Fr. 7.50 6/Juni 7/Juli 2017
Kämpfe am Esstisch Warum kein Kind gezwungen werden sollte, Gemüse zu essen Nach der Trennung Was passiert, wenn die Kinder beim Vater bleiben?
Pflegefamilien
Eltern auf Zeit
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Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser
Bild: Geri Born
«Fritz und Fränzi sind schulpflichtige Kinder. Hausaufgaben, Lernschwächen, Sackgeld, Gewalt, Drogenkonsum, Freizeitgestaltung, Ernährung – was vom ersten Schultag bis zur 9. Klasse Thema werden kann, sind die Inhalte dieses neuen Magazins.» Mit diesen Worten begrüsste Ellen Ringier, Präsidentin der Stiftung Elternsein und Herausgeberin von Fritz+Fränzi, die Leserinnen und Leser der ersten Ausgabe. Das war im September 2001. Die Kernaussage der Titelgeschichte («Armutsrisiko Kinder. Was sie kosten, fordern und verprassen») lautete: «Ein Teenager kostet rund 700 Franken im Monat.» (Heute betragen die direkten Kinderkosten laut Bundesamt für Statistik bei Paaren mit einem Kind durchschnitt Nik Niethammer lich sogar 942 Franken pro Monat.) Weitere Themen im ersten Heft: Chefredaktor «Buben sind anders, Mächen auch. Sind diese Unterschiede vererbt oder anerzogen?». (In der modernen Verhaltensforschung geht man davon aus, dass jegliches Verhalten eine genetische Grundlage hat und gleichzeitig durch Umwelteinflüsse moduliert wird.) Und der Kinder arzt Remo Largo prangerte den Leistungsdruck an, der von der Schule und den Eltern ausgeht. (In diesen Tagen hat Largo sein neustes Buch veröffentlicht: «Das passende «Wir glauben immer noch, Leben. Was unsere Identität ausmacht und wie wir eine erfolgreiche sie leben können». Seine Kritik an der Bildungs Lebensbewältigung hänge von politik ist ungebrochen: Sie sei eine Planwirtschaft, die Ziele durchsetze, wie etwa den Lehrplan 21 Wissen und Fertigkeiten ab. oder Frühfranzösisch – obwohl das den Kindern In der Vergangenheit war dies nicht entspreche. «Deshalb leiden schon Jugendli zweifelsohne der Fall, das gilt che an Burnout», so Largo.
Fritz+Fränzi 1/2001 Thema: Armutsrisiko Kinder Nach der Erstausgabe im September 2001 erschien im Dezember die zweite Ausgabe. Bis 2009 waren es jeweils sechs Hefte pro Jahr, seit 2010 sind es zehn.
aber nicht für die Zukunft.»
Mit diesem Heft halten Sie die 125. Ausgabe von Fritz+Fränzi in den Händen. Die Themen, die Eltern von schulpflichtigen Remo Largo, Frit+Fränzi, September 2001. Kindern während den letzten 16 Jahren umtrieben, sind weit gehend dieselben geblieben. Einzig die Herangehensweise hat sich im Lauf der Jahre verändert. Heute ist der Wunsch nach Meinung, Erklärung und Analyse, die Sehnsucht nach Einordnung so gross wie nie. Wir betreiben keine Problembewirtschaftung, erheben nie den Zeigefinger, versprechen keine schnelle Lösung. Wir versuchen ernsthaft, sorgfältig und nachhaltig zu recher chieren, nehmen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, ernst und versuchen bei jedem noch so schwierigen Thema eine Botschaft zu vermitteln: Bei aller Anstrengung macht es grosse Freude, Eltern zu sein. Im Namen von Verlag und Redaktion danke ich Ihnen herzlich für Ihr Interesse und Ihre Treue. Mit dieser Doppelnummer wünsche ich Ihnen viel Lesevergnü gen. Die nächste Ausgabe von Fritz+Fränzi erscheint am 15. August. Bis dahin angenehme Tage. Kommen Sie gut durch den Sommer. Und bleiben Sie munter. Herzlichst – Ihr Nik Niethammer
850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org
Inhalt Ausgabe 6/Juni 7/Juli 2017
Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf fritzundfraenzi.ch und
facebook.com/fritzundfraenzi.
Psychologie & Gesellschaft 40 O h du lange Ferienzeit Die wenigsten Eltern haben 13 Wochen Ferien im Jahr. Sie sehen sich in dieser Zeit mit einem Betreuungsnotstand konfrontiert. Ein Lösungsansatz.
Augmented Reality Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und Zusatzinformationen zu den Artikeln.
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Dossier: Pflegefamilien 10 In guten Händen In der Schweiz wohnen 15 000 Kinder nicht bei ihren Eltern. Wie lebt es sich in einer Pflegefamilie? Eine Annäherung.
30 Wie die Pflege gelingt Wenn Kinder ihre Eltern verlassen müssen, ist das eine Katastrophe, weiss Irmela Wiemann. Wie diese überwunden wird, sagt die Familientherapeutin im Interview.
Bild: Gabi Vogt / 13 Photo
Cover Lilly Kahler und Roger Gyger freuen sich über Shana – seit jenem Tag, an dem das Mädchen zu ihnen kam. 4
Bilder: Gabi Vogt / 13 Photo, Regina Hügli / 13 Photo, Herbert Zimmermann / 13 Photo
18 Wie werden wir Pflegeeltern? Sowohl Paare als auch Einzelpersonen können sich um ein Pflegekind bemühen. Dafür müssen sie aber einige Bedingungen erfüllen.
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Marguerite Dunitz-Scheer, müssen unsere Kinder mehr Gemüse essen?
Bradie und Quentin leben beim Vater. Geht das gut? Sehr sogar, sagen die Buben.
Fritz+Fränzi: ein Magazin und seine Erfolgsgeschichte.
Erziehung & Schule
Digital & Medial
38 Feriengrüsse Ob mit einer Postkarte oder einer Einladung zur Gartenparty, der Sommer bietet viele Möglichkeiten für Kinder, das Schreiben zu üben.
80 B ibliotheken 2.0 Laut der aktuellen JAMES-Studie gehen bei uns nur zwei Prozent der Jugendlichen in eine Bibliothek. Wirklich? Wir haben nachgefragt.
54 Fabian Grolimund Sollen wir unsere Kinder belohnen?
44 Eine Glaubensfrage Welcher Religion Kinder angehören, bestimmen in den ersten Jahren die Eltern.
84 D ie Sache mit dem Smartphone Viele Kinder können sich kaum vom Handy lösen. Viele Eltern auch nicht – sagen ihre Kinder. Das sollte sich ändern.
48 Sprachenstreit Bei der Frage, ob Frühfranzösisch sinnvoll ist, scheiden sich die Geister. Beat Zemp vom LCH hat da eine ganz klare Meinung. 50 Förderbedarf Wie lernschwachen Schülern in einer Regelklasse geholfen wird. 56 «Wir wollen bei Papi wohnen!» Was ist, wenn die Kinder nach der Trennung beim Vater bleiben? Ein Hausbesuch. 70 Zum 125. Mal Fritz+Fränzi Ellen Ringier über ihr Herzensprojekt.
66 Leserbriefe 68 Michèle Binswanger Unsere Kolumnistin über eine Verfehlung ihres Sohns. 90 Eine Frage – drei Meinungen Ein Kind leidet unter der Abwesenheit des Vaters. Was könnte ihm helfen?
Rubriken
Service
03 Editorial
68 Verlosung
06 Entdecken
77 Abo
32 M onatsinterview Familien müssten zurückfinden zu einem gesunden Ernährungsstil, sagt die Ernährungsexpertin Marguerite Dunitz-Scheer.
86 Unser Wochenende in ... … Liechtenstein
42 Jesper Juul Der Familientherapeut über die Signale unserer Kinder – und wie wir diese richtig deuten.
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88 Sponsoren/Impressum 89 Buchtipps
Die nächste Ausgabe erscheint am 15. August 2017.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 5
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Flinke Musiker Ein Musikinstrument zu spielen, trainiert das Reaktionsver mögen. Forscher der kanadi schen Université de Montréal unterzogen 16 langjährige Musi ker und 19 Nichtmusiker einem Reaktionstest. Sie mussten so schnell wie möglich die Maus taste am PC klicken, sobald in der anderen Hand ein Summer vibrierte, es vor ihnen piepste oder beides. In allen Fällen schalteten die Musiker flinker.
3 FRAGEN an Urs Rietmann
Das Kindermuseum Creaviva im Zentrum Paul Klee in Bern hat vor Kurzem seinen 100 000. Besucher gefeiert. Inwiefern sich die Ansprüche der jungen Kunstinteressierten seit den Anfängen des Creaviva verändert haben, weiss Museumsleiter Urs Rietmann. Interview: Evelin Hartmann Urs Rietmann, was erwartet junge Besucher im Creaviva? Wir sind ein Ort lebendiger Kreativität. Unterschiedliche Angebote sollen inspirierende Ausflüge in die Welt der Kunst ermöglichen. Im offenen Atelier beispielsweise können unsere Gäste unter der Anleitung einer Kunstvermittlerin jeden Tag selber kreativ werden. Kürzlich konnten Sie den 100 000. Knirps in einem Schulworkshop begrüssen. Wie haben sich die Ansprüche Ihrer Zielgruppe im Laufe der Zeit verändert? Wir stellen über die Jahre eine Verschiebung der Erwartungshaltung fest: weg vom eigenen Tun, hin zum Konsum. Viele Kinder, aber auch Erwachsene sind unverbindlich, lustbetont und unterhaltungsfixiert. Als wären wir eine Playstation. Wir gehen einen etwas anderen Weg. Gleichzeitig sind unsere Gäste dann aber doch begeistert, wie viel Spass ihnen das eigene schöpferische Schaffen machen kann, beispielsweise in einem Ferienkurs. Sind denn noch Plätze frei im Ferienprogramm? Absolut! Das offene Atelier steht jeden Tag drei Mal ohne Voranmeldung offen, ebenso unsere kostenlosen interaktiven Angebote. Auch in unseren Ferienkursen sind noch Plätze zu haben. www.creaviva-zpk.org
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2016 wurden insgesamt
71 Masern-Fälle
in der Schweiz gemeldet. Im April des aktuellen Jahres war die Zahl bereits bei
69.
(Quelle: Beitrag «Masern in der Schweiz stark auf dem Vormarsch» von tagesanzeiger.ch)
Digitale Nachtschwärmer Einer von fünf Jugendlichen wacht offenbar nachts regelmässig auf, um in den sozialen Medien Nachrichten zu checken und zu senden. Dies ergab eine britische Studie. Hierfür befragten Psychologen mehr als 900 Schülerinnen und Schüler zwischen 12 und 15 Jahren nach ihren Schlafgewohnheiten und der Zufriedenheit mit ihrem Leben. Die nachtaktiven Social-MediaFans hatten eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, sich tagsüber müder, unwohler und unzufriedener zu fühlen als ihre durchschlafenden Altersgenossen.
