Fritz+Fränzi 12-17: Jesper Juul

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Fr. 7.50 12/Dezember 2017 1/Januar 2018

Multiple Sklerose Alina ist 6, als sie an MS erkrankt. Eine Reportage. Generation Sandwich Kinder erziehen und die Eltern pflegen: F체r viele ist das kr채ftezehrender Alltag.

Exklusiv-Interview mit Europas grossem P채dagogen: Wer er ist, wie er lebt, was ihn hoffen l채sst

Jesper Juul


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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser

Bild: Geri Born

Flug und Hotel waren gebucht, die Reise nach Dänemark Anfang August fest geplant. Doch es kam anders: «Jesper Juul war vier Wochen im Spital. Sein Gesundheitszustand ist instabil», schrieb mir Caroline Märki von familylab am 24. Juni. «Er fühlt sich zu schwach, um dich zum Interview zu empfangen.» Was nur wenige wissen: Jesper Juul, der bedeutendste Familientherapeut Europas und Autor zahlreicher Ratgeberbücher, ist seit vier Jahren schwer krank und in seiner Mobilität stark eingeschränkt.

Nik Niethammer Chefredaktor

Dass wir Ihnen in dieser Ausgabe dennoch ein exklusives Interview mit Jesper Juul präsentieren können, ist vor allem Caroline Märki zu verdanken. Sie hat Jesper Juul im Rahmen eines familylab-Seminars in Dänemark am Abend des 7. August zu Hause in Odder besucht. Während zwei Stunden konnte sie ihm einen Teil der Fragen stellen, die meine Kollegin Evelin Hartmann und ich zusammengetragen hatten. Auf einige weitere Fragen hat Juul später schriftlich geantwortet. Wie Jesper Juul lebt, warum er Eltern mit seinen Thesen immer wieder provoziert – und wovon er träumt: das grosse Interview – ab Seite 32.

«Im Prinzip kommt es nur auf eines an: Kinder erleben zu lassen, dass sie eine konstruktive Bedeutung für das Leben ihrer Eltern haben und dieses seit ihrer Geburt bereichern.» Jesper Juul (aus: Familienkalender 2017)

Unsere Spendenaktion «Ein Begleithund für Joel» (siehe November-Heft) geht weiter. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe betrug der Spendenstand knapp 11 000 Franken. Das bedeutet: Ein Drittel des benötigten Geldes ist inzwischen zusammengekommen. Die Suche nach einem passenden Labrador ist aufwendig und zeitintensiv. Im Februar 2018 wird Joel mit mehreren Begleithunden und ihren Trainern zusammenkommen. Dann soll sich zeigen, welcher Hund sich als Begleiter von Joel am besten eignet. Über unsere Spendenaktion (inkl. Spendenbarometer) informieren wir Sie laufend auf unserer Website und auf www.elternsein.ch. Ich danke Ihnen im Namen der Familie Bettschen ganz herzlich für Ihre Unterstützung. Neulich schrieb mir eine Kollegin: «Es tut mir leid, dass ich letzte Woche fehlte! Mein Schwiegervater liegt immer noch auf der Intensivstation, wir wissen nicht, wie es weitergeht. Heute bringen wir meine Schwiegermutter in eine temporäre Betreuungseinrichtung, sie hat Mühe mit dem Alleinsein, ist zu allem Übel noch gestürzt. Wir müssen jetzt die nächsten Tage organisieren. Wie das parallel mit Job und Familie gehen soll, ist mir schleierhaft!»

Meine Kollegin ist nicht allein mit ihrem Spagat zwischen Job, der Verantwortuung für die eigenen Kinder und der Fürsorge für die Eltern. Rund 220 000 Menschen in der Schweiz pflegen oder betreuen Angehörige inner- oder ausserhalb des eigenen Haushalts. Wie sehr sie dabei an die Grenze ihrer Belastbarkeit stossen und welche Unterstützung sie dringend benötigen, beschreiben wir in unserem Dossier «Sandwich-Generation» – ab Seite 10. Nun wünsche ich Ihnen spannende Einsichten mit dieser Doppelnummer. Unsere nächste Ausgabe erscheint am 6. Februar 2018. Wie immer finden Sie ausgewählte Geschichten aus unserem Magazin und Texte, die wir nur online publizieren, unter www.fritzundfraenzi.ch. Herzlichst, Ihr Nik Niethammer

850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org


Inhalt Ausgabe 12 / Dezember 2017 1 / Januar 2018

Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf fritzundfraenzi.ch und

Psychologie & Gesellschaft 30 N ehmt euch die Zeit! Gemeinsame Unternehmungen mit der Familie bleiben in Zeiten vollgepackter Agenden oft auf der Strecke – das sollte nicht sein.

facebook.com/fritzundfraenzi. Augmented Reality

Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und Zusatzinformationen zu den Artikeln.

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Dossier: Generation Sandwich 10 Wer kümmert sich? Immer mehr Menschen zwischen 40 und 60 sind zwischen zwei Generationen eingeklemmt: Sie tragen die Verantwortung für ihre eigenen Kinder und ihre Eltern. Was könnte diese Mütter und Väter entlasten?

Bild: Franz Bischof

Cover Jesper Juul ist einer der bedeutendsten Pädagogen Europas – und schwer krank. Trotzdem hat er uns ein grosses Interview gegeben. 4

Bilder: Ed Kashi, Franz Bischof, Gabi Vogt / 13 Photo, fotolia

28 F ür das Alter gewappnet Kinder sollten sich mit ihren Eltern frühzeitig darüber verständigen, wie eine mögliche Versorgung im Alter gestaltet werden kann, sagt die Pflegewissenschaftlerin Iren Bischofberger im Interview.


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Jesper Juul, was würden Sie als Vater heute anders machen?

Alina hat MS und ist oft müde. Ansonsten merkt man ihr die Krankheit kaum an.

Rund 8700 Kinder und Erwachsene erkranken hierzulande jedes Jahr an Keuchhusten.

Erziehung & Schule

Ernährung & Gesundheit

42 Abwechselnd bei Mami und Papi Nach einer Trennung muss geklärt werden, bei wem die Kinder wohnen. Das Modell der alternierenden Obhut wird immer beliebter.

68 M ehr als ein bisschen Husten Keuchhusten wird oft spät erkannt. Dabei ist die Atemwegserkrankung nicht zu unterschätzen.

48 F abian Grolimund Müssen Eltern in der Erziehung immer einer Meinung sein? Der Elterncoach meint nein.

46 Was will ich werden? Ein Lehrer berichtet, wie die Schule Jugendliche bei der Berufsfindung begleitet.

Digital & Medial

58 Leserbriefe

72 F amilienblogs Geschichten aus der eigenen Familie erzählen und damit Geld verdienen? Die Welt der Schweizer Mamablogs.

82 Eine Frage – drei Meinungen Wie tröstet man einen 17-Jährigen, der noch keine Freundin hat?

50 Frohes Schreiben! Die Weihnachtszeit bietet zahlreiche Möglichkeiten, das Schreiben zu üben. Wir stellen die schönsten vor. 52 AD(H)S? Oder hochsensibel? Expertin Corinna Huber klärt auf und beschreibt im Interview, welches die grösste Falle im Umgang mit betroffenen Kindern ist.

76 Die Helden meiner Kindheit Pippi Langstrumpf, Sindbad, Silas: gemeinsam mit den Kindern in TV-Erinnerungen schwelgen.

Rubriken

56 Geldgeschenke Viele Jugendliche wünschen sich Bares. Was Eltern beachten sollten.

03 Editorial

60 Multiple Sklerose Die Nervenkrankheit trifft auch Kinder und Jugendliche – zum Beispiel Alina und Tina.

32 Jesper Juul Millionen Eltern lesen seine Bücher. In einem Exklusiv-Interview blickt Jesper Juul auf sein Lebenswerk zurück.

06

Entdecken

57 M ikael Krogerus Unser Kolumnist über das ständige Streben nach Selbstoptimierung.

Service 75 Verlosung 78 E in Wochenende … … in Nendaz 80 Sponsoren/Impressum 81 Buchtipps

Die nächste Ausgabe erscheint am 6. Februar 2018.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Dezember 2017 / Januar 2018 5


Entdecken

Mit Kindern die ­Region erkunden Was tun am Wochenende? Wieder ins Naturmuseum? Auf den Weihnachtsmarkt oder doch lieber mal etwas anderes kennenlernen – aber was? Auf der Online-Plattform www.kinderregion.ch finden Familien aus den Regionen Baden, Winterthur, Zug und Zürich ganz auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Freizeitangebote – und die liegen direkt vor ihrer Haustür. Zudem erzählen Bloggerinnen und Blogger aus ihrem (Familien-)Alltag. www.kinderregion.ch

3 FRAGEN an Cornelia Mackuth-Wicki, Geschäftsleiterin von Pro Pallium

3 Wochen nach dem Start der Netflix-Serie « 13 Reasons Why» (deutsche Fassung: «Tote

In den Wenn ein Kind stirbt, steht für seine Eltern die Welt still. Die Organisation Pro Pallium habe es sich zur Aufgabe gemacht, trauernde Mütter und Väter in ihrem Schmerz nicht alleinzulassen, sagt Geschäftsleiterin und Trauerbegleiterin Cornelia Mackuth-Wicki. Interview: Evelin Hartmann Frau Mackuth-Wicki, wie können Sie trauernde Eltern unterstützen? Pro Pallium bietet diesen Müttern und Vätern beispielsweise Einzelbetreuung, aber auch Väter- und Müttertrauergruppen, Informationen zum Thema oder Aktivitäten an, bei denen Familien, die ähnliche Schicksale teilen, etwas zusammen unternehmen können. Welches Angebot wird am meisten nachgefragt, oder anders gefragt: Was brauchen diese Eltern am meisten? Am besten besucht werden die Müttergruppen – vielleicht, weil sich für Mütter im Alltag am meisten verändert oder sie anders umgehen mit ihrer Trauer als Väter. Hier können sie immer wieder über ihren Verlust reden, mit Leuten, die nicht müde werden zuzuhören – aber sich auch untereinander austauschen, was ihnen in ihrer Trauer geholfen hat. Was kann man tun, wenn im eigenen Umfeld ein Kind stirbt? Man sollte den betroffenen Eltern nicht aus dem Weg gehen, sagen, dass es einem leidtut, und konkrete Hilfestellung anbieten. Beispielsweise die Geschwister des verstorbenen Kindes einmal zu einem Ausflug mitnehmen, ein Nachtessen zubereiten, die Mutter oder den Vater zum Friedhof begleiten, falls sie das wünschen. Und man sollte keinen Druck aufbauen: Die Welt der betroffenen Familie dreht sich nicht nach drei Monaten normal weiter. Trauer braucht Zeit. Alle Infos auf www.pro-pallium.ch

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Mädchen lügen nicht») googelten Internetnutzer in den USA bis zu

26 % häufiger nach Suizid­

methoden. In der fiktiven Teenie-Serie erzählt die Protagonistin über

13 Folgen hinweg ihrer Nachwelt,

warum sie sich das Leben nahm. (Quelle: JAMA Internal Medicine, eine wissenschaftliche Zeitschrift, die von der American Medical Association veröffentlicht wird)

Teilnehmer für Studie gesucht! Das Institut für Unternehmensentwicklung der Berner Fachhochschule beteiligt sich aktuell an einer Studie zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf im internationalen Vergleich. Gesucht werden Studienteilnehmer, die mit mindestens einem Kind im selben Haushalt zusammenleben und einer abhängigen Beschäftigung von mindestens 20 Stunden pro Woche nachgehen. Die Angaben werden ausschliesslich in anonymisierter Form für Forschungszwecke verwendet. Als Dankeschön werden unter allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern fünf Einkaufsgutscheine im Wert von je 50 Franken verlost. Studie auf: www.wirtschaft.bfh.ch/umfrage-iswaf

Dezember 2017 / Januar 2018  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

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«Trauer braucht Zeit»


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Und die Moral von der Geschichte ... Kindern fällt es leichter,

die berühmte «Moral von der Geschichte» zu begreifen, wenn in der Erzählung Menschen die Hauptrolle spielen. Das entdeckten Forscher von der University of Toronto in Kanada in einer Untersuchung mit vier- bis sechsjährigen Kindern. So waren diejenigen Kinder, denen eine Geschichte mit Menschen vorgelesen wurde, eher bereit, das ihnen überlassene Spielzeug zu teilen, als dies Kinder aus der Vergleichsgruppe waren – diesen wurde gar nicht vorgelesen oder Geschichten, in denen Tiere die Hauptrolle spielten. Kinder können also leichter Wissen aus Geschichten ziehen, wenn diese realistisch sind, so die Forscher.

(Annamaria Colombo in einem Interview auf www.tagesanzeiger.ch über Ergebnisse aus ihre Studie «Sex, Beziehungen ... und du?»)

Annamaria Colombo ist Professorin und die Verantwortliche für angewandte Forschung und Entwicklung an der Hochschule für soziale Arbeit in Freiburg.

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Besser Lernen

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Egal ob Geschichte, Biologie oder Geografie: Sehr oft müssen wir beim Lernen Texte lesen, verstehen und das Wichtigste daraus wiedergeben können. Viele Jugend­liche lernen aber mit einer schlechten Strategie: Sie lesen die Texte mehrmals durch in der Hoffnung, dass genügend Wissen «hängenbleibt». Doch um uns Inhalte zu merken, müssen wir den Stoff nicht nur lesen, sondern auch vernetzen – indem wir das Gelesene in eigenen Worten wiedergeben, mit Beispielen und bildhaften Vorstellungen anreichern und uns überlegen, welche Fragen zu den behandelten Themen gestellt werden könnten. In der neuen Folge von Adi und Jess zeigen Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund, wie diese wirkungsvollen Lernstrategien eingesetzt werden. Zu finden auf www.fritzundfraenzi.ch > Video.

Dezember 2017 / Januar 2018  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Bilder: iStockphoto, Pexels Torsten Dettlaff, ZVG

«Die Jugendlichen heutzutage verfügen über einen gesunden Menschenverstand, messen einem progressiven Eintritt in die Sexualität einen sehr hohen Stellenwert und der Intimität, der Partnerwahl, dem richtigen Moment und geeigneten Alter eine grosse Bedeutung bei.»


Rubrik

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Generation Sandwich Sie sind eingeklemmt zwischen der Verantwortung für die eigenen Kinder und jener für die Eltern: Ein Fünftel aller Schweizer Frauen betreut einen pflegebedürftigen Angehörigen und gerät damit an die Grenzen der Belastbarkeit. Zwei Mütter erzählen. Text: Yvonne Kiefer-Glomme Bilder: Ed Kashi

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Dossier

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Als der 83-jährige Herbie Winokur erste Anzeichen von Demenz zeigte, zogen seine Tochter, die Filmerin Julie Winokur, und ihr Mann, der Fotojournalist Ed Kashi, mit ihren zwei Kindern von San Francisco zu ihm nach New Jersey. Die Bilder in diesem Dossier zeigen Szenen aus ihrem Alltag.

W

illkommen im Ir re n h au s ! » , sagt Jasmin Dubois* und lä­chelt. Kaum hat die 44-Jährige ihr Haus in Emmenbrücke LU betreten, klingelt das Telefon. Gestern hat ihre 76-jährige Schwiegermutter – sie lebt seit 20 Jahren auf Mallorca – einen Schlaganfall erlitten und musste in eine Klinik eingeliefert werden. Nun ist deren Nachbarin am Apparat und drängt darauf, dass ein Familienmitglied anreist. Trotz begrenzter Spanischkenntnisse steht Jasmin Dubois nun in ständigem Kontakt mit den Ärzten und bemüht sich um Unterstützung vor Ort. Ihr Mann und sein Bruder sind beruflich so eingebunden, dass sie nicht sofort nach Palma fliegen können. Und auch sie selbst müsste zuerst ihre Töchter, zwölf und acht Jahre, bei Freunden unterbringen. Immer unter Strom

Auch Jasmin Dubois’ eigene Eltern sind auf Hilfe angewiesen. Seit drei Jahren fährt die gebürtige Französin alle zwei Wochen zu ihnen ins 130 Kilometer entfernte Mulhouse, kauft für sie ein und putzt deren Haus. Ihr Bruder kümmert sich um alle schriftlichen und finanziellen Angelegenheiten. Grund dafür ist ihre 80-jährige Mutter: Sie leidet an einer unheilbaren Autoimmunerkran-

Starten Sie die aktuelle pp, Fritz+Fränzi-A Seite e es di e Si n scanne Tr n de ailer zu und sehen Sie Film «The ur Julie Winok s ration». ne Ge ch Sandwi

kung. Ausser einer Pflegefachfrau lässt ihr 86-jähriger Vater jedoch keine fremde Hilfe zu. Auch einen Umzug in die Nähe ihrer Tochter lehnt er ab. Ihrer Mutter zuliebe beugt sich Jasmin Dubois diesen Umständen. Vor Ort bleiben ihr fünf Stunden, dann muss sie wieder zurück. Denn zu Hause warten ihre Töchter, die nach der Schule bei Nachbarn zu Mittag essen. Für den eigenen Haushalt sowie die Kinderbetreuung hat sie keine professionelle Unterstützung. «Das liegt finan­ ziell nicht drin», sagt sie. Ihr Alltag ist durchgeplant. Stress machen ihr nur die nicht kalkulierbaren Punkte, die Wutausbrüche ihrer pubertierenden Tochter, die Eifersüchteleien der Jüngeren oder wenn eine der beiden nicht zur verabredeten Zeit nach Hause kommt. «Dann brauche ich Geduld und Nerven, die ich nicht mehr habe.» Rund 220 000 Menschen, davon 140 000 im erwerbsfähigen Alter, betreuen oder pflegen Personen in oder ausserhalb ihres eigenen >>>

In mehr als zwei Drittel der Fälle übernehmen die Frauen die Pflege der Angehörigen.

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Einmal im Monat wünscht sich Sidonia Gianellas Sohn einen Nachmittag allein mit seiner Mutter.

treuung gebrauchen könnten. Hinzu kommt, dass die älteren Familienmitglieder heute meist so lange wie möglich selbstbestimmt in ihrem eigenen Haushalt leben möchten – und dieser durch die steigende berufliche Mobilität häufig in grös­ serer räumlicher Entfernung liegt. Chronische Besorgnis

>>> Haushalts, so die Hochrechnungen der Schweizer Arbeitskräfteerhebung (SAKE) von 2013. Laut dem Spitex Verband Schweiz leisteten Angehörige im Jahr 2013 64 Millionen Pflege- und Betreuungsstunden, sogenannte Care-Arbeit. Das entspricht einer Gratisarbeit im Wert von 3,5 Milliarden Franken. Durchschnittlich 30 Betreuungsstunden pro Woche übernehmen die erwachsenen Töchter und Söhne der Betroffenen. Die Älteren wollen selbstbestimmt leben – und wohnen weit weg

Besonders hart trifft es die Paare im Alter von 40 bis 60 Jahren, die erst spät eine eigene Familie gegründet haben – sie sind die Sandwich-Generation. Ihr Problem: Nicht nur die Vereinbarkeit von Beruf und Familie will erfolgreich gemanagt werden, sondern auch die Fürsorge für die Eltern oder andere ältere Angehörige. Und diese Aufgabe stellt sich nicht erst – wie in den Generationen davor – , nachdem die eigenen Kinder aus dem Haus sind, sondern während diese noch heranwachsen. In mehr als zwei Drittel der Fälle übernehmen die Frauen diese Betreuungsaufgabe. Das bedeutet: Die aufgrund von langen Ausbildungszeiten und Er­­ werbstätigkeit zunehmend älteren Mütter sind gerade dabei, beruflich wieder durchzustarten, da müssen sie erneut ihre Bedürfnisse zurückstellen. Und dies zu einem Zeitpunkt, an dem sie angesichts hoher Kita- und Hortkosten selbst noch Unterstützung bei der Kinderbe14

Diese Situation kennt Sidonia Gianella aus Gelterkinden BL nur zu gut. Die 51-Jährige besucht zwei bis drei Mal pro Woche ihre 77-jährige Mutter, die allein im 30 Minuten entfernten Lupsingen BL wohnt. Ihre Mutter, die gelernte Damenschneiderin, konnte auf einmal keine Schnittmuster mehr zuordnen und irrte während eines Ferienaufenthaltes eine Stunde lang vergeblich im Hotel umher, um sich einen Pfefferminztee zu besorgen. Nach diesen ersten Krankheitszeichen wurde bei ihr im Dezember 2015 eine seltene Form der Demenz diagnostiziert. «Seitdem bin ich ihre Hauptbezugsperson, organisiere ihren Alltag, begleite sie zu Arztterminen und versuche, sie emotional zu unterstützen», so Sidonia Gianella. Aus einem geplanten halben Tag vor Ort werden schnell acht Stunden. Denn die klaren Momente der Mutter sind rar. Dazwischen fällt sie oft in eine depressive Stimmung und muss getröstet werden. Gianellas Schwester kümmert sich um die Post und die Finanzen der Mutter und besucht sie, so oft es geht. Um sich zu entlasten, versuchte Sidonia Gianella sechs Wochen lang, ihre Mutter für zwei Nachmittage pro Woche in eine Tagesstätte einzugewöhnen. Doch der erste Versuch scheiterte: Ihre Mutter weigerte sich, allein dorthin zu gehen. Zur Unterstützung im eigenen Haushalt hat sich Sidonia Gianella zu einer Putzfrau durchgerungen. «Eigentlich scheue ich die Kosten hierfür, aber auf diese Weise kann ich mir etwas Zeitdruck aus meinem Alltag neh>>> men.» Jeweils am Wochenen-


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>>> de bespricht sie gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem 14-jährigen Sohn ihre Agenda für die nächste Woche. So weiss der Achtklässler immer, wann er auf seine Mutter verzichten muss und wo er sie erreichen kann. Bei Engpässen zu Hause versucht Gianellas Mann einzuspringen, muss dies jedoch durch Arbeit am Wochenende ausgleichen. Ressource Angehörige

Dank medizinisch-therapeutischer Fortschritte hat sich die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht: Bis 2050 wird sich die Zahl der über 80-Jährigen in der Schweiz von 442 000 (2017) auf knapp 1,2 Millionen fast verdreifachen, so die Schätzungen des Bundesamts für Statistik. «Der medizinische Fortschritt bringt aber auch mit sich, dass immer mehr diagnostiziert und therapiert wird – und dies bis ins hohe Alter. Menschen mit chronischen Erkrankungen, wie beispielsweise Demenz und Parkinson, leben daher heute viel länger als noch vor 10 bis 20 Jahren und müssen entsprechend länger betreut werden», erklärt die Pflegewissenschaftlerin Iren Bischofberger, Programmleiterin «work & care» bei Careum Forschung und der Kalaidos Fachhochschule Gesundheit. Laut dem «Angehörigenbericht» des Bundesrats von 2014 wird die Zahl der pflegebedürftigen älteren Menschen bis 2030 um 46 Prozent zunehmen. «Dem steht ein Wandel der Familienstrukturen hin zur Kleinfamilie, eine Zunahme kinderloser Paare und eine höhere Er­­ werbsquote der Frauen gegenüber», betont Philippe Gnaegi, Geschäftsführer von Pro Familia Schweiz. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen verringern die Zahl der Angehörigen, die ihre älteren Familienmitglieder unterstützen können. Den wachsenden Betreuungsbedarf älterer Menschen kann das Schweizer Gesundheitswesen jedoch nicht >>> allein durch professionelle

Linktipps • info-workcare.ch Nationales, organisationsübergreifendes, dreisprachiges Internetportal von Travail Suisse für berufstätige, pflegende Angehörige • careinfo.ch Informationsplattform der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich zum Thema Pflege und Betreuung durch 24-StundenBetreuerinnen • alz.ch (Schweizerische Alzheimervereinigung): Beratung, Entlastungs- und Besuchsdienste, Ferienangebote und Angehörigengruppen • angehoerige-pflegen.ch Internetauftritt zum Tag für pflegende und betreuende Angehörige • caritas.ch Vermittlung professioneller 24-Stunden-Betreuerinnen aus dem europäischen Caritas-Netz • entlastungsdienste.ch Entlastungsangebote für einzelne Stunden, Tage, Wochenenden oder die Ferien • pflege-entlastung.ch (Schweizerisches Rotes Kreuz) Beratung, Besuchs-, Begleit-, Fahr- und Entlastungsdienste, Tagesstätten und -zentren • prosenectute.ch Beratung, Mahlzeiten- und Entlastungsdienst, Haushaltshilfe • proinfirmis.ch Entlastungs- und Fahrdienste, Hilfsmittel- und Sozialberatung für behinderte Menschen und ihre Angehörigen • spitex.ch Kranken- und Gesundheitspflege, hauswirtschaftliche Unterstützung, Beratung, Koordination und sozialbetreuerische Begleitung

Die Zahl der pflegebedürftigen älteren Menschen wird bis 2030 um 46 Prozent zunehmen.

