Fritz+Fränzi 02-17: Erschöpft und antriebslos

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Fr. 7.50 2/Februar 2017

Jesper Juul Kämpfen Sie für sich, nicht gegen Ihren Mann 11 Tipps für Eltern So sind Ihre Kinder sicher im Internet unterwegs

Burnout mit 12

Erschöpft und antriebslos


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Editorial

Bild: Geri Born

Liebe Leserin, lieber Leser In unserer Nähe wurde kürzlich ein Wohnheim für Flüchtlinge eröffnet. Bevor die Menschen einzogen, durften unsere Kinder einen Augenschein nehmen. Wie zwei kleine Forscher stapften sie durch die enge Behausung, begutachteten die Gemeinschaftsküche und die Gemeinschaftswaschräume und die 16 Quadratmeter Grundfläche, die jeder Familie zum Leben bleibt. Um schliesslich beinahe triumphierend festzustellen: «So ein Container ist ja nicht viel grösser als unser Spielzimmer.» Die Flüchtlinge sind da. Und sie sind mitten unter uns. «Wie zugewanderte Kinder und Jugendliche unsere Schulen verändern – und verbessern» lautet der Nik Niethammer Titel eines Buches, das im letzten Jahr für Aufsehen sorgte – und viele gehässige Chefredaktor Reaktionen von Flüchtlingsgegnern auslöste. Ich habe die Autorin Katharina Blass gebeten, uns aufzuzeigen, welche Auswirkungen die Einwanderung auf unser Bildungssystem hat. Und was von der Sorge zu halten ist, dass in vor Flüchtlingen überquellenden Klassen kaum mehr Deutsch gesprochen werde und die Qualität des Unterrichts leide. Wir müssen die Dinge rasch anpacken – ab Seite 38. «Eine Generation, die zunehmend Eine Chance für Mohamed – ab Seite 52. in den besten Lebensjahren mit

Burnout zu kämpfen hat, entwirft für ihre eigenen Kinder einen Lebensweg mit noch mehr Tempo, noch mehr Leistung, noch mehr ‹Förderung›. Sie funktioniert Kin­d ergärten zu Schulen um, weil sie glaubt, Kinder, die früh Mathe lernen, seien schneller am Ziel. Moment einmal – an welchem Ziel?»

Ein bisschen stolz sind wir beim Schweizer ElternMagazin schon, mit Michèle Binswanger die vom Branchen­ magazin «Schweizer Journalist» ausgezeichnete «Gesellschaftsjournalistin des Jahres 2016» an Bord zu haben. Binswangers Themenbreite sei gewaltig, heisst es in der Jury-Begründung. «Sie reicht von ‹Fussball: Eine Abrechnung› über ‹Schrott-Journalismus› bis zum ‹Sexlamismus›. Doch ihre Thesen sind ideologisch nicht kalkulierbar. Sie ist die politisch unkorrekte Feministin des Journalismus.»

Herbert Renz-Polster, deutscher Kinderarzt, Wissenschaftler und Buchautor

Davon, dass die studierte Philosophin und zweifache Mutter immer wieder den Nerv der Zeit trifft, wortgewaltig und meinungsstark, können Sie sich auch in dieser Ausgabe überzeugen: In ihrer bisher persönlichsten Fritz+Fränzi-Kolumne schreibt die Autorin über die Schönheit der Liebe. Und die Schmerzen, die sie verursacht. Ein grossartiger Text, wie ich finde. Liebe ist seltsam – Seite 43. Nun wünsche ich Ihnen viel Lesevergnügen mit dieser Ausgabe. Ausgewählte Geschichten aus dem Heft sowie Texte, die wir nur online publizieren, finden Sie auf unserer Webseite unter www.fritzundfraenzi.ch. Herzlichst, Ihr Nik Niethammer

850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 3


Inhalt Ausgabe 2 / Februar 2017

Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf fritzundfraenzi.ch und

facebook.com/fritzundfraenzi. Augmented Reality

Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und Zusatzinformationen zu den Artikeln.

Erziehung & Schule 38 F lüchtlinge machen Schule Überfüllte Klassenräume, sinkendes Lernniveau? Nein, junge Flüchtlinge bereichern unsere Schulen, sagt Autorin Katharina Blass. 42 Schreib doch mal! Ob Einkaufszettel oder Familienkalender – der Alltag bietet viele Anlässe, das Schreiben zu üben. 46 Kind, du hast (das) Recht! Was steht unseren Kindern von Gesetzes wegen zu?

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Dossier: Erschöpft

26 Alles halb so schlimm … … sagt Martin Dornes, früher hatten Familien auch nicht weniger Stress. Ein Gespräch mit dem streitbaren Entwicklungspsychologen. 28 Nur keine Angst! Der Lernforscher Josef Meier hat eine Methode entwickelt, die Schülern helfen soll, Druck und Nervosität abzubauen.

Bild: Daniel Auf der Mauer / 13 Photo

Cover Manchmal wird schon Kindern und Jugendlichen alles zu viel: Diagnose Burnout, unser Dossier im März. 4

Bilder: Daniel Auf der Mauer / 13 Photo, Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Roshan Adihetty / 13 Photo, iStockphoto

10 Wenn der Antrieb fehlt Viel wurde über Burnout bei Buben und Mädchen geschrieben. Aber wie geht es unseren Kindern wirklich? Experten zeichnen ein differenziertes Bild.


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Wann muss ein Kind zum Schulpsychologen, Ruth Etienne Klemm?

Ein Programm soll jungen Migranten dabei helfen, ihre schulischen Ziele zu erreichen.

Wie schützen Jugendliche ihre Daten im Internet? Ein Leitfaden.

50 «Mama, mir ist langweilig!» Der Tag vieler Kinder ist heute von morgens bis abends verplant. Dabei ist das Nichtstun so wichtig.

70 E mpfohlen ab … Bei der Altersfreigabe von Büchern, Videos und Games gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede. Ein wichtiger Überblick.

49 Stiftung Elternsein Ellen Ringier über die Gefahren des Populismus.

52 Eine Chance für Mohamed Im Begabtenprogramm ChagALL soll jungen Migranten der Sprung an die Mittelschule ermöglicht werden.

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58 Leserbriefe

Mixed Media

Service Rubriken

65 Verlosung

Ernährung & Gesundheit

03 Editorial

72 Sponsoren/Impressum

62 Gesunde Zähne Wenn Kinderzähne bei Unfällen beschädigt werden, sollten Eltern den Zahnarzt aufsuchen.

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73 Buchtipps

Psychologie & Gesellschaft 64 Kinder vor dem Gesetz Ab wann können Kinder für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen werden?

Digital & Medial 66 S icherheit im Netz Experte Martin Hellweg gibt Tipps zum Thema Daten und Sicherheit.

Entdecken

30 M onatsinterview Die Schulpsychologin Ruth Etienne Klemm über die Schwierigkeiten, mit denen Familien und Lehrer heute konfrontiert sind.

74 Eine Frage – drei Meinungen Eine Mutter möchte mit ihren Kindern ein Tischgebet sprechen. Der Vater ist Atheist. Sollte sie auf das religiöse Ritual verzichten?

36 Jesper Juul Zu einer destruktiven Beziehung braucht es immer zwei, sagt der Familientherapeut und rät einer Frau, aus der Opferrolle auszubrechen.

75 Abo

43 Michèle Binswanger Unsere Kolumnistin über die Liebe. 44 Fabian Grolimund Alle Eltern kennen es: Das Kind trödelt und treibt einen damit zur Weissglut. Aus der Haut fahren hilft da wenig.

Die nächste Ausgabe erscheint am 6. März 2017.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 5


Entdecken

Ich lüge, na und? Je häufiger Menschen lügen, desto weniger Skrupel empfin­ den sie, so die Studienergebnis­ se einer Forschergruppe am University College in London. Sie liessen Probanden in einem Hirnscanner hemmungslos lügen. Während die Amygdala, die Hirnregion, in der die emo­ tionale Bewertung von Situatio­ nen stattfindet, anfangs noch bei jeder Unwahrheit auf­ flackerte, wurde dieses Signal mit der Zeit immer schwächer. Das schlechte Gewissen wegen des Lügens liess nach …

3 FRAGEN an Alessandra Weber, Geschäftsleiterin Institut Kinderseele Schweiz

Um Eltern mit einer psychischen Krankheit sowie ihre Familien und ihr Umfeld mit Informationen und Hilfsangeboten noch besser zu erreichen, bereitet die Organisation Institut Kinderseele Schweiz iks eine OnlinePlattform auf. Ein erstes Herzstück dieser Plattform sind zwölf Kurzfilme zum Thema, wie Alessandra Weber vom iks sagt. Interview: Evelin Hartmann Alessandra Weber, wen möchte die Organisation mit ihrer Plattform erreichen? Die vier Hauptzielgruppen sind betroffene Eltern, deren Kinder, Menschen in ihrem Umfeld wie Freunde und Nachbarn sowie Personen, die beruflich mit Kindern psychisch belasteter Eltern zu tun haben wie etwa Lehrer. Was finden diese auf ihrer Homepage? Für ihre Gruppe speziell aufbereitete Informationen. So haben wir beispiels­ weise für jede Zielgruppe Kurzfilme zum Thema aufgenommen. Im Zentrum der Filme steht jeweils eine Geschichte, die auf Erfahrungsberichten von Be­­­troffenen basiert. Die Geschichten werden in Form von Testimonials erzählt und sind von Schauspielern gespielt. Wann werden diese Filme zu sehen sein? Schon jetzt. Weitere Filme, in denen Jugendliche die sieben häufigsten psychischen Krankheiten einfach erklären, folgen im Frühling. Auch eine anonyme E-Beratung durch eine Fachperson oder einen Peer ist geplant. Dabei werden Jugendliche von jungen Menschen beraten, Eltern von anderen betroffenen Eltern. Alle Infos auf www.iks-ies.ch

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160 Mio. Stunden mehr opfern Mädchen zwischen 5 und 14 Jahren für die Hausarbeit als Jungen. Laut dem Kinderhilfswerk Unicef verbringen Mädchen damit weltweit im Schnitt

40 %

mehr Zeit damit, zu kochen, zu putzen und sich um Familienmitglieder zu kümmern.

Ein Lachen schenken Circolina heisst ungeschminkt Silvia Rindlisbacher und war früher als Sozialarbeiterin tätig. Heute ist sie die Initiantin des Vereins Huusglön. 2008 wurde der Verein gegründet mit dem Ziel, kranke und behinderte Menschen auch ausserhalb des Spitals, an ihrem Wohnort, zu besuchen und zum Lachen zu bringen. Mit einfühlsamen Improvisationen nehmen Circolina und ihre Clownkollegen Kontakt Starten Sie die aktuelle zu ihren grossen und pp, Fritz+Fränzi-A kleinen Zuschauern auf und Seite e es di e Si scannen zaubern so manches e die Si en leb er d un Lachen hervor. Ihr EngageHuusglön bei ment ist unentgeltlich. Arbeit. Ihrer

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Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Bild: iStockphoto

«Teenager beraten Teenager»


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Rubrik

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 7


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Vom Fremdsein

Riesen mutiert, wird von todesmutigen Liliputanern mit stecknadelkleinen Speeren und spinnwebdünnen Fäden an den Boden gefesselt. Gulliver, halb amüsiert, halb empört, kommt mit den Winzlingen ins Gespräch und kann sie schliesslich von seiner Friedfertigkeit überzeugen. Das Think Tank Théâtre aus Genf bringt das weltbekannte Stück des irischen Schriftstellers und Satirikers Jonathan Swift im Februar ins Schlachthaustheater Bern! Dabei spielt das Stück in einem geschlossenen, realistisch gestalteten Bühnenraum, in dem die Kinder durch Fenster einen jeweils individuellen Blick auf die märchenhafte Welt von Liliput erhaschen. Und dank Kopfhörern können die Kinder all das, was nicht existiert, plötzlich wahrnehmen – die brodelnde Atmosphäre der liliputanischen Hauptstadt wird als Kino im Kopf greifbar.

«Wann hast du dich zuletzt fremd gefühlt?», fragen namhafte Autoren wie Franz Hohler, Felicitas Pommerening und Patrick Tschan in der KurzgeschichtenSammlung «Fremdsein». Aufhänger dieser Sammlung sind die Flüchtlingsströme, die Nord- und Mitteleuropa erreicht haben. Und natürlich wird in diesen Geschichten von der Flucht erzählt – aber nicht nur. «Wir entfremden uns in Beziehungen und Familien voneinander. Wir fühlen uns fremd, wenn sich das Umfeld verändert. Aber wir können uns auch fremd fühlen, wenn wir selbst es sind, die sich verändern – und dann nicht mehr in das Gewohnte hineinpassen», schreibt die Herausgeberin und Journalistin Bianca Fritz im Vorwort. Ein bewegendes Buch über ein Gefühl, das uns alle verbindet: Fremdsein. Der Erlös geht an World Vision Schweiz und Terre des hommes Schweiz, die ihn bei Hilfs­ projekten für Flüchtlingskinder rund um Syrien und auf der Balkanroute einsetzen. «Fremdsein», epubli, 2016, ab Fr. 9.90, auch als E-Book erhältlich

Gulliver – Zimmerstück n° 2, ab acht Jahren (auf Deutsch), www.schlachthaus.ch

Alle Informationen auf www.fremdsein.net

Gullivers Reisen Die Szene ist berühmt: Gulliver, im Zwergenstaat Liliput zum

«Für jeden Franken, den man in eine psychotherapeutische Behandlung investiert, kann man im Sozialsystem zwei bis drei Franken sparen.» Yvik Adler in der NZZ über das heutige Delegationsmodell. Dieses besagt, dass psychologische Psychotherapeuten – also Menschen mit einem Studium in Psychologie, nicht in Medizin – bei einem Arzt oder Psychiater angestellt sein müssen, damit die Grundversicherung für die Behandlung aufkommt.

Was machen eigentlich Patumbah-Forscher? Sie sammeln, entdecken, fotografieren und zeichnen ihre Entdeckungen zu wechselnden Themen rund um die Baukultur. Wann sie das machen? Immer am ersten Mittwoch des Monats, wenn die Villa Patumbah ihre Ateliers für Kinder ab sechs Jahren öffnet. Bei jedem Besuch füllen die jungen Forscher ein Tagebuch und erhalten zum Schluss ein Entdeckerdiplom. Das Angebot ist offen, eine Anmeldung nicht nötig. Jeden zweiten Sonntag des Monats dürfen auch die Eltern mit ins Atelier ... www.heimatschutzzentrum.ch Bilder: ZVG

Yvik Adler ist Co-Präsidentin der Föderation der Schweizer Psychologen (FSP).

Für kleine und grosse Forscher

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schenken sie lebensfreude für kinder mit einer krankheit, behinderung oder schweren verletzung.

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www.sternschnuppe.ch postkonto 80-20400-1 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 9 Diese Anzeige ist für die Stiftung Kinderhilfe Sternschnuppe kostenlos.


Wenn alles zu viel wird Immer häufiger klagen bereits Zwölfjährige über Erschöpfung und Antriebslosigkeit. Wer ist schuld? Die Leistungsgesellschaft mit ihrem Schlachtruf: höher, schneller, weiter? Die Schule? Die Eltern, die ihren Kindern alles abverlangen? Oder setzen sich Kinder heute selber zu sehr unter Druck? Eine Spurensuche. Text: Virginia Nolan Bilder: Daniel Auf der Mauer / 13 Photo

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Dossier

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 11



Dossier

Die Bilder zu diesem Dossier stammen vom Zürcher Fotografen Daniel Auf der Mauer. Der 38-Jährige fotografiert regelmässig Reportagen und Porträts für internationale Publikationen wie «The New York Times» und «Der Spiegel». Alle im Dossier abgebildeten Jugendlichen haben der Veröffentlichung von Text und Bildern zugestimmt.

Nachwuchs sei nicht gestresst, son­ dern verweichlicht, sagen die ande­ ren. Wie geht es Kindern im Zeit­ alter von Effizienzsteigerung und Gewinnmaximierung, von Flexibi­ lisierung und Globalisierung? Wir fragen Kinder und Jugendliche. Und haken bei denen nach, die sie täglich begleiten; bei Eltern, Jugendarbei­ tern, Lehrpersonen, Therapeuten, Sozialforschern und beim Krisen­ coach. Hohe Lebenszufriedenheit, nüchterne Stressbilanz

E

s gibt ein Sprichwort, das besagt, nichts sei so ge­­ recht verteilt wie der Verstand: Jeder glaube, er habe genug davon. Mit dem Stress verhält es sich ähn­ lich. Gerade als Eltern sind wir der Meinung, wir kämen damit nicht zu kurz. Und doch sagt dies allein wenig darüber aus, wie hoch unsere Belastung tatsächlich ist. Ein Zu­­ stand, den wir als Volkskrankheit bezeichnen, verlangt nach einer kri­ tischeren Auseinandersetzung. Im Idealfall sieht diese vermutlich so aus, dass wir nicht blindlings ein­ stimmen ins Klagelied über die Leis­ tungsgesellschaft, aber gleichzeitig unsere Augen öffnen für deren Opfer – erst recht, wenn es Kinder sind. Diesen Ansatz verfolgt dieses Dossier. Es will erklären, einordnen. Burnout sei, warnen die einen, im Kinderzimmer angekommen. Der

Burnout ist im Kinderzimmer angekommen, sagen die einen. Viele Kinder sind heute verweichlicht, sagen andere.

Anhaltspunkte für das emotionale Wohlbefinden von Schulkindern in der Schweiz liefert die Studie «Health Behaviour in School-aged Children» (HBSC). Die Schülerbefragung unter der Schirmherrschaft der Welt­ gesundheitsorganisation WHO untersucht alle vier Jahre die Ge­­ sundheit von 11- bis 15-Jährigen in 44 Ländern. «Kinder und Jugendliche neh­ men schlechte Gesundheit kaum als Krankheit wahr», schickt der Bericht voraus, «bei schlechter Gesundheit zu sein bedeutet für sie vor allem, emotional und zwischenmenschlich verunsichert zu sein.» Daher sei das Gesundheitsempfinden von Kin­ dern und Jugendlichen ein guter Indikator für deren psychische Ver­ fassung. Gemäss der aktuellsten HBSCStudie aus dem Jahr 2014 schätzen über 90 Prozent der befragten 10 000 Schülerinnen und Schüler in der Schweiz ihre Gesundheit als gut oder ausgezeichnet ein. Auch in Sachen Le­­benszufriedenheit schnei­ den sie gut ab. Demnach sind 9 von 10 Knaben zwischen 11 und 15 Jah­ ren recht bis sehr zufrieden mit ihrem Leben, von den Mädchen sind es je nach Altersgruppe zwischen 83 und 87 Prozent. Nüchterner sieht ihre Stress­ bilanz aus. So geben 10 Prozent aller befragten 11-Jährigen an, regelmässig traurig zu sein, 15 Prozent schät­ zen sich als nervös ein. So­- >>>

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Dossier

>>> genannte psychoaffektive Symptome – die Literatur bezeich­ net sie oft als Stressmerkmale – sind zum Beispiel Gereiztheit, Müdigkeit oder Einschlafschwierigkeiten. Die Pubertät könne solche Anzeichen durchaus mit sich bringen, schrei­ ben die Experten. Wenn es sich allerdings um chronische Symptome handle, hänge dies mit einem beein­ trächtigten Wohlbefinden zusam­ men. Als chronisch gelten Symptome, die mehrmals wöchentlich oder während sechs Monaten täglich ver­ spürt werden. Dabei scheint Müdig­ keit bei Schweizer Kindern am wei­ testen verbreitet zu sein. Und: Mit steigendem Alter äussern bis zu einem Drittel der Knaben mindes­ tens zwei chronische, psychoaffek­ tive Symptome, bei den Mädchen beträgt der Höchstwert hier sogar 46 Prozent. Der Druck ist selbst gemacht

Während die Daten zur HBSC-Stu­ die die Frage nach den Stressfaktoren nicht im Detail beantworten, gibt die Studie Juvenir 4.0 der Jacobs Foun­ dation Antwort darauf. Sie hat aller­ dings nicht Kinder im Fokus, son­ dern Schweizer Jugendliche im Alter zwischen 15 und 21 Jahren. In der Untersuchung von 2014 sagte fast die Hälfte der 1500 Befrag­ ten, das Gefühl von Stress und Überforderung gehöre zu ihrem All­ tag. 56 Prozent der weiblichen Jugendlichen gaben an, häufig bis sehr häufig unter Druck zu stehen, bei den männlichen waren es 37 Prozent. Wichtigste Stressursachen sind Schule, Studium und (Lehr-) Beruf: In diesen Bereichen fühlen sich 60 Prozent der Jugendlichen häufig bis sehr häufig gestresst und überfordert. Die viel diskutierte «Terminfrei­ zeit» scheint dagegen kein Thema zu sein: Sport und Hobbys setzen Jugendliche kaum unter Druck, das gilt auch für den Umgang mit sozi­ >>> alen Medien. 14

Sport und Hobbys setzen Jugendliche kaum unter Druck. Das gilt auch für den Umgang mit sozialen Medien.

«Ich fühlte mich wie in einer Blase» Für Sandra, 17, Praktikantin Behindertenbetreuung, liegt der schlimmste Druck darin, so sein zu müssen wie alle anderen. Das habe sie an den Rand ihrer Kräfte gebracht, ihr die Lebensfreude und den Schlaf geraubt. «Gegen Ende der Primarschule war ich plötzlich zur Zielscheibe geworden: Ich wurde fertiggemacht. Vielleicht war mein Gewicht der Grund dafür oder meine ruhige Art. Ich weiss es nicht. Jedenfalls gab man mir täglich zu verstehen, dass ich komisch sei, nicht so wie die anderen, ein Nichts. So ging das zwei Jahre lang. Ich reagierte mit Rückzug. Mir fehlte die Kraft, mit meinen Eltern zu sprechen, ich reagierte gereizt, wenn sie es versuchten. Ich konnte nicht schlafen, war nervös und müde. Ich fühlte mich wie in einer Blase, umhüllt von Traurigkeit. Selbstmordgedanken begleiteten mich jeden Tag. Meine Eltern drängten mich, Hilfe zu suchen. Die Jugendseelsorge war ein Glücksfall. In der Oberstufe wendete sich mein Leben zum Guten. Auf einer Privatschule fand ich meine beste Freundin. Sie hat mich gelehrt, für mich einzustehen. Ich war glücklich, bis es um die Berufswahl ging.

Mit 16 eine solche Entscheidung treffen zu müssen, hat mich überfordert. Wer die Sek B besucht, muss sich ständig anhören, dass es auf diesem Niveau sowieso gelaufen sei mit der Zukunft. Ich hoffe, das stimmt nicht. Ich habe bis heute keine Lehrstelle gefunden, trotz hundert Bewerbungen. Nach der Sek begann ich ein Praktikum im Behindertenwohnheim. Ich wurde ins kalte Wasser geworfen. Mein Chef erwartete, dass ich mit anpacke wie alle anderen. Ich war aber langsamer, weil die Arbeit körperlich anstrengend war. An mir nagte das Gefühl, nicht zu genügen. Die Traurigkeit und die Nervosität kamen zurück, ich hatte Angst, dass sich der Teufelskreis wiederholt. Der Chef stellte mir einen Ausbildungsplatz in Aussicht. Ich klammerte mich an diese Hoffnung, die sich aber zerschlug: Kurz vor Ablauf meines Praktikums erfuhr ich, dass es für mich keine Anschlusslösung gibt. Dank der Hilfe meiner Mutter konnte ich in einem anderen Wohnheim ein Praktikum beginnen. Hier blühe ich auf. Ich muss nicht nur funktionieren, sondern werde auch angeleitet. Die Arbeit macht mir Freude, geblieben ist die Sorge, dass ich als Sek-B-Absolventin mit schwachem Leistungsausweis nirgendwo unterkomme. Manchmal breche ich aus dem Nichts in Tränen aus. Ich will unbedingt Fachfrau Be­­ hindertenbetreuung lernen. Dafür bewerbe ich mich, wenns sein muss, wieder hundert Mal – aber nicht mehr in diesem Jahr. Nach dem Praktikum will ich erst einmal nach Australien, Englisch lernen.»




Dossier

>>> Es scheinen weder Eltern, Lehrer noch Berufsbildner zu sein, die den Nachwuchs mit ihren An­­ sprüchen überfordern. In der Juve­ nir-Studie gaben 80 Prozent der Gestressten an, nicht andere, son­ dern sie selbst setzten sich unter Druck. Als Grund dafür führen For­ scher die starke Leistungsorientie­ rung und die Zukunftsangst vieler Jugendlichen an; Eigenschaften, die bereits in vorhergehenden Umfragen festgestellt worden seien. Bezeich­ nenderweise hätten 80 Prozent der

Vier von fünf gestressten Jugendlichen geben an, nicht andere, sondern sie selbst setzten sich unter Druck.

«Ich will nicht Coiffeuse werden» Yara, 14, setzt alles daran, es ins Gymnasium zu schaffen. Die Sekschülerin hat Angst, dass ihre Zukunftschancen sonst schwinden. «Manchmal habe ich das Gefühl, über mir schwebe eine dunkle Wolke. Dann blicke ich nicht mehr durch. Ich gebe mir in der Schule allergrösste Mühe, was sich kaum auf meine Noten auswirkt. Ich besuche die zweite Sekundarklasse und bereite mich auf die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium vor, wie die Hälfte der Schüler in meiner Klasse. Nach der sechsten Klasse hatten es ausser drei Schülern alle versucht, ich inklusive. Ich hoffe, diesmal klappt es. Manchmal zweifle ich an mir: Bin ich nicht klug genug? Sollte ich mich besser für

eine Lehrstelle bewerben? Ich weiss, dass dies für mich nicht das Richtige wäre. Die Matura öffnet einem viele Türen. Berufe, die mich interessieren, setzen sie voraus: Ich könnte mir vorstellen, Anwältin zu werden oder Journalistin – aber nicht Coiffeuse. Gerade kommt alles auf einmal. In der Schule steht die Berufswahl im Zentrum, dabei bräuchte ich meine Energie, um mich auf die Gymiprüfung vorzubereiten. Im Vor­ bereitungskurs, den die Schule anbietet, musste ich mir meinen Platz erkämpfen. Der Klassenlehrer wollte meine Teilnahme verhindern, ich sei nicht geeignet. Nun kann ich doch hingehen, weil sich meine Eltern für mich eingesetzt haben: Für sie ist meine Motivation wichtiger als die Schulnoten. Ich war in der Primarschule aus den USA in die Schweiz gezogen, meine Eltern sind Ingenieure und hatten hier ein Jobangebot. Deutschlernen war anspruchsvoll, doch die grösste Umstellung bedeutete das Schul­ system. In Amerika war der Unterricht an­­ schaulicher, aktiver. Hier hält der Lehrer einen Monolog. In den USA war der Stun­

Jugendlichen, die sich gestresst fühl­ ten, auch Angst um ihre berufliche Zukunft. Alain Di Gallo, Leiter der Kinderund Jugendpsychiatrischen Klinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, kennt das Phäno­ men. «Unser Bildungssystem ist durchlässiger geworden», sagt er, «das ist eine grosse Errungenschaft, die nicht nur Chancen bietet, son­ dern auch Druck erzeugen kann. Man kann immer noch eine Stufe höher steigen, sich noch besser qua­ lifizieren. Als Kehrseite drohen der Fall, Gefühle von Ungenügen und nagende Selbst­zweifel.» Burnout bei Kindern?

«Es kommt so gut wie nicht mehr vor, dass Eltern mich fragen, was sie tun sollen, damit ihr Kind die Schu­ le endlich ernst nimmt», sagt >>>

denplan nicht für alle gleich, man ging ein auf die individuellen Stärken der Schüler. Freizeit habe ich kaum. An Abenden und Wochenenden lerne ich, die Hausaufgaben dauern oft bis spät. Vor ein paar Monaten ist mir alles über den Kopf gewachsen, ich war müde, verlor meine Motivation und war nur noch gereizt. Oft habe ich aus dem Nichts heraus angefangen zu weinen. Meine Mutter ermutigte mich, die Jugendberatungsstelle aufzusuchen. Viele haben Hemmungen, Hilfe in Anspruch zu nehmen; ich kann es nur empfehlen. Meine Beraterin brachte mir Entspannungsübungen bei, aber auch Strategien, um Druck abzubauen. Tagebuchschreiben hilft gegen Stress, Lesen ebenso. Ich lege jetzt öfter mal das Handy weg, schlafe besser, habe mehr Energie für die Schule. Und doch gerate ich immer wieder unter Druck, den ich mir selbst mache. Meine Eltern schimpfen nicht, wenn ich schlechte Noten habe, und sie hören nicht auf, mich immer wieder aufs Neue zu motivieren. Dafür bin ich ihnen dankbar.»