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Bilder: Kindermuseum Creaviva, Stephan Rappo / 13 Photo
«Wir sind keine Playstation»
Noé Hürlimann, Bio-Nachwuchsbauer aus Damphreux.
Für die Liebe zur Natur. Naturaplan steht für echten und natürlichen Genuss. Denn jedes Naturaplan-Produkt ist wie ein Kuss von Mutter Natur. Als Bio-Pioniere lancierten wir 1993 die erste Bio-Marke des Schweizer Detailhandels. Heute bietet Naturaplan das grösste Bio-Sortiment der Schweiz. Und das wird auch in Zukunft so bleiben. Dafür stehen wir zusammen mit den nächsten Generationen von Bio-Bauern. Für die Liebe zur Natur. www.naturaplan.ch
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 7
Entdecken
Ein Tag für die Familie Wie fährt sich eigentlich ein Elektroauto? Noch nie am Steuer gesessen? Dann sollten Sie in den Ferien einen Ausflug nach Spreitenbach einplanen. In der Umwelt arena finden vom 15. Juli bis 20. August die Family Days mit einem grossen IndoorParcours statt. Neben den Neuheiten auf dem Elektroauto-Markt stehen hier auch Tret-Karts, E-Bikes, E-Scooter und Kickboards für die jüngeren Besucher bereit. Diese dürfen sich ausserdem über Führungen durch die Ausstellung «Der Dachs, der bekannte Unbekannte» und eine Bastelwerkstatt freuen. Alle Infos auf www.umweltarena.ch
Abtauchen in die digitale Welt Wie programiere ich? Was sind
Algorithmen und digitale Tools? Laut einiger namhafter Experten sind dies die Fertigkeiten und Begriffe, die unsere Kinder in Zukunft brauchen werden. Digitalswitzerland bietet in seiner Initiative «nextgeneration» Sommercamps an, in denen Kinder und Jugendliche digitale Kompetenzen erwerben und vertiefen sollen. Und nicht nur das, die jungen Teilnehmer sollen ebenso in Problemlösung, Kommunikation, Teamarbeit und Leadership geschult werden. Natürlich altersgerecht und spielerisch. Schliesslich sind Ferien. Alle Infos und Preise auf www.digitalswitzerland.com
Silvia Steiner in einem Interview auf tagesanzeiger.ch über die hohe Durchfallquote in der Probezeit an manchen Zürcher Gymnasien.
Silvia Steiner ist Bildungsdirektorin des Kantons Zürich und Mitglied der CVP.
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Kultige Agenda Was ist «Nacht-Golf»? Wie reitet man ein Pferd trotz Sehbehinderung? Und was sind eigentlich die belieb testen Sportarten junger Schweizerinnen und Schweizer? Die neue PestalozziAgenda ist auf dem Markt, das Thema zum Schuljahr 2017/18: Sport, in all seinen Facetten. Von spannenden Sportler-Porträts über Ernährung und Gesundheit bis hin zu mehr Bewegung im Alltag. Der kultige Schülerkalender begleitet Jugendliche seit Generationen durch den Schulalltag und ist für rund 16 Franken in den meisten Buchhandlungen zu haben. www.pestalozziagenda.ch
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Bilder: Digital Switzerland, Umweltarena.ch, ZVG
«Meine Eltern konnten mich im Gymnasium auch nicht selber unterstützen und mussten sich Hilfe organisieren. Wenn dies für Eltern nicht möglich ist, stehen der Staat, die Schulen in der Pflicht.»
Rubrik
DER NEUE TOYOTA
PROACE VERSO RAUM UND SICHERHEIT FÜR IHRE FAMILIE. AB CHF 33’600.– *
TOYOTA.CH OB FÜR DIE FAHRT IN DIE FERIEN ODER FÜR EINEN GROSSEINKAUF – DER NEUE TOYOTA PROACE BIETET IHNEN UND IHRER FAMILIE GENAU DEN RAUM, DEN SIE SICH SCHON IMMER GEWÜNSCHT HABEN. DIE KOMPLETTE SICHERHEITSAUSSTATTUNG UND INTELLIGENTE DETAILS, WIE BEISPIELSWEISE DER FUSSSENSOR ZUM ÖFFNEN DER ELEKTRISCHEN SCHIEBETÜRE , MACHEN AUS IHM EINEN FAMILIENFREUND, DEN SIE NICHT MEHR MISSEN MÖCHTEN. * Empf. Netto-Verkaufspreis nach Abzug der Cash-Prämie, inkl. MwSt. Proace Verso L0 Shuttle, 2,0 D-4D, M / T, 110 kW, Ø Verbr. 5,3 l / 100 km ( Benzinäquivalent 5,9 l / 100 km ), CO ₂ 139 g / km, CO ₂–Emissionen aus Treibstoff- und / oder Strombereitstellung 23 g / km, En.-Eff. D, CHF 37’600.– abzgl. CHF 4’000.– Cash-Prämie = CHF 33’600.–. Abgebildetes Fahrzeug : Proace Verso L1 Family, 2,0 D-4D, M / T, 110 kW, Ø Verbr. 5,3 l / 100 km ( Benzinäquivalent 5,9 l / 100 km ), CODas ₂ 139Schweizer g / km, CO ₂–Emissionen aus Treibstoffund / oder Strombereitstellung 23 g / km, En.-Eff. C, CHF 47’400.– abzgl. CHF 4’000.– Cash-Prämie = CHF 43’400.–. Ø CO ₂-Emission aller in der Schweiz immatrikulierten Fahrzeugmodelle : ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 9 134 g / km. Die Verkaufsaktionen sind gültig für Vertragsabschlüsse mit Inverkehrsetzung vom 1. Mai 2017 bis 30. Juni 2017 oder bis auf Widerruf. Die Abbildung zeigt aufpreispflichtige Optionen.
In guten Händen In der Schweiz leben rund 15 000 Kinder in Pflegefamilien und Heimen. Wer sind sie? Warum wachsen sie nicht bei Vater und Mutter auf? Und wie fühlt sich das an: Eltern auf Zeit? Eine Spurensuche. Text: Bettina Leinenbach Bilder: Gabi Vogt / 13 Photo
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Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier
Weil sich ihr Sohn nach der Scheidung nicht um seine Tochter kümmern konnte, nahmen Ines und Edi Schmid ihr Enkelkind Siriwan in Pflege.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 11
Dossier
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Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier
Ein Kind gehört zu seinen Eltern, aber es gehört ihnen nicht.
W Heute lebt Siriwan in Zürich. Ihren leiblichen Vater sieht sie nur noch selten.
er Familie hat, weiss: Es läuft nicht immer alles rund. Das Kind entwi ckelt seine eigene Persönlichkeit, wächst den Eltern über den Kopf. Der negative Einfluss von Freunden bereitet Probleme, die Schule, die Berufswahl. Meistens jedoch gelingt es Eltern, ihren Kindern ein gutes Zuhause zu bieten. In der Schweiz haben alle Min derjährigen ein Anrecht darauf, von den Menschen, die sich um sie küm mern, gut versorgt, gefördert und geschützt zu werden. Sind Mama und Papa mit dem Elternjob der massen überfordert, dass das Wohl eines Kindes gefährdet ist und es sich nicht angemessen entwickeln kann, ist der Staat verpflichtet, ein zugreifen. Der Begriff «Gefährdung» ist in diesem Zusammenhang weit gefasst. In den meisten Fällen finden sich auf Seiten der Eltern mehrere Faktoren, die zusammengenommen eine Kri se auslösen können: Überforderung,
psychische Labilität, Krankheit, niedriges Bildungsniveau, kein so ziales Netzwerk am Wohnort, Tren nung vom Partner, von der Partne rin, Verschuldung, Alkohol- und Substanzmissbrauch, Kriminalität und so weiter. Ein Teil der Mütter und Väter hat einen Migrationshintergrund, aber oft genug sind die strauchelnden Eltern auch Schweizer. Im schlimms ten Fall entlädt sich die Wut über das eigene Scheitern am Kind, manch mal muss es auch mit ansehen, wie beispielsweise der Vater die Mutter schlägt. Eine weitere Form der Ver nachlässigung liegt vor, wenn das Kind keinen geregelten Tagesablauf hat, wenn es häufig alleine gelassen wird und niemand an seinem Bett sitzt, wenn es krank ist. Vorausge setzt, da ist überhaupt ein Bett. Falls die Herkunftsfamilie ihren Auftrag nicht erfüllen kann, über nimmt der Staat symbolisch die Sor ge für den jungen Menschen, steht ihm bei und nimmt seine Interessen wahr. Vertreten wird er in dem Fall durch die Kindes- und Erwachse nenschutzbehörde (KESB). Dort arbeiten Pädagogen, Psychologen, Sozialarbeiter und Juristen Seite an Seite. Geht eine Meldung ein, ist die Behörde verpflichtet, dieser nachzu gehen. Die Fachleute klären nicht nur ab, sie beraten, begleiten und unterstützen die Mütter und Väter auch, damit diese ihren Alltag mit den Kindern besser meistern kön nen. In vielen Fällen gelingt die Intervention durch die KESB und die sozialen Dienste. Denn: >>> Lesen Sie bitte weiter auf Seite 17
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Dossier
Die Grosseltern übernahmen Siriwan Schmid ist 16 Jahre alt, sie lebt bei ihren Grosseltern Ines, 76, und Edi Schmid, 74, in Zürich. Wenn Siriwan ihre Augen schliesst, kommen die Erinnerungen. Nicht wie in einem Spielfilm, eher wie bei einem Diavortrag: Regenzeit, wunderschönes Land, grüne Hölle, Blechhütten, Habseligkeiten, wieder eine neue Schule, alleine sein, Papi, bekannte und unbekannte Gesichter. Die heute 16-Jährige hat die ersten acht Lebensjahre im Nordosten Thailands verbracht. Anfangs noch mit ihrer thailändischen Mutter und ihrem Schweizer Vater, doch sehr bald war sie auf sich alleine gestellt. Zumindest hat es sich für das Mädchen immer mal wieder so angefühlt. Siriwans Papi bekam nach der Trennung der Eltern zwar das Sorgerecht für sie, aber er war nicht wie andere Väter. Heute wissen Ines und Edi Schmid, warum ihr einziger Sohn seine Lehre abbrach und als 18-Jähriger die Idee hatte, nach Thailand auszuwandern. Sie verstehen nun auch besser, wieso er dort überstürzt heiratete, immer neue, abenteuerliche Geschäftsideen entwickelte und warum es ihm nicht gelang, mit dem Geld, das sie ihm regelmässig schickten, zu haushalten. Siriwans Vater war und ist nicht charakterschwach, sondern psychisch krank. Seit Kurzem hat das Leiden auch einen Namen: Schizophrenie. In akuten Krankheitsphasen verliert der mittlerweile 36-Jährige den Bezug zur Realität, fühlt sich verfolgt und bricht alle Brücken hinter sich ab. Oder er greift zur Flasche.
