Fußball wird mit den armen gespielt

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N°5 S P O R T O H N E GRENZEN

IN FREDS BLICKWINKEL

FUßBALL WIRD MIT DEN ARMEN GESPIELT AUSZUG | 15 SEITEN

MAI - JUNI 2014


STUDIE | FUßBALL WIRD MIT DE, ARMEN GESPIELT

Von Frédéric Brigaud Übersetzung aus dem Französischen von Hannelore Fischer

STUDIE

# 5 • MAI-JUNI 2014

WIRD MIT

DEN

ARMEN

« SEID AUF DAS UNERWARTETE VORBEREITET » EDGAR MORIN

GESPIELT WARUM WERDEN SIE DIESEN ARTIKEL LESEN ? Sie sind… Fußballspieler : zur Verbesserung Ihrer Technik Fußballtrainer : Sie wollen mehrere Eisen im Feuer haben Fußballzuschauer : zum Verfeinern Ihres Kritikvermögens Lehrer : zum effizienteren Tafelwischen Läufer : um endlich Ihre Arme zu betätigen Fußballgegner : um festzustellen, dass die Fußballspieler nicht nur viel Wind mit ihren Armen machen

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FUßBALL

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C

ristiano Ronaldo. . Einer der weltbesten Fu ballspieler. Am Anfang seiner Karriere konnte man vielleicht nicht von Gnade, wohl aber von seiner blitzschnellen technischen Gestik berührt sein, womit er alle anderen übertraf. Vom biomechanischen Standpunkt aus betrachtet konnte der aufmerksame Beobachter einen wirkungsvollen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Körperteilen und der globalen Einheitlichkeit seiner gesamten Muskulatur bemerken. Und doch besteht Ronaldo, trotz seines hohen Niveaus und seiner positiven Eigenschaften, so wie wir alle, aus Muskeln und Gelenken, und ist somit den gleichen Gravitationskräften ausgesetzt …

TROTZ SEINER POSITIVEN EIGENSCHAFTEN IST RONALDO, WIE WIR ALLE, DEN GRAVITATIONSGESETZEN AUF DER SUCHE NACH UNTERLEGEN LEISTUNGSFÄHIGKEIT

Man versteht unter globaler Einheitlichkeit, dass jeder Körperteil beansprucht, und keiner vernachlässigt wird. Demnach können wir

annehmen, dass dieser Sportler eine optimale dynamisch-biomechanische Strategie1 entfaltet und beibehält, die trotz der Höhen und Tiefen seiner Karriere fortdauert. Diese biomechanischen Aspekte führen dazu, dass er immer noch zu den Athleten gehört, die man als vollkommen betrachten kann. Um ein gleiches sportliches Objektiv zu erreichen - zum Beispiel einen Elfmeter schießen, oder dribbeln - gibt es eine Vielzahl verschiedener Bewegungsabläufe. Um das genauer zu erklären und besser zu verstehen, übertragen wir das Prinzip auf den Laufsport. In diesem Zusammenhang ist das angestrebte Objektiv das Laufen. Jedoch wird, je nach der Stütztechnik, welche der Läufer anwendet - mit der Ferse oder dem Vorfuß - seine Muskulatur auf verschiedene Weise beansprucht und entwickelt sich auch anders. So werden zum Beispiel die Waden beim Aufstützen des Vorfußes mehr stimuliert. Folglich ist je nach Stütztechnik die Kraftverteilung zwischen den verschiedenen Muskeln eine andere. Es gibt zwei verschiedene biomechanische Strategien, zwei verschiedene Körper für einund dasselbe sportliche Objektiv. Das Gleiche gilt für jede sportlich-technische Geste. Über das alleinige Leistungsergebnis hinaus ist es demnach angebracht, die Wirksamkeit der biomechanischen Strategie anzustreben, die zu diesem Ergebnis führt2.