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Dossier

>>> der Kinder- und Jugendpsy­ ch­ia­­­­ter Michael Schulte-Markwort. «Früher hatten Eltern oft Sorge, dass aus ihrem Kind nichts wird. Heute wollen sie wissen, wie ihre Kinder weniger angestrengt leben und ler­ nen können.» Schulte-Markwort ist ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitäts­ klinikum Hamburg-Eppendorf und der Kinder- und Jugendpsychoso­ matik am Altonaer Kinderkranken­ haus. 2016 hat er ein viel beachtetes Buch veröffentlicht. Es heisst «Burn­ out-Kids. Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert». Der effekthascherische Titel passt nicht zu den leisen Tönen, die der 60-Jährige im Gespräch anschlägt. «Ich mag es nicht, wenn man über­ treibt», sagt er. «Es gehört zu meinen Aufgaben, Kinder zu verstehen, nicht, sie krank zu reden.» Schulte-Markwort betont, dass psychische Erkrankungen bei Kin­

Ein Krankheitsbild aus der Erwachsenenwelt verschiebt sich zu den Kindern: die Erschöpfungsdepression. dern und Jugendlichen in den ver­ gangenen 30 Jahren nicht zugenom­ men hätten – mit einer Ausnahme, wie er vermutet. «Ich begegne Jugendlichen, meistens Mädchen, die sich als traurig, antriebslos, wei­ nerlich und niedergeschlagen be­­ schreiben. Sie haben Schlafstörun­ gen und zeigen das Vollbild einer Depression, passen bei genauerer Diagnostik aber nicht in die gängi­ gen Kategorien.» Burnout bei Kindern? «Die Dia­ gnose kam mir zunächst nicht in den Sinn, weil ich davon ausgegan­ >>> gen war, dass sie im Kindes­

«Ich kann mich nicht festlegen» Shakur, 17, hat manchmal Angst, sein Leben nicht auf die Reihe zu kriegen. Er will später den Betrieb seiner Eltern übernehmen, steht aber ohne Lehrstelle da. «Manchmal bereue ich es, dass ich die Schule auf die leichte Schulter genommen habe. Leider habe ich mich mehr auf meine Freunde konzentriert statt aufs Lernen. Meine Noten waren ganz gut, aber es haperte beim Betragen: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit – in meinem Zeugnis stehen die Kreuzchen am falschen Ort. Ich bin zwar nicht so der Schultyp, konnte es mir aber auch nicht vorstellen, nach der Sek schon mit Arbeiten anzufangen. Unserer Sek-Lehrerin war die Anzahl verschickter Bewerbungen wichtiger als das,

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was drinstand. Auch im zehnten Schuljahr bot der Klassenlehrer wenig Unterstützung beim Inhalt. Ich fand, das bringe wenig – und ging. Die Vereinbarung mit meinen Eltern war, dass ich im Pizzakurier mithelfe, den sie betreiben, und mich nebenher um eine Lehrstelle kümmere. Letzteres hat nicht wirklich funktioniert. Darum besuche ich neu eine Handwerksschule, ich gehe einmal die Woche in den Unterricht und muss mich um ein Praktikum bemühen. In der neuen Schule bereiten wir uns gezielt vor: Ich habe zwei Bewerbungen verschickt und bereits die Zusage für eine Schnupperlehre als Lüftungsmechaniker. Ich habe mir schon als Kind die Frage gestellt, was ich einmal arbeiten will. Bloss eine eindeutige Antwort fand ich nie. Ich habe so viele Inter­essen, bin immer offen für Neues. Ich habe in viele Berufe hineingeschnuppert, fast überall hat es mir gefallen – aber ich konnte mir in keinem Fall vorstellen, nur noch diese eine Arbeit zu machen. Ich kann mich nicht festlegen.

Mein Bruder macht eine KV-Lehre auf der Bank. Ich glaube, meine Mutter hätte mich auch gerne in so einem Beruf gesehen. Später würde ich gerne den Pizzaservice vom Vater übernehmen, ich bin mit dem Betrieb gross geworden, er bedeutet mir viel. Die Arbeit ist vielseitig: Man besorgt den Einkauf, kocht, macht das Büro, er­­ ledigt die Auslieferungen. Die mache ich besonders gerne, so sehe ich immer neue Gesichter. Mein Vater sagt, ich hätte noch viel vor mir, wenn ich den Betrieb übernehmen wolle. Es reiche nicht, von allem eine Ahnung zu haben, man müsse dahintersehen, im Detail Bescheid wissen. Ich habe einen guten Draht zu Menschen, ich glaube, man erreicht viel, wenn man ihnen mit Anstand begegnet. Aber ich habe Angst, dass ich nichts auf die Reihe bringe, weil ich mich so leicht ablenken lasse. Ich arbeite wirklich daran, mich zu verbessern. Ich hoffe, dass ich eine Lehrstelle finde und es schaffe, drei Jahre durchzubeissen, auch wenn es mal eintönig wird.»



Thematisieren Sie die Schule nicht dauernd, auch wenn es fßr Ihr Kind gerade nicht rund läuft.


Dossier

>>> alter nicht vorkommt, ähnlich wie Demenz», sagt Schulte-Markwort. «Erst dachte ich, ich hätte es mit besonders empfindlichen Jugendlichen zu tun. Je mehr es wurden, desto klarer wurde mir aber, dass sich ein Krankheitsbild aus der Erwachsenenwelt zu den Kindern verschiebt: die Erschöpfungsdepression.» Schulte-Markwort verwendet lieber den populären Begriff Burnout, um Missverständnissen vorzubeugen. «Die Ursachen sind anders als bei einer ‹normalen› Depression», sagt er. «Bei der Erschöpfungs­ depression geht es um inneren und verinnerlichten Leistungsanspruch. Hier folgt die Depression aus der Erschöpfung und nicht umgekehrt.» Widersprüchliche Botschaften

Seine jungen Patienten seien gekennzeichnet vom Bemühen, «gute» Kinder zu sein, sagt Schulte-Markwort: «Da haben unglaubliche Selbstdiszi­

10 Tipps für ein entspanntes Familienleben 1. Wer selbst unter Strom steht, kann sein Kind nicht zur Entspannung anhalten. Seien Sie sich bewusst, dass Ihre persönliche Stressbilanz auch die Ihres Kindes mitbeeinflusst. 2. Kinder haben ein ausgeprägtes Gespür für das, was uns wirklich wichtig ist. Achten Sie darauf, dass Sie Zeitinseln schaffen und regelmässig pflegen können. Rituale wie ein gemeinsames Familienessen eignen sich dafür am besten. 3. Suchen Sie so oft wie möglich das Gespräch mit Ihrem Kind. Das bedeutet nicht, es nach seinen Problemen zu löchern. Sprechen Sie einfach über das, was Sie bewegt, begeistert, verbindet.

Wer nichts leistet, hat verloren. Das lernen Kinder heute von klein auf.

plinierungsprozesse stattgefunden.» Kinder von heute wollten, ohne dass sie jemand dazu antreibe, erfolgreich sein, «oder eher: perfekt». Weil sie es nicht anders kennen, ist der Psychiater überzeugt: «Wir leben in einer durchökonomisierten Gesellschaft, die mit hoher Taktung all diejenigen ausspuckt, die nicht mithalten können. Wer nichts leistet, hat verloren. Das lernen Kinder heute von klein auf.» Auch die Familie sei eingebunden in das Erfolgsprinzip, das keine Versager zulasse. Oft seien Kinder widersprüchlichen Botschaften ausgesetzt. «Hauptsache, du bist glück-

4. Von nichts kommt nichts: Scheuen Sie nicht den Aufwand, wenn er zu einem gemütlichen Miteinander beiträgt und Austausch ermöglicht. Ein Brunch am Sonntagmorgen, ein Filmabend, Bräteln im Wald – kleine Highlights schaffen Lebensqualität. 5. Schreiben Sie Ihren Kindern nicht vor, was eine sinnvolle Beschäftigung ist. Wenn sie für Jugendliche darin besteht, einfach nur abzuhängen, ist das in Ordnung. 6. Achten Sie darauf, wie Sie als Eltern Leistung vorleben und thematisieren. Kinder haben feine Antennen für Widersprüchliches. Wenn Sie Ihrem Kind versichern, Glücklichsein sei das Wichtigste, selber aber überaus ehrgeizige Ansprüche an sich selbst haben, ist das nicht glaubwürdig. 7. Thematisieren Sie die Schule nicht dauernd, auch wenn es für Ihr Kind gerade nicht rundläuft.

lich», heisse es, oder «Schulnoten sind nicht alles». Nicht selten kämen die gut ge­­ meinten Beruhigungsversuche von Eltern, die selber ein hohes Tempo an den Tag legten, sich über «faule»Arbeitslose beschwerten, unter Zeitmangel litten. «Wir leben Kindern vor, dass Erfolg meist eine zweifelhafte Work-Life-Balance nach sich zieht», sagt Schulte-Markwort. «Väter werden zu WochenendPapas, und Mütter haben kaum noch Zeit für sich selbst. Kinder haben ein feines Gespür für Werte und dafür, was uns diese tatsächlich >>> wert sind.»

8. Legen Sie die Smartphones zum Essen beiseite, am besten auch über Nacht. Halten Sie Ihre Kinder und sich selbst dazu an, Informationen nicht auf sich einprasseln zu lassen. Zücken Sie bewusst nicht immer das Handy, um Wartezeit zu überbrücken. Halten Sie’s mit Informationen wie mit dem Essen – wir konsumieren auch nicht alles, was verfügbar ist, und kommen gut ohne Zwischenmahlzeit aus. 9. Räumen Sie Ihrem Kind nicht jegliche Steine aus dem Weg und lassen Sie es seinen Teil in der Familie betragen. Darauf sollten Sie sogar bestehen, denn es macht stark. 10. Studieren Sie Ihr Kind nicht zu sehr. Kinder, die es gewohnt sind, dass sie ständig sorgenvoll beobachtet werden, fühlen sich schneller überfordert als solche, die merken, dass ihnen die Eltern auch etwas zutrauen.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 21


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Eltern die Schuld zu geben, >>> greift für den Jugendpsychiater zu kurz. Schulte-Markwort verweist auf ökonomische Zwänge, beispielsweise den Wandel von der Gross- hin zur Kleinfamilie, die Ratlosigkeit erzeuge, weil Mütter und Väter alles allein stemmen müssten. Der Psychiater führt aussterbende soziale Normen und Traditionen an, die zwar nicht über alle Zweifel erhaben gewesen seien, aber einem zumindest Orientierung gegeben hätten. «Früher gab es etwa noch die Sicherheit, dass man ein Leben lang bei seinem Arbeitgeber bleibt», sagt er. «Heute haben wir Zeitarbeitsverträge, sprechen von der Generation Praktikum. Kann sich so innere Stabilität entwickeln?» Auch Trägheit lässt uns ausbrennen

Wir idealisierten die Vergangenheit, findet dagegen der Frankfurter Entwicklungspsychologe Martin Dornes (vgl. Interview auf Seite 26). Die Grossfamilie von früher habe keineswegs nur Unterstützung, sondern auch Bevormundung bedeutet. Zudem sei die Arbeitswelt nicht familienfreundlicher gewesen: «Die Arbeiter litten unter Monotonie, schwerer körperlicher Belastung und den langen Arbeitszeiten. Stress gab es reichlich, auch wenn nicht so viel darüber geredet wurde wie heute.» Diese Meinung vertritt auch Katrin Aklin. Sie ist Schulleiterin bei der Zürcher Stiftung OPA, die Jugendlichen mit sozialen Schwierigkeiten hilft, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. «Wir haben das Gefühl, um die Welt stehe es schlecht, weil wir alles erfahren – auch das, was uns gar nicht betrifft», sagt sie. Da gebe es nur eines: bewusster konsumieren. «Beim Essen machen wir es auch so: Wir stopfen nicht alles in uns hinein, was verfügbar ist. Mit Informationen sollten wir genauso verfahren, auch das ist eine Frage der Disziplin.» Jugendexpertin Aklin coacht auch Erwachsene, die sie oft auf22

Burnouts entstehen selten aus Überanstrengung. Häufiger ist Trägheit die Ursache. Und fehlende Zufriedenheit. grund eines Burnouts konsultieren. Den Grund für Stress und Überforderung sieht sie nicht in überhöhten Leistungsanforderungen, «es hapert eher an unserer Leistungsbereitschaft», ist sie überzeugt. Aklin geht noch weiter: «Burnouts aufgrund von Überanstrengung sind deutlich seltener als Burnouts, die aus Trägheit entstehen.» Aklin spricht von einer Passivität, die Jugendliche und Erwachsene gleichermassen betreffe und ein Gefühl des Ausgeliefertseins erzeuge. «Es fehlt uns an Zufriedenheit», sagt sie, «weil wir wahres Engagement einem oberflächlichen Verständnis von Erfolg geopfert haben.» Position beziehen, Unbequemlichkeiten aushalten, sich einsetzen, auch ohne Aussicht auf Belohnung – das alles sei heute unpopulär, weil anstrengend. «Wir gehen lieber dahin, wo alle applaudieren», sagt Aklin, «und leben das den Jungen vor.» In der Kindererziehung funktioniere diese Passivität aber nicht. Erziehung bedeute, Stellung zu nehmen, Vorbild zu sein, Reibungsfläche zu bieten. «Viele Eltern vermeiden Reibung», weiss Aklin, «weil sie Arbeit bedeutet. Sie ist aber eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von Selbstwertgefühl. In Auseinandersetzungen entwickeln wir Fähigkeiten.» Nicht nur in der Schule, auch im Umfeld ihrer drei eigenen Kinder beobachte sie stattdessen, wie dem Nachwuchs Bequemlichkeit anerzogen werde. Man stelle Kindern lieber alles bereit, statt sie selbst machen zu lassen. «Dass dies auf eine niedrigere Belastungsgrenze hin- >>>

Literatur Schulte-Markwort, Michael: BurnoutKids. Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert. Droemer Knaur, 2016, 272 Seiten. Fr. 28.90 Dornes, Martin: Die Modernisierung der Seele. Kind – Familie – Gesellschaft. Fischer Taschenbuch, 2012, 528 Seiten. Fr. 17.90 Dornes, Martin: Macht der Kapitalismus depressiv? Über seelische Gesundheit und Krankheit in modernen Gesellschaften. Fischer Taschenbuch, 2016, 160 Seiten. Fr. 23.90

Links Zu viel Stress – zu viel Druck! Wie Schweizer Jugendliche mit Stress und Leistungsdruck umgehen. JuvenirStudie 4.0, Jacobs Foundation, 2015. Online: www.juvenir.ch > Downloads > Juvenir 4.0 Delgrande Jordan, Marina, und Eichenberger, Yvonne: Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Schulalter (Detailauswertungen von Daten aus der HBSC-Studie 2014). Gesundheitsförderung Schweiz, 2016. Online: gesundheitsfoerderung.ch > Downloads > Bericht 6: Psychische Gesundheit über die Lebensspanne (Seite 58–69)

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Definition Burnout gilt als umgangssprachliche Bezeichnung für die Erschöpfungsdepression. Symptome Kinder und Jugendliche, die davon betroffen sind, ziehen sich häufig zurück, wirken dabei antriebslos und haben kein Interesse mehr an Hobbys oder Freunden. Viele klagen über Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit. Jugendliche sind oft gereizt und übellaunig, jüngere Kinder können durch Spielunlust, verstärkte Trennungsangst oder Bauchweh auffallen. Halten solche Symptome über Wochen an, ist der Rat einer Fachperson hilfreich; besonders dann, wenn das Gespräch mit dem Kind keine Besserung bringt. Dann helfen Elternberatungsstellen weiter. Unterschied Die Symptome, welche die Erschöpfungsdepression mit

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sich bringt, treten auch bei der klassischen Depression auf. Die Krankheitsbilder sind allerdings nicht zu verwechseln: Die Erschöpfungsdepression entsteht, wie der Name schon sagt, aus der Erschöpfung heraus, bei der klassischen Depression ist die Erschöpfung eine Folge der Krankheit. Zahlen Über die Häufigkeit des Burnouts im Kindes- und Jugendalter gibt es kaum Daten. Der Jugendpsychiater und Buchautor Michael Schulte-Markwort schätzt, dass etwa drei bis fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen davon betroffen sind, meist Teenager. «Es gibt allerdings viele Hinweise darauf, dass die Altersgrenze sinkt», sagt SchulteMarkwort. Anfälligkeit Meist habe er es mit leistungsorientierten Mädchen zu

tun, die an ihrem Perfektionismus zerbrächen, sagt Schulte-Markwort. Allerdings beanspruchten Knaben auch seltener Hilfe: «Sie sind oft nicht so redefähig und -willig wie Mädchen.» Generell, so der Jugendpsychiater, treffe Burnout Jugendliche an Gymnasien häufiger als Altersgenossen, die eine Schule mit niedrigerem Leistungsprofil besuchen. Es ist zudem bekannt, dass Kinder aus Scheidungsfamilien ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen haben. Gilt das auch fürs Burnout? «Mein Befund lässt den Schluss leider zu», sagt Schulte-Markwort. Laut dem Jugendpsychiater sind auch Kinder aus armutsgefährdeten Familien und solche mit Mobbin­g­ erfahrungen anfälliger für Erschöpfungsdepressionen.

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Bild: Gabrielle Duplantier / plainpicture

Burnout – was heisst das?


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>>> ausläuft, liegt nahe», findet Aklin. Mit Verständnis dürften Jugendliche jedenfalls nicht rechnen, weder in der Schule noch auf dem Arbeitsmarkt. Auch da fehle es nämlich am Willen, sich ernsthaft mit Kindern auseinanderzusetzen. Mit der Folge, dass auf der Strecke bleibe, wer seinen Knoten nicht im Alleingang löse. Rasender Stillstand

Jugendliche mit lückenhaftem Leistungsausweis oder Brüchen im Lebenslauf hätten es zunehmend schwerer, weiss Aklin: «Arbeitgeber hätten am liebsten Nachwuchs nach Konfektion. Einen jungen Menschen einzustellen, den man noch etwas unter die Fittiche nehmen muss, der dafür aber Entwicklungspotenzial hat, kommt für die meisten nicht infrage. Es bedeutet zu viel Aufwand.» Was fehle, seien Erwachsene, die wirklich Lust hätten, Jugendliche zu begleiten – mit Herz, Standhaftigkeit und der nötigen Ausdauer. Paradoxerweise, glaubt Aklin, sei es diese fehlende Hingabe, das Leben auf Sparflamme, das uns ausbrennen lasse: «Wir horten unsere Energie, um sie darauf zu verwenden, dem nächstbesten Vorteil hinterherzujagen. Das erzeugt keine Befriedigung, sondern Unruhe.» «Rasender Stillstand», nennt Jugendarbeiter Daniele Gasparini das Phänomen. In der sogenannten Leistungsgesellschaft bedeute Leistung zu einem grossen Teil das taktische Abwägen von Optionen, die kaum mehr zu überblicken seien. Die «Multioptions-Kultur», sagt Gasparini, sei anstrengend, vor

allem für Jugendliche. Manche lassen sich von ihren Verführungen aber viel weniger stressen, weiss der Jugendexperte: «Es sind jene, die ihre Aufmerksamkeit einer be­­ stimm­ten Sache verschrieben ha­­ ben.» Jugendliche, die, um die Metapher aufzugreifen, brennen für etwas. Ihr Engagement trifft dabei freilich nicht immer die Vorstellungen der Eltern. «Bei uns gehören etwa die Sprayer zu den Glücklichsten», sagt Salome Gasparini, die zusammen mit ihrem Vater Daniele die Jugend­ arbeit einer Zürcher Seegemeinde koordiniert. «Graffitikunst ist zwar mitunter illegal, aber offensichtlich sinnstiftend: Sie verlangt Hingabe und den Zusammenhalt als Gruppe.» So spende die Peergroup ihren Mitgliedern Kraft und Zufriedenheit, mache sie weniger anfällig für Nebengeräusche. Das gelte auch für die Fankultur im Sport, «früher auch in der Musik», sagt Salome Gasparini, «aber diese Subkulturen sind weitgehend ausgestorben». Die Identifikation mit einer Bewegung oder Sache, sind Vater und Tochter Gasparini überzeugt, sei ein wirksamer Schutzmechanismus gegen Stress und Burnout. Bloss: Sich richtig ins Zeug zu legen für etwas, das sei bei den meisten Jungen nicht mehr gefragt. «Sie halten uns damit den Spiegel vor», sagen die Jugendarbeiter, «wir Erwachsenen haben ja auch keine Visionen.» Wohin des Weges?

Ja: Wir driften selbst auf dem Meer der Möglichkeiten. Stellt sich die Frage, was uns als Kompass dienen

soll. Normen und Werte, die Korsett und Wegweiser zugleich waren, haben wir so weit hinterfragt, dass die meisten ihre Gültigkeit verloren haben. Man kann das beängstigend finden oder befreiend. Was bedeutet es für unsere Kinder? «Jede Generation sieht sich vor neue, bisher unbekannte Herausforderungen gestellt», sagt der Jugendpsychiater Alain Di Gallo. «Sicher haben allerdings Geschwindigkeit und Frequenz der Veränderungen in der letzten Dekade zugenommen, und damit die Gefahr von Verunsicherung und Identitätskrisen.» Dass solche Stresssymptome und möglicherweise sogar damit verbundene psychische Störungen bei Jugendlichen zunehmen, sei jedoch eine Vermutung, die wir durchaus kritisch hinterfragen sollten, findet Di Gallo. «Die Adoleszenz ist eine Lebensspanne des Umbruchs, der Öffnung und Krisen und war schon immer mit Zukunftsängsten verbunden.» Wie können wir Kindern helfen, sie zu bewältigen? «Am wichtigsten erscheint mir, Vertrauen in ihre Entwicklung zu zeigen, ihre Stärken zu fördern und sie in ihren Schwächen zu unterstützen», sagt Di Gallo. «Dazu gehört auch das Setzen von Grenzen. Lernen bedeutet nicht immer Vergnügen. Es fordert Durchhaltewillen und Verzicht.» >>>

Für etwas brennen, sich mit einer Sache identifizieren, bietet den besten Schutz gegen Stress und Burnout.

Virginia Nolan war als Teenager davon überzeugt, dass die Welt da draussen auf sie warte. Die Rechnung ging zwar nicht immer auf – ihren Optimismus hat sich die Autorin trotzdem bewahrt. Heutigen Jugendlichen wünscht sie mehr Abenteuerlust statt Zukunftsangst.

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«Wir idealisieren die Vergangenheit» Die Klage über Leistungsdruck ist fast so alt wie die Menschheit selbst, sagt Martin Dornes. Der Entwicklungspsychologe über Schulreformen, Förderwahn und warum Kinder und Eltern heute nicht mehr Stress haben als früher. Interview: Virginia Nolan

Herr Dornes, Sie bestreiten, dass Kinder und Eltern unter Druck stehen. Warum?

Leistungsdruck wird seit Jahrzehn­ ten immer wieder vorgebracht und als Grund sowohl für Unzufrieden­ heit in der Schule und im Stu­dium angeführt als auch für die angebliche Zunahme seelischer Erkrankungen, zunehmende Ju­­gendgewalt, Alko­ holkonsum, Computersucht und so weiter. Offenkundig handelt es sich dabei um einen Universalschlüssel, der beliebig einsetzbar ist. Was macht Sie da so sicher?

Wir hatten es bereits früher mit an­­ geblich zunehmend erschöpften Kindern und Erwachsenen zu tun. Die dokumentierte Verbreitung der vegetativen Dystonie, später auch Stresssyndrom genannt, betrug Anfang der 1960er-Jahre 30 bis 50 Prozent, was alle heutigen BurnoutZiffern in den Schatten stellt. Als Ursache galt, wie übrigens schon 1890 für die später als Erschöpfungs­ depression umschriebene Neuras­ thenie, die «Hochtourenzivilisation» mit ihren vielfältigen Anforderun­ gen in Arbeit und Freizeit. Eine Hamburger Studie von 1958 ergab, dass 61 Prozent aller 10- bis 11-Jäh­ rigen mindestens ein psychopatho­ logisches Symptom wie Kopfschmer­ zen, Einschlafstörungen, Übelkeit oder Zähneknirschen aufwiesen. Die 26

Zeitdiagnose lautete: wachsender Verkehr und Strassenlärm, vom Wiederaufbau erschöpfte Mütter und «neue» Medien – damals ame­ rikanische Comic-Hefte. An unseren Schulen orteten Soziologen bereits 1978 «extremen Leistungsdruck». Gerade was die Schule betrifft, gibt es aber Anhaltspunkte dafür, dass die Leistungsanforderungen nicht gestiegen sind.

«Die Anforderungen an schulische Leistungen sind nicht gewachsen.» Zum Beispiel?

Wenn in Deutschland heute 50 Pro­ zent eines Jahrgangs Abitur machen – zu meiner Zeit waren es 10 Prozent – und die durchschnittliche Ab­­ schlussnote in den letzten 15 Jahren mit jedem Jahrgang besser geworden ist, liegt der Gedanke an gelockerte Leistungsanforderungen nahe. Denk­­bar ist auch, dass heute zu vie­ le Kinder das Gymnasium besuchen, die dafür nicht die notwendigen Voraussetzungen mitbringen und sich deshalb überfordert fühlen.

Der Stress beginnt nicht erst im Gymnasium. Experten wie der Kinderarzt Herbert Renz-Polster monieren, dass schon die Primarschule vom Lernort zum Arbeitsmarktzulieferer ver­ komme.

Das halte ich für eine typische Nos­ t­algiethese. Sie impliziert, dass die Schule früher ein Lernort war und es heute nicht mehr ist. Wann hat die Schule denn diesen Glorien­ schein des Lernorts verloren? Dass wirtschaftliche und wettbewerbs­­ orientierte Interessen die Schulland­ schaft dominieren, ist eine der vielen Halbwahrheiten, die über die Schu­ le zirkulieren. Die meisten Schulre­ formen der letzten 40 Jahre sind nicht von der Wirtschaft gefordert, sondern von Politikern implemen­ tiert worden – und zwar meist unter dem Vorzeichen der Emanzipation, des Nachteilsausgleichs, der Förde­ rung Benachteiligter, der Inklusion. Richtig ist, dass die Bedeutung qua­ lifizierter Schulabschlüsse zugenom­ men hat und das Anliegen der Eltern, ihr Kind solle Abitur beziehungswei­ se die Matura machen. Was mitunter im viel diskutierten Förderwahn gipfelt.

Die Verschulung der Kindheit durch übertriebene Förderung wird seit mindestens 35 Jahren diskutiert. Schon 1981 schrieb der US-Psycho­ loge David Elkind ein Buch, das sich Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


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damit befasste und die These «col­ lege starts at two» aufstellte. Dafür wurden Einzelbeispiele wie Fremd­ sprachenunterricht ab zwei als Beleg angeführt. Die gibt es immer. Die Pädagogin, Dokumentarfilmerin und Sachbuchautorin Donata Elschenbroich dagegen hat Dutzen­ de von Frühförderungseinrichtun­ gen und Kitas besucht. Ihr Resümee lautet: «Unseren Kindern, egal aus welchen Elternhäusern, wird heute so achtungsvoll begegnet wie in kei­ ner Generation zuvor.» Warum reden wir nicht darüber?

ter litten unter schwerer körperlicher Belastung und den langen Arbeits­ zeiten. Wir idealisieren die Vergan­ genheit. Vati gehörte damals sams­ tags noch dem Arbeitgeber, nicht der Familie.

«Partnerschaftliche Erziehung ist eine gute Vorbereitung aufs Leben.»

Sagen Sie es uns.

Fragt man Erwachsene nach dem Zustand der Jugend, so hört man seit je überwiegend pessimistische Ant­ worten. Befragt man sie hingegen danach, wie es ihren Kindern oder denen ihrer Bekannten geht, ist es umgekehrt. Aus Umfragen und Stu­ dien wissen wir auch, dass die Le­­ benszufriedenheit von Kindern im deutschen Sprachraum sehr gross ist. Die Jugendforscher Hurrelmann und Albrecht etwa konstatieren in ihrer einschlägigen Arbeit von 2016: «Mit Stress können die meisten beeindruckend gut umgehen, auch wenn sie gerne jammern.» Hurrelmann spricht in der aktuellen Shell-Jugend-Studie aber auch von einer «Generation unter Druck». Demnach spiele insbesondere der unbe­­ rechenbar gewordene Arbeitsmarkt eine Rolle.