Damals, in Thailand, als der junge Mann verzweifelt versuchte, sein Leben in den Griff zu bekommen und seinem Kind ein guter Vater zu sein, muss er gespürt haben, wie aussichtslos seine Situation war. Ines und Edi Schmid flogen so oft wie möglich nach Asien. Zeit nur für Siriwan, regelmässige Mahlzeiten, GuteNacht-Geschichten auf Züritüütsch. Wenn der Moment des Abschieds kam, brach für das Kind jeweils eine Welt zusammen. Zwei Mal durfte es alleine nach Zürich fliegen und jeweils für drei Monate bei den Grosseltern bleiben. Obwohl Siriwan ihren Papi vermisste, fühlte sie sich bei ihnen geborgen. Gegen Ende des zweiten Aufenthaltes hoffte das Kind auf ein Wunder. Das Wunder kam, je nach Perspektive war es aber gleichzeitig die Katastrophe. Siriwans Vater rief wenige Tage vor dem geplanten Rückflug in der Schweiz an. Er wirkte instabil. Als er seine Eltern bat, die Tochter nicht wieder in den Flieger zu setzen, fackelten die ehemalige Kindergärtnerin und der frühere Elek tromonteur nicht lange. Sie beschlossen noch in derselben Nacht, offiziell die Pflegschaft für ihre Enkelin zu beantragen. Siriwan war im ersten Moment einfach nur erleichtert, die Traurigkeit kam erst später dazu. Das Mädchen wurde in Zürich eingeschult, kam zur Ruhe und hatte nun ein echtes Zuhause. Anfangs skypte es sehr oft mit seinem Vater, doch mit der Zeit zog es sich mehr und mehr zurück. Die Jahre in Thailand, das Alleinsein, die Alkoholexzesse des Vaters, seine Aggressionen – all das hatte Spuren in Siriwans Seele hinterlassen. Die junge Frau mit den ausdrucksstarken Augen ist immer noch in Therapie. Je älter sie wird, desto besser versteht sie, was damals geschehen ist. Aber viele ihrer Fragen
Die Grosseltern füllen die Elternrolle – trotz ihres Alters – voll und ganz aus. 14
bleiben unbeantwortet. Zu ihrer Mutter hat sie keinen Kontakt, und die Begegnungen mit ihrem Vater seitdem kann sie an einer Hand abzählen. Gerade ist er wieder in der Schweiz, wird stationär in der Psychiatrie behandelt. Es ist sein altes Muster: Wenn er eine schwere Krise hat, kommt er heim. Sobald es ihm etwas besser geht, flüchtet er nach Asien. Ines und Edi Schmid besuchen ihren Sohn regelmässig. Er fragt nach seiner Tochter. Die beiden Senioren müssen dann jeweils erklären, warum Siriwan nicht mitgekommen ist. Meistens versteht er. Wenn man erlebt, wie liebevoll die drei miteinander umgehen, wie selbstverständlich sie über die Vergangenheit, das Jetzt und die Zukunft sprechen, hat man das Gefühl, dass diese Geschichte sich zum Guten gewendet hat. Die Grosseltern haben die Elternrolle nicht nur angenommen, sondern – trotz ihres Alters – komplett ausgefüllt. Als Siriwan Schlittschuhlaufen lernen wollte, gingen Ines und Edi selbstverständlich mit ihr aufs Eis. Und wenn an der Kantonsschule Elternabend ist, dann sitzen die beiden zwischen den anderen Eltern. Die Grosseltern wissen, dass Siriwan für ihr Leben gerne Klavier spielt, wie wach ihr Verstand und wie gross ihr Herz ist, und dass sie nicht besonders gerne über ihre Geschichte spricht. Obwohl der Teenager die Pflegeeltern jung hält, ist allen bewusst, dass sich das Blatt wenden kann. Doch Ines und Edi Schmid haben vorgesorgt. Wenn sie nicht mehr in der Lage sein sollten, umfassend für die Enkelin da zu sein, wird Ines Schmids Bruder mit seiner Familie übernehmen. Siriwan ist mit dieser Variante einverstanden, denn sie weiss, dass das keine Notlösung wäre.
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Schmids sorgen nicht nur für ihre Enkelin, sondern kümmern sich auch um ihren kranken Sohn.
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In der Schweiz lebt jedes hundertste Kind im Heim oder bei einer Pflegefamilie.
>>> Die meisten Eltern wollen das Beste für ihre Kleinen. Manchmal fruchten die Hilfsmassnahmen aber nicht oder nur teilweise. Dann kann es passieren, dass die Behörden zum Schluss kommen, dass es besser ist, ein Kind vorübergehend oder dauerhaft aus der Herkunftsfamilie herauszunehmen. Bis eine solche Fremdunterbringung vorgenommen wird, vergeht Zeit. Nur, wenn Gesundheit und Leben des Kindes akut gefährdet sind, wenn es misshandelt oder missbraucht wird oder wenn es komplett sich selbst überlassen ist, muss es schnell gehen. Sorge um das Wohl des Kindes
Fatima Walser gab ihre Tochter Shana in Pflege, als diese zwei Jahre alt war.
Auch der umgekehrte Weg ist denkbar. Nicht selten wenden sich Eltern, die am Anschlag sind, an die Behörden und bitten um Hilfe. Das erfordert nicht nur Mut und die Fähigkeit, über die eigene Situation nachzudenken. Es ist auch ein eindrücklicher Beweis dafür, dass Mama und Papa sehr wohl um ihr Kind und sein Wohl besorgt sind. In der Schweiz leben schätzungsweise 15 000 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien oder Heimen statt bei ihren leiblichen Eltern; mit anderen Worten jedes hundertste Kind. Während Teenager eher in Einrichtungen unterkommen, hat sich gerade bei jüngeren Kindern das Pflegefamilien-Modell bewährt. Dabei übernehmen andere Erwachsene im Alltag die Aufgaben, die eigentlich Elternsache wären. Die Gründe liegen auf der Hand: Je jünger ein Mensch ist, desto eher ist er noch in der Lage, sich an wei-
tere Personen zu binden. Ausserdem haben vor allem Kleinkinder ein anderes Zeitgefühl, ein Jahr fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Von Fall zu Fall können ganz unterschiedliche Arrangements sinnvoll sein. Neben der Dauerpflege, bei der das Kind komplett in der neuen Familie lebt, gibt es auch die sogenannte Wochenpflege, bei der es samstags und sonntags in die Herkunftsfamilie zurückkehrt. Eine Kurzzeitpflege kann nötig werden, wenn die Eltern beispielsweise erkranken oder in ganz seltenen Fällen in Untersuchungshaft kommen. Weitere Modelle wie die Entlastungspflege zielen darauf ab, Mama und Papa in lange anhaltenden, belastenden Situationen je nach Bedarf stundenoder tageweise regelmässig etwas Luft zu verschaffen. In der Stadt Zürich kümmert sich seit vielen Jahren die Fachstelle Pflegekinder als Teil der sozialen Dienste um die Suche, Abklärung, Vermittlung, Aufsicht und Begleitung von geeigneten Pflegefamilien. Stellenleiter Peter Hausherr weiss, dass eine Fremdplatzierung für die Mädchen und Buben immer ein einschneidendes Erlebnis ist: «Deswegen bemühen wir uns, die jeweils am besten passenden Pflegeeltern zu finden.» Häufig gelingt dies auf Anhieb, vorausgesetzt, der Fachstelle stehen genügend Pflegefamilien zur Verfügung. Die «Ersatzfamilie» kann entweder klassisch aus einem Paar oder nur aus einer Person bestehen (siehe Infobox Seite 18). Wer sich für die anspruchsvolle Aufgabe in teressiert, muss einen stan- >>>
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Dossier
Nur jedes fünfte Pflegekind lernt seine neuen Eltern erst im Verlauf der Vermittlung kennen. >>> dardisierten Abklärungspro zess durchlaufen, bei dem die zuständigen Sozialarbeitenden prü fen, ob man sich grundsätzlich für ein solches Engagement eignet. Wenn es zu einem späteren Zeit punkt um die Vermittlung eines bestimmten Kindes geht, wird die Passung zwischen ihm und einer möglichen Ersatzfamilie nochmals genau geprüft. Das Kind und seine leiblichen Eltern werden – wann immer möglich – in den Auswahl prozess miteinbezogen. Es ist ein
schmerzlicher Gedanke, aber Mama und Papa müssen den Entscheid im Interesse ihres Nachwuchses emo tional mittragen. Aktuell begleiten die Mitarbei tenden der Fachstelle 130 Familien im Stadtgebiet Zürich, die ein Mäd chen, einen Buben oder Geschwister bei sich aufgenommen haben. Inter essanterweise werden 60 Prozent der Kinder von nahen Verwandten wie Grosseltern, Tanten oder Onkeln betreut. Geschätzte 20 Pro zent sind bei Menschen aus >>>
Wie werden wir Pflegeeltern? Wer mit dem Gedanken spielt, ein Kind in Pflege zu nehmen, sollte sich zuerst an die Gemeindeverwaltung seines Wohnortes wenden. Diese leitet die Anfrage an die zuständige regionale oder kantonale Stelle weiter (Sozialdienst, Jugendsekretariat, Fachstelle usw.). Interessenten können sich auch direkt an eine der vielen Organisationen wenden, die sich auf die Vermittlung und Begleitung von Pflegekindern spezialisiert haben. Anschliessend wird abgeklärt, ob die Antragsteller für die anspruchsvolle Aufgabe geeignet sind. Laut Pflegekinderverordnung (PAVO) kann sich jede volljährige Person als Pflegemutter/Pflegevater bewerben. Die Interessenten sollten: • Freude am Zusammenleben mit Kindern haben und in der Lage sein, sich in ihre Welt einzufühlen und ihre Bedürfnisse zu erkennen; • körperlich und seelisch fit sein, wobei chronische Erkrankungen nicht automatisch ein Ausschlusskriterium sind; • genügend Platz (in der Wohnung und im Herzen) für ein (zusätzliches) Kind haben; • in einer stabilen Partnerschaft leben (falls sie gebunden sind);
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Shana, ihre Mutter und die Pflegeeltern sehen sich als eine Familie. Das klappt gut.
• s icherstellen, dass andere im Haushalt lebende Familienmitglieder ebenfalls mit der Aufnahme eines Pflegekindes einverstanden sind; • nicht überschuldet sein und über ein geregeltes Einkommen verfügen (Betreibungsregisterauszug); • nicht einschlägig vorbestraft sein (Strafregisterauszug); • akzeptieren, dass Pflegekinder ein Recht auf Umgang mit ihren leiblichen Eltern haben, und fähig sein, eine wertschätzende Haltung gegenüber der Herkunftsfamilie des Kindes einzunehmen; • verstehen, dass das Kind aufgrund seiner Geschichte möglicherweise Verhaltensweisen zeigt, die von denen ihrer eigenen Kinder abweichen; • bereit sein, mit den Behörden und Fachpersonen zusammenzuarbeiten und sich bei aufkommenden Konflikten frühzeitig beraten zu lassen. Übrigens: Bewerben sich Paare, spielt es keine Rolle, ob die Antragsteller ledig oder verheiratet sind beziehungsweise ob sie in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben. Auch Verwandte, die ein Kind bei sich aufnehmen möchten, brauchen dafür eine Bewilligung. Von Gesetzes wegen müssen sie dieselben Voraussetzungen erfüllen und unterstehen ebenfalls der Aufsicht der Behörden.