DIE VERNÜNFTIGE MUSKULATUR Entwickeln und Beibehalten Ihrer Muskulatur ist zum großen Teil das Ergebnis der wiederholt ausgeführten Gesten: der Körper wird durch die angewandten Gesten geprägt. Durch das Praktizieren von Muskeltraining ist es immer möglich, nur einen Teil seines Körpers auszubilden, aber wenn Sie infolgedessen beim Betreiben einer Sportart jenen Körperteil nicht oder nur wenig stimulieren, werden die so schön ausgebildeten Muskeln schneller verschwinden, als sie errungen worden sind, denn der Körper belastet sich nicht mit Muskeln, die nicht technischrepetitiv beansprucht werden, daher die Notwendigkeit einer vernünftigen, im Zusammenhang mit der biomechanisch entwickelten Strategie stehenden Muskulatur.

Diese Einheitlichkeit findet man bei Dawa Sherpa* (Gebirgslaufen), der seinen oberen Körperteil sehr sinnvoll bewegt, um vorwärts zu kommen. Er hat eine optimale biomechanische Strategie erworben, welche die Arme beim Abstoßen mit einbezieht. Das bedeutet, er benutzt, je nach Bedarf, ein mehr oder weniger aktives Armschwingen, das dann bis zu den Stützpunkten weitergeleitet wird, und so beim Abstoßen3 mitwirkt. Könnte es aber nicht sein, dass dies etwas anderes bezweckt, da ein direkter mechanischer Zusammenhang zwischen der Armbewegung und dem Abstoßen besteht?

DER LEHRER UND DIE TAFEL Man erinnere sich an seine Schulzeit. Wer hat noch nie die Armbewegungen seines Lehrers beim energischen Tafelwischen beobachtet? Unsere lieben Lehrer benutzten normalerweise nur einen Arm, um die Tafel zu wischen, der andere tat nichts anderes, als die durch den ersten Arm veranlasste Belastung auszugleichen. Sie waren sich aber sicher nicht bewusst, dass ihre Geste wirkungsvoller und körperlich weniger belastend gewesen wäre, hätten sie absichtlich beide Arme gleichzeitig betätigt: Die Belastungen wären dann gelenkt und ausgenutzt worden, anstatt auf den Rest des Körpers verteilt und von ihm aufgenommen zu werden. Machen Sie das Experiment: Nehmen wir an, Sie stehen vor der Tafel und wischen sie energisch von rechts nach links mit der rechten Hand (Abb.1). Dann betätigen Sie gleichzeitig beide Arme. Im ersten Fall geschieht folgendes: je schneller die Bewegung ist, desto mehr werden Körper und Stützen destabilisiert (beobachten Sie das wechselseitige Drehen des Beckens). Im zweiten Fall dagegen bleibt der Körper im Gleichgewicht, da der linke Arm ebenfalls betätigt wird (das Becken bewegt sich nicht). Sie spüren weniger Belastungen und können die Bewegung noch beschleunigen. Vollziehen Sie beide Übungen nach, aber diesmal nur auf ein Bein gestützt. Die, wenn überhaupt vorhandenen Belastungen und Schwankungen werden dann stärker wahrgenommen. Es gibt

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Bei der technischen Überlegenheit eines Fußballspielers wie Ronaldo könnte man annehmen, er sei von göttlicher Gnade berührt. Doch die biomechanische Untersuchung seiner Gestik zeigt, dass er « eigentlich nur » in der Lage ist, eine quasi einzigartige Strategie zu entwickeln, die ihn viel schneller und leistungsfähiger macht als irgendeinen seiner Gegner.


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Im Laufe der Zeit bildet sich der Körper, je nach der täglich angewendeten Strategie, unterschiedlich „geschnitzt“ aus. Man könnte also so weit gehen, zu behaupten, der Lehrer, der beide Arme benutzt, ist ein vollkommener Athlet im Vergleich zu demjenigen, der sich nur eines Armes bedient. Außerdem werden bei Benutzung nur eines Arms die betätigte Schulter und der Rücken mehr belastet, denn die Belastung wird nicht gelenkt, sondern hat eine Rückwirkung bis hin in die Stützpunkte.

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Wir halten also fest, dass die kombinierte Betätigung beider Arme es erlaubt, die Bewegung stark zu beschleunigen, ohne die übrigen Körperteile zu destabilisieren, ohne sich auf die Stützpunkte zu übertragen. Abbild /1

Das hat zur Folge, dass die Präzision in der Gestik einfacher auszuführen ist. Und wenn Ronaldo seinen Oberkörper und seine Arme gebrauchte, um seine technische Gestik zu stabilisieren?