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>>> und institutionelle Anbieter wie Entlastungsdienst Schweiz, Caritas, Pro Senectute, Spitex oder Schweizerisches Rotes Kreuz abdecken. «Es fehlen die notwendigen Pflegekräfte und die finanziellen Mittel», heisst es im Bericht des Bundesrats weiter. Die unentgeltliche Betreuung und Pflege durch Angehörige sei für die Zukunft des Gesundheitssystems somit bedeutend. Andererseits sollen angesichts des Fachkräftemangels sowie der Wachstumspolitik des Bundes möglichst viele Frauen erwerbstätig bleiben. Was den Druck auf pflegende Angehörige noch verstärkt. «Auch die gesundheitspolitische Prämisse ‹ambulant vor stationär› darf nicht zu einer Überstrapazierung der Ressourcen von Angehörigen führen», kommentiert Iren Bischofberger. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat beschlossen, dass der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenpflege mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss (siehe Seite 22). Wenn der Spagat zu gross wird

«Keine Leergänge», dieser Leitsatz aus dem Gastroservice könnte Jasmin Dubois’ persönlicher Wahlspruch sein. Bis zu ihrem 36. Lebensjahr, in dem ihre zweite Tochter zur Welt kam, arbeitete die Gastronomin Vollzeit. Danach pausierte sie mehrere Jahre, um schliesslich mit zwei halben Tagen pro Woche wieder einzusteigen. Durch die Erkrankung ihrer Mutter musste sie diese Teilzeitstelle jedoch aufgeben. Seitdem zahlt sie nur noch ein Mini- >>>

Lücken in der Altersvorsorge können die Existenz von pflegenden Angehörigen bedrohen. 18


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>>> mum in ihre 3. Säule ein. Um sowohl den Bedürfnissen ihrer Töch­ ter als auch denen ihrer älteren Fami­ lienmitglieder gerecht zu werden, stellt Jasmin Dubois ihre eigenen hintan. Die einzigen «Leergänge», die sie sich zurzeit erlaubt, sind kur­ ze Kaffeepausen auf ihrer Terrasse. Ihr Mann arbeitete bis vor kurzem in Solothurn, sodass er erst spät­ abends zu Hause war. Wichtige Din­ ge konnten sie unter der Woche oft nur telefonisch besprechen.

Um den Bedürfnissen ihrer Familie gerecht zu werden, stellt Jasmin Dubois ihre eigenen Bedürfnisse hintan.

Das Verständnis ist begrenzt

Ähnlich erging es Sidonia Gianella. Als hauswirtschaftliche Betriebslei­ terin führte sie 40 bis 70 Mitarbeiter. Auch für sie stand bis zur Geburt ihres Sohnes – zu diesem Zeitpunkt war sie 38 – der Beruf an erster Stel­ le. Danach pausierte sie drei Jahre und stieg mit einer Teilzeitstelle im Spielwarenfachhandel wieder in die Erwerbstätigkeit ein. Diesen Job behielt sie zunächst auch bei, als bei ihrer Mutter eine Demenz diagnos­ tiziert wurde. «Um flexibel in einem Teilzeitpensum arbeiten zu können, habe ich darauf verzichtet, in mei­ nem erlernten Beruf zu arbeiten, und war bereit, mich auf Stundenlohn­ basis anstellen zu lassen.» Ein Jahr später kündigte jedoch auch sie: Der Spagat zwischen den beruflichen und den privaten Anforderungen wurde zu gross. «Wenn eine Mutter mit ihrem Kind ins Spital muss, hat man am Arbeitsplatz Verständnis. Muss man dies mit einem Elternteil, ist das Verständnis nur begrenzt», so Gianella. Bei Absenzen für kranke und pflegebedürftige Angehörige über 15 Jahren sind Erwerbstätige gemäss Arbeitsgesetz auf freiwillige Verein­ barkeitsarrangements ihres Arbeit­ gebers angewiesen. Daraus resultie­ rende Einkommenseinbus­sen oder Vorsorgelücken können für pflegen­ de Angehörige jedoch existenzge­ fährdend sein. Betreuende Angehö­ rige entwickeln Kompetenzen in der Care-Arbeit. Manche gewin­ >>>

Literaturtipps Ich kann doch nicht immer für dich da sein: Wege zu einem besseren Miteinander von erwachsenen Kindern und ihren Eltern C. Kazis, B. Ugolini, Piper Verlag München, 2010 Berufstägige erzählen aus ihrem Alltag mit pflegebedürftigen Angehörigen K. van Holten, M. Schäfer, I. Bischofberger; Hrsg. Careum F+E Forschungsinstitut Kalaidos, Fachhochschule Departement Gesundheit, Careum Verlag Zürich, 2011 Pflegend begleiten: Ein Ratgeber für Angehörige und Freunde pflegebedürftiger Menschen – In Kooperation mit Pro Senectute und dem Schweizerischen Roten Kreuz, Careum Verlag Zürich, 2010 Irgendwie kriegen wir das schon hin: Betroffene erzählen vom Pflegealltag in den Familien E. Worg ; Pattloch Verlag München, 2013 Die Vereinbarkeit von häuslicher Pflege und Beruf W. Keck; Verlag Huber Bern, 2012 Wohnen und Pflege im Alter Katrin Stäheli Hass, Beobachter-Edition, 2011

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Betreuende Angehörige entwickeln Kompetenzen in der Care-Arbeit – viele setzen diese auch beruflich um.

>>> nen Freude daran, diese fachlich zu vertiefen und ihre Erfahrungen weiterzugeben. «Dies kann ihnen neue Perspektiven für ihre berufliche Entwicklung eröffnen», so Iren Bischofberger. Sidonia Gianella hat diese Chance ergriffen: Mitte 2016 fasste sie den Entschluss, sich beruflich neu zu orientieren. «Wenn nicht jetzt, dann nicht mehr», kommentiert sie ihr Vorhaben. Nach Abschluss einer

Pflegehelfer-Schulung lässt sie sich nun zur «Fachperson Aktivierung und Kognitionstraining für De­­ menzkranke» ausbilden. Parallel dazu arbeitet sie mit einem 60-Prozent-Pensum als Alltagsgestalterin in der Demenzstation eines Seniorenheimes. Dadurch hat sie gelernt, noch besser mit dem Verhalten ihrer Mutter umzugehen. Auch Betroffenen in späteren Krankheitsstadien eine feste Umarmung oder ein Danke zu entlocken, gibt ihr ein gutes Gefühl. Während Gianella arbeitet, kümmert sich einmal pro Woche eine Mitarbeiterin von Dementia Care, einem speziellen Betreuungsdienst des Schweizerischen Roten Kreuzes, um ihre Mutter. An einem weiteren Wochentag besucht ihre Mutter eine Tagesstätte des SRK. «Diesmal hat es geklappt», erklärt Sidonia Gianella

«Aktionsplan» des Bundesrats In den letzten Jahren wurden verschiedene parlamentarische Initiativen beim Bundesrat eingereicht, um pflegende Angehörige finanziell und zeitlich zu entlasten. Daraufhin hat das Bundesamt für Gesundheit eine schweizweite Bestandsaufnahme der Betreuungszulagen und Entlastungsangebote durchführen lassen. Auf dessen Basis erstellte der Bundesrat im Dezember 2014 einen «Angehörigenbericht» sowie einen «Aktionsplan zur Unterstützung von betreuenden und pflegenden Angehörigen». Im Februar dieses Jahres beauftragte er das Innendepartement, bis Ende 2017 eine Vernehmlassungsvorlage vorzubereiten, wie Angehörige sich für ältere Familienmitglieder engagieren können, ohne sich zu überfordern oder in finanzielle Engpässe zu geraten: Arbeitnehmer sollen das Recht erhalten, sich an ihrem Arbeitsplatz

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kurzzeitig freistellen zu lassen, um ein Fami­ lienmitglied zu pflegen. Dabei soll eine Variante mit Lohnfortzahlung ausgearbeitet werden. Ein längerer Betreuungsurlaub wird nur für Eltern schwer kranker Kinder diskutiert. Um Lücken in der Altersversorgung abzumildern, soll das Gesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung ergänzt werden: Künftig sollen auch jene Personen Betreuungsgutschriften erhalten, die Verwandte mit leichter Hilflosigkeit betreuen oder pflegen. Entlastungsangebote, wie etwa die Unterstützung durch Freiwillige oder das Bereitstellen von Ferienbetten in Alters- und Pflegeheimen, sollen ausgebaut werden. Hierzu hat das Bundesamt für Gesundheit im Rahmen der Fachkräfteinitiative das Förderprogramm «Entlastungsangebote für pflegende Angehörige 2017–2020» lanciert. Es soll dazu dienen, die Situation und die Bedürfnisse der pflegenden Angehörigen zu erforschen, gute Praxisbeispiele für Unterstützungsangebote zu sammeln und zu dokumentieren. Erste Ergebnisse werden 2018 erwartet.

Dezember 2017 / Januar 2018  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier

lächelnd. Was ihren Mann und ihren Sohn betrifft, so stehen beide hinter ihrer neuen Tätigkeit. Nur manchmal beschwert sich ihr Sohn, dass er sie wenigstens einmal im Monat einen Tag für sich haben möchte. Auch Jasmin Dubois ist mittlerweile wieder berufstätig. Sie arbeitet zwei Tage pro Woche bis 16 Uhr in einem Personalrestaurant. Damit ihre Töchter mittags versorgt sind, kocht sie ihnen das Essen vor. Am Nachmittag haben beide Unterricht. Danach eilt die Mutter nach Hause,

um sie beim Lernen zu unterstützen und sich um ihren Haushalt zu kümmern. Und alle zwei Wochen steht – wie bisher – der «Besuch» bei ihren Eltern in Mulhouse an. Grenzen abstecken

Es tue gut, die von den Eltern erfahrene Unterstützung zurückzugeben, da sind sich beide Frauen einig. Dennoch räumen beide ein, dass sie aufgrund ihrer Mehrfachbelastung bereits gesundheitliche Probleme hatten. «Moralische Wertvorstellungen, Dankbarkeit und Verant- >>>

Sidonia Gianella und Jasmin Dubois sind sich einig: «Es tut gut, die Unterstützung zurückzugeben.»

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Dezember 2017 / Januar 2018 23


In die Betreuungssituation rutschen viele Angehörige hinein – ohne zuvor die eigenen Grenzen abzustecken.

>>> wortungsgefühl dürfen die betreuenden Angehörigen nicht dazu verleiten, ihre eigenen Belast­ barkeitsgrenzen zu überschreiten», warnt Bettina Ugolini, Leiterin der psychologischen Beratungsstelle «Leben im Alter» (LiA) des Zen­ trums für Gerontologie der Univer­ sität Zürich. Nehmen Frauen einen Job an, prüfen sie zuvor genau, ob sie diesen tatsächlich leisten können. In die Betreuungssituation geraten viele Angehörige jedoch einfach hin­ ein, ohne sich zuvor deren Umfang 24

bewusst zu machen und die eigenen Grenzen abzustecken. «Mögliche Schicksalsschläge der Eltern mit ihnen gemeinsam auszu­ halten und Beistand zu leisten, be­­ deutet nicht, diese durch Selbstauf­ gabe kompensieren zu müssen», sagt Bettina Ugoli­ni. Nur wenn es gelinge, ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen des älteren Familienmitglieds und den eigenen Bedürfnissen zu finden, könne eine längere Be­­treuungsphase zusammen gemeistert werden. Dazu brauche es

jedoch Kompromisse von beiden Seiten (siehe Interview auf Seite 28). Werden die beiden Frauen ge­­ fragt, was sie sich für die Zukunft am meisten wünschen, so ist es etwas mehr Zeit für sich selbst sowie mit ihrer gesamten Familie. «Dass die verschiedenen Generationen einer Familie heute eine grössere Lebens­ spanne miteinander teilen dürfen, ist ein Privileg», so Philippe Gnaegi. Nur schade, wenn im streng getak­ teten Alltag keine Zeit dafür bleibe, dies auch zu geniessen. Unabhängig davon, welche Lö­sungswege der Bundesrat zur Entlastung der betreuenden Ange­ hörigen anstreben wird, ist sicher entscheidend, dass Angehörige nicht nur zum «Defizitausgleich im Gesundheitssystem» genutzt wer­ den, resümiert Iren Bischofberger. «Niemand darf gezwungen sein, sei­ ne Gesundheit und wirtschaftliche

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Dossier

Jasmin Dubois’ Schwiegermutter hat sich mittlerweile von ihrem Schlaganfall erholt. Doch es bleibt ein Balanceakt: Seit mehreren Jahren betreut die betagte Dame mit Hilfe einer Pflegerin ihren Mann, der durch einen Schlaganfall halbseitig gelähmt ist. Er sitzt im Rollstuhl und kann nur noch Flüssignahrung zu sich nehmen. Um die Pflege zu Hause zu erleichtern, haben ihre Söhne die Dusche umbauen und einen Hebelift am Bett anbringen lassen.

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Die Familie hofft, dass sich die betagte Dame mit der Pflege ihres Mannes nicht erneut übernimmt. Sonst wäre der Umzug in ein Heim auf Mallorca oder in der Schweiz vermutlich unvermeidbar. Denn eine weitere Betreuungsaufgabe kann Jasmin Dubois nicht schultern. *Name der Redaktion bekannt

Yvonne Kiefer-Glomme

ist Biologin und arbeitet als freie Journalistin. Die 44-Jährige kennt das Thema Sandwich-Generation aus eigener Erfahrung: Zusammen mit ihrer 7-jährigen Tochter und ihrem Mann wohnt sie im Aargau. Parallel zu Beruf und Familie kümmerte sie sich in den letzten fünf Jahren um ihren sehbehinderten Vater.

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Es bleibt ein Balanceakt

Die Schwiegermutter hat sich vom Schlaganfall erholt – und betreut nun wieder ihren halbseitig gelähmten Mann.

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Existenz für ältere Angehörige zu opfern, weil keine bezahlbaren, bedarfsgerechten oder qualitativ ausreichenden Unterstützungsangebote zur Verfügung stehen.»


Dossier

« Kneif mich, wenn ich wie ein Erstklässler mit dir rede» Mehrmals pro Woche fährt Sidona Gianella zu ihrer demenzkranken Mutter und begleitet sie zu Arztterminen, trifft Absprachen mit den Dienstleistern, die ihr die Bewältigung ihres Alltags ermöglichen. Oder sie hört ihr einfach zu. «Ich weiss nie, was mich erwartet, jeder Tag ist anders», sagt die Tochter. Ein Protokoll. Aufgezeichnet: Yvonne Kiefer-Glomme

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obald mein Sohn in der Schule ist und ich dienstfrei habe, fahre ich zu meiner Mutter. Wenn kein Arzt- oder Coiffeurtermin ansteht, können wir uns erst einmal unterhalten. Meist sind es banale Dinge, über die wir reden. Doch dabei kann ich abtasten, in welcher Stimmung sie ist. Manchmal erzählt mir meine Mutter zwei- oder dreimal das Gleiche, und ich muss versuchen, unserer Unterhaltung eine Struktur zu geben. Ich mache uns einen Kaffee und versuche die Punkte anzusprechen, die ich heute mit ihr besprechen möchte. Bei manchen Themen blockt sie erst einmal ab. «Mama, es wird einmal die Woche eine Dame 26

vom Roten Kreuz zu dir kommen, damit du nicht alleine bist, während ich arbeite.» In solchen Fällen brauche ich drei bis vier Besuche bei ihr und muss mich immer wieder zu dem kritischen Thema vortasten. «Ich habe gehört und verstanden, was du mir gesagt hast», sagt sie dann irgendwann. Meine Mutter hat eine seltene Form von Demenz. Ihr Zustand kann von einer Minute auf die andere wechseln. «Kneif mich in den Arm, wenn ich wie ein Erstklässler mit dir rede», habe ich daher mit ihr vereinbart. In diesen klaren Momenten bin ich die Tochter, die mit ihr spricht, sie tröstet, ihr Mut macht, wenn sie ihren Gesundheitszustand realisiert. Ich sage ihr, dass sie nun, mit 77, einfach Leute hat, die für sie denken. Ist sie in ihrer eigenen Welt, ist es besser, ich wechsle in die Rolle der Betreuerin. Diese Distanz tut mir gut. So kann ich ihr helfen, ohne zu stark mitzuleiden. Gegen das zunehmende Vergessen kann ich nichts tun. Es ist ein Abschiednehmen auf Raten.

Die meiste Zeit verbringen wir damit, ihre Termine in ihre Agenden einzutragen. Dafür hat meine Mutter einen grossen Wandkalender, einen Tischkalender und eine Handtaschenagenda. Die Agenden helfen ihr, sich zeitlich zu orientieren. Diese Fähigkeit möchte ich ihr so lange wie möglich erhalten. In alle drei trägt sie mit Bleistift ihre Termine ein und markiert sie jeweils mit einem Leuchtstift. Das Gedächtnistraining ist gelb, die Besuche der Spitex-Mitarbeitenden grün. Pro Be­such nehmen wir uns meist nur einen bestimmten Wo­­ chentag vor. Das kann bis zu fünf Stunden dauern. Oft kann sie nur zwanzig Minuten am Stück bei der Sache bleiben.Wenn ihre Konzen­

«Gegen das zunehmende Vergessen meiner Mutter kann ich nichts machen. Es ist ein Abschiednehmen auf Zeit.»

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«Manchmal wird alles zu viel. Dann fahre ich in die oberste Etage eines Parkhauses, schaue in den Himmel. Zehn Minuten nur für mich.» tration nachlässt, schauen wir uns draussen Blumen an oder sehen nach ihrer Katze. Manchmal hat sie zwischendurch eine depressive Phase. Dann versuche ich sie zu trösten und abzulenken. In solchen Momenten fragt sie mich manchmal, ob sie nun ihre Koffer packen und in ein Heim ziehen muss. Natürlich möchte ich ihr das ersparen. Es ist schwer, sich abzugrenzen. Sobald ihr das

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Denn von meiner Mutter kann ich keine Dankbarkeit mehr erwarten. Hierzu ist sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr in der Lage. Sobald mein Sohn am Nachmittag Besuch von Freunden hat, kümmere ich mich um all das, was im Haushalt liegen geblieben ist. Und trotzdem habe ich immer das Ge­­ fühl, meiner To-do-Liste hinterherzuhinken. Manchmal wird alles zu viel. Dann muss ich für einen kurzen Moment aus meinem «festen Stundenplan» ausbrechen und irgendwo hinfahren. Nach dem Einkauf für eine Tasse Kaffee. Oder ich fahre in die oberste Etage eines Parkhauses und schaue in den Himmel. Zehn Minuten nur für mich, durchatmen, niemandem Rechenschaft ablegen. Dann bin ich wieder einsatzbereit.

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Mittagessen gebracht wird, versuche ich mich zu verabschieden. «Wie, du gehst schon?», fragt sie manchmal, auch wenn wir schon Stunden zusammensitzen. Ich darf ihr nicht böse sein. Zu Hause wartet mein 14-jähriger Sohn. Ich weiss, dass er sich mehr Zeit mit seiner Mutter wünscht, er hat es mir gesagt. Ich merke, wie ich seine Bedürfnisse vernachlässige – und fühle mich oft schuldig deswegen. Meine Mutter, mein Sohn, mein Mann: Einer muss immer auf mich warten. Aber meine neue Stelle wieder aufgeben? Das möchte ich nicht. Die Arbeit im Seniorenheim ist ein wichtiger Ausgleich für mich und hilft mir, Grenzen gegenüber meiner Mutter abzustecken. Und sie gibt mir die Selbstbestätigung, die ich brauche.

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Dossier

« Die Betreuung von Angehörigen bringt viele aus dem Tritt» Jeder fünfte Erwerbstätige würde sein Berufsleben anders organisieren, wenn die Betreuung für kranke und pflegebedürftige Angehörige besser gelöst wäre. Iren Bischofberger, Leiterin des Forschungs- und Entwicklungsprogramms «work & care», über Eltern, die bei der Care-Arbeit an ihre Grenzen stossen – und wie sie besser unterstützt werden können. Interview: Yvonne Kiefer-Glomme

Frau Bischofberger, warum kommen Angehörige betreuungsbedürftiger älterer Menschen trotz des bisherigen Entlastungsangebots häufig an ihre Grenzen?

Manche Angehörige geraten plötzlich – andere eher schleichend – in die Pflege- und Betreuungsrolle. Wichtig ist immer, dass sie ihre Aufgaben nicht allein schultern müssen. Dazu brauchen sie jedoch eine passgenaue und finanzierbare Unterstützung. Je länger Angehörige alles selber machen, desto schwieriger wird das Delegieren an andere Personen. Manchmal scheitert dieses aber auch am Widerstand des zu betreuenden Familienmitglieds. Hinzu kommt, dass bestimmte Hilfsangebote und finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten nicht bekannt sind oder im Informationsdschungel nicht gefunden werden. Was braucht es also?

Angehörige benötigen alltagsnahe und mehrsprachige Informationsangebote in Form von Internetplattformen und individueller Beratung am Telefon, im betreffenden Haushalt oder in Schulungen. Auch der Austausch mit Gleichgesinnten in Angehörigengruppen, die von 28

geschulten Personen geleitet werden, kann hilfreich sein. Welche Rolle spielen die Kosten und die Verfügbarkeit der Angebote?

Die Kosten für Hilfsangebote beziehungsweise der hohe Eigenanteil sind ein häufiges Problem. Beratungsangebote, betreutes Wohnen, alltägliche Handreichungen im Haushalt, Fahr- und Entlastungsdienste, die nach Hause kommen, und der Verleih von Hilfsmitteln sind in der Regel kostenpflichtig und werden nur bedingt subventioniert. Dabei wäre es sowohl sozial als auch volkswirtschaftlich wünschenswert, wenn ältere Menschen möglichst lange in ihrem gewohnten Umfeld verbleiben können. Werden Kosten übernommen, sind die Anspruchsbedingungen oft restriktiv und die Antragsverfahren bedeuten eine zusätzliche Hürde. Dafür haben Angehörige oft weder Zeit noch Kraft.

flexible und aufeinander abgestimmte Angebote, die auch kurzfristig genutzt werden können. Was sollte bei der Unterstützung von Angehörigen verbessert werden?

In manchen Gemeinden können sich pflegende Angehörige bei der Spitex anstellen lassen. Dies ermöglicht ihnen ein Einkommen und Sozialleistungen. Da die Stellenprozente nur für Pflegeleistungen vergeben werden, die gemäss dem Krankenversicherungsgesetz anerkannt sind, bringt eine solche Anstellung jedoch nur eine geringe Stundenzahl. Der hauswirtschaftliche und betreuerische Teil der Care-Arbeit der Angehörigen, der eine Bewältigung des Alltags ermöglicht, kann bisher leider nicht angerechnet werden.

Gibt es weitere Hürden?

Ein Teil der Angehörigenbetreuung besteht aus organisatorischen Aufgaben, die nicht zwingend vor Ort erbracht werden müssen – wie etwa die Suche nach Dienstleistern und deren Koordina­tion.

Auch die mangelnde regionale und zeitliche Verfügbarkeit bestimmter Dienstleistungen und deren fehlende Koordination können die Annahme externer Hilfe erschweren. Angehörige benötigen bedarfsgerechte,

Bisher wurde noch kaum erkannt, welcher zeitliche Aufwand mit diesen koordinativen Aufgaben verbunden ist. Und was es bedeutet, wenn diese zusätzlich zu Beruf, eigenem Haushalt und der Kinderbetreuung

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geleistet werden müssen. Entlastungsangebote und ihre finanzielle Unterstützung müssen ein modernes Familienbild berücksichtigen und daher breiter angelegt sein. Sie sollten auch für Angehörige gelten, die aus grösserer räumlicher Entfernung ihre älteren Familienmitglieder unterstützen.

Aufgaben delegiert werden und welche Organisationen diese übernehmen können. Dazu gehört auch die Abklärung von Hilfsmitteln und gegebenenfalls die Anpassung der Wohnsituation. Schlagen Sie Ihrem Angehörigen verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten vor und beziehen Sie falls nötig eine FachWie kann ich mich aktiv auf die kraft als Vermittlerin ins Gespräch Versorgung eines älteren Angehörigen mit ein. Im Idealfall übernimmt dievorbereiten? se dann die Absprachen mit den Setzen Sie sich mit Ihrem Angehö- Dienstleistern sowie den Kostenträrigen zusammen, um dessen Unter- gern. Ausserdem sollte die Fachperstützungsbedarf und seine Erwar- son den Betreuungs- oder Pflegeprotungen zu eruieren. Erstellen Sie zess begleiten und in Abständen gemeinsam einen typischen Zeit- immer wieder eine Standortbestimplan, in dem alle seine Aufgaben mung mit allen Beteiligten vornehaufgeführt sind, und besprechen Sie, men. Pflegeexperten, die die Funkwelche ihm am schwersten fallen. tion eines solchen Gesundheitslotsen Listen Sie alle Familienmitglieder, übernehmen können, bezeichnet Freunde und Nachbarn auf, die mit- man als «Case Manager» oder helfen könnten. Besprechen Sie die- «Angehörigen-Supporter». sen Plan vorausschauend mit allen Woran erkennen Angehörige, dass sie Beteiligten. Analysieren Sie auch sich überfordern? Ihre eigenen Stärken und Grenzen. Hilfreich kann ein sogenanntes Dann können Sie – nach Absprache Belastungsinventar sein. Dieser spemit ihrem Partner und ihren Kin- zielle Fragebogen sollte gemeinsam dern – entscheiden, welche Aufga- mit einer Fachperson ausgefüllt und ben Sie leisten können und welche besprochen werden. Dieses Instruandere übernehmen sollten. ment ist auch nützlich, wenn sich ein Gibt es institutionelle Unterstützung? Elternteil noch um den anderen Informieren Sie sich bei der örtli- kümmert, aber Anzeichen von chen Spitex, dem Sozialdienst oder Erschöpfung zeigt oder Mühe hat, einer anderen Fachstelle, welche den Alltag zu bewältigen.

Was ist im Umgang mit dem Arbeit­ geber zu beachten?