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 19
Dossier
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Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier
Viele Kinder sind traumatisiert. Das kann belastend für die P flegeeltern und deren leibliche Kinder sein.
>>> dem sozialen Umfeld der Herkunftsfamilie untergebracht, beispielsweise bei Paten, der guten Freundin der Mutter oder in der Nachbarsfamilie. Nur in etwa jedem fünften Fall hat das Pflegekind seine zweiten Eltern erst im Laufe der Vermittlung kennengelernt. Ein anspruchsvoller Job
Doris Python (Mitte) mit ihrer Schwester (l.) und einer Mitarbeiterin.
Aus der Perspektive der Mädchen und Buben ist es immer gut, wenn in dem Moment, in dem ihre vertraute Welt zusammenbricht, wenigstens ein paar Fixpunkte erhalten bleiben. Oft ist eine Platzierung im bekannten Umfeld besser, da die Kinder dann beispielsweise weiter ihre angestammte Schule besuchen können. Geschwister werden möglichst gemeinsam vermittelt. Aber selbst wenn sich im nahen Umfeld eine potenzielle Pflegefamilie findet, sind die Fachleute verpflichtet, den Platz erst sorgfältig abzuklären. Auf die Pflegeeltern wartet ein anspruchsvoller Job: Sie sollen den Kindern einen geregelten Alltag ermöglichen, ihnen Geborgenheit geben und ihr Selbstvertrauen stärken, kurzum, sie müssen für sie sorgen. Auf diese Weise entsteht im Idealfall eine enge Bindung. Die Ersatzeltern müssen aber akzeptieren können, dass die neuen Fami lienmitglieder mitunter irritierende Verhaltensmuster an den Tag legen. «In machen Fällen waren schon ganz junge Pflegekinder in ihrer ersten Familie für viele Dinge zuständig: Kleider auswählen, einkaufen, alleine essen, sich unter Umständen um die Eltern und kleineren >>>
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Dossier
>>> Geschwister kümmern», erläutert Peter Hausherr. «Und jetzt sollen sie plötzlich wieder ein Kind sein, für das gesorgt wird und an dessen Alltagserlebnissen Anteil genommen wird?» Eine verunsichernde Situation, die auf beiden Seiten grosse Spannungen auslösen kann. Die Ankömmlinge brauchen viel Zeit, um sich an ihre Rollen zu gewöhnen, um zu verstehen, wie die neue Familie «tickt» – und umgekehrt. Viele Mädchen und Buben sind zudem traumatisiert und weisen Entwicklungsrückstände auf. Finanzielle Unterstützung
Das alles kann nicht nur nervenaufreibend, sondern auch sehr belastend für die Pflegeeltern und allenfalls auch für mit im Haushalt lebende leibliche Kinder sein. Darum begleitet die Fachstelle «ihre» Familien intensiv, vermittelt und zahlt Beiträge an Fortbildungen und Supervisionen, um die Zweitmütter und -väter und «Geschwister» zu stärken. Selbstverständlich erhalten die Ersatzeltern auch eine finanzielle Unterstützung von den leiblichen Eltern oder – an deren Stelle – von den Städten und Gemeinden, um ihre laufenden Kosten decken zu können. Hinzu kommt noch eine Entschädigung für die geleistete Erziehungsarbeit. Je nach Situation können so bei Dauerpflege auf den Kanton Zürich bezogen zwischen 900 und 2000 Franken pro Monat zusammenkommen. Ein zentraler Punkt ist die Beziehung zur Herkunftsfamilie. >>>
Ein Pflegekind hat ein Recht darauf, möglichst viel über seine «echten» Eltern zu erfahren. 22
Geduld statt Druck Doris Python, 52, ist Pflegemutter in der Bereitschaftspflege und lebt in Herisau. Die Kinder und Jugendlichen, die auf Doris Pythons Appenzeller Hof ankommen, wollen oftmals vor allem eines: vergessen. Vergessen, wie verfahren ihre Situation ist, das Vergangene hinter sich lassen, herausfinden, was ihnen guttut – und sich neu orientieren. Wer zum Biobauernhof will, muss sich auf die Suche begeben. Der Schotterweg, der von der Strasse abzweigt, führt immer tiefer in den Wald hinein. St. Gallen liegt nur wenige Autominuten entfernt, aber hier scheint die Zeit stillzustehen. Irgendwann taucht das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert auf. Es ist wie im Märchen: ein alter Garten, Obstbäume, Hühner, Pferde, zwei Pfauen, ein alter Hund und eine sehr grosse Katze. Doris Python arbeitet schon seit vielen Jahren in der sogenannten Bereitschaftspflege. Die 52-Jährige nimmt kurzfristig Mädchen und Buben auf, die aus den unterschiedlichsten Gründen im Moment nicht in ihrem gewohnten Umfeld leben können. Wer ein Zimmer auf ihrem Hof bezieht, hat in der Regel bereits viel hinter sich. Manche Kinder sind schon in einer Familie oder im Heim fremdplatziert, ecken dort aber an. Andere kommen direkt aus der Herkunftsfamilie, sind vielleicht psychisch angeschlagen und müssen stabilisiert werden. Der Aufenthalt funktioniert im Idealfall wie eine Auszeit. In den letzten zwölf Jahren hat Bussola, ein Anbieter im Bereich
der Familienpflege, über 20 Kinder und Jugendliche auf den Biobauernhof vermittelt und begleitet. Da Doris Python eine Kleinheimbewilligung hat, kann sie bis zu fünf Pflegekinder gleichzeitig aufnehmen. Zimmer gibt es jedenfalls genug. Und einen sehr langen Tisch, an dem immer Platz für Neuankömmlinge ist. Früher sassen dort auch Doris Pythons Eltern und Grosseltern, ihr zwischenzeitlich verstorbener Mann und ihre mittlerweile erwachsenen Söhne. Heute nehmen dort neben der Hausmutter und den Kindern und Jugendlichen auch regelmässig Sonja Signer, ihre mitarbeitende Schwester, und weitere Hofangestellte Platz. Wenn ein junger Mensch in Not ist, dann überlegt das Team von Bussola, welche Pflegefamilie am besten helfen könnte, die Situation zu entschärfen, denn nicht alle Kinder würden vom Bauernhofidyll profitieren. Wenn es aber passen könnte, greift ein Mitarbeitender im Auftrag der Kindesschutzbehörde zum Hörer, schildert Doris Python die Situation und fragt nach, ob sie sich vorstellen könne, dem Mädchen oder dem Bubem ein Zuhause auf Zeit zu geben. Wenn die Pflegemutter einverstanden ist, geht es schnell. Zwei, drei Tage später sitzen die jungen Menschen bereits mit am Holztisch. Obwohl die meisten Pflegekinder im Teenageralter sind, kommt hin und wieder auch ein jüngeres Kind. Doris Python, ursprünglich Psychiatriepflegekraft, und ihre Schwester, gelernte Krankenpflegerin, strahlen beide Ruhe und Zuversicht aus – und sie bohren grundsätzlich nicht nach. Geduld statt Druck – für viele Teenager ist das eine neue Erfahrung.
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Auf dem Biobauernhof können die Kinder zur Ruhe kommen und durchatmen.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 23 23
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Ein Pflegekind ist wie ein kleiner Planet, um den drei Monde kreisen.
Vorteil Volg : Institution Dorfladen.
Volg – und das Dorf lebt.
beliebter Der Dorfladen – ein echter Klassiker: lmässigen Ort für den täglichen Einkauf, den rege Volg im Austausch und den kurzen Schwatz. Der Treffpunkt Dorf ist darum sowohl Laden als auch zur Erhalund erbringt einen wertvollen Beitrag tung der dörflichen Gemeinschaft.
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Falls Schmids einmal nicht mehr da sein können, wird Siriwans Onkel einspringen.
>>> Die Kinder haben ein Recht darauf, möglichst viel über ihre «echten» Mamis und Papis zu erfahren. Sie sollten, wenn nichts Gravierendes dagegenspricht, auch weiterhin Kontakt zu ihren Eltern haben. Und zwar nicht nur, wenn die Rückkehr von Beginn an ein erklärtes oder zumindest wahrscheinliches Ziel ist. Es klingt absurd, aber viele Mädchen und Buben wollen mit eigenen Augen sehen, dass es ihren
Eltern trotz allem gut geht. Es ist wichtig, dass die Pflegemütter und -väter die leiblichen Eltern wertschätzen. Auf diese Weise verhindern sie, dass die Kleinen in einen Loyalitätskonflikt geraten, und helfen ihnen dabei, ihre eigene Identität zu entwickeln. Wenn sich herausstellt, dass die Treffen die Mädchen und Buben zu sehr belasten, müssen die Zusammenkünfte anders gestaltet oder eingestellt werden. Die Behörden prüfen – gemeinsam mit allen Beteiligten – in regelmässigen Abständen, ob eine Rückkehr des Kindes in seine Herkunftsfamilie möglich ist. Falls nichts dagegenspricht, wird auch dieser Schritt sorgfältig und mit Umsicht geplant. Ein Pflegekind ist wie ein kleiner Planet, um den drei Monde >>>
pellen-Verein « Wie unser Blaska der Volg-Laden die
bringt auch Gemeindemitglieder zusammen. Jost Arnold, Gemeinderat & Baritonhorn-Bläser
Volg .Im Dorf daheim. In Allenwinden ZG zuhause.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 25
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>>> kreisen: Da wäre die Her kunftsfamilie, die trotz allem eine emotionale Bindung zu ihm hat, dann die Pflegeeltern, die die leibli chen Eltern vertreten, und natürlich die Fachleute, Beistände, Behörden vertreter. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie dicht der Verkehr auf den Umlauf bahnen werden kann. Kollisionen lassen sich fast nicht vermeiden. Solange aber alle Beteiligten akzep tieren, dass der kleine Planet das Zentrum des Universums ist und alle nur wegen ihm hier sind, kann es gelingen. Die Zürcher Fachstelle Pflegekin der ist ein öffentlicher Dienst. In manchen Fällen genügt es aber nicht, wenn die Sozialarbeitenden nur zu Bürozeiten erreichbar sind. Es gibt komplexe Pflegesituationen, 26
bei denen sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch die Pflege eltern eine besonders engmaschige Unterstützung brauchen, damit die Fremdunterbringung gelingt und die Minderjährigen zur Ruhe kom men können. Bussola ist eines von verschiede nen Unternehmen im Bereich der Familienpflege, das sich auf genau solche Situationen spezialisiert hat. Der in der Ostschweiz ansässige Anbieter begleitet rund 40 Pflege familien im eher ländlichen Raum. «Wir sind an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr erreichbar, damit wir bei Krisen oder in Notlagen schnell und flexibel handeln kön nen», erläutert Gabriele Buss, So zialpädagogin und Mitglied der Geschäftsleitung. Heisst: Wenn sich in einer Herkunftsfamilie eine
Literaturtipps • Handbuch Pflegekinder. Aspekte und Perspektiven. Herausgegeben von der Pflegekinder-Aktion Schweiz. 2016. • Adoptiv- und Pflegekindern ein Zuhause geben. Informationen und Hilfen für Familien. Von Irmela Wiemann. Balance Buch+Medien Verlag 2014. • Pflegekinder – Alles, was man wissen muss. Von Katrin Ferber-Bauer, Barbara Gillig-Riedle und Herbert Riedle. TiVan Verlag 2016. • Herzwurzeln. Ein Kinderfachbuch für Pflege- und Adoptivkinder. Von Schirin Homeier und Irmela Wiemann. Mabuse-Verlag 2016. • Netz. Fachzeitschrift für Pflegekinder und Kindesschutz. Herausgegeben von der Pflegekinder-Aktion Schweiz.