HÄNDE UND FÜßE Beim energischen Putzen der Tafel mit nur einer Hand haben wir bemerkt, dass die Bewegung bis in die Füße zurückwirkte. Wenn dies nicht der Fall war, wiederholen Sie die Übung, denn Ronaldo nutzt die vom Arm und Oberkörper ausgehenden Belastungen aus, um die Beinbewegung zu beschleunigen. Er ist keinen Belastungen ausgesetzt, er benutzt sie eher zu seinem Vorteil4, er kombiniert sie miteinander. Fassen wir zusammen: Der Körper ist ein untrennbares Ganzes. Man bedenke, dass bei jeder Bewegung eines Segments– eines Arms, eines Beins- eine Masse mit bewegt wird, die durch Muskeln und Gelenke mit

dem übrigen Körper verbunden ist. Der Arm wurzelt mittels seiner verschiedenen Muskeln im Oberkörper, in der Wirbelsäule, bis hin ins Becken. Wenn auch dieses Phänomen beim Bewegen der Finger nicht klar in Erscheinung tritt, so ist es etwas anderes, was die Arm-und Beinbewegung betrifft, zumal wenn die Beschleunigung auf Grund der in Bewegung gesetzten Körpermasse hinzukommt. Versteht man dies, so ist man nicht weit davon entfernt, ein Ronaldo zu werden, denn Fußball wird mit den Armen gespielt!

OHNE ARME, KEINEN BALL Versuchen wir zunächst einmal, die Geste zu verstehen, bevor wir sie nachvollziehen wollen. Hier, beim Dribbeln, auf das linke Bein gestützt, bewegt sich das rechte Bein um den Ball, um den Gegner zu täuschen. Je Abbild /2

schneller und präziser die Bewegung ist, desto einfacher ist es, die Richtung zu ändern, zu beschleunigen und den gegenüberstehenden Gegner schneller zu entfernen. Um das Vorwärtskommen seines rechten Beins und folglich des Beins, das sich um den Ball bewegt zu beschleunigen, mobilisiert Ronaldo absichtlich den oberen Teil seines Körpers (Oberkörper und Arme). Während sich das rechte Bein vorwärts bewegt (Hüftbiegung), schwenkt der Oberkörper nach rechts. Umgekehrt, wenn sich das rechte Bein zurück bewegt (Hüftdehnung), dreht sich der Oberkörper nach links (Abb.2). Das die Drehbewegung des Beins begleitende wechselseitige Schwenken des Oberkörpers stabilisiert das Becken und bildet einen festen Punkt, von dem aus die Geste wirkungsvoller ausgeführt werden kann. Das ist aber noch nicht alles: Das linke Bein ist dadurch von Belastungen ausgeschlossen, was ihm eine optimale Stütze und mehr Aktionsfreiheit sichert.

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demnach beim Tafelwischen verschiedene biomechanische Strategien, die zum gleichen Ergebnis führen, aber man weiß, dass jemand, der beide Arme betätigt, eine viel wirkungsvollere (sparsamere und präzisere) Geste vollzieht.


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Linksdrehung des Oberkörpers

Rechtsdrehung des Oberkörpers

Hüfte

Rückwärts laufendes Bein (Hüftstreckung)

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Eigenständigkeit des Stützbeins

Vorwärts laufendes Bein (Hüftbiegung)

Stabilisierung der Schwenkbewegung & Eigenständigkeit des Stützbeins

Abbild /3

Es handelt sich um das gleiche Phänomen, das wir oben beim Lehrer beschrieben haben, der beim Tafelwischen beide Arme betätigt: die Belastungen zirkulieren und gleichen sich unter den beiden oberen Gliedmaßen aus, ohne Rückwirkung auf den Rest des Körpers. Wir können sagen, dass der Rest des Körpers sich von der Bewegung und den Belastungen der beiden Arme dissoziiert. Das Gleiche geschieht mit dem Stützbein beim Fußballsspieler; es dissoziiert sich vom Oberkörper und von dem um den Ball laufenden Bein. Der Fußballspieler, der nun diese verschiedenen Mechanismen einsetzt und die Fähigkeit dazu besitzt, hat einen bedeutenden Vorteil anderen gegenüber, denn er hat eine unerreichbare Schnelligkeit und Präzision erlangt. Andererseits wird man begreifen, dass ein Fussballspieler diese biomechanische Strategie nicht spontan durch Dribbelsätze entwickelt, sondern indem er die Mechanismen versteht und sie sich aneignet.

