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7.7 Die Kurzrehabilitation
1. Durch die Verstärkung der Schultergürtelrotation in die Korrektur entsprechend dem im letzten Abschnitt beschriebenen Schulterblattmuster bei den Krümmungsmustern 3B, 3BH und 3BTL. Die Patienten shiften ihren Schultergürtel rhythmisch während der Belastungsphase des Beines der Paketseite zur schwachen Seite hin und führen gleichzeitig das Schulterblatt der Paketseite kaudal. 2. Durch die Verstärkung der seitlichen Beckenkippung zur schwachen Seite bei den
Krümmungsmustern 4BL und 4BTL. Die Patienten shiften – oder besser pendeln – ihren Beckengürtel rhythmisch während der Belastungsphase des Beines der schwachen Seite vermehrt zur schwachen Seite hin. 3. Durch Verstärkung des Lateralshifts von Schulter- und Beckengürtel gegeneinander bei den Krümmungsmustern 4B und 3BL (Abbildungen 123a-b). Die
Patienten shiften ihren Schultergürtel rhythmisch während der Belastungsphase des Beines der Paketseite zur schwachen Seite hin. Die beschriebenen Korrekturmanöver sind entsprechend der Schrittfolge rhythmisch zu akzentuieren, zu verstärken und zunächst in der Lernphase zu übertreiben. Danach kann eine im
Alltag unauffällige Korrektur übernommen werden. Am besten lässt sich die 3D-Gangschule für Skoliosepatienten auf einem Laufband zeigen. Hat man eine
Strecke von 10 Metern zur Verfügung, gelingt es mit etwas mehr Einsatz des mitlaufenden Therapeuten jedoch ebenfalls. 4. Neben dem reinen Shift der einzelnen Rumpfabschnitte gegeneinander in der
Frontalebene, wie bereits beschrieben, kann auch die Schultergürtelkorrektur aus dem „3D einfach gemacht“-Programm angewendet werden. Diese führt bei allen
Krümmungen mit einer thorakalen Hauptkrümmung (3BH, 3BTL, 3BN, 3BL, 4B), wie bereits beschrieben, zu einer dreidimensionalen Krümmungskorrektur. Mit jedem zweiten Schritt wird diese Korrekturbewegung eingeübt und in der Ausführung akzentuiert (Abbildungen 123a-b).
Das Schroth Best Practice-Programm®
Mittlerweile liegen Erfahrungen zur Kurzrehabilitation von Kindern und Jugendlichen vor. Die Haltungsschulung konnte effektiv innerhalb von drei Tagen gewährleistet werden. Nachdem wissenschaftliche Ergebnisse für die aktuell durchgeführten mehrwöchigen stationären Rehabilitationsmaßnahmen nicht vorliegen (Yilmaz und Kozikoğlu 2010), eine Verbesserung des Gesundheitszustandes und der Funktionsfähigkeit der betroffenen Skoliosepatienten durch eine mehrwöchige stationäre 175 Behandlung also nicht belegt ist, muss es auf die Schulung der Betroffenen ankommen, dass sie im Alltag krümmungsförderndes Verhalten vermeiden können. Wird die Schulung in standardisierter Weise durchgeführt, erhält man auch eine gesicherte Ergebnisqualität mit reproduzierbaren Zielvorstellungen. Die Zielrichtung ist für die Skoliosebehandlung eindeutig definiert: Entwicklung eines Haltungs- und Bewegungsempfindens, welches krümmungsförderndes Verhalten im Alltag vermeiden lässt. Es geht also nicht um die Durchführung einer Vielzahl von Übungen, nicht LESEPROBE
Das Schroth Best Practice-Programm®
um die momentane Korrektur, sondern um ein nachhaltiges Schulungsergebnis, welches für die mehrwöchigen stationären Behandlungsmaßnahmen immer noch nicht belegt ist. Zweifellos fördert die Gruppendynamik während der stationären Rehabilitation die Motivationslage der Betroffenen. Diese fühlen sich sichtlich wohl, auf jemanden zu treffen, der von der gleichen seltenen Problemstellung betroffen ist. Indes ist die Zielrichtung der aus diesem sozialen Bonus gewonnenen Motivationsförderung mehr auf das gemeinsame Erleben, als auf das gemeinsame Erwerben spezifischer Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgerichtet. Dies führt nach unseren Erkenntnissen dazu, dass die stationäre Rehabilitation von Jugendlichen äußerst positiv bewertet wird, nach drei Monaten die Lernziele aber nicht mehr abrufbar sind. Dies mag auch an dem didaktischen Konzept liegen. Das derzeit in der stationären Rehabilitation immer noch angewendete „verschulte“ Konzept mit einem festen LehrerSchüler-Setting ist pädagogisch veraltet und führt lediglich zu einer kurzfristigen Memorisierung. Alles, was über diesen didaktischen Modus vermittelt wird, ist