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Situation zuspitzt, kann Bussola – mit dem Mandat der zuständigen Behörden – binnen 24 Stunden einen geeigneten Platz in einer Pflegefamilie bereitstellen. Und wenn es dort zu einer schwierigen Entwicklung kommt, sind die Bussola-Mitarbeiter auch schnell zur Stelle, um Konflikte zu entschärfen. Letztes Jahr hat Bussola insgesamt 103 Minderjährige fremdplatziert, zwei Drittel davon waren Teenager, und häufig ging es um eine Art Auszeit. «Wir beobachten, dass die Anfragen steigen; die defi-
nitiven Fremdunterbringungen sind aber rückläufig», so Buss. «Es gelingt den sozialen Diensten immer häufiger, mit ambulanten Massnahmen wie Erziehungsberatung, Schulso zialarbeit oder Familienbegleitung eine Fremdunterbringung zu verhindern.» Die Fachfrau begrüsst diese Entwicklung ausdrücklich, zeige sie doch, dass man auf einem guten Weg sei. «Wir sind aber erst dann am Ziel, wenn alle Kinder in ihren Herkunftsfamilien aufwachsen können.»
Links • www.pa-ch.ch • www.pflegekinder.ch • www.stadt-zuerich.ch/pflegekinder • www.bussola.ch
>>>
Shana, ihre Mutter und ihre Pflegeeltern verbringen oft Zeit zusammen.
Bettina Leinenbach hatte zu Beginn ihrer Recherche wenig Ahnung vom Pflegekindwesen – dafür viele Vorurteile. Die Journalistin und zweifache Mutter versteht mittlerweile besser, dass es sich niemand leicht macht, weder die Herkunftsfamilie noch die Pflegeeltern – und auch nicht der Staat.
«Die Fremdunterbringungen sind rückläufig», sagt Gabriele Buss, Sozialpädagogin.
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Dossier
Das Modell funktioniert Shana Walser ist 13 Jahre alt, ihre leibliche Mutter Fatima Walser 48. Shana lebt werktags bei ihren Pflegeeltern Lilly Kahler, 49, und Roger Gyger, 50. Alle kommen aus Zürich. Das Langzeitgedächtnis bildet sich erst im zweiten Lebensjahr. Deshalb hat Shana Walser kaum Erinnerungen an ihre Babyzeit. Die 13-Jährige schliesst die Lücken mit Hilfe des Fotoalbums, das ihre Mutter mit Schnappschüssen von damals angelegt hat. Shana auf der Krabbeldecke, Shana im Buggy. Herzige Aufnahmen, heile Welt. Die Bilder erzählen aber nur einen Teil der Geschichte. Könnte sich das Mädchen erinnern, wäre es vermutlich überfordert von den zum Teil widersprüchlichen Eindrücken, die der Rückblick mit sich bringen würde. Fatima Walser, Shanas Mama, hat hingegen keinen Augenblick vergessen. Es ist alles noch da, eingraviert in ihre Seele: die schönen Momente, aber auch die Erinnerung an die Angst, Verzweiflung und Ausweglosigkeit, die sie damals, vor über 13 Jahren, empfand. Die heute 48-Jährige kam Ende der Achtzigerjahre in die Schweiz, um bei ihrem Schweizer Ehemann zu leben. Die Marokkanerin arbeitete schon bald als Übersetzerin. Die Ehe scheiterte. Als ein neuer Partner in Fatimas Leben trat, wurde sie schwanger, freute sich auf das Kind. Der werdende Vater verschwand jedoch von der Bildfläche.
Die Strapazen von Shanas Geburt und die ersten Wochen alleine mit dem Neugeborenen brachten die junge Frau aus dem Gleichgewicht. Sie konnte nicht mehr schlafen und nicht mehr essen, wachte Tag und Nacht am Bett des Säuglings. Asthmaanfälle, Panikattacken und die ständige Angst, nicht mehr für das Kind da sein zu können. Dass das auch die Symptome einer schweren Wochenbettdepression waren, wurde ihr erst später klar. Fatima Walser bekam Hilfe. Leider griffen die Massnahmen nicht wie erhofft. Die Mutter kümmerte sich liebevoll um ihr Kind, sie selbst schien aber vor den Augen der anderen zu verschwinden. Nach anderthalb Jahren schlug eine Familienbegleiterin eine Art Auszeit vor. Das kleine Mädchen könne für ein paar Tage in einem Kinderheim untergebracht werden, damit Fatima wieder Tritt fassen könne. Wohlgemerkt ohne Behördenanordnung, auf freiwilliger Basis. Denn: Es gab eigentlich nur eine Person, die an Fatimas Fähigkeiten als Mama zweifelte, und das war sie selbst. Obwohl man ihr versicherte, dass sie ihr Kind jederzeit wieder zu sich holen könne, fürchtete sie sich davor, Shana zu verlieren. Loslassen, durchatmen, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten fassen – das war gar nicht so einfach. Fatima besuchte ihr Kind im Heim, verbrachte viel Zeit mit ihm, kehrte aber immer nach Hause zurück, um Kraft zu tanken. Konnte das ein tragfähiges Modell für die Zukunft werden? Jemand brachte den Begriff «Pflegeeltern» ins Spiel. Vielleicht könne sich Fatima die Elternrolle mit
anderen Menschen teilen. Die Mutter überlegte. Was würde das Kind dazu sagen, wenn es sprechen könnte? Während die Alleinerziehende versuchte, die beste Lösung zu finden, bemühten sich Lilly Kahler und Roger Gyger am anderen Ende der Stadt ebenfalls, nach vorne zu blicken. Sie wussten nach medizinischen Abklärungen, dass ihr Wunsch nach leiblichen Kindern nicht in Erfüllung gehen würde. Die Erwachsenenbildnerin und der Schulsozialarbeiter blickten dennoch nach vorne. Als das Paar sich über die Möglichkeit einer Adoption informierte, fiel auch das Stichwort «Pflegeelternschaft». Lilly Kahler und Roger Gyger waren offen für diese Möglichkeit, zumal er als Kind ebenfalls fremdbetreut worden war. Da sie ihr Leben mit einem Kind teilen wollten, bewarben sie sich bei der Zürcher Fachstelle Pflegekinder als Pflegeeltern. Schwer zu sagen, ob es Zufall war oder ob eine aufmerksame Mitarbeiterin erkannte, wie gut die Familien – zumindest auf dem Papier – zusammenpassen. Jedenfalls schlug man Fatima das Ehepaar als mögliche Pflegeeltern vor. Die Kindsmutter wünschte sich weltoffene, tolerante Bezugspersonen für ihre Tochter. Da ein erstes Treffen gut gelaufen war, wagte Fatima Walser den nächsten Schritt. Nun sollte auch Shana Lilly und Roger kennenlernen. Während sich die Erwachsenen weiter beschnupperten, hatte die damals Zweijährige, die normalerweise eher abwartend war, genug von der vornehmen Zurückhaltung und spielte mit den Pflegeeltern in spe, als kenne sie sie schon seit Jahren. Bei einem
Die Kindsmutter wünschte sich weltoffene, tolerante Bezugspersonen für Shana. 28
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dritten Treffen durfte Shana dann ein paar Stunden im fremden Haushalt verbringen. Dort schlief sie prompt ein. Ein riesiger Vertrauensbeweis. Als die Mitarbeiterin der Fachstelle Fatima Walser fragte, ob sie weitere Kandidaten kennenlernen wolle, schüttelte diese den Kopf. Warum auch? Es war mehr als offensichtlich, dass Shana sich entschieden hatte. Aus dem kleinen Mädchen von damals ist längst ein Teenager geworden. Seit elf Jahren hat Shana zwei Lebensmittelpunkte: Werktags wohnt sie bei Lilly und Roger, geht dort in die Quartierschule, an den Wochenenden lebt sie bei ihrer Mama. Manchmal ist auch alles anders, dann gehört das Wochenende den Pflegeeltern oder alle unternehmen gemeinsam etwas. Shana, Fatima, Lilly und Roger sind eine Familie. Das ungewöhnliche Modell funktioniert. Es ist aber kein Selbstläufer. Mit der dauerhaften Unterstützung der Mitabeitenden der zuständigen Stellen haben die Erwachsenen realisiert, wie wichtig es ist, miteinander zu reden. Nicht nur über das Kind, sondern auch über eigene Werte, Erfahrungen und Erwartungen. Je genauer alle einschätzen können, was und wie die anderen Beteiligten denken, desto besser. Die Übergänge, wenn Shana die Familie «wechselt», sind etwas besonders. Eine Seite muss loslassen, Vertrauen haben, die andere Seite gibt das Versprechen, ihr Bestes zu geben. Als Fatima vor einiger Zeit an Brustkrebs erkrankte, wusste sie eines: Egal, was die Zukunft bringen würde, Shana war und ist bei Lilly und Roger in den besten Händen.
Ein gutes Team: Shana lebt während der Woche bei Roger und Lilly.
«Liebe allein reicht nicht» Wenn Kinder ihre Eltern verlassen müssen, ist das immer eine Katastrophe. Was in diesen Mädchen und Buben vorgeht, wie die Pflegefamilie damit umgehen sollte und warum sie gut daran tut, die leiblichen Eltern nicht von ihrem Sockel zu stossen, weiss die Familientherapeutin Irmela Wiemann. Interview: Bettina Leinenbach
Frau Wiemann, Sie haben unzählige Pflegekinder auf ihrem Weg begleitet. Wie fühlt es sich an, wenn man plötzlich nicht mehr bei seinen leiblichen Eltern leben kann, leben darf?
Das ist immer eine Katastrophe, ein tiefer Einschnitt ins Leben – unabhängig davon, was die Mädchen und Jungen vorher erlebt haben. Sie fühlen sich in dieser Situation überwältigt und ohnmächtig. Dabei wurden sie aus der Familie genommen, damit es ihnen besser geht, oder?