Abbild /4

SIE SIND DRAN Jetzt, da Sie diesen Mechanismus wahrnehmen, versuchen Sie ihn nachzuvollziehen. Nichts ist einfacher, d.h. theoretische gesehen… Legen Sie den Ball vor Ihre Füße und bewegen Sie den rechten Fuß bodennah um den Ball herum, ohne ihn zu berühren und erst einmal ohne mit dem oberen Körperteil das Geringste bewirken zu wollen. (Versuchen Sie, die Arme am Körper herabhängen zu lassen). Beschleunigen Sie nun die Bewegung des rechten Beins um den Ball, immer noch, ohne den Oberkörper und die Arme zu benutzen. Dabei müssten Sie sehr schnell an eine Grenzgeschwindigkeit bei der Fortbewegung gelangen, aber ebenso starke Spannungen im Stützbein und im Unterleib verspüren, und nur schwer Ihr Gleichgewicht beibehalten können. Wir vereinfachen jetzt die Übung und machen sie ohne den Ball. Sie stützen sich auf das linke Bein und lassen das rechte Bein

zunächst langsam, dann immer schneller, vor-und-zurückschwenken (Abb. 3). Wie zuvor verliert der Körper ab einer bestimmten Geschwindigkeit an Stabilität und Sie können nicht mehr beschleunigen. Beugen Sie jetzt – in geringem Abstand vom Oberkörper- die Ellbogen um 90°, halten Sie die Unterarme parallel zueinander und wiederholen die Übung, aber begleiten Sie diesmal das Beinschwenken mit einer wechselseitigen Drehung des Oberkörpers; eine Drehung nach links, wenn das Bein rückwärts läuft, nach rechts, wenn das Bein nach vorne geht (Abb.4). Wie durch ein Wunder wird die Bewegung einfacher, fließender, stabiler, weniger belastend. Jetzt ist es möglich, die Beinbewegung merklich zu beschleunigen.Sie können nun den Ball wieder auf die Erde legen und diese Übung noch einmal machen, indem Sie das Bein um den Ball herum bewegen (Abb.5). Ronaldo soll nur achtgeben! Man begeistere sich dennoch nicht zu sehr, denn nun muss dieser ganze Bewegungsablauf

miteinander verknüpft werden und man muss in der Lage sein, dies sowohl beim Laufen, als auch Gegnern gegenüber, beim Training und schließlich beim Fußballspielen zu tun. Ronaldo hat also noch einigen Spielraum. Wie dem auch sei, diese Dynamik ermöglicht ihm, kräftiger und wuchtiger zu schießen, aber gleichzeitig auch eine höhere Geschwindigkeit beim Fortbewegen, so wie beim Beschleunigen zu entfalten. Das von uns beschriebene Dribbeln stellt nur eine Facette der Oben/Unten – Verbindung5 des Körpers dar, denn sie wirkt auf sein gesamtes Spiel zurück. Wenn man seine Gestik weitgehender erforscht und seine Bewegungen untersucht, stellt man fest, dass er sich beim Laufen hauptsächlich auf den Vorfuß stützt… was die Vertreter der FersenStütze zum Nachdenken anhalten sollte!

