Nahrung fürs Gehirn Margrit Stamm Yoga Schlaf Znüni Jesper Juul Elternpflichten Mikael Krogerus Stress Freies Spiel Fabian Grolimund Medienkonsum
Endlich Chindsgi
Kindergarten
Sommer 2017 / Ausgabe 1
Profitieren Sie jetzt! Entscheiden Sie sich für den meistgekauften Combi der Schweiz und Sie erhalten den intelligenten 4x4-Antrieb geschenkt. Das einmalige Angebot gilt nur für Bestellungen bis zum 30. September 2017. Der neue ŠKODA OCTAVIA: jetzt Probe fahren und profitieren. ŠKODA. Made for Switzerland. Gratis 4x4-Antrieb beim Kauf eines ŠKODA OCTAVIA Modelljahr 18. Gültig für Kaufverträge vom 1.6.–30.9.17 für Lagerfahrzeuge und Neubestellungen. Nicht kumulierbar mit KMU Leasing Aktion.
Editorial
Liebe Leserinnen, liebe Leser
Bild: ZVG
Endlich in den Kindergarten!
Ruth Fritschi Schulische Heilpädagogin und Lehrperson Kindergarten, Mitglied der Geschäftsleitung Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), Präsidentin der LCH-Stufenkommission 4bis8
Ein grosser und bedeutsamer Schritt für Kind und Eltern. Und auch für uns Lehrpersonen der Stufe Kindergarten ist es jedes Jahr ein Start, der mit Spannung erwartet wird. Wie gut werden sich die Kinder dieses Jahr von den Eltern trennen können? Einige Kinder besuchten vorher eine Spielgruppe oder eine Kinderkrippe und sind sich bereits gewohnt, mit gleichaltrigen Kindern zusammen und von den Eltern getrennt zu sein. Andere verlassen zum ersten Mal regelmässig und für einen längeren Zeitraum das familiäre Umfeld. Allen Kindern eröffnet der Kindergarten einen neuen Lebens-, Spiel- und Erfahrungsraum und bringt neue Aufgaben und Herausforderungen mit sich. Mit dem Eintritt in den Kindergarten beginnt für das Kind die Bildungslaufbahn in der Volksschule. Das bedeutet, dass Ihr Kind in die erste Stufe der Volksschule eintritt und auf das schulische Lernen vorbereitet wird. Im Kindergarten spielen und lernen die Kinder gleichzeitig. Die Kinder lernen beim Beobachten, Nachahmen und Mitmachen und durch sinnliche Erfahrungen ganzheitlich. Wir Lehrpersonen im Kindergarten sind uns bewusst, dass die Entwicklungs- und Lernprozesse eines Kindes von den individuellen Voraussetzungen und von den Anregungen und der Unterstützung abhängen, die ein Kind erfährt.
Um Kinder zu erziehen, muss man verstehen, Zeit zu verlieren, um Zeit zu gewinnen. Jean-Jacques Rousseau
Wir freuen uns, wenn sich Ihr Kind schnell an den Kindergartenalltag gewöhnt und in der Gemeinschaft der neuen Kindergruppe einen Platz findet. Wir haben aber auch Verständnis, wenn die Eingewöhnung in den Kindergartenalltag etwas mehr Zeit und Ausdauer braucht. Hauptsache, wir sind in einem guten Dialog miteinander! Herzlichst – Ihre Ruth Fritschi
Liebe Eltern
Bild: Geri Born
Friedrich Wilhelm August Fröbel, ein deutscher Pädagoge und Schüler von Johann Heinrich Pestalozzi, gilt als Begründer des Kindergartens. Der erste entstand 1840 in Bad Blankenburg in Thüringen und löste die damals existierende «Kinderbewahr anstalt» ab. Fröbels Idee vom Kindergarten ist heute so aktuell wie damals: Das beste Spielzeug eines Kindes ist ein anderes Kind. Das Kind lebt im Kindergarten in Gemeinschaft; nur das Leben in der Gemeinschaft bildet für das gemeinsame Leben.
Nik Niethammer Chefredaktor
Die Stiftung Elternsein, Herausgeberin des Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi, will Sie, liebe Eltern, in schönen wie in schwierigen Zeiten begleiten, Ihnen mit Rat und Informationen zur Seite stehen. In diesem Sonderheft zum Kindergarteneintritt erfahren Sie, an welchen Herausforderungen Ihr Kind in den nächsten Wochen und Monaten wachsen wird. Und wie Sie es dabei unterstützen können. Im Namen von Redaktion und Verlag wünsche ich Ihnen viel Lesevergnügen. Und Ihrem Kind ganz viel Spass und gute Freunde im Chindsgi. Herzlichst – Ihr Nik Niethammer
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 3
Inhalt Kindergarten / Sommer 2017
Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf fritzundfraenzi.ch und
facebook.com/fritzundfraenzi. Augmented Reality
Die Bilder in diesem Heft stammen von Carla Kogelmann. Die 56-jährige Niederländerin absolvierte vor ihrer Karriere als Fotografin eine Modeschule und war als Sozialarbeiterin und Theateragentin tätig. Für Ihr Porträt einer Biobauernfamilie erhielt sie 2014 den World Press Photo Award in der Kategorie «People – Observed Portraits». www.carlakogelmann.nl
Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und Zusatzinformationen zu den Artikeln.
Erziehung & Kindergarten 06 G ut ankommen im Kindergarten Die Psychologen Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler erklären, was im Kindergarten auf Ihr Kind zukommt und wie Sie es unterstützen können.
Bilder: Carla Kogelman / De Beeldunie, Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
10 D rei Fragen an Ruth Fritschi Ihr Kind geht nicht gerne in den Kindergarten? Ruth Fritschi, die oberste Kindergärtnerin der Schweiz, weiss Rat.
Cover Bild: Carla Kogelman / De Beeldunie
Das Titelbild von Carla Kogelmann stammt aus ihrer Fotoarbeit «Star Children». Die Fotografin hat die kleinen Protagonisten während Wochen begleitet.
4
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
14
20 28
Margrit Stamm rät Eltern, nicht immer das zu tun, was ihr Kind gerade möchte.
14 « Eltern müssen mehr loslassen» Die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm über die Bedeutung des Kindergarteneintritts für die Entwicklung eines Kindes. 20
Kolumne von Jesper Juul Der dänische Familientherapeut über den Unsinn, das Leben unserer Kinder zu verplanen.
24 Stress im Kindergarten? Nein! Der Eintritt in den Kindergarten ist mit viel Stress für das Kind verbunden. Viele Kinder nutzen diesen Stress aber als Chance. Wir erklären, wie das geht.
Gesundheit & Ernährung 26
Purzelbaum, Hampelmann und Co. Immer wieder lesen wir, dass sich Kinder zu wenig bewegen würden und Probleme mit der Motorik hätten. Der Kinderarzt Sepp Holtz klärt auf.
28 Gute Nacht! Der Kindergarten ist anstrengend und macht selbst die muntersten Kinder müde. Fünf Tipps, wie Ihr Kind zu genügend Schlaf kommt. 32 Einer krank, alle krank Warum Kindergartenkinder so oft krank sind. Und wie Familien sich vor der Virensaison schützen können.
Der dänische Familientherapeut Jesper Juul über die Zukunft unserer Kinder.
Fünf Schlaftipps für müde Kindergartenkinder.
Service
36 Das Znüni, ein wichtiges Ritual Hungrige Kinder sind nicht leistungsfähig. Doch was packe ich meinem Kind in das Znüniböxli?
03 Editorial
38 Bewegung macht schlau Alles über den Einfluss von Bewegung auf unsere Leistung – und was genau unser Gehirn in Schwung bringt.
27 «Was ich im Kindergarten gelernt habe» Unser Kolumnist Mikael Krogerus blickt zurück.
42 Omm! Warum Yoga gut für Kinder ist Keiner zu klein, ein Yogi zu sein: Warum Kinderyoga plötzlich so beliebt ist. Ein Besuch in einer Kinderyogastunde.
Medien 46
Kleine Kinder brauchen kein Internet Warum schon Kindergartenkinder vom Smartphone fasziniert sind – und zehn Elterntipps für einen entspannten Umgang mit den neuen Medien.
48 D as Smartphone als Babysitter? Die Medienpädagogin und dreifache Mutter Eveline Hipeli über Regeln und Verbote – und wie viel Medienkonsum für Kindergartenkinder zu viel ist.
22 Abo
50 Elternpflichten Der Kindergarten bringt für Eltern einiges an Organisation und Pflichten mit. Das alles kommt auf Sie zu. 54 «Juhui, ich gehe in den Chindsgi» Eine Kindergärtnerin schildert ihren ersten Tag mit den neuen Kindergartenkindern. 56 Alles, was Eltern wissen müssen Ausgewählte Bücher, Informationen, Studien und Links. 58
Eine Liebeserklärung Unsere Autorin erinnert sich an ihre Kindergartenzeit – und erzählt, wie viel Schönes ihre eigenen Kinder im Chindsgi erleben und erlebt haben.
59 Sponsoren/Impressum
Ausgabe 2 des Kindergartenheftes erscheint im Frühjahr 2018.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 5
Gut ankommen im Kindergarten Der Eintritt in den Kindergarten ist ein grosser Schritt aus der Geborgenheit der Familie in eine neue, unbekannte Welt. Es warten zahlreiche Herausforderungen, an denen Ihr Kind wachsen wird. Auf den folgenden Seiten erfahren Sie, wie Sie Ihr Kind dabei begleiten können. Text: Stefanie Rietzler, Fabian Grolimund 6
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Erziehung & Kindergarten
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten  Sommer 2017 7
N
un ist es also so weit: Ihr Kind ist im Kin dergarten. Eine neue, aufregende Welt tut sich auf und bringt viele Veränderungen mit sich. Ist Ihr Kleines «tatsächlich schon so gross»? Für Ihr Kind und auch für Sie beginnt ein neuer Lebensabschnitt, der viele schöne, aber auch heraus fordernde Momente mit sich bringt. Sie werden neue Seiten an Ihrem Kind entdecken und staunen, was sich in den nächsten zwei Jahren alles tun wird. Eine neue Bezugsperson tritt ins Leben Ihres Kindes
Im Kindergarten weitet sich das Beziehungsnetz des Kindes. Es ge winnt eine neue Bezugsperson hin zu und lernt, sich dieser anzuver trauen. Für viele Kinder wird die Kindergärtnerin zu einem immens wichtigen Menschen, der einen gros sen Stellenwert einnimmt. Sie beob
Ein neuer Lebensabschnitt mit vielen schönen, aber auch herausfordernden Momenten beginnt. 8
achten sie, lernen von ihr, wollen ihr etwas mitbringen und zitieren zu Hause, «was Frau X» dazu meinen würde. Das ist – auch wenn es für man che Eltern nicht ganz einfach ist, wenn jemand Fremdes plötzlich so wichtig wird – etwas Schönes, das das Kind stärkt. Bis es so weit ist, muss sich das Kind jedoch eingewöhnen und die Kindergärtnerin kennenlernen. Für manche Kinder ist die damit ver bundene Ablösung von den Eltern mit grossem Stress verbunden. Sie weinen, wenn sich Mutter oder Vater verabschieden, klammern sich an sie und fragen in den ersten Wochen ständig, wann der Kinder garten zu Ende ist und die Eltern endlich wiederkommen. Gerade für Kinder, die bisher noch nie fremdbetreut worden sind, ist es ungewohnt, dass die Eltern nicht da sind, um sie zu beruhigen und zu trösten. Den Abschied erleichtern
Wenn sich Kinder unsicher fühlen, suchen sie nach Halt und Nähe. Sie können als Eltern im Kindergarten zwar nicht direkt vor Ort für Ihr Kind da sein – dennoch können Sie eine Menge tun, um ihm ein gutes Gefühl zu geben. Kindern fällt es leichter, sich auf die Kindergärtnerin einzulassen und eine Beziehung zu ihr aufzu bauen, wenn ihnen die Eltern ver mitteln: «Du bist hier in guten Hän den und wir trauen dir diesen Schritt zu.» Oftmals ist es hilfreich, wenn die Kinder anfangs nicht ganz alleine im Kindergarten bleiben «müssen», sondern ein geliebtes Kuscheltier an ihrer Seite wissen oder einen klei nen, persönlichen Gegenstand der Eltern mitnehmen dürfen. Als Elternteil können Sie Ihrem Kind und seinem Kuscheltier einen schö nen Vormittag im Kindergarten wünschen und sich liebevoll von beiden verabschieden.
Eine klare Verabschiedung ist wich tig. Es ist ein Vertrauensbruch, wenn sich die Eltern in einem unbeobach teten Moment wegstehlen. Ebenfalls schwierig ist es, wenn sich die Eltern selbst nicht lösen können und noch im Gang oder in der Garderobe ste hen bleiben, um zu schauen, «ob das Kind es schafft». Der Übergang fällt leichter, wenn sich die Eltern mit einer Umarmung oder einem Kuss verabschieden und sich dann inner lich sagen: «Ab jetzt ist die Kinder gärtnerin zuständig.» Teilweise haben Kinder auch mehr Ruhe, wenn der Tagesablauf
Erziehung & Kindergarten
im Vorfeld besprochen wird und sie wissen, von wem sie abgeholt wer den und was danach gemacht wird. Die meisten Kinder entwickeln in der neuen Umgebung rasch ein Gefühl von Sicherheit. Sie orientie ren sich an den Strukturen und dem Tagesablauf, wissen, dass die Eltern wiederkommen, und schöpfen Ver trauen in die Kindergärtnerin. Da bei darf man sich als Eltern auch darauf verlassen, dass die Kinder gärtnerinnen viel Erfahrung im Umgang mit dieser Situation mit bringen und die Kinder unterstützen können.
Es gibt ab und zu Kinder, die diesen Schritt kaum schaffen. Für Eltern ist es furchtbar, wenn sie den Eindruck haben, dass ihr Kind am Verzweifeln ist und den ganzen Vormittag lang weint oder in der Ecke sitzt und war tet. In diesem Fall empfiehlt es sich, mit der Kindergärtnerin zu reden. In manchen Fällen merkt man, dass die Sorgen unbegründet sind und sich das Kind nach einigen Momen ten fängt und sich auf die Gruppe einlassen kann. Falls es vorkommt, dass sich das Kind nicht beruhigen lässt, kann man auch vereinbaren, dass >>>
Die meisten Kinder entwickeln in der neuen Umgebung rasch ein Gefühl von Sicherheit.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 9
Im Kindergarten wird Ihr Kind lernen, sich auf verschiedene andere Kinder einzustellen. >>> man es zu Beginn nach einiger Zeit wieder abholt oder man als Elternteil noch eine Weile bleiben und für sich etwas abseits vom Geschehen ein wenig lesen darf. Wenn ein Kind diesen Schritt trotz der Begleitung und Unterstützung durch die Bezugspersonen noch nicht schafft, kann dies ein Hinweis
3 FRAGEN
Ein Ort voll neuer Gesichter und Spielgefährten
In der Kindergartengruppe treffen nicht einfach 25 Kinder aufeinander, sondern 25 Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Charakterzügen, Stärken und Schwächen, Interessen und Spielvorlieben. Ihr Kind wird lernen, sich in dieser Vielfalt zurechtzufinden und sich auf verschiedenste Kinder einzustellen. Es entwickelt und verfeinert seine sozialen Kompetenzen weiter, lernt Kontakt aufzunehmen,
sich in laufende Gruppenaktivitäten einzuklinken und über Spiele und Abmachungen zu verhandeln. Dabei geht es nicht immer harmonisch zu. Es entwickeln sich Sympathien und Antipathien, Konflikte und Rivalitäten. Das kann für Sie als Eltern schwierig sein. Gleichzeitig ist es für Ihr Kind ein wichtiges Lernfeld, um sich abzugrenzen und gleichzeitig die Grenzen anderer zu akzeptieren. Es muss Wege finden, um sich mit anderen zu einigen, Konflikte zu lösen und sich wieder zu versöhnen. Auch für Kinder, die bereits eine Krippe besucht haben, ist diese
an Ruth Fritschi, Kindergärtnerin
«Jedes Kind reagiert auf den Eintritt anders» Frau Fritschi, wie können Eltern ihr Kind unterstützen? Indem sie loslassen. Das bedeutet, zu akzeptieren, dass neue Bezugspersonen ins Leben des eigenen Kindes treten. Loslassen heisst auch, dem eigenen Kind etwas zuzutrauen. Wenn es mit neuen Ideen kommt, diese auszuprobieren, es machen zu lassen. Loslassen müssen Eltern auch beim selbständigen Handeln. Handlungen sollten nicht zu schnell vorweggenommen werden, nur damit etwas schneller geht. Es muss üben, um selbständig werden zu können. Und: Wenn ihr Kind von Konflikten berichtet, nicht gleich das eigene Kind in Schutz nehmen, sondern einfühlsam nachfragen, wie sich denn das Ganze zugetragen hat. Wichtig für einen gelingenden Einstieg ist auch genügend Schlaf. Und am Morgen genügend Zeit, um gut im Kindergarten anzukommen. Ich empfehle auch, Stille-Zeit im Alltag einzuführen, zum Beispiel eine Zimmerstunde nach dem
10
darauf sein, dass es noch nicht reif ist für den Kindergarten.
Mittagessen. Viele Kinder müssen üben, zur Ruhe zu kommen und sich selber zu beschäftigen. Wie verändert sich das Kind nach dem Eintritt? Nicht jedes Kind reagiert auf den Eintritt in den Kindergarten gleich. Was sicher für die meisten Kinder zutrifft: dass sie müde und beansprucht zu Hause ankommen. Es kommt immer wieder vor, dass sich die Kinder beim Ankommen zu Hause schwierig und impulsiv verhalten, weil die Energie durch den Kindergarten-Halbtag aufgebraucht ist. Dazu gibt es verschiedene Tipps, doch zeigt die Erfahrung, dass die Eltern für ihr Kind die eigene Lösung finden müssen. Eltern berichten auch, dass die Sprache und der Umgang mit anderen Kindern anfangs gröber werden. Für die meisten Kinder hat es einen gewissen Reiz, auszutesten, was passiert, wenn sie sich auch mal so verhalten. Es gilt, zu Hause die «frechen» Wörter oder grobe Verhaltensweisen abzulehnen. Mit der Zeit pendelt sich dies ein. Was tun, wenn das Kind nicht (mehr) in den Chindsgi gehen will? Da werden wohl einige Ideen ausprobiert werden müssen:
• Mit einem anderen Elternteil organisieren, dass ein Kiga-Gspänli klingeln und es abholen kommt. • Papi/Götti oder eine andere Bezugsperson begleitet für eine Phase den Schulweg (zu Fuss). • In Absprache mit der Kindergartenlehrperson darf das Kigakind sein LieblingsPlüschtier mitnehmen. • Die Teamteachings-Lehrperson oder die Schulische Heilpädagogin holt das Kind zu Hause ab. Das Gespräch mit der Kindergarten-Lehrperson zu suchen, ist in jedem Fall wichtig. Vielleicht hat die Verweigerung einen Grund, den man beseitigen kann, indem man individuell auf das Kind eingeht.
Zur Person Ruth Fritschi ist Heilpädagogin und Kindergärtnerin, Präsidentin der LCH-Stufenkommission 4bis8 und Mitglied der Geschäftsleitung des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH. Sie lebt in Basel.
