, der spezifisch und selektiv dem thorakal konkavseitigen Flachrücken entgegenwirkt. Somit ist die Einstellung der Arme bei Anwendung der neuen „Power Schroth“Behandlung eindeutig definiert. Abweichungen hiervon werden lediglich bei den seltenen Kyphoskoliosen zugelassen.
Der Muskelzylinder
Der sogenannte Muskelzylinder kann – wie in der letzten Auflage beschrieben – im Kniestand, in Seitenlage, aber auch im Stand durchgeführt werden. Wir wählen letztere Position, da diese die wohl effektivste und gleichzeitig auch angenehmste Ausgangsstellung zur Durchführung dieser doch recht anstrengenden Übung ist. Diese Übung spricht einseitig die autochthone Rückenmuskulatur an: im Lendenbereich den intrinsisch lumbalen Anteil, welcher sich durch einen schrägen Verlauf vom Becken kommend zu den Querfortsätzen auszeichnet. Hierdurch erfolgt eine Derotation der lumbal konkavseitig ventral verdrehten Querfortsätze, bei gleichzeitiger Aufrichtung der Lumbalkrümmung. Im Brustwirbelbereich zieht die autochthone Rückenmuskulatur eher längsseitig und vermag die thorakale Konvexseite aufzurichten und gleichzeitig den Rippenbuckel zu derotieren. Daher ist der Muskelzylinder für drei- und vierbogige Krümmungen gleichermaßen geeignet (Abbildungen 104 und 105). LESEPROBE
Abbildung 104: Muskelzylinder in der Ausführung dreibogig mit gerader oder unter das Paket gekippter Beckenstellung.
Das Schroth Best Practice-Programm®
155 Abbildung 105: Muskelzylinder in der Ausführung vierbogig mit gerader oder unter die schwache Seite gekippter Beckenstellung. Die letztgenannte Ausführung ist allerdings sehr schwer und daher nicht bei allen Patienten zu erreichen. Aber auch in gerader Beckeneinstellung ist diese Übung für beide Grundmuster bestens geeignet. LESEPROBE
Das Schroth Best Practice-Programm® Ausgangsstellung
Das Bein der thorakalen Konvexseite wird gestreckt auf einer Unterlage (Hocker, untere Sprossen einer Sprossenwand) seitlich abgelegt. Der Oberkörper wird in Verlängerung dieses Beines zur thorakalen Konkavseite geneigt. Die Deflexion der thorakalen Konvexität wird durch den „Schultergegenzug“ auf der thorakalen Konvexseite eingeleitet, während die thorakale Konkavität zusätzlich durch einen konkavseitigen „Schulterzug“ schräg aus der Konkavität heraus und bei bestehendem Flachrücken aus der Innenrotationsstellung des thorakal konkavseitigen Armes dorsal hin geöffnet werden kann1. Die Ausgangsstellung wird komplettiert durch eine physiologische Sagittaleinstellung mit Beckenkippung und Ventralisation der Rippenbögen (siehe auch physio-logic®-Programm).
Aktive Korrekturen
Ist die Ausgangsstellung eingenommen, besteht bereits eine ausgezeichnete Vorkorrektur der Deformität, sowohl lumbal als auch thorakal. Zusätzlich wird nun bei thorakalen Hauptkrümmungen versucht, durch Verstärkung des konkavseitigen „Schulterzugs“ eine klinische Überkorrektur der Verkrümmung der Brustwirbelsäule zu erzielen. Bei ausgeprägten Lumbalkrümmungen soll das Becken auf der thorakalen Konvexseite durch einen sogenannten „Vorfußschub“ mit dem thorakal konvexseitigen Bein (geht eher in die erwünschte Lordose als der früher angewendete Fersenschub) abgesenkt werden, wodurch sich die Lumbalkrümmung öffnet. Dabei sollen die thorakalen Korrekturen nicht verloren gehen.1
Die Dreh-Winkel-Atmung
Die Dreh-Winkel-Atmung ermöglicht eine weitere Verbesserung der Korrekturen wie auch des Haltungsempfindens. Es wird selektiv in die thorakale Konkavseite (schwache Seite) dorsal eingeatmet, die ventral gerichteten Rippen dorsal derotiert und diese Korrektur bei jeder weiteren Inspiration nach Möglichkeit gesteigert. Fortgeschrittene Patienten können gar gleichzeitig selektiv eine Korrektur der thorakalen Konkavseite (schwache Seite), wie auch der lumbalen Konkavseite (schwache Stelle) herbeiführen.
Stabilisation
Nach der Anwendung der Dreh-Winkel-Atmung in der Inspirationsphase wird in jeder folgenden Exspirationsphase bei optimaler Gesamtkorrektur die Rumpfmuskulatur maximal angespannt. Somit können, je nach Kondition der übenden Person, 1 „Schultergegenzug“ und „Schulterzug“ beschreiben die Bestrebung des Patienten, mit den Ellenbogen streng in der Frontalebene nach außen zu streben. Der Schultergegenzug findet auf der thorakalen Konvexseite statt und ist die kraniale Widerlagerung für die Rippenbuckelkorrektur in der Frontalebene. Der Schulterzug hingegen hilft, die thorakale Konkavseite zu öffnen und damit den thorakalen Shift zur thorakalen Konkavseite einzuleiten.LESEPROBE