Diesen Zusammenhang können vor allem jüngere Kinder nicht herstellen. Sie haben das Gefühl, sie hätten Fehler gemacht, fühlen sich schuldig. Denken Sie an Sechs- oder Siebenjährige. Die sind ausserordentlich solidarisch mit ihren Eltern und bleiben auch loyal, obwohl sie tief in sich spüren, dass Mama und Papa ihnen nicht das geben können, was sie brauchen. Selbst wenn die Kleinen direkte oder indirekte Gewalt erlebt haben, empfinden sie neben Angst auch Zuneigung zu und Liebe für Mama und Papa. Das sind widersprüchliche Gefühle, die auch wir Erwachsenen nur schwer miteinander in Einklang bringen können. Ist es weniger belastend, wenn die Kinder bereits früh aus ihrer Familie genommen werden?
Das hat man lange geglaubt. Heute wissen wir, dass sich eine frühzeitige Trennung dennoch als Bruch in der eigenen Biografie niederschlägt. Der 30
wirkt lebenslang auf die Persönlichkeit eines Menschen. Wenn man ein Baby fremdplatziert, dann verliert es nicht nur seine Bezugspersonen, sondern auch die gewohnte Umgebung, die bekannten Gegenstände, den Familiengeruch. Die frühe Entwurzelung verursacht seelische Verletzungen, gerade weil Kleinkinder nicht durch Denken abstrahieren können. Wie zeigt sich dieser Schock, wenn die Kinder in der neuen Familie ankommen?
Die einen Kinder weinen und signalisieren damit deutlich, wie verunsichert und überfordert sie sind. Andere tun so, als sei nichts gewesen. Dieses Verhalten zeigt, dass diese Mädchen und Jungen bereits früh gelernt haben, ihre Gefühle abzuspalten. Wie erleben Jugendliche eine Fremdplatzierung?
Manche Teenager melden sich selbst bei der Kindesschutzbehörde, weil sie es daheim nicht mehr aushalten. Umgekehrt werden auch Eltern vorstellig, die sagen: Wir schaffen es nicht mehr mit dem pubertierenden Jugendlichen. Obwohl das gegensätzlich klingt, gibt es Parallelen: In beiden Fällen sind erneut gemischte Gefühle im Spiel. Enttäuschung und Wut neben Sehnsucht nach Normalität und Zuneigung. Wenn ein Kind seine Eltern ablehnt, dann kann es sich selbst auch nicht komplett lieben. Es ist ein Teil dieser Eltern.
Können Pflegekinder lernen, mit ihren widersprüchlichen Gefühlen umzugehen?
Ja. Kinder, die von ihren Eltern getrennt wurden, wollen verstehen, warum das passiert ist. Dabei ist es hilfreich, ihnen bewusst zu machen, dass ihre Mütter und Väter seelisch «beschädigt» sind. Oft haben sie nicht gelernt, wie man Bindungen eingeht. Man kann aber nur das weitergeben, was man selbst erfahren und verinnerlicht hat. Inwiefern?
Ich glaube, dass die meisten Erwachsenen, denen man die Kinder wegnehmen musste, in ihrer Vergangenheit traumatisiert wurden und dabei gelernt haben, ihre Gefühle abzuschalten. Die Emotionen lassen sich nicht beliebig wieder einschalten. Traumatisierten Menschen fehlt oftmals das Einfühlungsvermögen in andere. Das ist aber eine Grundvor aussetzung für die Fähigkeit, Kinder zu versorgen. Was schlagen Sie vor?
Sobald die Kinder und Jugendlichen verstehen, dass es sich bei ihren Eltern um seelisch verletzte Menschen handelt, die ihre Mutter- oder Vaterrolle nicht angemessen übernehmen konnten, ist ein wichtiger Schritt getan. Dann kann die Wut in Trauer umgewandelt werden und es beginnt so etwas wie «Aussöhnen» oder «Frieden schliessen». Manche Betroffene schaffen diesen Schritt bereits sehr früh. Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier
Die Erziehungsrezepte, die bei den leiblichen Kindern geklappt haben, müssen überdacht werden.
Viele Pflegekinder idealisieren ihr altes Leben, obwohl sie nachweislich vernachlässigt und/oder misshandelt wurden. Wie ist das zu erklären?
Sie schützen sich vor ihrem Schmerz, wenn sie davon ausgehen, dass die leibliche Familie toll ist. Und es gibt diesen gesellschaftlichen Mythos, dass Kinder zwangsläufig nach ihren Eltern kommen. Wenn also Mama und Papa «schlecht» sind, dann bin ich es auch. Stellt das Kind die Her kunftsfamilie hingegen auf einen Sockel, ist es selbst auch wertvoll. Und schon ist zumindest ein Teil seines Kummers abgemildert. Pflegeeltern sind nicht selten versucht, die Herkunftsfamilie von eben diesem Sockel zu stossen. Ist das klug?
Nein, da man damit das Kind trifft. Warum erfindet es diese heile Welt? Weil es seine Eltern vermisst und weil der Wunsch nach einer «nor malen» Vergangenheit stark ist. Statt es zu überführen, sollten die Pflege eltern seine Gefühle aufgreifen. Wenn also mal wieder eine Geschich te kommt, in der die leibliche Mutter die tollsten Menüs gekocht hat, könnte die neue Familie sagen: Wir merken, dass dir deine Mama gerade sehr fehlt.
Viele Menschen glauben, ein Kind brauche von seinen Pflegeeltern vor allem zwei Dinge: Liebe und Geborgenheit. Genügt das?
Ich würde einen Schritt weitergehen. Die Ersatzeltern haben es immer mit einem seelisch verletzten Kind zu tun, das eine heilende Atmosphäre braucht, einen sicheren Ort, in dem es gefördert und gefordert wird. Die Erziehungsrezepte, die bei den leib lichen Kindern der Pflegeeltern ge klappt haben, müssen überdacht werden. Ein Timeout im Zimmer kann als bedrohlich gesehen werden. Das neue Kind wird unter Umstän den in Panik geraten, da es nicht alleine sein kann, oder es sieht als bewiesen an, nicht geliebt zu werden.
den leiblichen Eltern einen Platz im Leben des Kindes einräumen. Das ist ein wichtiges Signal: Wir achten deine erste Mama und deinen ersten Papa. Und natürlich dürfen sie in deinem Herzen bleiben. Dort ist Platz für uns alle.
Welche Punkte müssen die neuen Eltern noch berücksichtigen?
Sie haben nicht nur den Auftrag, für das Kind zu sorgen, sie sollten auch
Zur Person Irmela Wiemann ist eine ausgewiesene Expertin in der Beratung und Begleitung von Pflege-, Adoptiv- und Herkunftsfamilien. Sie veröffentlicht Bücher zum Thema und leitet Fortbildungsveranstaltungen. Die Psycho- und Familientherapeutin lebt in der Nähe von Frankfurt. www.irmelawiemann.de
Im nächsten Heft:
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Autismus
«Autismus» kommt aus dem Griechischen und bedeutet «sehr auf sich bezogen sein». Betroffene nehmen ihre Umwelt anders wahr. Aber wie denken, fühlen, handeln sie? Unsere Annäherung an ein grosses Thema in der August-Ausgabe.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 31
«Monotone Kost ist das Schlimmste, was Eltern einem Kind antun können», sagt die Ernährungsexpertin Marguerite Dunitz-Scheer.
Monatsinterview
« Kein Kind sollte gezwungen werden, Gemüse zu essen» Wie vermeidet man Kämpfe am Esstisch? Worauf müssen Eltern achten, wenn sich die Familie vegetarisch ernährt? Sollen Kinder beim Einkaufen mitbestimmen dürfen? Die Kinderärztin und Ernährungsexpertin Marguerite Dunitz-Scheer über schwierige Esser, Kinder, die plötzlich abnehmen möchten, und gesundes Essverhalten. Interview: Claudia Füssler Bilder: Regina Hügli / 13 Photo
Frau Dunitz-Scheer, machen wir uns zu viele Gedanken ums Essen?
Auf jeden Fall. Das liegt daran, dass wir unsere Intuition und den Alltag in Sachen Esskultur und Kochkultur verloren haben. Einerseits kochen wir weniger oft als jemals zuvor selbst, andererseits messen wir ein zelnen Nahrungsmitteln so viel Bedeutung bei wie noch nie. Dieses Pendeln zwischen zwei Extremen zeigt: Uns ist die Normalität beim Essen abhandengekommen. Wie konnte das passieren?
Das hat viele Gründe. Schauen Sie sich die vergangenen 70 Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg an: Europa hat sich zum ersten Mal in der Ge schichte der Menschheit in eine Nahrungsüberflussgesellschaft ver wandelt. Die Nahrungsmittelindus trie ist notwendigerweise offensiv bis aggressiv. Sie füttert nicht nur die Supermarktregale mit Angeboten, sondern auch unsere Köpfe mit Ideo logien und viel zu viel Information. Das führt dazu, dass die Menschen Nahrung als Religions- und Identi tätsersatz sehen. Das klingt, als ob wir uns ziemlich absurd verhalten.
Und ob. Dieses riesige Angebot führt aber auch dazu, dass wir zum ersten
Mal in einer Gesellschaft leben, in der die tägliche Beschaffung der Nahrung mit minimalstem Aufwand möglich ist: Tütchen kaufen, aufreis sen, warm machen, essen – fertig. Wer nicht will, muss sich überhaupt keine Gedanken ums Essen machen. Dahinter steht der Verlust einer gan zen kulturspezifischen sinnlichen Welt.
«Wer ein gutes Mittelmass bei der Ernährung vorlebt, hat kaum essgestörte Kinder.» Aber daran sind nicht nur die Lebensmittelhersteller schuld.
Nein, natürlich nicht. Es sind zahl reiche gesellschaftliche Veränderun gen, welche man keinem Einzelnen oder einer Gruppe allein zum Vor wurf machen kann. Als ich in den 60er-Jahren in der Schweiz aufge wachsen bin, ist keine Mutter arbei ten gegangen. Heute bleiben viel leicht zehn Prozent der Mütter daheim. In der Folge hat sich die
Kochkultur zu einem Event verän dert, der oft nur einmal in der Woche stattfindet. Mama steht am Herd und kocht – das ist eine Ausnahme, nichts Normales. Wie sieht diese Normalität denn aus?
Ganz unspektakulär: seinen Kindern ein abwechslungsreiches Essen hin stellen und mindestens einmal am Tag kochen. So lernen die Kinder nebenbei, was eine lustvolle und gute Esskultur ist. Und natürlich das Kochen. Aber fragen Sie mal Zehn jährige, wie das bei ihnen zu Hause ist. Die meisten können sich nicht einmal ein Spiegelei braten oder Pas ta für sich und ein Geschwisterkind kochen. Später schickt man den Nachwuchs in spezielle Kinderkoch kurse. Da wird dann künstlich etwas in ihr Leben hineingebracht, was sie ganz automatisch daheim hätten ler nen können. Die Familie ist also der Schlüssel zu einem gesunden Essverhalten?