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Erziehung & Kindergarten
Erfahrung neu. Da nun eine Betreu ungsperson für so viele Kinder zuständig ist, gewinnen die Gleich altrigen an Bedeutung. Nicht immer kann ein/e Erwachsene/r zur Stelle sein, und so bietet sich jedem Kind die Gelegenheit, Verantwortung zu übernehmen, Unterstützung anzu bieten, Hilfe anzunehmen und ein ander Trost zu spenden. Oft wach sen in dieser Zeit die ersten tiefen Freundschaften, die das Kind manchmal sogar über die Schulzeit hinaus begleiten. Manchen Kindern fällt es schwer, sich in der neuen Gruppe einzufin den. Einige sind schüchtern und finden keinen Anschluss. Andere spielen sich in den Vordergrund, dominieren die Spielsituation und stossen damit andere Kinder vor den Kopf. Einige Kinder sind schlichtweg überreizt vom Trubel, vom Lärm und von der Vielzahl an neuen Erfahrungen. Wenn sie nach Hause kommen, wirken sie oftmals erschöpft oder aufgedreht und aggressiv. Das Kind zur Ruhe kommen lassen
Für Ihr Kind bedeutet diese Umstel lung eine grosse Anpassungsleis tung. Auch wenn der Tag im Kin dergarten mit vielen schönen und spannenden Momenten verbunden ist, ist es für Ihr Kind anstrengend. Es geht ihm ähnlich wie uns Erwach senen, wenn wir uns beispielsweise in eine neue Stelle einarbeiten. Auch wenn wir uns im Team wohl fühlen, einen guten Draht zur Vorgesetzten haben und die Aufgaben uns Freude bereiten, sind wir abends geschafft. Sie sind Ihrem Kind eine grosse Hilfe, wenn Sie zu Hause für Erho lungsräume sorgen. Manche Kinder
geniessen es, wenn sie im Detail von den Erlebnissen im Kindergarten erzählen dürfen und ihre Eltern ihnen dabei ein offenes Ohr schen ken. Andere reagieren eher aller gisch auf die Frage «Was habt ihr heute gemacht?». Sie möchten nach dem Kindergarten in Ruhe zu Hau se ankommen dürfen und geniessen es, wenn sie sich von einem Hörspiel berieseln lassen, für sich etwas spie len und in der Nähe der Eltern sein dürfen, ohne reden zu müssen. Zeit und Raum für neue Freundschaften schaffen
Neben dem Bedürfnis, sich zu erho len, wird ein zweiter Wunsch stärker: Die meisten Kinder möchten neue Kontakte, die sie im Kindergarten knüpfen, in der Freizeit vertiefen. Eltern machen ihrem Kind ein gros ses Geschenk, wenn sie bewusst dar auf achten, dass das Kind genügend Zeit und Möglichkeiten dazu be kommt. Freundschaften vertiefen sich am besten im freien Spiel, wenn ein unverplanter Nachmittag vor ihnen liegt, den die Kinder mit ihren Interessen, Neigungen und Spiel ideen füllen können. Sie profitieren dabei von Eltern, die da sind, ohne sich aufzudrängen. Es eröffnet auch Ihnen als Eltern neue Freiheiten, wenn Sie merken: Ich kann im Wohnzimmer meine E-Mails beant worten, während die Kinder im Nebenzimmer Lego bauen, Puppen mamas mimen oder im Garten eine widerliche Zauberbrühe anrühren. Der Weg mit den anderen ist eine wichtige Kontaktmöglichkeit. Falls Sie Angst haben, Ihr Kind alleine
zum Kindergarten gehen zu lassen: Nutzen Sie Angebote wie den Schul bus oder Pedibus. Es mag bequemer sein, das Kind am Morgen mit dem Auto in den Kindergarten zu brin gen, aber man raubt ihm dadurch viele wichtige Momente. Kleine Hilfestellungen für ein gutes Miteinander
Für Kinder, die im sozialen Bereich Schwierigkeiten haben, ist der Kin dergarten ein wunderbares Lernum feld. Sie lernen soziale Kompetenzen am besten, indem sie andere beob achten. Manche Kinder profitieren dabei von Erwachsenen, die sie gezielt dazu anregen, von anderen zu lernen, und sie auf soziale Zusam menhänge hinweisen. Kindergärtnerinnen nutzen dies sehr häufig, indem sie beispielsweise zu einem schüchternen Kind sagen: «Schau mal, Nadine sieht immer wieder zu dir rüber – ich glaube, sie würde gerne mit dir spielen.» Oder «Guck mal: Murat und Lara ziehen gerade ‹Tempo, kleine Schnecke› hervor. Das ist doch viel lustiger zu dritt.» Damit weisen sie das Kind auf Kontaktsignale von anderen Kin dern hin und ermutigen dazu, auf diese einzugehen. Auch Kinder, die sich wild, un gestüm oder dominant ver >>>
Kinder möchten die neu gewonnenen Kontakte in der Freizeit vertiefen.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 11
Erziehung & Kindergarten
>>> halten, können dazu angelei tet werden, soziale Zusammenhänge besser wahrzunehmen. Dazu ist es hilfreich, nach gelungenen Momen ten und guten Beispielen Ausschau zu halten: «Jetzt hat sich Francesco aber gefreut, dass du ihn hast ent scheiden lassen.» «Ich weiss, du wolltest gerne noch weiterschau keln. Schau mal, wie froh Tamara ist, dass sie jetzt dran ist.» Oder: «Es ist schwierig, wenn man so lange war ten muss, bis man an der Reihe ist,
gell? Du machst das schon richtig gut.» Diese kleinen Hilfen können Sie auch als Eltern gut in den Alltag ein bauen, beispielsweise wenn Sie mit Ihrem Kind auf dem Spielplatz sind oder es Zeit mit dem Geschwister verbringt. Viele neue Anforderungen
Viele Eltern sind erstaunt über den grossen Entwicklungssprung, den ihre Kinder im ersten Kindergarten
Viele Eltern staunen über den grossen Entwicklungssprung ihrer Kinder im ersten Kindergartenjahr. 12
jahr machen. Der Kindergartenalltag bietet dem Kind eine Vielzahl von Lernmöglichkeiten. Im Stuhlkreis werden Kinder dazu angeregt, ande ren zuzuhören, zu warten, Geduld zu haben und sich auszudrücken. In der Bastelecke haben sie Gelegen heit, ihre Feinmotorik zu trainieren, ihre Kreativität auszuleben und Aus dauer zu entwickeln. Die Puppen ecke erlaubt es ihnen, in komplexe Rollenspiele einzutauchen, die Per spektive von anderen kennenzuler nen, sich einzufühlen und andere für ihre Ideen zu begeistern. Die Grup pe ist ein wichtiger Impulsgeber: Die Kinder fordern sich gegenseitig, dienen als Vorbilder und bieten sich zum Vergleich an. Für viele Kinder ist es neu, dass so viel auf einmal von ihnen gefor dert wird: Plötzlich sollen sie eine Aufgabe fertig machen, auch wenn ihnen die Lust daran vergangen ist. Sie müssen sich an Regeln und Abläufe halten, die vielleicht von dem abweichen, was zu Hause gilt. Manche sind zum ersten Mal ausser halb des familiären Kokons, in dem jeder Entwicklungsschritt mit Be geisterung aufgenommen und jede Zeichnung bewundert wird. Statt dessen befindet es sich in einer Gruppe mit Gleichaltrigen, die manches schlechter, aber manches auch besser können. Es muss die Aufmerksamkeit der Kindergärtne rin mit anderen teilen und damit umgehen lernen, dass es für diese ein Kind unter vielen ist. Im Laufe des Kindergartens stellt sich das Kind all diesen Herausfor derungen. Manchmal werden Sie sich als Eltern über die Fortschritte freuen und stolz sein, manchmal werden Sie sich vielleicht auch Sor gen machen und sich fragen, ob Ihr Kind das alles schafft. Für Kinder ist es bedeutsam, dass sie merken: Meine Eltern trauen mir etwas zu und begleiten mich. Dabei bilden sie ein Team mit meiner Kin dergärtnerin, die sie mögen und respektieren.
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Dieser Gedanke ist gerade auch dann wichtig, wenn Ihnen die Kindergärtnerin zur Entwicklung Ihres Kindes Rückmeldung gibt und Sie auf Stärken, aber auch auf Punkte hinweist, die Ihrem Kind noch schwerfallen. Während Sie Ihre Tochter bzw. Ihren Sohn am besten kennen, kennt die Kindergärtnerin Kinder dieser Altersstufe am besten. Sie hat auch die Aufgabe, den Entwicklungsstand des Kindes einzuschätzen und ihre Beobachtungen mit Ihnen zu teilen. Es ist hilfreich, wenn Sie davon ausgehen, dass die Kindergärtnerin ebenso wie Sie als Eltern das Beste für Ihr Kind will. Wir wünschen Ihnen und Ihrem Kind einen guten Start in dieses spannende Abenteuer.
Stefanie Rietzler
Scannen Sie en mit der aktuell , pp i-A nz rä Fritz+F hen Sie se d un ite Se diese «Starkes in unserer Serie Kindern an m Kind», wie rt. hö zu ig ht ric
Fabian Grolimund sind Psychologen und leiten die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Sie sind Autoren der Bücher «Mit Kindern lernen» und «Erfolgreich lernen mit ADHS». Die beiden eint der Wunsch, dass Kindergarten und Schule Orte sind, wo sich Kinder, Eltern und Lehrpersonen wohl fühlen und voneinander lernen können.
>>>
Damit einzigartige Begegnungen möglich sind: Wir unterstützen den Zoo Zürich.
Mehr unter zkb.ch/zoo
Vielseitig engagiert. Als Kunde profitieren Sie von einem 20% günstigeren Eintritt exklusiv über unsere Website.
Erziehung & Kindergarten
14
Sommer 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Erziehung & Kindergarten
« Eltern müssen mehr loslassen» Der Eintritt in den Kindergarten bringt für Eltern und ihr Kind viele Veränderungen. Die Schweizer Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm über die Kindergartenbereitschaft, welche Herausforderungen ein Kind zu meistern hat und was Eltern tun können, damit ihr Sohn oder ihre Tochter sich im Kindergarten wohl fühlt. Interview: Claudia Landolt Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 15
Erziehung & Kindergarten
Kriterien für den Kindergartenein tritt diskutiert werden sollten. Manche Eltern erhalten mit der Anmeldung in den Kindergarten ein Merkblatt, auf welchem steht, was das Kind schon können sollte. Das sorgt bei vielen Eltern für Verunsicherung.
Frau Stamm, wie können Eltern ihr Kindergartenkind unterstützen?
Indem sie sich auf den Rhythmus und die Bedürfnisse ihres Kindes einstellen. Für manche Mütter und Väter mag das «bünzlig» tönen, denn schliesslich fügen sich viele Kinder problemlos in die Agenda ihrer Eltern ein. Dennoch: Um sich an die neuen Strukturen zu gewöhnen, braucht ein Kind viel, viel Zeit. Was sind die grössten Herausforde rungen für ein Kind beim Eintritt in den Kindergarten?
Die Eingewöhnung in eine grosse, heterogene Gruppe und die Fähig keit, sich zurückzuhalten, seine Bedürfnisse zu kontrollieren oder aufzuschieben und mit seinen Frus trationen umzugehen, stellen die grössten Aufgaben für ein Kinder gartenkind dar. Manchmal kommen noch Schwierigkeiten bei den sprachlichen und motorischen Fähigkeiten hinzu. Diese Fähigkei ten sind die Basis für die Entwick lung eines guten Selbstwertgefühls, dank ihnen kann das Kind gut in einer Gruppe bestehen. Wenn es diesen Übergang schafft, wird es zukünftige herausfordernde Situatio nen gut und erfolgreich meistern können. Es gibt den Begriff «Kindergarten reife». Wann ist denn ein Kind kinder gartenreif?
Das Wort mag ich nicht so. Ich spre che lieber von «Kindergartenbereit schaft», weil ich der Ansicht bin, dass 16
Ja, vor allem, wenn das Merkblatt als eine Art Forderungskatalog verstan den wird. Es kommt also sehr darauf an, wie man ein solches Papier for muliert. Ich wünsche mir zudem, dass man sich nicht erst bei der Anmeldung mit dem Kindergarten eintritt beschäftigt, sondern viel frü her; in der Familie, der Spielgruppe, in der Kita und auch in der kinder ärztlichen Praxis. Aus der Forschung wissen wir, dass die Weichen für einen positiven Kindergarteneintritt schon viel früher gestellt werden.
«Lassen Sie Ihrem Kindergartenkind Zeit, sich an die neuen Strukturen zu gewöhnen.» Was sind denn die Kriterien der Kindergartenbereitschaft?
Erstens: dass ein Kind lernt, mit anderen Kindern in einer grösseren Gruppe zurechtzukommen, ohne dass eine erwachsene Person ständig eingreifend oder unterstützend zur Stelle ist. Die Kinder müssen lernen, selber etwas auszutragen. Zweitens: die Fähigkeit, sich in diese Gruppe einzufügen. Lernen zu warten. Ein Bedürfnis aufzuschieben. Zu akzep tieren, dass man etwas anderes machen soll, als man selber gerade möchte. Drittens: ein gewisses Mass an Selbständigkeit. Ich höre aus Kin dergärten immer wieder, dass es den kleineren Kindern Mühe bereitet, den Reissverschluss ihrer Jacke zuzu ziehen oder die Schuhe anzuziehen. Das Anziehen ist im Kindergarten wichtig, weil die Kinder oft nach draussen gehen. Wenn das Kind die
se Dinge einigermassen gut kann, wirkt das positiv auf sein Selbstbe wusstsein. Wie können Eltern dabei helfen?
Solche Dinge kann man bewusst und spielerisch üben oder das Kind dazu anleiten. Es ist wichtig, dass das Kind merkt, dass Mama oder Papa nicht alles für es tut. Natürlich weiss ich, dass Fertigkeiten wie Anziehen oder Zähneputzen im hektischen Alltag oft genau in jenen Momenten gefor dert sind, in denen es schnell gehen muss. Genau deshalb sollte man das an freien Tagen mit dem Kind üben. Man täte ihm damit einen grossen Gefallen. Und was können Eltern tun, damit das Kind sich in einer heterogenen Gruppe anpassen lernt?
Eltern sollten ihr Kind so erziehen, dass es lernt, seine Bedürfnisse in gewissen Zeiten unterzuordnen. Die Bedürfnisse eines Kindes sollten nicht dauernd im Zentrum stehen. Man sollte also nicht immer das tun, was das Kind gerade möchte. Eltern müssen sich bewusst sein, dass im Kindergarten Kinder aus den unter schiedlichsten Schichten und Kultu ren aufeinandertreffen. Kinder, die sich sonst nie begegnen würden. Hinzu kommt: Es sind viel mehr Kinder als in der Kita oder in der Spielgruppe, manchmal bis zu 20, teilweise auch ältere Kinder. Seit der Stichtag des Kindergartenein tritts auf den 31. Juli vorverlegt wurde, stellen viele Eltern ihr Kind ein Jahr zurück. Was halten Sie davon?
Wenn Eltern ihr Kind zurückstellen, müssen sie verschiedene Faktoren berücksichtigen. Ein zurückgestell tes Kind braucht eine anspruchsvol le, seinem Niveau entsprechende Betreuung, um so angeregt zu wer den, damit es sich nicht langweilt. Zweitens ist es problematisch, wenn Eltern ihr Kind lediglich aufgrund eigener Bedürfnisse zurückstellen, etwa weil Betreuung und familiäre Organisation vor dem Kindergarten eintritt einfacher sind. Und drittens ist es kritisch, wenn Eltern ihr Kind
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
zurückbehalten, weil sie sagen, das Kind solle noch Kind sein, der Ernst des Lebens komme dann noch früh genug. Warum?
Weil man nie weiss, wie schnell sich Kinder entwickeln. Manchmal ist es bereits nach drei Monaten so weit, dass es in den Kindergarten gehen könnte. Gerade in diesem Alter machen Kinder enorm viele Fort schritte, manchmal innert Wochen. Nun muss es aber ein Jahr warten. Das ist für nicht wenige Kinder ent schieden zu lang. Fänden Sie denn eine flexible Ein schulung besser?
Ich betone immer wieder, dass der Kindergarteneintritt so flexibel ge staltet werden müsste wie etwa der Kitaeintritt. Das Kind sollte langsam in den Kindergarten eingewöhnt und so unterstützt werden, zum Beispiel durch ein grösseres Kind, das als Gotti oder Götti fungiert, ihm alles zeigt, hilft und ihm beiseitesteht. Eine langsame Angewöhnungsphase wäre gerade für unsichere oder schüchterne Kinder sehr positiv. In Ihrer FRANZ-Studie heisst es, dass der Kindergarteneintritt in der Regel ohne Probleme verläuft. Bei 52 Pro zent der Kinder aber gebe es Disso nanzen. Welche sind das?
Wer beim Kindergarteneintritt Pro bleme hat, hat diese schon viel früher entwickelt. Genau deshalb plädiere ich bezüglich der Kindergartenbe reitschaft für einen bewussteren
«Wer beim Kindergarteneintritt Probleme hat, hat diese schon viel früher entwickelt.» Umgang und eine kommunikative Arbeit. Die grössten Probleme beim Kindergarteneintritt sind sozialer Natur.
Können Sie das ausführen?
Kinder sind verschieden.
Schüchternheit oder Angst zum Bei spiel vor einem älteren Kind. Oder dann gibt es Kinder, die enorm vor preschen oder grob sind, andere Kinder schlagen, anrempeln oder beissen. Schliesslich gibt es auch die übertriebene Unselbständigkeit, hervorgerufen durch Überbehütung.
Natürlich. Es gibt verschiedene Tem peramente. Ein ansprechbares, führ bares und liebenswürdigeres Kind hat es im Kindergarten sicher einfa
Nennen Sie uns ein Beispiel.
Die Unfähigkeit, im Kindergarten das Täschli zu suchen, etwas zu ver sorgen oder aufzuräumen.
«Eltern sollten nicht immer das tun, was ein Kind gerade möchte.»
Gibt es weitere Schwierigkeiten?
Dass sich Kinder emotional noch nicht so verhalten, wie es von einem vierjährigen Kind zu erwarten wäre. Dass sie beispielsweise nicht mehr aufhören zu schreien oder zu wei nen, dass sie untröstlich sind, wenn sie etwas nicht bekommen, sich am Boden wälzen und gar nicht an sprechbar sind. Ich nenne das emo tionale Retardierung, also eine ver zögerte emotionale Entwicklung. Wie äussert sich diese sonst noch?
Kinder können kaum warten, bis sie etwas bekommen, reagieren mit Wutausbrüchen. Tisch decken oder den Briefkasten leeren? Darauf haben sie keine Lust. Mit Kritik kom men sie schlecht zurecht und Miss erfolge können sie kaum ertragen. Solches Verhalten ist im Kleinkind alter normal, aber ein vier- bis fünf jähriges Kind sollte ein gewisses Mass an Bewältigungsverhalten haben und seine Gefühle teilweise kontrollieren können. Wie merke ich, dass mein Kind emotional retardiert ist?
Wenn es emotional nicht auf dem Niveau von anderen ist und kindli cher reagiert, als zu erwarten wäre. Ich bin keine Psychologin, aber ich denke, für ein knapp vierjähriges Kind ist Unzufriedenheit oder Wut als Reaktion relativ normal. Es muss erst noch lernen, zu warten. Von einem Fünfjährigen aber kann man dies erwarten. Diese Angaben sind mit Vorsicht zu geniessen: Kinder entwickeln sich im Vorschulalter enorm und sehr unterschiedlich.
cher als eines, das rebelliert, in Frage stellt, eigenwillig ist, nicht zuhört. Was kann Familien dann helfen?
Eltern mögen Rezepte. Aber es wäre falsch, ihnen diese zu geben, denn dann würden sie anfangen, ihr Kind an diesen Massstäben zu messen. Ich plädiere dafür, eine gute Intuition zu entwickeln. Dann merkt man in der Regel schon, wo ein Kind steht. Wie entstehen diese Retardierungen?
Unsere Daten und andere Forschun gen zeigen, dass ein angemessenes Verhalten sich langsam entwickelt. Entsprechend müsste man das Ver halten früher angehen, in der Kita, der Spielgruppe, in der Familie oder bei den Hütepersonen. Und was kann man tun?
Auf keinen Fall überreagieren. Es gibt immer mehr Interventionszen tren für schwierige Kinder. Sie sind Ausdruck dessen, wie sehr man den Eltern den Therapieblick aufdrängt. Kein Wunder, wenn sie dann alles auslagern und wegen jeder Kleinig keit in den Notfall gehen. Besser wären gute Beratungsstellen für Eltern mit niederschwelligen Ange boten, die aus einem sogenannt schwierigen Kind kein stigmatisier tes Kind machen. Denn das ist die grosse Gefahr unserer Gesellschaft: dass wir Kinder, die in Behandlung waren, langfristig abstempeln. Was können Eltern tun, wenn ihr Kind ausgesprochen schüchtern ist?
Es gibt viele Kinder mit einer sehr starken Mutterbindung. Sie >>>
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 17
Erziehung & Kindergarten
>>> können sich fast nicht lösen vom Mami. In solchen Beratungs settings könnte man dies angehen, ohne dass Eltern das Gefühl haben müssten, mit ihrem Kind stimme etwas nicht. Schüchternheit ist häu fig etwas ganz Normales, das sich auswächst. Die Verschulung der Kindergärten verschärft diese Problematik noch.
Unter anderem deshalb, weil die frühkindliche Bildung so betont wird. Frühkindliche Bildung meint in der Forschung die Förderung aller Sinne, also auch die emotionale Kompetenz oder Selbstkompetenz und nicht nur die intellektuellen Fähigkeiten. Aber in der Gesellschaft und in der Politik wird unter früher Bildung ausschliesslich Schulvorbe reitung verstanden. Also Lesen und Rechnen lernen. Viele Eltern sagen stolz: Mein Kindergartenkind kann schon lesen!
Wir leben in einer Gesellschaft, die den Frühbereich sehr betont. Auch die Wirtschaft spricht von Human kapital. Es gilt das ungeschriebene Gesetz: Kinder, die früh gefördert werden, sind später erfolgreich. In extremis führt das dazu, dass Eltern mit Unverständnis reagieren, wenn sie hören, dass ihr Kind kognitiv zwar weit entwickelt ist, aber emotio nal etwas hinterherhinkt. Sie sind
«Erfolg im Beruf ist nicht die Folge von möglichst vielen Förderkursen im Kleinkindalter.» dann der Meinung: Aber das Wich tigste ist doch, dass es schon Rech nen und Lesen kann! Das ist fatal, denn aus der Forschung weiss man heute, dass Schul-, Berufs- und Lebenserfolge nicht primär von einem hohen Intelligenzquotienten und vielen Frühförderkursen abhän gen, sondern ebenso vom Ausmass 18
der emotionalen und sozialen Kom petenz. Diesen Zusammenhang ken nen viele Eltern nicht. Wie entsteht Leistung?
Kinder, die gelernt haben, zu warten, sind später erfolgreicher. Hinzu kommt: Jede kognitive Leistung in der Schule ist immer ein Konglome rat von Kompetenzen. Schulerfolg oder gute Noten basieren immer auf einem Fundament, das aus den so zialen, emotionalen und schulischen Kompetenzen des Kindes besteht, welche von den Eltern unterstützt und gefördert werden. Treiben El tern ihre Kinder an, entwickeln sich diese Kompetenzen nicht wie erhofft. Eltern müssten mehr loslassen. Ist das nicht das Schwierigste in der Erziehung überhaupt?
Absolut. In den eigenen Spiegel zu sehen, tut weh. Insbesondere, wenn das Kind Misserfolge hat. Denn jeder Misserfolg des Kindes ist ein Miss erfolg der Eltern – zumindest erle ben sie das so. Man muss als Eltern sehr stark sein, hinter dem Kind stehen, es ein wenig führen und doch loslassen. Das ist schwer und der unangenehmste Teil der Erziehung: einzusehen, dass das Kind, das man selbst geboren hat, einem nicht gehört, und vielleicht Eigenschaften hat, die man sich nicht gewünscht hat. Das war bei mir nicht anders. Wie meinen Sie das?
Ich empfand unseren Sohn als sehr schwierig. Er hat mich immer wieder herausgefordert, mich mit mir selber konfrontiert. Ich musste einsehen: Man kann ein Kind nicht schleifen wie einen Diamanten. Das funktio niert nur selten. Man gewöhnt sich den Defizitblick an.
Ja, gerade die sogenannt schwierigen Kinder schaut man viel schneller aus diesem Blickwinkel an, wenn man entdeckt, dass sie eine Eigenschaft haben, die man nicht mag. Dann konzentriert man sich nur noch dar auf. Wie kann ich ein langsames Kind dazu anhalten, schneller zu werden? Wenn man es antreibt, trö delt es noch mehr und es endet, wie
erwartet, in Tränen. Dabei wäre es so wichtig, die vielen anderen posi tiven Eigenschaften des Kindes zu sehen und zu betonen. Und zu loben?