Bevor erwerbstätige Angehörige Unterstützungsaufgaben übernehmen, sollten sie frühzeitig mit Ihrem Arbeitgeber abklären, ob eine Änderung der Arbeitszeiten respektive des Arbeitsmodells oder notfalls ein längerer unbezahlter Urlaub möglich sind. Allerdings muss der Arbeitnehmer genau prüfen, welche langfristige Festlegung mit den einzelnen Arbeitszeitmodellen verbunden ist.

Zur Person

Iren Bischofberger ist Pflegefachfrau und studierte betriebliches Gesundheits­management und Pflegewissenschaft an der Universität Basel, wo sie auch doktorierte. Heute arbeitet sie als Prorektorin an der Kalaidos Fachhochschule Gesundheit in Zürich, leitet den Studiengang Master of Science in Nursing und ist seit zehn Jahren verantwortlich für das Programm «work & care» am departementseigenen Forschungsinstitut Careum Forschung.

Im nächsten Heft:

Familie der Zukunft Gleichgeschlechtliche Partnerschaft, Co-­Parenting, Leihmutterschaft: Ist die traditionelle bürgerliche

Bild: iStockphoto

Kleinfamilie ein Auslaufmodell? Unser Dossier im Februar 2018.

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Psychologie & Gesellschaft

Mehr Zeit mit der Familie Zeit ist ein rares Gut geworden. Umso wichtiger ist es, sich bewusst Freiräume mit der Familie zu gönnen: Zeit zum Ausspannen, zum Spielen, zum Zuhören. Gemeinsame Momente mit den Kindern schaffen Nähe und helfen, den Alltag besser zu meistern. Text: Susan Edthofer

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tändig stehen wir unter Zeitdruck und hetzen von Termin zu Termin. Gedanklich befinden wir uns immer ein Stück weit in der Zukunft. Weil wir so eingespannt sind, wünschen wir uns mehr Freiräume – ein Wunsch, den auch Kinder hegen. Sie möchten sich mit Freundinnen und Freunden treffen und unverplant in den Tag hinein­ leben. Auch Zeit zum Spielen ist notwendig, und es ist schön, wenn Mama oder Papa einfach mal mitspielt. Auf die Bedürfnisse der Kinder achten

Vor allem jüngere Kinder geniessen es, wenn sich die Eltern mit ihnen abgeben oder die Familie gemeinsam etwas unternimmt. Bei den älteren Kindern verändern sich die Bedürfnisse: Teenager streben zwar nach mehr Unabhängigkeit, schätzen es aber ebenfalls, wenn sich Eltern für ihre Belange interessieren. Trotz Berufstätig­ keit und voller Agenda nehmen sich Eltern heutzutage mehr Zeit für ihre Kinder als beispielsweise vor fünfzig Jahren. Wichtig ist jedoch, die gemeinsame Zeit auch kindgerecht zu nutzen. Gemeinsame Erlebnisse stärken die Bindung zwischen Eltern und Kindern und schaffen eine Vertrauensbasis. Auf einer soliden Grundlage fällt es leichter, schwierige Themen anzusprechen. Zeitfresser im Alltag

Eine zentrale Aufgabe der Eltern besteht darin, den Familienalltag zu managen. Arbeits- und Stundenpläne müssen koordiniert werden, und man hat sich mit Gege­ benheiten zu arrangieren, die Zeit wegfressen. Geplant werden muss auch, welcher Elternteil für die Betreuung der Hausaufgaben zuständig ist, wer einkauft, die Kinder zum Training oder Musikunterricht bringt und dort abholt. Auch inhaltlich fallen anspruchsvolle Aufgaben an. Weil es nicht allen Eltern möglich ist, das Kind etwa beim Hausaufgabenmachen zu unterstützen, braucht es Angebote, die für alle Kinder zugänglich sind. Familienzeit bewusst einplanen

Nicht jede Familie verfügt über die entsprechenden Mit­ tel, um dem Kind jede Art von Freizeitbeschäftigung zu ermöglichen. Der Anspruch auf Familienzeit ist also 30

«Schenken Sie Ihrem Kind  spontan ungeteilte Aufmerksamkeit.»

auch eng verknüpft mit den finanziellen Möglichkeiten. Statt teure Geschenke unter den Weihnachtsbaum zu legen, könnte man sich zum Jahresende vorneh­ Susan Edthofer ist Redaktorin men, die Momente mit der Familie im Bereich Kommunikation bewusster zu gestalten. Vielleicht schenkt von Pro Juventute. man einander nur ein kleines Päckchen und fügt Zeitgutscheine hinzu, die man übers Jahr einlösen darf. Im Vorfeld könnte man die Anzahl der Gutscheine in einem Familienrat festlegen und sie mit der Auflage verknüpfen, dass die Aktivitäten nichts kosten dürfen. So wird das Budget geschont und die Fantasie der Familienmitglieder angeregt. Zudem profitieren alle, wenn innerhalb der Familie mehr Gemeinsamkeiten gepflegt werden.

Was Eltern tun können – vier Tipps • Achten Sie darauf, die Zeit, die Sie mit Ihrem Kind verbringen, nach seinen Wünschen zu gestalten. Lassen Sie sich von seinen Bedürfnissen leiten, machen Sie aber auch Einschränkungen, damit Sie Ihr Programm realistisch planen können. • Schenken Sie Ihrem Kind immer mal wieder spontan einen Moment ungeteilter Aufmerksamkeit. Lassen Sie diese Augenblicke durch nichts unterbrechen. Kinder freuen sich, wenn Eltern sich unerwartet für sie Zeit nehmen, um mitzuspielen oder zuzuhören. • Überlegen Sie zusammen mit Ihren Kindern, wie gemeinsame Zeitgefässe gefüllt werden könnten. • Schenken Sie einander Zeitgutscheine, die mit der Auflage verbunden sind, dass die Aktivitäten nichts kosten dürfen. So regen Sie die Fantasie Ihres Kindes an. Zudem lernt Ihre Tochter, Ihr Sohn, sich aktiv an der Freizeitplanung zu beteiligen.

Pro Juventute Elternberatung Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (058 261 61 61) oder online (www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag, zu Erziehung und Schule stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen keine Kosten an. In den Elternbriefen und Extrabriefen finden Eltern ­Informationen für den Erziehungsalltag. Mehr Infos: www.projuventute.ch

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Psychologie & Gesellschaft

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Monatsinterview

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Monatsinterview

« Mein Ding ist die Provokation» Jesper Juul ist einer der bedeutendsten Familientherapeuten Europas. Millionen Menschen kennen seine Bücher, suchen seinen Rat. Was nur wenige wissen: Der 69-Jährige ist vom Brustkorb abwärts gelähmt. Mit uns sprach Jesper Juul über seine Arbeit nach dem grossen Schicksalsschlag, den Zwang nach Harmonie – und er erklärt, warum Erziehung nicht funktioniert. Interview: Caroline Märki, Evelin Hartmann, Nik Niethammer Übersetzung: Claudia Landolt Bilder: Franz Bischof

Jesper Juul auf der Dachterrasse seiner Penthousewohnung im 3. Stock eines Backsteinhauses in Odder im Osten Dänemarks.


Monatsinterview

Odder südlich von Aarhus im Osten Dänemarks. Eine Kleinstadt mit knapp 12 000 Einwohnern. Einzige Sehenswürdigkeit: die Odder-Kirche von 1150 n. Chr., die älteste Gemeindekirche des Landes.Jesper Juul wohnt in einem Backsteinhaus im dritten Stock. Die Besucher gelangen über eine Aussentreppe nach oben. Auf der Dachterrasse stehen Kräuterbeete. An der grauen Wohnungstür ist ein Schild angebracht: Jesper Juul. Die Tür öffnet sich automatisch. Jesper Juul rollt in seinem elektrischen Rollstuhl heran. Der Familientherapeut lebt allein. Die Wohnung ist rollstuhlgängig, hell, aufgeräumt, modern. Parkett, kaum Möbel, viele Dachschrägen. Auf dem Esstisch liegen Medikamente, an einer Wand hängen Bilder von seinen Enkel­ kindern. Jesper Juul kann nicht am Tisch arbeiten. Er hat sich ein Tablett auf den Schoss gelegt. Darauf ist sein Notebook. So schreibt er seine Bücher und Kolumnen. Es ist kurz nach 18 Uhr. Die Medikamente wirken und machen Jesper Juul müde. Er hat Mühe, sich zu konzentrieren. Trotzdem hört er aufmerksam zu, beantwortet geduldig unsere Fragen. Erzählt von seiner Hoffnung auf weniger Schmerzen. Und seiner Idee, seinen 70. Geburtstag im nächsten Frühjahr mit vielen Freunden zu feiern. Herr Juul, für viele Eltern sind Sie Europas bedeutendster Pädagoge, eine Art Übervater der Erziehung. Wie fühlt sich das an?

Es ist nichts, was ich anstrebe. Als ich 1975 mit Familien zu arbeiten begann, hat niemand über Erziehungsmethoden gesprochen. Deshalb unterscheidet sich mein Ansatz auch von jenen der anderen Experten. Meine Gedanken entspringen der Ansicht, dass nicht ich, sondern die Millionen Mütter und Väter auf der Welt die besten Experten für ihre Kinder sind. Sie verdienen diesen Titel mehr als ich. Also all jene, die Ihren Rat suchen und Ihre Bücher kaufen.

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Sie sind es, die täglich ihr Bestes geben. Genau deshalb interessieren mich die rein intellektuellen Debatten über Erziehung nicht. Wir sind alle grundverschieden. Wir sind von unserer eigenen Geschichte, von unserer Herkunftsfamilie, von Konventionen, Kultur und Gesellschaft beeinflusst. Stellen Sie in einer Familie eine Kamera auf und beobachten Sie die Eltern, wenn sie jeweils alleine mit ihren Kindern sind. Sie werden staunen! Nicht einmal innerhalb

«Europas bedeutendster Pädagoge? Millionen Mütter und Väter verdienen diesen Titel mehr als ich.» der Familie ist man sich über Erziehung einig, selbst wenn man dieselben Wertvorstellungen hat und sich auf der gleichen intellektuellen Ebene befindet. Wie soll man da allgemeingültige Ratschläge geben? Man bezeichnet Sie auch als Familienflüsterer.

Diese Bezeichnung mag ich. Ich verstehe sie als ein Kompliment. Für einige klingt sie provokativ.

Mein Ding ist die Provokation. Darin, glaube ich, bin ich erfolgreich. Ich provoziere, weil ich mir erhoffe, dass Erzieher und Eltern so über den eigenen Tellerrand blicken und eine andere Perspektive einnehmen können. Im Englischen nennt man dies «out of the box»-Denken. Sie bedauerten Kinder, die von ihren Eltern nach dem juulschen Gedankengut erzogen würden, sagten Sie in einem Interview. Warum?

Weil ich stark der Meinung bin, dass zwischen zwei Menschen, die sich in einer liebesbasierten Beziehung zueinander befinden, keine intellektuel-

le Methode stehen soll. Auch keine Juul-Methode. Ich möchte gar keine Methode. Ich glaube vielmehr, dass wir spontan im Hier und Jetzt agieren und aus unseren ureigenen Erfahrungen lernen sollten. Wollen wir uns verändern und etwas lernen, müssen wir unser Tun reflektieren und in einen Dialog treten mit den Personen, die wir lieben. Sie sagten einmal, es sei furchtbar gewesen, Kind zu sein. Was war an Ihrer Kindheit furchtbar?

Furchtbar war, dass weder meine Eltern noch meine Lehrpersonen sich für mich interessierten; dafür, wer ich war und wie ich mich fühlte, was ich dachte und welche Ideen ich


hatte. Sie interessierten sich einzig für mein Verhalten – wie ich mit der Aussenwelt agierte und kooperierte. Über Ihre Mutter äusserten Sie sich so: «Sie war wie viele Mütter, sie dachte nur an sich und nie daran, was für diesen Jungen gut wäre.» Das klingt sehr hart.

Meine Mutter gehörte zu einer Generation, in der Mütter zu ihren Kindern eine viel engere Bindung hatten als zu ihren Männern. Diese Frauen kamen emotional zu kurz, waren ausgehungert nach Zuneigung und Liebe. Unter anderem deshalb wurden ihre Kinder zu ihren engsten Verbündeten. Diese Beziehungen zwischen Müttern und Kindern

waren aber oft auch befrachtet mit Erlebnissen und Emotionen, die in die Erwachsenenwelt gehörten und nicht in die Kinderwelt.

Wie ist heute Ihr Verhältnis zu Ihrem Sohn?

Wir haben eine enge, aber entspannte Beziehung. Wir sind beide eher Sie haben einen erwachsenen Sohn, introvertierte Menschen. Wir lieben Nicolai, aus erster Ehe. Er ist heute es zusammenzusitzen, zu kochen 44 Jahre alt. Was ist das Wichtigste, und zu schweigen. Wir können stundas Sie ihm mitgegeben haben? denlang zusammen sein und keiner Ich habe gerade kürzlich mit ihm sagt ein Wort. darüber geredet. Er sagt, das Wich- Welchen Erziehungsstil haben Sie tigste sei für ihn gewesen, dass seine vertreten, eher partnerschaftlich oder persönliche Integrität immer unan- antiautoritär? getastet geblieben sei und er seine Als wir eine Familie gründeten, Persönlichkeit habe frei entfalten waren meine Frau und ich uns einig, können. Da bin ich mit ihm gleicher dass wir das patriarchale FamilienMeinung. Ich habe nicht versucht, konzept für uns nicht wollen. Ich war ihn nach meinen Vorstellungen zu vielleicht der erste oder mindestens erziehen. einer der wenigen Väter, der >>>

Jesper Juul hat mehr als zwei Dutzend Bücher geschrieben. Dennoch sagt er: «Ich gebe keine Ratschläge.»


Monatsinterview


Monatsinterview

>>> die Geburt des eigenen Kindes im Gebärsaal miterlebte. Das war eine sehr lehrreiche und prägende Erfahrung für mich! Sicher hatte meine Entscheidung, als Vater zu Hause zu bleiben, damit zu tun. Sie sind zu Hause geblieben?

Als mein Sohn zehn Monate alt wur­ de, blieb ich tagsüber zu Hause bei ihm. Zwei Jahre lang. Meine Frau studierte damals noch und ging zur Universität. Sie kam gegen 15 Uhr nach Hause. Meine Arbeit in einem Kinderheim begann um 16 Uhr und dauerte bis 23 Uhr. Was war das für ein Kinderheim?

Dort wurden Kinder platziert – von der Gemeinde oder vom Staat – , die nicht mehr zu Hause bei den Eltern bleiben und auch keine Regelschule besuchen konnten. Sie waren zwi­ schen 9 und 15 Jahre alt und blieben 8 bis 24 Monate.

«Ich provoziere, weil ich mir erhoffe, dass Erzieher und Eltern so über den Tellerrand blicken.» Sie und Ihre damalige Frau haben Ihren Sohn gemeinsam erzogen. War das für Sie stimmig?

Zum damaligen Zeitpunkt war es stimmig. Aber ich war nie zufrieden mit meiner Vaterrolle. Warum?

Ich war ein weicher, vielleicht sogar fauler Vater – in dem Sinne, dass ich viel weniger eingriff, als man das von Vätern erwartet hätte. Ich erkannte, dass Nicolai Dinge für sich selbst herausfand, wenn ich ein Jesper Juul paar Minuten wartete. Oder ein paar leidet an einer Stunden. Oder Tage. Ohne meine Entzündung des Besserwisserei entstanden Konflik­ Rückenmarks. Die te gar nicht erst. Ich hatte allerdings Krankheit kam auch Angst, dass ich Nicolai scha­ ohne Vorwarnung. den könnte. Deshalb war ich sicher

manchmal passiver, als ich es hätte sein sollen. Inwiefern?

Mein Sohn war ein talentierter Bad­ mintonspieler. Er trat auch bei Tur­ nieren an. Doch plötzlich wollte er nicht mehr spielen, weil sein Trainer ihn zu sehr unter Druck setzte. Damals verstand ich seine Gründe. Heute glaube ich, ich hätte ihn stär­ ker überzeugen sollen, weiterzuma­ chen. Aber ich hatte eben Angst, den Druck, den er eh schon gespürt hat­ te, noch zu verstärken. Wie haben Sie Ihren ganz persönlichen «Erziehungsstil» gefunden?

Wie alle Eltern: nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Also die Methode, bei der so lange zulässige Lösungsmöglichkeiten ausprobiert werden, bis die gewünschte Lösung gefunden wird. Oder sich die eigene Sicht auf das Ganze verändert hat. Fehlschläge gehören dazu. Was bei uns noch hinzukam, war der Wunsch, es besser zu machen als die Generation vor uns. Gibt es etwas, das Sie heute als Vater anders machen würden?

Ich würde in den ersten Jahren weni­ ger tyrannisch sein. Wie meinen Sie das?

Wenn wir in den ersten drei bis vier Jahren mit unseren Dickköpfen anei­ nandergeraten sind, habe ich meinen Sohn hart am Arm gepackt. Ich war auch zornig und laut. Diese Jahre waren für mich sehr lehrreich – für Nicolai eher weniger, fürchte ich. Was ist das Beste, das Ihnen im Leben passiert ist?

Ich mache in meinem Leben keine Unterscheidungen zwischen gut und schlecht. Jede Erfahrung war und ist wertvoll und hat mein Leben berei­ chert. Auch die schmerzvollen. Sie haben über zwei Dutzend Bücher geschrieben, in denen Sie Eltern Erziehungsratschläge geben.

Ich gebe keine Ratschläge. Ich plä­ diere für Dasein, nicht für Pädago­ gik. Ich habe oft gesehen, dass Eltern ihre eigenen Maximen einfach durch meine Werte und Prinzipien ersetzt

haben. Das ist nie meine Absicht gewesen. Welches Buch möchten Sie unbedingt noch schreiben?

Ich möchte unbedingt eine neue Ver­ sion meines 1996 erschienenen Buches «Das kompetente Kind» ver­ fassen. Ein Buch über Selbstwert und Selbstvertrauen liegt mir ganz be­­

«Ich will nicht, dass Eltern ihre eigenen Maximen durch meine Werte und Prinzipien ersetzen.» sonders am Herzen. Beides sind ganz essenzielle Fähigkeiten in der heuti­ gen Gesellschaft und wichtige Vor­ aussetzungen für die psychische Gesundheit. Ihre Kolumnen, auch in diesem Magazin, sind nach wie vor sehr gefragt. Wie schwer fällt Ihnen heute, angesichts Ihrer Krankheit, das Schreiben?

Kolumnen oder Texte zu verfassen, die Fragen von Eltern zu beantwor­ ten, die Alltagssituationen oder Pro­ bleme betreffen, ist für mich nie anstrengend. Auch heute nicht. Sie haben nur noch wenig persönlichen Kontakt zu Eltern und Kindern. Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass Ihre Tipps und Empfehlungen «aktuell» sind?

Die grösste Veränderung ist, dass immer mehr Eltern Erziehung nicht mehr nach dem Prinzip Belohnung und Strafe verstehen. Das bedeutet, dass sie ganz tief innen interessiert sind, neue Wege zu gehen und eine neue Sprache mit ihren Kindern zu sprechen. Sie sind also an einem sehr kreativen und fruchtbaren Punkt angelangt, in dem Inputs wie meine nicht einfach per se abgelehnt wer­ den, sondern auf mehr Interesse stossen. Nur so wird ein Perspekti­ venwechsel möglich. >>>

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Monatsinterview

>>> Wurden Sie je missverstanden? 1997 schrieb ich über Gleichwürdigkeit. Dieses Wort bringt zum Ausdruck, dass Kindern von Geburt an die gleiche Würde innewohnt wie Erwachsenen. Viele verstanden dies falsch und meinten, dass Kinder im demokratischen Sinne gleich sind wie Erwachsene. Was ist denn der Unterschied zwischen Gleichheit und Gleichwür­ digkeit?

In einer Familie haben die Erwachsenen die ganze Macht, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind und diese gar nicht haben wollen. Gleichwürdigkeit heisst, dass Eltern ihre Kinder genauso ernst nehmen wie sich selbst, indem sie deren Bedürfnisse, Wünsche, Träume und Ambitionen einbeziehen und nicht auf den Hinweis des Geschlechtes, des Alters oder der Behinderung abtun.

«Kinder brauchen nichts als die Gegenwart von Erwachsenen, die sich menschlich und sozial verhalten.» Warum ziehen Eltern den Ausdruck Gleichheit vor?

Weil vermutlich viele den Begriff Gleichwürdigkeit nicht kennen. Sie hören sofort das Wort Gleichheit und interpretieren es so, dass Kinder den Erwachsenen gleichgestellt sind. Aber darum geht es ja nicht. Es geht um Gleichwürdigkeit. Kinder von Anfang an als gleichwürdige Menschen zu akzeptieren, heisst, sie als Subjekt wahrzunehmen, statt sie zum Erziehungs-, Liebes- oder andersartigen Objekt zu machen. Das müssen Sie genauer erklären. Erziehungsmethoden zielen auf eine Verhaltensänderung und machen Menschen zu Objekten. Damit läuft 38

man Gefahr, den Kontakt zu sich selbst und seinem Gegenüber zu verlieren. Können Sie ein Beispiel nennen?

Eltern wollen wissen, was man mit einem acht Monate alten Baby macht, das nicht schlafen will. Sie fragen mich, was man mit diesem Kind machen soll, und setzt es so einem Objekt gleich. Sie sagen: Herr Juul, geben Sie mir eine Methode, ein Werkzeug. Aber so etwas gibt es nicht. Die Frage ist vielmehr: Bin ich bereit, dieses Kind als Mensch wahrzunehmen, oder will ich ein Funktionskind? Eine Ihrer Kernthesen lautet: Erziehung funktioniert nicht.

Kinder werden mit allen sozialen und menschlichen Eigenschaften geboren. Um diese weiterzuentwickeln, brauchen sie nichts als die Gegenwart von Erwachsenen, die sich menschlich und sozial verhalten. Jede Methode ist nicht nur überflüssig, sondern kontraproduktiv. Reicht es als Eltern nicht, sich auf ihr Gefühl zu verlassen?

Das geht nur, wenn man Herz und Verstand gebraucht. Und zwar in dieser Reihenfolge. Sich nur auf das Gefühl zu verlassen, reicht nicht. Was brauchen Kinder heute?

Kinder brauchen Rückenwind von ihren Eltern. So sagt man es in Dänemark. Es bedeutet: eine liebevolle Begleitung, kein Zurechtweisen. Kinder brauchen so viel Selbstwertgefühl wie möglich. Das ist das Allerwichtigste. Warum?

Es liegt daran, dass Erwachsene die Kinder von klein auf schubladisieren. Sie haben ein Bild von ihrem Kind und sagen: «So bist du!» Es ist hyperaktiv, schüchtern, sensibel oder aggressiv. Das Kind als solches, ohne Attribute und Schablonen, existiert nicht mehr. Aus Kindersicht braucht es sehr viel Kraft, sich dagegenzustemmen. Dazu wiederum ist es nicht fähig, wenn es sich nicht gut kennt. Was bedeutet ein gutes Selbstwert­ gefühl im juulschen Sinne?

Trotz seiner schweren Erkrankung hat Jesper Juul nicht aufgehört zu arbeiten.

Es bedeutet: Ich kenne mich und nehme mich mit allen Ecken und Kanten an. Ein gutes Selbstwertgefühl ist wie ein soziales Immunsystem: Es wehrt Angriffe auf die eigene Persönlichkeit von aussen ab. Denn Eltern, Lehrpersonen und auch Therapeuten gehen oft von einem universalen Kind aus: So solltest du sein, und wenn du nicht so bist, bist du falsch. Sie halten nichts davon, Kindern Grenzen zu setzen?

Heute meinen alle, man müsse Grenzen setzen. Das hat für mich so einen halbreligiösen Touch. Kinder brauchen keine Grenzen. Sie haben doch schon überall Grenzen. Was wichtig ist: Jeder Mensch hat seine eigenenen

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Monatsinterview

Grenzen, die er nach aussen hin wahren muss – auch gegenüber Kindern. Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich habe gerade eine Familie in Deutschland mit einer fünfjährigen Tochter beraten. Das Mädchen war für die Eltern und die grosse Schwester sehr provozierend. Die Eltern haben immer Ja zu ihm gesagt, weil sie einem Konflikt aus dem Weg gehen wollten. Und manchmal haben sie versucht, Nein zu sagen. Aber Nein sagen kann man nicht versuchen. Man kann «Vielleicht» sagen oder «Bitte warte, ich muss darüber nachdenken» – aber ein Nein sagen, ohne es auch wirklich so zu meinen, geht nicht. Was haben Sie ihnen geraten?

Diese Eltern mussten lernen, dass sich das Kind abgelehnt fühlt und wütend oder traurig wird, wenn sie Nein sagen. Dass diese Gefühle in Ordnung sind und ihre Berechtigung haben. So ist das Leben eben, manchmal fühlt man sich abgelehnt.

nicht immer Harmonie zu haben. Ich plädiere dafür, sich zu fragen: Will ich in ständiger Harmonie leben oder mit ganz normalen, lebenden Menschen aufwachsen?

Wenn Eltern Nein sagen, bedeutet es einfach Nein. Das zu erkennen und es nicht als unangenehm zu empfinden, war für alle in der Familie eine grosse Erleichterung, weil die Mutter in der Familie eine Kultur definiert hatte, die eine Harmonie anstrebte.