Unbedingt. Die Eltern – und nicht nur die Mutter – haben eine Rollen modellverpflichtung. Wenn sie es schaffen, ein vernünftiges, lustvolles Mittelmass bei der Ernährung vor zuleben, haben wir kaum essgestör te Kinder. Die kulinarische Fami lienkultur ist die erste soziale >>>
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 33
Monatsinterview
>>> Bühne, auf der Kinder Essverhalten erleben und erlernen – die ist sinnlich fast lebenslang präsent und absolut entscheidend. Essen ist eine interaktive und soziale Entwicklungsleistung, und wenn die daheim
«Kinder lernen das zu mögen, was man ihnen serviert. Das ist eine Frage der Erziehung.» gut funktioniert, muss in der Schule nicht die Bedeutung von Kohlenhydraten oder Ernährungspyramiden erklärt werden. Viele Eltern machen die Erfahrung, dass Kinder einfach schwierige Esser sind.
Kinder lernen das zu mögen, was Eltern ihnen servieren. Das ist auch eine Frage der Erziehung. So, wie wir auf eine Hygieneentwicklung achten und den Kindern beibringen, sich die Haare zu kämmen, die Zähne zu putzen oder die Hände zu waschen. So selbstverständlich und diskussionslos muss auch die tägliche Essentwicklung stattfinden. Wir haben dafür ja zwölf, dreizehn Jahre Zeit. Und wann fängt man am besten mit der Esserziehung an?
Es gibt kein Alter, wo man sagen könnte, dass die Kinder nicht empfänglich sind für die Esskultur um sie herum. Genau genommen fängt das alles schon vor der Geburt an, bei der Ernährung der Schwangeren. Und auch ein drei Monate altes Baby, das der Papa im Tragegurt vor sich hat, registriert, ob der Papa eine Suppe löffelt oder in eine Wurst beisst. Viele Kinder, die von ihren Eltern als schwierige Esser beschrieben werden oder die tatsächlich essgestört sind, fallen aber in der Kindertagesstätte überhaupt nicht auf.
Diese Beobachtung mache ich auch. Dort essen sie völlig normal, und die 34
Erzieher sind erstaunt, wenn sie hören, dass es damit zu Hause Probleme geben soll. Das Problem ist eigentlich, dass Eltern dazu neigen, das Essen zu analysieren, und eine halbe Wissenschaft daraus machen, was das Kind isst oder eben verweigert. Damit entsteht ein Machtpotenzial, eine Konfliktzone, wo ein wichtiger Bestandteil des Essens kaputtgeht: der Lustanteil, der stark durch das Umfeld bestimmt wird. Aber wenn mein Kind nun mal strikt Gemüse boykottiert? Das ist doch eine Situation, mit der ich mich aus einandersetzen muss.
Der Wahn mit dem Gemüse kommt aus der Erwachsenenwelt, meist von solchen Leuten, die oft selbst gegen Übergewicht kämpfen und vielleicht schon ein Leben lang Diät halten. Nur etwa fünf Prozent der Kinder sind im Volksschulalter bereits echte Gemüseliebhaber. Die Minderheit aller gesunden Kinder liebt also Gemüse, ab der Pubertät ändert sich das dann. Das macht überhaupt nichts, kein Kind muss gezwungen werden, Gemüse zu essen. Damit macht man schlimmstenfalls sogar die Geschmackspräferenzentwicklung kaputt und sorgt höchstens dafür, dass dieser Mensch dann auch in späteren Jahren kein Gemüse mag. Natürlich soll niemand Zucker pur löffeln, aber man kann Gemüsemuffeln Vitamintropfen geben, und von Gemüse allein kann sowieso kein Kind wachsen. Wovon dann?
Von einem Mix aus allen Nährstoffen: Kohlenhydrate, Eiweiss und Fett. Plus Vitamine und Mineralstoffe. Kein Extrem ist gut. Monotone Kost ist das Schlimmste, was Sie Ihrem Kind antun können. Als Faustregel gilt, dass ein wachsendes Kind ein Gramm Eiweiss pro Tag und Kilo Körpergewicht zu sich nehmen sollte – und es ist egal, ob das aus vollwertigem Getreide, aus Käse, Fleisch, Fisch, Wurst oder der Schokomilch kommt. Selbst wenn ein Kind mal Phasen hat, in >>>
Monatsinterview
«Wer Süssigkeiten als Belohnung einsetzt, hat verloren», sagt Dunitz-Scheer.
Monatsinterview
>>> denen es bestimmte Dinge absolut nicht isst, muss man sich keine Sorgen machen – bei einer ein fach gemischten Kost gleicht sich das über Wochen und Monate wieder aus. Noch einmal: Die Kost sollte so ausgewogen wie möglich sein. Wie schaffe ich das?
Indem ich nicht nur ein Lebensmit tel auf den Tisch bringe, sondern verschiedene. Und dem Kind die Wahl lasse. Vielleicht will es nur zwei oder drei der angebotenen Sachen, aber das ist total in Ordnung. Warum sollten Kinder da anders sein als wir? Wir suchen uns ja auch das aus, was uns schmeckt. Ich kann nicht steu ern, was das Kind sich aussucht, aber ich kann sehr wohl steuern, worin die Auswahl besteht. Darf das Kind dann auch beim Ein kaufen aussuchen, was es essen möchte?
Das ist ein zweischneidiges Schwert. Zum einen: Eltern sollten ihre Kin der auf jeden Fall mitnehmen zum Einkaufen. Allerdings würde ich mit Kindern vor allem auf Märkte gehen. Dort kann eigentlich nichts schief gehen. Auf so einem grossen Bau ernmarkt sieht ein Kind die Äpfel neben den Tomaten und den Eiern, die Salate, die Käsesorten, das Fleisch
«Eltern sollten mit Kindern häufig auf Bauernmärkte gehen. So ein Einkauf hat etwas ungeheuer Sinnliches.» im Metzgerwagen. Es erlebt die jah reszeitlichen Variationen. So ein Einkauf hat einen ungeheuer sinnli chen Aspekt, ich empfehle, das so oft wie möglich zu machen, auf alle Fäl le einmal wöchentlich. 36
Marguerite Dunitz-Scheer über ... ... bio: Grundsätzlich ist jede Nahrung so naturbelassen wie möglich einzukaufen und so wenig verarbeitet wie möglich zu konsumieren. Je mehr Konservierungsstoffe ein Produkt hat, umso eher lasse ich die Finger davon – ausser wenn ich mich für eine Südpolexpedition ausrüste. ... vegan: Das ist für mich eine extreme Form der Ernährung, von der ich Eltern von heranwachsenden Kindern abrate. Eltern, die ihr Kind streng vegan ernähren möchten, sollten auf jeden Fall einen Diätologen konsultieren und darauf achten, dass die Eiweissversorgung sichergestellt ist. ... vegetarisch: Kinder können problemlos mit einer vegetarischen Ernährung aufwachsen, sie ist eiweissreich und enthält genügend Kalzium. Vegetarische Kost kann fantastisch geschmackvoll sein, aber
Haben Sie noch einen Tipp?
Man sollte es, so gut es geht, vermei den, gerade jüngere Kinder mit in einen Supermarkt zu nehmen, der ja von Haus aus auf Verführung ange legt ist. Ich bin dort diejenige, welche die Auswahl aktiv beeinflusst. Die Kinder dürfen sich bei der Auswahl der Joghurts und Müeslis austoben. Meine Kinder wussten immer, dass ich keine Süssigkeiten kaufe. Wir hatten nie welche zu Hause, weil mir klar war, dass sie genug unterwegs bekommen, bei Freunden, an Ge burtstagspartys oder wenn wir auf Reisen waren. Das genügt vollkom men. Also habe ich nie etwas gekauft, von dem ich nicht wollte, dass mei ne Kinder es essen. Sehr diszipliniert.
Ich halte das für eine sinnvolle Her angehensweise. So erspart man sich unzählige Debatten und anstrengen de Situationen. Am schlimmsten finde ich Süssigkeiten-Belohnungs schubladen. Denn dann fängt man an, Essen in gutes und schlechtes einzuteilen, und dabei sind plötzlich
leider muss man erst nach Indien reisen, um das im Alltag zu erleben. ... Geschmack: Ein Schweizer Kind kann meist mit zwölf Monaten zehn verschiedene Geschmäcker unterscheiden, ein französisches vierzig. Während Schweizer und deutsche Restaurants eigens Menüs mit angeblich kinderkompatiblen Fischstäbchen, Pommes und Spaghetti mit Tomatensauce auf die Karte setzen, liegt der Gedanke eines speziellen Kinderessens Eltern in vielen anderen Kulturen völlig fern. Indische Kinder wachsen zum Beispiel mit sehr würzigen Speisen auf, der Nachwuchs von Eskimos mit rohem Fisch, und in Israel essen selbst die Kleinsten schon geschmacksintensiven Hummus, Falafel und Oliven. Weil sie es von den Grossen so kennen.
die ungesunden Sachen die erstre benswerten. Der Klassiker: Komm, jetzt iss noch was von den Nudeln und dem Brokkoli, dann gibts danach auch die Schokolade. Wer Essen hierarchisiert, sorgt dafür, dass es schnell begehrte Lieblinge und einen Kampf darum gibt. Wenn Sie diese Belohnungsstrategien einmal anfangen, haben Sie verloren und sind erpressbar. Ganz zu schweigen davon, dass ein Kind so kein ver nünftiges Verhältnis zu Nahrungs mitteln aufbauen kann. Welche Rolle spielen gemeinsame Mahlzeiten für die Essentwicklung?
Da treffen Sie einen Nerv, denn der aktuelle Zustand ist eine Katastro phe. Eine gemeinsame Mahlzeit am Tag in einer Familie – das muss man doch mit ein bisschen Organisa tionstalent schaffen! Aber nein, einer isst um fünf, der andere um sechs, der Dritte abends um neun, wenn er endlich nach Hause kommt. Recht häufig ist, dass die Kinder um sechs essen und die Eltern dann allein um acht, wenn die Kinder im Bett sind. Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Wie sollten Eltern reagieren, wenn die 13-jährige Tochter beschliesst, sie müsse jetzt abnehmen, weil sie zu dick sei?
Zunächst einmal guckt man sich die Situation faktisch an. Die Mutter einer 13-Jährigen sollte wissen, ob ihre Tochter 50, 60 oder 70 Kilo wiegt. Erstrebenswert ist in diesem Alter etwa ein BMI von 20. Ist das Mädchen wirklich zu dick, sagt man ihm: Du, wir kriegen das gemeinsam hin, wir kochen etwas kohlenhy dratärmer, und ich mache uns einfach mehr Salate. Am besten zieht die ganze Familie mit. Auch hier gilt: Das Ganze sollte so normal wie möglich gehandhabt werden. Auch bei jüngeren Kindern, die zu dick sind,
kann so eine Veränderung des Angebots schnell Abhilfe schaffen. Das liegt in der Hand der Eltern, ebenso wie die Entscheidung, dass es dann mal bis auf Weiteres nur einmal pro Woche ein Dessert gibt. Viele Teenager sind gar nicht zu dick, aber dennoch vom Gedanken des Abnehmens besessen.
Auch hier gucke ich mir als Elternteil das Kind selbst und seinen BMI an.