Lob ist eine zweischneidige Sache. Man soll das Kind nur für das loben, was es macht oder kann oder wozu es sich gerade überwunden hat, eine
«Lob für eine Eigenschaft ist unnötig. Loben Sie Ihr Kind nur für das, was es macht.» Anstrengung zum Beispiel. Lob für eine Eigenschaft ist dagegen unnö tig. So vermeidet man, dass das Kind auf Lob angewiesen ist. Was soll das Kind tun, wenn es nach dem Kindergarten heimkommt?
Der Kindergarten ist für Kinder sehr anspruchsvoll. Die Präsenzzeiten sind hoch. Pendeln Kinder zwischen Hort und Kindergarten hin und her, bedeutet das eine zusätzliche Belas tung. Nicht wenige Kindergarten kinder haben damit im ersten Jahr Probleme. Haben Kindergartenkin der frei, sollten sie sich erholen, und zwar ohne Programm. Wie meinen Sie das?
Das Kind soll dann machen können, was es will: lesen, spielen, rausgehen,
Nanny-Studie Machen Sie mit bei der Mary-Poppins-Studie von Margrit Stamm! Sind Sie Mutter resp. Vater und haben eine Nanny angestellt oder sind selbst eine Nanny, freut sich das Forschungsteam über Ihre Anmeldung. Die einmalige, maximal 30 Minuten dauernde OnlineBefragung wird im Herbst durchgeführt. Als Dankeschön erhalten alle Teilnehmer ein Dossier mit den wichtigsten Studienergebnissen und nehmen an einer Verlosung für eine Städtereise für zwei Personen teil. Anmeldung: Ursula Olden, Mail: jeckelmannu@gmail.com
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Anzeige
herumtollen. Kein Programm, kein Erledigungsmodus. Frei spielen also.
Genau. Ich wohne in einem kinderreichen Quartier und sehe, wie oft die Kinder draussen spielen. Bis fast zur Oberstufe ist das so. Das ist vorbildlich. Kinder würden noch sehr lange spielen, wenn man sie liesse. Sie sind eine vehemente Verfechterin des freien Spiels.
Absolut. Das freie Spiel hat das ganze Leben eine grosse Bedeutung, es ist für die Erholung enorm wichtig. Doch leider passt es nicht in unsere so zielorientierte Erwachsenenwelt, in der Zeit ein kostbares Gut ist. Das finde ich sehr schade. >>>
Zur Person
Margrit Stamm ist emeritierte Professorin an der Universität Freiburg und Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education in Bern. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Begabung, der Qualität in der Berufsbildung und der Förderung von Migrantenkindern. Zudem untersucht sie in einer laufenden Studie unter Müttern deren Erfahrungen mit der Delegation von Erziehungsarbeiten an Nannys. Ihr Studium der Pädagogik, Psychologie und Soziologie begann die ausgebildete Primarlehrerin erst als 35-Jährige. Margrit Stamm ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern und lebt mit ihrem Mann in Aarau.
Reka, die Nr. 1 für Familienferien. Auch für Eltern. Profitieren Sie jetzt von besonders günstigen Tarifen für Familienferien. Reka bietet der ganzen Familie Ferienvergnügen à discrétion. Mit tollen Freizeitaktivitäten für Gross und Klein, kostenlosem Kinder- und TeensClub in den Reka-Feriendörfern und mit vielen familienfreundlichen Ferienwohnungen in der ganzen Schweiz und am Mittelmeer. Entdecken Sie jetzt unsere Angebote unter: reka.ch
Mit Reka liegt mehr drin.
Berner Oberland Lenk ab CHF 574.– m it hn pro Woche* B e rg b a Scannen Sie en mit der aktuell , pp i-A nz rä Fritz+F n Sie he se d un ite diese Se es tark Kind», in der Serie «S ndern it wie man m Ki st. lö e lem Prob
Reka-Feriendorf Lenk Preisbeispiel: 2-Zimmerwohnung mit 4 Betten. Angebot gültig vom 14.10.–28.10.2017 (ab CHF 910.– vom 23.09.–14.10.2017) Jetzt buchen unter reka.ch oder +41 31 329 66 99
Sp ec ial
* Preis exkl. Bearbeitungsgebühr, individuelle Nebenkosten gemäss Internet.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017
Kolumne
Die Zukunft Ihres Kindes ist jetzt!
S Jesper Juul ist Familientherapeut und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familien. 1948 in Dänemark geboren, fuhr er nach dem Schulabschluss zur See, war später Betonarbeiter, Tellerwäscher und Barkeeper. Nach der Lehrerausbildung arbeitete er als Heimerzieher und Sozialarbeiter und bildete sich in den Niederlanden und den USA bei Walter Kempler zum Familientherapeuten weiter. Seit 2012 leidet Juul an einer Entzündung der Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im Rollstuhl. Jesper Juul hat einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter Ehe geschieden.
20
eit Jahrhunderten schon haben Eltern versucht, die Zukunft ihrer Kinder zu planen. Es gab viel, worüber sie sich Sorgen machten. Bis zu einem gewissen Mass waren sie dabei Geiselnehmer der kindlichen Individualität und Zukunft. «Alles, was wir wollen, ist, dass du glücklich bist!», lautet gewissermassen das jahrzehntelange elterliche Mantra. Im 21. Jahrhundert gewinnen die sozialen Ambitionen der Eltern beträchtlich an Bedeutung. Und zwar so viel, dass es an der Zeit ist, sich einige grundlegende und ethische Fragen zu stellen. Welche Rolle spielen Kinder im Leben ihrer Eltern – und deren eigenem? Was möchten Sie als Eltern?
Wollen Sie einfach, dass Ihr Kind glücklich ist? Denken Sie oft über die Ausbildung und die Karriere Ihres Kindes nach? Was sind Ihre grössten Sorgen? Welche Träume gibt es für
Eltern wünschen sich selbstkompetente Kinder. Es ist der beste Schutz gegen die Gefahren und Risiken des Lebens.
die Zukunft Ihres Kindes – und inwieweit beeinflussen Ihre Träume Ihr Kind? Wie wichtig ist es Ihnen, dass Ihr Kind zu einem gesunden und kompetenten Menschen heranwächst? Wir müssen uns darauf besinnen, dass Kinder zu bekommen ein sehr egoistisches Projekt ist. Wir bekommen Kinder nicht der Kinder wegen, sondern in der Hoffnung, dass sie unser Leben bereichern werden. Sobald ein Kind geboren ist, sinkt unsere Selbstsucht und steigt das Interesse an der Sorge um das Kind. Als Eltern schwankt man oft zwischen zwei Extremen: «Du bist mein Kind und ich entscheide!» und «Mein Kind ist mein Leben!». Zwischen diesen beiden Polen gibt es Eltern mit einer ausgewogenen Einstellung. Unabhängig davon, wie ein Kind geboren wird und welche Träume und Ängste Eltern beschäftigen, gibt es unzählige Dinge, die Familien richtig machen können – und noch mehr, die missverstanden werden könnten. Dennoch gibt es einen Grund für unser Verhalten: Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder im Alter von 20 Jahren physisch gesund sind und über gute psychosoziale Kompetenzen verfügen, damit sie fähig sind, mit sich selbst und anderen zurechtzukommen. Dieses Ziel gilt für alle Kinder, egal unter welchen Umständen und in welches Umfeld sie geboren werden. Ein selbstkompetentes Wesen zu sein, ist die Voraussetzung fürs Lernen, sowohl in der Schule als
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
Eltern planen, organisieren, sorgen sich. Völlig unnötig, meint unser Kolumnist Jesper Juul. Denn dieses Verantwortungsgefühl entferne uns von unseren Kindern. Viel zentraler sei der wahrhaftige Umgang zwischen uns und unseren Töchtern und Söhnen.
auch vom Lebens selbst. Es ist der optimale Schutz gegen jegliche Art von Gefahr oder Risiken, welche die Zukunft bringen könnte. Es ist ausserdem das Beste, um Abhängig keiten, Missbrauch, Gewalt, Essstö rungen und vieles mehr zu verhin dern. Und es ist weitaus effektiver, als Grenzen zu setzen, Regeln, Stra fen, moralische Aufrüstung oder Beurteilungen und alles andere zu betreiben, das wir gemeinhin als Präventionsmassnahmen erachten. Trotzdem sind wir noch weit von diesem Ziel entfernt. In vielerlei Hinsicht geht es Erwachsenen und Kindern heute besser als je zuvor. Wenn wir allerdings unsere psychi sche und soziale Gesundheit be trachten, sieht es anders aus. Die Statistiken sprechen eine kla re Sprache: Missbrauch und Abhän gigkeit nehmen zu, ebenso die Zahl jener Kinder und Jugendlichen in psychologischer Behandlung. Der Verbrauch an Medikamenten ist erschreckend hoch. Der Traum einer Wohlstandsgesellschaft, die Sorge zu unserer Gesundheit und Lebensqualität trägt, hat sich also in einen Albtraum verwandelt. Die einzige brauchbare Lösung ist des halb: persönliche Verantwortung. Die Wichtigkeit des Selbstwerts Der bestmögliche Schutz, physisch und psychisch gesund zu sein, besteht aus den folgenden Teilen: • Ein gesundes Gefühl seines Selbst und die Erfahrung, uns als wert voll für die Menschen zu fühlen, die wir lieben. Das Gefühl, dass wir okay sind. Wir es wert sind, geliebt zu werden, genau so, wie wir sind – hier und jetzt. • Die Möglichkeit, unser Leben in vollem Umfang zu leben, unser Potenzial bestmöglich zu entfal ten, auf intellektueller, emotiona ler und psychischer Ebene. All das unterstützt unseren Selbstwert. Diese Qualitäten entwickeln sich in erster Linie innerhalb der Familie. Es ist ein ernsthaftes Problem für die
heutigen Kinder, dass ihre Eltern die Freizeit der Kinder mit externen Anregungen überfrachten. Die Fol ge davon sind Kinder, die von Unterhaltungsprogrammen übersti muliert sind. Sie haben weder ge lernt noch wissen sie, wie sie ihren Weg in ihr Innerstes finden können – jenen Ort, wo die unverfälschte Kreativität verborgen liegt. Wenn nun Eltern zu alldem auch noch Ambitionen und Ziele für die Zukunft ihres Kindes hegen, so wird Folgendes passieren. Zuerst entsteht ein hoher Stressfaktor. Kinder kön nen im Grunde mehr Stress aushal ten als Erwachsene, aber nur wenn sie gelernt haben, sich auch zu ent spannen. Das bedeutet, die Fähig keit zu haben, innezuhalten und dem, was im Inneren passiert, Auf merksamkeit zu schenken. Das bezeichnet man heute als «Achtsam keit». Nun denkt aber das Kind: «Wenn die Erwachsenen ständig mit den nächsten Schritten meiner Entwick lung beschäftigt sind, dann fühle ich mich nicht okay, so wie ich jetzt gerade bin.» Genau diese Beschäfti gung mit dem Leben, der Laufbahn und dem Lernprozess des Kindes durch seine Eltern verhindert, dass es ein gutes Gefühl für sich selbst entwickeln und an seine Fähigkeiten glauben kann. Das Selbstwertgefühl ist aber ein weitaus wichtigerer Schutz als das Selbstvertrauen, das ich mir durch das Erlernen verschiedenster Fähig keiten aneigne. Gerade für Kinder, die sich aus irgendeinem Grund anders als andere fühlen, ist ein gutes Selbstwertgefühl von besonde rer Bedeutung. Das bedeutet, dass die Ambitio nen, die Eltern für ihre Kinder hegen, letztlich scheitern müssen. Oder kennen Sie jemanden über 45, dem Selbstvertrauen oder Status symbole sein Leben, seine Bezie hungen oder sein Familienleben bereichert haben? Ich bin sicher, die Antwort lautet «nein».
Jeder Mensch braucht einen Zufluchtsort für Geist und Körper: Das ist das Hier und Jetzt.
Egal, wen wir fragen, Hirnforscher, Naturwissenschaftler, die sich mit der Gesundheit und dem Wohlbe finden befassen, Geisteswissen schaftler, Pädagogen oder Entwick lungspsychologen – sie alle kommen zum gleichen Schluss: Es ist nichts daran auszusetzen, sich Ziele zu set zen oder einen Traum zu verfolgen. Ohne einen Zufluchtsort zu haben, den das «Hier und Jetzt» dem Geist, dem Körper und der Seele bietet, könnte vieles fehlschlagen. Ausser gewöhnliche Leistungen brauchen die Fähigkeit, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. So wie eine gute persönliche Beziehung die Fähigkeit braucht, präsent und auf merksam zu sein. Zu viel Erziehung Im Moment sind Kinder einem Zuviel an «Erziehung» ausgesetzt. Die unübersehbare Folge dessen ist, dass «Erziehung» immer mehr an Einfluss verliert und unerheblich wird, ja sogar kontraproduktiv. Wie der erfahren Kinder, dass sie zu Werkzeugen ihrer Eltern wurden, um ein öffentliches und persönliches Image zu schaffen. Ungefähr 50 Pro zent der Kinder unterliegen den elterlichen Bedürfnissen, während die andere Hälfte ihre Eltern heraus fordert. Die Anzahl der Kinder mit sogenanntem «unbegründetem Ärger» oder «oppositionellem Syn drom» steigt. Wieso setzen sich manche Kinder ihren Eltern entgegen oder werden wütend? Weil Eltern zu ihnen >>>
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 21
Kolumne
>>> sagen: «Wenn du es nicht für uns tust, wirst du niemals ein anständiger Mensch werden!» Diese Aussage ist eine elementare Deklaration des Misstrauens in die natürliche Fähigkeit und den Wunsch eines Kindes, zu kooperieren. Und es ist auch ein Versuch, seine Zukunft zu kontrollieren. Die meisten Eltern sind immer noch nicht daran interessiert, was Kinder wirklich denken und was sie fühlen. Sie sind mehr daran interessiert, wie
Kinder zu denken und zu fühlen haben. Das schwächt den Selbstwert des Kindes enorm. Manche von ihnen entwickeln eine erlernte Hilflosigkeit. Eine neue Welt wird sich Ihnen öffnen
Es ist gleichermassen einfach wie schwierig: Verbringen Sie viel Zeit mit Ihrem Kind – vorzugsweise ohne sogenanntes «Lernspielzeug». Sie müssen gar nichts sagen. Sitzen Sie
Verbringen Sie viel Zeit mit Ihrem Kind – nehmen Sie es so wahr, wie es ist. Und seien Sie persönlich.
still, beobachten Sie und Sie werden etwas Neues über Ihr Kind erfahren. Versuchen Sie nicht, es zu belehren oder es zu erziehen. Nehmen Sie es einfach so wahr, wie es ist, und seien sie persönlich. Eine neue Welt wird sich Ihnen öffnen. – Wenn Ihr Kind zu Ihnen sagt: «Mir ist soooo langweilig!», machen Sie sich keine Sorgen. Es gibt keinen Grund, sich für die Langeweile Ihres Kindes schuldig zu fühlen oder einen Veranstaltungs- oder Beschäftigungskatalog zu inszenieren, denn dieser würde ohnehin zurückgewiesen werden. Schenken Sie Ihrem Kind ein freundliches Lächeln und sagen Sie ihm: «Gratuliere dir, mein Kind, es wird spannend sein, zu sehen, welche Ideen du haben wirst.» Langeweile dauert kaum länger als 20 Minuten. Das ist die Zeit, die
Abonnieren Sie Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Sichern Sie sich jetzt Ihre Abonnenten-Vorteile: Hefte im Abonnement günstiger als im Einzelverkauf! Lieferung bequem und pünktlich frei Haus!
Sparen Sie
1 Jahr (10 Ausgaben) 68 Franken
Sparen Sie
2 Jahre (20 Ausgaben) 98 Franken
Sparen Sie
Schnupperabo (5 Ausgaben) 20 Franken
Gratis
1 Ausgabe zum Kennenlernen
9 %
35 %
47 %
Bestellen Sie unter: www.fritzundfraenzi.ch > Service Telefon: 0800 814 813
ein Mensch braucht, um sich von den äusseren Anregungen zu lösen, sich mit sich selbst und seiner eigenen Kreativität zu verbinden. Versuchen Sie es einmal selbst, wenn Sie sich innerlich unruhig fühlen (das ist jener Zustand, den Kinder «langweilig» nennen): Schalten Sie Ihr Handy, Ihren Computer und Ihr Fernsehgerät aus und lassen Sie sich überraschen, was passiert. • Wenn Sie mit Ihrem Kind spielen, so lassen Sie Ihr Kind die Initiative ergreifen anstatt die Beschäftigung zu steuern. • Wenn Sie ihr Kind zu Bett bringen, erzählen Sie von Ihrem Tag. Fragen Sie Ihr Kind nicht, wie sein Tag war – es wird es Ihnen automatisch erzählen. • Es gibt keinen Grund, sich vor Stille oder Pausen zu fürchten – beides ist gut für die Atmosphäre.
Versuchen Sie, sich weniger verantwortlich zu fühlen. Das, was Sie als Ihre Verantwortlichkeit als Eltern erachten, wird einer echten Verbindung zwischen Ihnen und Ihrem Kind im Weg stehen. Wenn Sie eine persönliche Beziehung entwickeln möchten, müssen sie sich selbst dem Kind zeigen, sich offenbaren und verletzlich sein. Jede Minute und jede Stunde, in der sie in diesem Sinne mit Ihrem Kind in Beziehung stehen, wird seinen seelisch-leiblichen Schutz stärken. Folglich müssen Sie sich nicht um die Zukunft sorgen, denn Sie bauen damit eine gesunde Beziehung zwischen Ihnen auf. Es wird Ihnen beiden gut tun – viel besser als jegliche präventive Massnahme, die Sie sich <<< vorstellen können.
Wenn Sie zu Ihrem Kind eine intensive Beziehung entwickeln möchten, müssen Sie sich ihm öffnen.
Jesper Juul schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi. Seine Kolumnen entstehen in Zusammenarbeit mit
n g f a a n l S ch u Nicht ? schlafen g h durc e ntriert Unkonze ule? h c S in der
ii Jupi
OMIDA® Hypalin Chügeli für Kinder bei Konzentrationsschwäche, nervösen Erregungs- und Unruhezustände. OMIDA® Schlafchügeli für Kinder bei Überreizung mit Schlaflosigkeit. Erhältlich in Drogerien und Apotheken. Lesen Sie die Packungsbeilage.
OMIDA_Anz_Kinder_Schulanfang_190x123mm+3mmBE_D.indd 1
20.03.17 10:31
Neu im Chindsgi – und schon gestresst Lena ist seit zwei Wochen im Kindergarten. Sie ist unruhig und kann sich schlecht konzentrieren. Sie meidet das Spiel mit anderen Kindern und reagiert aggressiv auf Annäherungen. Warum reagiert Lena so? Bereitet ihr der Kindergarteneintritt Stress? Text: Nadine Messerli-Bürgy
K
inder sind bereits im Kindergar tena lter Stress ausgesetzt und reagieren mit Unsi cherheit, Aggression oder Unruhe. Der erlebte Stress kann unterschiedliche Gründe haben: Tägliche kleinere Belastun gen, grosse Belastungssituationen oder lebensverändernde Ereignisse wie ein Kindergarteneintritt können für Kinder in diesem Alter durchaus stressig sein. Stress beeinflusst die Entwicklung des Kindes
Für uns Menschen entsteht Stress, wenn eine Situation als Herausfor derung erlebt wird. Wir sind ge stresst, wenn eine Situation unsere Ressourcen und Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen, übersteigt und von uns eine Anpassung an die se herausfordernde Situation ver langt wird. Diese Anpassung zeigt sich in unserem Körper (angespannt sein, höheren Puls haben, schneller
Stress entsteht aus herausfordernden Situationen und lebensverändernden Ereignissen. 24
atmen usw.), unseren emotionalen Reaktionen (verärgert, verängstigt, besorgt sein) und in unserem Ver halten. Stress kann durch kurz- oder langfristige Herausforderungen ent stehen und kann die kindliche Ent wicklung negativ beeinflussen. Kinder aus lang anhaltenden oder schweren Belastungssituatio nen wie Lebensereignisse oder ge häufte Konfliktsituationen in der Familie zeigen häufiger Verhaltens auffälligkeiten. Man weiss heute, dass ein Verlust einer nahestehen den Person, ein Unfall, aber auch ein Umzug oder der Verlust eines ge liebten Haustieres bereits beim Vor schulkind Stress auslösen kann und bei einem gehäuften Auftreten sol cher Belastungen sich Verhaltens auffälligkeiten zeigen können. Wei ter haben Kinder aus Familien mit finanziellen Schwierigkeiten, mit psychisch kranken Familienmitglie dern, hohem Stresserleben der Eltern, wenig unterstützendem Er ziehungsstil der Eltern oder Ver nachlässigung ein erhöhtes Risiko für Verhaltensauffälligkeiten. Eingeschränkte Stressregulation führt zu Verhaltensauffälligkeiten
Es ist jedoch nicht die stressige Situa tion selbst, die zu Verhaltensauffäl ligkeiten führt. Vielmehr ist es die
fehlende Anpassungsfähigkeit an die Herausforderung der Stresssituation. Diese Anpassungsfähigkeit wird auch als Stressregulationsfähigkeit verstanden. Sie bestimmt, wie stark und wie lange eine Situation von uns als stressig erlebt wird. Das Tempe rament des Kindes, aber auch die Unterstützung durch die Eltern und bisherige Erfahrungen mit Belas tungssituationen legen fest, wie er folgreich die Stressregulationsfähig keit des Kindes ist. So ermöglichen verschiedene kleinere Herausforderungen dem Kind, diese Stressregulationsfähig keit zu entwickeln und damit die Anpassungsfähigkeit auf spätere Herausforderungen stetig zu verbes sern. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einer Kali brierungsphase der Stressregulation. Diese Kalibrierung kann nur statt finden, wenn das Kind in verschie denen kleinen bis mittleren Heraus forderungen die Möglichkeit hat, sich im Umgang mit Stress zu üben und neue Strategien zu erlernen. Ohne diese kleinen herausfordern den Ereignisse im Leben eines Kin des sind eine spätere erfolgreiche Stressregulation und damit eine adäquate Anpassung an grössere Belastungssituationen nicht mög lich.