Unstrittig ist, dass sich die Erwar­ tungen an Arbeitnehmer verändert haben. Früher wurden Erduldung von Monotonie am Fliessband und Folgebereitschaft bei Anweisungen erwartet, heute Flexibilität und Selb­ ständigkeit. Wieso sollte das einen zunehmenden Druck darstellen? Eben: weil Berechenbarkeit fehlt.

Erwartungen und Anforderungen verändern sich, das war schon immer so. Zwischen 1950 und 1970 sind die meisten bäuerlichen Arbeitsplätze verschwunden und durch industri­ elle ersetzt worden. Stress bei der Arbeit gab es früher reichlich: Arbei­

Heute sind Eltern dafür im Stress, weil sie alles allein schaffen müssen: Kinderbetreuung, Beruf, Haushalt. Das Los der heutigen Kleinfamilie?

Dieser Topos wird überstrapaziert. Oft hört man dann noch die afrika­ nische Weisheit, dass es ein ganzes Dorf brauche, um ein Kind grosszu­ ziehen. Oder den Hinweis, dass einem früher die Grossmutter zur Seite gestanden sei. Da werden das Dorf und die Grossfamilie ideali­ siert. Die meisten afrikanischen Dör­ fer sind keine Idyllen, und das Ver­ hältnis zwischen den Generationen war früher oft angespannt. Die Mut­ ter wünschte sich nichts sehnlicher, als von der bevormundenden Gross­ mutter in Ruhe gelassen zu werden.

verhandlungsorientierten Eltern­ haus aufgewachsen sind. Ein starrer Baum bricht im Wind, ein biegsamer nicht. Das macht doch deutlich, dass frühere «Sicherheiten» keine Leit­­ linie für Erziehung mehr sein kön­ nen. Die heute verbreitete partner­ schaftliche oder demokratisierte Erziehung erachte ich dagegen als ganz gute Vorbereitung aufs Leben. Es heisst aber auch, sie führe zu verunsicherten Eltern.

Sie mag mit manchen Verhaltens­ unsicherheiten verbunden sein; dar­ ­über, was nun erlaubt oder geboten ist. Unsicherheit kann aber auch produktiv sein, sie regt zum Nach­ denken über unser Tun an. Bei all den Debatten über Verunsicherung, Überforderung und Druck drohen wir die eine historische Errungen­ schaft des Erziehungswandels aus den Augen zu verlieren: Sie besteht darin, dass wir die Gewalt aus dem Eltern-Kind-Verhältnis zurückge­ drängt haben und kindbezogener erziehen. Allein dieser Vorteil wiegt alle eventuellen Nachteile auf.

Gleichwohl boten feste Strukturen und verbindliche Werte auch Sicherheit. Heute ist alles offen. Birgt das neben vielen Vorteilen nicht auch die Gefahr, dass Orientierungslosigkeit uns überfordert?

Was früher die Gesellschaft vorgab, dürfen oder müssen wir nun selbst herausfinden. Das erhöht zweifellos die Anforderungen an die Selbst­­ organisierungs- und Selbststeue­ rungsfähigkeiten von Eltern und Kindern. Das ist psychische Arbeit und manchmal anstrengend. Es besteht das Risiko, dass manche Menschen diesem erhöhten Selbst­ steuerungsaufwand nicht gewachsen sind. Gerade jene, die nicht in einem

Zur Person Martin Dornes, 67, ist ein deutscher Soziologe, Psychologe und Psychotherapeut. Die Schwerpunkte seiner Forschung liegen in den Bereichen Entwicklungspsychologie, Psychoanalyse, Sozialisationstheorie, Familienforschung, Eltern-Kind-Beziehung. Der Autor zahlreicher Sachbücher ist verheiratet und Vater eines erwachsenen Sohnes.

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Erfolg ist Kopfsache Für Schulstress gibt es viele Gründe. Einer der häufigsten ist die Angst vor Prüfungen. Der Lernforscher Josef Meier hat eine Methode entwickelt, die Schülern hilft, Druck und Nervosität abzubauen. Sie heisst stressreduziertes Lernen (SRL) und erzielt vielversprechende Resultate. Text: Virginia Nolan hielt Vorträge. Heute wird SRL in 17 Ländern Europas sowie in Südafrika unterrichtet. Die Ausbildung wird im Fernstudium absolviert. In der Schweiz gibt es bisher zwei Multiplikatoren, Pädagogen aus der Erwachsenenbildung. In der Volksschule ist SRL noch nicht an­­gekommen. In der Entspannung dreht das Gehirn auf

D

as kennt wohl jeder: Man hat sich tagelang auf eine Prüfung vorbereit, und im entscheidenden Moment ist das Gelernte weg. Für Stress in der Schule gibt es viele Gründe, Prüfungsangst ist einer der häufigsten, weiss Josef Meier, der als Englischlehrer an verschiedenen Schulstufen unterrichtete und heute an der Universität Augsburg zu innovativen Lern- und Mentaltechniken forscht. Aus seiner Erfahrung als Lehrer weiss er zu gut, wie Nervosität den Lernerfolg be­­ ein­­trächtigt: «Immer wieder be­­rich­ teten Eltern, wie ihre Kinder viel für

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Prüfungen gelernt und dann aus Stress versagt hätten.» Für die Kinder führe der Frust auf Dauer zu Motivationsproblemen. Meier wollte helfen. Aus dem Sport mit Mentaltechniken vertraut, fing er an, Entspannungsmethoden, Atemtechniken, Visualisierungen und Konzentrationsübungen in der Schule anzuwenden. Er entwickelte seine eigene Methode, das stress­ reduzierte Lernen (SRL). Über ein Jahr lang testete er sie an Schulen. Mit Erfolg: «Die Kinder waren entspannter und konnten sich besser konzentrieren.» Meier begann, Kollegen in seiner Methode anzuweisen, stellte Lernmaterial zusammen,

Wünschenswert wäre es, denn Forschungsresultate sprechen für die Methode. Um deren Wirksamkeit zu prüfen, hat Meier eine Untersuchung durchgeführt, an der sich 70 deutsche Schulklassen beteiligten. Durch das internationale Lehrernetzwerk LTE konnte er seine Studie auf 15 weitere europäische Länder ausweiten. Fast 10 000 Schüler haben teilgenommen. Erste Resultate der noch unveröffentlichten Analyse geben Meier recht: In Deutschland etwa sagten 56 Prozent der Schüler, sie seien vor jedem Test nervös. Nach dem Unterricht mit SRL gab mehr als ein Drittel dieser Betroffenen an, sich vor Prüfungen viel entspannter zu fühlen. In Spanien war es sogar mehr als jeder zweite Schüler. Der Schlüssel zum Erfolg liegt im Alphazustand, einem Bewusstseinszustand, wie er in Tagträumen, vor dem Einschlafen oder beim Übergang zum Wachwerden eintritt. Dabei bewegen sich die Gehirnwellen mit etwa 7 bis 14 Hertz. «Dann lernen wir am effizientesten», sagt Meier. «Nicht umsonst fällt uns die Lösung für ein Problem oft beim

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Aufwachen ein.» Im Alphazustand wird der Balken, welcher linke und rechte Gehirnhälfte verbindet, durchlässiger für Informationen. Die linke Gehirnhälfte ist laut Wis­ senschaft eher zuständig für die logischen, sich wiederholenden Pro­ zesse und beherrscht die Konzen­ tration aufs Detail, die rechte hat eine überschauende Funktion. Der Alphazustand lässt uns von den spe­ zifischen Arbeitsweisen beider Ge­­ hirnhälften profitieren. Stressredu­ ziertes Lernen soll Schülern helfen, sich in diesen Zu­­stand zu versetzen. «Die meisten Schüler atmen falsch»

Zum Beispiel mit Entspannungs­ musik. Dabei legen die Schüler den Kopf auf den Tisch, die Lehrerin gibt An­­weisungen zur Atmung, nimmt die Klasse mit auf eine Fantasiereise, erzählt vom Meeresrauschen am Strand. Diese Übung sei vor Prüfun­ gen sinnvoll, sagt Meier, aber es emp­ fehle sich auch, in der Schule den Tag damit zu beginnen. Selbst die Quirligsten kämen so zur Ruhe. «Die meisten Schüler atmen falsch», weiss er auch. Verbreitet sei der Irrglaube, tiefes Einatmen trage zur Entspannung bei. «Das Gegen­ teil ist der Fall», sagt Meier, beim Herunterfahren gehe es um tiefes Ausatmen. Das will gelernt sein.

Meier plädiert dafür, Entspannungs­ techniken in den Alltag einzubauen, denn sie gelingen nur durch Üben. Etwa innerliches Rückwärtszählen: Neulinge fangen bei 30 an, Geübte bei 15, um sich zu beruhigen. Mit dem Daumen in der Luft eine Acht nachzeichnen, von links nach rechts, dann umgekehrt – auch das ist eine von Meiers Kurzübungen, welche die Konzentration auf eine einzige Sache und so die Entspan­ nung fördern. «Vor Prüfungen hel­ fen sie, gelassener an die Sache zu gehen», sagt Meier. Er habe seine Schüler stets ermutigt, sich beim Test ein paar Minuten für Entspan­ nungstechniken zu nehmen. «Das ist keine verlorene Zeit, es zahlt sich zehnfach aus, wenn man so gar nicht erst ins Haspeln gerät.» SRL vermittelt auch Techniken, Gelerntes besser abrufen zu können; etwa mithilfe von Visualisierungen. Ein Beispiel: Lehrpersonen lassen Schüler zu Prüfungsthemen Mind­ maps erstellen und fordern sie am Prüfungstag auf, sich diese in Erin­ nerung zu rufen. So holen die Schü­ ler gedanklich wieder hervor, was sie sich bereits einmal notiert haben. Das sei ein wirksamer Trick, um Blackouts vorzubeugen, sagt Meier. Eine weitere Baustelle im Kampf gegen Stress und Nervosität ist die emotionale Negativspirale, in die

Schüler vor einem Test oft geraten. «Erwachsene kennen das auch», sagt Meier, «wir malen uns am Morgen aus, wie schlecht das Gespräch mit dem Vorgesetzten laufen wird, und stellen am Abend erleichtert fest, dass alles halb so wild war. Diese Erkenntnis sollten wir verinnerli­ chen – und beim nächsten Mal als Wegweiser abrufen.» Vom Leistungssport lernen

Wer sich das Versagen einrede, müs­ se damit rechnen, dass es auch ein­ trete. «Umgekehrt», sagt Meier, «lässt sich Erfolg durch positives Denken ein Stück weit programmieren.» Der Lernforscher arbeitet dafür mit Affir­ mationen, positiven Bildern und Glaubenssätzen, die Schülern helfen, mit mehr Zuversicht an die Prü­ fungssituation heranzutreten. Diese Art mentales Training sei im Leistungssport gang und gäbe, sagt Meier. So spielten etwa Ski­ springer ihren Absprung zunächst in Gedanken durch, und Messgeräte hätten ergeben, dass diese Visuali­ sierungen körperlich spürbar seien: Die Muskeln führten exakt die Be­­ wegungen aus, die sie später beim Absprung vollzögen. «Was im Sport üblich ist», findet Meier, «sollte end­ lich auch in der Schule ankommen.» Mehr Infos auf: www.e-f-l.net

Im nächsten Heft:

Bilder: Caterina Sansone / plainpicture, iStockphoto

Richtig streiten Hausaufgaben, Handykonsum, Drogen: Was bringt Eltern in Rage? Worüber streiten sie mit ihren Kindern? Und wie streitet man richtig? Drei Familien berichten. Und der Experte weiss Rat, wie sich Konflikte vermeiden lassen. In der März-Ausgabe.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 29


Monatsinterview

« Wir sind auf die Eltern angewiesen» In jedem Kanton gibt es Schulpsychologische Dienste. Ihr Angebot steht Kindern und Jugendlichen, ihren Eltern und Lehrpersonen kostenlos zur Verfügung. Doch was sind das für Fälle, bei denen Schulpsychologen hinzugezogen werden? Schulpsychologin Ruth Etienne Klemm über ihre Arbeit, auffällige Schüler und überforderte Eltern. Interview: Evelin Hartmann Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo

Ein schön restauriertes Stadthaus im Zürcher Kreis 6. Im 3. Stock befinden sich die Räume des Schulpsychologischen Dienstes Waidberg. Im Gang eine Spielecke, im Büro der Schulpsychologin eine Sandkiste mit Sandspielzeug. Ruth Etienne Klemm lächelt, streicht über den Rock ihres Kostüms, setzt sich. Vor ihr auf dem Tisch liegen ausgebreitet Unterlagen. Sie hat sich gut vorbereitet auf das Gespräch mit der Journalistin. Frau Etienne Klemm, als Schulpsychologin arbeiten Sie mit Lehrpersonen, Schulleitern, der Schulpflege und Eltern eng zusammen. Mit welchen Sorgen kommen Eltern zu Ihnen?

Wenn sich Eltern an den Schulpsy­ chologischen Dienst wenden, geht es immer um Schwierigkeiten ihrer Kinder in der Schule und mit dem Lernen. Sie machen sich Sorgen, dass ihr Kind schulisch nicht recht vom Fleck kommt, denken, dass ihr Kind vom Lehrer nicht «richtig» gesehen, in seinen Fähigkeiten und seinem Bemühen nicht richtig eingeschätzt wird, oder sie sagen, dass sich das Kind in der Klasse nicht wohlfühlt. Was heisst das konkret?

Machen wir ein Beispiel: Ein Kind ist in der 6. Klasse und möchte an 30

die Aufnahmeprüfungen fürs Gym­ nasium gehen. Die Eltern sind über­ zeugt, dass diese Schule genau das Richtige für ihr Kind ist. Die Lehr­ personen hingegen sehen einige Schwierigkeiten beim Lernen und bei der Arbeitshaltung. Dann kann es sein, dass die Eltern mit der Idee

«Manche Eltern delegieren ihre Träume an die Kinder. Und überfordern sie.» zu uns kommen, ihr Sohn, ihre Toch­ ter habe eine Rechtschreibschwäche, für die sie einen Nachteilsausgleich erwirken möchten. Das würde be­­ deuten, dass das Kind zusätzliche Zeit bekommt oder gewisse Hilfs­ mittel, zum Beispiel einen Recht­ schreibeduden, bei der Prüfung verwenden darf. Und der Schulpsychologische Dienst geht dem nach.

Wir kontaktieren die Schule, die das Kind besucht. Hat man dort bereits etwas unternommen, und, wenn ja,

was? Ist diese Schwierigkeit den Lehrpersonen auch in den vorange­ gangenen Schuljahren aufgefallen? Wurden Massnahmen, wie spezielle Lese- oder Rechtschreibtrainings, ergriffen? Mit welchem Erfolg? Falls nicht, kann das Kind von uns abge­ klärt werden. Dies muss natürlich sehr sorgfältig erfolgen, damit nicht der Verdacht aufkommt, die Eltern wollten dem Kind nur einen Vorteil verschaffen. Haben Sie ein weiteres Beispiel für uns?

Ein anderes Mal haben mich Eltern kontaktiert, die der Meinung waren, ihr 8-jähriger Sohn sei sehr begabt und langweile sich im Unterricht. Sie hatten im Familienrat darüber gesprochen, ob der Junge vielleicht eine Klasse überspringen sollte. Er sei so lernbegierig und die Eltern wollten, dass er sich die Freude am Lernen erhält. Ich bin dann auf die Lehrerin zugegangen, die im Grun­ de gleicher Meinung war. Der Bub sei auf der kognitiven und sozialen Ebene sehr weit. Sie war sich aber nicht sicher, ob er auch schon von der emotionalen Reife in eine vierte Klasse passen würde. Wie sind Sie vorgegangen?

Ich habe die ganze Familie zu Ge­­ sprächen eingeladen. Ich woll­ >>>

«Ich bedaure Jugendliche, die sich durchs Gymi quälen, weil sie für diese Schulform nicht geeignet sind», sagt Ruth Etienne Klemm.

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Monatsinterview

>>> te ihre Sicht gut kennenlernen und habe einen IQ-Test mit dem Jungen und projektive Verfahren (Sandspiele, Zeichnungen) durchgeführt. Wir haben über mögliche Konfliktsituationen und Hürden in der zukünftigen Klasse gesprochen und sie probehalber auch ein bisschen durchgespielt: «Was kannst du in einem solchen Fall machen?» «Was tust du normalerweise?» Nach so einem Gespräch kann man die sozia­ len und emotionalen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Kindes besser einschätzen. Und welchen Eindruck hatten Sie von dem Jungen?

Er war auf eine sympathische, herzige Weise noch ein junger Schulbub. Also hatte die Lehrerin ihn richtig eingeschätzt?

Auf jeden Fall! Gemeinsam haben wir dann eine Gewichtung vorgenommen. Seine kognitive und seine soziale Seite waren sehr stark ausgeprägt, und er hatte bereits ein gutes emotionales Fundament. Er war nicht jemand, den man leicht verunsichern konnte, so dass wir alle den Eindruck hatten, ein Versuch würde sich lohnen, trotz aktuell noch fehlender Reife. Also hat er eine Klasse übersprungen  …

… und hat es gut gemacht. Heute ist er am Gymnasium und zufrieden.

Die Schulpsychologischen Dienste Schulpsychologische Dienste sind öffentliche Beratungsstellen. Ihr Angebot steht Kindern und Jugendlichen, ihren Eltern und Lehrpersonen kostenlos zur Verfügung. Schulpsychologen und Schulpsychologinnen führen Abklärungen durch, beraten bei Lernschwierigkeiten, bei Verhaltensauffälligkeiten oder bei schulischen Laufbahnfragen und empfehlen unterstützende Massnahmen. In allen Kantonen gibt es Schulpsychologische Dienste. Informationen und Kontaktadressen auf www.schulpsychologie.ch.

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Mit welchen Problemen kommen Lehrperson auf Sie zu?

Häufig geht es bei ihren Anfragen um sehr unruhige Kinder, die den Unterricht stören, laut sind, dem Stoff nicht folgen können. Oder sie haben den Eindruck, sie könnten sie nicht genügend fördern, die grosse Regelklasse wäre kein adäquater Rahmen für deren besondere Bedürfnisse. Sie vermuten beispiels-

«Viele Eltern haben den Kopf nicht frei, um sich mit ihren Kindern zu beschäftigen.» weise ein ADHS und erhoffen sich, nach einer Abklärung besser zu wissen, was mit dem Kind los ist. Zum einen wollen sie das Unterrichtsklima verbessern, zum anderen dem Schüler, der Schülerin helfen. Und wenn die Eltern einer Abklärung nicht zustimmen?

Das respektieren wir. In einem solchen Fall würde ich mit der Lehrperson ihre Fragen besprechen. Je nachdem könnte es dann sein, dass ich mir im Rahmen eines allgemeinen Schulbesuchs in der Klasse einen Eindruck von der Gesamtdynamik mache und die Lehrperson berate.

Dabei schauen Sie sich natürlich das entsprechende Kind an. Angenommen, sie haben den gleichen Eindruck wie die Lehrperson.

Dann würde ich das auch so kommunizieren. Zusammen mit der Lehrperson würden wir überlegen, wie wir die Eltern für eine Zusammenarbeit gewinnen und welche weiteren Massnahmen dem Kind helfen könnten, dem Unterricht besser zu folgen. Welche Massnahmen könnten das sein?

In manchen Fällen hilft es bereits, einen ruhigeren Sitzplatz auszuwäh-

len. Es gibt auch Kopfhörer, die den Geräuschpegel in der Klasse dämpfen. Das hilft vielen, sich besser zu konzentrieren. Andere brauchen ganz detaillierte Arbeitsanweisungen, Vorgaben anhand eines Ablaufschemas, an das sie sich halten können. Wenn das nicht reicht, brauchen wir die Eltern mit im Boot. Dann wird ein gemeinsames Gespräch mit der Lehrperson, der Schulleitung und den Eltern vorgeschlagen. Gibt es eine Instanz, die bestimmen kann, dass ein Kind von einer Schulpsychologin, einem Schulpsychologen abgeklärt wird?

Ja, die Schulpflege. Aber wir versuchen alles, um solch eine «Zwangsmassnahme» zu vermeiden. Wir sind auf die Kooperation der Eltern angewiesen – sie kennen das Kind am besten. So ein Fall ist mir zum Glück noch nicht begegnet. In der Regel arbeiten alle Seiten sehr gut zusammen. Zum Wohl des Kindes. In vielen Gemeinden wurden die ­Kleinklassen aufgelöst und die Kinder mit speziellem Förderbedarf in die Regelklassen integriert. Inwiefern hat dies Ihre Arbeit verändert?

Sie sprechen das neue Volksschulgesetz an. Mit ihm hat es einen Paradigmawechsel gegeben: von der Separation zur Integration. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Klassenzusammensetzung dadurch heterogener geworden ist und das Lernen individualisierter, was eine grosse Herausforderung für die Lehrpersonen, aber auch für uns Psychologen darstellt. Lag der Fokus bisher vor allem auf den Schwierigkeiten des Kindes, berücksichtigen wir nun auch stärker als bisher das Umfeld des Kindes, die Interaktionen und alles, was das Mitmachen im Unterricht beim Kind fördert beziehungsweise hindert. Auch auf der gesellschaftlichen Ebene hat sich in den letzten Jahren einiges verändert.

Oh ja. Die Anforderungen an die Familien sind gestiegen. Viele Eltern arbeiten heute sozusagen 150 Pro-

Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Monatsinterview

zent, sind stark belastet und haben den Kopf nicht frei. Einige sind auch am Wochenende zu müde, um sich wirklich mit ihren Kindern zu be­­ schäftigen, auseinanderzusetzen, und sind dann auch nicht in der Lage, eine klare Erziehungshaltung einzunehmen. Sie geben nach, wo sie nicht nachgeben sollten. Ande­ rerseits haben wir heute viele Fami­ lien mit Migrationshintergrund beziehungsweise Flüchtlinge, die unsere Kultur und unser Schulsys­ tem kaum kennen. Deshalb wird vieles heute an die Schule delegiert, wie das Einüben von Regeln oder das Schenken von Zuwendung und Auf­ merksamkeit. Können Sie uns einen solchen Fall schildern?

Ich bin einmal im Fall eines kleinen Erstklässlers zugezogen worden, der die ganze Klasse aufgemischt hat. Zwei Lehrer, die Schulleitung, der

Schulpflegepräsident, die Logopä­ din, die Eltern und ich sassen zusam­ men am runden Tisch. Die Lehrer haben den Bub als absoluten Stören­ fried beschrieben, der nie aufpassen könne, nichts arbeite, ständig die anderen Kinder ablenke und nun für

«In der Schule ein Störenfried, daheim das liebste Kind. Das kommt vor.» den Unterricht untragbar geworden sei. Die Eltern haben ihren Ohren nicht getraut. Daheim sei er das liebste Kind, spiele gerne, helfe Mut­ ter und Vater. Es war, als hätten wir von zwei verschiedenen Kindern gesprochen.

Was haben Sie unternommen?

Wir hatten zwei komplett unter­ schiedliche Bilder von ein und dem­ selben Kind vor uns. Ich wollte diese beiden Bilder zusammenbringen. Ich schlug vor, den Buben, der bereits vom Unterricht ausgeschlossen war, für einen Monat wieder die Schule besuchen zu lassen mit der Auflage, dass Vater oder Mutter ihn begleite­ ten. Ich würde nach einer Woche einen Unterrichtsbesuch machen. Ich war beeindruckt von dem, was ich sah. Der Junge hat seine Mutter permanent auf Trab gehalten, sie musste ihm ständig hinterhersprin­ gen: «Sei jetzt still», «das musst du tun», «du darfst jetzt nicht sprechen, das stört», «setz dich hin und nimm den Bleistift …»

«Wir versuchen Druck zu vermeiden, setzen auf die Kooperation mit den Eltern», sagt Ruth Etienne Klemm. «Sie kennen ihr Kind am besten.»

Wollten die Eltern die Realität nicht sehen?

Sie konnten die Realität einer Schul­ klasse nicht sehen. Die Lehre­ >>>

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 33


Monatsinterview

>>> rin hat 20 Kinder zu betreuen und nicht ein einziges. Sie ist darauf angewiesen, dass die Kinder sich an gemeinsame Regeln halten, dass sie mehr oder weniger aufpassen, wenn sie sie dazu auffordert, dass sie zuhö­ ren und das Gefühl entwickeln, ein Teil einer grösseren Gruppe zu sein. Der Bub durfte in der Klasse bleiben. Er hat eine zusätzliche Förderung bekommen, und die Eltern waren motiviert, ihrerseits mitzuhelfen, dass der Junge bleiben konnte. Die von Ihnen genannten Beispiele betreffen Primarschüler. Ist Ihre Mit­ arbeit bei Oberstufenschülern nicht mehr gefragt?

Oh doch. Auf der Oberstufe treffen wir oft noch immer auf die gleichen Probleme – verschärft durch Schul­ müdigkeit und Pubertätsschwierig­ keiten. Ein grosses Ziel bei diesen Schülern ist immer, alles daran zu setzen, dass sie ihren Schulabschluss machen können, damit sie eine Leh­ re oder eine verkürzte Lehre mit Attest beginnen können. Oft werden sie auch durch verschiedene Brü­ ckenangebote zusätzlich unterstützt, damit sie ihren Weg in den ersten Arbeitsmarkt finden.

den Kindern, sondern auch in der Schule. Wir Schulpsychologen ver­ suchen immer wieder zu helfen, diesen Stress abzubauen. Wie gehen Sie in solchen Fällen vor?

Mir ist es wichtig, zu verstehen, war­ um Eltern selber so viel Stress haben und Stress machen. Die eigene Ge­­ schichte spielt massiv in die Erzie­ hung hinein – auch die der eigenen Schulkarriere. Manche kennen die­ sen Leistungsdruck aus dem eigenen Elternhaus. Andere kommen viel­ leicht aus einem Land, wo die gesell­ schaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen keine höhere Schulbil­ dung zuliessen. Ihre Träume delegie­ ren sie nun an ihre Kinder. Wieder andere fürchten den globalen Wett­ bewerb und denken: Einschulung je früher, je besser. So argumentierte einmal ein Vater, der seine Tochter unbedingt mit knapp sechs Jahren

einschulen lassen wollte, damit, dass in anderen Ländern die Kinder auch so früh in die Schule kommen.

«Zeigen Sie breites Interesse für die Lebenswelt Ihres Kindes.» Was können Sie tun?

Ich versuche Überzeugungsarbeit zu leisten, dass ein guter Schulstart für die Kinder entscheidend ist. Gekapp­ te Kindergartenjahre zahlen sich selten aus. Im Gegenteil! Wenn die Kinder schulreif sind, dann sind sie ausgerüstet für Neues und können vom Unterricht profitieren – und übrigens nicht nur sie, sondern alle rundherum auch.

Evelin Hartmann, stellvertretende Chefredaktorin von Fritz+Fränzi, im Gespräch mit der Zürcher Schulpsychologin Ruth Etienne Klemm.

«Eltern treibt die Sorge um, ihre Kinder könnten einmal keinen guten Beruf lernen.» Was beschäftigt Mütter und Väter heute am meisten?

Ich denke die Sorge, ihre Kinder könnten einmal keinen guten Beruf lernen, den sozialen Aufstieg nicht schaffen oder vom gesellschaftlichen Abstieg bedroht sein, ist etwas, das viele schon sehr früh umtreibt. Eltern wollen, dass ihre Kinder bestmöglich geschult und gefördert werden, um später sichere Jobs zu finden und gutes Geld zu verdienen. Das baut eine Menge Druck auf, nicht nur bei 34

Zur Person Dr. phil. Ruth Etienne Klemm ist Schulpsychologin im Schulpsychologischen Dienst der Stadt Zürich sowie Mutter von zwei erwachsenen Kindern – einer Tochter und einem Sohn.

Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Viele Eltern sind sehr präsent, wenn es um Tests, Prüfungen und so weiter geht. Setzen sie damit die falschen Signale?

geht, spielen Noten doch eine wich­ tige Rolle.