DRIBBELSÄTZE Wir stellen nun einen Bewegungsablauf zusammen, welcher die Oben/Unten-

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Abbild /5

Verbindung mit einbezieht und der es ermöglicht, das Aufstützen zu beschleunigenund und dabei den Gegner abzulenken. Zunächst folgende Übung: Halten Sie im Stehen die Füße in Schulterabstand auseinander, stützen Sie sich mit Nachdruck auf den rechten Fuß, heben ihn dann ab, und beugen dabei die Hüfte; setzen Sie den Fuß wieder auf und wiederholen den Vorgang ca. zehn Mal, immer mit dem rechten Fuß und immer schneller. Stellen Sie jetzt die Kraftleistung und die maximale Beschleunigung fest, die Sie so bewirken können (Abb. 5), ohne den oberen Teil des Körpers auf irgendeine Weise zu bewegen. Das Objektiv ist, nach links zu laufen, das heißt, sich auf das rechte Bein zu stützen, das linke Bein abzuheben und nach links weg zu laufen. Wiederholen Sie die Übung, aber dieses Mal mit einer gleichzeitigen Drehung des Oberkörpers (Komplex Oberkörper/Schultern/Arme), das heißt, Sie begleiten das gebeugte Bein mit einer aktiven Drehung des Oberkörpers nach rechts und das gestreckte Bein mit einer aktiven

Drehung des Oberkörpers nach links (Abb. 6). Gelingt es Ihnen, diese Gesten auszuführen und zu koordinieren und die Oben/Unten – Verbindung zu bewerkstelligen, dürfte die Stütze bedeutend wirksamer werden (Kraft, Beschleunigung). Strategisch gesehen bieten sich Ihnen nun mehrere Möglichkeiten, darunter folgende. Dabei sei bedacht, dass das Objektiv immer ist, nach links zu laufen: 1 Der obere Teil des Körpers bleibt passiv: Sie stützen sich auf das rechte Bein, dann dreht Ihr Körper sich nach links. 2 Der obere Teil des Körpers ist aktiv: Sie verstärken Ihre Geste, indem Sie den Oberkörper nach rechts drehen und dabei das rechte Bein beugen; dann drehen Sie den Oberkörper (entschieden) nach links und stützen sich gleichzeitig auf das rechte Bein (Bein strecken). Das Verstärken der Geste ist ebenfalls nur ein Ablenkungsmanöver, denn


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SEIN KÖRPER IST SEIT JAHREN DURCH DIESE STRATEGIE GEPRÄGT

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Abbild /6 Abbild /7 Aktivierte Arm/OberkörperVerbindung

Wirksame Verankerung Maximale Beschleunigung


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Von diesen beiden biomechanischen Strategien, die weder die gleiche Kraft, noch die gleiche Geschwindigkeit entwickeln, bleibt die zweite die wirkungsvollere.

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Wenn der Fußballspieler zudem noch in der Lage ist, sich effizient auf den Vorfuß zu stützen, was aus einer regelmäßigen Laufpraxis mit Stütze auf den Vorfuß erfolgt, so reagiert er ohnehin schneller, denn seine Waden leisten weit mehr als ein Läufer, der sich auf seine Fersen stützt. Nehmen wir diese Übung noch einmal auf und machen die Aufgabe etwas schwieriger. Legen Sie einen Ball vor sich, stützen Sie sich auf das linke Bein und lassen den rechten Fuß um den Ball laufen. Aber anstatt eine vollständige Drehung zu vollführen, stützen Sie sich auf den Boden, wenn Ihr Fuß sich an der Außenseite des Balles befindet, und während sich Ihr rechter Fuß aufstützt, heben Sie den linken Fuß ab und schieben den Ball nach links. Machen Sie diese Übung, ohne den oberen Teil des Körpers mit einzubeziehen, dann, indem Sie ihn mit einbeziehen; dies entspricht zwei verschiedenen biomechanischen Strategien für ein-und dasselbe sportliche Objektiv. Im ersten Fall ist der obere Teil des Körpers ein totes Gewicht, das die Belastungen ausgleicht. Im zweiten Fall beschleunigt der obere Teil des Körpers die Bewegung, indem er die Belastungen stabilisiert.