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Erziehung & Kindergarten
Studie zur kindlichen Stressregulation im Kindergartenalter Die Stressregulation entwickelt sich in der frühen Kindheit und kann sich unter verschiedenen Bedingungen verändern. Ein Team der Universität Freiburg untersucht ab 2018, wie sich die Stressregulationsfähigkeit beider Elternteile positiv auf die kindliche Stressregulation auswirken kann. Die Studie interessiert sich für Risiko- und Schutzfaktoren der kindlichen Stressregulation und deren Einfluss auf die Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten, die bisher in dieser Form nicht untersucht wurden. Im Fokus stehen die Veränderung der Stressregulation während des Kindergarteneintritts und die Zusammenhänge von kindlichen und elterlichen Faktoren in dieser Lebensphase. Haben Sie an der Studie Interesse und möchten mehr darüber erfahren? Schreiben Sie an: nadine.messerli@unifr.ch. Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme.
Während dieser Kalibrierungsphase kann ausgeprägter Stress auch zu einer Verschlechterung der Stress regulation führen. Traumatisierun gen oder Missbrauchserfahrungen, Vernachlässigung der Eltern, häufige Konfliktsituationen und schwere Lebensereignisse sind Stresssituatio nen, die das Kind überfordern und reduzieren die Stressregulationsfä higkeit. Als Folge zeigen Kinder durch diese psychische Überbelas tung ein höheres Risiko für Verhal tensauffälligkeiten. Der Kindergarteneintritt: Belastung oder Chance?
Eltern erleben ihre Kinder während des Kindergarteneintritts oft als ver ändert. Die Kinder sind häufig gestresst. Er ist für viele Kinder ein einschneidender Moment, der mit viel Neuem und Unbekanntem ver bunden ist und von einigen als mitt lere Stresssituation erlebt wird. Er weckt zwar beim Kind meist die Neugier und Freude, sich in neuen Aufgaben zu üben, kann aber auch Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017
Wenn Eltern sich sehr sorgen, verspüren auch die Kinder Stress. Ungewissheit oder Unruhe auslösen. Kinder können sich davor fürchten, sich in eine Gruppe einzufügen und ohne elterliche Unterstützung neue Aufgaben bewältigen zu müssen. Zu diesen Aufgaben gehört die Gewöh nung an neue Regeln und an eine neue Betreuungsperson, welche andere Anforderungen an das Kind stellt, als es gewohnt ist. Der Kindergartenstart ist also eine Herausforderung, in welcher sich das Kind an die neue Situation anpassen muss. Bisherige Untersu chungen haben gezeigt, dass die Trennung von der familiären Umge bung für Kinder belastend sein kann. Jedes sechste Kind erlebt den Kindergarteneintritt als schwierig. Dabei zeigen einige Kinder zu Beginn Verhaltensauffälligkeiten, die sich nach einer ersten Gewöh nungsphase wieder normalisieren. Der Kindergartenbeginn kann also zu Veränderungen in der emo tionalen, verhaltensspezifischen und biologischen oder körperlichen Reaktionsweise führen. Studien zei gen, dass Kinder während dieser Phase eine höhere Ausschüttung des Stresshormons Kortisol aufweisen. Dieses Stresserleben scheint jedoch durch das Temperament des Kindes, durch die neue Umgebung und auch durch die Eltern beeinflusst zu sein. Kinder von Eltern, die sich beson ders sorgten, zeigten eine höhere Stresshormonausschüttung. Ein Kindergarteneintritt kann also Belastung oder Chance zur Ver besserung der Stressregulation sein. Die selten auftretenden lang anhal tenden Verhaltensauffälligkeiten sprechen jedoch dafür, dass ein Kin dergartenstart eine Chance ist, in einem noch geschützten Rahmen
die eigene Stressregulationsfähigkeit zu optimieren, sich für zukünftige Belastungssituationen zu wappnen und dem Risiko potenzieller Verhal tensstörungen entgegenzuwirken. Er ist für Kinder eine gute Gelegen heit, ihre Stressregulation weiterzu entwickeln. Diese kann vor allem dann positiv genutzt werden, wenn Kinder bereits im Vorschulalter Gelegenheiten hatten, sich in ver schiedenen kleineren Situationen zu üben und ihre Anpassungsfähigkeit an Stresssituationen zu verbessern.
Nadine Messerli-Bürgy PD Dr. phil., ist Mutter von zwei Kindern und arbeitet seit 2014 als Senior Researcher in der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie am Departement für Psychologie und am Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg. Sie ist klinische Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Schweizer Kinderstudie Swiss Preschooler’s Health Study (SPLASHY). Ab Herbst 2017 leitet sie ein vierjähriges Forschungsprojekt zur «kindlichen Stressregulation während des Kindergarteneintritts» im Rahmen einer Förderungsprofessur des Schweizerischen Nationalfonds.
Anzeige
SCHLUSS MIT BETTNÄSSEN! Vibrameth – Lautloses Therapiegerät
Krankenkassenvergütung – Erfolg 90 % www.kinderkoenig.ch
Gesundheit & Ernährung
« Wir sollten die Stärken unserer Kinder betonen» Man liest immer wieder, dass Kinder keine Purzelbäume mehr schlagen können. Bewegen sich unsere Kinder zu wenig? Der Oberarzt und Praxispädiater Sepp Holtz kennt die Fakten. Text: Claudia Landolt Herr Holtz, macht Bewegung klug?
Grundsätzlich kann man sagen, dass Bewegung die Durchblutung anregt. Der Wachheitsgrad bei Kindern, die sich bewegen, ist höher. Empirische Daten gibt es aber nur wenige. Wir stellen einen leichten Zusammen hang fest: Ein kleiner Teil der Ko gnition, rund zehn Prozent, lässt sich mit Bewegung und Motorik erklä ren. Auch spielt die Individualität eine grosse Rolle. Es gibt Kinder, die sich viel bewegen müssen, andere weniger. Es heisst, Kinder würden sich ab Schuleintritt immer weniger bewegen. Stimmt das?
Nein. Die Forschung zeigt etwas anderes: Kinder zwischen acht und neun Jahren haben das grösste Bewe gungsbedürfnis. Deshalb fällt ihnen das Sitzen während 45 Minuten in der Schule oft sehr schwer. Was ist mit Purzelbaum, Hampelmann und Co.? Haben tatsächlich immer mehr Kinder damit Probleme?
Das ist nicht bewiesen. Dieser Ein druck stimmt nicht mit unseren Daten überein. Lassen sich Koordination und Gleichgewicht trainieren?
Jein. Was ich Eltern jeweils sage: Wenn ich noch nie über einen Baumstamm balanciert bin, mache ich es beim ersten Mal nicht sehr gut. Wenn ich es aber nochmals mache, geht es besser, aber immer noch nicht extrem gut. Man kann es üben, aber nur innerhalb des biologischen Potenzials. Motorik hat ihr eigenes 26
Programm. Ob ein Kind also den Purzelbaum kann, hat mit seinem eigenen inneren Programm zu tun. Der Schweizer Kinderarzt Remo Largo sagte: Kein Kind lernt krie chen, weil man ihm vorkriecht. Hin zu kommt: Die Variabilität ist riesig. Es gibt keine saubere Grenze, ab wann ein Kind was genau motorisch leisten muss. Gestatten Sie mir ein Beispiel: Ein Kind turnt nicht gern, wird im Turnen als Letztes gewählt. Ist das Grund zur Sorge?
Man kann auch ohne Motorik gut durchs Leben kommen. Kinder ent wickeln da erstaunliche Strategien. Diese gilt es zu erfragen. Ein Anhalts punkt ist etwa das Verhalten des Kindes im Kindergarten oder auf dem Pausenplatz. Was macht das Kind in der Pause? Spielt es mit anderen Kindern? Mit den Mädchen oder mit den Buben?
Begabungen oder Stärken? Eltern sollten dann diese betonen. Viel leicht wird das Kind zwar im Turnen als Letztes gewählt, ist aber im Rech nen spitze. Dann ist das nicht so schlimm. Nicht alle Kinder definie ren sich über den Sport. Was raten Sie den Eltern?
Die Kinder bei ihren Stärken abho len und die Schwächen ihrer Kinder akzeptieren, statt diese beheben zu wollen. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass ein Kind, das in anderen Berei chen als beispielsweise dem Turnen positive Erlebnisse hat, sich auch mehr zutraut. Also da mutig ist, wo es vielleicht noch nicht ganz so gut ist.
Können Sie ein Beispiel dazu anführen?
Ich erinnere mich an einen Jungen, der sich in der Pause hinter einem Busch versteckte und dort sein Znü ni ass. Er wagte es nicht, mit den anderen auf dem Pausenplatz zu spielen, weil er wusste, dass er nicht mithalten konnte. Damit verpasste er nicht nur soziale Kontakte, son dern konnte auch sein motorisches Potenzial weder üben noch aus schöpfen. Dieses Kind brauchte also unsere Unterstützung. Die Frage aber ist: Wie sehr definiert sich ein Kind über den Sport? Hat es andere
Zur Person
Sepp Holtz ist Oberarzt im Kinderspital Zürich und Praxispädiater. Er hat vor 18 Jahren zusammen mit dem Kinderspital das Praxisassistenzarztrotationsmodell entwickelt, das in der Schweiz Schule gemacht hat. 2017 wurde er mit dem GuidoFanconi-Preis für seine Leistungen in Lehre und Praxis ausgezeichnet. Zusammen mit seiner Tochter Noa betreibt er den Podcast «Familienbande», welcher Eltern die Möglichkeit bietet, sich von Experten Rat bei Fragen rund um den Nachwuchs zu holen. www.kispi.uzh.ch, Stichwort: Familienbande.
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Kolumne
Was wirklich wichtig ist, habe ich im Kindergarten gelernt
I
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
Mikael Krogerus ist Autor und Journalist. Der Finne ist Vater einer Tochter und eines Sohnes, lebt in Biel und schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi und andere Schweizer Medien.
ch stehe an einem Punkt im Leben, an dem ich Fehler noch immer dreimal mache, an dem ich aber auch sagen kann, dass ich manches gelernt habe. Zum Beispiel, dass es klüger ist, zu fragen, als zu antworten. Oder dass die meisten Dinge vorübergehen – vor allem jene, von denen man es nicht denkt. Es sind Einsichten, die ich im Laufe der Jahre, oft schmerzhaft, gewonnen habe. Die wichtigste Einsicht aber habe ich im Kindergarten erlangt: Es ist gut, anderen zu helfen. Die Person, die mir das beibrachte, hiess Frau Wolff. Sie pflegte in unserem Rudolf-Steiner-Kindergarten ein strenges, aber gütiges Regime. Die meiste Zeit mussten wir Tücher falten, die Puppenecke aufräumen, den Tisch decken oder Schnüre entknoten. Sobald man mit einer Tätigkeit fertig war, musste man zu Frau Wolff gehen und fragen: «Wie kann ich helfen?» Nicht «Was soll ich jetzt machen?» – als wären wir Teilnehmer einer Beschäftigungstherapie, und auch nicht «Soll ich Ihnen helfen?» – als wäre sie eine Bedürftige, zu durcheinander, sich selber die Schuhe zu binden. Nein, die Frage sollte lauten: «Wie kann ich helfen?». Anderen zu helfen, ist vermutlich ein tiefer menschlicher Instinkt. Aber wie man hilft, ist mindestens so wichtig wie, dass man hilft. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Frau Wolff die feinen semantischen Unter schiede von «Soll ich dir helfen?» und «Wie kann ich dir helfen?» vollends bewusst waren, aber mir scheint ihre Ansage heute fast prophetisch. «Soll ich dir helfen?» hat etwas Ungeduldig-Paternales, oft Helfersyndromhaftes und handelt meist mehr von dir als von der Person, der geholfen wird. «Wie kann ich helfen?» hingegen zeigt, dass du anerkennst: Nicht du, sondern das Gegenüber kennt sich in seinem Leben am besten aus. Der Satz war für uns damals nicht so wichtig, die Handlung, die er auslöste, aber veränderte uns. Wir halfen einander und sahen darin keinen selbstlosen, sondern einen stinknormalen Vorgang, so alltäglich und unhinterfragbar wie Zähneputzen oder Tellerabtragen. Die wenigsten Kinder putzen gern die Zähne, aber die wenigsten (es gibt Ausnahmen) machen daraus eine Riesensache, einfach weil sie früh gelernt haben, dass es zum Leben gehört. Und das kleine sozialpsychologische Experiment, das Frau Wolff da betrieb, lautete: Was wäre, wenn Solidarität auch einfach zum Leben dazugehören würde? Kaum eingeschult, tauschte ich die Hilfsbereitschaft gegen ein sozialdarwinistisches Gebaren, das mich perfekt auf die neoliberale Wirklichkeit vorbereitete, aber aus mir auch ein ziemliches Arschloch machte. Und doch wusste ich die ganze Zeit, dass es auch anders geht, dass dieser kleine Satz noch immer gilt. Ich weiss nicht, was Frau Wolff heute macht. Ob sie noch lebt, ob ihr jemand hilft, ob sie sich überhaupt an das kleine Experiment erinnert. Ich weiss nur, dass ich eine der wichtigsten Lektionen im Kindergarten gelernt habe. Und ihr dafür gerne danken würde.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 27
Gute Nacht!
Mit dem Eintritt in den Kindergarten kommt viel Neues auf Ihr Kind zu. Die Eindrücke zu verarbeiten, macht müde. Umso wichtiger ist erholsamer Schlaf – der Bedarf variiert dabei von Kind zu Kind. Text: Virginia Nolan
28
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Gesundheit & Ernährung
Schlaf ist Voraussetzung, um tagsüber in Verbindung mit unserer Umwelt treten zu können.
S
eit sie den Kindergarten besucht, geht Solaine am Abend freiwillig ins Bett. «Sie scheint richtig dankbar zu sein, dass sie endlich schlafen darf», sagt ihre Mutter Natalie. Ihre Sechsjährige freue sich jeden Morgen auf den Kindergarten, sei aber entsprechend erschöpft, wenn sie nach Hause komme. Am Nachmittag möge sie oft nichts unternehmen, sei zu müde für Ausflüge: «Dann will sie einfach zu Hause sein und spielen.» Ähnliches
berichtet die Mutter von David, der im ersten Kindergartenjahr ist. Ihr Sohn trete morgens fröhlich den Schulweg an, sei in der zweiten Tageshälfte aber oft unausgeglichen. «Früher hatten wir am Nachmittag meist Pläne», sagt Davids Mutter, «jetzt entscheiden wir spontan, ob wir etwas unternehmen mögen.» Lernen im Schlaf
Mit dem Eintritt in den Kindergarten kommt viel Neues auf ein Kind zu: die Lehrperson, zu der es eine Bezie-
hung aufbauen muss, soziale Erfahrungen in der Gruppe, ein veränderter Rhythmus, die neue Umgebung. All diese Eindrücke wollen verarbeitet werden – das macht müde. Darum ist erholsamer Schlaf besonders wichtig. Schlaf ist nämlich langfristig die Voraussetzung dafür, dass wir tagsüber mit unserer Umwelt in Verbindung treten können. «Durch Informationen, die wir aufnehmen, gehen die Synapsen, das sind Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen in unserem Gehirn, Verbindungen miteinander ein. Dadurch werden sie grösser und schwerer», sagt Reto Huber, Schlafforscher am Kinderspital Zürich sowie an der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Zürich. «So funktioniert Lernen.» Liefe dieser Prozess ununterbrochen, wären Energie- und >>>
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 29
>>> Platzreserven, aber auch unser Gehirn selbst bald erschöpft. Das wird durch Schlaf verhindert – indem er Reize minimiert, welche die Synapsen veranlassen, neue Verbindungen einzugehen. Auch werden laut Huber im Tiefschlaf gewisse Hirnareale gleichgeschaltet, was dazu führt, dass die Synapsen sich wieder verkleinern. Schlaf setzt, vereinfacht gesagt, die «Fest platte» des Gehirns neu auf, löscht Unwichtiges und sorgt dafür, dass sie am nächsten Tag wieder be schrieben werden kann. Zugleich trägt er zur Verfestigung von Ge lerntem bei. Tiefschlaf sei gekenn zeichnet durch langsame Wellen, sogenannte Slow-Wave-Ströme, sagt Huber. Und: «Slow Waves sind jeweils in der Hirnregion besonders aktiv, wo gerade ein Reifungspro zess stattfindet.» Wann ist es Zeit?
Schlafforscher am Kinderspital lies sen Kinder, Jugendliche und Erwach sene verschiedene visuomotorische Tätigkeiten ausführen. Das sind Aufgaben, welche die Hand-Au ge-Koordination beanspruchen, wie etwa Schreiben oder Zeichnen. Nach den Experimenten analysierten die Forscher den Schlaf der Probanden – und stellten fest, dass der Tiefschlaf im parietalen Kortex, der für die visuell-motorische Kontrolle von Bewegung zuständig ist, erhöht war, und zwar bei allen Teilnehmern. «Bei den Kindern», sagt Huber, «war er im Vergleich zu den Erwachsenen aber noch viel ausgeprägter.» Das hänge mit der hohen Plastizität des
Fünfjährige Kinder brauchen im Durchschnitt 11,5 Stunden Schlaf, um leistungsfähig zu sein. 30
Fünf Schlaftipps für das Kindergartenkind 1. Feste Tagesstrukturen wie gemeinsame Mahl zeiten, ein Einschlafritual und insbesondere geregelte Bettzeiten helfen dem Kind, leichter in den Schlaf zu finden. Halten Sie die SchlafWach-Zeiten des Kindes so oft wie möglich ein. 2. Eine ruhige Atmosphäre zu schaffen, ist wichtig vor dem Zubettgehen. Vermei den Sie abends Raufspiele sowie andere Aktivitäten, die den Puls hochjagen und für Aufregung sorgen. 3. Das Bett soll Erholungs zone sein. Es ist kein Ort zum Gamen, Spielen oder Hausaufgabenmachen.
4. Ein normales Schlafverhalten gibt es nicht. Jedes Kind ist anders. Versuchen Sie, ein Gefühl für sein individuelles Schlaf bedürfnis zu entwickeln: Schläft Ihr Kind schnell ein und ist am Morgen kaum aus dem Bett zu kriegen? Dann sind vermutlich frühere Schlafenszeiten nötig. Umgekehrt bringt es nichts, Ihr Kind aus Prinzip früh ins Bett zu schicken, wenn der Schlaf dadurch lange auf sich warten lässt. 5. Keine Strafe! Setzen Sie verfrühte Bettzeiten nicht als Strafe ein. Kinder sollten Schlaf mit etwas Gutem verbinden.
kindlichen Gehirns zusammen – der Fähigkeit von Synapsen, Nervenzel len und ganzen Hirnarealen, sich in ihrer Ausprägung und Funktion zu verändern. Diese Eigenschaft, der Kinder ihre ausserordentliche Lern fähigkeit verdanken, bedingt wohl auch ihren erhöhten Schlafbedarf gegenüber Erwachsenen. Daraus eine allgemeingültige Formel abzuleiten, ist nicht möglich, denn der Schlafbedarf variiert von Kind zu Kind, wie Studien des Kin derspitals zeigen. Demnach brau chen Fünfjährige durchschnittlich 11,5 Stunden Schlaf, um leistungs fähig zu sein – einige kommen auch mit 9,5 Stunden aus, andere benöti gen dafür 13 Stunden. «Dieser Unterschiede sind sich Eltern zu Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Gesundheit & Ernährung
Die innere Uhr einstellen
Die sogenannte innere Uhr, die im Zwischenhirn lokalisiert ist, steuert unsere Wach- und Schlafphasen. Sie wird täglich mit regelmässig wiederkehrenden Umgebungsfaktoren synchronisiert. «Der wichtigste ist das Tageslicht», sagt Huber. Wer kennt nicht das abendliche Klagelied der Kinder, dass es draussen «noch Tag» sei? So fruchteten die Bemühungen von Davids Eltern, den Kindergärtler um sieben Uhr abends ins Bett zu verabschieden, zwar im Winter – aber als die Tage länger wurden, war daran nicht zu denken. «Er war um sieben im Bett und um neun noch hellwach», sagt seine Mutter. Das Warten auf den Schlaf habe den
www.landesmuseum.ch
Feste Tagesstrukturen sind für einen guten Schlaf wichtig.
Bub unruhig werden lassen. So geht David im Sommer eben eine Stunde später ins Bett. Trotzdem hält seine Mutter an der Regel fest, dass um sechs Uhr gegessen und um sieben Uhr mit Zähneputzen begonnen wird, damit das Zubettgehen stressfrei abläuft. Fixe Tagesstrukturen seien für einen guten Schlaf wichtig, sagt Reto Huber: «Sie sind ein weiterer Zeitgeber, auf den unsere innere Uhr sich einstellt.» Je konstanter die Schlaf-Wach-Zeiten eingehalten würden, desto besser. Das gelte idea lerweise auch für das Wochenende. Den Ansatz der hier vorgestellten Mütter, ihre Kinder nicht mit Aktivitäten zu überfrachten, findet der Schlafforscher sinnvoll. «Für das kindliche Gehirn bedeuten Aktivitäten nichts anderes als Lernen»,
sagt er, «und Lernen steigert die Erregbarkeit.» Wer nun fürchtet, das süsse Nichtstun verwehre seinem Kind Lernerfahrungen, tröste sich mit der Tatsache, dass unser Gehirn keinem Krug gleicht, der behält, was man hineingiesst – eher einem Sieb, an dem nichts mehr hängen bleibt, wenn es im Turbomodus hindurchschiesst. >>>
wenig bewusst», sagt Schlafforscher Huber. So betrachteten viele Eltern den kindlichen Schlafbedarf als fixe Grösse – und beharrten folglich auf einer bestimmten Schlafdauer. Das sei nicht hilfreich, sondern könne Schlafstörungen sogar begünstigen: «Es geht vielmehr darum, ein Gefühl zu entwickeln für die individuellen Schlafbedürfnisse des Kindes und dafür passende Rahmenbedingungen zu schaffen.»
Virginia Nolan
ist froh, dass ihre Tochter noch nicht in aller Frühe aus den Federn muss – nächstes Jahr wirds losgehen.
Fiese Viren!
Warum Kindergartenkinder so häufig von Erregern heimgesucht werden – und wie man sich als Familie wappnen kann. Von Kristin Hüttmann
A
bholen aus dem Kindergarten, die Fünfjährige wartet vergnügt mit einer Nachricht auf, die Panik auslöst. «Basil hat auf Lea gekotzt!» Nicht schon wieder! Es möge bitte eine Magenverstimmung sein, bloss kein Norovirus, von der die Kollegin mit den zwei kleinen Kindern gestern noch in düsteren Tönen warnte. Durchfall. Strapaziös. Hoch ansteckend. Hat es einer, haben es alle, Mutter, Vater, Kind.