Die einseitige Gewichtung der Leis­ tung ist etwas sehr Kontraproduk­ tives. Eine Faustregel für die Eltern lautet: Zeigen Sie breites Interesse für die Lebenswelt Ihres Kindes. Und da gehört ganz vieles dazu, die anderen Kinder, die Freunde, die Schule, ihr Familienalltag, die gemeinsamen Ausflüge. Dafür braucht es aber Zeit, die in vielen Familien heute oft fehlt. Darunter kann die Beziehung zwischen Eltern und Kindern leiden. Für die Kinder und ihre Entwicklung ist es aber wichtig, eine gute Beziehung zu ihren Eltern leben, pflegen und ent­ wickeln zu können. Wenn es dann aber um den Übertritt ans Gym­­ nasium oder die Sekundarschule

Über diese Entwicklung sind wir Schulpsychologinnen und Schulpsy­ chologen nicht glücklich. Ich bedau­ re die überforderten Kinder, die sich durchs Gymnasium quälen, weil sie für diese Schulform nicht geeignet sind. Für viele Schüler ist ein Sekun­ darschulabschluss mit anschliessen­ dem Lehrabschluss die viel bessere Grundausbildung und ein gutes Fundament. Die Erfahrung zeigt, dass über den Erfolg und die Freude an dem, was man erreicht hat, die Lust wächst, weiter zu lernen. Ich sage Eltern oft: Wenn es uns gelingt, dass Ihr Kind eine gute Schulkar­riere macht, bei der es glücklich und zufrieden ist und viel lernt, wird es seinen Weg machen.

Auch hierzulande wollen immer mehr Eltern ihre Kinder am Gymi sehen.

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Kolumne

Kämpfen Sie für sich selbst, nicht gegen Ihren Mann!

M Jesper Juul ist Familientherapeut und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familien. 1948 in Dänemark geboren, fuhr er nach dem Schulabschluss zur See, war später Betonarbeiter, Tellerwäscher und Barkeeper. Nach der Lehrerausbildung arbeitete er als Heimerzieher und Sozialarbeiter und bildete sich in den Niederlanden und den USA bei Walter Kempler zum Familientherapeuten weiter. Seit 2012 leidet Juul an einer Entzündung der Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im Rollstuhl. Jesper Juul hat einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter Ehe geschieden.

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ein Mann und ich sind seit acht Jahren verheiratet und haben eine sieb enj ä hr ige, wunderbare Tochter. Als ich ihn kennenlernte, hat er oft getrunken. Das wurde mit der Zeit zu einer festen Gewohnheit. Alkohol war ein Begleiter jeder Auseinandersetzung. Er arbeitet vorwiegend nachmittags und abends. Seine Präsenz zu Hause beschränkt sich meist auf den Sonntag. Erst wenn sein Schlafbedürfnis gedeckt ist, hat er für die Tochter etwas Zeit, die er am liebsten in der Wohnung verbringt. Ich muss oft intervenieren, damit es zu einer gemeinsamen Aktivität kommt. Dann schaut er mit ihr eine Kindersendung, oder wir essen zusammen. Die Rollenaufteilung in der Familie ist klassisch: Der Mann bringt das Geld nach Hause, die Frau steht hinterm Herd und erzieht die Kinder. Damit bin ich nicht einverstanden. Ich bin anders erzogen worden, fügte mich aber zum Wohl des Kindes. Nach Jahren musste ich feststellen, dass mein Mann depressiv ist. Er hat das auch zugegeben, nachdem er

Es braucht immer zwei Personen, um eine destruktive Beziehung zu schaffen.

über Selbstmordgedanken gesprochen hatte. Ich arbeite, habe promoviert und bin total erschöpft. Wir haben auch finanzielle Probleme. Und alles, was mit unserer Tochter zu tun hat, re­gle ich im Alleingang. Unterstützung bekomme ich gar keine – und zwar seit Anfang an. Die Kommunikation zwischen mir und meinem Mann ist momentan auf ein Telefongespräch reduziert. Unsere Tochter spürt die Frustration und Nervosität meinerseits und ist unglücklich, dass sie wenig von ihrem Papa hat. Sie vermisst seine Aufmerksamkeit und leidet darunter. Seit einem Jahr ist sie sehr weinerlich, fühlt sich oft von Kindern ausgeschlossen, sagt öfters, sie habe einen schlechten Tag und sei traurig. Sie hat keine Strategie entwickelt, um nach einem Ersatz oder Ausweg zu suchen, wenn sie ausgeschlossen wird. Sonst gibt sie gern den Ton an, das liegt in ihrem Temperament. Allerdings kann sie nicht diplomatisch sein. Eigentlich fühlen wir uns beide ausgeschlossen, nicht wahrgenommen. Unsere Bedürfnisse werden gar nicht erkannt. Ich bewege mich in einem Teufelskreis. Ich habe Hilfe gesucht, gehe zur Kindertherapeutin meiner Tochter und kann in Gesprächen etwas von meinem Frust erkennen, begründen und verstehen. Auch das Verhalten meiner Tochter spreche ich an, da

Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren

Ein Familienvater trinkt, zieht sich zurück, wirkt depressiv. Seine Familie leidet darunter. Die siebenjährige Tochter fühlt sich allein und ausgeschlossen. Seine Frau bittet Jesper Juul um Rat – und bekommt eine Antwort, die sie vor eine grundlegende Entscheidung stellt.


sie mir gegenüber seit Jahren grob ist. Und ich habe vor, mit meinem Mann bei unserem Hausarzt seine Depression und Behandlungsmög­ lichkeiten zu besprechen. Ich habe über eine Trennung nachgedacht. Aber ich befürchte, dass es dann gar keinen Austausch mehr zwischen Tochter und Vater gibt. Anderseits bietet eine glückli­ che Mutter wohl mehr Halt als eine überforderte und unglückliche, die keinen Ausweg sieht. Wie sehen Sie das, Herr Juul? Antwort von Jesper Juul

Vielen Dank für Ihr Vertrauen und die ehrliche, direkte Art, mit welcher Sie Ihre Familiensituation schildern; das ist für mich und auch für viele andere Familien, die mit ähnlichen Problemen kämpfen, hilfreich. Es gibt aber eine wesentliche Informa­ tion, die ich Ihrem Brief nicht ent­ nehmen kann: Lieben Sie Ihren Mann? Ich frage das deshalb: Sollten Sie es nicht tun, ist es für mich schwer vorstellbar, woher Sie die Energie und das Durchhaltevermö­ gen nehmen werden, um die nächs­ ten drei bis fünf Jahre zu überstehen, unabhängig davon, welche Entschei­ dung Sie treffen. Ich bin überzeugt davon, dass der Schmerz Ihrer Tochter Ihnen schon gezeigt hat, dass Sie ihr keinen Gefallen damit getan haben, die Leere Ihrer Ehe über so viele Jahre hinweg zu erdulden. Sie beide sind der Dynamik zum Opfer gefallen, welche vom inkompetentesten Mit­ glied der Familie, Ihrem Mann, defi­ niert wird. Es braucht immer zwei Personen, um eine destruktive Beziehung zu schaffen, und in Ihrem Fall haben Sie Ihrem Mann die Macht gegeben, die er jetzt hat. Es ist, als ob Sie ihm die Autoschlüssel in die Hand drü­ cken und ihn darum bitten würden, mit Ihnen allen betrunken zu fah­ ren. Vor einem moralischen Richter verliert der Alkoholisierte immer, aber im richtigen Leben sind Sie bei­

Werden Sie für Ihre Tochter ein weibliches Vorbild, das sich weigert, ein Opfer zu sein. Sie muss das sehr bald lernen. de gleichermassen verantwortlich, und nur Ihre Tochter ist das Opfer. Ich hebe dies in der Hoffnung hervor, dass Sie damit anfangen wer­ den, Ihre wertvolle Energie dafür zu verwenden, für sich selber zu kämp­ fen und nicht gegen ihn. Je länger Sie so weitermachen wie bisher, je schuldiger wird er sich fühlen, und Schuld macht ihn durstig. Wenn es Ihnen gelingt, die Verantwortung für sich selber und Ihre Tochter zu übernehmen, könnte es ihn dazu inspirieren, die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Wenn es wahr ist, dass er seit vie­ len Jahren unter einer starken De­­ pression leidet, hat er den de­­struk­ tivsten Weg, damit umzugehen, gewählt, nämlich zu einem introver­ tierten, unverantwortlichen, selbst­ zerstörerischen Mann und Vater zu werden. Ich sage bewusst «gewählt», weil es andere Möglichkeiten gab, zum Beispiel den Schmerz mit Ihnen zu teilen oder professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Diese schlechte Wahl war in der Hinsicht ansteckend, als Sie und Ihre Tochter seine Strategie kopiert haben. Ihnen und der Zu­­kunft Ihrer Tochter zuliebe und um möglicher­ weise eine sinnvolle Partnerschaft zu schaffen, müssen Sie jetzt verant­ wortlich werden und eine der fol­ genden Entscheidungen treffen: 1. Wenn Ihre Liebe für ihn erschöpft ist, schulden Sie es Ihnen beiden, sich von ihm scheiden zu lassen. Die ersten Monate, nachdem Sie und Ihre Tochter ausgezogen sind, werden zeigen, ob er sich emotio­ nal als Teilzeitvater qualifizieren möchte. Der erste Schritt ist, mit dem Trinken aufzuhören.

2. Wenn Sie ihn immer noch lieben, so wie er ist, müssen Sie von ihm verlangen, dass er zur Kur geht und trocken wiederkommt. Solan­ ge er an einem Programm teil­ nimmt, geben Sie ihm alle Unter­ stützung, welche sein Betreuer vorschlägt. Denken Sie nie, dass Ihre Liebe ihn heilen kann. Nur er selber kann sich heilen, und Sie können ihn in den folgenden Monaten und Jahren dabei unter­ stützen. Wenn Ihr Hausarzt ihn als klinisch depressiv diagnosti­ ziert und ihm Antidepressiva ver­ schreibt, muss er am selben Tag mit dem Trinken aufhören und nicht warten, bis er sich weniger depressiv fühlt. Sie und Ihre Toch­ ter müssen in Bezug auf Ihren Umgang miteinander realistische Erwartungen haben. Sehr oft erzeugen Antidepressiva ein mat­ tes Gefühlsleben. Ganz gleich, welche Entscheidung Sie treffen, für Ihre Tochter wird es das Geschenk ihres Lebens sein. Nicht nur die Beziehung zu ihrem Vater wird viel klarer, Sie bekommt auch in Ihnen ein weibliches Vorbild, das sich weigert, ein Opfer zu sein. Sie muss das sehr bald lernen.

Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen in Zusammenarbeit mit

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 37


Erziehung & Schule

Wie geflüchtete Kinder und Jugendliche unsere Schulen bereichern Jeder dritte Geflüchtete, der nach Europa kommt, ist allein unterwegs und minderjährig. Viele von ihnen sind schulpflichtig. Welche Folgen hat das für unser Bildungssystem? Eltern befürchten überquellende Schulklassen, in denen kaum noch jemand Deutsch spricht, Lehrpersonen einen Qualitätsverlust ihres Unterrichts. In ihrem Buch «Die Flüchtlinge sind da!» widmet sich unsere Autorin dem Thema Zuwanderung in unseren Schulen und der Frage, wie wir diese pädagogische Herausforderung bewältigen können. Text und Bilder: Katharina Blass

Koch, Dachdecker, Ärztin – die Berufswünsche der jungen Flüchtlinge sind so verschieden wie ehrgeizig.

E

in Montagvormittag in der Berufs-, Fach-, und For t bi l du ng ss chu l e (BFF) in Bern. Die zugewanderten Jugendlichen sind in ein Brückenangebot eingebunden – ein bis zwei Jahre zwischen Regelschule und Berufslehre. Gerade haben sie Deutschunterricht, aber weil eine Journalistin zu Gast ist, darf sich jeder erst einmal vorstellen. Ausser Nuur aus Somalia sind da noch Abdulqadir, auch aus Somalia, Rahel aus Eritrea, Neslihan aus der Türkei, Yanik aus Spanien und Ro­shan aus Sri Lanka. Sie alle sind seit einem bis drei Jahren in der Schweiz und zwischen 16 und 18 Jahre alt. Sie wollen Automobilfach-

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mann, Koch, Informatiker, Dachdecker, Altenpflegerin und Ärztin werden. Eigentlich sind es 16 Schüler, für sechs Unterrichtsstunden in der Woche wird die Klasse jedoch halbiert, um intensiver Deutsch lernen zu können. Heute geht es um «damals und jetzt». Deutschlehrer Daniel Graf stellt die Zeit ohne Computer und Smartphone der jetzigen Zeit gegenüber. «Wo hättest du lieber gelebt?», fragt er Neslihan. «Ich hätte lieber früher gelebt, weil ich gern in der Natur bin und es heute in den Städten kaum noch Platz dafür gibt», sagt die Türkin. Sie spricht sehr gut Deutsch, obwohl sie erst anderthalb Jahre in der Schweiz lebt. Sie hat eine Vorlehre als Pharmaassistentin gemacht, später möchte sie Medizin studieren. «Das ist nicht unmöglich, aber ein sehr langer Weg», sagt Graf. Diesen Eindruck von motivierten und engagierten Schülerinnen und Schülern erhält, wer sich in ein Klassenzimmer setzt und dem Unterricht folgt. Wer aber länger mit Lehrerinnen und Lehrern spricht, bekommt die andere Seite der Einwanderungs­ Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Brückenangebot: Zwischen Regelschule und Berufslehre lernen die jungen Flüchtlinge Deutsch.

debatte zu hören. «Wir sind überfahren worden.» «Wir wissen nicht, was wir tun sollen.» So tönt es aus vielen Lehrerzimmern im Land. Plötzlich sind die Flüchtlinge da – und niemand ist vorbereitet. Es gibt zu wenige Lehrpersonen, keine Ressourcen für Deutschunterricht oder nicht genügend Geld für Freizeitangebote. Einen Lehrplan zur Integration der Neuankömmlinge hat niemand, und überhaupt fragen sich viele, was Integration genau bedeuten soll. Alle Beteiligten sind mit einer neuen Situation konfrontiert: Lehrer wissen nicht genau, wie sie mit den traumatisierten Schülern umgehen sollen. Eltern machen sich Sorgen, dass das Niveau in den Klassen absinkt. Schätzungen zufolge reisten 2015 rund 10 000 minderjährige Flüchtlinge, davon 3000 schulpflichtige, in die Schweiz ein. Zum Vergleich: Das sind 45 Prozent mehr als 2014. Die Entwicklung schürt viele Ängste und Vorurteile in der Gesellschaft. Gleichzeitig ist das aber auch eine riesige Chance für das gesamte Bildungssystem und alle Teilnehmer, weil die Schulen sich verändern müssen und werden. Nicht nur

zugunsten der Zugewanderten, sondern auch zugunsten aller Schweizerinnen und Schweizer. Wir alle müssen endlich die Qualität, Sinnhaftigkeit und Gestaltung des Bildungssystems, vor allem aber der Schulen und ihrer Lehrpläne hinterfragen. Nur hier werden die Grundlagen für ein späteres Erwerbsleben und somit der langfristigen Integration aller >>>

Integration braucht Zeit. Aber die Zugewanderten sitzen jetzt in den Klassenzimmern. Wir müssen rasch anpacken!

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 39


Erziehung & Schule

>>> Zugewanderten gelegt. Ihr Erfolg ist entscheidend. Es müssen Projekte und Initiativen entstehen, Wirtschaft – also Ausbildungs­ betriebe – und Schule müssen bes­ ser zu­sammenarbeiten. Und das kommt nicht nur den Flüchtlingen zugute. Allerdings braucht das Zeit, und wir können nicht so lange war­ ten, denn die Zugewanderten sitzen jetzt in den Klassen. Wir müssen jetzt anpacken! Wir alle werden neue Menschen und fremde Kultu­ ren kennenlernen. Die Lehrpersonen, aber auch die Schülerinnen und Schüler, die in der Schweiz gross geworden sind, werden sich im Unterricht mit den Folgen von Krieg und Vertreibung auseinandersetzen und vielleicht auch in ihrer Freizeit spüren, wie wichtig eine funktionierende Demokratie und ein Leben in Frei­ heit und Frieden sind. Fremdenfeindlichkeit, Ressenti­ ments und Intoleranz sind keine latenten Schwingungen mehr, son­ dern werden im Unterricht, am Stammtisch, im Parlament, in den Medien thematisiert werden. Davon können alle – vom Erstklässler bis zum Bundesrat – nur profitieren.

Manche Flüchtlinge waren seit Monaten, oft auch seit Jahren allein unterwegs. Zurück in der Berufs-, Fach- und Fortbildungsschule in Bern. Die BFF hat zwölf Klassen im Brückenange­ bot. Vor wenigen Jahren waren es nur sechs. «Den grössten Anteil machen Schüler aus Eritrea aus», sagt die Klassenlehrerin, die an­­ onym bleiben möchte, im Gespräch nach dem Unterricht. Rund 30 Pro­ zent. Bisher waren die Klassen sehr gemischt, vom Fami­liennachzug bis zum Di­plo­matensohn erhielten sie Deutschunterricht. Neuerdings kommen vor allem geflüchtete Afghanen und Syrer dazu. Obwohl Einwanderung und Integration in der Schweiz schon lange Teil der Kultur- und Bildungs­ geschichte sind, stehen auch hier die Lehrerinnen und Lehrer neuen Pro­ blemen gegenüber. Das grösste davon ist der hohe Anteil an unbe­ gleiteten minderjährigen Flüchtlin­ gen.

Allein im Kanton Bern sei die Zahl seit 2015 von 100 auf 500 angestie­ gen. «Sie sind seit Monaten, manch­ mal auch seit Jahren allein unterwegs gewesen», erzählt die Klassenlehre­ rin. Es falle ihnen sehr schwer, sich plötzlich wieder einer Autoritätsper­ son unterzuordnen. Ausserdem müssten sie soziale Kompetenzen wie zum Beispiel Pünktlichkeit neu lernen. «Sie waren lange auf sich gestellt, und plötzlich ist da wieder jemand, in dessen Obhut sie sind. Einige Minderjährige brauchen lan­ ge, um sich daran zu gewöhnen», sagt die Klassenlehrerin. Trotzdem seien sie immer noch Kinder. Ebenfalls verändert habe sich der administrative Part: «Man ist immer in Kontakt mit vielen verschiedenen Institutionen, nicht mehr mit den Eltern.» Auch später reichen die Bedin­ gungen im sozialen und adminis­ trativen Umfeld der zugewanderten Jugendlichen weit in den Schulall­ tag hinein. «Erst sind sie in Aufnah­ meeinrichtungen untergebracht, und wenn sie volljährig werden, sind sie plötzlich doch wieder auf sich gestellt», sagt die Klassenleh­ rerin. Sie erzählt von einem Schüler, der von einem auf den anderen Tag in einer Wohngemeinschaft mit

Vielen Geflüchteten fällt es am Anfang schwer, sich wieder einer Autoritätsperson unterzuordnen.

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motiviere sie sehr, nicht nur zu ler­ nen, sondern auch sich zu integrie­ ren. Und das sollten wir, die gesam­ te Gesellschaft, fördern. >>>

zwei anderen Flüchtlingen lebte. Der Schüler fragte sie um Rat, als er seinen Schlüssel verloren hatte. «Ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich verstanden habe, dass es nicht um den Wohnungsschlüssel, sondern um den zu seinem Zimmer ging.» Die Vorstellung, der Schüler schliesse sein Zimmer ab, wenn er die Wohnung verlasse, habe ihr Sor­ gen bereitet. Deshalb soll die Schu­ le den jungen Leuten nicht nur den Weg ins Berufsleben bereiten, son­ dern vor allem auch ein Schutzraum sein. Darin sind sich die meisten Lehrerinnen und Lehrer einig. Die Schülerinnen und Schüler, die die Brückenangebote in An­­ spruch nehmen, hätten mit 16 bis 22 Jahren ein «schönes Alter», sagt die Lehrerin, denn die meisten wür­ den verstehen, dass sie nun ein neu­ es Leben beginnen können. Das

Einige gute Förderprogramme, die jungen Migranten und Migrantinnen einen besseren Zugang zu unserem Bildungssystem ermöglichen sollen, gibt es hierzulande bereits. Eines davon heisst ChagALL, vorgestellt in unserer Reportage auf Seite 52.

Buchtipp Armin Himmelrath, Katharina Blass: Die Flüchtlinge sind da! – Wie zugewanderte Kinder und Jugendliche unsere Schulen verändern – und verbessern hep-Verlag, Bern 2016, 200 Seiten, Fr. 19.20, E-Book Fr. 15.90

Katharina Blass arbeitet als freie Journalistin in Hamburg. Nach der Veröffentlichung ihres Buches «Die Flüchtlinge sind da» bekam sie unzählige E-Mails von Flüchtlingsgegnern mit Beschimpfungen und Beleidigungen. Ihr Fazit: Alles richtig gemacht, Botschaft ist angekommen.

Unsere Mediadaten: www.fritzundfraenzi.ch

«Ihr Aus- und Weiterbildungsinstitut IKP: wissenschaftlich – praxisbezogen – anerkannt» Dr. med. Y. Maurer

Info-Abend:

20. März

Kinderbetreuung – ein Beruf mit Zukunft!

Dipl. Partner-, Paar- u. Familienberater(in) IKP

Ganzheitliche systemische Psychologie: Lösungs- und ressourcenorientierte Beratung rund um Beziehungsprobleme. Dauer: 3 Jahre, SGfB-anerkannt. Optional mit eidg. Dipl.

Seit 30 Jahren anerkannt

Ausbildung

Seniorenbetreuung

Infos unter www.ibk-berufsbildung.ch

Der Beruf «Fachperson Betreuung, Fachrichtung Kinderbetreuung» hat in den vergangenen Jahren einen Riesenaufschwung erlebt. Obwohl sich die Zahl der Kindertagesstätten dank finanzieller Unterstützung des Bundes vervielfacht hat, bleibt das Angebot an offenen Ausbildungsplätzen ungenügend: nicht alle Schulabgängerinnen, die diesen Weg einschlagen möchten, finden eine Lehrstelle. Das bke bietet deshalb eine private, schulisch organisierte Ausbildung mit einem musisch-kreativen Schwerpunkt. Mit Kindern arbeiten verlangt vielseitige, neugierige und verständnisvolle Betreuungspersonen, und der Beruf FaBe bietet vielfältige und interessante Anschlussmöglichkeiten. Informationen zu Aus- und Weiterbildung finden Sie auf www.bke.ch


Erziehung & Schule

In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post

Schreiben zu Hause: die Schrift im Alltag entdecken Zu Hause sammeln Kinder erste Erfahrungen mit der Schrift, die für den Schreiberwerb in der Schule bedeutend sind. Der Familienalltag bietet Kindern viele informelle Anlässe, um die Welt der Schrift zu entdecken. Text: Johanna Oeschger

Schatzsuche Ein Hinweis – ein Satz, ein Wort, ein Symbol – auf einem Zettel führt zum ersten Posten, an dem ein weiterer Hinweis versteckt ist. Dieser führt zum nächsten Posten usw. Alternative: eine Schatzkarte zeichnen und beschriften. Zuerst suchen die Kinder, dann die Eltern! «Verkäuferlis» Als (Schreib-)Vorbereitung zum beliebten «Verkäuferlispiel» können die Waren im Einkaufsladen beschriftet werden – etwa mit Artikelbezeichnung, Preis, Aktionen. Schreibanfänger können die Wörter von Originalverpackungen oder Prospekten abschreiben oder ausschneiden.

Hintergrund Für das Schreibenlernen ist der Umgang mit der Schrift im Elternhaus wesentlich. Unter dem Begriff «Family Literacy» hat die Schreibforschung die Wirksamkeit von familiären Lese- und Schreibaktivitäten mehrfach aufgezeigt. Unterstützend ist, wenn Kinder die Schrift als etwas Selbstverständliches und Bedeutungsvolles erleben. Werden Kinder in motivierenden Alltags­ situationen zum Lesen und Schreiben angeregt, finden sie einen persönlichen Zugang dazu und können ihre Kompetenzen allmählich sichern und erweitern.

Familienkalender Bei einigen Familien hängt zu Hause ein gemeinsamer Kalender, in dem Geburtstage, Musikstunden, Ferien und andere wichtige Termine festgehalten werden. Neue Einträge können gemeinsam notiert werden.

Wunschmenü Für einen besonderen Anlass, zum Beispiel einen Geburtstag oder Feiertag, dürfen die Kinder ihr Wunschmenü zusammenstellen und aufschreiben. Anschliessend geht es ans gemeinsame

Einkaufen (Einkaufsliste schreiben) und Kochen (Rezept lesen). Ein feines Essen, das allen am Tisch schmeckt, ist die beste Bestätigung für den eigenen Schreiberfolg.

App-Tipp Auf dem Piratenschiff mit Capt’n Sharky lösen Kinder viele kleine Buchstabenrätsel. Die App eignet sich für Kinder ab Vorschulalter und ist für iOS und Android erhältlich. Kosten: Fr. 1.–.

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Johanna Oeschger

ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin, unterrichtet Deutsch und Englisch auf der Sekundarstufe II und arbeitet als Mediendidaktikerin bei LerNetz.