SCHAUEN SIE AUF DIE ARME Wenn Sie das nächste Fußballspiel anschauen, unterscheiden Sie zwischen denjenigen Spielern, die diese Strategie beherrschen und denen, welche nur mühsam vor sich hin dribbeln… Wenn Sie bemerken, dass die Arme sich anwinkeln und der obere Teil des Körpers sich anspannt, wird die Bewegung wahrscheinlich plötzlich beschleunigt. Die Gegenspieler, welche

VERLETZUNG

DIE GEWINNER STRATEGIE Wie aus dieser Studie hervorgeht gerät ein Fußballspieler, der diese biomechanische Strategie nicht beherrscht, leicht aus dem Gleichgewicht und zwar im Bereich des Stützbeins, was Belastungen, seitliche Schwankungen und Instabilität bei Torsionen hervorruft. Dies wirkt sich direkt im Bereich der Kniegelenke aus und verändert dabei die Verteilung des Drucks innerhalb dieses Gelenks, wobei das anliegende Gelenkbandsystem unter Spannung gesetzt wird. Dies beachtend stelle man sich einen Spieler vor, welcher in der Folge eines Traumas beim Training eine Schwäche im Kniebereich aufweist (Meniskus und Gelenkbänder). Nachdem er vom Pflegepersonal seines Vereins behandelt worden ist, verschwinden seine Schmerzen recht schnell und er ist auf dem besten Weg der Heilung. Unter dem Druck seines Managers nimmt er nun das Training wieder auf und spielt Fußball. Da er jedoch die biomechanische Oben/ Unten- Strategie des Körpers nicht beherrscht, erleidet sein Bein bei jedem Dribbeln, bei jeder Ausweichbewegung eine zusätzliche Belastung… Weil er sich aber in einer „Rehabilitationsphase“ befindet, ist sein Handlungsfeld beschränkt. Der geringste „Fehltritt“ drückt sich nämlich durch eine seitliche Schwankung aus, die nicht von einem Haltungsdefizit des aktiven Stützbeins herrührt, sondern eher von einem Kontrollmangel durch die Seite des Oberkörpers, die sich über dem aktiven Bein befindet. Dies wirkt sich direkt auf das verletzte Knie aus und verschlechtert allmählich den Zustand des Meniskus, bis er nachgibt und man ihn teilweise oder ganz herausnehmen muss. Eine folgenschwere Operation. Dazu wird die Lendengegend durch das Fehlen der Oben/Unten -Verbindung übermäßig beansprucht und das begünstigt oder verschlimmert Kreuzschmerzen und andere Pathologien. Diese Region erleidet dann mit voller Wucht - die Worte sind mit Absicht gewählt - die von den Beinen herrührenden Belastungen, was heftige Torsionen auslöst, wenn sie nicht unter Kontrolle sind. Wiederholte Gesten, Organisation des Körpers6 und biomechanische Srategien sind wesentliche Elemente im Rahmen der Sportspraxis und der Heilgymnastik… aber sie dienen ebenfalls dazu, Verletzungen vorzubeugen. Dieses Beispiel macht die Notwendigkeit einleuchtend, das Knie oder die Lendengegend in den gesamten Körper einzubeziehen, aber dabei gleichzeitig die Sportart, die man ausübt und das Anwenden der biomechanischen Strategien in Betracht zu ziehen. Der Mensch ist ein untrennbares Ganzes seiner Tätigkeiten, die er ausführt und des Kontextes, in welchem er sich bewegt.

diese Strategie nicht beherrschen, werden dann kaum dagegen ankämpfen können! Dies hat nichts mit Natur oder mit Zauberei zu tun, auch nichts mit Begabung; es handelt sich nur um eine automatische, da repetitive Gestik. Wiederholung, Präzision, Regelmäßigkeit. Doch darf man die Vorstellung nicht außer acht lassen, dass Ronaldo möglicherweise diese Technik „zufällig“, ohne anfängliche Absicht, im Laufe seines Spottrainings und seiner sportlichen Praxis erworben hat. Wenn dies nicht der Fall ist, so haben wir hiermit gerade enthüllt, was ein Trainer bei dieser Technik jahrelang geheim gehalten hat. Vielleicht wird es Ronaldo beruhigen zu wissen, dass er trotz allem seinen Gegenspielern gegenüber noch einen Vorsprung hat, denn sein Körper wurde seit Jahren durch diese Strategie geprägt. Der Fall liegt anders bei jenen, die sich erst seit kurzer Zeit um diese Strategie bemühen. Sie werden ca. drei Jahre brauchen, bevor sie sich diese strukturell einverleibt haben. Außerdem enthüllen wir hier nur eine einzige Strategie und nur eine einzige Art und Weise, wie man sie durchführt. Ronaldo besitzt nämlich weit mehr Strategien. Schauen Sie genau hin!