32
Dabei ist die letzte Erkältungswelle doch gerade erst durch die Familie geschwappt. Noch ist Sommerzeit, und wer Kinder hat, der betet drum, dass die warme Jahreszeit noch möglichst lange andauert, bitteschön. Denn den Herbst und Winter mögen wir nicht: Es ist die Zeit der Krankenstandsmeldungen. «Wir haben grad Magen-Darm, und ihr?», ist in diesen Wochen ein beliebter Gesprächs einstieg. Die tatsächliche Gruppengrösse in Kindergärten und Horten Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Gesundheit & Ernährung
Sechs bis acht Infekte pro Jahr sind für ein Kleinkind völlig normal, sagt der Experte.
tory Research Group Eltern von Säuglingen im ersten Jahr über die Krankheitssymptome ihrer Kinder befragten. Einige Kinde wiesen bis zu 23 Wochen Erkältungssymptome auf. Erreger schlagen monatlich zu
schwankt enorm und erreicht im Januar ihr Jahrestief. Auf der Arbeit meldet sich jede Woche ein anderer Vater oder eine andere Mutter krank. Täuscht der Eindruck oder sind die Jahre mit Kindern ein einziger Staffellauf der Infektionskrankheiten? Der Eindruck täuscht nicht. Mediziner registrieren im Herbst ein allmähliches Ansteigen des Hust- und Schniefgeschehens. Kurz nach Neujahr erreicht der Krankenstand seinen Höhepunkt, die Grippewelle rollt mit Macht durchs Land. Wenn es wärmer wird, nehmen Atemwegserkrankungen ab. Dafür suchen uns vermehrt Durchfallerreger heim. Prominente Ausnahme: Das Norovirus mag es winterlich kalt. In der Infektsaison sehen Eltern ihren Kinderarzt meist häufiger als die besten Freunde. Kein Wunder, denn kleine Kinder haben den Erregern wenig entgegenzusetzen. «Das Immunsystem der Kinder muss erst noch trainieren», sagt der erfahrene Kinderarzt Rolf Temperli aus Köniz bei Bern. «Dabei lernt es.» Der 59-Jährige ist Vorstandsmitglied im Berufsverband Kinderärzte Schweiz, hält Vorträge und bildet Kinderärzte und Medizinstudenten aus. Seine jahrzehntelange Praxis erfahrung deckt sich mit den Erkenntnissen aktueller Fachbücher: «Sechs bis acht Infekte pro Jahr sind völlig normal», sagt er. «Es ist auch nicht aussergewöhnlich, wenn ein Kleinkind im gleichen Monat sogar zweimal an einem Luftwegs infekt erkrankt.» Zu diesem Ergebnis kamen auch Philipp Latzin und seine Kollegen, die für die Swiss Pediatric Respira-
Heisst also tatsächlich: Mindestens einmal im Monat schlägt ein Erreger zu. Denn das kindliche Immunsystem muss erst noch üben, Keime, Bakterien und Viren abzuwehren. Die ganz Kleinen haben es gut – in den ersten Lebensmonaten profitieren Babys noch vom Nestschutz der Mutter, einer Art Leihimmunität. Erfahrene Abwehrzellen schützen das Kind in der ersten Zeit, nicht vor allen, aber vor einer ganzen Reihe von Krankheiten wie Masern, Mumps, Röteln und vielen anderen Viruserkrankungen. Nach einem halben Jahr lässt dieser Nestschutz aber nach. Dann müssen sich Kinder selbst mit ihrer Umwelt und den Keimen und Erregern auseinandersetzen. Dieses Trainingslager für Abwehrkräfte dauert einige Jahre, bis das Immunsystem mit etwa fünf Jahren recht stabil ist. Sich mit der Umwelt auseinandersetzen – das bedeutet für immer mehr Kinder in der Schweiz: Betreuung im Kindergarten, Hort oder bei Tageseltern. Mittlerweile sind laut dem Bundesamt für Statistik über 60 Prozent der Kinder zwischen 0 und 12 Jahren in einer familienergänzenden Kinderbetreuung. Aus Sicht der Krankheitserreger ist das eine grossartige Entwicklung. Die laben sich am Rotznasen-Komplex: Viele unfertige Immunsysteme tauschen ungehemmt Keime aus.
sie sind selten krank. Im Nationalen Gesundheitsbericht 2015 des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) beschreiben die 24- bis 44-Jährigen ihren Gesundheitszustand als ausgesprochen gut. Warum also schlagen die Erreger unserer Sprösslinge so ein? Zunächst ist der Kontakt mit den eigenen Kindern naturgemäss innig. Wenn das Kind heult, wäscht man ihm nicht erst Hände und Gesicht mit Seife, bevor man es auf den Arm nimmt. Ausserdem gibt es eine Unmenge von Erregern – selbst geübte Immunsysteme müssen da gelegentlich passen. «Es gibt so viele Viren, die akute Atemwegserkrankungen auslösen», sagt Osamah Hamouda, Leiter der Abteilung Infektionsepidemiologie am RobertKoch-Institut (RKI) in Berlin. Allein vom Rhinovirus, das Erkältungen auslöst, kennt er über 100 Varianten. Das Risiko, dass ein Kind einen für die Familie neuen Erreger nach Hause bringt, ist also relativ hoch. Hamoudas Fazit: «Gegen Erkältungsviren entwickelt man keine lebenslange Immunität.» So macht die Kombination aus schwacher Immunabwehr der Jüngsten und hoher Kontaktquote in Kindergarten und Schule die Familien im Wortsinn zur Keimzelle der Gesellschaft. Nicht umsonst lautet die Empfehlung der amerika- >>>
Keine Immunität
Die hohe Keimdichte in Kindertageseinrichtungen erklärt aber noch nicht, warum es Eltern so oft miterwischt. Denn eigentlich ist das Immunsystem der 25- bis 40-Jährigen in der Regel gut trainiert, und
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 33
Gesundheitsforscher. Studien legen nahe, dass der frühe Infektmarathon in Krippe und Kindergarten das bes te Training fürs Immunsystem ist. Frühe Infekte, spätere Stabilität
>>> nischen Gesundheitsbehörde CDC, Kinder ab sechs Monaten gegen Influenza zu impfen. Den Fachleuten geht es nicht nur um das Wohlergehen der Kleinsten – son dern auch um die Volksgesundheit. So schätzen Forscher in mathema tischen Modellrechnungen für Deutschland, dass sich durch die Impfung von Kindern ab zwei Jah ren in den folgenden zehn Jahren 23,9 Millionen Influenza-Infektio nen verhindern liessen. Das würde bedeuten, dass sich einer von drei Erwachsenen erst gar nicht ansteckt. Nun mögen sich Eltern von die sem Argument nicht überzeugen lassen, ihre Kinder gegen die Grippe zu impfen. Aber wenn das Infekt szenario so unausweichlich ist, wäre es dann nicht gesünder für alle, die Kinder einfach zu Hause zu betreu en, bis sie fünf Jahre alt sind und ihr Immunpanzer stabil ist? Trug schluss, sagen Kinderärzte und
So hat die kanadische Forscherin Sylvana Côté in einer Studie heraus gefunden, dass besonders Kinder, die in eine Krippe kommen, bevor sie zweieinhalb Jahre sind, in der Grundschule Gleichaltrigen gesund heitlich überlegen sind und seltener fehlen. Seit den 1990er-Jahren weiss man: Kinder, die im ersten Lebens jahr mindestens zwei Infektionen mitmachen, erkranken später nur halb so häufig an Asthma wie Kin der, die keine Virusinfekte hatten. Wichtig dabei ist: Das gilt für letzt lich harmlose Infekte, die nach eini gen Tagen überstanden sind. Kinder können bleibende Schäden davon tragen, wenn sie gefährliche Krank heiten wie Masern oder Röteln durchmachen, für die Impfempfeh lungen bestehen. Die gute Nachricht für Eltern: Auch sie trainieren ihr Immunsys tem. Wie sehr sie dafür in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder leiden müssen, weisen die Statistiken leider nicht aus. Aber grundsätzlich fühlen
sich Eltern nicht stärker gebeutelt als Nichteltern. Ganz im Gegenteil. So fanden Andreas Hirschi und sei ne Kollegen am Institut für Psycho logie der Universität Bern heraus, dass Eltern sogar zufriedener mit ihrem Leben sind. Sie befragten dafür über 500 Berufstätige und stellten fest, dass jene, die in ihrer Karriereplanung die Familienrolle stärker berücksichtigten, über eine grössere Zufriedenheit mit ihrer Karriere und ihrem Leben allge mein berichteten. Und auch den Kindern geht es jüngsten Untersuchungen zufolge allgemein gut. Den Gesundheitszu stand ihrer 3- bis 17-jährigen Kin der beschreiben 94 Prozent der Eltern als «sehr gut» oder «gut». Zu diesem Ergebnis kommt eine der grössten Datensammlungen zur Kindergesundheit, die Kinder- und Jugendgesundheitsstudie KiGGS des Berliner RKI. Auch die im
Die meisten Infekte sorgen leider nicht für eine Immunität – man erkrankt immer wieder.
In den Dreck – und Hände waschen! Als vorbeugende Massnahmen für die Familiengesundheit eignen sich Stressabbau, ausgewogene Ernährung und regelmässige Bewegung. Und vor allem: raus mit den Kindern, rein in die Natur! Denn die Bakterien aus unserer Umwelt brauchen wir für unser Mikrobiom. Diese Gemeinschaft von nützlichen Bakterien lebt in und auf unserem Körper und ist wichtig für unsere Gesundheit. In frühester Kindheit rekrutieren wir dafür die Organismen aus unserer Umgebung. Bakteriologen glauben: Je vielfältiger diese sind, desto robus-
34
ter ist am Ende auch die Gemeinschaft schützender Begleiter, die uns bei der Abwehr vieler Infektionen hilft. Und trotzdem: Auch das trainierteste Immunsystem kapituliert zuweilen vor der Vielfalt der Erreger. Besonders Atemwegsinfekte machen uns allwinterlich erneut zu schaffen. Deshalb ist und bleibt regelmässiges, korrektes Händewaschen das Mittel der Wahl gegen Mini-Epidemien in der Familie. Normale Flüssigseife reicht dafür völlig aus, Desinfektionsmittel oder antibakterielle Seifen sind nicht notwendig.
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Gesundheit & Ernährung
Stressabbau, gesunde Ernährung und genug B ewegung stärken das Immunsystem.
auf Infekte vorbereitet ist, umso sel tener wird man erkranken.» Wer also nicht nur tatenlos Bett wache halten will, kann auch etwas tun – mit drei üblichen Handlungs empfehlungen fürs Vorfeld: Stress abbau, ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung. >>>
Gesundheitsreport des Schweizer Obsan befragten Jugendlichen schätzen ihren Gesundheitszustand überwiegend als gut bis sehr gut ein. Gute Gesundheit und trotzdem ständig Schnupfen. Am Ende bleibt eben, was man schon ahnte und Experten wie Kinderarzt Temperli so formulieren: «Die meisten Infek te hinterlassen keine lebenslange Immunität, das heisst leider – man erkrankt immer wieder.» Temperlis Trost: «Je besser das Immunsystem
Starten Sie die pp, Fritz+Fränzi-A ite Se e scannen Sie di r Serie re se un in und sehen Sie nder Ki e wi », nd Ki «Starkes rtu wo ng lernen, Verant . hm zu überne en
Kristin Hüttmann arbeitet als freie Journalistin in Hamburg. Den Infektionsmarathon kleiner Kinder kennt sie aus eigener leidvoller Erfahrung. Die Schnupfen- und Husteninfekte ihrer beiden Kinder hat sie fast alle mitgenommen. Und sich wie viele Eltern oft krank ins Büro geschleppt.
Die einzigartige und wirksame Lösung gegen Warzen! Für Kinder und Erwachsene. Erhältlich in Ihrer Apotheke und Drogerie. www.endwarts.ch
Nur 1x wöchentlich. Einfach anzuwenden.
Die einzigartige Lösung dringt bis tief in die Wurzeln.
NEU auch als PEN
Trocknet die Warze wirksam aus.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 35 Hegnaustrasse 60, 8602 Wangen-Brüttisellen, Meda Pharma GmbH, a company of the Mylan group.
Grün – gelb – rot Mit einer ausgewogenen Ernährung bleiben Kindergarten- und Schulkinder leistungsfähig. Im Kindergarten wird die Zwischenverpflegung gemeinsam eingenommmen. Aber nicht alles ist erlaubt. Text: Claudia Landolt und Ruth Hoffmann
I
m Chindsgi ist das Znüni etwa so wichtig wie das Kin dergartentäschli und der Leuchtstreifen. Es wird ge meinsam eingenommen und ist ein Fixpunkt im Kindergarten morgen. Auch bei den Kindern: Wer hat welches Znüni dabei? Mit wem könnte ich tauschen? Für manche Eltern ist ein selbst zubereitetes Znüni Neuland – besonders, wenn die Kinder eine Krippe besucht haben, wo das Znüni von den Erzie herinnen zubereitet wurde. In vielen Kindergärten gilt ein sogenanntes Znüni-Ampelsystem: grün, gelb und rot. Kindergärten, die kein Ampelsystem haben, kon trollieren das Znüni der Kinder und erklären, was als Zwischenmahlzeit unerwünscht ist. Bei Bedarf geben sie ein Informationsblatt mit. Aus diesen Vorgaben entstanden im Netz zahlreiche Anleitungen für fei ne Znüni-Varianten: Melonenschiff li, Rüeblistängeli, Käsewedel und vieles mehr. Doch nicht alle Eltern haben am Morgen Zeit und Musse, für den Nachwuchs Rüebli- und Gurkenscheiben auszustechen. Als pragmatische Faustregel gilt daher: mindestens eine Frucht oder ein Gemüse. Bei Bedarf ein Milch- oder ein Käseprodukt sowie Getreide (Brot, Nüsse) und Wasser. Gesunde Ernährung im Fokus
Warum eine Zwischenmahlzeit? Ein Kindergartentag kann ganz schön anstrengend sein. Um optimal mit 36
Ein Kindergartentag ist anstrengend. Um durchzuhalten, braucht das Kind einen Znüni. halten zu können, braucht ein Kind konstante Glukosezufuhr. Süssigkei ten, Chips und Weissbrot, aber auch eine Banane lassen den Blutzucker spiegel in die Höhe schnellen und rasch wieder abfallen. Das Kind kann sich so nur schlecht konzen trieren. Ausserdem können diese Lebensmittel Karies verursachen. Das gilt auch für die meisten Getrei deriegel und für Dörrfrüchte. Milch- und Vollkornprodukte, Obst und Gemüse lassen den Blut zuckerspiegel dagegen nur mässig ansteigen und sorgen für optimale Leistungsfähigkeit. Auch genügend Flüssigkeit ist wichtig: am besten in Form von Wasser oder ungesüsstem Tee. Faustregel: Ein Mix aus Kohlen hydraten, Eiweiss und Fett plus Vit amine und Mineralstoffe sind das Rezept für eine gesunde Ernährung. Die gute Basis ist ein Frühstück. Es füllt die in der Nacht geleerten Energiespeicher wieder auf und schafft eine gute Grundlage für einen erfolgreichen Tag im Kindergarten und in der Schule. Zahlreiche wissenschaftliche Studien kommen zum Schluss: Kinder, die ein Früh stück essen, sind am Vormittag leis tungsfähiger, reagieren schneller
und ermüden weniger als Kinder, die nicht oder nicht ausreichend frühstücken. Das Zmorge eignet sich ideal, um bereits eine der drei empfohlenen Tagesportionen Milch und Milchprodukte zu geniessen und eine Portion Früchte zu essen. Ein gesundes Znüni bringt den nötigen Energienachschub für den zweiten Teil des Vormittages und verhindert einen Leistungsabfall. Was in die Znünibox kommt, hängt auch davon ab, was das Kind zum Frühstück isst: Isst es ausgiebig, rei chen ein Getränk und eine Frucht. Frühstücksmuffel brauchen dagegen eine üppigere Zwischenmahlzeit. Bitte kein Gemüse!
Ob das Kind das Znüni auch essen wird, ist nicht sicher. Vielleicht tauscht es mit seinem Kindergar tengspänli. Oder es isst die Paprika auf dem Heimweg, weil es vor lauter Aufregung im Znünikreis keinen Bissen runterbringt. Kinder, die nicht freiwillig zu Früchten und Gemüse greifen, brau chen Vorbilder, sagen Ernährungs wissenschaftler. Je echter und selbst verständlicher, desto besser, denn Kinder haben feine Antennen für
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
att ab: R e 10% Codtraum r
de
Zwischentöne und doppelte Böden: Wenn der Vater Müesli als «gesund und fein» preist, es aber insgeheim nicht mag und nur sehr selten isst, wird seine Werbung wenig Erfolg haben. Wenn Kinder ihre Eltern aber mit Vergnügen essen sehen, in der Familie eine undogmatische Vielfalt auf den Tisch kommt und gemeinsam in entspannter Atmosphäre gegessen wird, stehen die Chancen sehr gut, dass sie sich davon eines Tages anstecken lassen und ebenfalls zu Paprika, Gurke und Birne greifen. Etwas apodiktischer formuliert es die Kinderärztin und Ernährungsspezialistin Marguerite DunitzScheer: «Uns ist die Normalität beim Essen abhandengekommen.» Eine Banane etwa als Znüni wird in Zürcher Kindergärten sanktioniert. Die Ärztin befürwortet einen anderen Kontext: Mindestens einmal am Tag kochen und den Kindern dabei ein abwechslungsreiches Essen hinstellen, das befähige die Kinder ganz nebenbei, einzuordnen, was eine lustvolle und gute Esskultur sei. «Das Vorbild der Eltern hat eine starke Wirkung, auf die man sich getrost verlassen kann», sagt Ines Heindl, Professorin für Ernährungswissenschaften an der Universität Flensburg (D). «Entscheidend ist, dass der ‹soziale Raum des Essens› von allen als etwas Schönes empfunden wird und sich mit positiven Erlebnissen anreichern kann.» Was aber, wenn sich das Töchterchen strikt weigert, Neues zu probieren? Tatsächlich sind Kinder dickfellige Gewohnheitstiere und haben meist kein Problem damit, jeden Tag dasselbe zu essen. Das heisst aber nicht, dass Eltern sich dem dauerhaft ergeben müssen. Der Geschmack eines Menschen entwickelt sich allmählich und in Schüben: Phasen einseitiger Vorlieben und vermeintlicher Rückschritte sind völlig normal und kein Grund zur Sorge. «Wenn die Eltern kein Problem daraus machen, gelas-
sen weiterhin Unterschiedliches anbieten und das Kind wählen lassen, wird sich sein Spektrum früher oder später wieder erweitern», beruhigt Ines Heindl. Dranbleiben und sich nicht verunsichern lassen lautet also die Zauberformel. Es braucht meist mehrere Anläufe, bis ein unbekanntes Lebensmittel akzeptiert wird, die erste Reaktion also nicht das letzte Wort sein muss. Zwei Wochen später, in neuem Kontext oder anders zubereitet, kann das kindliche Urteil ganz anders ausfallen. Will man also Kindern beibringen, sich gesund und abwechslungsreich zu ernähren, tut man gut daran, sich in einer Haltung zu üben, die zu kultivieren ohnehin – auch für einen selbst – ausgesprochen nützlich und heilsam ist: Vertrauen und Gelassenheit.
n
Kin
el st Ba h en rc h r du Ja en b 3 rn a Le
Gesundheit & Ernährung
Kinder -
Bastelkoffer Wir leben Kreativität!
Znüni: Das geht immer • Wasser oder ungesüsster Tee
mit tollen
• Frische Früchte, am besten in mundgerechten Stücken, mit etwas Zitronensaft beträufelt, damit sie nicht braun werden
Abos
• Gemüse, am besten in Stängeln • Käse, Frischkäse • ungesalzene Nüsse • Vollkornbrot
Bestellen, Basteln, Erleben Koffer enthält: div. Bastelprojekte,
jede Menge Bastelmaterial, Tipps & Tricks, Geschichte zum Vorlesen...