Die Anregung kann aus einer Frustration kommen. Wenn Eltern oder das Kind frustriert sind, kommt ein Impuls, etwas anderes zu probieren. Meine eigene Motivation und auch die von meiner damaligen Frau war, es nicht so machen zu wollen wie unsere eigenen Eltern. Wir wollten modern sein. Aber was das heissen soll, wussten wir nicht. Das gilt auch für Lehrpersonen. Sie sollten >>>

Wie war es für das Mädchen?

Ist Harmonie unmöglich?

Sagen wir: Es ist möglich, aber es kostet uns alle viel. Nein sagen heisst,

Welche Motivation gibt es, sich von diesem Harmoniezwang zu befreien? Ist es der Leidensdruck?

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Dezember 2017 / Januar 2018 39


Monatsinterview

Zur Person Jesper Juul wurde am 18. April 1948 in Dänemark geboren. Mit 16 Jahren fuhr er als Koch zur See. Sie wurde sein Zufluchtsort. Der Zeit in der Kombüse folgten Jobs als Tellerwäscher in Bars und als Beton­arbeiter auf dem Bau. Später erinnerte ihn sein Vater daran, dass er in jungen Jahren Lehrer werden wollte. Juul war sich unsicher. In der Bar, in der er jobbte, holte er den Oberkellner und würfelte. Das Schicksal entschied für den Lehrerberuf. Er arbeitete in einem Kinderheim mit verhaltensauffälligen und kriminellen Jugendlichen. Dort wurde ihm bewusst, wie wichtig die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist. Auf einer Fortbildung lernte er den amerikanischen Psychiater und Familien­ therapeuten Walter Kempler kennen. Dessen Einfluss führte zu vielen der Methoden und Ansichten, die Therapeut Juul bis heute vertritt. Gemeinsam gründeten Kempler und Juul 1979 das «Kempler Institute of Scandinavia», das Juul 25 Jahre später verliess, um in Dänemark die erste Familien­­ werkstatt familylab aufzubauen. Familylab ist eine gemeinnützige Organi­ sation, die inzwischen in 21 Ländern aktiv ist. «Mit familylab wollen wir die psycho­ soziale Gesundheit und das Wohlergehen der heutigen und zukünftigen Eltern und Kinder wie auch der Fachpersonen verbessern», sagt Jesper Juul. «Ziel ist es, eine optimale Umgebung für ein gemeinsames, soziales, emotionales, kreatives und akademisches Lernen zu schaffen.» Jesper Juul ist Autor von mehr als zwei Dutzend Büchern, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Zu seinen bekanntesten Werken gehören: «Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht», «Wem gehören unsere Kinder?», «Die kompetente Familie», «Leitwölfe sein» und «Grenzen. Nähe. Respekt». Privat lebt Juul zurückgezogen in seiner Wohnung in Odder, Dänemark. Er ist zweimal geschieden und heute Single. 2012 erkrankte Jesper Juul an Transverser Myelitis, einer Entzündung des Rückenmarks. Er verbrachte 16 Monate in Rehabilitation in einem dänischen Krankenhaus und sitzt seither im Rollstuhl. Seit 2014 schreibt er wieder.


Monatsinterview

>>> sich fragen: Fühle ich mich erfolgreich und zufrieden damit, wie ich die Konflikte mit meinen Schülern löse? Wenn man diese Frage mit Ja beantworten kann, muss man nichts ändern.

alleine an mir hängt. Wenn meine Person wichtiger wird als die Vision meiner Organisation familylab, ist das nicht gut. Ich mag die Personenzentriertheit nicht. Sie ist mir unangenehm. Mein Wunsch ist es, dass

Familien, Institutionen und Gesellschaften mit viel weniger Gewalt, Missbrauch, Sucht und Vernachlässigung. Ich möchte, dass Familien, Organisationen und die Gesellschaft dazu inspiriert werden, sich und ihr Gegenüber ernst zu nehmen, liebevolle Beziehungen zu leben und sich gegenseitig von innen heraus mit Respekt zu behandeln.

«Mein Wunsch ist es, dass Werte gelebt werden und Menschen anständig miteinander umgehen.»

Was wäre Ihre ideale Welt?

Was ist, wenn Sie einmal nicht mehr da sind?

Mir ist es wichtig, dass meine Prinzipien auch ohne mich weiterleben. Ich will nicht, dass diese Haltung

über den Wert Gleichwürdigkeit, statt diesen Wert zu leben und einen gleichwürdigen Dialog zu führen. Ich hoffe, es wird nicht so sein. Aber vielleicht ist das naiv. Ich weiss es nicht. >>>

Werte gelebt werden und Menschen anständig miteinander umgehen. Stellen Sie sich vor, man trifft sich in zehn Jahren und streitet noch immer

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Erziehung & Schule

Seit Anfang dieses Jahres ist die alternierende Obhut als mögliche Betreuungsform explizit im Zivilgesetzbuch aufgeführt. In diesem Fall leben die Kinder nach einer Scheidung abwechselnd bei der Mutter und beim Vater. Das hat Vorteile. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Text: Gisela Kilde 42

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Bild: iStockphoto

«Ich lebe bei Mami – und bei Papi»


Beim Nestmodell bleiben die Kinder in derselben Wohnung, und die Eltern wechseln sich dort mit der Betreuung ab.

A

ls werdendem Vater war Robert klar, dass er seine Tätigkeit als Informatiker reduzie­ ren wird. Seine Frau Mara wollte in ihrem Beruf als Buchhalterin in einem kleinen KMU Teilzeit weiterarbeiten. Bei der Ge­­ burt des ersten Kindes reduzierte Robert sein Arbeitspensum auf 80 Prozent, Mara senkte ihre Tätigkeit zuerst auf 20 Prozent, stockte später, nachdem für das zweite Kind die obligatorische Schulzeit begonnen hatte, auf 40 Prozent auf. An einem von Maras beiden Arbeitstagen blieb Robert zu Hause bei den Kindern, den zweiten verbrachten die Kinder bei einer Tagesmutter, die in der Nachbarschaft wohnt.

Verschiedene Modelle der Kindesobhut

Mittlerweile sind die Kinder zehn und sieben Jahre alt, und die Ehe ihrer Eltern kriselt: Robert und Mara wollen sich trennen. Nachdem diese wichtige Entscheidung gefallen ist, beginnt die Diskussion um die Re­­ organisation ihres Familienlebens. Robert will auch zukünftig seinen «Papitag» wahrnehmen. Noch lieber würde er jedoch seine Betreuungs­ zeit ausweiten und sein Arbeitspen­ sum weiter reduzieren. Mara ist zwar froh um seine Unterstützung, ist sich aber auch im Klaren darüber, dass durch die Trennung Zusatzkosten für zwei getrennte Haushalte anfal­ len werden. Trennen sich die Eltern, steht nebst den finanziellen Sorgen häufig die Reorganisation der Kinderbe­ treuung im Raum. Die Eltern sind

an sich in der Gestaltung sehr frei. Sind sie sich einig, wird das Gericht oder die Kindesschutzbehörde die Betreuungsaufteilung nicht infrage stellen – soweit nicht ersichtlich ist, dass das Kindeswohl darunter leiden wird. Gemeinhin wird unterschie­ den zwischen dem Residenzmodell, dem Nestmodell und der alternie­ renden Obhut. Das Residenzmodell vermittelt dem Kind einen klaren Lebensmit­ telpunkt bei einem Elternteil. Zu bestimmten Zeiten «besucht» das Kind den anderen Elternteil bei ihm zu Hause und verbringt in den Feri­ en Zeit mit ihm. Viele Scheidungs­ eltern wählen das Residenzmodell, etwa weil es der zuvor gelebten Rol­ lenverteilung entspricht oder weil die geografische Distanz zwischen den Wohnorten der Eltern kein an­­ deres Betreuungsmodell er­­laubt. Beim sogenannten Nestmodell bleiben die Kinder in derselben Wohnung respektive in demselben Haus, und die Eltern wechseln sich dort mit der Betreuung der Kinder ab. Gleichzeitig tragen die Eltern also Verantwortung für zwei Haus­ halte – denjenigen der Kinder und den jeweils eigenen. Dieses Modell wäre für die Kinder von Vorteil, da sie immer in derselben Umgebung bleiben dürfen. Für die Eltern stehen jedoch hohe Anforderungen im Raum: Mutter und Vater müssen einerseits über grosszügige finanzi­ elle Ressourcen verfügen, anderer­ seits eine ausserordentlich gute Kooperationsfähigkeit mitbringen, müssen sie doch abwechselnd, in permanenter Absprache miteinan­ der, den Kinderhaushalt weiterfüh­

ren. Daher wählt kaum eine Familie diese Betreuungsform. Die alternierende Obhut zielt auf eine zeitlich ausgewogene Betreu­ ung der Kinder durch beide Eltern­ teile. Die Kinder wechseln in regel­ mässigem Abstand – häufig alle paar Tage oder jeweils nach einer Woche – vom einen zum anderen Elternteil. Von den Kindern verlangt diese Lösung eine gewisse Flexibilität, die je nach Persönlichkeit mehr oder weniger vorhanden ist. Durch die häufigen Wechsel zwischen den Elternteilen muss vor allem bei jun­ gen Kindern ebenfalls eine konflikt­ freie Übergabe möglich sein. Antragsrecht für alternierende Obhut

Mit den Bestimmungen zum Kin­ desunterhalt, die seit dem 1. Januar 2017 gelten, wurde ein ausdrückli­ ches Antragsrecht für die alternie­ rende Obhut in das Zivilgesetzbuch eingeführt. Stellt ein Elternteil einen entsprechenden Antrag, ist dieser von den Gerichten zu prüfen. Dabei hat das Gericht oder die Behörde eine Prognose zu fällen, ob die von den Eltern gewählte Betreuungs­ lösung dem Kindeswohl entspricht. Um diese Prognose fällen zu kön­ nen, zieht das Gericht einen breiten Katalog an Kriterien heran. Auf der Elternseite müssen Vater und Mut­ ter ihre Kinder den Be­­dürfnissen und Fähigkeiten entsprechend erzie­ hen können. Sie müssen in dem Ausmass gemeinsam Ab­­sprachen treffen und zusammen­arbeiten kön­ nen, das eine gemeinsame (Kinder-) Alltags­bewältigung erlaubt. Eine abwechselnde Betreuung ver­ >>>

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Erziehung & Schule

>>> langt in höherem Mass orga­ nisatorische Absprachen und gegen­ seitige Information als die anderen Betreuungsformen. Je höher der Koordinationsbedarf – vor allem bei jüngeren Kindern – ist, desto höher sind die Anforderungen an die Eltern. Der Schulweg muss bewältigt werden können

Robert und Mara stellen die Erzie­ hungsfähigkeit des anderen nicht infrage. Sie sind sich ebenfalls be­­ wusst, dass sie ihre Eheprobleme nicht auf die Kinder übertragen wol­ len. Insofern können sie sich sachlich über ihre Kinder austauschen und dem anderen die notwendigen Infor­ mationen mitteilen. Weiter muss die geografische Distanz zwischen den Wohnorten so gering sein, dass die Kinder den Schulweg von beiden Wohnorten bewältigen können.

Robert ist gern bereit, im gleichen Quartier eine Wohnung zu suchen, damit die Kinder problemlos zwi­ schen den Wohnungen pendeln können. Mit dem Verbleib im gleichen Quartier würde auch einem weite­ ren Kriterium, nämlich der Stabilität im sozialen Umfeld und einer mög­ lichst persönlichen Be­­treuung durch die Eltern, entsprochen. Für die Kinder wären immer noch diesel­ ben Betreuungspersonen verant­ wortlich. Ist für Kinder bereits die Trennung der Eltern eine Belastung, erschwert darüber hinaus ein allfäl­ liger Wechsel ihres sozialen Umfelds und ihrer Betreuungsstrukturen die Verarbeitung dieser herausfordern­ den Neuorganisation der Familie. Robert und Mara besprechen gemeinsam mit ihren Kindern ihre Vorlieben und Wünsche. So berück­ sichtigen sie in ihrer Betreuungs­ lösung etwa, dass ihr Sohn auch weiterhin am Samstag und zweimal unter der Woche Fussball spielen will. Auch die Gerichte haben bei einer hoheitlichen Entscheidung die Wünsche der Kinder zu berück­ sichtigen. Können sich Robert und Mara gemeinsam auf eine Vereinba­ rung einigen, die auch den Bedürf­ nissen und den Wünschen der Kin­ der entspricht, so wird eine wichtige Grundlage für eine nachhaltige Lösung gelegt. >>>

Eine abwechselnde Betreuung verlangt in höherem Mass organisatorische Absprachen und gegenseitige Information.

Gisela Kilde

Dr. iur., ist Koordinatorin und Lehrbeauftragte am Institut für Familienforschung und -beratung an der Universität Freiburg.

Ideale Voraussetzungen für alternierende Obhut •

Vater und Mutter können ihr Kind an dessen Bedürfnissen und Fähigkeiten orientiert erziehen.

Die Eltern können betreffend Fragen der Kinder zusammenarbeiten und miteinander sprechen.

Die geografische Distanz zwischen den Eltern lässt eine alternierende Betreuung zu.

Die persönliche Betreuung der jungen Kinder beziehungsweise bei zunehmendem Alter die Stabilität des sozialen Umfelds wird durch diese Lösung gewahrt.

Der Wunsch des Kindes darf ebenfalls in den Entscheid einfliessen.

Je nach Alter erhalten die verschiedenen Voraussetzungen ein anderes Gewicht. Der Entscheid hat sich nicht an den Interessen der Eltern, sondern am Wohl des Kindes auszurichten.

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Erziehung & Schule

Buchhalter? Malerin? Pilot? Es ist eine der wichtigsten Entscheidungen im Leben: Welchen Beruf will ich lernen? Ein Lehrer erzählt, wie die Schule die Jugendlichen in der Berufswahl begleitet und wie die Eltern ihre Kinder am besten unterstützen. Text: Samuel Zingg

A «Die Jugendlichen müssen sich von Gruppendynamiken lösen – dann gelingt die Berufswahl meist.» Samuel Zingg ist Lehrperson an der Sekundarstufe I in Buchholz GL und Mitglied der Geschäftsleitung des LCH. Der Vater einer vierjährigen Tochter und eines zweijährigen Sohnes wohnt in Mollis GL.

rbeiten Sie noch in dem Beruf, den Sie einst gelernt haben? Wenn ja, sind Sie heute eher die Ausnahme. Die Zeiten, als man Schreiner, Lehrer, Maurer oder Kaufmann lernte im Glauben, diesen Beruf bis zur Pensionierung auszuüben, sind vorbei. Auch definiert man sich in der heutigen Gesellschaft zunehmend nicht mehr nur über den Beruf. Der Druck auf Jugendliche, sich für den einen richtigen Beruf zu entscheiden, müsste also abgenommen haben. Meine Erfahrung ist eine andere. Ich bin Klassenlehrperson einer zweiten Sekundarklasse und stehe mit den Jugendlichen gerade mitten im Berufswahlprozess. Es zeigt sich: Aus über 230 Berufen den richtigen zu wählen, stellt immer noch eine grosse Herausforderung dar. Was machen wir in der Schule? Und was

Meist wissen Jugendliche beim ­B esuch eines Betriebs bereits nach zwei Stunden, ob ihnen ein Beruf zusagt oder nicht. 46

können Eltern zu einem gelungenen Berufswahlprozess beitragen? Auch Fächer wie Musik, Werken und Sport sind wichtig

Die «Berufliche Orientierung», so heisst das Fach im neuen Lehrplan, startet im Frühling der ersten Sekundarschulklasse und dauert bis in den Herbst des letzten obligatorischen Schuljahres. Bis dann sollten sich die meisten Schülerinnen und Schüler in einem Bewerbungsprozess befinden. Bis dahin sollten sie wissen, was sie können und was sie mit ihren Voraussetzungen machen wollen. In einem ersten Schritt habe ich versucht, den Schülern viele Möglichkeiten zu geben, um sich selbst kennenzulernen: Worin bin ich gut? Was mache ich gerne? Welches sind meine Stärken und Schwächen? Die Schule fördert die persönlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler, um sie zu befähigen, eine gute Entscheidung zu treffen: Sie schreiben über sich selbst, lernen Ad­­­jektive und Verben, werden – auch provokativ – mit persönlichen Fragen konfrontiert, be­­kommen verschiedene Aufgaben, die unterschiedliche Kompetenzen wie Fingerspitzengefühl, logisches Denken oder Handgeschick erfordern. Wir versuchen, an der Schule ein Umfeld zu schaffen, in welchem die Jugendlichen ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten entdecken können.

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Wichtig sind auch Fächer wie Musik, Werken, Handarbeit, Kochen und Sport, die ich als Klassenlehrperson nicht oder nur selten mit allen unter­ richte – ich vernetze mich dafür mit den anderen Lehrpersonen. Gelingt der Prozess der ersten Selbstfindung gut, können sich die Jugendlichen in der Regel gut auf die Berufswahl einlassen. Können sie sich von Grup­ pendynamiken lösen, dann kommen sie meist auch zu einer guten Ent­ scheidung. Jugendliche unter Druck

Oftmals stehen die Jugendlichen jedoch unter Druck – oder sie emp­ finden es zumindest so: von den Peers, von den Eltern, die sie zufrie­ denstellen wollen, und nicht zuletzt von sich selber, weil sie noch nicht wissen, was sie überhaupt wollen, und weil sich dies in den hormonel­ len Schwankungen jeden Tag anders anfühlt. In diesem Prozess sind Sie, liebe Eltern, wichtige Ansprechpersonen. So können Sie Ihr Kind unterstüt­ zen: • Seien Sie Ihrem Kind ein Spar­ ringpartner, interessieren Sie sich für seine Fragen und Gedanken. • Formulieren Sie Ihre Erwartun­ gen: Die Jugendlichen können mit klaren Erwartungen besser umgehen als mit einer vermeint­ lichen Freiheit. • Eltern haben eine Vorbildfunk­ tion, was das berufliche Engage­ ment betrifft. Eine positive Ein­ stellung zum Arbeiten hilft den Jugendlichen, auch selber den Schritt ins Berufsleben positiv anzugehen. • Gelassenheit hilft: Es nützt nichts, Ihr Kind zu drängen. Umgekehrt sollten Sie auch nicht einfach zuschauen, wie es sich nicht mit der Berufswahl befasst. Auf die richtige Mischung aus Vertrauen und sanftem Druck kommt es an. • Unterstützen Sie ihr Kind bei der Organisation seiner Schnupper­ tage oder Schnupperwochen.

Nehmen Sie ihm aber die Arbeit nicht ab: Zu telefonieren, vorbei­ zugehen, sich Situationen mit Erwachsenen zu stellen, stärkt das Selbstbewusstsein. • Unterstützen Sie die Berufswün­ sche Ihres Kindes. Oft sind die ersten Traumberufe nicht diejeni­ gen, welche die Jugendlichen dann auch wirklich erlernen wol­ len – doch sie weisen auf Inter­ essen hin. Fragen Sie nach: Was macht diesen oder jenen Beruf für dich spannend? Nachdem der Prozess der Selbstfin­ dung gestartet ist, ist das Kennenler­ nen der Berufswelt der nächste wich­ tige Schritt. Selten kennen wir Er­­­wachsenen mehr als 40 Ausbil­ dungsberufe, bei Jugendlichen sind es meist noch weniger. An Berufs­ messen und bei Besuchen von Gross­ unternehmen können sie viele ver­ schiedene Berufe kennenlernen. Meist wissen die Jugendlichen bereits nach zwei Stunden, spätes­ tens jedoch nach einem halben Tag, ob ihnen ein Beruf zusagt oder nicht. Diese Kurzbesuche, auch Berufs­ erkundungen genannt, sind wichtig, um in einer nächsten Phase die zwei bis drei interessantesten Berufe wei­ terzuverfolgen und in einer Berufs­ wahlschnupperlehre, die etwa zwei bis drei Tage dauert, zu erleben.

Es gibt zwar gute Gründe, das Gymnasium zu besuchen, doch damit ist der Berufsfindungsprozess­ nur aufgeschoben.

dium kann einer Lehre noch folgen. Es gibt zwar gute Gründe, das Gym­ nasium zu besuchen, oft aber erlie­ gen Eltern dem Irrtum, dass die Matura der höchste Abschluss sei. Denn in Tat und Wahrheit beginnt der Berufsfindungsprozess erst nach dem Gymi-Abschluss. Lehrabschliessende mit Berufs­ matura hingegen haben nicht nur die Reifeprüfung in der Tasche, son­ dern auch bereits einen Beruf er­­ lernt. An den Berufsweltmeister­ schaften WorldSkills Ende Oktober 2017 konnte man den Wert einer Schweizer Berufslehre deutlich sehen: Unsere Berufsleute holten 13 Weltmeistertitel!

Lehrpersonen in Sorge

Erst im dritten Oberstufenjahr fin­ den die Bewerbungsschnupperleh­ ren statt. Hier geht es um das gegen­ seitige Kennenlernen in einem Be­­trieb. Dabei wird entschieden, ob die Lehrstelle passt oder nicht. Wir Lehrpersonen beobachten mit Sorge, dass Lehrstellen teilweise bereits im zweiten Oberstufenschuljahr ver­ geben werden. Oft folgt dann im dritten Jahr die Ernüchterung. Wir be­­stehen deshalb darauf, dass der 1. November als Stichtag für die Lehrstellenvergabe eingehalten wird. Heute können wir in fast allen Situa­ tionen noch beinahe jeden Beruf erlernen. Sogar ein Universitätsstu­

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Elterncoaching

« Bei Papa dürfen wir das aber!» Unterschiedliche Erziehungsstile in einer Familie können ­Bereicherung und Belastung sein. Konflikte entstehen dann, wenn die Eltern Extrempositionen einnehmen.

www.mit-kindern-lernen.ch www.biber-blog.com

M

Kinder haben kein Problem, sich auf unterschiedliche Bezugspersonen einzustellen. Sie wissen, was bei wem gilt. 48

gibt Dinge, die Sie im Umgang mit den Kindern unterschiedlich handhaben. Meist entzünden sich Diskussionen an Punkten wie Ernährung, Schlafenszeiten, Strukturen, Grenzen und Ritualen. Wie soll man mit diesen Unterschieden umgehen? Benötigen Kinder die oft beschworene «gemeinsame Front» oder darf die individuelle Persönlichkeit der Eltern auch in der Erziehung Ausdruck finden? Kinder können mit Unterschieden umgehen

Generell lässt sich sagen, dass Kinder kein Problem damit haben, sich auf unterschiedliche Bezugspersonen einzustellen. Sie wissen, was bei Mutter und Vater, den Grosseltern oder der Lehrerin gilt, und können sich danach ausrichten. Gleichzeitig sind Unterschiede eine Bereicherung. Sie sorgen dafür, dass Kinder verschiedene Modelle erhalten. Wenn Eltern diese Vielfalt zulassen können, erweitert sich der Erfahrungsspielraum des Kindes. Es kann mit Eltern, Grosseltern und weiteren Bezugspersonen unterschiedliche Erfahrungen sammeln und verschiedene Aspekte seiner Persönlichkeit entdecken. Dabei gestalten Kinder ihre Entwicklung aktiv mit, indem sie sich Modelle und Vorbilder suchen, die zu ihnen passen. Unterschiede werden dann problematisch, wenn sie zu unüber-

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Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor («Mit Kindern lernen»). In der Rubrik «Elterncoaching» beantwortet er Fragen aus dem Familienalltag. Der 37-Jährige ist verheiratet und Vater eines Sohnes, 4, und einer Tochter, 1. Er lebt mit seiner Familie in Freiburg.

eine Kinder und ich sitzen im Bus. Nach einem Blick in die Einkaufstaschen gibt mir mein damals dreijähriger Sohn in voller Lautstärke den Tarif durch: «Papa! Das ist Weissbrot! Und Chips! Das ist schlecht für den Bauch! Das kaufst du nie mehr!» Während ich ziemlich verdattert dasitze, können sich die anderen Leute das Lachen nicht verkneifen. Danach fügt er hinzu: «Du kannst Mama sagen, dass ich schon mit dir geschimpft habe. Dann muss sie es nicht mehr machen.» Das Essen sorgt bei uns immer wieder für Diskussionen. Während meine Frau auf die Gesundheit achtet, hat mein Essen oft mehr E-Nummern als Vitamine. Sagt mir je­­mand, ich sehe jünger aus, als ich sei, kann ich es mir nicht verkneifen, das den Konservierungsstoffen zuzuschreiben, die mir die Fertig-Lasagnen über die Jahre geliefert haben. Wahrscheinlich geht es Ihnen in Ihrer Partnerschaft ähnlich, und es


windbaren Konflikten zwischen Eltern führen. Wenn sich Mutter und Vater nicht mehr respektieren, sich gegenseitig abwerten oder ein Elternteil an den Rand gedrängt wird, weil seine Erziehungskompe­ tenz scheinbar nicht genügt. Oft sind die Konflikte und Machtspiele und deren Folgen für die Partner­ schaft für das Kind viel schwerer auszuhalten als die unterschiedli­ chen Erziehungsstile der Eltern. Konflikte entstehen häufig, wenn die Eltern in der Erziehung Extrem­ posi­tionen einnehmen. Wenn er spontan und chaotisch ist und sie auf klare Strukturen und Abläufe Wert legt. Wenn sie den Kindern vieles durchgehen lässt und er dar­ auf beharrt, dass Kinder klare Gren­ zen brauchen und Konsequenzen spüren müssen. Wenn sie verant­ wortungsbewusst ist und den Kin­ dern das Motto «ohne Fleiss kein Preis» mitgeben möchte, während er sein Leben nach dem Lustprinzip gestaltet. Unterschieden auf die Schliche kommen

Es ist hilfreich, wenn man sich be­­ wusst wird, dass extreme Positionen oft eher eine Reaktion als eine Ent­ scheidung sind. Sie können als Folge der eigenen Kindheit entstehen. Sind wir etwa mit strengen und strafen­ den Eltern aufgewachsen, können wir diese An­­sichten übernehmen («das hat uns auch nicht gescha­ det!») oder versuchen, alles anders zu machen. Unser Umgang mit dem Kind kann auch eine Reaktion auf den anderen Elternteil sein. Ist der eine eher autoritär und fordernd, kann dies beim anderen den Wunsch aus­ lösen, dies durch Nachsicht auszu­ gleichen. Sieht der strenge Elternteil, wie nachsichtig der andere mit den Kindern umgeht, verstärkt dies sei­ ne Ängste: «Die Kinder tanzen dir auf der Nase rum!» Es entsteht das Bedürfnis, dem durch noch mehr Härte entgegenzuwirken.