IMACHEN SIE WAHRE TALENTE AUSFINDIG Bei der Assoziierung „technische Gestik“ und „Weltmeisterschaft“ muss man unwillkürlich an Zinedine Zidane denken, der im Gegensatz zu Ronaldo diese aktive Oben/UntenVerbindung nicht besaß. Beim Dribbeln waren die Bewegungen seines Oberkörpers und der Arme meistens passiv; seine Arme schwenkten im Rhythmus der Belastungen, womit er folglich die Geschwindigkeit seiner Ausführungen begrenzte und was ihn aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Deshalb gibt es vermutlich bei ihm, trotz seines, ihn weit über eine große Anzahl von Spielern klassierenden technischen Niveaus, noch bedeutenden Spielraum für weitere Fortschritte! Vergleichbar dazu ist es amüsant, die Spieler der französischen Mannschaft zu beobachten, denn zu dem Zeitpunkt, an dem dieser Artikel verfasst wird, ist kein anderer in der Lage, Ronaldo

auf technischem Gebiet gleich zu kommen. Einige zeigen manchmal einen Ansatz dieser Strategie, doch besitzt keiner sie völlig. Karim Benzema, der täglich mit Ronaldo verkehrt, ist heute schon eher imstande, sie teilweise durch Nachahmung zu erreichen. Nun muss er noch alle Wege und Stege kennen lernen, um seinen Körper entsprechend zu entwickeln. Das „Talent“ist im Grunde nur Ausdruck effizient biomechanischer Strategien. Diese ermöglichen es demjenigen, der sie besitzt, sie bis zur Perfektion einzusetzen. Auf diese Weise gewinnt der Fußballpieler Zeit und Raum, so als würden seine Gegenspieler sich in Zeitlupe um ihn herum bewegen. So kann er das Spiel und die Stellung seiner Mitspieler besser analysieren und seine Schüsse abwägen, die dadurch um so präziser werden..

KURZ GEFASST

WAS DIESER ARTIKEL HERVORHEBEN WILL : • Den Begriff der Dynamisch-Biomechanischen Strategie (SBD : Stratégie Biomécanique- Dynamique) • Die Rolle des Oberkörpers beim Betreiben von Sport • Es gibt mehr als eine Geste für ein und dasselbe sportliche Objektiv. • Den grundlegenden Unterschied zwischen sporlichem Objektiv und biomechanischer Strategie • Eine ungeeignete biomechanische Strategie kann Pathologien auslösen • Die Grenzen einer Analyse, die sich auf die Verwirklichung des sportlichen Objektivs beschränkt

1 Eine optimale dynamisch- biomechanische Strategie hat zur Folge, die im Körper umlaufenden Belastungen auszugleichen, zu harmonisieren und somit Abwehr und Leistung miteinander zu verknüpfen 2 Ohne –diesbezüglich- die Organisations- und Beherrschungsfähigkeit des sich in Bewegung befindenden Körpers außer Acht zu lassen (Beibehalten der dynamischen Haltung) 3 Vgl. Die Rolle des Oberkörpers. La course à pied – Posture, Biomécanique, Performance, Frédéric Brigaud, Désiris, mai 2013 4. «Er benutzt sie zu seinem Vorteil» Henri Laborit spricht von den Gravitationsgesetzen (Eloge de la fuite, Henri Laborit), vgl. Artikel : Exprimez la fluidité qui est en vous, Frédéric Brigaud,Ultra Mag n°3) 5. Vgl. Die Rolle des Oberkörpers. La course à pied - Posture, Biomecanique, Performannce, F. Brigaud, Désiris, mai 2013. 6. Dynamisches Joint-Stapeln (EAD: empilement articulaire dynamique)

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sie erlaubt es dem Spieler, den Oberkörper nach rechts zu orientieren, wobei er sich auf den linken Fuß stützt, und so bei dem Gegner den Eindruck erweckt, er wolle sich nach rechts drehen, dabei läuft er aber links weg.


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