• ungesüsste Vollkornkracker, Knäckebrot, Reiswaffeln 1 www.drakiko.ch besuchen
2
Starten Sie die aktuelle pp, Fritz+Fränzi-A ite und Se e es di e scannen Si en M ge finden Sie jede epte ez tolle Müesli-R . ilk m iss von Sw
Passenden Koffer auswählen
3 Bastelspass verschenken
www
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 37
Unvergessliche Bastelerlebnisse
Gesundheit & Ernährung
Bewegung macht
38
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
schlau
Wir scheinen automatisch davon auszugehen, dass Förderung im Kopf stattfinden muss. Die Forschung zeigt aber, dass es einen viel einfacheren Schlüssel zu unserem Gehirn gibt als Frühenglisch & Co.: unseren Körper. Text: Virginia Nolan
Z
ahlenspiele, Sprachkurse, Tüftelworkshops: Es gibt unzählige Möglichkeiten, Kinder zu fördern. Kognitive Bildung wird heute schon lange vor dem Kindergartenalter zum Thema, sei es in den Förderkonzepten von Betreuungseinrichtungen, in ElternKind-Kursen oder zu Hause, wo Mütter und Väter den Nachwuchs für die Zukunft wappnen wollen. Dabei scheinen wir automatisch davon auszugehen, dass Förderung im Kopf stattfinden muss. Ein Fehlschluss, wie die Forschung nahelegt – ihr zufolge scheint ein Schlüssel zur kognitiven Entwicklung auch unser Körper zu sein, denn Bewegung ist Nahrung fürs Gehirn. Wie Kinder den Kopf freikriegen
Es beginnt schon ganz früh: Ein Baby sieht etwas, dann robbt es los, um das Objekt zu betasten. «Kinder erschliessen sich durch Bewegung die Welt, darum haben sie vermutlich den Drang danach», sagt Stefan Schneider. Die Experimente >>>
Nach der Bewegung steigt die Konzentration – aber nur, wenn man auch Spass daran hatte. Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 39
Gesundheit & Ernährung
>>> des Hirnforschers vom Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Deutschen Sporthochschule Köln legen nahe, dass die Gehirnaktivität sich verändert, wenn wir uns bewegen. «Körperliche Betätigung aktiviert den motorischen Kortex, der Bewegung und Koordination steuert», erklärt Schneider. Wenn wir uns auspowern, klettern oder balancieren, braucht der motorische Kortex alle Ressourcen des Gehirns – und entlastet damit den präfrontalen Kortex, jene Hirnregion, die uns befähigt, logisch zu denken und zu planen, Entscheidungen zu treffen und unsere Emotionen zu regulieren. Diese Entlastung bewirke, so Schneider, dass wir uns nach körperlicher Aktivität besser konzentrieren und fokussieren können. Schneider und sein Team gehören zu den wenigen, die diesen Effekt am Menschen nachweisen konnten. Der Hirnforscher will sich aber nicht missverstanden wissen. «Nicht Bewegung als solche macht uns intelligenter», sagt er, «sondern im Idealfall die erhöhte Aufnahmeund Konzentrationsfähigkeit, die sich nach Bewegung einstellt.» Und: Das mit dem freien Kopf, der besser aufnimmt, funktioniert nicht immer. Auch das zeigen Schneiders Experimente, bei denen die Probanden nach dem Sport kognitive Tests lösen. «Damit der Effekt eintritt», sagt Schneider, «ist Spass an der Sportart die Voraussetzung – und eine körperliche Belastung, die weder als zu hoch noch als zu niedrig empfunden wird.» Wie lange die verbesserte Aufnahme- und Konzentrationsfähigkeit anhält, variiere von Mensch zu Mensch. Untersu-
Bewegung macht den Kopf frei fürs Lernen. Und sie kann helfen, Inhalte besser zu verstehen. 40
chungen dazu existierten nicht, Erfahrungen gingen von 30 bis 120 Minuten aus. Eine Erfolgsgeschichte aus den USA
Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass sich Bewegung auch langfristig auf unsere kognitive Leistung auswirkt. Im Buch «Superfaktor Bewegung» berichtet der US-Psychiater John J. Ratey über ein Schulsportprojekt in Naperville, Illinois, das ihn bewogen habe, seinen Bestseller überhaupt zu schreiben. Die Rede ist von der «Stunde null», einem freiwilligen Fitnesstraining, das in mehreren Highschools von Naperville angeboten wird. Frühmorgens, bevor der reguläre Unterricht beginnt, trainieren die Schüler während einer Stunde Ausdauer und Kraft in ihrem persönlichen Hochleistungsbereich. Das Ziel der «Stunde null», in den 1990er-Jahren erstmals eingeführt, war ursprünglich, festzustellen, ob Sport hilft, die Schulleistungen der Kinder zu verbessern. Das tat er: Das Training machte die Schüler nicht nur fitter, sondern auch klüger. Von den Achtklässlern in Naperville waren 1999 nur drei Prozent übergewichtig, während es im nationalen Durchschnitt der Altersgenossen 30 Prozent waren. Im gleichen Jahr beteiligten sich Achtklässler aus Naperville mit 230 000 Schülern aus aller Welt an der Testreihe TIMSS (Trends in International Mathematics and Science Study). Schüler aus China, Japan und Singapur liessen die Teilnehmer aus den USA weit hinter sich – mit Ausnahme der Achtklässler aus Naperville. Sie belegten den sechsten Platz in Mathematik und waren die Weltbesten in Naturwissenschaften. «Ich habe seit Jahrzehnten nichts gesehen», schreibt Ratey, «was so ermutigend und in spirierend war wie das Programm in Naperville.» Bewegung macht den Kopf frei fürs Lernen – sie könne auch helfen, Inhalte besser zu verstehen, sagt
Neuropsychologe und Mathematiker Hans-Christoph Nürk. Nürk gilt als Experte auf dem Gebiet der Embodied Cognition, was so viel wie «verkörperlichtes Denken» bedeutet. Hinter diesem Forschungszweig der Psychologie steckt die Idee, dass Gedächtnis durch eine Kopplung von motorischen Prozessen mit Sinnesreizen entsteht. Forscher konnten zum Beispiel nachweisen, dass im Gehirn eines Affen das Bewegungszentrum aktiviert wird, wenn er Artgenossen beim Klettern beobachtet, obwohl der beobachtende Affe sich nicht bewegt. «Das Gleiche geschieht in unserem Gehirn, wenn wir auf der Couch beim Fussball mitfiebern», sagt Nürk. Seine Untersuchungen deuten darauf hin, dass viele kognitive Vorgänge untrennbar mit dem Körper verbunden sind. Mathe mit der Matte
In Zusammenarbeit mit der Exzellenz-Graduiertenschule LEAD, dem Wissenschaftscampus Tübingen und der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg hat Nürk untersucht, wie körperliche Wahrnehmungen unser abstraktes Denken strukturieren. Ein gutes Beispiel dafür ist das Rechnen durch Fingerabzählen. «Viele Lehrer wollen ihre Schüler davon abbringen», sagt Nürk, «weil sie befürchten, dass die Kinder später ihre Finger brauchen, wenn sie 24 und 38 zusammenzählen müssen.» Daten, die Nürk und seine Kollegen gesammelt haben, entkräften dies. Vielmehr, sagt Nürk, deuteten sie darauf hin, dass sich Kinder durch den Fingertrick eine gute Basis zum Verständnis einstelliger Ziffern erarbeiteten. So schnitten «Fingerrech-
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Der Körper denkt mit: Wer mit den Fingern rechnet, entwickelt ein besseres Gefühl für Zahlen. räumlicher Grösse in Verbindung bringen lässt.» Bewegung ermöglicht Förderung auf die einfachste Art und Weise. Aber: Es muss Spass machen, damit sie ihre Wirkung auch entfalten kann, das haben die Experimente von Hirnforscher Schneider gezeigt. «Kinder sollten möglichst vielfältige Bewegungserfahrungen machen dürfen», sagt Schneider. Der Forscher appelliert an Eltern, dem Nachwuchs solche Erfahrungen nicht durch Überbehütung zu verwehren: «Das beginnt damit, die Kinder nicht in die Schule zu fahren.» Überdies, so Schneider, sollten Eltern mit gutem Beispiel vorangehen: «Studien zeigen, dass das Bewegungsverhalten der Kinder von dem der Eltern abhängt.» >>>
ner» in Tests besser oder gleich gut ab wie ihre Mitschüler. «Mathe mit der Matte» heisst ein weiteres Projekt aus derselben Studienreihe. Dabei soll eine interaktive Tanzmatte Kindern helfen, zweistellige Zahlen zu verstehen. Die Matte hat neun Felder, angeordnet in einer 3-mal-3-Matrix. Beim Experiment wird sie auf eine Treppe gelegt. Durch Bewegung von einem Feld aufs nächste können Kinder die Matte aktivieren, zum Beispiel die Markierung auf dem Zahlenstrahl verschieben. Für eine Verschiebung im einstelligen Zahlenbereich müssen sie sich lediglich zur Seite bewegen – wer die Markierung dagegen um 10 verschiebt, muss sich auch zur Seite bewegen, aber dabei eine Treppe höher steigen. «Offenbar hilft es, wenn Kinder eine grössere körperliche Anstrengung mit einem grösseren Zahlenwert verknüpfen können», sagt Nürk. «Der Lerneffekt ist grösser, als wenn sie Tasten am Computer drücken und keine Vorstellung haben, wie sich eine numerische Grösse mit
Starten Sie die aktuelle pp, Fritz+Fränzi-A e Seite und es di e Si n ne scan serer Serie sehen Sie in un wie man », nd Ki «Starkes rliert. ve t gs An e in se
Virginia Nolan
weiss, wie das mit dem Neustart im Kopf läuft. Bei Schreibblockaden hilft nur noch der Hundespaziergang, am besten steil bergauf.
Wie das Gehirn in Schwung kommt • Bewegung ist eine der einfachsten und wirkungsvollsten Methoden, die kognitive Entwicklung des Kindes zu fördern. • Nicht nur Sport, auch das freie Spiel in der Natur, bei dem Kinder klettern, hüpfen, rennen oder auf Baumstämmen balancieren, ist Nahrung fürs Gehirn. • Körperliche Aktivität erhöht unsere Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit – aber nur, wenn sie auch Spass macht, wie Forscher herausfanden. • Gehirn und Körper gedeihen am besten, wenn Kinder von möglichst vielfältigen
Bewegungsarten profitieren. Eltern sollten Kinder nicht durch Überbehütung daran hindern – das beginnt damit, den Nachwuchs nicht in die Schule zu fahren. • Bewegungsspiele können Kindern helfen, Lerninhalte besser zu verstehen, etwa Zahlen. Ein vereinfachtes Beispiel dafür ist ein am Boden aufgemalter Zahlenstrahl mit Markierungen von 1 bis 10, dem Kinder entlanghüpfen können. Kinder lernen einfacher, wenn sie einen grösseren Zahlenwert mit grösserer körperlicher Anstrengung verknüpfen können.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 41
Gesundheit & Ernährung
Mutig, stark und selbstbewusst – dank Kinderyoga Keiner zu klein, ein Yogi oder eine Yogini zu sein. Der Yogatrend hat auch die Kleinsten erreicht. Wir haben einen Kurs besucht. Text: Claudia Landolt
ruft da ein Kind. «Ich au», ruft ein anderes. Still sein muss nicht sein
D
ie kleine Katze Mika will unbedingt ans Meer. Denn sie hat gehört, dass es dort Muscheln mit echten Perlen gebe. Auch ihr Freund, Zwerg Purzel, träumt davon, das Meer zu sehen und den Wind in seinem Fell zu spüren. Gemeinsam machen sie sich auf die Reise dorthin. Diese Geschichte erzählt Kinder yogaleiterin Claudia Giacalone an einem Samstagmorgen im Yogastu dio Raum der Achtsamkeit in Rup perswil. In einem Kreis auf ihren Yogamatten sitzen acht Kinder zwi schen vier und neun Jahren und hören der Fantasiereise zu. Vor ihnen stehen, schön gruppiert, eine Schatztruhe, ein Zwerg, eine Kerze und viele, viele Muscheln. Diese Muscheln halten sich die Kinder ans Ohr. «Ich bi scho mal am Meer gsi»,
42
Kinderyoga ist anders. Hier muss niemand still sitzen und still sein. Und doch spüren die Kinder genau, wann es Zeit für Ruhe ist. Nach dem Begrüssungsritual – dem Hände druck im Kreis und einem Namaste – sitzen alle im Kreis. Bereits bekann te Übungen aus früheren Stunden werden noch einmal durchgespielt. Dann darf ein Kind eine Karte aus der Schatzkiste ziehen. Heute ist es die Schildkröte. Man spricht darüber, was eine Schildkrö te ist und wie sie aussieht. «Wie gseht ächt e Yoga-Schildchrot uus?», fragt Claudia Giacalone und zeigt die Yoga-Asana vor. Die Kinder begeben sich mit Begeisterung in die Posi tion, die so manchem Erwachsenen schwerfällt. Und weil eine Schildkrö te bekanntlich gern isst, essen alle gemeinsam ein paar imaginäre Salatblättchen. Dabei wird laut geschmatzt. Kinderyoga ist spielerisch: Beim herabschauenden Hund darf gebellt, bei der Kobra gezischt und bei der Schildkröte geschmatzt werden. Nach einer Ausgleichsstellung für den Rücken wird eine zweite Übung vorgestellt: das Boot. Denn die Katze Mika und der Zwerg Purzel stellen sich schon vor, was sie auf
dem Meer so alles tun könnten. Mit einem Boot fahren, zum Beispiel. Einem ruhigen Boot – und einem, in welchem fest gerudert werden muss, um auf Kurs zu bleiben. Boom aus Deutschland
Kinderyoga boomt. In fast allen Deutschschweizer Städten gibt es Kinder- und/oder Teenyoga im Angebot. Der Trend kommt unter anderem aus Deutschland. Dort gibt es an gewissen Schulen bereits Yoga als Pflicht- oder zumindest Wahlschulfach. Anlass war dort eine Stu-
die des Deutschen Kinderschutzbundes, die Eltern wie Lehrer verstörte. Ein Viertel der befragten Kinder zwischen sieben und neun Jahren gab an, sich regelmässig und vor allem durch die Schule gestresst zu fühlen. Zwei Drittel wünschten sich mehr Entspannung. Aber auch an Schweizer Schulen hält Yoga Einzug. In einem Kindergarten in Zermatt etwa ist eine halbe Stunde pro Woche für Yoga reserviert. Ein Gymnasium in Biel bietet eine Yoga-Blockwoche an, und in einer Gemeinde im Kanton >>>
Einfach sein – ohne Beurteilung und ohne Leistungsdruck.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 43
>>> Aargau ist Yoga sogar als J&SKurs im Angebot. «Wichtig ist dabei, dass Kinder und auch Jugendliche erfahren, dass sie mehr sind als auf Leistung getrimmte Maschinen, dass sie einfach sein dürfen, dass sie ausschliesslich etwas für sich tun dürfen, und ohne dabei beurteilt zu
Den Atem beobachten? Das geht mit einem Papierschiff auf dem Bauch viel leichter.
4 FRAGEN
Zeit fürs Kindsein
Das stellt auch die Leiterin dieses Kinderyoga-Kurses fest. «Vielen Kindern fehlt die Zeit zum Kindsein, sich selber zu spüren, sich wahrzunehmen und auszudrücken», erklärt Claudia Giacalone, selbst Mutter von zwei Söhnen. Vielen Kindern fehle es auch an Beweglichkeit, Konzen tration und Ruhe. Das wolle sie ändern – mit Yoga. Denn Yoga heisst:
an Ursula Salbert, Yogalehrerin und Ausbildnerin für Kinderyoga
Frau Salbert, warum tut Yoga Kindern gut? Weil die Kinder lernen, sich selbst in den verschiedensten Bewegungsformen und in den unterschiedlichsten Ruhezeiten ganzheitlich wahrzunehmen. Dies lässt die Kinder bewegungskompetenter, ausgeglichener und zufriedener werden. Die Kinderyoga-Inhalte erweitern das Wissen über die Formen und Funktionen des Körpers und seiner Teile sowie die Erfahrung von Bewegungsfähigkeiten und Grenzen, aber auch das Wissen, warum wir atmen, und die Erfahrung der Zusammenhänge von Bewegung, Stille, Atem und Befindlichkeiten. Auch das Kommunizieren über Stimmungen, Gefühle und Sinneswahrnehmungen, ist wichtig. Man erfährt, dass alle Kinder unterschiedlich sind. Was kann Yoga nicht? Yoga kann nicht sofort wirken wie die Einnahme eines Medikamentes oder nach dem Motto: Mache eine Yogaübung und du wirst die Wirkung gleich erfahren. Yoga üben braucht Motivation, Zeit und Erfahrungen aus vielen unterschiedlichen Varianten, Impulsen und Wiederholungen. Yoga üben wirkt immer in seiner Gesamtheit auf die körpereigenen Selbstregulationssysteme. Darauf weisen
44
werden», heisst es in der neusten Ausgabe des Yoga Journal, der Verbandszeitschrift der Schweizer Yogalehrer und -lehrerinnen.
Yogatherapie-Spezialisten immer wieder hin. Ein hyperaktives Kind wird durch Yoga nicht im Handumdrehen ruhiger, aber es macht in kleinen Schritten die Erfahrung, dass es selbst vieles verändern kann. Gibt es Einschränkungen? Da Kinder noch im Wachstum sind, sollte das Yogaüben sie nicht überfordern. So sollten Kinder nicht das Luftanhalten üben oder nach einheitlichen, vorgegebenen Rhythmen atmen. Lange, kraftintensive, statische, die Gelenke bis an ihre Grenzen ausreizende Haltungen sowie passive statische Dehnungen bergen eine hohe Verletzungsgefahr und sollten besser nicht geübt werden. Kranke Kinder sollen keine Körperübungen ausführen, Entspannungsübungen sind okay. Kinder mit psychischen Problemen sollten Yoga nur mit einer darauf spezialisierten und gut ausgebildeten Therapeutin üben. Das gilt auch für Kinder mit schweren Behinderungen. Im Zweifelsfall sollte immer eine ärztliche Meinung eingeholt werden. Worauf müssen wir als Eltern bei der Auswahl eines Kinderyoga-Kurses achten? Eltern sollten wissen, dass Yogalehrer und -lehrerinnen unterschiedliche
Schwerpunkte und Inhalte auswählen können. Ein genaues Hinschauen in Flyer und Website ist da sehr wichtig. Am besten ist ein persönliches Gespräch, so erhalten Eltern umfangreiche Informationen über Ausbildungen, Unterrichtserfahrungen, Yogatraditionen, Ausrichtungen, Inhalte und Ziele der Anbieter und können sich bewusst für das eine oder andere Angebot entscheiden. Für die Kinder ist es wichtig, dass sie die Möglichkeit haben, in Schnupperstunden verschiedene Yogalehrer und ihre Angebote kennenzulernen. So können sie sich frei entscheiden, wohin sie gehen möchten.
Zur Person Ursula Salbert ist Yogalehrerin, staatlich anerkannte Erzieherin und Yogabuch-Autorin. Anfang der 90er-Jahre kam sie erstmals mit Kinderyoga in Berührung. Seit der Gründung ihrer eigenen Yogaschule bildet sie in Deutschland und der Schweiz Kursleiter in Yoga mit Kindern und Jugendlichen aus.
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Gesundheit & Ernährung
im Einklang mit sich selber zu sein. «Ich finde Yoga für Kinder sinnvoll, damit sie mal zur Ruhe kommen und eine Auszeit vom Alltag nehmen», sagt eine Mutter. Kinderyoga bedeutet auch: Ener gie. So werden die Kinder von Clau dia Giacalone verzaubert und kön nen ihr Tier selbst darstellen. Nun wird im Raum herumgehüpft, ge krochen und gelacht, bevor die Kin der sich auf den Boden legen. Die Yogaleiterin setzt ihnen ein Papier schiffchen auf den Bauch. «Wenn die Kinder sich auf den Rücken legen und das Schiff auf den Bauch
nehmen, können sie zusehen, was beim bewussten Atmen passiert», erklärt sie. Die Kinder finden das alles andere als langweilig – sie schätzen auch den ruhigen Teil der Stunde. Nach der Schlussentspan nung und der Rückverzauberung in den Alltag darf jedes Kind mit einem Erzählstein sagen, wie es sich nun fühlt, was ihm gefallen hat und was nicht – wenn es möchte. Ein Hände druck und ein Namaste lassen die Stunde ausklingen. «Die Geschichte war sehr schön», sagt ein Mädchen. Und ein Junge findet am besten, «dass wir noch gemalt haben». <<<
Starten Sie die aktuelle pp, Fritz+Fränzi-A Seite e es di e Si scannen h ein sic e Si n ue ha und sc ga yo kurzes Kinder . an o Vide
Yoga zu Hause üben 1. Suchen Sie sich einen schönen Platz, den Sie und Ihr Kind immer wieder für die Yogastunden nutzen.
Anzeige
3. Erwarten Sie von Ihrem Kind nicht, dass es Yoga übt wie ein Erwachsener. Yogaübungen wirken bei einem Kind viel schneller und das Kind weiss oft selbst, was es braucht.
Gut markiert in die Schule!
4. Lassen Sie Ihr Kind die Asana (Körperstellung) aussuchen, zum Beispiel aus einem Buch, oder lesen Sie eine Yogageschichte vor, die Asanas beinhaltet.
6. Yoga mit Ihrem Kind sollte am Anfang nicht länger als zehn Minuten dauern. 7. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn Ihr Kind nach fünf Minuten aufhören möchte. Freuen Sie sich stattdessen, dass es fünf Minuten Yoga gemacht hat. 8. Unruhige Kinder, denen Stillsitzen zu langweilig wird, werden neugierig und aktiv, wenn etwas Spannendes passiert. Nehmen Sie zum Beispiel einen Strohhalm und pusten ein Wattebällchen von einer Raumseite zur anderen. 9. Die Endentspannung mit Kindern dauert oftmals nicht länger als zwei Minuten. Auch hier können die Kinder mit offenen Augen lauschen. Die Entspannung tut auch so ihre Wirkung.
Namensaufkleber, Bügeletiketten und Textilaufkleber in unterschiedlichen Größen und Farben. Spül- bzw. waschmaschinenfest. Speziell für Schule und Kindergarten praktische Kombipakete mit diversen Etiketten. Tipp: Auch ein schönes Geschenk für die Schultüte!
Lucas
Anna arkie rt©
5. Korrigieren Sie nicht an Ihrem Kind herum, denn im Yoga gibt es kein Richtig oder Falsch.
fer
Elias Schä
gutm
2. Schaffen Sie sich ein Ritual, mit dem Sie und Ihr Kind immer anfangen: zum Beispiel ein Glöckchen klingeln.
Soph
0171
4567
ie
890
Mia Fischer
Kunden über Gutmarkiert: Beurteilungen über Gutmarkiert
7813 Wasserfest
Keine giftigen Farbstoffe
Spülmaschinenfest
Mikrowellengeeignet
Ausgezeichnet
9.6 / 10
Jetzt i dkostenfre n a rs ve e mit Cod
GMbis-F31F.12-.201717.