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Bild: iStockphoto

Capt’n Sharky: erste Buchstaben


Kolumne

Liebe ist seltsam

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Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren

Michèle Binswanger Die studierte Philosophin ist Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel.

anche Gedanken kreuzen so unpassend im Bewusstsein auf, wie ein Clown auf einer Beerdigung. Neulich polterte meine bald 16-jährige Tochter nachts die Treppe herauf, und als ich sie im Gang abfing, fiel sie mir in die Arme. «Es geht mir schlecht!», sagte sie. Sie hatte Bier getrunken, ihr war übel geworden,, und sie dachte, sie müsse sterben. «Kann man nichts tun?», heulte sie. Ich streichelte ihr den Kopf und musste lächeln. Man kann nichts tun, dachte ich. Aber wenigstens baut sich der Alkohol schnell ab. Wart nur, bis du dich zum ersten Mal verliebst. Das dachte ich vielleicht deshalb, weil ich in diesen Tagen meine Tagebücher aus meinen Teenagertagen wieder gelesen hatte. Sie handeln von nichts anderem als der Liebe. Wenn wir lieben, dann sind wir in gewisser Weise genau das: Clowns auf einer Beerdigung. So schrieb ich damals: «Was immer Liebe ist, sie macht einen lächerlich. Man richtet seine Aufmerksamkeit auf einen Mittelpunkt, den es gar nicht gibt: Wie und wann sehe ich ihn wieder? War er einfach nett und es steckt nichts dahinter? Soll ich ihn zum Essen einladen? Warum ruft er nicht an? Sehe ich ihn heute? Oder morgen? All diese Fragen. Wie hätte ich reagieren sollen, als er mich berührte? Ihn ebenfalls berühren? Nichts ist schrecklicher als die Vorstellung, ich könnte jemandem lästig sein. Aber ich will, ich muss, ich kann nicht anders. Eine lächerliche Figur.» Aber dann: Ist es nicht die der Liebe eigene Dramaturgie, die das Leben überhaupt erst lebenswert macht? «Ich finde keine Worte für das, was ich mit X habe. Wir sind in den Bergen. Die Zeit ist unbestimmt, wir könnten mit unseren Fahrrädern zum See hinauf fahren, X könnte zur Tür hineinkommen und wir könnten Sex haben, ich könnte dabei schwanger werden oder wir könnten auch zu Mittag essen. Oder nichts von alledem, alles könnte auch erst morgen geschehen oder morgen könnte es auch regnen. Wieso macht einem der Verlauf der Zeit Angst? Alles ist vergänglich, auch die Liebe. Oftmals schweigen wir uns einfach an. Wir schlafen zusammen, dann liegen wir da und sehen uns an, ab und zu lacht der eine oder andere, lächelt, wir küssen uns und schweigen. Gestern jedoch brachte ich nach langem Schweigen drei Worte zusammen. ‹Liebe ist seltsam›, sagte ich. ‹Wieso?› Ich erwog, ihn zu fragen, ob er glaube, im Paradies sei es auch so schön. Dann fragte ich mich, wie man in dieser Welt überhaupt auf so einen Gedanken kommen könne. Eben. Liebe ist seltsam.» Liebe ist seltsam, das stimmt. «Wie Flipperkugeln werden wir auf eine Reise geschickt, von der wir höchstens wissen, dass sie enden wird. Doch wozu? Ich versuche das, was mir durch die Hände fliesst wie Sand, zu fassen, ihm einen Namen zu geben, den Namen dessen, den ich liebe.» Die wahre Schönheit der Liebe besteht darin, sie zu verschenken – ob einem Mann, einer Frau, einem Kind, einer Fremden. So dachte ich, und als die Tochter eingeschlafen war, schloss ich leise die Zimmertür.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 43


Elterncoaching

Mein Kind trödelt! «Bist du immer noch nicht weiter? Jetzt beeil dich!» Wenig bringt ­Eltern so sehr auf die Palme wie Kinder, die trödeln. Warum kann sich die Tochter nicht einfach anziehen und an den Frühstückstisch kommen? Warum bleibt der Sohn schon wieder stehen und hängt seinen Gedanken nach, anstatt endlich vorwärtszumachen?

www.mit-kindern-lernen.ch www.biber-blog.com

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Kinder, die zum Träumen und Trödeln neigen, flüchten sich vermehrt in Tagträume, wenn sie unter Druck gesetzt werden. 44

Kinder rechtzeitig in der Schule oder beim Sport sind. Auf der anderen Seite stehen die Kinder, die im Moment leben, den Augenblick geniessen und sich in etwas vertiefen möchten. Wie können Familien in diesem Punkt zueinander finden? Das Kind unterstützen

Der oft geäusserte Vorschlag, die Eltern sollen die Kinder früher wecken, damit sie am Morgen nicht hetzen müssen, bringt wenig. Meist dauert dann alles noch etwas länger. Doch auch das ständige Antreiben nützt herzlich wenig. In den letzten Jahren habe ich vielen Eltern die Frage gestellt: «Was passiert, wenn Sie Ihr Kind dazu drängen, sich zu beeilen? Wird es dadurch langsamer oder schneller?» Die allermeisten Eltern antworteten: Mein Kind wird noch langsamer. Mir scheint, dass Kinder, die zum Träumen und Trödeln neigen, sich vermehrt in Tagträume flüchten, wenn sie von aussen unter Druck gesetzt werden. Sie blenden die fordernde Welt, die gestressten Eltern, den vollen Terminkalender aus, um einen Moment der Ruhe zu finden. Mein Vorschlag wäre daher: Hören Sie auf, «Beeil dich!» zu sagen. Wenn Sie möchten, können Sie es mit mehr Struktur versuchen – dies hilft verträumten Kindern, sich nicht zu verlieren. Hat ein jüngeres Kind beispielsweise Mühe, sich morgens zügig anzuziehen, können

Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor («Mit Kindern lernen»). In der Rubrik «Elterncoaching» beantwortet er Fragen aus dem Familienalltag. Der 37-Jährige ist verheiratet und Vater eines Sohnes, 4, und einer Tochter, 1. Er lebt mit seiner Familie in Freiburg.

ls wir bei einem Eltern-Kind-Seminar zum Thema Lernen Eltern und Kinder getrennt voneinander befragt haben, was sie am meisten nervt, stand das Trödeln bei den Eltern weit oben. Für die Kinder war dies keine Überraschung. Sie wussten, dass ihre Tagträume und ihre Langsamkeit die Eltern störten – schliesslich hörten sie den ganzen Tag «Beeil dich!», «Mach vorwärts!», «Bist du immer noch nicht weiter?!». Die Eltern jedoch überraschte die Antwort der Kinder auf die Frage, was für sie das Schlimmste überhaupt sei. Die Mehrzahl sagte: Das ständige Hetzen und Drängen der Eltern. Erst durch diese Rückmeldung wurde den Eltern bewusst, wie sehr ihr ständiges Antreiben die Kinder beim Lernen unter Druck setzt, ihnen unbeschwerte Momente stiehlt und sie aus dem Spiel herausreisst. Wir haben also auf der einen Seite Eltern, die ihren Tagesplan im Kopf haben, auf die Uhr schielen und dafür sorgen müssen, dass die


Sie einen Parcours mit seinen Kleidern legen: die Unterhose neben das Bett, das T-Shirt auf die Türschwelle, die Socken in den Gang, die Hosen in die Küche. Ihr Kind be­­ wegt sich vom Zimmer zum Frühstück, während es sich anzieht. Bei älteren Kindern kann eine Playlist mit einer fixen Abfolge von Songs helfen. Schalten Sie morgens die Liste mit den Lieblingsliedern Ihres Kindes ein. Das erste Lied darf es im Bett hören, die nächsten drei unter der Dusche, das fünfte beim Abtrocknen, das sechste beim Anziehen. Kinder lassen sich lieber sanft von ihren Lieblingsliedern aus der Tür begleiten als von genervt hervorgepressten Kommentaren. Das Kind schützen

Manchmal bleibt Ihnen als Eltern eines langsamen Kindes nichts weiter übrig, als es vor dem Tempo und dem Druck der Welt zu bewahren. Manche Eltern von Träumerkindern berichten, dass ihre Kinder bereits in der Primarschule mehrere Stunden für die Hausaufgaben aufwenden. Diese Kinder sind oft so schulmüde, dass sie während dieser Hausaufgabenmarathons kaum etwas zustande bringen. Dafür entwickeln sie eine immer grössere Aversion gegen das Lernen. Es fehlt ihnen an Freizeit und Erholungsräumen. Die dringend benötigten Pausen nehmen sie sich dann immer mehr während des Unterrichts, indem sie sich ausklinken, träumen und aus dem Fenster schauen. Ich empfehle Ihnen in diesem Fall, die Zeit für die Hausaufgaben zu begrenzen. Reden Sie mit der Lehrperson, schildern Sie ihr, wie lange Ihr Kind für die Aufgaben braucht. Fast alle Lehrpersonen sind offen für diesen Vorschlag: Das Kind macht 10 Minuten Hausaufgaben pro Schuljahr (zum Beispiel 40 Minuten in der vierten Klasse). Hat es in dieser Zeit konzentriert gearbeitet, darf es die Hausaufgaben abbrechen. Sie als Eltern schreiben

ins Hausaufgabenheft: «Hat 40 Minuten konzentriert gearbeitet.» Meist arbeiten die Kinder konzen­ trierter und schneller, wenn das Pensum reduziert wird. Viele packt der Ehrgeiz, in dieser Zeit möglichst viel zu schaffen. Ihr Kind arbeitet noch besser, wenn Sie die Hausaufgaben gemeinsam planen, Ihr Kind die Arbeitszeiten mit kurzen Pausen unterbrechen darf und Sie ihm wirksame Lernstrategien vermitteln. Vom Kind lernen

Schliesslich möchte ich Ihnen vorschlagen, von Ihrem Kind zu lernen – und sich damit selbst etwas Gutes zu tun. Vertieft sich Ihr Kind gerne in ein Spiel? Beobachtet es jeden Käfer auf dem Weg? Ist es ihm egal, wenn der Einkauf etwas länger dauert und Sie den Bus verpassen? Ob Sie darauf gestresst reagieren oder diese Momente mit Ihrem Kind geniessen können, hängt stark davon ab, was Sie sich vornehmen. Wenn Sie Ziele wie «Einkaufen» oder «Geschirrspüler einräumen» im Kopf haben, werden Kinder mit ihren Plänen, ihrem Spiel und ihrem eigenen Kopf zu einem Hindernis auf dem Weg zu Ihrem Ziel. Hindernisse frustrieren und ärgern uns. Je stärker Sie sich einem bestimmten Zeitplan verpflichtet fühlen, desto grösser der Frust – und desto mehr stellen sich die Kinder quer. Darf ich Ihnen ein Experiment vorschlagen? Setzen Sie sich nächste Woche an zwei Nachmittagen das Ziel, Zeit mit Ihren Kindern zu verbringen und sich auf deren Rhythmus einzulassen. Dabei gilt: Alles kann, nichts muss. Betrachten Sie es als Bonus, wenn Sie in dieser Zeit auch einkaufen oder die Wohnung aufräumen können. Fragen Sie sich am Ende dieser Nachmittage: Wie habe ich mich gefühlt? Wie war die Stimmung zwischen mir und den Kindern? Was haben wir gemacht? Vielleicht bemerken Sie, dass Sie genauso gut vorankommen, dabei aber weniger Stress empfinden. Wir

Lassen Sie sich öfter mal auf den Rhythmus Ihres Kindes ein und geniessen Sie es, selbst langsamer zu werden. Erwachsenen leben nach der Uhr. Sich einmal auf den Rhythmus des Lebens einzulassen und die Dinge dann zu tun, wenn es sich richtig anfühlt, kann befreiend wirken. Kurztipps für den Umgang mit langsamen und verträumten Kindern:

• Verzichten Sie darauf, Ihr Kind zur Eile anzutreiben. Meist werden die Kinder dadurch noch langsamer. • Geben Sie dem Kind mehr Struktur, indem Sie mit ihm planen oder feste Abläufe einüben. • Schützen Sie Ihr Kind vor Überforderung. Begrenzen Sie die Hausaufgabenzeit in Kooperation mit der Lehrperson. Es ist wichtiger, dass Ihr Kind lernt, kurze Phasen konzentriert zu arbeiten als alles fertig zu machen. • Achten Sie gerade bei trödelnden Kindern darauf, dass Sie die Hausaufgaben durch kurze Pausen (5 Minuten) unterbrechen. Bewusste Pausen reduzieren das Bedürfnis, sich Pausen zu stehlen, indem man aus dem Fenster schaut und vor sich hinträumt. • Lassen Sie sich öfter mal auf den Rhythmus des Kindes ein und geniessen Sie es, selbst langsamer zu werden und das Leben bewusster wahrzunehmen.

In der nächsten Ausgabe: Wie kann ich meinem Kind helfen, selbständiger zu werden?

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 45


Erziehung & Schule

Tim, 6 Jahre alt, will bei seinen Gross­eltern leben. Darf er das? Welche Rechte haben Kinder, wenn Eltern sich trennen? Was ist der Unterschied zwischen Selbstbestimmungsrecht und Mitwirkungsrecht eines Kindes? Und wie können Eltern Kinder unterstützen, ihre Rechte wahrzunehmen? Unsere Autorin kennt die Antworten. Text: Sandra Hotz

D

ie Eltern des 6-jährigen Tim und der 11-jährigen Lisa sind seit einigen Monaten getrennt. Der Vater ist ausgezogen und lebt in der gleichen Stadt mit seiner neuen Partnerin. Sie erwartet ein Kind. Die Eltern vereinbaren, dass die Kinder wie bisher einen Wochentag vom Vater betreut werden und bei diesem wohnen; zusätzlich sollen sie jedes zweite Wochenende bei ihm verbringen. Vom Gericht zu seinen Vorstellungen des künftigen Lebensmittelpunkts befragt, sagt Tim, dass er bei seinen Grosseltern auf dem Lande leben möchte. Die 11-jährige Lisa, die eine Lese- und Rechtschreibstörung hat und deswegen auch unter Schulproblemen leidet, würde gerne die Schule wechseln und daher beim Vater wohnen. Die Mutter würde es hingegen vorziehen, mit Lisa eine Therapie zu beginnen. Welche Rechte haben Kinder, wenn sich ihre Eltern trennen? Haben Kinder etwas zu ihrer Schule oder zu möglichen Therapien zu sagen? Kann ein Kind Einfluss auf sein alltägliches persönliches Lebensumfeld, Familie, Schule und Gesundheit, nehmen? Persönlichkeitsrechte des Kindes

Die Gesetzeslage unterscheidet dabei zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und den Mitwirkungsrechten 46

des Kindes. Beides zählt zu den Persönlichkeitsrechten des Kindes. Kann ein Kind in einer Sache selbst entscheiden, muss es weder die Eltern dazu fragen, noch müssen diese das Kind rechtlich vertreten. Das Kind hat die alleinige Entscheidungsmacht. In diesen Fällen kann von einem Selbstbestimmungsrecht des Kindes gesprochen werden. Zwei gesetzlich geregelte Beispiele in der Schweiz sind: Minderjährige entscheiden ab dem 16. Lebensjahr über Fragen der religiösen Zugehörigkeit selbst (Art. 303 Abs. 3 ZGB). Urteilsfähige Kinder müssen zu ihrer Adoption zustimmen (Art. 265 Abs. 2 ZGB). Allgemein entscheiden Minderjährige höchstpersönliche Lebensangelegenheiten selbst, sofern sie urteilsfähig sind (Art. 19c ZGB). Das heisst: Dann, wenn sie imstande sind, zu beurteilen, welches die Konsequenzen ihrer Entscheidung bzw. Handlung sind, entscheiden sie etwa über Eingriffe in ihren Körper (Operation, Therapie, ein Piercing). Wirkt das Kind in irgendeiner Weise an einem behördlichen Verfahren oder einer Entscheidung mit, wird es beispielsweise über die möglichen Folgen einer Scheidung oder eines Schulwechsels informiert, dazu an­gehört und äussert es sich auch tatsächlich zur Sache wie etwa Lisa zum Schulwechsel, kann von

Das Mitwirkungsrecht sollte bei Entscheiden zum ­L ebensumfeld die Regel sein.

Mitwirkungsrechten des Kindes ge­­ spro­­chen werden. Mitwirken heisst so viel wie aktiv teilnehmen, sich beteiligen und möglicherweise auch mitbestimmen. Es bedeutet jedenfalls, dass das Kind informiert und angehört wird (sofern es das will) und seine Äusserungen ernst genommen werden. Gleichbedeutend mit Mitwirken bzw. Mitwirkungsrechten sind die Fremdwörter Partizipieren oder Partizipationsrechte. Für Mitwirkungsrechte ist nach schweizerischem Recht grundsätzlich keine Urteilsfähigkeit von Kindern nötig, für Selbstbestimmungsrechte hingegen schon. Um selbst bestimmen zu können, werden entsprechende verstandes- und willensmässige Fähigkeiten vorausgesetzt (Alter, Reife, kognitive Fähigkeiten). Das Selbstbestimmungsrecht eines Kindes bleibt deshalb grundsätzlich die Ausnahme. Normalerweise wird ein Kind durch seine Eltern vertreten. Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Bild: Chris Adams / Westend61 / Plainpicture

Das Mitwirkungsrecht des Kindes sollte hingegen die Regel sein, wenn es um Entscheide zu seinem persönlichen Lebensumfeld (vor allem Familie, Schule und Gesundheit) geht. Mitwirkungs- und Selbstbestimmungsrechte sind Persönlichkeitsrechte und untrennbar mit der Person verbunden, das gilt auch beim Kind. Nur ausnahmsweise wird es nicht zur Mitwirkung kommen: Ein Säugling kann nicht aktiv mitwirken, aber trotzdem kann er rechtlich ein Erbe erwerben. Die Mitwirkung fehlt hingegen zu Unrecht, wenn beispielsweise Mutter und Bruder die 11-jährige Lisa beeinflussen, sodass sie ihren Wunsch nach einem

In einem Scheidungsverfahren sieht das schweizerische Recht die Kindesanhörung vor.

Schulwechsel nicht äussert. Die Mitwirkung fehlt auch dann, wenn der Wunsch von Tim, zu seinen Grosseltern zu ziehen, ignoriert wird. Mitwirkungsrecht ist ein internationales Kinderrecht

Das Mitwirkungsrecht des Kindes ist mit Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention (1989) seit dem Jahre 1997 ein international verbindliches Kinderrecht in der Schweiz: Das Recht des Kindes, sich frei zu äussern, nach Art. 12 UN-Kinderrechtskonvention umfasst das Recht auf Berücksichtigung seiner Meinung und das Recht, Einfluss auf das persönliche Lebensumfeld nehmen zu können. Das Recht gilt für alle Arten von gerichtlichen oder behördlichen Verfahren, die das Kind direkt oder indirekt in seinen Lebensbelangen betreffen. In Umsetzung von Art. 12 UNKinderrechtskonvention sieht das schweizerische Recht z. B. die Anhörung im Scheidungsverfahren vor. Die Anhörung bezweckt die Re­­ spektierung der Persönlichkeitsrechte der Kinder. Ziel der Anhörung der Kinder in einem Scheidungsverfah-

ren ist es, dass die entscheidungsbefugten Personen einen persönlichen Eindruck davon erhalten, wie die Kinder ihre Situation sehen und welche Bedeutung die beiden Elternteile für die Kinder haben. Ebenso sollen die Kinder die Gelegenheit erhalten, sich über ihre Wünsche und ihre Bedürfnisse zu äussern und mit einer unabhängigen Person über ihre momentane Situation der Trennungsphase der Eltern zu reden. Die Kindesanhörung dient dem Kindeswohl. Das Kindeswohl zu achten, bedeutet aber auch, dass eine richterliche Behörde nicht jedem Wunsch eines Kindes nachkommen muss, denn es kann beispielsweise sein, dass die Grosseltern im Falle des 6-jährigen Tim völlig ungeeignet sind, ihn bei sich aufzunehmen, aus gesundheitlichen Gründen etwa. Der Wunsch des Kindes ist legitim

Können Kinder in einem rechtlichen oder behördlichen Verfahren mitwirken, so bringen sie die Perspektive von Kindern ein, die Erwachsenen nicht unbedingt zugänglich ist. Das Mitwirkungsrecht umfasst >>>

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 47


Erziehung & Schule

Kinder schätzen es sehr, wenn sie im Gespräch eine aktive Rolle einnehmen können.

zen es im Gespräch allgemein, wenn sie eine aktive Rolle übernehmen können. Sie möchten als Person in ihrem gesamten Lebensumfeld wahrgenommen werden und nicht nur als ein «Problemfall». Fortschritt erreicht

>>> je­doch die Pflicht der zustän­ digen Behörde, sich mit dem Wunsch von Tim auseinanderzusetzen: Wie war die Beziehung zu den Gross­ eltern in der Vergangenheit? Möch­ te Tim vielleicht«nur» den ständigen Streitereien der Eltern entfliehen oder einem Loyalitätskonflikt aus­ weichen? Welche Möglichkeiten gäbe es, dass Tim trotzdem bei sei­ nen Grosseltern wohnen könnte? Mit der Mitwirkung von Kindern erhöht sich aber auch deren Be­­ reitschaft, einen Entschluss, der von den Entscheidungsträgern ge­­troffen wird, zu akzeptieren. Kinder schät­

Alle Kinder haben Menschenrechte Kinder in aller Welt sind Träger und Trägerinnen von Menschenrechten. Kein Mensch, keine Behörde und kein Staat darf Kinderrechte verweigern. Kinderrechte sind zu schützen und anzuerkennen. Jedes Kind hat das Recht auf Leben, Recht auf Gesundheit, Recht auf Schutz, Recht auf eine eigene Meinung (das ist die Mitwirkung), Recht auf Bildung, Recht auf eine gewaltfreie Erziehung, um nur einige der UN-Kinderrechtskonvention (www.unicef.ch > So helfen wir > Kinderrechte) aufzuzählen. Wenn uns interessiert, wie die Kinderrechte in der Schweiz besser umgesetzt werden können und was wir tun können, um diese zu stärken, sollten wir nicht vergessen, dass die Rechte der Kinder längst nicht überall eingehalten werden. In einigen Ländern gibt es kein sauberes Wasser, keine Schulen, müssen Kinder arbeiten, werden sie früh verheiratet oder als Kindersoldaten eingesetzt.

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Die Anerkennung von Mitwirkungs­ rechten und Kinderrechten hat in den letzten Jahrzehnten unbestreit­ bar Fortschritte gemacht. Der recht­ liche Schutz von Kindern bleibt aber trotz neuer normativer Vorgaben und praxisorientierter Standards in der Schweiz uneinheitlich und ist auf gewisse Sachbelange beschränkt. Zudem hinkt die Umsetzung im All­ tag noch hinterher, und der Bekannt­ heitsgrad der Mitwirkungsrechte lässt teilweise noch zu wünschen übrig. Eine im 2013 publizierte Studie zum Ländervergleich in Europa in Sachen Jugendstrafrecht attestiert der Schweiz und Schottland etwa eine sehr gute Berücksichtigung der Mitwirkung von Jugendlichen. Die Umsetzung der Mitwirkungsrechte von Kindern ist im Alltag jedoch vor allem in Schulbelangen noch verbes­ serungsfähig. Auch eine Befragung von 50 Mit­ gliedern erstinstanz­­licher Gerichte in der Romandie aus dem Jahre 2012 zeigt, dass vor allem Kinder in «hochstrittigen» Fällen angehört werden und solche, die 10 Jahre oder älter sind. Darüber hinaus wird erst rund jedes hundertste Kind in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren in der Schweiz durch eine Verfahrensvertreterin oder einen Verfahrensvertreter professionell unterstützt. Eine Studie aus dem Jahre 2011, welche die Kindesschutzsysteme untersuchte, kommt unter anderem zum Schluss, dass die Mitwirkung der Gesamtfamilie und eine unab­ hängige Kontrollinstanz in der Schweiz hilfreich sein könnten. Zwei jüngere EU-Studien aus dem Jahre 2015 (ohne Berücksichti­

gung der Schweiz) kommen zum Schluss, dass noch Handlungsbedarf besteht, dass die Schutzbestimmun­ gen bei Kindern noch zu wenig be­­ kannt sind, den Erwachsenen an der erforderlichen Kompetenz fehlt und dass gewisse Gruppen von Kindern noch weniger Möglichkeiten zur Mitwirkung haben. Was können Eltern tun?

Eltern können ihre Kinder unterstüt­ zen, die Mitwirkungsrechte wahrzu­ nehmen. Sie können zum Beispiel dazu beitragen, dass ihr Kind die Informationen, die zu seiner Mei­ nungsbildung nötig sind, in einer verständlichen Weise erhält. Sie kön­ nen dazu beitragen, dass ihre Kinder schon am Familientisch lernen mit­ zuwirken. Ferner ist sicherzustellen, dass alle Personen, die das Kind in einem Verfahren informieren, anhören, begleiten und vertreten, eine positi­ ve Grundhaltung gegenüber den Kindern haben und eine entspre­ chende Schulung (Grundkenntnisse in Recht, Kenntnisse der Kinderpsy­ chologie) aufweisen. Zusätzlich sollte eine unabhängi­ ge Ombudsstelle oder -person in der Schweiz als Anlaufsstelle für Kinder­ rechte errichtet werden und sicher­ stellen können, dass die Kinderrech­ te durchgesetzt werden. Eine solche Institution wäre auch in Gesetzge­ bungsverfahren zu Kinderrechten einzubeziehen. Ihr käme auch Koor­ dinationsfunktion zu. >>>

Sandra Hotz

ist Juristin und Co-Leiterin des Projekts «Kinder fördern. Eine interdisziplinäre Studie zum Umgang mit ADHS» am Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg. Sie beschäftigt sich mit Kinderrecht und Fragen der Selbstbestimmung von Patienten.

Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Stiftung Elternsein

Ein gefährliches Vorbild für Populisten Ellen Ringier über US-Präsident Donald Trump und die Folgen seiner Politik.

Bild: Vera Hartmann / 13 Photo

Dr. Ellen Ringier präsidiert die Stiftung Elternsein. Sie ist Mutter zweier Töchter.

Hätte ich Kinder im «erziehungsfähigen Alter» (meine sind bald 24 und 26 Jahre alt), glauben Sie mir, ich hätte die grösste Mühe, ihnen zu erklären, warum ein Mann, der nicht nur alle gängigen Regeln eines friedlichen Zusammenlebens mit Bedacht verletzt, sondern dem freien Handel, dem freien Personenverkehr eine Ende machen will, Präsident des mächtigsten Landes der Welt werden konnte! Donald Trump hat Frauen, Behinderte, Mexikaner, Muslime und Journalisten beleidigt und ist dennoch oder gerade deswegen Präsident der USA geworden! Nie im Leben hätte ich gedacht, dass er mit diesen Pauschalverunglimpfungen, mit dem Schüren von Ängsten, mit der Emotionalisierung eines jeden Sachverhalts, mit reinem Populismus ungestraft davonkommen, geschweige denn gewählt würde! Populistisch, so die Definition, ist eine Politik, die mit scheinbar einfachen Lösungen die Gunst der Bevölkerung zu gewinnen versucht. Dabei stützt sich der Populismus auf Ressentiments, häufig auf Fremdenfeindlichkeit. Eine der beliebten politischen Forderungen von Populisten lautet: Um Arbeitslosigkeit abzuwehren, dürfen keine Ausländer mehr ins Land oder sind Ausländer aus dem Land auszuweisen. Damit lassen sich alle die Menschen mobilisieren, die – aus welchen Gründen auch immer – um ihre Arbeit fürchten. Dabei spielt es dem Populisten keine Rolle, dass die Wirtschaft ohne Ausländer zusammenbrechen würde … «Grenze zu, Ausländer raus = Arbeitsplatzsicherung des Inländers!» Als ob es Globalisierung, Digitalisierung und andere Entwicklungen nicht gäbe, die für die Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden können! «Willkürlich ausgewählte Feindbilder für aktuelle Situationen und gesellschaftliche Probleme verantwortlich zu machen, verschafft ein stellvertretendes Ventil und sorgt für politisch gewollte Radikalisierungen. Die Folgen sind Hass, Gewalt und Vernichtung», so zu lesen in einer Kolumne eines Freundes aus Österreich. In Europa stehen in diesem Jahr wichtige Wahlen an, und es machen sich in zahlreichen Ländern Populisten ans Werk, die ihrem Volk mit radikal einfachen Lösun-

gen auf Kosten von Minderheiten, wie Grenzschliessungen, Feindbilder zum Abschuss freigeben. Bloss keine differenzierten Angebote, die der Gesellschaft etwas abverlangen könnten! Die Erziehungsmaxime, dass man etwas leisten muss, um etwas zu bekommen («Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es!»), kommt mir angesichts mancher grossmundiger Wahlversprechen reichlich antiquiert vor … Unsere jungen Erwachsenen werden im angebrochenen Jahr in wichtigen, richtungsweisenden politischen Fragen zur Urne gerufen.Werden sie sich dann daran erinnern, • dass unser Wohlstand auf offenen Grenzen beruht und dass eine wachsende Wirtschaft auf freien Personenund Warenverkehr angewiesen ist, • dass unsere Vorfahren jahrhundertelang für die Freiheiten von heute gekämpft haben, dass Hektoliter von Blut junger Männer auf den Schlachtfeldern Europas vergossen wurden, um religiöse und politische Diktate zu beseitigen, • dass die multilateralen Verträge, mithin die garantierte Handels-, die Niederlassungsfreiheit unserem Kontinent mit einigen wenigen Ausnahmen immerhin 70 Jahre Frieden gebracht haben und vor allem • dass das Schüren von Emotionen und Angst, den schlechtesten Ratgebern überhaupt, zu Hass und Gewalt und in letzter Konsequenz gar zu Vernichtung führen kann? Haben wir Eltern, die wir eine Generation des ungebrochenen Konsums sind, unsere Jugend auf härtere Zeiten, wie sie unsere Eltern und Grosseltern kannten, vorbereitet? Oder wird die junge Generation, auf einen ungebrochenen Konsum fixiert, zwangsweise den Versprechen der Populisten erliegen müssen?