Dieses «Ausgleichen» ist jedoch ab einem bestimmten Punkt für alle Beteiligten ungesund. Die Kinder beginnen, die Eltern gegeneinander auszuspielen, während sich diese gegenseitig immer weniger respek­ tieren oder sogar das Gefühl entwi­ ckeln, die Kinder vor dem negativen Einfluss des anderen schützen zu müssen.

Oft sind die Konflikte und Machtspiele der Eltern für das Kind schwerer auszuhalten als verschiedene Erziehungsstile.

Wieder in die Mitte finden

leicht ist es für den nachgiebigen Elternteil befreiend, wenn er lernt, sich ab und zu abzugrenzen und den Kindern nicht alles durchgehen zu lassen – im Wissen, dass auch der andere Elternteil ab und zu ein Auge zudrückt und die Kinder insgesamt auf ihre Kosten kommen.

Wie finden Eltern in dieser Situation wieder zueinander? Wenn beide noch offen miteinander reden kön­ nen, ist mit einem Gespräch ein guter Anfang gemacht. Die Eltern können miteinander die folgenden Fragen durchgehen: • Was macht dir Angst oder welche Befürchtungen hast du, wenn du siehst, wie ich mit den Kindern umgehe? • Was wünschst du dir von mir? • Wie wollen wir mit unseren Dif­ ferenzen umgehen? So könnte der «strenge» Elternteil befürchten, dass der andere die Kin­ der verzieht und diese in der Folge zu Egoisten werden, die sich nicht an Regeln halten können und nur ihre eigenen Bedürfnisse im Kopf haben. Vielleicht stört er sich auch daran, dass die Bedürfnisse der Eltern vernachlässigt werden. Der «nachlässige» Elternteil be­­ fürchtet vielleicht, dass die strenge Erziehung dazu führt, dass die Kin­ der Ängste entwickeln, ihre Lebens­ freude verlieren und mit ihren Bedürfnissen nicht gesehen werden. Es ist hilfreich, diese Befürchtungen auszusprechen, vielleicht sogar auf­ zuschreiben und sich zu fragen, ob die Einschätzung des anderen nicht ein Körnchen Wahrheit enthält. Es lohnt sich auch nachzufragen, ob sich das Gegenüber in seiner Rol­ le wohlfühlt. Vielleicht möchte der strenge Teil auch einmal nachgiebig sein und nicht immer den «Bösen» spielen müssen – wenn er sich dar­ auf verlassen kann, dass der andere wichtige Regeln mitträgt. Und viel­

Einfach mal die Rolle wechseln

Falls das Thema Erziehung so belas­ tet ist, dass ein Gespräch kaum mehr möglich ist, kann ein Experiment für Veränderung sorgen. Dabei über­ nimmt man einfach in bestimmten Situationen die Rolle des anderen. Ein nachgiebiger Vater könnte bei­ spielsweise ganz bewusst auf die Einhaltung einer Regel bestehen: «Wir haben abgemacht, dass ihr die­ se Sendung sehen dürft und nicht mehr. Jetzt machen wir den Fernse­ her aus.» Er könnte den Protest der Kinder stoisch ertragen, anstatt wie sonst nachzugeben, und schauen, wie sich das für ihn anfühlt – und wie seine Partnerin darauf reagiert.

In der nächsten Ausgabe: Warum es so wichtig ist, dass Schule und Elternhaus zusammenarbeiten.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Dezember 2017 / Januar 2018 49


In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post

Erziehung & Schule

Frohes Schreiben! Festtage sind Familientage. Das gemeinsame Basteln und Backen, Singen und Geschichtenerzählen bietet auch Gelegenheiten, spielerisch das Schreiben zu entdecken. Einige Ideen zur Weihnachtszeit. Text: Johanna Oeschger

Weihnachts-Faltgeschichten Dieses gemeinsame Geschichtenschreiben kann zu überraschenden Wendungen in der Handlung führen: Der erste Schreiber notiert den Anfangssatz einer Weihnachtsgeschichte auf ein Blatt und reicht es an den nächsten Schreiber weiter. Dieser liest den Satz, faltet das Blatt so, dass der erste Satz nicht mehr zu sehen ist, schreibt einen Fortsetzungssatz und reicht das Blatt weiter. Briefwichteln

Süsse Grüsse So werden die Weihnachts-, Neujahrsoder Dankesgrüsse zu einer ganz per-

Die grosse Wörterfabrik

sönlichen Überraschung: Mit den Kindern gemeinsam eine kleine Botschaft an den Götti, das Grosi oder den Onkel ausdenken (z. B. einen Wunsch zum neuen Jahr, «DANKE» …) und die passenden Buchstaben aus Guetsli-Teig formen oder mit Buchstabenförmchen ausstechen. Auf dem Begleitkärtchen kann ein Hinweis zum «Buchstaben-Guetsli-Rätsel» mitgeschickt werden («Wir wünschen dir … zum neuen Jahr!»).

Wenn man gemeinsam einen Text verfasst, gibt es nicht nur zu schreiben, sondern auch einiges zu besprechen und auszuhandeln: Wie gehen wir vor? Was gehört un­bedingt in den Text, was können wir weglassen? Wie könnte man das besser formulieren? Im Team kommen die Schreibenden auf neue Ideen und entwickeln eigene Strategien zum Verfassen von Texten. Das «kooperative Schreiben» wird deshalb als wirkungsvolle Methode zur Förderung der Schreibkompetenz eingesetzt.

App-Tipp

Ein lebendig gewordenes Bilderbuch mit wunderschönen Illustrationen zum spielerischen Erlernen von neuen Wörtern. Für Kinder ab Vorschulalter. Erhältlich für iOS und Android. Kosten: ca. 3 Franken.

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Kooperatives Schreiben

Johanna Oeschger

ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin, unterrichtet Deutsch und Englisch auf der Sekundarstufe II und arbeitet als Mediendidaktikerin bei LerNetz.

Dezember 2017 / Januar 2018  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Bild: iStockphoto

Bei dieser Wichtelvariante werden statt Geschenke liebe Botschaften oder gute Wünsche getauscht: Jeder Teilnehmer zieht den Namen eines anderen Familienmitglieds (jüngere Familienmitglieder ziehen mit einem «Co-Wichtel») und beschenkt dieses mit einem selbst gestalteten Brief. Um es spannend zu machen, können die Botschaften über eine Woche hinweg jeden Tag irgendwo «versteckt» werden (im Zahnglas, zwischen den Buchseiten usw.). Am Weihnachtsabend wird aufgelöst, wer der Wichtel war.


Rubrik

Haben Kind und Karriere genug Platz in einer Familie?

Wir denken an Familien. Zum Beispiel, indem wir Angebote auf deren Bedürfnisse zuschneiden und sie ausserhalb der Bürozeiten beraten, familienfreundliche Arbeitszeitmodelle bieten oder beim Wiedereinstieg ins Berufsleben helfen. Zeit für eine neue Bank. cler.ch

Zeit, über Geld zu reden. Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Dezember 2017 / Januar 2018 51


Erziehung & Schule

«Hochsensible können schüchtern und extrovertiert sein» Die Grenze zwischen AD(H)S und Hochsensibilität ist schwammig. Der These, dass AD(H)S-betroffene Kinder eigentlich «nur» extrovertierte Hochsensible seien, stimmt Corinne Huber, Expertin für beide Bereiche, jedoch nicht zu. Die Erscheinungsbilder seien so vielfältig und vielschichtig wie die Menschen selbst. Interview: Irena Ristic

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Dezember 2017 / Januar 2018  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


zu sein wie der Mensch selbst. Viele Hochsensible beschreiben sich als schüchtern – doch in bestimmten Situationen sind sie manchmal ex­­ trovertiert. Diese Ambivalenz ist auffällig und man findet sie nicht selten auch bei Künstlern.

Frau Huber, was unterscheidet hoch­ sensible Kinder von anderen Kindern?

Zuerst einmal sind wohl alle Kinder zu Beginn ihres Lebens feinfühlig. Doch einige Kinder bringen neu­ ronale Veranlagungen mit, die sie in der Wahrnehmung und im Denken sensibler machen. Hochsensible sind viel reizoffener als andere. Das bedeutet gleichzeitig, dass das Gehirn länger braucht, um alle Sin­ neseindrücke zu verarbeiten. Dies kann zu einer Reizüberflutung füh­ ren. Die Folge: Betroffene Kinder sind oft zappeliger, zurückgezogener und ermüden schneller. Wie erleben Sie hochsensible Kinder in Ihrer Praxis?

Oft sehnen sie sich nach mehr inne­ rer Ruhe und sind tief dankbar fürs Verstandenwerden. Für reizoffene Kinder ist unsere schnelllebige und stetig Reize produzierende Umwelt eine noch grössere Herausforde­ rung, als sie es für die meisten ohne­ hin ist. Sich zu orientieren, Halt zu finden und nicht auszubrennen, ist für sie besonders anstrengend. Das ist es für hochsensible Erwachsene übrigens ebenso. Es gibt die Ansicht, dass Kinder und Jugendliche, bei denen AD(H)S dia­ gnostiziert wurde, eigentlich extrover­ tierte Hochsensible sind. Wie sind Ihre Erfahrungen dazu?

Ich kann nicht sagen, dass der hyper­aktive Hochsensible per se extrovertiert ist und der hypoaktive Typus nur introvertiert. Es gibt vie­ le verschiedene Erscheinungsbilder. Die Varianten scheinen so vielfältig

«Die Ambivalenz zwischen Schüchternheit und extrovertiertem Verhalten findet man nicht selten bei Künstlern.» Dennoch: Die Unterscheidung zwi­ schen AD(H)S und Hochsensibilität ist nicht immer einfach.

AD(H)S ist besser erforscht als die Hochsensibilität. Hier steckt die For­ schung noch in den Kinderschuhen. Zudem scheiden sich in der Fachwelt die Geister: Die einen anerkennen deren eigenständige Existenz oder sehen sie zumindest als Teil-Erschei­ nungsbild von AD(H)S. Die anderen vertreten die Meinung, dass >>>

Buchtipp Elaine Aron: Das hochsensible Kind. mvg, 2012, 350 S., Fr. 25.90 Brigitte Schorr: Hochsensibilität – Empfindsamkeit leben und verstehen. SCM Hänssler, 2015, 79 S., Fr. 11.90 Georg Parlow: Zart besaitet. Festland, 2015, 248 S., Fr. 32.90

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Erziehung & Schule

>>> Hochsensibilität ein Hype ist und letztlich nur eine andere Be­ zeichnung für AD(H)S – und dass es darum gehe, dieser Diagnose aus­ zuweichen. Warum wollen Eltern einer AD(H)SDiagnose ausweichen?

Vereinfacht gesagt ist die Diagnose AD(H)S für Eltern häufig belastend, während Eltern von als hochsensibel bezeichneten Kindern eher stolz dar­ auf sind, ein «aussergewöhnliches» Kind erziehen zu dürfen. Erzieheri­ sche oder schulische Probleme, die sich bei Betroffenen beider «Dia­ gnosen» ergeben können, sind mei­ ner Erfahrung nach aber oft ähnlich.

Eltern und Lehrpersonen sollten darauf achten, nicht unbewusst zu vermitteln, dass die betroffenen Kin­

«Eltern und Lehrpersonen sollten Betroffenen nicht vermitteln, dass sie ein Problem hätten – sonst kultivieren sie Fehlverhalten und Versagen.»

Sie coachen auch Eltern und Lehr­ personen von hochsensiblen Kindern und von Kindern mit AD(H)S. Was raten Sie?

der ein Problem hätten. Was ich damit sagen will: Fördern Eltern und Lehrpersonen die Stärken und Bega­

bungen, vermittelt dies dem hoch­ sensiblen Kind und Jugendlichen eine positive Grundhaltung. Das stärkt das Selbstwertgefühl und die Widerstandskraft. Prasseln hingegen zu viele negative Feedbacks oder Ablehnung auf ein Kind ein, wird Fehlverhalten und Versagen kulti­ viert. Speziell hochsensible Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene verzweifeln regelrecht daran, es nie «richtig» machen zu können. Welche Tipps geben Sie hochsensiblen Kindern und Jugendlichen mit?

Ein Aufenthalt in der Natur ist für hochsensible Kinder und Jugendli­ che meiner Erfahrung nach sehr wohltuend. Auch sich kreativ zu betätigen, etwa mit Musik und Kunst oder Sport – fern von Leistungs­ druck –, fördert die körperliche wie

Fragebogen: Diese Aussagen können helfen, ein Kind in Bezug auf Hochsensibilität einzuschätzen Mein Kind … • erschrickt leicht • hat eine empfindliche Haut, verträgt keine kratzenden Stoffe oder keine Nähte in Socken oder Etiketten in T-Shirts

• stellt viele Fragen

• mag keine Überraschungen

• bevorzugt leise Spiele

• profitiert beim Lernen eher durch sanfte Belehrung als harte Strafe

• stellt tiefgründige Fragen, die nachdenklich stimmen

• hat einen für sein Alter ungewöhnlich gehobenen Wortschatz

• ist sehr schmerzempfindlich

• scheint meine Gedanken lesen zu können • ist geruchsempfindlich, sogar bei sehr schwachen Gerüchen • hat einen klugen Sinn für Humor

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• findet nasse oder schmutzige Kleidung unangenehm • ist ein Perfektionist • bemerkt, wenn andere unglücklich sind

Auswertung: Treffen mindestens 13 Aussagen auf das Kind zu, kann davon ausgegangen werden, dass es hochsensibel ist.

Wichtiger Hinweis:

• ist lärmempfindlich • registriert Details (Veränderungen in der Einrichtung oder im Erscheinungsbild eines Menschen usw.)

• scheint sehr einfühlsam zu sein

• denkt über mögliche Gefahren nach, bevor es ein Risiko eingeht

• kann nach einem aufregenden Tag schlecht einschlafen

• erzielt die beste Leistung, wenn keine Fremden dabei sind

• hat Mühe mit grossen Veränderungen

• hat ein intensives Gefühlsleben

Der Fragebogen dient als Orientierungshilfe für Eltern und Bezugspersonen und kann nicht mit einer psychologischen Testdiagnostik verglichen werden. Ziel der Einschätzung ist es, ein tieferes Verständnis für das Kind und seine Verhaltensweisen zu bekommen. Viele Situationen können so verstanden und neu beurteilt werden. Quelle: Elaine Aron: Das hochsensible Kind, MVG, 2008. Weitere Fragebögen finden sich auf den Websites hochsensibel.org und zartbesaitet.net.

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psychische Stabilität. Auf diese Wei­ se schaffen sich Hochsensible Rück­ zugsorte, wo sie Kraft und Energie tanken können. Sich abzusondern, ist damit aber nicht gemeint. Im Gegenteil: Ich empfehle, den Kon­ takt mit Gleichaltrigen zu pflegen, um das Zugehörigkeitsgefühl zu stärken. Ausserdem können Betrof­ fene auch in einem Achtsam­ keitstraining oder mit asiatischen Kampfsportarten ihre Konzentra­ tionsfähigkeit und Selbstwahrneh­ mung trainieren. >>>

Zur Person

Corinne Huber berät in ihrer Praxis in Basel Erwachsene, Kinder, Eltern und junge Erwachsene mit Hochsensibilität und AD(H)S. Sie ist eidg. dipl. Coach, Heilpädagogin, diplomierte CraniosacralTherapeutin und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Sie ist zudem als Fachreferentin und Gastdozentin tätig.

www.landesmuseum.ch

Hochsensibilität Experten gehen davon aus, dass 15 bis 20 Prozent der Menschen hochsensibel sind. Sie empfinden äussere Reize wie Gerüche, Geräusche oder Bilder viel stärker als ihre Mitmenschen und verarbeiten sie intensiver. Typisch sind auch Charakter­eigenschaften wie eine Neigung zu Selbstkritik und Perfektionismus, ein starkes Harmoniebedürfnis sowie ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn und eine hohe Begeisterungsfähigkeit. Erstmals beschrieben wurde Hochsensibilität von der amerikanischen Psychologin Elaine Aron, die das Phänomen in den 90er-Jahren bekannt machte und den Begriff prägte. Obwohl es immer mehr empirische Erkenntnisse gibt, existiert in der Forschung keine einstimmige neuropsychologische Theorie und somit auch kein einheitliches Diagnoseverfahren zur Hochsensibilität. Als wahrscheinlich für die Ausbildung dieser speziellen neuronalen Konstitution werden erbliche und auch entwicklungspsychologische Faktoren diskutiert. Innerhalb der Hochsensibilitäts-Forschung wird diese spezielle neuronale Konstitution nicht als Krankheit oder psychische Störung gesehen.


In Zusammenarbeit mit der Credit Suisse

Erziehung & Schule

Ist Geld ein gutes Geschenk?

D

1. Das Gespräch suchen

Äussert das Kind den Wunsch nach Geld, ist es wichtig, dass Eltern sich mit der schenkenden Person austauschen. Dadurch wissen Eltern, wie viel ihre Kinder von wem geschenkt erhalten. Auch die Häufigkeit spielt eine Rolle. Die Situation, dass Kinder öfter mal vom Grosi oder dem Onkel ein «Nötli zugesteckt erhalten», kann die von den Eltern aufgestellten Prin-

Spezielle Geldgeschenke Geschenksparkonto Auf das Geschenksparkonto können Göttis und Co. Geld einzahlen und so für Kinder sparen – und das meist zum Vorzugszins. Goldvreneli Die kleine Münze wirft zwar keinen Ertrag ab – bleibt aber aufgrund seiner speziellen Form umso länger in Erinnerung.

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Smartphone Velo Töffli

Computer

Lego Kleidung

Bares schenken liegt im Trend. Was Eltern und V­erwandte ­beachten müssen. Und warum zum Geldverschenken ein konkreter Anlass bestehen sollte. Text: Florence Schnydrig Moser

er Wunsch nach Geld zum Geburtstag, zu Weihnachten oder anderen Anlässen nimmt zu, wenn die Kinder älter werden. Dafür verschwinden Legos, neue Turnschuhe und die Barbie-Puppe vom Wunschzettel. Wie sollen Eltern damit umgehen? Drei Tipps:

Spielkonsole

Spielzeug Reitstunden

Dafür sparen Kinder (aus der Taschengeldstudie der Credit Suisse).

zipien der Finanzerziehung untergraben. Ein klärendes Gespräch kann helfen. 2. Gemeinsam mit dem Kind über das Geldgeschenk sprechen

geschenks mit dem Kind über mögliche Sparziele gesprochen hat.

Haben Eltern ein Mitspracherecht bei der Verwendung des Geldes? Ja. Am besten sprechen sie mit ihren Kindern und überlegen, ob und wie das Geld verwendet werden soll. Zum Beispiel für die Erreichung eines Sparzieles oder aber auch für gemeinsame Unternehmungen mit dem Schenkenden. Älteren Kindern können Eltern nach dem Gespräch Optionen offen lassen. Damit zeigen sie, dass sie ihnen vertrauen und ihnen die Verantwortung überlassen. Jüngere Kinder benötigen mehr Unterstützung. Hat ein Kind schon länger einen Wunsch, können Eltern ihm beim Sparen helfen, indem sie das Geld gemeinsam auf das Sparkonto einzahlen. Erst wenn der benötigte Betrag erreicht ist, kann der Wunsch erfüllt werden. So lernt das Kind eine wichtige Lektion: Sparen bedeutet, sich in Geduld zu üben und manchmal auch Bedürfnisse aufzuschieben. Dafür ist die Freude über das selbst zusammengesparte Velo noch grösser. Wenn Geld für einen bestimmten Zweck geschenkt wird, soll dieser auch eingehalten werden. Optimal ist, wenn der Götti oder das Grosi bereits vor der Übergabe des Geld-

3. Geldgeschenke verdanken

Wie bei jedem Geschenk sollten auch Geldgeschenke verdankt werden. Die Verdankungen können ebenfalls dem Alter angepasst werden. Während bei jüngeren Kindern vielleicht eine Zeichnung eine schöne Art des Dankeschöns ist, kann es bei älteren eine nette Nachricht sein. Mit der richtigen Begleitung durch die Eltern sind Geldgeschenke eine gute Alternative, die sogar einen Lerneffekt bewirken kann. Das ist auf jeden Fall besser als ungewünschte Sachgeschenke, die ungenutzt auf dem Estrich verschwinden. Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Pro Juventute.

Florence Schnydrig Moser ist Leiterin von Products & Investment Services bei der Credit Suisse und Auftraggeberin der Taschengeldstudie.

In der Viva Kids World der Credit Suisse finden Eltern Tipps und Tricks für die Finanz­erziehung. Kinder entdecken Finanzthemen gemeinsam mit der Viva-Kids-Bande. credit-suisse.com/vivakidsworld

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Kolumne

Was kann dein Kind besser als alle anderen?

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

A

ls Kind wollte ich zuerst Eishockeyprofi werden, dann Archäologe, dann Detektiv. Allerdings hatte ich weder eine besonders gute Beobachtungsgabe, noch war ich in Latein eine Leuchte. Schlittschuhlaufen konnte ich auch nicht. Meine Mutter sagte nichts; ich glaube, sie wollte mir nicht das Kostbarste rauben, was ich besass: Illusionen. Es waren halt die 1980er, und man ging davon aus, dass alle Menschen einen Job bekommen, selbst die, die ausser Träumen nichts können. Ich erinnere mich nicht daran, je mit meiner Mutter über meine Fähigkeiten oder, Gott verbitte, meine Talente gesprochen zu haben. Sie sagte angesichts meiner Berufsvorstellungen bloss: Versuch doch etwas zu finden, was dir Freude bereitet. Was sie meinte, war: Du musst den Shit 45 Jahre lang machen, such dir also etwas, was dir wenigstens ein bisschen Spass macht. Wenn man darüber nachdenkt: ein ziemlich guter Rat. Heute klingt das alles etwas anders. Die Frage «Was machst du gern?» ist abgelöst worden von «Worin bist du gut?». Genauer: «Was kannst du besser als die anderen?» Wir leben in einer Kultur der konstanten Bewertbarkeit. Alles wird geliked und gerated. Überall gibt es Empfehlungen, Evaluationen, Kritik, Kommentare, Abklärungen, Vergleiche: Unter dem Mathetest meiner Tochter stehen nicht nur ihre Note, der Klassendurchschnitt und ein trauriger Smiley, nein, sie wird auch noch zur Selbsteinschätzung aufgefordert. Wie siehst du dich? Im Vergleich zu den anderen? Und wo im nächsten Jahr? Geübt wird der Blick auf sich selbst von aussen. Das ist vermutlich gut für den Job, aber ganz sicher schlecht für die Seele. Denn die Botschaft dahinter lautet: Du bist nie (gut) genug. Du kannst immer an dir arbeiten. Genauer: Du darfst nicht an dir arbeiten. Es ist die Sieger-Rhetorik der Exzellenz-Cluster und Talent-Shows, in denen mittelmässiges Abschneiden, unentschlossenes Herumdrucksen oder gar Versagen nicht vorgesehen sind. Das Streben bedeutet eine ewige Aufrechterhaltung von Leistungsbereitschaft bis in die Mikrophysik unseres Handelns. Denn auf dem Prüfstand stehen ja nicht mehr nur ein Job oder mathematische Grundlagenkenntnisse, sondern wir als Menschen, unsere Identität und unser Sein. Und das Feedback ist die Währung solcher Selbstoptimierung. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich rede hier nicht einer ambitions­ losen Mittelmässigkeit oder genügsamen Selbstzufriedenheit das Wort. Ich begrüsse Einsatzwillen, Hartnäckigkeit und Grössenwahn. Aber das Problem permanenter Bewertung ist noch ein anderes: Was wir unseren Kindern vorleben, ist eine Welt, in der dein Handeln keinen Sinn macht, wenn du nicht in einen Resonanzrahmen eingebunden bist. Es ist der Grund, warum Leute ihr Leben und ihre Leistungen auf Facebook posten: Du bist nur etwas wert, wenn andere es sehen – und für gut befinden. Damit rauben wir unseren Kindern etwas, das wir eigentlich von ihnen lernen könnten: den Antrieb, etwas zu tun, nicht weil wir gut darin sind, sondern weil es uns wichtig ist.

Mikael Krogerus ist Autor und Journalist. Der Finne ist Vater einer Tochter ­ und eines Sohnes, lebt in Biel und schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi und andere Schweizer Medien.