nur bei wenigen, äußerst motivierten Patienten auch langfristig verfügbar. Ferner fördert die erste Behandlungswoche während der stationären Rehabilitation mit mehr theoretischen Lerninhalten (Anatomie, Physiologie) als mit praktischen Ausführungen bei der Mehrzahl der Betroffenen nicht gerade die Motivation. Benötigt wird demnach ein Konzept, innerhalb dessen sofort mit dem Üben begonnen werden kann. Heute verlässt man das frühere didaktische Konzept zugunsten des selbst entdeckenden Lernens, denn was man selbst entwickelt hat, bleibt einem auch langfristig verfügbar (Weiss 2010). In den USA folgt Moramarcos skoliosespezifische Rückenschule dem Schroth Best Practice-Programm®. Dabei erfolgt die Unterweisung der Patienten oftmals in einer Eins-zu-Eins-Beziehung. Einige Patienten bevorzugen die individuelle Betreuung, die Zeiteffizienz und die Flexibilität dieses Behandlungsansatzes. Durch diese individuelle Unterweisung erhalten die Patienten mehr Tiefe und Breite im Wissen bezüglich ihrer speziellen Krümmungsmuster und ihrer individuell angepassten Übungsweise. Ob stationär oder ambulant, mit dem Schroth Best Practice-Programm® kann man sicher sein, die modernsten Methoden anzuwenden. Das Programm hat folgende Vorteile. Es beinhaltet: • standardisierte Lerninhalte (hohe Prozessqualität), • modernste pädagogische Ansätze und • modernste evidenzbasierte Methoden der Physiotherapie (gute Ergebnisqualität). Die mögliche Struktur der Kurzrehabilitation sei im Folgenden kurz skizziert. Die spezifischen Inhalte können jedoch nur im Rahmen unseres Kurssystems erlernt werden. Zunächst müssen die Patienten untersucht, ihre Röntgenbilder ausgewertet und die Betroffenen auch generell über Wirbelsäulendeformitäten sowie über die Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt werden. Für die Betroffenen ist es hilfreich, die eigene dreidimensionale Deformität vor Beginn der Behandlung zu erkennen. Als Teil der Untersuchung erfolgt die Messung mit dem Scoliometer™. Diese Messungen sind einfach durchzuführen und erfordern keine Röntgenstrahlung.LESEPROBE
Möglicher Aufbau der Kurzrehabilitation Skoliose Tag 1
Modul 1: Kennenlernen, physio-logic® (Stand, Sitz, Gang, Catwalk) Modul 2: Selbst entdeckendes Lernen: Krümmungsmustererkennung Modul 3: (a) physio-logic®, (b) Krümmungsmuster überprüfen, (c) ADL (im Stehen, Sitzen und Gehen)
Tag 2
Modul 4: a, b, c, + (d) „3D einfach gemacht“ Modul 5: Selbstständiges Weiterüben (Zielsetzung: Verbesserung der Übungsausführung) Modul 6: a, b, c, d, + (e) Erste und zweite Schroth-Übung (50×-Übung auf dem Ball; Türklinkenübung). Zusätzlich wird begonnen, bei der Gangschulung im Catwalk 3D-Korrekturen mit einzubauen (a).
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Tag 3
Modul 7: a, b, c, d, e, + (f) Muskelzylinder, Frosch am Teich Modul 8: Komplettes Programm mit allen Übungen (selbstständige Verbesserung der Übungsausführung) Modul 9: Praktische Überprüfung des Gesamtprogramms (60 Min.), ggf. schriftliche Überprüfung (30 Min.) Die einzelnen Module haben eine Dauer von 90 Minuten. Die Abfolge der Inhalte ist grundsätzlich einzuhalten, um eine einheitliche Prozessqualität und damit auch eine einheitliche Ergebnisqualität zu gewährleisten. Das Programm kann in der physiotherapeutischen Praxis auch innerhalb von 90 Min. erlernt werden oder mit einem Rezept für 6 Übungseinheiten. Es muss nach wenigen Tagen oder wenigen Wochen mindestens eine Wiederholung von 90 Min. oder 6 Übungseinheiten zur Überprüfung des Lernerfolgs stattfinden. Das Programm der Kurzrehabilitation (Weiss 2010; Borysov und Borysov 2012; Pugacheva 2012) ist auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet, aber auch auf (junge) Erwachsene, welche in Kürze ein effektives Programm erlernen wollen. Patienten mit schweren sekundären Funktionseinschränkungen (verminderte Vitalkapazität, chronischer Schmerz) sollten auch weiterhin mindestens vier 177 Wochen stationär behandelt werden. Hierfür ist prinzipiell auch eine allgemeine orthopädische Rehabilitationseinrichtung geeignet, sofern die Patienten bereits ambulant geschult wurden. Bei dieser Patientengruppe steht schließlich nicht die Skoliose, sondern die Funktionsstörung im Vordergrund. LESEPROBE