STIFTUNG ELTERNSEIN «Eltern werden ist nicht schwer, Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch Oft fühlen sich Eltern alleingelassen in ihren Unsicherheiten, Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein an. Sie richtet sich an Eltern von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen Eltern, Kindern, Lehrern und die Vernetzung der eltern- und erziehungsrelevanten Organisationen in der deutschsprachigen Schweiz. Die Stiftung Elternsein gibt das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus. www.elternsein.ch

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 49


Erziehung & Schule

«Mama, mir ist langweilig!» Das Leben vieler Kinder ist von morgens bis abends durchgetaktet. Jede freie Minute ist verplant; sich zu langweilen ist verpönt. Völlig zu unrecht, sagen Experten. Wer sich die Zeit nimmt, nichts zu tun, entwickelt besonders kreative Ideen. Ein Plädoyer für mehr Langeweile. Text: Marion Heidelberger

S

«Langeweile ist keine Zeitverschwendung, im Gegenteil: Sie bildet.» Marion Heidelberger, 49, ist Vize­präsidentin des LCH, seit 30 Jahren als Primarlehrerin tätig und Mutter von zwei Söhnen, 21 und 22.

andi Mann und Rebekah Cadman haben vor drei Jahren an einer Tagung in England eine Studie zum Thema «Fantasie und Tag­ träume» vorgestellt: Bei dieser waren 40 Versuchspersonen eine Viertelstunde mit der Aufgabe ge­­ langweilt worden, Nummern aus einem Telefonbuch abzuschreiben. Ohne ersichtlichen Grund, als völlig sinnlose Aufgabe. Offenbar hatte diese monotone Tätigkeit eine erstaunliche Wirkung auf die Fantasie der Versuchsperso­ nen. Als diese nämlich im Anschluss ans Telefonnummern­abschreiben einen Kreativitätstest machen muss­ ten, sprudelten die Ideen nur so aus ihnen heraus. Die gelangweilten Teilnehmenden waren viel kreativer als diejenigen in der Vergleichsgrup­ pe. Diese haben den gleichen Krea­ tivitätstest absolviert, mussten aber vorher nicht sinnlos Telefonnum­ mern abschreiben. Offenbar mag unser Gehirn keine lang anhaltenden, monotonen Ar­­ beiten. Wenn von aussen keine neu­ en Reize oder Eindrücke kommen, erschafft es sich selbst welche. Durch diese Form von Langeweile entsteht im Gehirn ein erhöhtes Potenzial an Kreativität. Das Gehirn «freut» sich

Organisieren Sie langweilige Situationen für Ihr Kind – damit fördern Sie seine Fantasie. 50

auf die neue Aufgabe und gibt sein Bestes. Deshalb schnitten die ge­­ langweilten Versuchspersonen beim Kreativitätstest besser ab. Der Druck steigt stetig

Diese Ergebnisse belegen eindrück­ lich, dass Langeweile nichts Schlech­ tes ist und sich positiv auf das krea­ tive Potenzial auswirkt. Offenbar beflügelt Langeweile die Fantasie. Warum hat sie dann trotzdem einen so schlechten Ruf? Der Druck in der Arbeitswelt steigt stetig, die Belastungen neh­ men für jeden Einzelnen laufend zu. Als erfolgreich gilt, wer immer be­­ schäftigt ist oder wenigstens be­­ schäftigt aussieht. Diese Einstellung hat sich längst auf das Freizeitver­ halten, die Familie und die Kinder übertragen. Familienagenden quillen über, wer den Kindern ständig Programm bietet, meint, das Beste für sein Kind zu tun. Auch die Schule kann sich dieser Entwicklung nicht entziehen. Es gibt Lehrpersonen, die eine Woche lang Hasen im Schulzimmer züchten, mit der Klasse mit dem Velo um den Zürichsee fahren, tags darauf bei der ETH Roboter auslei­ hen, um Programmierexperimente durchzuführen, und nebenbei noch einen Film drehen und eine Schü­ lerzeitung schreiben. Langeweile ist Wegbereiter für die Fantasie

Die Resultate des eingangs erwähn­ ten Experiments decken sich mit Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


meiner fast 30-jährigen Erfahrung als Primarlehrerin: Langeweile braucht es, hin und wieder. Langeweile aushalten muss man lernen. In unserer digitalisierten, schnelllebigen Zeit mehr denn je. Aus der Langeweile entspringen viele kreative Ideen; sie ist der Wegbereiter für die Fantasie. Und Fantasie braucht es für das psychische Wohlbefinden und einen erfolgreichen Spracherwerb. Das freie Spiel ist für die gesunde Entwicklung eines Kindes die wichtigste Fördermassnahme. Im freien Spiel lernt das Kind mit Hilfe seiner Fantasie aus wenig etwas Spannendes zu machen. Diese Fantasie entsteht aber nur, wenn Langeweile vorausgeht. Erst aus langweiligen Situationen entsteht Kreativität, entstehen gute Ideen zum Spielen. Egal ob mit sich selbst, mit einem Spielkameraden oder einer erwachsenen Person: Das Eintauchen in die eigene Fantasiewelt braucht Zeit, will geübt sein und geht nie auf Knopfdruck. Die Familienagenda entrümpeln

Auch beim Spracherwerb spielt das freie Spiel eine wichtige Rolle. Obwohl jedes Kind sein eigenes Tempo hat, gelingen den meisten Kindern mit etwa zwei Jahren bereits längere Sätze, und mit vier Jahren können sich die meisten Kinder verständlich ausdrücken. Dann bleiben nochmals etwa acht Jahre Zeit bis zur korrekten Verwendung der Sprache nach unseren Grammatikregeln. Und genau dieses Üben passiert, vor allem in der Zeit bis Mitte Unterstufe, im freien Spiel, in der Interaktion mit gleichaltrigen Spielpartnerinnen oder in der Auseinandersetzung mit sich selbst. Der Spracherwerb ist kein be­­­ wusster Lernprozess. Für den Sprach­erwerb ist es wichtig, dass Kinder aktiv sprechen, ihre Kommunikation selber gestalten. Nur so können die notwendigen Verknüpfungen im Gehirn entstehen. Um sich die sprachlichen Reize und

Fantasie fördert das psychische Wohlbefinden und den erfolgreichen Spracherwerb. An­regungen zu holen, die die Kinder in der jeweiligen Phase ihrer Sprachentwicklung benötigen, braucht es unendlich viel Übung. Und genau dies bietet das Rollenspiel. Und was heisst das nun konkret für die Freizeitgestaltung in der Familie? Entrümpeln Sie Ihre Familien­­ agenda. Bieten Sie Ihrem Kind immer wieder Zeit und Raum für Langeweile. Insbesondere sehr aktive Kinder, mit einem enormen Bedürfnis nach Bewegung, brauchen Langeweile, um herauszufinden, was ihnen guttut, um zur Ruhe zu kommen, um sich zu spüren. Organisieren Sie bewusst langweilige Situationen für Ihr Kind und fördern Sie damit die Fantasie. Gönnen Sie Ihren Kindern bildschirmfreie Zeiten und verfallen Sie nicht aus einer falschen Motivation heraus in Hyperaktivismus. Langeweile kann man üben

Das Gleiche gilt für die Schule. Ich lasse meinen Kindern in der Unter-

stufe immer wieder Zeit, um sich mit sich selbst zu beschäftigen, stelle Freiräume mit offenen Aufgabenstellungen zur Verfügung. Der Lehrplan sieht solche inszenierten «Langeweilezeiten» vor. Selbstverständlich werden diese mit zunehmendem Alter weniger durch Rollenspiele gefüllt. Ab der zweiten Klasse beispielsweise durch das Erfinden von Geschichten oder offene Aufgaben im kreativen Bereich. Manchmal sind Papier und Bleistift wirkungsvoller als die neueste App auf dem iPad. Viele Kinder tun sich anfangs schwer damit, aber Langeweile aushalten und Geduld haben, bis daraus Kreativität entsteht, kann man üben. Es fühlt sich mit der Zeit gut an. Das ist Motivation genug, es erneut auszuprobieren und auszuhalten. Nein, früher war nicht alles besser. Und ich habe auch nichts gegen iPad, Hunderobotor und andere digitale Spielsachen. Aber ich mag ebenso Eile mit Weile, Briobahn und Schere, Leim und Papier. Langeweile ist keine Zeitverschwendung. Im Gegenteil. Langeweile bildet.

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 51


Erziehung & Schule

Eine Chance für Mohamed Ob man ans Gymnasium kommt oder nicht, entscheidet die Herkunft. Das ist leider auch in der Schweiz noch immer so. Das Programm ChagALL soll für mehr Chancengleichheit sorgen. Junge, begabte Migrantinnen und Migranten werden dabei für eine höhere Schullaufbahn fit gemacht. Eine Erfolgsgeschichte. Text: Evelin Hartmann Bilder: Roshan Adihetty / 13 Photo

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Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule

Für eine bessere Konzentration: Mohamed (rechts) und die anderen Teilnehmer lernen Übungen zur Entspannung.

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Erziehung & Schule

«Wir raten den Eltern, ihren Kindern die Freiheit zu lassen, lernen zu können», sagt Stefan Marcec.

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ssay, Abhandlung, Erörterung – das sind Textformen, die Neuntklässler kennen sollten, wenn sie eine Mittelschule besuchen wollen. An diesem Mittwochnachmittag stehen diese Begriffe an der Schultafel des Gymnasiums Unterstrass in Zürich. Karolina Zegars Blick schweift zwischen der Tafel und ihren Schülern hin und her. «Welche weiteren Wörter sind euch fremd?», fragt die Lehrerin in die Runde. Mohamed Axmed Macow schaut auf sein Blatt, steht auf, geht zur Tafel und schreibt «Metaebene». Mohamed ist ein guter Schüler, ein sehr guter sogar. Nur Deutsch macht ihm Probleme. Dass der 16-Jährige am Mittwochnachmittag zum Unterricht kommen muss, während alle anderen seiner Kollegen freihaben, stört ihn nicht. Im Gegenteil. Mohamed ist froh, einer von 26 Teilnehmern des Migrationsprojekts ChagALL zu sein. «Es ist erwiesen, dass junge Migranten, die aus bescheidenen finanziellen Verhältnissen stammen, wenig Chancen auf einen höheren Bildungsabschluss haben», sagt Jürg Schoch, Direktor des Gymnasiums Unterstrass. Unabhängig davon, wie begabt sie seien. Aus diesem Grund wurde 2008 das Programm ChagALL, Chancengerechtigkeit durch Arbeit an der Lernlaufbahn, ins Leben gerufen. Seither wurden 137 begabte jugendliche Migrantinnen und Migranten neben ihrem Regelunterricht gecoacht und geschult. Mit dem Ziel, sie für die Aufnahmeprüfung an einem Gymnasium, einer Berufsmittelschule oder Fach54

mittelschule fit zu machen. Träger des Programms ist – ebenso wie für das Gymnasium Unterstrass – der Verein für das Evangelische Lehrerseminar Zürich, finanziert wird es durch zwei Stiftungen. Die Hürde liegt hoch

Mohamed ist ein grosser, schlaksiger Junge, seine kurzen Locken sind schwarz, sein Teint ist dunkel. Seine Familie kommt aus Somalia, die seines Banknachbarn aus Afghanistan. Montenegro, Portugal, Marokko, Rumänien: Die Programmteilnehmer stammen aus aller Herren Länder. Was sie eint, ist ein hohes intellektuelles Potenzial sowie ein Elternhaus, in dem weder Mutter noch Vater die deutsche Sprache in die Wiege gelegt bekommen haben – und die nur über bescheidene finanzielle Mittel verfügen. Letzteres muss per Steuerausweis nachgewiesen werden. «Bei uns bewerben sich immer wieder ausländische Eltern, die alles andere als bedürftig sind», sagt Stefan Marcec, Lehrer am Gymnasium Unterstrass und operativer Leiter des Programms. Er betont, wie hoch die Hürden sind, um überhaupt aufgenommen zu werden. Jeden April kontaktiert Stefan Marcec Sekundarschulen im Raum Zürich, Winterthur und Dietikon. Lehrer, die vom Potenzial eines oder mehrerer ihrer Achtklässler überzeugt sind, können diese per Empfehlungsschreiben vorschlagen. Zumeist leben diese Schüler in der ersten oder zweiten Generation bei uns. Auch sie müssen ein Motiva­ tionsschreiben verfassen. Was folgt, ist ein stufenweise durchgeführtes Aufnahmeverfah-

ren, welches ein schriftliches Assessment, die Erfassung von psychologischen und intellektuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie, in einem weiteren Schritt, ein ausführliches Aufnahmegespräch umfasst. Wer dann immer noch dabei ist, hat gute Chancen, ausgewählt zu werden.

Zwei Mal pro Woche gibt es Förderunterricht.

Mitra drohte Zwangsverheiratung

Haben die Schüler den Sprung ins Programm geschafft, werden sie zusammen mit ihren Eltern an einem Informationsabend über den Verlauf, die Rechte und Pflichten im Programm informiert und gebeten, einen Ausbildungsvertrag zu unterschreiben. Erst danach gelten die Jugendlichen als aufgenommen. «Wir raten den Eltern, ihren Kindern die Freiheit zu lassen, lernen zu können», sagt Stefan Marcec. Das heisst, weniger auf die jüngeren Geschwister aufpassen oder im elterlichen Geschäft mithelfen – dafür mehr Zeit zum Lernen zu haben. «In der Regel sind diese Eltern sehr einsichtig und stolz auf ihre Kinder.» So wie Mutter und Vater von Mitra Karimi, 18 Jahre alt und >>>

«Das Elternhaus ist entscheidend» Kinder von Migranten sind an Gymnasien unterdurchschnittlich vertreten – weil sie häufig in sozioökonomisch benachteiligten Familien aufwachsen, sagt Bildungsforscher Urs Moser. Interview: Evelin Hartmann

Herr Moser, welche Chancen haben junge Migranten an Schweizer Schulen?

Das kommt darauf an, wie gut sie von ihren Eltern unterstützt werden können. Kinder von Akademikern haben unabhängig von ihrer kulturellen Herkunft

Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule

gute Chancen, eine höhere Schullaufbahn zu durchlaufen.

Helfen da Programme wie das Migrantenförderprogramm ChagALL weiter?

Demnach ist eine totale Chancengleichheit nie erreichbar.

Unter anderem. Von Bedeutung können auch finanzielle Mittel sein, die für zu­­ sätzliche Förderung, beispielsweise Prü­ fungsvorbereitung, eingesetzt werden, oder die Kenntnisse des Bildungssystems.

Sehr sogar, weil die Jugendlichen ein Ziel vor Augen haben: den Übertritt in die Mittelschule. Und es treffen dabei zwei wesentliche Erfolgsfaktoren aufeinander, die Schüler sind hochmotiviert, und die Betreuung im Programm ist ausreichend und effektiv.

Im Sinne, dass jedes Kind sein Potenzial optimal nutzen kann, leider nein. Der Staat kann nicht ab Geburt eines Kindes Sprachförderung verordnen. Vielen Eltern fällt es zudem schwer, ihr Kind in ein Förderprogramm zu schicken, wenn es noch so jung ist. Dies hat nicht zwin­ gend etwas mit der Nationalität zu tun.

Ihnen fehlt oft die Unterstützung von zu Hause. Ihre Eltern haben oftmals wenig Zeit, meist mangelt es ihnen an Deutsch­ kenntnissen. Sprachliche Defizite können auch dazu führen, dass das Potenzial und der Wille der Kinder, eine höhere Schule zu besuchen, übersehen werden.

Jede durchdachte und gut ausgeführte Fördermassnahme hilft und ist wertvoll. Natürlich wäre es darüber hinaus wichtig, dass alle Kinder neben ihrer Herkunfts­ sprache auch frühest möglich Deutsch lernen.

Urs Moser

Es kommt demnach immer auf den Bildungshintergrund der Eltern an?

Sprechen wir von den Migranten, deren Eltern keinen höheren Bildungsabschluss und keine finanziellen Mittel haben.

ChagALL richtet sich an kognitiv sehr starke Jugendliche. Was muss auf einer breiteren Ebene passieren, um alle Migrantenkinder fördern zu können?

ist seit 1999 Mitglied der Geschäftsleitung des Instituts für Bildungsevaluation der Universität Zürich sowie Mitglied der nationalen Projektleitung für Pisa-Studien. Er ist Vater zweier Teenager.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 55


Erziehung & Schule

>>> Schülerin des Gymnasiums Unterstrass. Als sie 12 Jahre alt war, sind ihre Eltern mit ihr aus Afgha­ nistan geflohen. Das Mädchen sollte zwangsverheiratet werden. Heute lebt die Familie in Zürich, der Vater arbeitet als Logistiker, die Mutter ist Hausfrau. Beide sprechen nur ge­­ brochen Deutsch. Das sind schlechte Startbedin­ gungen im Schweizer Bildungssys­ tem. Und doch, an ihrer Sekundar­ schule gehörte Mitra zu den Klas­­senbesten. «Aber den Sprung ans Gymnasium hätte ich nie alleine geschafft», ist sie sich sicher. Nach bestandener Aufnahme ins Pro­ gramm fuhr sie jeden Mittwoch­ nachmittag und Samstagmorgen zum Extra-Unterricht, wurde in Mathematik, Deutsch und Franzö­ sisch sowie Geometrie geschult. Zwei Lehrpersonen arbeiten im Pro­ gramm jeweils zusammen, eine Gymnasial- und eine Sekundarkraft. «Zusätzlich vermittle ich regelmäs­ sig Konzentrations- und Entspan­ nungsübungen, erkläre, wie man sich und seine Arbeit bestmöglich organisiert», ergänzt Stefan Marcec. Die Motivation ist gross

«Das Programm ist sehr anspruchs­ voll und erfordert ein hohes Mass an Motivation und Durchhaltewillen», betont Karolina Zegar. Die Lehrerin hatte 2012 von ChagALL gelesen und sich beworben. «Hier wird den Schü­ lern vermittelt: Ihr habt eine reale Chance, wenn ihr euch anstrengt. Das hat mir damals keiner mit auf den Weg gegeben», erinnert sich die gebürtige Polin. Sie will es heute als Lehrperson anders machen. «Euer Job ist es, eure Fehler zu analysieren. Deshalb schreibe ich euch die korrekte Lösung immer an den Rand», sagt sie und schaut in die fragenden Gesichter ihrer Schüler. In Deutsch haben sie fast alle Schwä­ chen. Das sei normal. «Grundsätz­ lich sind die Motivation und die Leistungsbereitschaft sehr hoch. Nur haben wir seit ein paar Jahren 56

immer wieder Motivationsprobleme bei einzelnen Schülern. Das war zu Beginn des Projekts nicht so», erin­ nert sich Karolina Zegar. Warum das so ist, wisse sie nicht. In den ersten Jahren nach Projektstart waren es 12 bis 14 Teilnehmer pro Schuljahr, nun sind es 24 bis 26 Teilnehmer, die jedes Jahr aufgenommen werden. Die Regeln sind streng

Valeria Casty hat den Sprung ans Gymnasium mittlerweile geschafft. Ihr Vater, ein Spanier, kam mit 13 Jahren in die Schweiz, ihre Mutter mit 28. Sie stammt aus Kolumbien, hatte dort studiert. Ihr Vater ist Tele­ matiker. Beide Eltern sprechen heu­ te gut Deutsch. Warum also kam Valeria zu ChagALL? «Ich glaube, in meinem Jahrgang hatte es noch freie Plätze», erklärt sie. Benachteiligt ist sie also nicht – oder nicht so wie die anderen Teilnehmer. Trotzdem ist sie sicher, dass sie die spezielle Förde­ rung nötig hatte. «In Deutsch war ich schwach.» Die 17-Jährige erinnert sich noch gut daran, wie es war, jeden Mitt­ wochmittag in den Bus Richtung Unterstrass zu steigen, wenn alle anderen ihrer Kolleginnen freihatten und nach Hause konnten. Natürlich versuche man Motiva­ tionstiefs im Projekt aufzufangen, unterstützend zur Seite zu stehen. Aber die Regeln seien streng, sagt Programmleiter Stefan Marcec. Man erwarte absolute Pünktlichkeit. Und wer mehr als einmal unentschuldigt fehle, werde abgemahnt. Dass ver­ einzelt Schüler vorzeitig ausschei­ den, weil sie zum Beispiel eine Lehr­ stelle gefunden haben, komme vor. «Warum tust du dir diesen Stress an?», sei Valerie manchmal von ihren ehemaligen Mitschülern ge­­ fragt worden, die nach der Schule eine Ausbildung begonnen hatten. «Heute beneiden sie mich», sagt die Gymnasiastin. Eine KV-Ausbildung wäre für sie nichts gewesen. «Ich möchte unbedingt Lehrerin wer­ den.» Hat sie als ehemalige Pro­

Französisch ist ein beliebtes Fach. Deutsch bereitet vielen mehr Probleme.

«Ihr habt eine reale Chance, wenn ihr euch anstrengt. Das hat mir damals keiner mit auf den Weg gegeben.» Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule

um Unterrichtsstoff aufzuholen, Fragen stellen zu können. Und auch danach gebe es auf Wunsch Förderstunden. Kommen die meisten Programmteilnehmer zu ihm an die Schule? «Nein, viele streben einen Abschluss an der Berufs- beziehungsweise Fachmittelschule an», sagt der Gymnasiallehrer. Letztendlich schaffen rund 80 Prozent der ChagALL-Teilnehmer den Übertritt an die gewünschte Schule und bis zu 70 Prozent von ihnen den angestrebten Abschluss. Eine Quote, auf die man stolz ist am Gymnasium Unterstrass. Mohamed hofft, einer von denen zu sein, die es schaffen. Nach einer Dreiviertelstunde ist der Deutsch­

unterricht beendet. Er klappt sein Heft zu. Jetzt geht’s weiter mit Französisch, danach mit Mathematik. Am Abend, wenn seine vier jüngeren Geschwister schlafen oder fernsehen, wird er lernen. Mohamed hat ein grosses Ziel: ein Ingenieurstu­ dium an der ETH Zürich. Er wäre der erste in seiner Familie.

>>>

grammteilnehmerin einen Sonderstatus am Gymnasium? «Nein, ich falle nicht auf», sagt sie. Ihre Eltern haben einen ähnlichen Bildungshintergrund wie die anderen Eltern und können ihr beim Lernen helfen, sie bei ihrer Berufswahl beraten. Damit ist sie die grosse Ausnahme. Viele Eltern von Programmteilnehmern können nicht einmal die Schulbücher zahlen, geschweige denn Unterstützung bei den Hausaufgaben bieten. Daher ist für Schülerinnen wie Mitra das Folgeprogramm ChagALL+ so wichtig. «Das erste halbe Jahr nach Übertritt an die Mittelschule haben die Schüler weiterhin jeden Samstagvormittag Unterricht», erklärt Stefan Marcec,

Evelin Hartmann ist selbst Migrantin und hat manchmal Mühe, ihrer vierjährigen Tochter zu folgen, die jetzt schon besser Schwiizerdütsch spricht, als sie selbst jemals lernen wird.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 57


n r e t t ü M i e w z t i m «Ich bin » n e d r o w e g s s o gr Psycho logie &

Gesells

«Vieles wird schöngeredet»

Regenb ogenfa und wi e geht milien – es den Kinder chaft

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(«Regenbogenfamilien», Heft 12/16 / 1/17)

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Dorothea Reichen-Wetzler, Reichenbach (per Mail)

Marla Meier (per Mail)

Bild: Hero

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/ plainpicture

Vielen Dank für die vielen wertvollen Beiträge in Ihrem Magazin. Zum Artikel «Regenbogenfamilien» möchte ich anmerken, dass die Trias Vater, Mutter, Kind der Grundbaustein einer gesunden Gesellschaft ist und jedes Kind ein Recht auf Vater und Mutter hat.

Ich bin ein grosser Fan Ihrer Zeitschrift, danke für die vielen wertvollen Beiträge! – Nun ist mir der Artikel über Regenbogenfamilien aufgefallen. Es ist sehr wichtig, dass darüber geschrieben wird, wie es Kindern in gleichgeschlechtlichen Haushalten geht. Ich bin selber mit zwei Müttern gross geworden (meine Mutter hat sich nach der Trennung mit meinem Vater für eine Frauenbeziehung entschieden), und ich muss sagen, dass ich es nicht einfach fand, im Gegenteil. Ich habe mich immer wieder geschämt dafür, mich nicht getraut, meine Mutter als lesbisch zu erwähnen, wenn Freundinnen nach Hause kamen. Und ich habe eine ziemliche Verwirrung bezüglich meiner eigenen Weiblichkeit und Sexualität davongetragen, die bis heute anhält. Meine Mutter ist und war eher ein männlicher Typ, mein Vater hingegen nicht unbedingt der starke Mann. Das alles hat sicher zu meiner Prägung und zu meinem Selbstwertgefühl beigetragen. Es gab auch Zeiten, da konnte ich das Lesbischsein meiner Mutter gut akzeptieren. Es ist ja auch jetzt eher «in», so etwas gut zu finden. Ich finde es schwierig, dass ich das Gefühl habe, das Ganze kritisch zu sehen, sei nicht gern gesehen oder gehört. Was mich bei Ihrem Artikel stört, ist, dass vieles schöngeredet wird und ich kaum auf ein kritisches Wort stosse – das ist wohl politisch unkorrekt. Ich würde mir sehr wünschen, dass es mal jemand wagt, kritischer auf dieses Thema zu blicken. Selbst im Internet bei Recherchen stosse ich kaum auch auf kritische Stimmen. Mich würde es interessieren, wie es den (jungen) Erwachsenen geht, die mit gleichgeschlechtlichen Eltern oder Partnern der Eltern gross geworden sind. Und ja – wenn es ums Wohl des Kindes geht, sind sicher zwei gleichgeschlechtliche, gesunde, reflektierte Eltern besser als Mutter und Vater, die sich dauernd streiten. Ich finde die gesamte Thematik sehr komplex. Vielleicht können Sie ja mal ausführlicher darüber berichten.

(«Regenbogenfamilien», Heft 12/16 / 1/17)

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Dezember

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Zwei Mam is oder zu zwei Papi dass das haben, kann s Kind ausg bedeuten , elacht wird. 51

Ein schönes Bild mit zwei Männern und einem Baby auf dem Bett. Darauf ein Text: «Gleichgeschlechtliche Elternteile sind meist aktiver in der Kinderbetreuung als heterosexuelle Väter.» Als aktiver Hetero-Vater und Freund von vielen aktiven Hetero-Vätern fühle ich mich ehrlich gesagt etwas vor den Kopf gestossen. Was soll diese «angeblich wissenschaftliche Aussage» in einem derartigen Beitrag beziehungsweise in einem wissenschaftlichen Text? Das ist doch nicht wirklich erforschbar, oder?! Das ist verallgemeinernd. Und zudem können sich zwei Väter logischerweise intensiver um ein Kind kümmern als nur einer. Wo bleibt aber die Mutter oder im umgekehrten Fall der Vater? Und genau hier geht es mir zu weit: Ein Kind verdient Mutter und Vater, die es ja auch gemeinsam zeugen. Homo-Paare können Kinder haben, wenn sie sie selbst zeugen. Hat das Fritz+Fränzi-Team wohl den Mut, eine derartige Stellung­ nahme von mir zu drucken? Bin gespannt … Es mag konservativ klingen, aber in unserer toleranten und liberalen Gesellschaft gilt ja die Meinungsfreiheit. Grundsätzlich finde ich viele Berichte von euch super! Philippe Recher, Zizers (per Mail)

«Der Grundbaustein einer gesunden Gesellschaft» («Regenbogenfamilien», Heft 12/16 / 1/17)

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Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Leserbriefe

Erziehung

«Leider fehlt die Brücke zu Kindern, die sterben müssen»

Monatsinterview

«Ich bin beeindruckt» (Monatsinterview mit Ellen Ringier, Heft 12/16 / 1/17)

«Disziplin war alles. Und Sport»

Erziehung

bleib!» «Léni, bitte kam Kind. Dann ein starkes zum Arzt lebenslustiges, Halsschmerzen Sie war ein Krebs. dem Léni wegen unvorstellbar: der Tag, an Diagnose war eschichte. musste. Seine iche Leidensg privat Schreiber, eine unerträgl Bilder: Charlotte Es begann Léda Forgó erzählt. Text: Ihre Mutter

«Léni, bitte bleib!», Heft 12/16 / 1/17)

der Stiftung Elternsein, 65 Jahre alt. Die Präsidentin Im Dezember wird Ellen Ringier schaut auf ihr bewegtes Leben ElternMagazins Fritz+Fränzi, Herausgeberin des Schweizer hätte tragen sollen. Und unser Magazin ursprünglich zurück, erzählt, welchen Namen Maurice Haas / 13 Photo Nik Niethammer Bilder: Text: Evelin Hartmann und verrät ihren Herzenswunsch.

Ihm hat es bei die Welt serkopf eingeladen. haben das nicht selbständig werden und die uns gefallen, und wir einfach dazu. sehen konnten. Ich war bestimmt mit hinterfragt. Er gehörte lautet: Erste in Luzern, die bereits Moskau Ein indisches Sprichwort sind, gib 18 Jahren in Leningrad und klein Reisen «Solange die Kinder älter werden, war. Natürlich hatten diese ihnen Wurzeln, wenn sie erzieherischen Hinter­ Flügel.» Was haben Ihre Tatsache, immer einen Da haben Sie recht. Die war ein Intellek­ gib ihnen war grund: Mein Vater in dieser Hinsicht getan? dass meine Mutter Ausländerin Lernen über alles. Eltern dass es im so welt­ tueller, ihm ging Sie haben uns gelehrt, – und noch dazu aus einer braucht das Prä­ Leben eine gewisse Demut offenen Stadt kam –, war und Wäh­ und Resilienz. Eine psychische gendste in meiner Kindheit. Widerstandsfähigkeit, wollenen die physische Mütter rend die anderen Und selbst Dinge auch mal auszuhalten. Strumpfhosen ihrer Kinder mitge­ Londoner sie haben mir die Fähigkeit strickten, schickte unsere Päckchen geben, überall zurechtzukommen. Verwandtschaft immer mit einem irgendwo mich hätten Sie mit feinen, weissen synthetischen sprin­ in einer Fallschirm aus dem Flugzeug Strumpfhosen. Und anstatt hätte auf wurde gen lassen können – ich dieser kleinen Holzbüchsen Erde Wur­ Kinder­ jedem Fleckchen dieser stammt der ich in einem marineblauen Rä­ Von Ihrem Grossvater immer darum, zeln geschlagen. wagen mit grossen gefederten Ihre Satz: «Im Leben geht es In welchen Situationen haben zu dern umhergefahren. Menschen eine Chance weiterzuma-

& Schule

& Schule

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ihre Léni (l.) und Finnja. Schwester Trotz der schweren haben die Krankheit Nähe Zwillinge ihre nicht zueinander

stammt aus Frau Ringier, Ihre Mutter Ihr einer Londoner Bankiersfamilie, aus Vater war ein Pelzgrosshändler Zeit der Innerschweiz. Zur damaligen keine alltägliche Kombination.