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«Mein autistisches Kind zeigt mir die wichtigen Dinge» «Mit Freude verteile ich das Kindergartenheft» (Kindergartenheft «Endlich Chindsgi», Sommer 2017) Herzlichen Dank für das tolle Heft «Endlich Chindsgi». Mit Freude verteile ich das Heft den neuen Kindergarteneltern und -kindern. Als Kindergärtnerin (mit 27 Jahren Berufserfahrung) schätze ich Ihr Heft mit den vielseitigen praktischen Beiträgen und Tipps. Ich freue mich schon heute auf die nächste Post, die ich den Kindern mit nach Hause geben kann. Renate Spahr, Kindergarten Dürrenroth (per Mail)

«Viele Eltern sind verunsichert – trotz grossem pädagogischem Wissen» Liebe Frau Ringier Die Ziele der Stiftung Elternsein sind vollkommen unterstützungswürdig. Ich bin der Meinung, dass Konflikten im Schulalter schon schwierige Situationen im Kleinkindalter vorausgehen. Ein grosses Thema ist meiner Meinung nach Verwöhnung – nicht die materielle Verwöhnung, sondern die Entmutigung von Kleinkindern, selbstwirksam zu werden und somit Verantwortung zu erlernen. Es gibt noch so viele grundlegende Themen für Familien mit Kleinkindern, dass die Begleitung von Familien auch in dieser frühen Phase wünschenswert wäre. Ich erlebe immer wieder Eltern, die sich viel pädagogisches Wissen erlesen haben und dennoch hoch verunsichert im Umgang mit ihren Kindern sind.

«Ich bilde ehrenamtlich Begleithunde aus» («Ein Hund nach Mass für Joel», Heft 11/2017) Mit grossem Interesse habe ich den Artikel über Joel und seine Familie gelesen. Ich wünsche ihnen, dass der Spendenaufruf Wirkung zeigt und der Wunsch nach einem Therapie- und Begleithund für Joel in Erfüllung geht. Mir ist es ein Anliegen, an dieser Stelle auf die noch junge Organisation Farah-Dogs mit Sitz in Siders, Wallis, aufmerksam zu machen. Farah-Dogs bildet ebenfalls Begleithunde für autistische Kinder sowie DiabetesWarnhunde aus. Es werden verschiedene für diese Arbeit geeignete Rassehunde ausgebildet. Die Welpen, die durch Farah-Dogs bei entsprechenden Züchtern ausgesucht werden, werden bei Patenfamilien platziert, welche die Hunde in den ersten 15 bis 18 Monaten sozialisieren. Eine Begleitung und Beratung während dieser Zeit durch die Instruktorinnen der Organisation ist ein wichtiger Bestandteil der Zusammenarbeit, damit die Hunde später ihre grosse Aufgabe übernehmen können. Sobald die Hunde ihr Ausbildungsalter erreicht haben, werden sie in der Organisation durch die Instruktorinnen auf ihre zukünftige Arbeit als Therapie- und Begleithunde vorbereitet und geschult. Ich selbst arbeite seit über zwei Jahren ehrenamtlich für Farah-Dogs und habe zurzeit bereits meinen zweiten Patenhund, welchen ich mit grosser Freude auf seine zukünftige Aufgabe vorbereite. Die Organisation (www.farah-dogs.ch) sucht auch immer wieder Patenfamilien, die einen Welpen oder Junghund in den ersten 15 bis 18 Monaten aufnehmen und sozialisieren. Mirjam Koch-Ritter, Bremgarten (per Mail)

Jeanette Jutzi (per Mail)

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Leserbriefe

«Danke, mein Kind!» («Hilfe, mein Kind ist ein Träumer!», Heft 10/2017) Danke für die weisen Worte von Fabian Grolimund in seiner Kolumne. Ich bin mit einem verträumten Bruder aufgewachsen, um den ich mich lange kümmerte. Und nun habe ich ein verträumtes Kind ... Und obwohl ich immer wieder kurz vor der Verzweiflung stehe, tut mir genau dieses Kind unglaublich gut. Es entschleunigt mich und zeigt mir die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Meinen optimal getimten und durchstrukturierten Tag als alleinerziehende Unternehmerin

kann ich in der Regel in die Tonne treten: Ich muss mich nur auf mein Kind einlassen und ausprobieren, wie es ist, Umwege zu gehen, stehen zu bleiben, mich hinzulegen ... All das habe ich mir selbst ja nie erlaubt! Danke, mein Kind! Anna Glaubrecht (auf www.fritzundfraenzi.ch)

Schreiben Sie uns! Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut? Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns wissen! Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich. Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi oder Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi. Kürzungen behält sich die Redaktion vor.

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Erziehung Rubrik & Schule

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Erziehung Rubrik & Schule

Alina, 7 Jahre

Diagnose MS Multiple Sklerose kann zu schweren Behinderungen führen. Doch nicht jede Diagnose hat ein Leben im Rollstuhl zur Folge. Dies macht Eltern Mut, deren Kinder bereits im Schulalter erkranken. Zwei betroffene Familien erzählen. Text: Andres Eberhard Bilder: Gabi Vogt / 13 Photo

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Zurzeit geht es Alina gut. Doch auf lange Sicht führt kein Weg an einer medikamentösen Behandlung vorbei.

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Erziehung & Schule

A

n Besuche beim Kin­ derarzt war man in der Familie gewöhnt. «Alina* hatte immer etwas», sagt Monika Baumann*, die Mutter. Das von Zeit zu Zeit auftretende Kopfweh in den frühen Morgenstunden erklärten sich die Ärzte mit dem Heuschnup­ fen, die Müdigkeit am Mittag mit den Medikamenten gegen Asthma und Neurodermitis. Als aber das Kopfweh regelmäs­ sig wurde und einmal sogar Erbre­ chen dazukam, sagte sich die Mut­ ter: «Das kann nicht sein.» Auf Anraten einer befreundeten Arztge­ hilfin liess sie Alinas Augen unter­ suchen. Alina sah auf dem rechten Auge nur drei Prozent. Diagnose: Sehnerventzündung. Drei Monate und viele Untersuchungen später war klar: Alina, 6 Jahre alt, eben in die erste Klasse eingeschult, hat Multiple Sklerose (MS). Monika Baumann sitzt auf ihrem Balkon, Alina spielt in ihrem Zim­ mer mit Legoklötzen. «Die Dia­ gnose war ein Schock», sagt die Mutter. Es hätte ein tolles Jahr werden können für die Familie Baumann: Im Frühling hatte man sich den Traum einer Eigentumswohnung in der Nähe des Sempachersees ver­ wirklicht. Und Alina freute sich auf die Schule, die Mitte August begin­ nen sollte. Doch die Diagnose ver­ änderte alles. «Die folgenden Mona­ te waren die schlimmsten», sagt die Mutter rückblickend, «das war kein schönes Jahr.» Bekannt ist, dass die Nerven­ krankheit MS unheilbar ist. Und auch, dass sie zu schweren Behinde­

rungen führen kann. Nur wenige hingegen wissen, dass die Krankheit bereits bei Kindern und Jugendli­ chen auftreten kann. Man geht von 3 bis 5 Prozent pädiatrischer Fälle aus, bei denen die Diagnose vor dem 16. Lebensjahr gestellt wird. Weil sich die Kinder aber oft schnell und vollständig von den ersten Sympto­ men erholen, wird MS häufig erst viele Jahre später diagnostiziert (siehe Interview auf Seite 64). Weniger bekannt ist auch, dass MS-Patienten nicht in jedem Fall ein Leben im Rollstuhl bevorsteht. In vielen Fällen leben Betroffene jahr­ zehntelang behinderungsfrei. «Die Krankheit mit den 1000 Gesichtern» wird MS wegen der sehr unter­ schiedlichen Verläufe auch genannt. Die Krankheit verläuft in Schüben, wobei ein Schub irgendwann auftre­ ten kann – am kommenden Tag, aber auch erst in 20 Jahren. Dies löst bei Betroffenen Angst und Hoffnung gleichzeitig aus. Man rechnet mit dem Schlimmsten. Und hofft doch immer das Beste. Nicht minder intelligent, aber langsamer

Alinas Sehprobleme waren schnell behoben. Kortison half gegen die Entzündung, eine Brille gegen die anhaltende Sehschwäche. Alinas MS wurde mit «Rebif» therapiert – einem Präparat, das unter die Haut gespritzt wird. Doch nicht nur die dreimal wöchentlichen Prozeduren wurden für Alina zur Tortur. In den Kontrollen zeigte sich auch, dass sich ihr Leberwert erhöht hatte. Erst reduzierten die Ärzte die Dosierung, dann verschrieben sie ihr ein neues Medikament namens Copaxone. Dieses hatte aber Nebenwirkungen, die zwar unregelmässig, aber gravie­ rend waren. Nach der Einnahme bekam Alina mehrmals Atemnot, manchmal erbrach sie. «Zwei Minu­ ten spritzen, 15 Minuten Panik», umschreibt es die Mutter. Für die Ärzte war das eine unan­ genehme, aber ungefährliche Reak­

tion. Für Monika Baumann war sie angsteinflössend. Sie liess die Thera­ pie stoppen. Obwohl MS nicht heilbar ist, wird die Krankheit mit Medikamen­ ten behandelt. Diese bewirken, dass der Verlauf der Krankheit bezie­ hungsweise der nächste Schub hin­ ausgezögert wird. «Wir wissen, dass wiederkehrende entzündliche Atta­ cken auf das sich noch entwickelnde Gehirn schwere Auswirkungen haben können», sagt Oberärztin Sandra Bigi vom Inselspital Bern, die einzige Kinderneurologin in der Schweiz mit Spezialisierung auf MS bei Kindern und Jugendlichen. Mit einer Therapie stellt sie jungen MSPatienten gute Prognosen: «Es ist ein sehr realistisches Ziel, eine normale Jugend zu erleben und ein unabhän­ giges Leben zu führen.» Ohne die Spritzen ging es Alina besser. «Sie ging wieder raus, spielte und lachte. Ich dachte: Das ist end­ lich wieder mein Kind», sagt die Mutter. Doch auch sie weiss, dass auf Dauer kein Weg an der medikamen­ tösen Therapie vorbeiführt. Derzeit informiert sie sich über ein neues Präparat, das einen grossen Vorteil hat: Es wird per Infusion verabreicht und nicht gespritzt. Ob Alinas Immunsystem bei diesem >>>

Man rechnet mit dem Schlimmsten. Und hofft doch immer das Beste.

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Erziehung & Schule

>>> dritten Versuch besser reagieren wird, kann sie allerdings nicht wissen. Typisch für pädiatrische MSPatienten sind kognitive Probleme wie Aufmerksamkeits-, Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen. Kinderneurologin Sandra Bigi erklärt: «Die Nerven leiten um Bruchteile von Millisekunden langsamer, was zur Folge hat, dass die Betroffenen eine längere Verarbeitungszeit haben.» Das bedeutet: «Kinder mit MS sind nicht weniger intelligent, aber sie brauchen mehr Zeit, um sich zu organisieren und zu strukturieren.» In solchen Fällen werden Schulanpassungen notwendig – also etwa Nachteilsausgleiche in Form von mehr Zeit oder reduziertem Umfang bei Prüfungen. «Manchmal ist das bei den Schulen schwierig durchzubringen, da Kindern und Jugendlichen mit MS äusserlich häufig nichts anzumerken ist», sagt die Kinderneurologin.

derung sowie von Verständnis und autoritärem Anspruch geht. «Alina sagt mittlerweile bei allem, was sie nicht will, dass sie müde ist», sagt Monika Baumann. Ihr, die an sechs Tagen der Woche bei der Tochter ist, bereite das keine grossen Schwierigkeiten. «Ich sehe Alina an, wenn sie wirklich nicht mehr kann.» Ihrem Mann, der einen Tag pro Woche zu Hause bei den Kindern bleibt, falle das aber schwerer. Neben diesem erzieherischen Balanceakt stellt auch der Umgang mit den eigenen Ängsten Eltern vor Schwierigkeiten. «Bin ich ängstlich, überträgt sich das auf das Kind», sagt die Mutter. Also versucht sie, nicht ängstlich zu sein. Wenn Alina in die Pubertät kommt, stellen sich neue Pro­bleme. Sandra Bigi, die am Inselspital Bern viele betroffene Familien berät, >>>

«Bin ich ängstlich, überträgt sich das auf das Kind», sagt die Mutter. Also versucht sie, nicht ängstlich zu sein.

Erzieherischer Balanceakt

Im vergangenen Jahr absolvierte Alina zur Abklärung von allfälligen kognitiven Einschränkungen einen umfassenden Test. Sie schnitt für ihr Alter überdurchschnittlich ab. Doch der Erstklässlerin macht im Schulalltag anderes zu schaffen. Einerseits plagt sie häufig eine grosse Müdigkeit – ein typisches MS-Symptom. Andererseits leidet sie unter Inkontinenz. Aus diesen Gründen entschied sich die Familie dafür, Schule und Lehrer über die Krankheit zu informieren. Alina durfte in der Folge selber entscheiden, ob ihre Klassenkameraden von der MS erfahren sollten – sie entschied sich dafür. Seither sorgt eine Fachperson für integrierte Förderung dafür, dass Alina nicht ausgelacht wird, wenn sie mal in die Hosen machen sollte. Nicht nur für die Kinder, auch für die Eltern kann die Diagnose MS eine grosse Herausforderung sein. So in der Erziehung, wenn es ums Ausloten von Über- und Unterfor64

«MS wird häufig zu spät diagnostiziert» Im Schnitt sind minderjährige MS-Patienten 13 Jahre alt, wenn die Krankheit bei ihnen erkannt wird. Mädchen seien öfter betroffen als Jungen, sagt der Mediziner Pasquale Calabrese. Interview: Andres Eberhard Wie häufig tritt Multiple Sklerose bereits im Kindesalter auf? Die Diagnose wird in rund 10 Prozent der Fälle vor dem 20. Lebensjahr gestellt. Meistens befinden sich die Patienten in der Pubertät, im Schnitt sind sie etwa 13 Jahre alt. Ausserdem sind mehr Mädchen betroffen. Man geht davon aus, dass dieser Geschlechterüberhang genetisch mitbedingt ist, denn er zeigt sich auch bei erwachsenen MS-Patienten. Dort ist das Verhältnis beinahe zwei zu eins.

Das ist nicht wenig. Trotzdem ist kaum bekannt, dass die Krankheit bereits bei Minderjährigen auftritt. Warum? MS kaschiert sich oft hinter alterstypischen Erscheinungen. Ein typisches Symptom wie eine Entzündung des Sehnervs kann bei Kindern auch ganz andere Ursachen haben – zum Beispiel eine Allergie. Auch Müdigkeit ist ein typisches Symptom für MS, bei heranwachsenden Jugendlichen aber ganz normal. Kommt hinzu, dass sich Kinder viel besser von Schüben erholen als Erwachsene. Auf den ersten Schub folgt oft eine lange behinderungsfreie Krankheitsphase. Aus diesen Gründen wird MS häufig zu spät diagnostiziert. Mit welchen Folgen? Allgemeine Prognosen lassen sich nicht anstellen. Sicher ist: Je früher therapiert wird, desto besser ist die Chance, dass es nicht oder erst viel später zu einer relevanten Behinderung kommt. Allgemein gilt, dass bei Kindern oft bis zu 20 Jahre

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Alina schnitt bei IQ-Tests sehr gut ab, leidet aber oft unter Müdigkeit.

vergehen, bis es zu bleibenden Beeinträchtigungen kommt, während dieser Zeitraum bei Erwachsenen nur etwa die Hälfte beträgt. Das gilt aber nicht für sogenannte Risikopatienten. Von solchen spricht man, wenn bereits in den ersten Krankheitsjahren Behinderungen sichtbar werden oder eine hohe Schub­frequenz feststellbar ist. MS verläuft in Schüben. Wie erkennt man solche? Häufig sind Sehnerventzündungen. Sichtbare Symptome sind zudem Gleichgewichtsstörungen oder Lähmungserscheinungen an Armen und Beinen, was eine verminderte Gehfähigkeit zur Folge hat. Fast noch problematischer sind unsichtbare Symptome: Gedächtnis-, Konzentrationsoder Aufmerksamkeitsprobleme. Auch Depressivität oder Sprachstörungen gehören dazu. Welche Folgen haben diese kognitiven Störungen für schulpflichtige Kinder?

Betroffene Kinder haben Schwierigkeiten, den Schulstoff aufzunehmen oder abzuspeichern. Möglicherweise braucht das Kind also mehr Pausen oder einen Nachteilsausgleich bei Prüfungen. Für solche Anpassungen sowie für eine gezielte Förderung ist eine Allianz von Kindern, Eltern, den Neuropädiatern und den betroffenen Schulpädagogen nötig. Das passiert leider noch viel zu wenig. Kann es auch ein Nachteil sein, Freunde und Schule zu informieren? Stigmatisierung und Diskriminierung kommen vor. Jugendliche befinden sich in einer Phase, in der sie sich mit sich selbst und ihren Peers auseinandersetzen. Sie wollen dazugehören. Die Krankheit kann hier grosse Rückschläge zur Folge haben: im Sport, beim Disco-Besuch, beim Kennenlernen von Mädchen oder Jungs. Aus diesen Gründen empfehle ich eine altersadäquate psychologische Begleitung oder Beratung als Ergänzung zur medikamentösen Therapie.

Welche Schwierigkeiten ergeben sich für betroffene Eltern? Für Eltern ist es eine Gratwanderung zwischen Unterforderung und Überforderung. Viele tun sich schwer damit, trotz der Erkrankung gewisse autoritäre Ansprüche geltend zu machen wie die Einhaltung von Zeiten oder Ordnung. Ist die Erschöpfung krankheitsbedingt oder ist das Kind zu faul? Um solche Fragen besser einschätzen zu können, ist eine Beratung auch für betroffene Eltern empfehlenswert.

Zur Person

Prof. Dr. Pasquale Calabrese leitet die Arbeitsgruppe Neuropsychologie und Verhaltensneurologie der Universität Basel. Er forscht zu MS bei Kindern und Jugendlichen, berät aber auch betroffene Familien. Er ist zudem als Berater für die Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft tätig.

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Nützliche Links und Adressen: • Die Schweizerische MS-Gesellschaft bietet für Betroffene, Angehörige, Fachpersonen und ­Interessierte eine soziale, medizinische und ­pflegerische Telefon- und Videoberatung an: MS-Infoline 0844 674 636; www.multiplesklerose.ch • Auf einer speziellen Kinderwebsite wird MS ­kindgerecht erklärt: www.ms-kids.ch • Das Inselspital Bern treibt unter der Leitung von Oberärztin Dr. Sandra Bigi zusammen mit der MS-Gesellschaft die Thematisierung und Behandlung der pädiatrischen MS in der Schweiz voran. Eines der Ziele ist, Forschungsergebnisse zu pädiatrischer MS in anonymisierter Form in einem Schweizer MS-Register aufzunehmen, um wirksame Unterstützungs- und Begleit­massnahmen anbieten zu können. www.kinderkliniken.insel.ch • Die Arbeitsgruppe Neuropsychologie und ­Verhaltensneurologie der Universität Basel unter der Leitung von Professor Pasquale Calabrese forscht zu MS bei Kindern und Jugendlichen, berät aber auch betroffene Familien. npvn.mcn.unibas.ch

Monika Baumann möchte ihrer Tochter eine normale Kindheit ermöglichen.

Die Mutter macht sich Sorgen, dass sich Alinas Bruder vernachlässigt fühlen könnte. 66

>>> sagt: «Vielen Jugendlichen fällt es schwer, in einer Zeit, in der sie alles andere im Kopf haben, die Krankheit zu akzeptieren, dass sie anders sind als ihre Peers.» Ausser­ dem würden die Jugendlichen die Krankheit oft als Rückschritt in einem Prozess der Ablösung von den Eltern erleben. Die Kinder­ neurologin empfiehlt den betrof­ fenen Familien jeweils eine psycho­ logische Begleitung. Zentral sei, dass die Jugendlichen von sich aus mit­ machen, selber in die Verantwor­ tung gezogen werden. «Die Aufgabe der Eltern ist es, sie darin zu be­­ stärken.» So weit voraus denkt man bei Baumanns noch nicht. «Wir müssen es nehmen, wie es kommt», sagt Ali­

nas Mutter. Wie für jede Mutter sei es ihr Ziel, dass die Kinder eine glückliche Kindheit erleben dürfen. Sorgen bereitet ihr derzeit, dass sich wegen der Krankheit das zweite gemeinsame Kind, der 9-jährige Marco, vernachlässigt fühlen könn­ te. Über solche Dinge würde sich Monika Baumann gerne mit ande­ ren betroffenen Eltern austauschen. Dieser Wunsch ist wegen der gerin­ gen Anzahl an Betroffenen – weni­ ger als 1 Prozent der MS-Diagnosen wird unter 10 Jahren gestellt – gar nicht so einfach zu erfüllen. «Ich wusste gar nicht, was MS ist»

Tina Furer, eine junge Frau aus dem Kanton Solothurn, hatte ihren ersten Schub, als sie 12 Jahre alt war. Sie war

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Erziehung & Schule

damals in der sechsten Klasse und auf Abschlussreise in Bern. Mitschü­ ler und Lehrer hätten ihr gesagt, dass sie schiele. «Selber habe ich das gar nicht gemerkt.» Der Kinderarzt dia­ gnostizierte eine Sehnerventzün­ dung, worauf Tina ins Spital über­ wiesen wurde, wo sie eine Woche blieb. Nach mehreren Untersuchun­ gen, unter anderem einer Magnetre­ sonanztomografie (MRI) und einer sogenannten Lumbalpunktion – der Entnahme von Nervenwasser aus der Wirbelsäule –, stand die Dia­ gnose fest. Dass sie MS habe, habe sie damals nicht sonderlich bewegt, sagt Tina. «Ich wusste ja gar nicht, was MS ist. Ausserdem hatte ich kei­ ne Schmerzen.» Wie Alina erholte sich auch Tina Furer vom unmittelbaren Schub nach der Verabreichung von Korti­ son innerhalb weniger Monate. Das

Medikament, das sie zur Therapie der MS spritzte, vertrug sie gut. Doch nach zwei Jahren brachte ein MRI «versteckte Schübe» zum Vor­ schein, die Tina gar nicht mitbe­ kommen hatte. Seither erhält sie ein neues Medikament, mit dem sie keine Probleme hatte. Auch die Untersuchungen, die sie zweimal jährlich am Kopf und einmal jähr­ lich am Rückenmark machen lässt, verliefen positiv. Heute ist Tina Furer 18 Jahre alt und lebt das Leben eines normalen Teenagers. Kognitive Einschränkun­ gen hat sie keine. Im Gegenteil: Sie hat eben das Gymnasium abge­ schlossen – mit der Bestnote 6 im Schwerpunktfach Mathematik. Seit sechs Jahren und dem ersten Schub hat sich die MS äusserlich nie mehr bemerkbar gemacht. An ihre Krank­ heit erinnert sie nur, dass sie alle vier Wochen ins Berner Inselspital fährt, wo ihr das Medikament zur Thera­ pie intravenös verabreicht wird. «Im Alltag merke ich davon nichts», sagt Tina. Ihre Mutter ergänzt: «Wir gehen davon aus, dass das auch so bleibt.» Und der Vater hofft: «Viel­ leicht gibt es bald schon ein Medi­ kament, das MS nicht nur stoppt, sondern auch heilt.» Tina weiss, dass der nächste Schub ganz bestimmt kommt. Aber sie kann nicht wissen, wann das ist und in welcher Form er auftritt. Nie­

mand weiss, welches der 1000 Gesichter die Krankheit bei ihr zei­ gen wird. Und wie MS das Leben, das Tina für sich im Kopf hat, beein­ trächtigen wird. «Ich muss es so nehmen, wie es kommt», sagt Tina. «Ich habe gelernt, damit zu leben.» Bald beginnt sie ihr Mathe-Studium mit Nebenfach Informatik. Vielleicht gehe sie vorher noch reisen, sagt sie. >>>

Tina weiss nie, wann der nächste Schub kommen wird – aber sie weiss, dass er kommen wird.

* Namen der Redaktion bekannt.

Andres Eberhard

ist freischaffender Reporter und lebt mit seiner Familie in Zürich. Gelesen hatte er über MS schon viel. Doch erst durch diese Recherche wurde ihm klar, welche Ängste und welches Leid eine Diagnose auslösen kann – und dies lange bevor die ersten Beeinträchtigungen eintreten.