Schnelle Lieferung
Gültig
www.gutmarkiert.ch Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 45
Medien
Kleine Kinder brauchen kein Internet Und plötzlich will der Fünfjährige ein Computerspiel spielen. Das stellt unsere Autorin vor die komplizierte Frage: Wie viel Medien ist bei Kleinkindern erlaubt? Und wie viel ist zu viel? Text: Claudia Landolt
R
umms! Der Fünfjährige ist zu Hause. Voller Elan wirft er zuerst die Türe ins Schloss, dann die Kindergartentasche und den Leuchtstreifen auf die Bank. Ein kurzes «Hoi Mama!», dann kommt der Hammersatz: «Mama, chani Minecraft?» Mir kippt die Kinnlade runter. «Wie kommst du denn da drauf?», frage ich. «Von Moritz, der darf das JEDEN Tag», kräht er. Willkommen zu Hause, seufze ich innerlich, und bin ein wenig ratlos. Ich denke: «Jetzt fang bitte du nicht auch noch damit an, deine älteren Brüder reichen mir diesbezüglich.» Abends tue ich das, was Eltern immer tun, wenn sie etwas nicht wissen: Sie fragen Google. Im Netz stosse ich auf eine neue Umfrage aus Deutschland. Sie besagt, dass immer mehr Kinder schon im Primarschulalter ein eigenes Handy besitzen: 18 Prozent der Acht- und Neunjähri-
Bis heute ist umstritten, ob intensive Computernutzung im Kindesalter zu irreversiblen Schäden im Gehirn führt. 46
gen verfügten 2016 über ein Smartphone. Zwei Jahre zuvor waren es erst 10 Prozent. Bei den Sechs- und Siebenjährigen stieg die Zahl binnen zwei Jahren von 2 auf 4 Prozent. Das geht aus der KIM-Studie hervor, der Basisstudie zum Medienumgang der 6- bis 13-Jährigen in Deutschland. Medienpädagogen haben Hochkonjunktur
Zahlen, die nachdenklich stimmen. Und Medienpädagogen sowie Experten zu gefragten Personen >>>
10 Tipps für Eltern zum richtigen Umgang mit digitalen Medien • Kinder unter 3 Jahren benötigen direkte Zuwendung, aktives Spielen und Gespräche – kein TV. • Kinder zwischen 3 und 5 Jahren können mit elterlicher Begleitung bis zu 30 Minuten pro Tag fernsehen. Ihre Konzentrationsfähigkeit ist jedoch beschränkt. Kinder nehmen die TV-Welt als «wirklich» wahr. Sie erkennen nicht, was real und was inszeniert ist. • 30 Minuten Aufmerksamkeitsphase ist ein Richtwert. Wie viel Ihr Kind verträgt, können Sie am besten einschätzen.
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
• Beobachten Sie Ihr Kind bei seinen Medienerfahrungen und gehen Sie auf seine Signale ein. • Altersgerechte Videos eignen sich für Kinder unter 4 Jahren besser als TV, da DVDs gestoppt und wieder angeschaut werden können. • Kinder ahmen gern ihre TV-Helden nach und testen die Grenzen ihrer eigenen Welt immer wieder neu aus. Nehmen Sie die Helden Ihrer Kinder ernst. Kinder können an und mit ihren Helden wachsen. Fragen Sie Ihr Kind, was es an seinen Helden gut findet. Sprechen Sie mit ihm auch über reale Helden aus seinem Umfeld. • Bewegung und freies Spiel helfen Ihrem Kind, seine Eindrücke besser zu verarbeiten. • Vor dem Schlafengehen sollte Ihr Kind auf Filme und TV verzichten.
• Gemeinsames Fernsehen darf zu einem Ritual werden. Einigen Sie sich mit Ihrem Kind auf feste Fernsehzeiten und -inhalte und erstellen Sie gemeinsam Regeln. Damit helfen Sie Ihrem Kind, dem Fernsehen einen konkreten Platz zuzuweisen und eine Sendung bewusst zu konsumieren. Ausserdem stärken gemeinsame Rituale und Verabredungen das Wir-Gefühl in der Familie und fördern das soziale Verhalten Ihres Kindes. • Kinder orientieren sich auch bei der Mediennutzung stark an ihren Eltern. Achten Sie deshalb auf Ihren Medienkonsum und versuchen Sie Ihrem Kind ein Vorbild zu sein. Die digitale Welt kann das Spielen im Garten und auf dem Spielplatz, Treffen mit Freunden oder das gemeinsame (Vor-)Lesen nicht ersetzen. Quelle: Jugend und Medien
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 47
Medien
>>> machen, die uns Eltern Tipps geben, ob, wann, wie lange und wofür Kinder Medien nutzen dürfen. «Angebote wie Kurse, Broschüren und Webseiten zum Thema schiessen wie Pilze aus dem Boden, die Zahl der Ratschläge und Regeln wächst mit der Zahl der Möglichkeiten, die neue Medien mitbringen», schrieb 2015 das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi im Dossier Medien. Auf
der Webseite des nationalen Medienkompetenzprogramms «Jugend und Medien» sind aktuell 521 Beratungsangebote in der Schweiz aufgelistet. 521 Angebote bedeuten 521 Möglichkeiten – doch Vielfalt ist nicht gerade das, was Eltern in solchen Momenten suchen. Sie wollen Eindeutigkeit. Orientierung bietet die Regel «3/6/9/12». Diese Richtlinie wurde
Orientierung bietet die Regel 3/6/9/12. Kein Bildschirm vor 3, keine Spielkonsole vor 6 Jahren.
«Ein Kind mit digitalen Medien ruhigzustellen, ist verführerisch» Medienpädagogin Eveline Hipeli über Verbote, den richtigen Umgang mit digitalen Medien und was Eltern wissen sollten über den Medienkonsum ihrer Kinder. Interview: Claudia Landolt
Frau Hipeli, dürfen Kindergartenkinder mit neuen Medien in Kontakt kommen? Wir weisen als Medienpädagogen immer wieder darauf hin, dass Kinder vor Kindergarteneintritt keinen Nachteil gegenüber ihren Altersgenossen haben, wenn sie noch keine digitalen Medien benutzt haben. Die Realität in den Familien ist jedoch so, dass der grösste Teil aller Kindergartenkinder bereits im Vorschulalter die ersten Erfahrungen mit digitalen Medien macht: sei dies mit dem «Fernsehen» auf dem Tablet der Eltern, mit dem kurzen Spiel auf dem Smartphone von Papi in der Einkaufsschlange oder beim Anhören des Kasperli via Spotify. In einem Ein-Kind-Haushalt ist der Kontakt mit
48
von Experten des Informationsportals «Jugend und Medien» ausgearbeitet. Sie bedeutet: kein Bildschirm vor 3, keine eigene Spielkonsole vor 6 Jahren, kein Internet vor 9 Jahren und kein unbeaufsichtigtes Internet vor 12 Jahren. Andere Experten wie etwa die deutsche Medienratgeberseite schau-hin.info empfehlen: Jüngere Kinder bis 5 Jahre sollten nicht länger als eine halbe Stunde, ältere Kinder bis 9 Jahre nicht länger als eine Stunde täglich vor dem Bildschirm verbringen. Medienerziehung beginnt mit der Geburt
Wer jedoch glaubt, das Thema neue Medien mindestens bis zur Primar-
digitalen Medien sicher einfacher zu steuern. Je mehr Kinder unterschiedlichen Alters im Haushalt leben, desto schwieriger wird es. Was ist Ihre Empfehlung? Eltern sollten sich grundsätzlich fragen: Wie soll mein Kind aufwachsen? Welche Medien spielen in unserem Haushalt eine Rolle? Welche Medien möchte ich meinem Kind zugänglich machen? Und welche nicht? Bin ich selbst ein einigermassen authentisches Vorbild als Elternteil? Um auf Ihre Ursprungsfrage zurückzukommen: Kindergartenkinder kommen bereits mit neuen Medien in Kontakt und ja, das dürfen sie auch. Idealerweise findet dieser Kontakt schrittweise, dosiert und vor allem begleitet statt. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie im Tram oder Zug Kinder mit einem Smartphone sehen? Für sie ist das Smartphone in solchen Situationen ein Ersatz für eine andere Tätigkeit (die man im Tram/Zug oder Bus eben gerade nicht ausüben kann). Oder ein Ersatz für Kommunikation (mit einem Gspänli, mit den Eltern, der Begleitperson). Als es noch keine Smartphones gab, hat man dem Kind einen Gameboy, ein Kinderheftli vom Kiosk oder einen Walkman in die Hand
gedrückt – mit dem gleichen Ziel: das Kind in dem Moment zu unterhalten, Langeweile zu überbrücken. Genau das wird aber kritisiert. Ein Kind mit digitalen Medien ruhigzustellen, ist verführerisch einfach. Kinder sollten lernen, dass Langeweile nicht immer «aufgefüllt» wird mit einer medialen Tätigkeit. Wie viel Medienkonsum ist zu viel? Es ist ein Unterschied, ob ein Fünfjähriger im Tram fünf Minuten lang die Fotos der Mutter durchscrollt oder sein eigenes Zoovideo vom Vortag anschaut, oder ob eine Vierjährige eine halbe Stunde im Restaurant YoutubeVideos schaut. Je jünger das Kind, desto mehr sollten sich Eltern überlegen, warum und wie lange sie ihr Smartphone aus der Hand geben. Was ist der wichtigste Rat für Eltern zum Medienkonsum für Kindergartenkinder? Entscheidend ist, dass Eltern den Medienkonsum ihrer Kinder kennen, sie beim Kontakt mit Medien begleiten und bei Fragen und Anliegen zur Stelle sind. Dazu empfiehlt es sich, Regeln aufzustellen, etwa, wie lange und wann digitale Medien genutzt werden dürfen. Dabei können Eltern dem Kind erklären, weshalb sie diese Regeln vorsehen. Nicht, um
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
das Kind zu «bestrafen», sondern weil sie möchten, dass es ihm gut geht. Finden Sie eine totale Internet-Abstinenz im Kleinkindalter sinnvoll? Kleine Kinder brauchen kein Internet. Der allergrösste Teil des Internets ist für sie etwas ganz Unbegreifliches. Sie begegnen dem Internet und seinen Funktionen aber im Alltag, beispielsweise, wenn sie mit der Oma via Videotelefonie im Ausland telefonieren oder einen Trickfilm auf Netflix schauen dürfen. Eltern sollten sich bei kleinen Kindern deshalb gut überlegen, wann und wie sie das Internet in ihrer Lebenswelt zulassen – oder ob die Kinder den Lieblingstrickfilm nicht besser via TV oder DVD schauen. Grundsätzlich gilt: Ein Kind sollte in jungen Jahren im Internet nie alleine auf Entdeckungsreise gehen.
Zur Person Eveline Hipeli, Dr. phil., ist Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpädagogin. Sie arbeitet als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Als Mutter dreier junger Kinder erlebt sie den Alltag mit (und ohne) Medien auch privat hautnah mit.
Eltern müssen sich stets aufs Neue fragen: Welche Medien möchte ich meinem Kind zugänglich machen? Und welche nicht? hen, müssen Kinder komplexere Erzählstrukturen verstehen. Sie müssen Körpersprache und Ge sichtsausdrücke lesen und Realität von Fiktion unterscheiden», sagt Reichlin. Letzteres erlernen Kinder im Schnitt erst zwischen 5 und 7. «Ich kann Eltern nur empfehlen, Mass zu halten, bei Bedarf Inhalte zu erklären und den Entwicklungs stand des Kindes immer wieder zu überprüfen.» Denn dass Eltern auch in Sachen Smartphone und Co. eine Vorbild rolle haben, ist unbestritten. Das namhafte Hans-Bredow-Institut stellte 2015 in seinem Bericht «Mobile Internetnutzung von Kin dern und Jugendlichen» fest, dass die Art der Smartphone-Nutzung durch kleinere Kinder von den «Vor erfahrungen und der Begleitung durch Eltern abhängt». Einer der vehementesten Kritiker von frühkindlicher Mediennutzung ist der deutsche Neurobiologe Gerald Hüther. «Wenn Kinder zu viel Zeit am Computer verbringen, verändert das nicht nur ihre Wahr nehmung, ihr Raum- und Zeitemp finden und ihre Gefühlswelt. Alles, was sie in Computerspielen erleben, verändert auch ihr Gehirn.» Hüther fordert nichts weniger, als dass Kinder von digitalen Medien ferngehalten werden. Eine Forde rung, bei der Experten wie der Neu ropsychologe Lutz Jäncke von der Universität Zürich abwinken. «Ich halte es für falsch, ein Medium zu verteufeln, nur weil es negative Fol gen haben kann.» Bis heute ist umstritten, ob inten sive Computernutzung im Kindes
alter zu irreversiblen Schäden im Gehirn führt. Langzeitstudien feh len. Fakt ist, dass bei der Computer nutzung andere Hirnareale aktiviert werden als beim Spielen oder Ler nen. Lutz Jäncke ist sich aber sicher, dass unser Denkorgan auf die neuen Herausforderungen reagiert. «Ich bin überzeugt, dass das Gehirn sich von den neuen Medien nicht aus dem Konzept bringen lässt.» Und mein Minecraft-Knirps? Der hatte nach seinem Mittagessen die faszinierende Welt der bunten Games wieder vergessen. Zu verlo ckend waren der Garten und der nahe Wald. Möge die Faszination für das freie Spiel hoffentlich noch lan ge anhalten. >>>
schulstufe umschiffen zu können, täuscht sich. Laut Bo Reichlin, der Initiantin von mediolino.ch, einem Programm, das Medienerziehung in Krippen, Kindergärten und Familien fördert, kann Medienerziehung gar nicht früh genug einsetzen – gerade weil auch in Medienfragen eine ver trauensvolle Beziehung so wichtig ist. «Eigentlich beginnt sie mit der Geburt.» Sie finde zunächst indirekt statt – indem Kinder beobachteten, was die Eltern mit Medien machten. Zur Vorbildrolle komme später die wichtige Rolle als Begleiter, selbst wenn Kinder offenbar harmlose Dinge wie «Biene Maja» guckten. «Um Medienbotschaften zu verste
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 49
Kindergarteneintritt: Das sind die Elternpflichten Nicht nur für Ihr Kind, auch für Sie als Eltern beginnt mit dem Kindergarteneintritt ein neuer Lebensabschnitt. Ab sofort heisst es: Organisation. Wir sagen, was Sie erwartet. Und worauf Sie achten müssen. Text: Claudia Landolt
50
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Service
Hinsicht eine grosse Umstellung. Damit Sie wissen, was diesbezüglich auf Sie zukommmt, hier eine Übersicht:
1. Betreuung
S
tundenplan, Quartalsplan, Quartalsziel, Jahresplan und Znüniblatt. Dazu Elterntermine: Besuchsmorgen oder -nachmittage, Elternabende, Elterngespräch, Kindergartenkaffee und Räbeliecht lischnitzen, den dazu gehörigen Umzug mit der ganzen Familie sowie das Jahresabschlussfest. Eventuell kommt noch ein Theater oder Weihnachtssingen dazu. Uff! Eltern von Kindergartenkindern haben Dichtestress, genauer: Termindichtestress. Pro Kind kommen so gut und gerne zehn Termine zusammen, die es übers ganze Schuljahr hinweg wahrzunehmen gilt. Kein Problem, wenn Eltern nicht jedes Mal selber hingehen können – auch Gotti, Götti, Grosseltern oder Freunde sind im Kindergarten herzlich willkommen. Die zahlreich erscheinenden Termine sind aber auch ein Qualitätsmerkmal – dafür, dass sich die Lehrpersonen Ihres Kindes ganz viel Zeit nehmen dafür, das Schuljahr abwechslungsreich zu gestalten. Denn viele Kinder sind wahnsinnig stolz und freuen sich, wenn ihre Familie sie im Kindergarten besucht, der sie ihre Sachen zeigen dürfen. Dennoch ist der Kindergarteneintritt für viele Eltern in organisatorischer und betreuungstechnischer
Der Kindergarten gehört zur Volksschule und ist deshalb den Blockzeiten unterworfen. Das heisst, das Kind ist um 8 Uhr (oder um 8.15 Uhr) bis 11.30 (oder 11.45 Uhr) im Kindergarten. Wird es nachmittags unterrichtet, ist es von 13.30 bis 15.10 Uhr weg (je nach Stundenplan). Diese Zeiten verdeutlichen: Wer sein Kind bis anhin ganztags von einer Tagesmutter oder einer Kita betreuen liess, muss sich ganz neu organisieren. Damit sind Sie, liebe Eltern, jedoch keinesfalls allein: In der Schweiz gehören familienergänzende Betreuungsformen zum Familienalltag: Rund 60 Prozent aller Kinder unter 13 Jahren werden laut Bundesamt für Statistik institutionell betreut. Das Betreuungsangebot für Kinder im Vorschul- und Schulalter ist sehr heterogen. Je nach Kanton wird die familienergänzende Kinderbetreuung kantonal oder kommunal geregelt. In einigen Fällen sind sogar beide politischen Ebenen zuständig. Dies führt zu grossen regionalen Unterschieden in Bezug auf die Vorschriften, die Anzahl verfügbarer Betreuungsplätze, den Preis und die Leistungen. Die Dichte des Angebots unterscheidet sich stark zwischen städtischen und ländlichen Regionen sowie pro Altersgruppe. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist jedoch ein wichtiges politisches Ziel. So hat der Bund mit der Finanzhilfe für familienergänzende Kinderbetreuung während den letzten 13 Jahren die Schaffung von 47 760 neuen Betreuungsplätzen unterstützt, was einer Erhöhung des geschätzten Platzangebots von 96 Prozent entspricht. Diese sogenannte Anstossfinanzierung wird mit einem Kredit von 120 Millionen Franken bis 2019 verlängert.
Wer ist für die Finanzierung zuständig? Anders als beispielsweise in Skandinavien wird die Betreuung in der Deutschschweiz grösstenteils durch die Eltern finanziert. Manchmal subventionieren auch die Ge meinden (etwa durch Gutscheine wie im Kanton Luzern). Die Tarifsysteme für einen Betreuungsplatz variieren beträchtlich – nicht nur zwischen den Kantonen, sondern auch innerhalb der Kantone. Je nach finanzieller Unterstützung durch die öffentliche Hand (meist einkommensabhängige Tarife) und/oder durch die Wirtschaft sind die Tarife sehr unterschiedlich. In der Deutschschweiz ist der Elternbeitrag laut Verband Kinderbetreuung Schweiz Kibesuisse generell deutlich höher (⅔ der Vollkosten) als in der Westschweiz (⅓ der Vollkosten). Diese Betreuungsmodelle gibt es für Kindergarten- und Schulkinder: Institutionelle Betreuung
Dazu gehören: modulare Tagesstrukturen, gebundene Tagesstrukturen und Tagesstrukturen für alle Altersstufen. Diese Art von Betreuung wird in der Wohngemeinde angeboten. Es lohnt sich daher, sich spätestens bei der Anmeldung des Kindes in den Kindergarten zu informieren und den Platz zu reservieren. Dort erfahren Sie auch, was eine Betreuung kostet. Generell gilt: Nirgendwo sind die Betreuungskosten für Kinder so hoch wie in der Schweiz. Besserverdienende müssen mit der vollen Kostenbeteiligung rechnen. Zudem wird mit dem Schul e intritt die Vereinbarkeit schwieriger. Muss das Kind um >>>
Nirgendwo sind die Betreuungskosten für Kinder so hoch wie in der Schweiz.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 51
Service
>>> 8 Uhr im Kindergarten sein, die Eltern aber schon um 7 Uhr 30 zur Arbeit, muss das Kind vor Unterrichtsbeginn in die Tagesstruktur oder den Hort. Hat es Nachmittagsunterricht, muss es über Mittag wieder in den Hort und nach dem Unterricht ebenfalls. Das ist für kleinere Kinder in der Anfangsphase eine grosse Belastung. Am Anfang empfiehlt es sich daher – wenn möglich –, auf alternative Betreuungsformen auszuweichen, etwa durch Familie, Freunde oder Nachbarn. Wer eine Nanny oder ein Au-pair (Sonderform der institutionellen Betreuung) hat, hat diese Sorgen nicht. Dafür kommen zusätzliche Kosten auf die Familie zu, etwa Sozial- und Versicherungskosten sowie die berufliche Vorsorge. Vorteil: Betreuung durch Fachpersonal; viele Gspänli; nahe Umgebung. Nachteil: keine oder eingeschränkte Betreuung in den Ferien; modulare Tarifsstruktur; anstrengend für die Kinder.
Kitas: Die meisten Vereine werden finanziell von den Gemeinden unterstützt, meist aber in geringerem Ausmass. Vorteil: sind oftmals in der Nähe des Wohnorts; kurzfristig abrufbar; oft unentgeltlich. Nachteil: Wartelisten bei Tagesmüttern; keine Betreuung in den Schulferien und im Krankheitsfall.
Nichtinstitutionelle Betreuung durch Privatpersonen
• Der Tagesfamilienverein stellt pro Betreuungsstunde ca. 8 Fr. in Rechnung. • Spezielle Auslagen wie Freizeitbeschäftigungen werden nach vorheriger Absprache von den Eltern direkt an die Tagesmutter bezahlt. • Fahrspesen werden der Tagesmutter mit ca. 0,70 Fr. pro Kilometer vergütet. • Darüber hinaus fällt eine einmalige Bearbeitungsgebühr von ca. 150 Fr. an. • Tageseltern, die ihre Betreuungsleistung selbständig anbieten, handeln die Höhe des Betreuungsgeldes mit den Eltern aus.
Dazu gehören: Tagesfamilien, Grosseltern, andere Verwandte oder Freunde. Während Letztere fast immer unentgeltlich arbeiten, sind Tagesfamilien nicht kostenlos. In der Schweiz gibt es rund 10 000 Tagesmütter, die 30 000 Kinder betreuen. Diese Tagesmütter werden von Vermittlerinnen begleitet, müssen eine obligatorische Ausbildung absolvieren und sind zur jährlichen Weiterbildung verpflichtet. Die Finanzierung ist ähnlich wie bei den
Tagesfamilie, Grossfamilie, Mittagstisch, Hort, Nachbarn: Die Betreuungsmöglichkeiten sind zahlreich. 52
Kosten der Betreuung Babysitter (Stundenlohn tagsüber)
• Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren: 7 Fr. pro Stunde; zwischen 16 und 18 Jahren: 8 bis10 Fr. pro Stunde. Babysitter (Stundenlohn abends)
• Ab 19 Uhr: 8 bis10 Fr. pro Stunde. • Pauschalentschädigung pro Abend: 25 bis 30 Fr. für Jugendliche unter 16 Jahren bzw. 30 bis 50 Fr. für Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren. (aus: Handbuch «Alternativen zur Kita», Stadt Zürich)
Tagesmutter
Nachteil: lange Wartezeiten, wenig Plätze; nicht immer sind Horte nach Altersgruppen getrennt; kann lärmig sein; in den Ferien oft geschlossen oder dann Vollzeitbetreuung; Kosten nach Einkommen. Aufnahmegebühr: individuell, bis zu 200 Franken; die Ganztagsbetreuung kostet 120 Franken, ein halber Tag ohne Mittagessen 60 Franken, ein halber Tag mit Mittagessen 85 Franken, nur Mittagessen um 25 Franken pro Kind (Preisangaben sind Richtwerte). Nanny
Vorteil: Kinder können in der vertrauten Umgebung bleiben; auch wenn sie krank sind, kümmert sich jemand um sie; auch in den Ferien und zu Randzeiten ist die Betreuung geregelt. Nachteil: Nanny hat nicht immer eine spezifische Ausbildung. Wird sie über Vermittler angestellt, erfüllt sie pädagogische Minimalvoraussetzungen und hat im Idealfall eine pädagogische Grundausbildung absolviert. Mit einer Vermittlungsgebühr ist zu rechnen.