Das Schweizer

verloren.

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Das Schweizer

ElternMagazin

ElternMagazin

Fritz+Fränzi

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Fritz+Fränzi

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«Ich hätte auf

jedem Fleckchen dieser Welt Wurzeln schlagen können.»

weltgeIhre Mutter war sehr offen, Ihr Vater als wandt, kultiviert, während diszipliniert sehr bodenständig und nicht zu galt. Führte diese Diskrepanz Spannungen in der Familie?

anderen ihn der soziale geben.» Sind Sie durch geworden, der und engagierte Mensch

Eltern Sie darin bestärkt, chen, nicht aufzugeben?

oft Berg­ Meine Eltern sind mit uns Sie heute sind? Ich bin bis Schwie­ unserer ge­ steigen gegangen. Die Grundüberzeugung sechs geklettert. Da gab war, dass wir Teil rigkeitsgrad in denen ich sich meine samten Familie sind. Meine es oft Situationen, Eigenartigerweise haben absolut dieser Gesellschaft habe: «O Gott, wie komme Eltern in der Erziehung immer im Austausch gedacht lebend durch?» Das eine Diffe­ Eltern standen man küm­ ich hier bloss getroffen, da gab es nie ist noch ein anderes Bei­ Macht­ mit ihren Mitarbeitern, renz. Es gab das elterliche ein Weihnachts­ Skifahren funk­ merte sich um sie, bin jedes Mal durch den Zu meinen spiel. Ich wort, und wir drei Schwestern das von geld war obligatorisch. meine Mut­ Steilhang gekommen weil ich mich hat tionierten, wie die Eltern zu leh­ gab Kindergeburtstagen getraut habe, mich talwärts einem verlangten. Ein Auflehnen aus der Nachbarschaft sich >>> unseren ter jedes Jahr nen. Wer Angst hat, lehnt es nicht. Andererseits war Jungen mit einem Was­ wir schnell auch einen dass wichtig, sehr Eltern Dezember 2016 / Januar

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37 Fritz+Fränzi Das Schweizer ElternMagazin

Fritz+Fränzi Das Schweizer ElternMagazin

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Liebe Frau Ringier Ich habe gerade Ihr Interview im Magazin gelesen und bin beeindruckt. Als Familienmanagerin und Lehrerin schätze ich das Heft sehr. Ich habe fest auf einen Lottogewinn gehofft, um eine eigene Stiftung zu gründen, das hat leider nicht geklappt ;-) Herzlichen Dank dafür, dass Sie Energie und Geld für so ein wichtiges Thema einsetzen. Anja Bernet (per Mail)

Fr. 7.50 11/November

2016

Mit grosser Freude habe ich den Artikel über Léni gelesen. Als ebenfalls betroffene Mutter eines an einem Hirntumor erkrankten Kindes habe ich den Artikel mit Interesse gelesen und uns an so vielen Stellen wiedererkannt. Leider ist bei uns die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Weihnachten das letzte sein wird mit der ganzen Familie, sehr viel grösser als die Chance, dieses auch nächstes Jahr noch gemeinsam zu feiern. Weshalb ich auch sehr interessiert war am Artikel über den Umgang mit dem Tod. Ich finde es sehr schade, dass darin nicht die Brücke geschlagen wurde zu den Kindern, die sterben müssen. Da ja auch im Artikel von den vielen Kindern erzählt wurde, die man während der Therapien kennenlernt und die auf ihrem Weg sterben. Auch auf unserem Weg haben wir diverse Kinder kennengelernt, die die Welt schon wieder verlassen mussten. Ich hätte mir einfach gewünscht, dass man den Tod nicht immer nur im Zusammenhang mit alten Menschen thematisiert. Es sterben doch auch ganz viele Mamis und Papis von kleinen Kindern oder eben auch Kinder.

Jetzt mitmache n

Leserum frage enzi.ch/ www.fritzundfra leserumfrage

Jesper Juul schaffen , es Wie Mütter denken an sich zu der KESB Ein Tag bei Wie die Behörde arbeitet – e eine Reportag

Fr. 7.50 12/Dezember

2016 1/Januar 2017

Karin Suter (per Mail)

Fabian Grolimun d Mein Kind ist ein Angeber

«Das Engagement lohnt sich» (November-Heft 11/16, Dezember-Heft 12/16 / 1/17)

Léni will leben Eine Mutter kämpft um das Leben krebskra nken ihrer Tochter

Karriere

Die Lüge vonrkeit der Vereinba

Kinder und

Was Eltern wissen müss en

Sexualität

Dossie

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Dossie

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Elisabeth Staffelbach (per Mail)

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Erforschen viele Elter Kinder die Welt, gehö ihrer Kinden wissen nicht rt , wie sie der eigene Körp Experten. r begegnen der erwa er dazu solle chenden . Doch Aufklärun Ein entspannte n. Keinesfalls Sexualität r Umga mit Schw g begü

Larsson

«Weiter so!»

Wenn Sexualidie tät erwach t

Bild: Linnea

Liebe Frau Ringier Das ElternMagazin vom Dezember und auch vom November hat mir grosse Freude bereitet beim Lesen. Ich gebe die beiden Exemplare meinem Sohn weiter, er hat ja zwei Kinder. Ich hoffe, dass er das Heft abonniert und dafür in seinem Freundeskreis Werbung macht. Es hat so spannende und interessante Artikel, vielseitig und offen, ehrlich und aktuell. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem riesigen Engagement und Ihrem grossartigen Einsatz. Ja, Frau Ringier, man sieht es an Ihrer Ausstrahlung an: Das Engagement befriedigt sie, ist zwar anstrengend, aber es lohnt sich. Schön so!

10

Dezember

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Januar

2017

(«Dossier Sexualität», «Léni, bitte bleib!», Heft 12/16 / 1/17)

Das Schweizer

ElternMag

azin Fritz+Frän

Text: Claudi ng nstigen eigen, a Marink die körpe mit Sex und raten a und Claudi eine Bilder: rliche Linnea a Landol Entwicklu frühe Larsson t , Sian Davey, ng der Kinder. Ruth Erdt zi Das Schweizer

ElternMag

azin Fritz+Frän

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Dezember

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Ich habe das neuste ElternMagazin in einem Zug durchgelesen. Ein grosses Kompliment zu dieser Ausgabe! Die verschiedenen Artikel zum Thema «Sexualität» fand ich gerade aus Elternsicht ausgesprochen gut, offen und persönlich ermutigend. Der persönliche und ergreifende Bericht über die Krebs­ erkrankung von Léni hat mich enorm berührt. Als Familienvater bin ich immer auf der Suche nach solch spannenden und inspirierenden Artikeln. Weiter so! Heinrich Schaffner (per Mail)

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 59


Dossier

«Alle, Frauen und Männer, zahlen den Preis» (Dossier «Die Lüge von der ­Vereinbarkeit», Heft 11/2016)

Dossier

Die Lüge der Verei von nbarkeit

«Sie decken nur die halbe Lüge auf»

Wer Kinde r hat und Preis – besonders Karriere mache n möcht als Frau. Familie und Beruf. Mütter reiben e, zahlt einen hohen Denn die und Beruf sich auf viel zitiert bedeutet zwischen e Verein Eine Entmy vor barkeit stifizierung. allem eins: ganz viel Stress von Familie Text: Sibylle . Stillhart 10 Bilder: Jan

von Holleben November

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Das Schweizer

ElternMagaz

in Fritz+Fränzi Das Schweizer

ElternMagaz

in Fritz+Fränzi

November

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Der Titel hat mich sehr angesprochen, und ich war erfreut, dass es endlich jemand wagt, darüber zu schreiben. Leider war ich von dem Artikel schon nach Kurzem sehr enttäuscht bzw. verärgert. Wie schon so oft in Zeitungsartikeln und auch in Ihrem Artikel ist unter anderem die Rede davon, dass die Hausarbeit und Kinderbe­ treuung nach wie vor in der Verantwortung der Frau liegt. Das stelle ich in keiner Art und Weise in Frage. Was mich aber sehr stört, ist, dass mit keinem Wort erwähnt ist, dass umgekehrt genau auch immer noch der allergrösste Teil der Verantwortung für die Erwerbs­ arbeit bei den Männern liegt. Sie kommen in Ihrem Artikel auf durchschnittlich 68 Stunden Arbeitsaufwand bei einer Mutter, die auch einer Erwerbsarbeit nachgeht, und erwähnen dann noch kurz zum Schluss, dass das durchschnittliche Arbeitspensum eines Mannes doch auch beachtliche 70 Stunden pro Woche beträgt, was ja eigentlich so nebenbei noch höher ist als das der Frauen. Die Elternzeitschrift Fritz+Fränzi bietet eine wirklich tolle Plattform für ein solches Thema, aber bitte berücksichtigen Sie in Ihrem Artikel die Geschlechter in gleichem Mass. Frauen möchten Anerkennung für ihre geleistete Arbeit – wir Männer möchten sie auch! Und möchten Sie tatsächlich beiden Geschlechtern gerecht werden, so hören Sie bitte auf, Frauen nur als Opfer von Männern zu sehen und Männer nur als Täter an Frauen! Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, den Fokus voll auf unser System zu richten, dann würde vielleicht gerechter sichtbar, was wir alle, Männer und Frauen, für einen Preis für unser System bezahlen, und so könnten wir vielleicht gemeinsam an einer gerechteren Zukunft für beide Geschlechter arbeiten. Wie wärs?! Mit freundlichen Grüssen von einem zu vereinbaren versuchenden Mann und Vater.

(Dossier «Die Lüge von der ­Vereinbarkeit», Heft 11/2016)

Herzlichen Dank für den genialen Artikel von Frau Stillhart. Sie spricht mir so sehr aus dem Herzen und gibt mir das Gefühl, nicht alleine mit diesem Problem dazustehen. Bewundernswert ist auch ihre Konsequenz, im eigenen Leben das Paradoxon zu lösen!

Als Akademiker mit einem Betreuungspensum (zwei Söhne, 10 und 12) von 50 Prozent bin ich enttäuscht darüber, dass Sie nur die halbe Lüge aufdecken. Ist es ein Relikt der abgeflauten Emanzipationsbewegung oder in den Köpfen der Männer noch nicht angekommen: Der zweite Teil der Lüge ist doch, dass Frauen mehr betroffen wären als Männer. Bereinigt man die Statistik bezüglich des Ausbildungsstandes, haben Frauen heute nach der «Babypause» bessere Karten als Männer, die zugunsten der Kinderbetreuung ihr Pensum über die gleiche Zeit und in gleichem Ausmass reduziert haben. Eine Fortsetzung einer begonnenen Karriere nach 10 Jahren Pause? Ein neuer Arbeitgeber, weil nun doch wieder mehr Zeit vorhanden wäre? Für Männer deutlich schwieriger, und deshalb, weil bekannt ist, dass Frauen nach der Babypause leichter wieder reinkommen, diese Lücke im Lebenslauf sogar Ansprüche bei der Arbeits­ losenkasse generiert (bis zum 12.Lebensjahr des letzten Kindes!) und Mann auf diese Vorteile nicht zurückgreifen kann, getrauen sich viele Männer nicht, den Karriere­ suizid zu vollziehen. Artikel wie der Ihre, der darauf abzielt, die Situation der Frau zu pathologisieren und sie als diejenige glorifiziert, die sich teilen muss und dabei verliert, sind genauso kontraproduktiv wie die Behauptung, Männer hätten kein Interesse an der Betreuung eigener Kinder (ja, Sie haben richtig gelesen, ein Klischee, das durch die Realität längst überholt ist). Tatsache ist, dass Betreu­ ungsZEIT Zeit braucht und diese Zeit nicht auf den Bäumen wächst, sondern jeder für sich entscheiden muss, ob er Teile seiner 24 Stunden pro Tag in Karriere oder Kinder investiert. Dazu gibt es die weitere Auswahl zwischen aufwendigeren Karrieren, welche ge­ schlechtsunabhängig wenig Betreuungszeit erlauben und evtl. an ein hohes Mass an Erfahrung gebunden sind, welche ja im Kinderzimmer nicht gemacht werden kann, und Karrieren, die weniger spektakulär verfolgt werden können. Unterstützung durch die Medien wird für die Väter wichtig. Für die Mütter war es in den letzten Jahrzehnten sicher auch sehr bedeutend. Aber heute ist das Thema ausgelutscht und es gibt Neues.

Mei-Lin Blum (per Mail)

G. Umenhofer (per Mail)

Peter Meienberg, Basel (per Mail)

«Danke für den genialen Artikel» (Dossier «Die Lüge von der ­ Vereinbarkeit», Heft 11/2016)

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Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Leserbriefe

«Aus einer anderen Welt»

Fritz und Fränzi (rechts) Lehmann im Alter von sechs Jahren.

(Dossier «Die Lüge von der ­Vereinbarkeit», Heft 11/2016)

Ich habe in der November-Ausgabe den Artikel zur Vereinbarkeit gelesen. Von der Juristin Salome, der Ökonomin Sabine, Nadin, der Politologin, und ihren Männern, den Vätern. Wie hin- und hergerissen diese Frauen sind und sich dann für ihre Kinder entscheiden. Wie schwierig es doch ist, und wie teuer die Kinderbetreuung ist. Über die Erwartungen und das unfaire Verhalten anderer. Ich frag mich nur, was sagt die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern? Die Verkäuferin, Coiffeuse, Servicefachangestellte, welche vom Mindestlohn allein zwei Kinder grosszieht. Ohne Vater, Mann, Freund. Was sagen die Frauen, die keine Wahl haben? Die eine Miete von 1500 Franken und die Krankenkassenprämie von 650 Franken pro Monat bezahlen? Die Frauen, die 80 bis 100 Prozent arbeiten und an jedem Handballspiel, jedem Konzert und Elternabend dabei sind? Leiden die auch unter Burnout? Sind überlastet, übermüdet? Nein, denn sie haben keine Zeit, keine Wahl! Wieso kommt keine von diesen Frauen in diesem Artikel vor? Den Grundgedanken dieses Artikels finde ich gut. Gut recherchiert und leicht zu lesen. Nur die Beispiele sind aus einer anderen Welt. Valeria. S. (per Mail)

«Fritz und Fränzi gibt es wirklich» Mit Freude lese ich Ihren Elternratgeber Fritz+Fränzi. Unsere Kinder bringen dieses tolle Magazin regelmässig von der Schule nach Hause. Mit grossem Interesse habe ich auch das Interview mit Frau Ellen Ringier gelesen. Auch wie sie auf den Namen gekommen ist. Als es Ihr Magazin neu gab, haben mich viele Leute angesprochen, einige haben mir sogar ein Heft mitgebracht. Wir sind zweieiige Zwillinge, geboren 1973! Und heissen Fritz und Fränzi! Ich wollte Ihnen das mal mitteilen, ja, es gibt uns wirklich! Ich weiss natürlich auch, dass diese Namen nicht mehr in Mode sind. Daher freut es mich umso mehr, dass es dieses Magazin mit unserem Namen immer noch gibt. Fränzi und Fritz Lehmann, Grindelwald (per Mail)

«Ihr habt euch um Welten verbessert» Ihr habt euch inhaltlich und auch das Layout um Welten verbessert. Einfach super. Habe zur Geburt unserer Tochter 2008 ein Jahresabo von einem Bekannten erhalten. Mir hat es nicht gefallen, und dies nicht nur, weil mein Kind im «falschen Alter» war für dieses Magazin. Nun hat mir Fritz+Fränzi im vergangenen Jahr wirklich sehr gut gefallen! Super Artikel. Die ADHS-Reihe war super. Judith Müller, Gossau (per Mail)

Schreiben Sie uns! Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut? Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns wissen! Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich. Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi oder Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi. Kürzungen behält sich die Redaktion vor.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 61


Ernährung & Gesundheit

Erste Hilfe bei Zahnunfällen Selbst Bagatellunfälle an den Zähnen können Komplikationen nach sich ziehen. Deshalb ist es wichtig, schnell und richtig zu handeln. Text: Petra Seeburger

D

ie achtjährige Jessica hat bei einem Sturz mit dem Velo ihr Kinn heftig am Lenker angeschlagen. «Sie hat sich die Lippe aufgebissen, was stark geblutet hat», erzählt ihre Mutter, «und zwei Vorderzähne waren auch draussen!» Die Eltern fuhren sofort in die Notfallstation. Als die Wunde versorgt war, sprach der Notfallarzt mit einem Zahnarzt, weil Jessica vorne schon bleibende Zähne hat. Die ausgeschlagenen Zähne hatte der Vater in Milch eingelegt und mitgenommen. Der Zahnarzt konnte sie so direkt wieder einsetzen. Jessicas Eltern haben bei der Erstversorgung ihrer Tochter alles richtig gemacht: die Wunde mit einer Mullbinde abgepresst und die Zähne in eine «physiologische», also körperähnliche Lösung gelegt. Durch eine falsche Handhabung wäre die Oberflächenstruktur der Zähne kaputtgegangen, was ein Wiedereinsetzen verunmöglicht hätte. Jessicas wieder eingesetzte Zähne werden noch für einige Zeit mit einer Schie62

ne stabil gehalten. Wie es aussieht, wird sie keine Langzeitfolgen davontragen. Ausgeschlagene bleibende Zähne richtig behandeln

«Grössere Kinder, die wegen eines Zahnunfalls mit bleibenden Zähnen in den Notfall kommen, sind meistens mit dem Velo gestürzt oder im Schwimmbad ausgerutscht», sagt Zahnarzt Hubertus van Waes von der Klinik für Kieferorthopädie und Kinderzahnmedizin in Zürich und Leiter der Zürcher Schulzahnklinik. Wenn bei einem Unfall bleibende Zähne ausgeschlagen werden, gilt es, richtig zu handeln: «Sofort zum Zahnarzt gehen», sagt van Waes. «Wenn möglich sollten die Zähne noch am Unfallort wieder eingesetzt werden.» Falls das nicht geht, den Zahn in Milch oder in einem Plastiksäcklein mit etwas Speichel transportieren. Auf keinen Fall Alkohol oder Desinfektionsmittel dafür verwenden und den Zahn auch nicht einfach in die Hosentasche stecken. Kann ein Zahn replantiert werden, wird er rund zwei Wochen mit einer

Wegen möglicher Folgeschäden sind Zahnunfälle immer der Versicherung zu melden.

Schiene fixiert. Den Rest erledigt die Natur. Zu Zahnunfällen bei kleineren Kindern kommt es oft, weil sie stolpern, fallen und gegen eine Kante schlagen. Typisch sind gemäss van Waes auch «Knochenbrüche im Gesicht und ausgeschlagene Zähne». Je nach Unfall können sich die Zähne auch lockern, verschieben oder werden hineingeschlagen. Bei herausgeschlagenen Milchzähnen ist ein Artzbesuch nicht am gleichen Tag nötig, denn diese werden nicht wieder eingesetzt, da dies die bleibenden Zähne beim Durchbrechen behindern könnte. Mit einer Zahnlücke wegen ausgeschlagener Milchzähne haben Kinder keine Probleme, weiss van Waes. Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


«Sie können sich gut anpassen.» Die obere Frontreihe sei kein Problem, bei der unteren Frontreihe könne es vorkommen, dass ein Kind lisple. «Bei einer Spange setzen wir deshalb manchmal einen Ersatzzahn ein.» Sind Milchzähne jedoch verschoben, muss man sofort zum Zahnarzt, damit der Zahn an seine Position zurückgeschoben werden kann, so Hubertus van Waes. «Dies ist nur gleichentags möglich.» Hat ein Kind starke Schmerzen oder kann nicht mehr beissen, gilt das ebenfalls. Zahnunfälle seien immer der Versicherung zu melden, betont van Waes, denn Folgeschäden sehe man oft erst Jahre später. «Die obligatorische Grundversicherung deckt bei Kindern die entstehenden Kosten.» Kinder und Jugendliche gut überwachen

Zahnverletzungen selber bluten kaum. Wird aber die Zunge oder die Lippe verletzt, blutet es stark. Die Wunden müssen mit Kompressen oder sauberen Tüchern bedeckt und komprimiert werden. Brüche der Mittelgesichtsknochen sind laut Professor Martin Rücker, Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsspital Zürich, bei Kindern selten. «Die Knochenhaut ist dicker und der Knochen noch weicher.» Beim Sturz aufs Kinn, was häufig bei Velo-, Roller- oder Rollschuhunfällen passiere, könne aber durchaus zum Beispiel der Gelenkfortsatz des Unterkiefers brechen. Abhängig vom Bruchverlauf kommt eine konservative – in erster Linie mit weichem Essen entlastende – oder eine operative Behandlung in Frage. Endoskopisch unterstützte Techniken erlauben hier Operationen ohne äusserlich sichtbare Narben. «Je früher ein solcher Bruch operativ versorgt wird, desto besser», sagt Martin Rücker. Der leitende Arzt der Klinik, Harald Essig, erklärt, dass sie in diesem Bereich mit computerassistier-

ter Chirurgie arbeiteten. So könne er die Operation simulieren und Implantate massanfertigen. «Fehlt ein Zahn, kann er zunächst provisorisch und dann nach Abschluss des Wachstums definitiv ersetzt werden – also bei Mädchen allerfrühestens mit etwa 16 Jahren, bei Jungen zwei Jahre später.» Kieferchirurg Rücker empfiehlt, alle Kinder mit Verletzungen im Mundbereich auch hinsichtlich eines Schädel-Hirn-Traumas zu überwachen und je nach Sturz abzuklären, ob die Halswirbelsäule verletzt sei. Und: «Bei offenen Wunden braucht es eine Impfung gegen Wundstarrkrampf.» Wo Gefahren lauern

Als Risikosportarten nennt Rücker zuerst Fussball. «Es ist eine häufige Sportart, man bekommt schnell einmal einen Ellbogen ins Gesicht.» Ebenfalls weit oben rangieren Pferdeunfälle. Harald Essig erklärt: «Wenn Pferde den Kopf schnell drehen, kann dies sehr heftig sein.» Risikobehaftet sind auch Eishockey, Boxen, Mountainbiken oder «aggressive» Mannschftssportarten wie Rugby. «Bei diesen Sportarten tragen heute aber alle einen Schutz», sagt Harald Essig. «Idealerweise wird dieser individuell von einem Spezia­ listen angepasst.» Doch Zahnarzt van Waes und die beiden Kiefer­chirurgen relativieren diese Gefahren, denn die meisten Zahnunfälle passieren im normalen Alltag.

Herausgeschlagene Zähne muss man in Milch oder Speichel transportieren.

Was zu tun ist … … bei Unfällen mit bleibenden Zähnen Abgebrochene Zähne: Je mehr abgebrochen ist, desto dringender die Behandlung. Gelockerte Zähne: Behandlung dringend, der Zahn muss eventuell fixiert werden. Verschobene Zähne: Behandlung dringend, der Zahn sollte an seinen Platz gerückt werden. Hineingeschlagene Zähne: Dringende Behandlung, den Zahn an seine Position zurückbringen. Herausgeschlagene Zähne: Sofort zum Zahnarzt! Dort wenn möglich Zahn replantieren. Zahn am besten in einer Zahnrettungsbox in Milch oder Speichel transportieren. Zahn bei sichtbarer Verschmutzung kurz unter fliessendem Wasser abspülen, auf keinen Fall abreiben. … bei Unfällen mit Milchzähnen Abgebrochene Zähne: Innert Tagen zum Zahnarzt. Gelockerte Zähne: Behandlung ist nicht dringend. Verschobene Zähne: Möglichst sofort zum Zahnarzt, damit der Zahn wieder an seinen Platz gedrückt werden kann. Herausgeschlagene Zähne: Ausgeschlagene Milchzähne werden nicht replantiert, innert Tagen zum Zahnarzt gehen. Hineingeschlagene Zähne: Behandlung ist selten nötig, aber Zahnarzt informieren wegen hohem Folgeschäden-Risiko für bleibenden Zahn! … in jedem Fall Jeden Zahnunfall sofort dem Zahnarzt melden. – Was ist passiert, wann, wie, wo? – Alter des Kindes? – Milch- oder bleibende Zähne betroffen? Zahnunfälle immer der Versicherung melden! Auch Bagatellunfälle können Komplikationen nach sich ziehen.

Petra Seeburger

ist Intensivpflegefachfrau, Journalistin und Kommunikationsspezialistin. Sie arbeitet seit über 30 Jahren im Gesundheitswesen.

Quelle und weitere Informationen: www.dent.uzh.ch > Für Patienten > Downloads > Merkblätter – Schulzahnpflege – Kinder > Zahnunfälle

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 63


Psychologie & Gesellschaft

Können Kinder zur Rechenschaft gezogen werden? Verursachen Kinder mutwillig einen Schaden, können sie von Gesetzes wegen haftbar gemacht werden. Was Eltern über das Thema Haftung und Urteilsfähigkeit von Kindern wissen müssen. Text: Susan Edthofer

K

inder treiben manchmal auch Unfug. Meistens verläuft alles harmlos. Doch was passiert, wenn sie mutwillig etwas kaputt machen oder jemandem wehtun? In der Zeitschrift «Beobachter» wird dies am Beispiel eines neunjährigen Jungen erläutert: Ein Knabe spielte in einer Scheune mit Streichhölzern und entfachte einen Brand. Er wurde als urteilsfähig befunden, da Kinder in diesem Alter wissen sollten, dass das Spielen mit Streichhölzern gefährlich ist. Eltern sind also nicht immer für das Handeln ihres Kindes verantwortlich. Dass Kinder von Gesetzes wegen als urteilsfähig gelten, sobald sie die Folgen ihres Tuns abschätzen können, ist vielen Eltern kaum oder zu wenig bewusst. Haftung aufgrund von Urteilsfähigkeit

Eltern haften laut Gesetz für ihre minderjährigen Kinder, wenn sie ihre Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen haben. Ist etwas passiert, wird also erst einmal geklärt, ob Eltern auf ihr Kind aufgepasst haben. Im folgenden Beispiel stellte sich die Frage, ob der Vater seiner Aufsichtspflicht nachgekommen ist, als er seinen beiden Kleinkindern beim Schlitteln zuschaute. Obwohl er dabei war, konnte er nicht verhindern, dass seine Kinder eine Frau rammten, die sich beim Sturz verletzte. Das Gericht entschied zugunsten des Vaters. Haben Eltern ihre Aufsichtspflicht erfüllt, müssen sie rechtlich gesehen nicht für einen Schaden aufkommen. Das bedeutet, dass das Kind einen vorsätzlich oder fahrlässig zugefügten Schaden selber berappen muss. Die Geschädigten wenden sich natürlich trotzdem eher an die Eltern als an die Kinder oder Jugendlichen. Zum Beispiel wenn beim Nachbarhaus die Fensterscheibe zu Bruch ging, obwohl dort nicht Fussball gespielt werden darf. Um das Verhältnis zu den Nachbarn nicht zu trüben, kommen Eltern meist für den Schaden auf, auch wenn sie ihre Aufsichtspflicht nicht vernachlässigt haben. Damit das Kind aus einem solchen Vorfall etwas lernt, sollte es miteinbezogen werden und vom Brief an die Haftpflichtversicherung bis zur Entschuldigung bei 64

«Ein Schadenfall kann die Zukunft eines Kindes schwer beeinträchtigen.» Susan Edthofer ist Redaktorin im Bereich Kommunikation

den Nachbarn am Prozess teilnehmen. von Pro Juventute. Meistens muss noch ein Selbstbehalt beglichen werden. Durch die Mithilfe beim Gärtnern oder Autoputzen bekommt das Kind Gelegenheit, eine Dummheit wieder in Ordnung zu bringen. Mit Schulden ins Erwachsenenleben starten

Komplizierter wird es bei hohen Schadenssummen. In der Regel haben Kinder nicht genügend Geld, um für grössere Schäden aufzukommen. Im Härtefall werden sie erst dann belangt, wenn sie selber verdienen. Ein leichtsinnig herbeigeführter Schadenfall kann die Zukunft eines jungen Menschen also nachhaltig beeinträchtigen. Wichtig ist, dass Eltern ihre Kinder über diese Rechtslage und die Auswirkungen aufklären.

Was Eltern tun können – vier Tipps Nehmen Sie Ihre Aufsichtspflicht wahr. Rechtlich gesehen müssen Sie in einem solchen Fall nicht für einen Schaden aufkommen, den Ihr Kind verursacht hat. Machen Sie Ihr Kind darauf aufmerksam, dass es für eine vorsätzliche und mutwillige Tat gesetzlich bestraft und zur Kasse gebeten werden kann. Damit das Kind aus einem Vorfall etwas lernt, lassen Sie es am Brief an die Haftpflichtversicherung und an der Entschuldigung bei den Nachbarn teilhaben. Geben Sie Ihrem Kind die Möglichkeit, eine Dummheit durch eine Gegenleistung in Ordnung zu bringen, zum Beispiel durch Mithilfe beim Gärtnern oder Autoputzen.