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Ernährung & Gesundheit

Mehr als nur ein bisschen Husten Der Schweizerische Impfplan empfiehlt ab dem zweiten Lebensmonat eine Impfung gegen Keuchhusten. Trotzdem erkranken hierzulande jedes Jahr rund 8700 Kinder und Erwachsene an der Atemwegserkrankung – zum Teil mit schwerem Verlauf. Text: Claudia Füssler

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Dezember 2017 / Januar 2018  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Bild: zVg

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rockener Reizhusten, Schnupfen, leichtes Fie­ ber – die ersten Keuch­ hustensymptome erin­ nern an eine Erkältung. Die Kinder werden ins Bett gepackt, mit Tee, Nastüchern und einer guten Geschichte versorgt. Erwachsene ignorieren die Krankheitsanzeichen meist und schleppen sich angeschla­ gen ins Büro. Bis die Symptome – bei Klein und Gross – schlimmer und die Hustenattacken so heftig werden, dass man sich erbricht. Bestenfalls ist das einfach un­­ angenehm. Doch für Säuglinge und Menschen mit einem schwachen Immunsystem oder einer schweren Grunderkrankung kann Keuchhus­ ten schnell lebensgefährlich werden: Sie leiden unter Atemaussetzern, und die Lunge kann sich entzünden oder dauerhaft geschädigt werden. «Die Erkrankungszeichen sind anfangs häufig noch untypisch, das heisst, sie können der Krankheit Keuchhusten nicht eindeutig zuge­ ordnet werden, sodass die Diagnose zu dem Zeitpunkt oft nicht gestellt wird. Gleichzeitig sind die Erkrank­ ten genau dann schon hochinfek­ tiös», sagt Cornelia Feiterna-Sperling von der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie und Immunologie an der Charité Univer­ sitätsmedizin Berlin. So werden Kranke, die den Keuchhusten selbst gut wegstecken und ihn als hartnäckige Erkältung


oder Bronchitis fehldeuten, zur Ge­­ fahr für andere. Denn Betroffene sind mindestens drei Wochen lang ansteckend und infizieren in dieser Zeit durchschnittlich 17 weitere Per­ sonen. Hinzu kommt, dass Keuch­ husten häufig atypisch verläuft, die bekannten Stadien (siehe Infobox Seite 70) also überhaupt nicht in die­ ser Form auftreten. So macht sich das zweite Stadium bei Säuglingen unter sechs Monaten meist nicht mit den charakteristi­ schen Hustenanfällen, sondern mit Atemstillständen be­­merkbar. «Säug­ linge im ersten Lebensjahr haben zudem ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Komplikationen wie Apnoen, Lungenentzündungen oder Krampfanfälle», sagt FeiternaSperling. Jugendliche und Erwachse­ ne werden oft nicht mit Keuchhusten diagnostiziert, weil sie als einziges Symptom einen trockenen Husten haben. Das Problem: In ihrem Blut ist der Erreger dennoch nachweisbar, sie können also andere anstecken. Die Behandlung ist langwierig

Keuchhusten ist weltweit eine der häufigsten Infektionserkrankungen der Atemwege. Die Betroffenen hus­ ten über mehrere Wochen oder sogar Monate. Der Volksmund nennt die Erkrankung daher auch den 100-Tage-Husten. Der Erreger des Keuchhustens heisst Bordetella pertussis. Dieses Stäbchenbakterium produziert Giftstoffe, welche die Schleimhäute der Atemwege schädi­ gen. Das wiederum verursacht die Symptome. Zugleich fühlt sich Bor­ detella pertussis in diesen Schleim­ häuten sehr wohl und vermehrt sich dort. Der Erreger Bordetella paraper­ tussis kann ebenfalls Keuchhusten verursachen. Allerdings er­­kranken weniger als 20 Prozent der von die­ sem Bakterium befallenen Men­ schen an Keuchhusten, der Grossteil bekommt eine einfache akute Bron­ chitis oder merkt überhaupt nichts von der Infektion.

Der Keuchhusten, sagt Ulrich Hei­ ninger, sei auf vielen Ebenen kom­ pliziert. Der Professor ist Leitender Arzt in der Pädiatrischen Infektio­ logie und Vakzinologie des Univer­ sitäts-Kinderspitals beider Basel und hat sich zu Pertussis – so der medi­ zinische Name für Keuchhusten – habilitiert. «Die Krankheit ist sehr langwierig. Die Symptome ähneln anfangs denjenigen einer Erkältung, die Diagnostik ist deshalb schwierig. Und eine Therapie muss so früh wie möglich begonnen werden – dann, wenn man eigentlich noch gar kei­ nen Verdacht hat, dass es Keuchhus­ ten sein könnte», sagt Heininger. Immerhin: Es gibt Impfstoffe, die wirksam und gut verträglich sind. Diese sogenannten azellulären Keuchhustenimpfstoffe erreichen einen Wirkungsgrad von 85 Pro­ zent. Das heisst, von sechs Geimpf­ ten bleibt einer ungeschützt. Um einen Erreger, der nur bei Menschen vorkommt, vollständig auszurotten, wären ein Wirkungsgrad des Impf­ stoffes von 95 Prozent und gleichzei­ tig eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent nötig. Die Wissenschaft hat bereits in den 1940er-Jahren einen Impfstoff gegen Keuchhusten entwickelt, der einen höheren Wirkungsgrad hat als die heutigen Varianten. Doch dieser sogenannte Ganzkörperimpfstoff war deutlich schlechter verträglich: Viele Kinder bekamen nach der Impfung Fieber, Schwellungen und Schmerzen, in den 1990er-Jahren kam sogar der Verdacht auf, die Pertussis-Impfung sei Ursache für schwere Hirnschäden oder Todes­ fälle bei kleinen Kindern. Der Erreger zirkuliert weiter

«Das wurde intensiv untersucht. Heute weiss man, dass dem nicht so ist, doch das alles war Anlass genug, um neue Impfstoffe zu entwickeln», sagt Heininger. Heute werden Kin­ der – und in vielen Ländern auch Erwachsene – mit Ausnahme von Polen in ganz Europa mit den >>>

Keuchhustenkeime können in der Luft bis zu einem Meter zurücklegen.

Wie stecke ich mich an? Der Keuchhustenerreger wird per Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen. Die Bakterien gelangen von einem Erkrankten über winzige Tropfen aus Nase oder Rachen zu einem Gesunden – beim Sprechen, Husten oder Niessen. Bis zu einem Meter können die Keime dabei in der Luft zurücklegen. Keuchhusten ist hoch ansteckend, fast jeder Kontakt zwischen einem erkrankten und einem gesunden Menschen führt zur Ansteckung. Ist der Gesunde durch Impfung geschützt, kann er vermutlich dennoch die Bakterien an andere weitergeben und diese infizieren – die genauen Wege erforscht die Wissenschaft noch.

Was muss ich bei einer Erkrankung beachten? Haben Sie den Verdacht, dass Ihr Kind an Keuchhusten leidet, informieren Sie vor einem Arztbesuch unbedingt die Praxis, so dass andere Patienten vor einer Ansteckung geschützt werden können. Gegebenenfalls verschreibt der Arzt ein Antibiotikum. Das kann die Hustenattacken aber nur dann mildern, wenn es früh genommen wird. Ansonsten können Sie nur versuchen, Ihrem Kind das Durchstehen des Keuchhustens ein wenig zu erleichtern. Wichtig ist etwa, dass es während eines Hustenanfalls aufrecht sitzt und den Kopf leicht nach vorne beugt. Viel trinken hilft, den trockenen Husten etwas zu lindern. Verteilen Sie das Essen am besten auf viele kleine Mahlzeiten und Snacks, der ständige Würgereiz und das Erbrechen machen die Nahrungsaufnahme in dieser Zeit schwierig. Ihr Kind sollte frühestens drei Wochen nach Beginn des Hustens wieder in die Schule oder den Kindergarten gehen, um Ansteckungen zu vermeiden. Der beste Schutz vor einer Ansteckung ist eine Impfung.

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Ernährung & Gesundheit

Die Krankheitsstadien Keuchhusten ist eine langwierige Erkrankung, die in der Regel drei Stadien durchläuft: Stadium catarrhale, Stadium convulsivum und Stadium decrementi. Das Tückische an der Erkrankung ist, dass es sowohl im Säuglings- und Kindesalter als auch bei Jugendlichen und Erwachsenen häufig atypische Verläufe gibt. 1 Stadium catarrhale Etwa sieben bis vierzehn Tage nach der Infektion bekommt der

Erkrankte für ein bis zwei Wochen grippeähnliche Symptome: leichtes Fieber, Schnupfen, einen trockenen Reizhusten. Jetzt ist der Patient am ansteckendsten. 2 Stadium convulsivum Zwei bis sechs Wochen lang treten die charakteristischen krampfartigen Hustenanfälle auf, an deren Ende der Betroffene meist laut keuchend einatmet. Er würgt Schleim hoch oder erbricht sich. Die Hustenattacken

>>> azellulären Impfstoffen immu­ nisiert, die Mediziner haben damit eine bessere Verträglichkeit gegen eine etwas schlechtere Wirksamkeit eingetauscht. Das hat zur Folge, dass der Erre­ ger weiter in der Bevölkerung zirku­ liert und es mal hier, mal dort zu Ausbrüchen kommt. In den Jahren 1994/95 trat laut Bundesamt für Gesundheit in der Schweiz eine Epi­ demie mit insgesamt etwa 46 000 Erkrankten auf. Danach sei eine ste­ tige Abnahme der Anzahl von Fällen zu verzeichnen gewesen, seit 2010 sei aber wieder ein steigender Trend zu beobachten. Im Zeitraum von 2010 bis 2014 wurden jährlich durchschnittlich 8700 Fälle gemeldet. Der Anteil an Jugendlichen und Erwachsenen unter den Patienten stieg in den ver­ gangenen Jahren tendenziell an. Aktuell werden in der Schweiz jedes Jahr rund 30 Kinder aufgrund einer

Vor allem wegen der Impfmüdigkeit bei Erwachsenen steigt die Zahl der Krankheitsfälle wieder an. 70

sind häufig und werden vor allem nachts oder bei körperlicher Anstrengung schlimmer. 3 Stadium decrementi In dieser mindestens drei bis sechs Wochen dauernden Phase werden die Hustenattacken nach und nach weniger häufig und schliesslich auch weniger schwer. Bekommt der Patient keine Antibiotika, kann sich das dritte Stadium auch sechs bis zehn Wochen hinziehen.

Keuchhustenerkrankung hospitali­ siert, davon am häufigsten Säuglin­ ge. In den letzten 15 Jahren wurden vier keuchhustenbedingte Todesfäl­ le gemeldet. «Das ist kein nationaler Notstand, doch das Tückische am Keuchhusten ist eben, dass es jeder­ zeit zu einem grösseren Ausbruch kommen kann und dann plötzlich in einem Jahr 15 Säuglinge daran sterben», sagt Heininger. Keine reine Kinderkrankheit mehr

In den letzten fünfzig Jahren hat sich viel getan: Die Zahl der Krankheits­ fälle ist erheblich zurückgegangen. Dass sie jetzt dennoch wieder steigt, vor allem bei Jugendlichen und Er­­ wachsenen, ist der Impfmüdigkeit zuzuschreiben. Während rund 95 Prozent der Säuglinge geimpft sind, schätzen Experten, dass die Auffri­ schungsquote bei Erwachsenen bei weniger als acht Prozent liegt. Die klassische Kinderkrankheit ist also

zu einer Erkrankung geworden, an der jetzt auch – meist unwissend – viele Erwachsene leiden. Sicher, für sie und für ältere Kinder ist ein Keuchhusten meist nur lästig. Den­ noch können auch hier schwerere Symptome wie Gewichtsverlust, Atempausen, Erbrechen auftreten. Der starke Husten kann zudem Schlafstörungen, Inkontinenz, Ein­ blutungen in die Augen oder sogar Rippen-, Leisten- oder Nabelbrüche verursachen. Als häufige Komplika­ tionen sind Krampfanfälle sowie Lungen- und Mittelohrentzündun­ gen be­­kannt. Nicht auf die leichte Schulter nehmen

Keuchhusten ist also nichts, was man unter «ein bisschen Husten» auf die leichte Schulter nehmen sollte. Das grösste Risiko besteht jedoch darin, dass Nichtgeimpfte den Erreger wei­ tergeben an Menschen, für die der Keuchhusten lebensgefährlich wer­ den kann. Da Neugeborene erst nach dem vollendeten zweiten Lebensmonat geimpft werden können, ist es umso wichtiger, dass sich Kontaktperso­ nen gegen Keuchhusten schützen: Das sind neben Eltern und Ge­­ schwistern auch Oma und Opa, Tan­

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ten, Onkel oder Erzieher der älteren Geschwister. Eine Auffrischung der Keuchhus­ tenimpfung ist wichtig, weil der Impfschutz im Laufe der Jahre nach­ lässt. «Weder eine durchgemachte Erkrankung noch eine Impfung gegen Keuchhusten bietet einen langfristigen Schutz vor einer Er­­ krankung oder einer erneuten Infek­ tion und Erkrankung», sagt Corne­ lia Feiterna-Sperling. Wie lange eine Impfung wirkt, darüber streiten die Mediziner. Als Pi-mal-Daumen-Regel gelten der­ zeit rund zehn Jahre. Allerdings ver­ schwindet so ein Impfschutz nicht einfach über Nacht. Es ist davon auszugehen, dass er über die Jahre sukzessive weniger und der Geimpf­ te anfälliger für den Erreger wird. Als Grundimmunisierung empfiehlt

der Schweizerische Impfplan insge­ samt sechs Impfdosen: Im Alter von 2, 4, 6 sowie zwischen 15 und 24 Monaten, dann zwischen 4 und 7 sowie zwischen 11 und 15 Jahren. Erwachsenen wird zudem eine ein­ malige Keuchhustenimpfung im Alter von 25 bis 29 Jahren empfoh­ len, doch Experten gehen davon aus, dass das zu wenig ist, um einen lang anhaltenden Schutz zu erreichen. Eine Möglichkeit, den Erreger weiter einzudämmen, wäre ein neu­ er Impfstoff mit einem höheren Wir­ kungsgrad. Die Wissenschaft ver­ sucht derzeit, den immunologischen Marker für Keuchhusten zu finden und dort mit der Entwicklung eines neuen Impfstoffes anzusetzen. Doch auch der kann nur funktionieren, wenn man sich impfen lässt. >>>

Erwachsenen wird eine einmalige Impfung empfohlen. Experten gehen davon aus, dass das zu wenig ist.

Claudia Füssler

ist gegen Keuchhusten geimpft. Den klassischen Erkältungshusten zwingt sie nach Omas Rezept nieder: mehrmals täglich zwei Esslöffel selbst gemachten Zwiebelsaft.

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Digital

Wenn Mama bloggt Über seine Kinder im Internet zu schreiben, liegt im Trend. Ein Grund: An einem Blog kann Mama von zu Hause aus arbeiten. Aber Blogs zu Geld machen ist ein hartes Geschäft.

W

ährend Ellen Girod ihre Tochter stillt, tippt sie auf ihrem Handy Textentwürfe. Nachts sitzt sie dann an ihrem Laptop, überträgt Texte in ihren Blog, bastelt an Fotos und am Webdesign und tüftelt an Strategien, mit denen ihr Blog «Chez Mama

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Text: Bianca Fritz Bilder: zVg, Bianca Fritz

Poule» bekannter werden und Geld einbringen könnte. Die 33-Jährige hat einen Traum: «In zwei Jahren möchte ich vom Bloggen leben können», sagt die freie Journalistin und Mutter. Ein Traum, den viele Mamablogger und sicher auch einige der wenigen Papablogger teilen. Denn Bloggen verspricht Freiheit: «Beim Bloggen kann ich orts- und zeitun-

abhängig arbeiten – und immer dann für meine Kinder da sein, wenn sie mich brauchen», erklärt Ellen Girod. Ein ähnliches Ziel verfolgt auch Reisefan und Dreifachmama Andrea Jansen. Die Journalistin und ehemalige TV-Moderatorin ist 2016 mit ihrem Blog gestartet und hatte schon am ersten Tag 1000 Besucherinnen

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«In zwei Jahren möchte ich vom Bloggen leben können», sagt die Mutter und freie Journalistin Ellen Girod.

und Besucher. «Wenn man öffentlich bekannt ist, kann man sich nicht einfach mal ausprobieren – da muss jeder Text sitzen – von Anfang an», sagt sie. Mit ihrem Blog anyworkingmom ist sie ein Shootingstar in der Schweizer Elternblogger-Szene. Schon nach einem Jahr hat sie rund 30 000 Leserinnen und Leser pro Monat und mit Anja Knabenhans eine Partnerin mit an Bord. Anyworkingmom entstand auch nie neben dem Wickeltisch. Andrea Jansen geht zum Schreiben ins Büro – in ihrem Fall in einen hippen CoWorking-Space in Zürich. Bloggen passiert in ihrer offiziellen Arbeitszeit von etwa 60 Prozent. Der Blog ist, neben Beratungstätigkeiten, Vorträgen und journalistischen Artikeln, zu einem beruflichen Projekt geworden – und das war auch von Anfang an so geplant. Nach einigen Werbekooperationen wollen die beiden Frauen im nächsten Jahr auf langfristige Partner setzen und versuchen, mit innovativen Ideen den Blog zu finanzieren. So zum Beispiel mit einem eigenen Produkt: lustigen Karten für Mütter, die dem Mutterberuf mit einem Augenzwinkern huldigen. Mütter ohne Kinder an der Elternbloggerkonferenz

Elternblogs liegen im Trend – in den USA und in Deutschland schon lange, aber auch in der Schweiz werden es immer mehr. Offizielle Zahlen

gibt es nicht, und sie sind schwierig zu erheben: Viele Schweizer Blogs fischen auch in Deutschland nach Leserinnen und umgekehrt. Über 2000 deutschsprachige Familienblogs sind in einer Datenbank der Frauenzeitschrift Brigitte verzeichnet. In der Schweiz zeigt sich das wachsende Interesse auch an der Teilnehmerzahl der speziell für Familienblogger ins Leben gerufenen Konferenz Swiss Blog Family: Kamen 2016 bei der ersten Durchführung noch knapp 50 Mütter (Männer gab es keine) zusammen, um sich über Bildrechte, Privatsphäre und Vermarktung auszutauschen, haben die Veranstalter diesmal 100 Plätze locker besetzt. Obwohl die Familie bei den Bloggern im Zentrum ihres Schaffens steht, krabbelt nur ein einziges Kleinkind durch den grossen Seminarraum eines Kongresshotels in Basel – alle anderen haben ihre Kinder zu Hause gelassen. Die Sponsoren mit Buntstiften und Malbüchern warten vergeblich auf gelangweilte Kinder. Unter den Frauen (und vereinzelten Männern) herrscht die

fröhliche Stimmung eines grossen Klassentreffens. Man kennt und liest ja viel Persönliches voneinander. Eines wird auf der Konferenz schnell klar: Wer mit seinem Blog Geld verdienen oder gar sein Einkommen bestreiten möchte, muss zu einem kleinen Medienunternehmen werden. Mamabloggerinnen müssen sich mit Webdesign, Suchmaschinenoptimierung und Social-MediaMarketing ebenso auskennen wie mit der Frage, wie man Mediakits mit relevanten Informationen für Werbepartner erstellt und mit potenziellen Geldgebern verhandelt. Die Kugelschreiber sausen nur so über das Papier, als Svenja Walter von meinesvenja.de, einem der er­­ folgreichsten deutschen Familienblogs, über ihre Strategien spricht. «Ich schreibe schon lange nicht mehr, worauf ich gerade Lust habe», stellt sie klar. «Und wenn ihr eine grosse Reichweite erzielen wollt, könnt ihr das auch nicht mehr.» Die Geschäftsfrau legt ihren beeindruckenden Verdienst offen und betont gleichzeitig: «Ja, ich kann mittags für meine Kinder kochen – aber >>>

«Ich schreibe schon lange nicht mehr, worauf ich gerade Lust habe», sagt Svenja Walter, eine der erfolgreichsten deutschen Familienbloggerinnen.

Praktische Ausbildung

Kleinkinderbetreuung

Infos unter www.ibk-berufsbildung.ch


Digital

Andrea Jansen hat auf ihrem Blog anyworkingmom bereits nach einem Jahr 30 000 Leserinnen pro Monat.

>>> ich arbeite schon seit Jahren an sieben Tagen pro Woche.» Nach dem energiegeladenen Auftritt von Svenja gibt es spannende Diskussionen im Foyer. «Ich weiss nicht, ob ich so strategisch werden will», sagt eine Mama. «Vielleicht sollte ich doch endlich mal wieder mein Layout überarbeiten, wenn ich sehe, wie professionell die anderen Seiten wirken», meint eine andere. Mittendrin steht Karin alias «Frau Brüllen» von bruellen.blogspot.de

und wundert sich. Sie gehört zu den Bloggerinnen, die einfach täglich ihre Erlebnisse festhalten und teilen wollen, ohne dafür Geld zu kassieren. Dass immer mehr Bloggerinnen das Schreiben zum Beruf machen möchten, sieht Karin kritisch: «Zum einen werden sich die Blogs doch immer ähnlicher, wenn alle strategisch denken. Zum anderen wird die Bloglandschaft langweilig und glattgebügelt, wenn sich immer mehr Bloggerinnen selbst zensieren und sich nicht mehr trauen, eine vielleicht nicht mehrheitsfähige Meinung zu äussern, um keine Werbekunden oder Leser zu verschrecken. Ausserdem kommen viele dieser Frauen nicht mehr ins ‹richtige› Berufsleben zurück – und das finde ich einfach schade.» Enttäuschte Leserinnen

Was sie anspricht, wird im englischsprachigen Raum bereits lange diskutiert. 2016 untersuchte die Concordia-Universität im kanadischen Montreal den Blog «Get off my internets (GOMI)», wo Internetnutzer öffentlich über das Internet jammern, und stellte fest: Dort wimmelt es von ehemaligen Mamablog-Leserinnen, die sich bitter enttäuscht von ihren geliebten Blogs abwenden. Weil diese zu Werbeplattformen verkommen seien, es viele gesponserte Werbe-Inhalte gebe und der Rest zu einer viel zu sauberen Welt mit rosa Zuckerguss verkommen sei. Noch 2005 hatten sich MamaBloggerinnen weltweit dem Credo der New Yorker Bloggerin Alice Breadley angeschlossen, die schrieb, dass das Verbloggen des Privatlebens ein «radikaler Akt» sei. Weil die Frauen hier das Mamasein genau so darstellen könnten, wie sie es täglich erleben. Mamablogs seien eine wichtige Ergänzung zu den von Männern dominierten Medien, wo Mütter nur als perfekte Werbeschablonen oder als zickige Problem­ wesen inszeniert würden. Genau 74

diese «feministische Seite» des Bloggens gehe verloren, wenn die Mütter vor allem darauf aus seien, Geld zu machen, zu diesem Schluss kam auch die Studie aus Montreal. Die Schweizer Bloggerinnen und Blogger scheinen sich zu einem gros­­sen Teil noch nicht sicher zu sein, in welche Richtung sie gehen wollen. Auf die Frage, wer mit seinem Blog Geld verdienen wolle oder sich als Influencerin sehe, also als jemand, der Kaufentscheidungen beeinflusst, heben bei der Swiss Blog Family nur wenige die Hände. Aber die Workshops am Nachmittag, bei denen es um Monetisierung geht, sind besonders gut besucht. Noch ist die Bloglandschaft in der Schweiz vielfältig: Einige Blogs sind tagebuchartige Erlebniserzählungen, andere beschäftigen sich mit bestimmten Erziehungsansätzen wie dem Attachment Parenting und der Umsetzung im Alltag oder stellen Themen wie Ernährung oder Basteln in den Mittelpunkt. Und manche wollen auch gesellschaftlich etwas bewirken. So betont Andrea Jansen, dass ihr primäres Ziel nicht das Geldverdienen sei, sondern Themen anzusprechen, über die zu wenig geredet wird. Eines der Hauptthemen auf anyworkingmom ist die Vereinbarkeit. «Vor allem, aber nicht nur von Beruf und Familie, sondern auch die Vereinbarkeit der neuen Situation mit dem Ich», sagt Andrea Jansen. Sie will damit nicht nur andere Mütter erreichen, die mit ähnlichen Themen zu kämpfen haben, sondern vor allem junge Frauen, die sich überlegen, ob sie ein Kind bekommen sollen. «Ich höre noch immer viel zu oft den Satz: ‹Ich habe nicht gewusst, was mit einem Kind auf mich zukommt.› Das muss sich ändern.» Wie privat ist zu privat?

Allen Elternblogs gemeinsam ist die Suche nach dem richtigen Umgang mit der Privatsphäre – besonders mit jener der Kinder. Frau Brüllens Kin-

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der sind alt genug, dass sie Artikel, in denen es um sie geht, gegenlesen können – was ihnen nicht gefällt, wird auch nicht veröffentlicht. Die Kinder von Andrea Jansen und Ellen Girod aber sind noch zu klein, um ihre eigene Meinung zu äussern oder um mögliche Folgen der Texte abzuschätzen. Also müssen das ihre Mütter übernehmen. Andrea Jansen wählt bewusst einzelne Bilder ihrer Kinder zur Veröffentlichung aus und versieht sie mit einem Wasserzeichen. «Da ich prominent bin, kann man sowieso herausfinden, wie meine Kinder aussehen, wenn man es denn unbedingt will. Ich finde auch, dass Kinder im öffentlichen Raum stattfinden müssen. Aber ich überlege mir jedes Bild sehr genau», erklärt sie. Ellen Girod nimmt ihre Kinder nie frontal auf. Ausserdem überlegt

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sie sich bei jedem Text vor der Veröffentlichung: «Könnte er meinen Töchtern einmal schaden, im un­­ wahrscheinlichen Fall, dass eine von ihnen Bundesrätin wird?» Andrea Jansen umgeht diese Frage so gut als möglich, indem sie über sich und ihre Gefühle als Mutter schreibt – peinliche Erlebnisse ihrer Kinder bleiben draussen. «Man muss die Hosen runterlassen, damit es ein guter Text wird», sagt sie. «Aber doch bitte die eigenen und nicht die der Kinder.» <<< Auf www.fritzundfraenzi.ch > Service > Blogliste finden Sie eine Sammlung von Schweizer Mamaund Papa­bloggern, sortiert nach thematischen Schwerpunkten. Wenn Sie einen Blog vermissen, schicken Sie uns bitte den Link an online@fritzundfraenzi.ch.