Informationen: www.tagesfamilien.ch
Mittagstische/Hort
Vorteil: hohe Sozialität; das Kind ist in der Regel mit seinen Gspänli zusammen; eine gute und fachliche Betreuung wird sichergestellt. Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
6. Elternabend
Meist findet dieser zu Beginn des Schuljahres statt. Er dient dem gegenseitigen Kennenlernen. Sie erhalten dort alle relevanten Informationen, eine Übersicht über die Aktivitäten und die Jahresplanung. Auch findet ein persönliches Elterngespräch statt, in dem Sie über den Entwicklungsstand Ihres Kindes informiert werden.
Im Kindergarten gibt es viele Anlässe. Am Elternabend erfahren Sie alles darüber.
>>>
Der Lohn für die Nanny ist Verhandlungssache und orientiert sich an Ausbildung und Erfahrung der Nanny: «Die Nanny gilt als Angestellte in einem Privathaushalt», erklärt die Stadt Zürich. «Der Anstellungsvertrag ist Sache zwischen den Eltern und der Betreuungsperson.» Der Verein Childcare Service Zürich sowie Portale wie www.nannyvermittlung.ch gehen von einem Stundenansatz von 25 bis 35 Fr. bzw. 3800 bis 4800 Fr. monatlich bei Vollanstellung aus.
Starten Sie die aktuelle pp, Fritz+Fränzi-A ite und Se e es di e Si n scanne r re se Serie sehen Sie in un wie Kinder », «Starkes Kind nen. ler en er rli ve
Informationen zum Lohn und Muster Arbeitsvertrag: www.hauswirtschaft.ch
2. Post
Im Kindergarten gibt es die sogenannte Poströhre, in welcher das Kind die Post mit nach Hause nimmt. Kontrollieren Sie die Poströhre regelmässig und unterschreiben Sie wo notwendig.
3. Alltag
Aller Anfang ist schwer und braucht Zeit. Geben Sie Ihrem Kind die Zeit, die es braucht, um im Kindergarten anzukommen. Es wird anfangs oft müde sein. Nehmen Sie auf das erhöhte Schlafbedürfnis Rücksicht und überfrachten Sie seine freien Nachmittage nicht mit zusätzlichen Aktivitäten.
Anzeige
www.tagesschule-elementa.ch
4. Neue Aktivitäten
Der Kindergarten gehört zur Volksschule und bietet nach Möglichkeit Turnstunden an. Manche Kindergärten gehen zusätzlich in den Wald, kochen oder backen. Zeichnen, Basteln und Singen werden grossgeschrieben.
Stärken stärken. Lernen lernen.
Die innovative Schweizer Schule – elementar, einzigartig, erfolgreich.
5. Geburtstage
Jeder Kindergarten regelt dies anders. Bei manchen Kindergärten wird das Geburtstagskind zu Hause abgeholt. Oft wird ein Kuchen erwartet. Die Kindergartenlehrperson wird Sie am Elternabend darüber informieren.
Erreichbar: 10 Min. von Zug 20 Min. von Thalwil
Tagesschule Elementa AG, Sarbachstr. 8, 6345 Neuheim/ZG, 041 755 06 50, info@tagesschule-elementa.ch
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 53
Service
Juhui, ich gehe in den Chindsgi! Wie fühlt sich ein Kindergartenkind am ersten Tag? Wer wüsste das besser als unsere Autorin. Sie arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Kindergärtnerin. Den nachfolgenden Text hat sie für die Eltern ihrer Kindergartenkinder geschrieben. Text: Claudia Hartmann
H
eute! Du, heute gehts los, heute ist dein grosser Tag, hat Oma gesagt. Wie gross ist wohl so ein grosser Tag, grösser als ich? Weiss nicht. Auf jeden Fall ist mein Tag gross. Ich gehe das erste Mal. Nicht allein, nein, Papi geht mit. Warum weiss ich auch nicht. Aber Oma meint, vielleicht bist du ja um Papas Hand noch froh. Ich? Ich doch nicht. Ich kenne den Weg ja schon, weisst du, meine grosse Schwester ging auch dorthin. Die hat übrigens einen noch grösseren Tag, sogar einen wichtigen. Meiner ist gross, aber bei ihr, weisst du, bei ihr gehts echt los, sagt Opa, bei mir wahrscheinlich nur ein bisschen. Aber schön sei es, meint Oma, denn ich darf den ganzen Morgen spielen, basteln und singen. Das ist gut. Spielen, das kann ich, mach ich jetzt schon. Singen, okay, wenn Andrew Bond mitsingt, klappt das auch.
54
Basteln? Ja, das mit Schere und Leim? Mama sagt immer, mach keine Seen mit dem Leim, das ist echt schwierig. Und Freude hatte sie auch nicht, als ich letzthin mit der Schere spielte, nachher waren nämlich ein paar Haare kürzer. Komm endlich, du kleine Quasselstrippe, es ist Zeit, ruft Papa. Mama ist schon unterwegs mit meiner Schwester, die, die den wichtigen Tag hat. Papa hilft mir. Ich weiss noch nicht recht, welcher Schuh an welchen Fuss kommt. Es stört mich auch nicht, wenn es andersrum ist. Es fühlt sich witzig an, verkehrt zu gehen. Aber Papa meint, am ersten Tag willst du doch mit den Schuhen richtig an den Füssen im Chindsgi auftauchen. Ach ja, das hab ich dir noch gar nicht verraten, ich gehe in den Chindsgi. Der ist gross und voller Spielsachen. Du, und meine grosse Schwester geht heute mit Mama in die erste Klasse.
Sie hat mir heute Morgen verraten, dass Mama gar nicht mitkommen müsste. Sie kennt ja den Weg, die Gspänli und die Lehrerin, die hat sie ja auch schon oft gesehen. Und überhaupt, auf der Strasse wisse sie ja auch schon lange, wie sie gehen müsse. Schliesslich war der Polizist schon zwei Mal im Kindergarten, und auf der Chindsgireise war sie auch und, und, und. Da weiss ich plötzlich, warum es bei ihr ein wichtiger Tag ist, bei ihr gehts echt los. Sie weiss und kann schon so viel. Mein Tag ist gross, ich weiss noch wenig. Auf der Strasse war ich nur mit Mama oder Papa, da haben sie mich immer an die Hand genommen. Autos, ihr müsst jetzt auf mich aufpassen. Mit meinem Täschli, nigelnagelneu, weisst du, mein Gotti hat es für mich gemacht, mit einem Drachen drauf, der eine Prinzessin und einen Prinzen rettet. Schön knifflig, hat Gotti gemeint, aber es ist das schönste Täschli auf der ganzen Welt. Echt!
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Also mit dem Täschli und «Lüchtsgi», auch neu, und mit Papa, nicht neu, gehen wir auf den Weg. Mit Papa darf ich vorausspringen. Du, jetzt sind wir da. Viele sind da. Viele grosse und kleine Menschen. Endlich dürfen wir hinein. Schuhe ausziehen, Finken an, welcher gehört nur wieder an welchen Fuss? Und wo ist Papas Hand? Warum hat Oma gewusst, dass ich sie doch brauche? Im Chindsgi hat es viele Stühle; Mensch, einen riesigen Kreis. Und ausserhalb viele Beine, riesige, lange Beine. Wo ist Papa? Direkt hinter mir, zum Glück. Nur Spielsachen, von denen sehe ich keine, nur Beine. Womit spiele ich denn den ganzen Tag? Nach einer Weile geht Papa. Ich komme dir entgegen, sagt er und
Mein grosser, wichtiger Tag beginnt. Ich kann schon viel, und jetzt gehts erst richtig los.
gibt mir einen Kuss. Ich bin froh. Es wird ganz still. Ich schaue umher. Jetzt sehe ich die Spielsachen zum Spielen – und singen kann ich auch und das mit Schere und Leim kriege ich auch noch hin. Du, mein Tag beginnt. Mein grosser, wichtiger Tag beginnt. Denn weisst du, ich kann schon viel, und jetzt gehts erst richtig los.
Claudia Hartmann ist Mutter zweier erwachsener Kinder und arbeitet schon viele Jahre auf der Kindergartenstufe. Vieles hat sich in der Bildungswelt verändert, aber die Neugierde der Kinder, ihre Freude an Neuem ist geblieben. An ihrem Beruf gefällt ihr unter anderem, dass sie Kinder auf ihrem Lern- und Erfahrungsweg begleiten kann.
SelfProtect Privathaftpflichtversicherung
Gesundheit ® Leben ® Vermögen ® Unternehmen ®
15:12
Genau jetzt merken Sie, dass Ihre Kleine schon Grosses bewirken kann.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 55 Die Mitgliedsversicherer der Groupe Mutuel
Service
Eintritt in den Kindergarten – alles, was Eltern wissen müssen
Zum Kindergartenstart Bücher Ein Überblick über Bilderbücher, die zusammen mit dem Kind angeschaut werden können, bietet die Webseite des Carlsen-Verlags: www.carlsen.de Ein tolles, prämiertes Buch über Zusammenleben und Freundschaft, das in Kindergärten gerne vorgelesen wird: Helme Heine: Freunde. Beltz-Verlag, 32 S., ca. 11 Fr.
Ernährung Plattform für Bewegung und Ernährung: www.radix.ch, Stichwort Elternbroschüren Ernährungspyramiden und vieles mehr: www.sge-ssn.ch Rezepte und Informationen: www.swissmilk.ch Ernährungsinformationen nach Alter: www.gesundheitsfoerderung.ch
www.edk.ch ist die Webseite der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren und bietet eine Übersicht über Harmos, Berichte und Studien rund um Schule.
Stressbewältigung, Bewegung, Neuromotorik Bücher Holger Domsch et al.: Kinder im Stress. Wie Eltern Kinder stärken und begleiten. Springer-Verlag, 147 S., E-Book ca. 20 Fr.
Remo Largo: Das passende Leben. Was unsere Individualität ausmacht und wie wir sie leben können. Verlag S. Fischer, 480 S., ca. 28 Fr.
Jesper Juul: Leitwölfe sein. Liebevolle Führung in der Familie. Beltz-Verlag, 224 S., ca. 18 Fr.
56
Webseiten www.ch.ch bietet weit gefächerte Informationen rund um den Kindergarteneintritt. Die Webseite ist eine Dienstleistung des Bundes, der Kantone und der Gemeinden.
Studien, Links, Webseiten Splashy ist die wichtigste na tionale Studie zur Gesundheit von Vorschulkindern, die den Einfluss von Stress und Bewegung auf die psychische Gesundheit der Kinder untersuchte. Informationen: www.splashy.ch. Den Download gibt es hier: www.survey.unifr.ch, Stichwort: splashy Weitere Studien: www.kispi.uzh.ch, Stichwort: normale Entwicklung www.elternbildung.ch listet Elternbildungskurse auf zum Thema, wie man Kinder stressfreier begleiten kann.
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Medienkonsum Bücher Eveline Hipeli: Medien-Kids. Bewusst umgehen mit allen Medien – von Anfang an. Beobachter-Verlag, 224 S., ca. 33 Fr.
Webseiten www.ulladieeule.ch/ulla/ über-die-autorin (enthält u. a. Materialien, wie mit Kindern über Medien gesprochen werden kann) www.jugendundmedien.ch
Johnny Haeusler, Tanja Haeusler: Netzgemüse. Aufzucht und Pflege der Generation Internet. Aktualisierte und erweiterte Ausgabe. Goldmann Verlag, 320 S., ca. 14 Fr.
www.schau-hin.info www.bag.admin.ch Stichwort: Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen (Informationsmaterial, Downloads, Studien)
Antje Bostelmann: Digital genial: Erste Schritte mit neuen Medien im Kindergarten. Verlag Bananenblau, 102 S., ca. 18 Fr.
Emotionale Entwicklung Bücher Margrit Stamm: Lasst die Kinder los. Warum entspannte Erziehung lebenstüchtig macht. Verlag Piper, 288 S., ca. 27 Fr.
Gerhard Spitzer: E ntspannt erziehen. Mit den Augen Ihres Kindes sehen. Verlag Ueberreuter, 230 S., ca. 17 Fr.
Webseiten Überblick über die Entwicklung der emotionalen Kompetenz: www.kindererziehung.com Wie Kinder den kompetenten Umgang mit Gefühlen lernen: www.familienhandbuch.de
Yoga für Kinder Bücher Ursula Salbert: Ganzheitliche Entspannungstechniken für Kinder. Bewegungsund Ruheübungen, Geschichten und Wahrnehmungsspiele aus dem Yoga, dem Autogenen Training und der Progressiven Muskelentspannung. Verlag Ökotopia, 142 S., ca. 25 Fr. Ursula Salbert: Das Kinderyoga Spielebuch. Mit Maus und Biene nach Indien: Spannende Abenteuergeschichten, fantasievolle Yoga-Übungen und 14 komplette Stundenbilder. Verlag Ökotopia, 136 S., ca. 20 Fr. Ursula Karven: Sina und die Yogakatze. Verlag Wunderlich, 40 S., ca. 15 Fr.
Webseiten: www.derkleineyogi.ch Übungsreihen für zu Hause gibts im Netz unter dem Stichwort Kinderyoga, Übungsreihen, z. B. www.yogarelations.ch oder www.kindergaerten-in-aktion.de, Stichwort: Yoga
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten Sommer 2017 57
Essay
Eine Liebeserklärung an alle Frau Brauns dieser Welt Unsere Autorin erinnert sich an ihre glückliche Kindergartenzeit. Und stellt fest, dass im Chindsgi ihrer vier Buben vieles noch immer so ist wie damals. Text: Claudia Landolt
F
rau Braun war klein und rund. Ihre Haare waren grau und zu einem kleinen Dutt gebunden. Frau Braun hatte keine Kinder. Ich weiss nicht einmal mehr, ob sie in einer Partnerschaft lebte. In meiner Erinnerung hat sie etwas Nonnenhaftes, auf jeden Fall umgab sie eine Aura der Heiligen. Ich liebte sie heiss und innig. Sie war die Geduld in Person. Nie hat sie aufgeseufzt, weil ich mal wieder auf dem Weg getrödelt oder Heimweh nach meiner Mutter hatte. Frau Braun kochte gern. In regelmässigen Abständen durften wir Kinder im Kindergarten mittagessen. Es gab jeweils viele Transfette in Form von Fischstäbchen, nicht wenig Zucker in Form von Schokoladenpudding und Mayonnaise. Gurken gabs nur als Verzierung. Das erklärt zumindest teilweise, warum wir Frau Braun so ergeben waren. War man danach müde, durfte man sich kurz hinlegen, auf die jeansblauen, weichen Mätteli, die so gar nicht nach Kreide, Linoleum und Putzmitteln rochen. Auch im Kindergarten meiner Söhne gibt es solche Mätteli. Sie sind grün, rosa und gelb, mit Kissen und Plüschtieren ausgestattet, darüber ein Baldachin. Als ich meinen Jüngsten dorthin begleitete, verspürte ich an manchen Tagen den Wunsch, mich kurz hinzulegen, dort in dieser lauschigen Ecke.
58
Ich stellte mir dann vor, wie ich so da liege, wie die DaZ-Lehrerin, die eben noch mit den Kindern einen Stofftierpinguin genäht hatte, sich zu mir setzt und mir eine Geschichte erzählt, die nur sie kennt. Ach, wie gemütlich! So schön ist es im Chindsgi meiner Söhne. Und dann ist da Frau Braun. Sie heisst natürlich anders, ist jünger, schöner und weltlicher, als es meine Kindergärtnerin jemals war. Aber auch Frau Braun 2.0 ist die Sanftmut in Person. Meine Kinder waren im ersten Kindergartenjahr oft müde, ab Donnerstag nudelfertig und nicht immer bestens gelaunt. Sie sah darüber hinweg. Einer meiner Buben wollte im Kreis nicht mitsingen; sie störte das nicht. Sie registrierte vielmehr, dass der Junge – tatsächlich! – gerne aufräumt und zeichnet. So wurde mein Sohn zum Aufräumchef berufen – was er natürlich prima fand, denn so konnte er die anderen Kinder anleiten, was es zu versorgen gebe. Gefühlte 5000 Polizeibilder, Fahrzeugbilder und Hundebilder hat Frau Braun 2.0 wohl für meine Söhne ausgedruckt. Sie turnt, geht mit den Kindern in den Wald, bastelt Blätterkronen, backt an Weihnachten Guetsli und erfand den Hot Hamburger– ein kulinarischer Hybrid aus Hamburger und Hotdog, mit Augen aus Würstchenrädern und Pupillen aus Schokolade. An Tagen, an denen ein Termin den nächsten jagt und ich mir schon
mittags wünsche, der Abend möge bald kommen, beame ich mich gedanklich in die Sandsteinhöhle, auf den Pferdewagen oder ins Motorboot, Stationen der Kindergartenreisen von Frau Braun 2.0. Ich glaube, im Universum meiner Kinder kommt sie direkt nach Globi, Yoda und Urmel. Neulich sagte mein Jüngster: «Mama, meine Plüschtiere haben mich am liebsten, dann dich und dann den Papa.» Ich bin sicher, Frau Braun 2.0 kommt an vierter Stelle. Hat sie Geburtstag, malt er ihr ein Bild. Eine Karte aus den Ferien muss sein, gerne aus Paris, ihrer Lieblingsstadt. Der am Waldrand entdeckte Stein geht an sie. Was ich gut verstehen kann. Sie nimmt die Kinder so, wie sie sind. Sieht sie als wunderbare und vollständige Wesen, die sie mit vier Jahren schon sind. Das Gefühl, bedingungslos angenommen und geliebt zu werden, es wird bei allen Frau Brauns dieser Welt mitgenährt.
Claudia Landolt
ist leitende Autorin bei Fritz+Fränzi, Projektverantwortliche dieser Kindergartenausgabe, Mutter von vier Buben und Yoga-Lehrerin. Sie wohnt mit ihrer Familie im Aargau.
Sommer 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten
Impressum
Vielen Dank
den Partnern und Sponsoren der Stiftung Elternsein:
Finanzpartner
Hauptsponsoren
Dr. iur. Ellen Ringier
Rozalia Stiftung
Walter Haefner Stiftung
Credit Suisse AG UBS AG
Impressum 17. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich Herausgeber Stiftung Elternsein, Seehofstrasse 6, 8008 Zürich www.elternsein.ch Präsidentin des Stiftungsrates: Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch, Tel. 044 400 33 11 (Stiftung Elternsein) Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder, ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 01 01 Redaktion redaktion@fritzundfraenzi.ch Chefredaktor: Nik Niethammer, n.niethammer@fritzundfraenzi.ch Evelin Hartmann (Stv. CR,), e.hartmann@fritzundfraenzi.ch Claudia Landolt, leitende Autorin c.landolt@fritzundfraenzi.ch Leo Truniger, l.truniger@fritzundfraenzi.ch Onlineredaktion: Leitung: Bianca Fritz, b.fritz@fritzundfraenzi.ch Irena Ristic, i.ristic@fritzundfraenzi.ch Verantwortlich für diese Kindergarten-Ausgabe Claudia Landolt Redaktionelle Mitarbeit Ruth Fritschi, Fabian Grolimund, Claudia Hartmann, Ruth Hoffmann, Kristin Hüttmann, Jesper Juul, Mikael Krogerus, Nadine Messerli-Bürgy, Virginia Nolan, Stefanie Rietzler Verlag Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich, Tel. 044 277 72 62, info@fritzundfraenzi.ch, verlag@fritzundfraenzi.ch, www.fritzundfraenzi.ch Leiter Business Development & Marketing (Stv. Verlagsleitung): Tobias Winterberg, t.winterberg@fritzundfraenzi.ch Verlagsadministration: Dominique Binder, d.binder@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 277 72 62 Verlagsassistentin: Éva Berger, e.berger@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 277 72 67
Inhaltspartner Anzeigen Anzeigenverkauf: Jacqueline Zygmont, j.zygmont@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 277 72 65 Anzeigenadministration: Dominique Binder, d.binder@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 277 72 62
Stiftungspartner
Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg, www.unifr.ch/iff
Pro Familia Schweiz, www.profamilia.ch
Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, www.lch.ch
Elternbildung CH, www.elternbildung.ch
Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz, www.vslch.ch
Marie-Meierhofer-Institut für das Kind, www.mmizuerich.ch
Jacobs Foundation, www.jacobsfoundation.org
Schule und Elternhaus Schweiz, www.schule-elternhaus.ch
Art Direction/Produktion Partner & Partner, Winterthur, www.partner-partner.ch Bildredaktion 13 Photo AG, Zürich, www.13photo.ch Korrektorat Brunner AG, Kriens, www.bag.ch Auflage der regulären Ausgabe (WEMF/SW-beglaubigt 2016) total verbreitet 101 725 davon verkauft 18 572 Auflage dieser Kindergarten-Ausgabe 55 000 Preis Jahresabonnement Fr. 68.– Einzelausgabe Fr. 7.50 iPad pro Ausgabe Fr. 3.– Abo-Service Galledia Verlag AG Berneck Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54 abo.fritzundfraenzi@galledia.ch Für Spenden Stiftung Elternsein, 8008 Zürich Postkonto 87-447004-3 IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3
Elternnotruf, www.elternnotruf.ch
Pädagogische Hochschule Zürich, www.phzh.ch
Pro Juventute, www.projuventute.ch
Schweizerischer Verband alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV, www.svamv.ch
Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich, www.hfh.ch
Kinderlobby Schweiz, www.kinderlobby.ch
Schweizerisches Institut für Kinder- und Jugendmedien, www.sikjm.ch
Verband Kinderbetreuung Schweiz, www.kibesuisse.ch
Leuchtende Puzzlebälle
xess.ch
Die 3D Puzzle-Bälle werden durch ein Händeklatschen zum coolen Nachtlicht! Der Leuchtsockel lässt den Ball von innen erstrahlen und dank unserer Easyclick-Technology passen alle Kunststoff-Puzzleteile perfekt ineinander und formen eine stabile Kugel, ganz ohne Kleben. Für Kinder ab 6 Jahren.