Pro Juventute Elternberatung Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (058 261 61 61) oder online (www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag, zur Erziehung stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen keine Kosten an. In den Elternbriefen finden Eltern Informationen für den Erziehungsalltag. Das Thema Haftung und Urteilsfähigkeit wird im Extrabrief «Geld und Konsum im Familienalltag» behandelt. Mehr Infos: www.projuventute.ch

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Digital & Medial

Meine Daten gehören mir!

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atenschutz ist ein furchtbar unangenehmes Thema. Viele haben aufgehört, sich mit Sicherheitshinweisen und -tipps zu beschäftigen. Weil diese endlos und widersprüchlich erscheinen und einem unweigerlich das Gefühl geben, dass man das Internet sich und seinen Kindern am besten verbieten sollte. Umso erstaunlicher, dass gerade Sicherheitsexperte Martin Hellweg, der seine Daten so leidenschaftlich schützt wie kaum ein Zweiter, beim Treffen mit Fritz+Fränzi Handy und Laptop immer griffbereit hat. «Ich will den Menschen nicht den Spass verderben», betont er. «Ich will sie aber darauf aufmerksam machen, dass im Internet wirklich jeder eine öffentliche Person ist.» Normalerweise berät Hellweg Firmen oder Prominente, die Opfer einer digitalen Attacke wurden oder sich davor schützen wollen. Heute aber bricht er seine Tipps für Eltern herunter. «Je früher wir Kindern ein paar praktische Verhaltensregeln für das digitale Leben beibringen, umso besser», sagt er. Denn die Komplexität des digitalen Lebens ist bei Kin66

dern noch überschaubar. Behörden oder Geheimdienste haben an dem, was Kinder tun, noch kein grosses Interesse. «Darum kann man zu­­ nächst auf einige wenige Dinge fokussieren und diese Kindern spielerisch nahebringen», sagt Hellweg. Seine zehn Tipps für Kinder und Eltern – plus ein Spezialtipp für die, die langsam erwachsen werden:

1. Seid Abenteurer unter fremden Namen! Es muss Kindern Spass machen, erfundene Namen anzunehmen und im Internet zu nutzen wie in einer Abenteuergeschichte. «Es gibt häufig keinen Grund, seinen echten Namen zu benutzen», sagt Hellweg. Die grossen Datenkraken wissen so zwar anhand der Geräte, die wir nutzen, wer da grad aktiv ist – aber jemand, der uns in Google nachschaut, kann uns nicht mehr so leicht auschecken. Das gilt zum Beispiel für den Arbeitgeber, bei dem sich der Jugendliche für eine Lehrstelle bewirbt.

2. Anwendungen nicht miteinander verknüpfen Anwendungen sollte man niemals verknüpfen. Es sieht immer so harm-

Sichere Passwörter haben mehr als zwölf Zeichen und tragen niemals den Namen des Kindes.

los aus und ist so herrlich bequem, wenn ein neues Programm anbietet: Loggen Sie sich mit Ihrem Facebook-Profil ein. Hellweg aber warnt: «Was nicht dort steht ist: Sie erlauben uns damit, Ihre Daten abzusaugen und mit Ihnen Werbung zu machen.» Darum: Für die neue Anwendung einen der zugelegten Fantasienamen mit einem neuen Passwort benutzen.

3. Sichere Passwörter … … haben mehr als zwölf Zeichen, haben nichts mit Geburtstagen oder dem Namen vom Sprössling zu tun, werden regelmässig aktualisiert und sind niemals, wirklich niemals dieselben für mehrere Konten. Wie soll man sich so viele komplexe Codes merken? Hellweg hat eine spannende Methode gefunden: Man stellt sich drei Fragen, davon eine, die sich auf die jeweilige Applikation, die Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Bild: iStockphoto

Ein Leben ohne Internet ist heute nicht mehr denkbar. Wie können wir schon Kindern beibringen, ihre Daten online zu schützen? «Seid Abenteurer unter fremden Namen!» und zehn weitere Tipps von Sicherheitsexperte Martin Hellweg. Text: Bianca Fritz


Benutzen wir im Internet Fantasienamen, kann man uns weniger gut nachspionieren.

man öffnen will, bezieht. Zum Bei­ spiel: Was ist meine Lieblingsfarbe? Ant­ wort: Gelb. Was ist mein Lieblingstier? Ant­ wort: Nashorn. Was ist der erste Buchstabe der Ap­ plikation, die dieses Passwort öffnen soll, und wie viele Buchstaben hat der Name der Applikation? Antwort etwa für Twitter: T und 7. Nun hängt man die ersten beiden Antworten zusammen. Das ergibt: GelbNashorn. Die dritte Antwort fügt man an der Stelle ihrer Zahl ein, hier also der siebten Stelle. Das er­ gibt «GelbNaT7shorn», ein schwie­ rig zu knackendes Passwort, das noch sicherer wird, wenn man an einer festen Stelle auch noch ein Son­ derzeichen einfügt oder z. B. für jedes a ein @, und würde dann so heissen: «GelbN@T7shorn». Die ersten paar Male muss man beim Bilden des Passworts noch

nachdenken – aber bald geht es von selbst. Man muss sich kein einziges Passwort mehr merken, nur die drei Fragen, und hat dennoch für jedes Konto ein komplett neues Passwort. Und: Will man die Passwörter nach ein paar Monaten wechseln, so legt man sich einfach neue Fragen zu. 4. Browse

auch mal anonym!

Was wir im Internet machen, sagt viel über uns aus. Die klar auf uns zugeschnittene Werbung, nachdem wir ein Produkt gegoogelt haben, ist das eine. Problematischer wird es, wenn Datenkraken diese Infos etwa

an Versicherungen oder Banken ver­ kaufen. Plötzlich gibt es dann keine Zusatzversicherung mehr, weil mein Kind sich für Risikosportarten inter­ essiert oder ständig schwere Krank­ heiten googelt. Bringen Sie also Ihrem Kind bei, zwei Browser zu nutzen – den regulären für ungefähr­ liche Anfragen und einen anonymen Browser für sensible Themen. Hell­ weg empfiehlt den Torbrowser: www. torproject.org.

5. Lerne zu löschen! Gerade Jugendliche sammeln gerne Apps auf ihrem Smartphone. >>>

Datenriesen verkaufen diese Infos über unser Netzverhalten weiter. Das kann problematisch werden.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 67


Digital & Medial

Ausgerechnet die Lieblings-App unserer Kinder, WhatsApp, ist des Datenschützers Alptraum.

>>> Hinter fast jeder App steckt auch eine Anmeldung zu einem Internetkonto. Je grösser der Speicher des Smartphones, umso grösser die Gefahr, dass nie aussortiert wird. Jede dieser Apps aber sammelt Daten. Machen Sie es sich also zur Gewohnheit, alle paar Monate mit Ihrem Kind dessen Apps durchzugehen und zu fragen: «Was benutzt du noch?» Was nicht gebraucht wird, wird gelöscht. Wichtig: Zuerst das Konto löschen – das geht meist innerhalb der App. Erst dann die App runterwerfen. Dasselbe gilt übrigens auch für Programme auf dem PC.

6. Sorgenkind WhatsApp Für Datenschützer wie Martin Hellweg ist ausgerechnet die Lieblings-­ App aller Jugendlichen ein Alptraum. WhatsApp ist so aufgebaut, dass es ohne den Zugriff auf alle Nummern im Telefonbuch nicht nutzbar ist. Und alle Daten laufen über Server fern der Heimat, die nicht dem Schweizer Datenschutz unterliegen. Ausserdem gehört das Netzwerk zu Facebook – und dass dieses Megaunternehmen mit den undurchdringlichen Datenschutzerklärungen die wertvollen Daten aus den scheinbar privaten Unterhaltungen nutzt, wissen wir spätestens, seit uns die Zustimmung zur Weiterleitung der WhatsApp-Daten an Facebook abgenötigt wurde. Sicherheitsexperte Hellweg empfiehlt daher ganz klar, auf die sicherere Variante Threema umzusteigen und dies auch allen Freunden zu raten. «Gerade bei Kindern ist der Zeitpunkt perfekt, weil sie sich in WhatsApp noch nicht 68

etabliert haben. Threema kann das Gleiche, speichert aber die Kontaktdaten nicht bei sich. Und wer WhatsApp schon hat, kann ja zunächst beide Messenger parallel nutzen – bis endlich alle die Notwendigkeit erkannt haben.» Hellweg gibt übrigens jedem Freund, der Threema installiert, einen Drink aus – das wirkt.

Kamera ein Leichtes. Auch beim Smartphone braucht es ein Bewusstsein dafür, dass dieses jederzeit spicken und die Bilder verbreiten könnte. Eine Klapphülle schützt vor dem ständigen Blick der Frontkamera, und wenn das Handy mit der Rückenkamera auf dem Tisch liegt oder in der Tasche bleibt, gibt das ebenfalls nur langweilige Bilder.

7. GPS ausschalten

10. D ie erste eigene E-Mail-Adresse

Viele Apps möchten über die Position des Handys Bescheid wissen. Beispiel Instagram: Wenn man es der App erlaubt, erstellt sie im Hintergrund eine Karte, die zeigt, wo welches Foto aufgenommen wurde. Und zwar auf die Hausnummer genau. Wer also oft zu Hause fotografiert, verrät auch seine Privatadresse. Was für Einbrecher besonders dann spannend ist, wenn plötzlich Ferien­ fotos live gepostet werden … Also: GPS-Nutzung nur den Apps erlauben, die diese auch wirklich brauchen – zur Navigation zum Beispiel. Oder GPS ganz ausschalten und nur anmachen, wenn man es gerade braucht. Das spart auch Akku.

8. Bist du es wirklich? Wenn jemand nach Informationen, Bildern oder gar Geld fragt, ist immer Skepsis angebracht. Selbst wenn die Nachricht vom Handy oder von der E-Mail-Adresse eines Freundes kommt. Handys können gestohlen und Mailkontos gehackt sein. Was hilft, ist die Bitte um einen kurzen Videochat. Oder man ruft auf dem Festnetz an, um nachzufragen.

9. G egen unerwünschte Einblicke … … hat Martin Hellweg ein einfaches Mittel: Kamera überdecken. Die Webcam an seinem Laptop ist mit einem kleinen Klebepunkt blockiert, den er nur abnimmt, wenn er die Kamera gerade benutzt. So kann ihn niemand in seiner Wohnung sehen, wenn er ihn nicht sehen soll – denn für Hacker ist das Aktivieren der

Diese sollte laut Martin Hellweg nicht von einem Gratisanbieter sein. Denn diese leben vom Auswerten der Informationen, die sie aus den privaten E-Mails ziehen und an grosse Anbieter verkaufen. Dazu werden sie immer wieder von Hackern geknackt, die damit Schlimmes anstellen können. Um das zu verhindern, reserviert man sich für wenig Geld eine eigene Domain, z. B. mit VornameNachname.ch, und richtet dort E-Mail-Adressen ein, also zum Beispiel Rolf@RolfMuster.ch. «Eine Webseite muss man nicht aufschalten – aber später wird der Jugendliche dankbar sein, wenn er eine seriö­ se Visitenkarte im Netz aufbauen möchte und die passende Domain schon besitzt», sagt Hellweg.

11. S pezialtipp: Tu nur, was du nicht lassen kannst! Wird aus dem Kind ein Jugendlicher, wird es immer wichtiger, an die eigene Zukunft zu denken. Bei Erwachsenen ist dies der erste Tipp, den Hellweg gibt: Bei allem Handeln abwägen, ob das digitale Risiko und die möglichen Kosten in einem gesunden Verhältnis zum Nutzen stehen. «Es ist manchmal erschreckend, dass wir für einen digitalen Kick bereit sind, uns eine mögliche Zukunft zu ruinieren», sagt Hellweg. Hier sieht er aber auch eine der grössten Herausforderungen für die Eltern – und deshalb steht der Tipp hier zum Schluss: Wie macht man Jugendlichen klar, dass ihr Handeln im Internet wie ein digitales Tattoo

Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Urlaub auf Familisch Mit der Nr. 1 für Familienferien ist? Das Bikinibild zu posten, mag sich für den Moment cool anfühlen und Komplimente einbringen. Aber das Bild kann einen auch ein Leben lang begleiten und ist potenziell für jeden sichtbar. Also fragen Sie Ihr Kind doch mal: «Würdest du dieses Bild auch im Grossverteiler platzieren, wo es dein Leben lang aufhängt?»

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Kaiserhof Familotel Tiroler Zugspitzarena

• Direkt im Wander- u. Almengebiet gelegen • Tägl. Kinder- u. Babybetreuung (66 Std./Wo.) • Wellness- & Spa-Bereich mit Pools u. Saunen • Ruhige Panoramalage mit Bergblick-Zimmern Diese Tipps stellen nur eine Auswahl dar. Wenn aus Kindern Erwachsene werden, werden nach und nach immer mehr Sicherheitstipps wichtig. 52 hat Martin Hellweg in seinem Buch zusammengefasst: Martin Hellweg: Safe Surfer. 52 Tipps zum Schutz Ihrer Privatsphäre im Digitalen Zeitalter. Econ, 2014. 190 Seiten, rund 18 Franken.

GEWINNEN SIE EIN ELTERNSEMINAR MIT MARTIN HELLWEG! Am Freitag, 7. April 2017, von 16 bis 19 Uhr gibt Martin Hellweg in Zürich gemeinsam mit dem Rechtsexperten Matthias Schwaibold einen Workshop für Eltern zur Internetsicherheit von Kindern. Hier können auch individuelle Bedenken und Probleme angesprochen werden. Und das Buch «Safe Surfer» gibt es noch obendrauf. Fritz+Fränzi verlost 15 Karten für den Workshop (im Wert von je 80 Franken für einen Elternteil oder 120 Franken für ein Elternpaar). Teilnahme auf www.fritzundfraenzi.ch/datenschutzseminar. Wer kein Glück hatte, kann auch Tickets kaufen auf: www.vbodyguard.com/elternseminar.

Inkl. AI alkoholfrei ab € 1.617 z. B. vom 15.06.–08.07.2017

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Martin Hellweg, geboren 1967, gründete 2007 den Virtual Bodyguard – eine Firma, die sich auf den Schutz der Privatsphäre spezialisiert hat. Privat bereist er die Welt und macht Musik.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 69

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Bei der Altersfreigabe von Büchern, Filmen oder Computerspielen gibt es teilweise erhebliche Unterschiede. Von Medium zu Medium. Von Kanton zu Kanton. Ein kurzer Einblick. Text: Michael In Albon

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ei Kinder- und Jugendbüchern fehlen verbindliche Vorgaben für die Altersempfehlung. Deshalb gilt in der Branche das Alter der Hauptperson einer Ge­­ schichte als gängiger Richtwert. Da­­ neben berücksichtigen Verlage für ihre Einstufung oft noch Handlung, Sprache, Thema und Komplexität des Buches. Für welche Altersstufe ein Kinofilm freigegeben wird, prüft die Schweizerische Kommission Ju­­ gendschutz (filmrating.ch). Sie unterscheidet dabei die Stufen 0, 6, 10, 12, 16 und 18 Jahre. Das klingt eindeutiger, als es in der Realität ist. Denn über die Altersempfehlungen von Kinofilmen setzen sich viele Kinobetreiber hinweg. So kann es sein, dass ein Film in St. Gallen und Luzern für Vierjährige zugelassen ist, in Bern für Sechsjährige und in Zürich erst für Achtjährige. Und bei Computerspielen? Hier gilt die Pan-European Game Information (PEGI), welche auch die wichtigsten Spielkonsolenhersteller wie Sony und Nintendo unterstützen. Die Symbole des PEGI-Einstufungssystems sind auf der Vorderund der Rückseite der Verpackung aufgedruckt und unterscheiden die Altersgruppen 3, 7, 12, 16 und 18. Sie weisen darauf hin, ob ein Spiel 70

Bild: Swisscom

Schützen Sie Ihre Kinder vor gefährdenden Inhalten?

nach Gesichtspunkten des Jugendschutzes für eine Altersgruppe ge­­ eignet ist oder nicht. Aber auch hier ist Vorsicht geboten: Die Freigabe in der Schweiz erfolgt nach dem PEGISystem, auf einer in Deutschland produzierten Spiele-DVD kann aber die Alterseinstufung der USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) mit einer anderen Empfehlung daherkommen. Altersfreigabe ist kein Gütesiegel

Ein Freigabe-Label bedeutet lediglich «schadet nicht»; zusätzliche inhaltliche Kriterien erhalten Eltern damit nicht. Nur ist es mit der Altersklassifizierung nicht getan. Das wissen Eltern meist aus Erfahrung: Jedes Kind entwickelt sich individuell, hat seinen eigenen Charakter. So hält manchmal ein dreijähriges Kind die Spannung einer Geschichte besser aus als ein sechsjähriges. Oder ein Zehnjähriger ist überfordert, wo ein Gleichaltriger unterfordert ist – beim selben Buch, Film oder Computergame. Inhaltliche Kriterien sind also nötig, um ein Produkt für Kinder oder Jugendliche als geeignet und gut zu bezeichnen. Bei allen Medien. Gut ist, wenn ein Produkt Themen aufgreift, mit denen sich Kinder und Jugendliche identifizieren können. Themen, die ihre Welt betreffen und

Kinder und Jugendliche bereichern. Auch Geschichten, die Mut machen, sind wichtig. Und solche, die Emotionen ansprechen und Fragen be­­ antworten, die Kinder und Jugendliche gerade umtreiben. Für Sie als Eltern heisst das weiterhin: Interessieren Sie sich für die Welt Ihrer Kinder – für ihre Bücher, Filme, Computerspiele. Fragen Sie nach und sprechen Sie darüber. Und machen Sie sich selbst ein Bild. Haben Sie Zweifel? Dann legen Sie das Produkt noch ein, zwei Jahre in den Schrank. Erziehen Sie Ihre Kinder zu wohlwollend kritischen Geistern. Und erleben Sie zusammen, wie man Inhalte kritisch hinterfragt und beurteilt. Immer wieder.

Michael In Albon

Michael In Albon ist Beauftragter Jugendmedienschutz und Experte Medienkompetenz von Swisscom.

Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive Lernmodule für den kompetenten Umgang mit digitalen Medien im Familienalltag. swisscom.ch/medienstark

Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Digital & Medial

«Oh nein, das frisst unser Papier auf!» Ein Faxgerät ist für ein 7-jähriges Kind in der heutigen Zeit halt ein Mysterium. Tweet von @neufelich

Sind Tiere gut für Kinder? Unser Redaktionshund Sukhi weiss, warum es Das Videointerview

Fritz+FränziApp laden, Seite te star n, diese scannen und rview das Video-Inte sehen.

für Familien ganz besonders wichtig ist, sich die Anschaffung eines Haustieres gut zu überlegen. Er selbst hat nämlich früher einer Familie gehört und wurde dann weggegeben, als er für die Kinder nicht mehr so interessant war. Und weil er sie heute noch vermisst, darf er unsere kleine Videoserie präsentieren. Wir haben David Naef vom Schweizer Tierschutz STS und vom Kinderclub KRAX getroffen und ihm neun Fragen zum Thema Haustiere und Familie gestellt. Von der Frage, ob Tiere überhaupt wichtig sind für Kinder, bis hin zur Frage, wie man den Tod eines Haustiers verarbeiten kann. Das Interview lief als Serie auf unserer Facebook-Seite www.facebook.com/fritzundfraenzi. Jetzt kann das ganze Interview in unserer App angesehen werden.

Jugend an die Kamera!

Bilder: ZVG

Jugendliche, die sich fürs Filmemachen oder einfach für spannende neue Produk­tionen von Gleichaltrigen interessieren, sind bei den Jugendfilmtagen vom 15. bis zum 19. März in Zürich eine wichtige Adresse. Bei diesem Event handelt es sich um das bedeutendste Kurzfilmfestival für junge Filmschaffende der Schweiz. An allen Tagen wird es spannende Kurzfilmvorführungen geben, ausserdem finden Workshops und Ateliers statt, in denen die Jugendlichen gegen einen kleinen Kostenbeitrag das Film­handwerk und die richtige Präsen­tation ihrer Filme erlernen können. Das Highlight ist natürlich die Preisverleihung, bei der auch das Publikum mitbestimmen darf. Anmeldung zu den Workshops und weitere Infos zum diesjährigen Programm auf jugendfilmtage.ch.

Serious Game: Der Datenschutz-Praktikant Wer nutzt eigentlich unsere Daten, was sollte man heraus­geben und was eher nicht? Im neuen Computerspiel DATAK wird der Spieler als Praktikant des Stadtpräsidenten eingestellt, er soll ihn bei Entscheidungen in Sachen Datenschutz unterstützen. Dabei helfen ihm diverse Youtube-Stars mit Sicherheitstipps – und natürlich das eigene Gespür. Die Aufgaben sind ganz schön knifflig, denn alle Daten einfach zu verweigern, macht unbeweglich und wird teuer. Wir wurden schon nach drei Tagen im Amt wieder vor die Tür gesetzt – wie lange halten Sie durch? Wie lange Ihre Kinder? Das Spiel soll ohne Zeigefinger sensibilisieren und wird von der Plattform jugendundmedien.ch unterstützt. rts.ch/datak

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 71


Service

Vielen Dank

an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:

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Dr. iur. Ellen Ringier Walter Haefner Stiftung

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Impressum 17. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich Herausgeber Stiftung Elternsein, Seehofstrasse 6, 8008 Zürich www.elternsein.ch Präsidentin des Stiftungsrates: Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch, Tel. 044 400 33 11 (Stiftung Elternsein) Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder, ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 01 01 Redaktion redaktion@fritzundfraenzi.ch Chefredaktor: Nik Niethammer, n.niethammer@fritzundfraenzi.ch Verlag Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,

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Auflage (WEMF/SW-beglaubigt 2015) total verbreitet 103 920 davon verkauft 17 206

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Inhaltspartner Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation / Forum Bildung / Elternnotruf / Pro Juventute / Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich / Schweizerisches Institut für Kinderund Jugendmedien

Stiftungspartner Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule Zürich / Schweizerische Vereinigung der  Elternorganisationen / Marie-Meierhofer-Institut für das Kind / Schule und Elternhaus Schweiz / Schweizerischer Verband alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV / Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband Kinderbetreuung Schweiz

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Buchtipps

Der exakte Situationsplan der beiden Detektivinnen zum Mord im Internat.

Miranda Lux – Denken heisst Zweifeln oder warum jede Geschichte zwei Seiten hat Als Mitglied des Zweifelwerks ist Miranda Lux Verschwörungen und falschen Wahrheiten auf der Spur. Die skurrilen Charaktere werden von Oliver Schlick mit so viel Witz geschildert, dass grösster Lesespass garantiert ist. Ueberreuter, 2016, Fr. 23.90, ab 12 Jahren

Rätsel lösen, Geheimnisse lüften – nichts ist spannender! Neben Krimiserien für Kinder machen auch andere Formate kleineren und grösseren Spürnasen Lust aufs Zweifeln, Rätseln und Mitfiebern.

Endlich ein richtiger Fall! Zwei Schülerinnen und ihr Detektivbüro.

Bilder: ZVG

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chuluniformen und Ge­­ heimgänge, heimliche Mitternachtspartys in den Schlafsälen, eine Franzö­ sischlehrerin, die Mamsell genannt wird – ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Aber: Was einen in die Welt von «Hanni und Nanni» und Enid Blytons weiteren britischen Internatsgeschichten zurückkatapultiert, wird in «Mord ist nichts für junge Damen» mit einer Prise Sherlock Holmes und Agatha Christie gewürzt. Denn Hazel Wong und Daisy Wells, Schü­ lerinnen des ehrenvollen Mädchen­ instituts Deepdean im England der 1930er-Jahre, betreiben ein Detek­ tivbüro. Bisher hatten sie allerdings leider nie einen richtigen Fall zu lösen, bis Hazel eines Abends die

Leiche von Miss Bell findet – die kurz darauf wie vom Erdboden ver­ schluckt ist! Unter Umgehung aller strengen Internatsregeln lösen die beiden den Fall. Eine Lehrperson nach der anderen gerät ins Visier der Mädchen, die nicht merken, dass Gefahr von ganz oben droht … Autor Robin Stevens lehnt sich lustvoll an bekannte Schul- und Kri­ minalgeschichten an. Trotzdem weht in «Mord ist nichts für junge Damen» auch ein neuer Wind. Denn während bei Enid Blyton Schülerinnen aus dem Ausland als Exotinnen kritisch beäugt werden, ist hier Hazel, die aus Hongkong kommt, selbst die Erzählerin der Geschichte und kann ihren Gefüh­ len und Erlebnissen eine eigene Stimme geben.

Eine heisse Spur für ­Kommissar Maroni Mit seinen RätselbildKrimis war Jürg Obrist jahrelang im Schülermagazin Spick vertreten. Im neusten Buch über Kommissar Maroni laden 40 Minikrimis zum genauen Hinschauen und Miträtseln ein. dtv, 2016, Fr. 19.90, ab 8 Jahren

Robin Stevens: Mord ist nichts für junge Damen. Knesebeck, 2016, Fr. 19.90, ab 11 Jahren

Kellerkind Nürnberg, 1828: Ein unbekannter junger Mann taucht auf dem Marktplatz auf. Wo kommt er her? Kristien Dieltiens erzählt packend und aus einer ungewohnten Perspektive die Geschichte von Kaspar Hauser neu. Urachhaus, 2016, Fr. 28.90, ab 14 Jahren

Verfasst von Elisabeth Eggenberger, Mitarbeiterin des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien SIKJM. Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind weitere ­B­uch­empfehlungen zu finden.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  Februar 2017 73


Eine Frage – drei Meinungen

Ich möchte mit meinen Kindern, 5 und 7, ein Tischgebet sprechen. Mein Mann kann mit Religion überhaupt nichts anfangen, meint, ich beeinflusse meine Kinder religiös. Wie soll ich mich verhalten? Deborah, 44, Langenthal BE

Nicole Althaus

Religion sitzt tiefer, als man vermutet. Das merkt man spätestens, wenn mit den eigenen Kindern plötzlich das Bedürfnis nach Ritualen wieder hochkommt. Ich gehe in Anbetracht der Religions­ müdigkeit Ihres Mannes davon aus, dass Ihre Kinder nicht getauft sind und Sie auf weitere kirchliche Rituale verzichten werden. Da wird ein Tischgebet, das ja in erster Linie Ausdruck der Dankbarkeit ist, umgekehrt Ihren Mann auch nicht umbringen. Der erste Satz muss ja nicht unbedingt mit «Lieber Gott» beginnen.

Tonia von Gunten

Ich erachte es als eine wert­ volle Aufgabe der Eltern, ihren Kindern die eigenen wichtig erscheinenden Werte mit auf den Weg zu geben. Tun Sie, was Sie für richtig halten! Solange in der Familie jeder seine eigene Meinung äussern darf, ist alles in Ord­ nung: Sie wollen am Tisch beten – Ihr Mann will es nicht. Also beten Sie! Was mich noch interessieren würde: Was wollen denn die Kinder?

Peter Schneider

Nicole Althaus, 48, ist Kolumnistin, Autorin und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am Sonntag». Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir eltern» und hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.ch» initiiert und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter von zwei Kindern, 16 und 12. Tonia von Gunten, 43, ist Elterncoach, Pädagogin und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein Programm, das frische Energie in die Familien bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern, 10 und 7. Peter Schneider, 59, ist praktizierender Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent für klinische Psychologie an der Uni Zürich und ist Professor für Entwicklungspsychologie an der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines erwachsenen Sohnes. Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: redaktion@fritzundfraenzi.ch

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Februar 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO

Die Vorstellung Ihres Mannes, man könne es mit gebührender Vorsicht ver­ meiden, seine Kinder zu beeinflussen, ist nachgerade niedlich. Und die neue Panik von Ungläubigen vor jed­ weder Frömmigkeit steht der alten Panik der Gläubigen vor dem Gottseibeiuns fast schon in nichts mehr nach. Also: Wenn Ihnen ein Tischgebet wichtig ist, dann beten Sie mit Ihren Kindern. Ihr Mann kann ja seiner­ seits dazu säuerlich schweigen und dadurch seinen ihm als Beeinflussungsberechtigtem zustehenden Anteil neutralisierender Gegenbeeinflussung leisten. Und in zwanzig Jahren sehen Sie dann, wer gewonnen hat.


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Ruf Lanz

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