Bloggen macht glücklich Laut einer Studie der Pennsylvania State University aus dem Jahr 2011 wirkt sich das Bloggen positiv auf das Wohlbefinden von Müttern aus. Die Onlinekontakte und der Austausch über die Unsicherheiten in der Mutterrolle helfen den 157 befragten Neu-Müttern, sich eingebunden und sozial stabil zu fühlen. Nur auf den sozialen Medien unterwegs zu sein, habe diesen positiven Effekt nicht – hier erhalten die Frauen offenbar nicht dieselbe Unterstützung wie beim Mamabloggen.

Bianca Fritz

leitet die Online-Redaktion von Fritz und Fränzi. Sie findet, dass Blogs eine wichtige, weil wunderbar subjektive Ergänzung zu den klassichen Medien sind.

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Digital & Medial

Wer die Serienhelden seiner Kindheit an einem lustigen Familienfernsehabend noch einmal aufleben lässt, hat viel Spass – und einen guten Anlass, über Medienregeln von damals und heute zu diskutieren. Text: Michael In Albon

S

Bild: PeopleImages

Fernsehserien Ihrer Kindheit

ind Sie ein Kind der 1970er oder 1980er? Dann erin­ nern Sie sich gewiss an die damaligen Fernsehserien. Und wenn Ihnen die Ge­­ schichten nicht mehr in Erinnerung sind: Die Bilder und Melodien erkennen Sie sicher wieder. Schauen Sie mit Ihren Kindern Ausschnitte daraus an, das ist eine gute Gelegen­ heit, sich mit ihnen auszutauschen über Lieblingsfilme, -figuren, -melo­ dien. Darüber, wie Figuren wahrge­ nommen wurden und werden. Dar­ über, welche Medienregeln bei Ihnen früher galten, an welche Sie sich gern und leicht hielten und an welche nicht. Auch das ist Medienbildung. Und erst noch unterhaltend.

Maja, von ihren Freunden Willi, Flip und weiteren Insekten sprachen wir Kinder damals wirklich oft. Auch diese drei fliegen und hüpfen von Abenteuer zu Abenteuer. Dabei zeigt sich Maja abenteuerlustig, bleibt aber stets freundlich. Und Willi ist ängst­ lich, faul und immer hungrig.

Zwei mal drei macht vier …

Die rote Zora und ihre Bande

Pippi Langstrumpf ist die Tochter eines Piratenkapitäns, der sich auf den Weltmeeren tummelt. Deshalb lebt sie allein in der Villa Kunterbunt – mit Äffchen Herr Nilsson und Pferd Kleiner Onkel. Mit den Nach­ barskindern Tommy und Annika erlebt Pippi Abenteuer um Abenteu­ er. Pippi ist ein starkes Mädchen – unerschrocken, frech, unabhängig.

Die Titelheldin Zora führt eine Ban­ de von Waisenkindern an, die wie Aussätzige behandelt werden und sich vereint gegen die alltäglichen Ungerechtigkeiten zur Wehr setzen. Die 13-teilige Serie, eine Koproduk­ tion aus der Schweiz, Deutschland und Jugoslawien, spielt in der kroa­ tischen Küstenstadt Senj.

In einem unbekannten Land, vor gar nicht allzu langer Zeit

Der Zirkusjunge Silas flieht vor dem brutalen Zirkusdirektor Philipp und erlebt auf seinem schwarzen Hengst spannende Abenteuer. Er ist die Gut­ mütigkeit in Person, keiner Fliege

Hören Sie auch die Titelmelodie von Karel Gott, der «goldenen Stimme von Prag»? Von dieser Biene namens 76

Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät?

Der rosarote Panther Paulchen pro­ duziert Chaos, das ist Programm. Egal, wer ihm über den Weg läuft – vor dem rosaroten Nervenbündel ist niemand sicher. Paulchen Panther ist schlau, gewitzt und für seine Mit­ menschen ein wandelndes Desaster auf zwei rosa Beinen.

Mutiger Junge, schwarzes Pferd

könnte er etwas zu Leide tun. Teen­ ager liebten die sechsteilige Weih­ nachts­serie von 1981 – Jungs bewun­ derten Silas, Mädchen schwärmten für Darsteller Patrick Bach. Abenteuer aus «Tausendundeiner Nacht»

Sindbad der Seefahrer erlebt Aben­ teuer wie aus den Geschichten aus «Tausendundeiner Nacht». Im Klas­ siker der Weltliteratur nutzt die klu­ ge Scheherazade ein Stilmittel: Sie bricht die Geschichten, die sie ihrem König erzählt, jede Nacht im span­ nendsten Moment ab. So verhindert sie, dass er sie am Morgen hinrichten lässt. In der Kinderserie aus den 1970er-Jahren ist Sindbad ein kleiner Junge.

Michael In Albon

ist Beauftragter Jugendmedienschutz und Experte Medienkompetenz von Swisscom.

Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive Lernmodule für den kompetenten Umgang mit digitalen Medien im Familienalltag. swisscom.ch/medienstark

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Digital & Medial

Publireportage

Mehr erfahren? Weitere Informationen und Tipps bei Unverträglichkeiten unter www.swissmilk.ch/ unvertraeglichkeiten Dank dem breiten Angebot an Schweizer Milchprodukten findet sich für jedes Bedürfnis etwas Passendes.

Das Beste für Eltern und Kinder Für echte Milch gibt’s keinen Ersatz Milch ist ein nährstoffreiches, gesundes Grundnahrungsmittel für alle, besonders aber für Kinder. Glücklicherweise gibt es auch bei Laktoseintoleranz passende Lösungen, denn auf Milchprodukte zu verzichten ist keine gute Idee. Eltern wollen für ihre Kinder natürlich das Beste. Wenn sie vermuten, dass ihr Kind bestimmte Lebensmittel nicht verträgt, streichen sie diese oft in guter Absicht vom Menüplan oder ersetzen sie durch Alternativen. Das ist aber nicht immer eine gute Lösung. Fragen Sie Ihren Arzt Klagt ein Kind häufig über Bauchweh, liegt die Vermutung nahe, dass ein Lebensmittel schuld ist. Oft folgen dann Selbstdiagnosen und individuelle Ernährungsexperimente. Diese können aber Nährstoffmängel nach sich ziehen und führen meist nur kurzfristig zu einer Besserung. Sinnvoller ist es, die Beschwerden durch eine Fachperson abklären zu lassen, denn die Gründe können vielfältig sein. Wenn tatsächlich eine Laktoseintoleranz vorliegt – die bei Kindern jedoch nur äusserst selten vorkommt –, dann sollten Milchprodukte nicht gestrichen, sondern gezielt ausgewählt werden. Es gibt ein grosses Angebot an passenden, fermentierten Milchprodukten. Gut verträglich sind Hart- und Halbhartkäse wie etwa Emmentaler oder Tilsiter sowie alle Jogurtsorten.

Knochen und Muskeln. Zudem liefern sie generell viele Nährstoffe in idealem Verhältnis zueinander, was für ein gesundes Wachstum äusserst vorteilhaft ist. Niemand kann heute abschätzen, wie sich der Ersatz von Kuhmilch durch Pflanzendrinks langfristig auf die Gesundheit von Kindern auswirken wird. Es gibt dafür weder Langzeitstudien noch genügend Erfahrung. Ernährungsfachpersonen und Kinderärzte schätzen das Risiko eines Nährstoffmangels mit Folgen für die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder als hoch ein. Denn Pflanzendrinks sind nährstoffarm und enthalten keine Baustoffe für das Wachstum.

! Milchprodukte bei Laktoseintoleranz Milch liefert ein reichhaltiges Spektrum an Inhaltsstoffen. Davon profitieren Personen jeden Alters, insbesondere aber Kinder. Milchprodukte tragen viel zu einer gesunden Ernährung bei. Deshalb sollten sie auch bei Laktoseintoleranz auf dem Menüplan zu finden sein. Welche Milchprodukte besonders geeignet sind, erfahren Sie unter www.swissmilk.ch/unvertraeglichkeiten > Laktoseintoleranz > verträgliche Milchprodukte.

Wer von einer Laktoseintoleranz betroffen ist, wählt am besten gereiften Käse. Auch Jogurt wird häufig gut vertragen.

Schweizer Milch ist ein Naturprodukt, sie wird standortgerecht auf Familienbetrieben produziert und braucht nur kurze Transportwege.

Milch liefert Eiweiss, Kalzium, Vitamine und Fette für den Aufbau von Muskeln und Knochen. Drei Portionen am Tag sind genau richtig.

Pflanzendrinks sind kein Milchersatz Keine gute Lösung ist es, Milch durch Pflanzendrinks zu ersetzen. Die Ernährungswissenschaft zeigt immer wieder, dass insbesondere Kinder von Milch profitieren. Drei Milchportionen täglich unterstützen den AufbauFritz+Fränzi  und die Entwicklung von Das Schweizer ElternMagazin Dezember 2017 / Januar 2018 77


Ein Wochenende …

in Nendaz

… Vollmond heisst in Nendaz: Full Moon Party. Der Abend beginnt mit einem Themendinner oder einem Entrecôte im Restaurant de Tracouet, danach ist die Piste «Jean-Pierre» bis nach 22 Uhr geöffnet, beleuchtet vom Mondschein. 6. Januar: «Racler comme jamais», Raclette à discrétion mit Konzert von David Charles; 3. Februar: «Rockabilly night», Double Steak Burger Royal mit Konzert von den Coconut Kings; 3. März: «Vintage», Paella mit 80er-, 90er- und 00er-Party; 31. März: «Traditions» mit Kilbi-Menü. Mit Themendinner im Selfservice 43 Franken für Erwachsene und 31 Franken für Kinder, mit Entrecôte im bedienten Restaurant 55 bzw.38 Franken. Platzzahl begrenzt, Infos und Buchung unter 027 289 52 00.

Sitten/Brig

ne

Rho

Martigny

Nendaz

Eisbahn Kinderkrippe «P’tit Bec»

Piste la Jean Pierre

Hotel Les Etagnes

Restaurant und Lac de Tracouet, Seebar

Piste Siviez

Siviez

Geniessen …

Mont Fort

Erleben … … Der vom Schweizerischen Tourismus-Verband mit dem Label «Family destination» ausgezeichnete Walliser Skiort Nendaz verfügt über Pisten für jeden Geschmack: von anspruchsvollen, steilen Pisten für sportliche Eltern und fortgeschrittene Sprösslinge bis zu Babyliften. Künftigen Skistars stehen zwei Anfängerparks zur Verfügung: Siviez, mit Borer-Babylift, Snowtube-Karussell und einer Mini-Slalomstrecke, und der im Winter gefrorene, ruhige und sonnige Lac de Tracouet. Auch dort gibt es Snowtubing und ein Snowtube-Karussell und der Anfängerpark bietet Zauberteppich, Anfängerlift sowie Borer-Babylift, mit dem auch die Kleinsten ihre ersten Versuche auf zwei Brettern machen können. Dies können sie auch unter Anleitung eines Skilehrers, während sich die Eltern in der Seebar eine Pause gönnen oder eine Abfahrt vom Mont-Fort (3300 m ü. M.) wagen. Sind Sie selber noch Anfänger, finden Sie beim Lac de Tracouet auch flache Einsteigerpisten. Tageskarte 4 Vallées: Erwachsene: 75 Franken (Neben­ saison 71), Jugendliche bis 24: 64 Franken (60), Kinder bis 10: 38 Franken (36), 10 % Rabatt auf Skipässe für Familien. Snowtubing beim Lac de Tracouet ist im Preis inbegriffen.

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… Haben Sie genug von den Pisten gesehen, dann wagen Sie sich doch aufs Glatteis: Auf der Eisbahn des Sportzentrums können Sie Pirouetten drehen, dem Puck nachjagen oder an der Eisdisco tanzen, bis das Eis schmilzt. Die Disco findet in der Hochsaison einmal pro Woche statt. Eisbahn täglich offen von 10 bis 11.45 Uhr und von 14 bis 16.30 Uhr. Während der Hochsaison verlängerte Öffnungszeiten am Abend. Hockeyspielen ist vormittags erlaubt. Erwachsene 6 Franken, Kinder 4 Franken, Schlittschuhmiete 4 Franken. … Auf sieben ausgeschilderten Schneeschuhrouten können Sie in die Winterlandschaft abseits der Pisten eintauchen. Eine davon ist speziell für Kinder geeignet. Auf einer Schatzsuche erfahren die Jüngsten etwas über die Natur, die Tiere und die Geschichte von Nendaz. Eine Karte mit den beschriebenen Routen ist gratis auf dem Tourismusbüro erhältlich. Dort ist auch Startpunkt der Schatz­suche. Schneeschuhe vermieten alle grösseren Sport­geschäften im Ort für 20 bis 30 Franken pro Tag.

Übernachten … … Mehrere Agenturen bieten familienfreundliche Wohnungen in Zentrumsnähe an. Sie sind mit Spielen, Babyfon, Kinderbetten, -stühlen und -besteck ausgestattet. Bei Espace-Vacances, Inter-­­Agence und Interhome. Mehrere Hotels gewähren einen Kinder­­­rabatt. Siehe www.nendaz.ch > Praktische Infos > Für Familien > Familienunterkunft

Dezember 2017 / Januar 2018  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Service

Bilder: Etienne Bornet, Florian Bouvet, Aline Fournier

Vergnügen aller Art: beim Snowtubing auf Tracouet, beim Schlittschuhlaufen auf der Eisbahn im Zentrum und bei der Schatzsuche.

… Neben der Talstation der Gondelbahn befindet sich das Hotel Les Etagnes. Es bietet acht Zimmer, zuoberst ein Familienzimmer mit Elternschlafzimmer mit Doppelbett und Kinderzimmer mit Kajütenbetten. Beide sind mit Fernseher und DVD-Player ausgestattet. Hotel Les Etagnes, Route de la Télécabine 69, 078 659 90 12. Das Familienzimmer (35 Quadratmeter) kostet für 4 Personen 320 Franken, für 5 Personen 350 Franken pro Nacht.

Gut zu wissen …

im Voraus gebucht werden kann. Wer am Abend ausschwärmen will, der kann die Babysitterliste konsultieren, die auf der Tourismus-Website geführt wird. Kinderkrippe «P’tit Bec», Route des Ecluses 71, Haute-Nendaz. Kosten: ein Morgen 35 Franken, Morgen mit Mittagessen 50 Franken, Nachmittag mit Mittagessen 70 Franken, Nachmittag 40 Franken und ein ganzer Tag (8.30 bis 16.45 Uhr) 90 Franken, Anmeldung im Winter bei Nendaz Tourisme, 41 27 289 55 89, info@nendaz.ch. www.nendaz.ch > Praktische Infos > Für Familien > Kinderhort & Babysitting

… Wer einmal einen halben oder einen ganzen Tag ohne Kinder unterwegs sein will: In Nendaz gibt es eine Kinderkrippe, die ganzjährig von Montag bis Samstag geöffnet ist und einen Tag

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Dezember 2017 / Januar 2018 79


Service

Vielen Dank

an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:

Finanzpartner

Dr. iur. Ellen Ringier Walter Haefner Stiftung

Hauptsponsoren

Credit Suisse AG Rozalia Stiftung

Heftsponsor

UBS AG Happel Foundation

UBS AG

Impressum 17. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich Herausgeber Stiftung Elternsein, Seehofstrasse 6, 8008 Zürich www.elternsein.ch Präsidentin des Stiftungsrates: Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch, Tel. 044 400 33 11 (Stiftung Elternsein) Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder, ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 01 01 Redaktion Nik Niethammer (Chefredaktor), Evelin Hartmann (stv. Chefredaktorin), Bianca Fritz (Leitung Online), Florian Blumer, Claudia Landolt, Irena Ristic, Florina Schwander, Leo Truniger redaktion@fritzundfraenzi.ch

Verlag Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich, Tel. 044 277 72 62, info@fritzundfraenzi.ch, verlag@fritzundfraenzi.ch, www.fritzundfraenzi.ch Anzeigenverkauf Corina Sarasin, Tel. 044 277 72 67, c.sarasin@fritzundfraenzi.ch Jacqueline Zygmont, Tel. 044 277 72 65, j.zygmont@fritzundfraenzi.ch Anzeigenadministration Dominique Binder, Tel. 044 277 72 62, d.binder@fritzundfraenzi.ch, Art Direction/Produktion Partner & Partner, Winterthur Bildredaktion 13 Photo AG, Zürich

Korrektorat Brunner Medien AG, Kriens Auflage (WEMF/SW-beglaubigt 2017) total verbreitet 102 108 davon verkauft 24 846 Preis Jahresabonnement Fr. 68.– Einzelausgabe Fr. 7.50 iPad pro Ausgabe Fr. 3.– Abo-Service Galledia Verlag AG Berneck Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54 abo.fritzundfraenzi@galledia.ch Für Spenden Stiftung Elternsein, 8008 Zürich Postkonto 87-447004-3 IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3

Inhaltspartner Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation / Elternnotruf / Pro Juventute / Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich / Schweizerisches Institut für Kinder- und Jugendmedien

Stiftungspartner Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule Zürich / Elternbildung CH / Marie-MeierhoferInstitut für das Kind / Schule und Elternhaus Schweiz / Schweizerischer Verband alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV / Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband Kinderbetreuung Schweiz

Publireportage

Unser Winter in der SkiArena Andermatt-Sedrun Neue Bahnen, neue Pisten und die MATTI KidsArena mit Familienrestaurant erwarten Sie.

Das neue MATTI Familienrestaurant bei der Mittelstation des Gütsch-Express mit einem grossen Spielbereich. Copyright: pronatour

Viel Spass im Schnee ist in Valtgeva garantiert. Copyright: Christof Sonderegger

Skifahren ab 37 Franken (Kinder ab 13 Franken). Die Ski-Ticketpreise in der SkiArena Andermatt-Sedrun sind neu von verschiedenen Faktoren abhängig. Haupt- oder Nebensaison, Wochentag, Wetter oder Frühbucher-Bonus beeinflussen den Preis. Vom 8. – 12. und 15. – 19. Januar 2018 gibt es alle Tageskarten für 10 Franken. Die Skitickets

können entweder online unter www.skiarena.ch oder an den Kassen der SkiArena AndermattSedrun bezogen werden. Per Saison 17/18 wird das grösste und modernste Skigebiet der Zentralschweiz eröffnet. Neu fahren die Gondeln des Gütsch-Express und die Sessel-Flyer Lutersee und Schneehüenerstock in die SkiArena. Die Ski-Verbindung

von Andermatt nach Sedrun steht offen. Der Andermatter Sonnenhang Nätschen-Gütsch ist perfekt für spannende Abenteuer im Schnee. Die ganze Familie vergnügt sich neu an der Mittelstation Nätschen im Restaurant mit einem grossen Spielbereich und der «MATTI Bärenhöhle». Rund um die Mittelstation entsteht die KidsArena von MATTI – dem Kinderhelden der Arena-Gang. Ein neues Schneeparadies für Familien und Kinder mit Übungshängen und Schneespielplatz. Neu: Allen Restaurants der SkiArena Andermatt-Sedrun gemeinsam sind die Wasserquellen mit dem unentgeltlichen Gotthardwasser «Our Mountain Water». www.skiarena.ch


Buchtipps

Sie gewann 36 Radrennen gegen Männer und bestritt 1924 den Giro d’Italia: Alfonsina Strada.

Monica Brown / John Parra: Frida Kahlo und ihre Tiere Frida Kahlo war eine ausser­ gewöhnliche Künstlerin. Und sie hatte einen ganzen Zoo von Tieren. Das Bilderbuch stellt diese ins Zentrum und hält sich stilistisch an die Farbenfülle von Kahlos Bildern – auch für Grössere ein lehrreicher Augenschmaus! NordSüd 2017, Fr. 20.00, ab 4 Jahren Malala Yousafzai / Patricia McCormick: Malala. Meine Geschichte Die Pakistanerin Malala Yousafzai wurde zum Symbol für das Recht der Mädchen auf Bildung. Zu­sammen mit der Jugendbuchautorin Patricia McCormick erzählt sie von ihrem Weg vom Schulmädchen zur Friedensnobelpreisträgerin. Fischer KJB 2014, Fr. 12.00 (Taschenbuch), ab 12 Jahren

Starke Mädchen brauchen starke ­Vorbilder. Über ausser­g ewöhnliche und mutige Frauen der Weltgeschichte wie Malala Yousafzai, Frida Kahlo und viele weitere berichten Biografien für Kinder und Jugendliche.

Vorbilder für Rebellinnen

Bilder: zVg

D

ie Mathematikerin und Philosophin Hy­­ patia von Alexandria lehrte um 400 nach Christus in Alexan­ dria Astronomie und entwickelte neue Theorien zu Geometrie und Arithmetik. Die Schwestern Mirabal kämpften in den 1950er-Jahren gegen die Diktatur in der Domini­ kanischen Republik. Die irakische Architektin Zaha Hadid entwarf Gebäude, die sich niemand ausser ihr vorstellen konnte. Sie alle und viele Frauen aus allen Weltgegenden und Jahrhunderten werden im Buch «Good night stories for rebel girls» porträtiert. «Mäd­ chen müssen wissen, dass sie auf ihrem Weg mit Hindernissen rech­ nen müssen. Doch sie müssen eben­

so wissen, dass Hindernisse über­ wunden werden können», schreiben die Herausgeberinnen Elena Favilli und Francesca Cavallo im Vorwort. Ihre Gutenachtgeschichten über die rebellischen Frauen sind jeweils nur eine Seite lang, daneben strahlt eine ganzseitige Porträtillus­tration der Rebellin, geschaffen von einer von über 60 Illustratorinnen aus der ganzen Welt. Die Vielfalt der vorgestellten Frauen ist eindrücklich und macht Mut: So viele Frauen aus der ganzen Welt und in allen Zeiten haben sich nicht unterdrücken lassen. Zeit, es ihnen nachzutun: Dazu lädt das Buch die jungen Leserinnen auch gleich ein – zuhinterst ist Platz, um sich mit der eigenen Geschichte und dem eigenen Bild zu verewigen.

Elena Favilli / Francesca Cavallo: Good night stories for rebel girls – 100 aussergewöhn­ liche Frauen. Hanser 2017, Fr. 35.00, ab 11 Jahren

Ute Daenschler / Kerstin Lücker: Weltgeschichte für junge Leserinnen Für einmal rückt ein Geschichtsbuch jene ins Rampenlicht, die sonst in der Weltgeschichte gerne vergessen werden: die Frauen. Ein umfangreicher Schmöker für alle geschichtsinteressierten Leserinnen – und Leser! Kein&Aber 2017, Fr. 30.00, ab 12 Jahren Verfasst von Elisabeth Eggenberger, Mitarbeiterin des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien SIKJM. Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind weitere ­B­uch­empfehlungen zu finden.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Dezember 2017 / Januar 2018 81


Eine Frage – drei Meinungen

Mein Sohn, 17, macht sich grosse Sorgen, weil er noch keine Freundin hat. Wie kann ich ihn trösten? Simone, 45, Basel

Nicole Althaus

Dass Ihr 17-jähriger Sohn sein Liebesleben so ehrlich vor Ihnen ausbreitet, ist ein Zeichen grossen Vertrauens. Es spricht für die Sensibilität, die Offenheit und das Kommunikationsvermögen Ihres Sohnes. Alles wichtige Voraussetzungen für eine befriedigende romantische Beziehung. Sagen Sie Ihrem Sohn das. Erinnern Sie ihn daran, dass es kein Alter gibt, in dem man den ersten Schatz gehabt haben muss. Und dass manche junge Männer in seinem Alter einfach gern und laut mit sexuellen Eroberungen bluffen, ohne dass dahinter viel mehr als ein schüchternes Lächeln stecken muss.

Tonia von Gunten

Indem Sie das kleine Kind, das Ihr Sohn einmal war, loslassen und danach den jungen Erwachsenen, der Ihr Sohn heute ist, willkommen heissen. Geben Sie ihm die Zeit, die er dazu braucht. Eine Freundin für ihn herzaubern können Sie nicht, doch wenn er zuhören will, erzählen Sie ihm, wie sich Ihr Leben mit 17 Jahren angefühlt hat. Besuchen Sie zusammen einen schönen Ort und spendieren Sie ihm etwas Süsses. Er kann sich dabei ja schon mal ein bisschen um­sehen  ...

Peter Schneider

Nicole Althaus, 48, ist Kolumnistin, Autorin und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am Sonntag». Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir eltern» und hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger. ch» initiiert und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter von zwei Kindern, 16 und 12. Tonia von Gunten, 44, ist Elterncoach, Pädagogin und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein Programm, das frische Energie in die Familien bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern, 11 und 8. Peter Schneider, 59, ist praktizierender Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent für klinische Psychologie an der Uni Zürich und ist Professor für Entwicklungspsychologie an der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines erwachsenen Sohnes. Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: redaktion@fritzundfraenzi.ch

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Dezember 2017 / Januar 2018  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO

Ich schätze, gar nicht. Es sei denn, er bittet Sie um Trost. Und selbst dann wird Ihr Trost ihn kaum wirklich trösten, denn was wollen Sie ihm auch anderes sagen, als dass man in diesen Dingen nichts erzwingen kann und dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als geduldig allzeit bereit zu sein. Am besten helfen Sie ihm, indem Sie (im Rahmen Ihrer Möglichkeiten) ein cooles Mami sind, das ihren Sohn so erwachsen wie möglich nimmt. Die Attraktivität der Mütter färbt manchmal auf die Söhne ab.


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