«Gemeinsame Mahlzeiten sind für die gesunde Essentwicklung enorm wichtig.» Liegt der bei 18, bin ich besonders aufmerksam und stelle das Kind einmal die Woche auf die Waage. Ab einem BMI von 16 muss man Klartext reden und handeln. Dann muss dem Kind gesagt werden: Wir gucken ab jetzt nicht mehr zu, wie du dich kaputthungerst, wir holen jetzt Hilfe von ausgebildeten Menschen dazu. Niemand hat ein Problem damit, sei-
nem Sohn oder seiner Tochter zu sagen, dass es auf keinen Fall ein Piercing oder weiche Drogen gibt, aber beim Essen stellen wir uns alle irgendwie an. Vielleicht, weil es dazu so viele widersprüchliche Informationen gibt?
Das mag sein. Doch es ist wichtig, dass Eltern gleichzeitig verstehen, dass die Essentwicklung ein ganz normaler Teil der Kindesentwicklung ist, so wie die motorisch-sportliche, die schulisch-intellektuelle oder emotional-moralische auch. Der Einfluss, den die Eltern und alle Familienmitglieder auf diese Entwicklung haben, ist enorm, nimmt aber mit zunehmendem Alter langsam ab. Je mehr ich für mich selbst geklärt habe, wer ich bin und was ich esse, desto einfacher wird die autonome Essentwicklung des Kindes. Eine Mutter, die sich beim Essen entschuldigt und erklärt, dass sie heute nur Salat essen dürfe, und ein Vater, der vorrechnet, dass er die ganze Woche nur drei Scheiben Wurst hatte und dafür heute zwei Schnitzel darf – das sind die besten Voraussetzungen dafür, dass das Kind ein kompliziertes Verhältnis zu Nahrungsmitteln entwickelt. >>>
Ich finde das traurig. Wenn das gemeinsame Mahl ein schönes, wichtiges Ritual ist, nimmt sich auch ein hungriges Kind um sechs nur eine Kleinigkeit und wartet gerne, bis dann um halb acht alle essen – weil es dieses Ereignis nicht missen möchte. Dabei geht es dann ums Erzählen, ums Zuhören, also um Kommunikation, und ja, auch ums Essen, aber das passiert eher nebenbei und wird nicht übertrieben zelebriert.
Zur Person Marguerite Dunitz-Scheer ist Professorin für Kinderheilkunde und Leiterin der Psychosomatischen Kinder- und Jugendstation an der Universitätsklinik Graz. Die Expertin für Essstörungen und sonderernährte Kinder hat sechs Kinder und sieben Enkelkinder. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie das Buch «Jenseits von dick und dünn: Kochen – Essen – Familie. Der etwas andere Ratgeber. Mit vielen praktischen Beispielen und Rezepten» geschrieben. Mehr unter www.notube.com
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In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post
Erziehung & Schule
«Liebe Grüsse aus …» Sommerliche Familienaktivitäten bieten auch viele Anlässe zum Erzählen, Grüssen oder Einladen. Für Kinder eine schöne Gelegenheit, zu erfahren und zu üben, wie man mit Schrift kommunizieren kann.
Bild: Fotolia
Text: Johanna Oeschger
Wir schreiben, um damit etwas Be stimmtes zu erreichen: Wir möchten jemandem etwas mitteilen, uns «etwas von der Seele» schreiben oder etwas Wichtiges für später festhalten. Das Schreiben an und für andere hat für das Schreibenlernen eine besondere Bedeu tung: Wenn Kinder erleben, dass sie mit ihrem Schreiben beim Empfänger eine Reaktion bewirken können (Freude, Lachen, eine Antwort), motiviert sie dies speziell. Sie lernen dabei zudem Schritt für Schritt die wichtige Fähigkeit, auf
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schriftlichem Weg mit anderen zu kom munizieren. Feriengrüsse Helfen Kinder mit beim Verfassen von Feriengrüssen an Familie und Freunde, können sie erstmals erfahren, wie man mit Schrift kommuniziert. Grössere Kin der schreiben die Postkarte selbständig, Schreibanfänger können den Text dik tieren oder ergänzen. Mit Grüssen und Zeichnungen aller Familienmitglieder wird die Karte zum bunten «Gemein
App-Tipp PostCard Creator Mit dem PostCard Creator können Kinder (und Eltern) direkt vom Handy aus Postkarten mit eigenem Foto und Text versenden. Eine Postkarte pro Tag ist gratis. Die App gibt es für Android und iOS.
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
schaftswerk». Besonders eindrücklich für die Kinder ist es, wenn sie die Wir kung des Geschriebenen beobachten können. Vielleicht bekommen sie freu dige Antwort auf ihre Nachricht oder entdecken ihre Postkarte von weit weg plötzlich am Kühlschrank der Gross eltern. Ferienbuch Einige Familien stellen zur Erinnerung oder zum Teilen mit den Daheimge bliebenen ein Ferientage- oder Fotobuch
zusammen. Die Kinder können mit schreiben und mitgestalten: Fotos und Erinnerungsschnipsel auswählen und beschriften, spezielle Erlebnisse erzäh len oder malen, Reiseroute einzeichnen, Ferienort porträtieren ... Einladung Ist eine Sommerparty oder ein Geburts tagsfest geplant? Beim Verschicken der Einladungen können auch die Kinder mithelfen – mit Formulieren, Adressie ren, Gestalten, Verzieren.
Johanna Oeschger
ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin, unterrichtet Deutsch und Englisch auf der Sekundarstufe II und arbeitet als Mediendidaktikerin bei LerNetz.
Schreiben verbindet Mach jemand Liebem eine Freude: Zeig deinen Grosseltern, der Gotte oder einem Freund, dass du an sie denkst, und lade sie zu einem gemeinsamen Sommer abenteuer ein. Für Kinder und Eltern zum gemeinsam oder selber Gestalten – S chreiben – Verschicken. So gehts: 1. Vorderseite ausmalen 2. Wunsch-Sommer aktivität ankreuzen 3. Rückseite beschreiben 4. Abschicken!
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 39
Psychologie & Gesellschaft
Juhui, Ferien … oje, die Kinder haben frei «Spannende Ferientage sind auch zu Hause möglich.»
Ferien sind toll, und die Kinder freuen sich auf die schulfreie Zeit. Ganz im Gegensatz zu den Eltern, die während der Schulferien oft mit Betreuungslücken konfrontiert sind. Gedanken über ein familiäres Dilemma. Text: Susan Edthofer
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eistens klappt die Verbindung von Beruf und Familie im normalen All tag relativ gut. Angebote wie Mittags tisch und Aufgabenhilfe entlasten. Ganz anders sieht es während der Ferien aus. Was macht man mit Kindern, die fünf oder gar sechs Wochen zu Hause sind? Auch wenn Eltern ebenfalls Ferien einplanen, mehr als zwei, drei Wochen haben sie wohl kaum frei, und die Sommerpause ist damit längst nicht abgedeckt. Und auch im Frühling, Herbst und Winter fällt die Schule ein paar Wochen aus. Doch die wenigsten Familien können es sich zeitlich oder finanziell leisten, jedes Mal zu verreisen. Auf der Suche nach Betreuungsmöglichkeiten kommen nicht selten Grosseltern, Gotte, Götti und Freunde zum Ein satz – vorausgesetzt, sie wohnen in der Nähe, sind gesundheitlich auf der Höhe und haben Zeit. Wie bei einem Puzzlespiel werden die schulfreien Tage aufge splittet und Lösungen gesucht, die allen behagen. Lösungen für Betreuungslücken
Um unnötigem Stress entgegenzuwirken, lohnt es sich, die Schulferien frühzeitig zu planen. Vor allem bei jün geren Kindern muss eine lückenlose Betreuung gewähr leistet sein. Doch auch ältere Kinder sollten nicht tage lang sich selber überlassen werden. Auf der Suche nach familienfreundlichen Modellen sind Gesellschaft und Politik gefordert. Weil Schulferien zahlreiche Familien vor ein Problem stellen, bietet die öffentliche Hand in grösseren Städten Kinderbetreuung an. In der Regel sind die Kosten abhängig vom Einkom men der Eltern. Für Familien mit tiefem Einkommen sind zusätzliche Auslagen trotzdem kaum tragbar und immer noch zu hoch. Und ausserhalb der Städte fehlen solche Angebote meist gänzlich. Auf dem Land sind Familien oftmals auf Verwandte oder ein gut funktio nierendes Nachbarschaftsnetz angewiesen. Doch auch die tollsten, flexibelsten Nachbarinnen und Nachbarn möchte man nicht unnötig strapazieren. Bestimmt hilft man sich gerne gegenseitig aus, doch zu häufig möchte 40
man nicht anfragen, und zu lange sollte ein Einsatz ebenfalls nicht dauern.
Susan Edthofer ist Redaktorin im Bereich Kommunikation von Pro Juventute.
Freizeitangebote in der Region nutzen
Zum Glück gibt es attraktive Alternativprogramme, die Eltern entlasten und Kinder ausfüllen. Der Ferienpass ist ein massgeschneidertes Ferienangebot für Daheim gebliebene. In verschiedenen Gemeinden der Schweiz führt Pro Juventute rund 7500 Programme durch. Aus einem breiten Angebot wählen die Kinder Tageskurse, Wochenkurse oder ein Lager aus. Beispielsweise können sie einen Tag auf einem Bauernhof verbringen, sich krea tiv betätigen, Höhlen erforschen, Sportarten ausprobie ren und neue Medien kennenlernen. Dass spannende und abwechslungsreiche Ferientage auch zu Hause mög lich sind, entlastet Eltern enorm.
Was Eltern tun können – vier Tipps • Tauschen Sie sich mit anderen Eltern aus. Oft entwickelt man Lösungen zusammen. Vielleicht ist auch eine gemeinsame Kinderbetreuung in der Nachbarschaft eine Option. • Fragen Sie Grosseltern, Gotte, Götti rechtzeitig an, ob Ihr Kind ein paar Tage zu Besuch kommen darf. • Schauen Sie sich frühzeitig nach den Ferienprogrammen in Ihrer Region um. • Viele Unternehmen unterstützen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Versuchen Sie, mit Ihrem Chef, Ihrer Chefin über die Schulferien eine familienfreundliche Regelung der Arbeitszeit auszuhandeln.
Pro Juventute Elternberatung Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (058 261 61 61) oder online (www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag, zu Erziehung und Schule stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen keine Kosten an. Auf www.projuventute.ch/Ferienpass.20.0.html finden sich die Ferienpass-Angebote der verschiedenen Regionen.
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Publireportage
Psychologie & Gesellschaft
Jungwacht Blauring
Freizeitspass und Lebensschule Alt-Bundesrätin Ruth Metzler war dabei. Marathonläufer Viktor Röthlin und Kabarettist Emil Steinberger ebenfalls. Die Rede ist von Jungwacht Blauring, kurz Jubla. Der Kinder- und Jugendverband bietet Kindern ab 7 Jahren sinnvolle und hochwertige Freizeitgestaltung. Das bedeutet Freizeitspass und Lebensschule. Samstag, 13.30 Uhr, Kerns. «Lasst die Suche beginnen!» 18 Jubla-Kinder machen sich mit ihren Leitungspersonen auf in Richtung Wald. Am nahegelegenen Waldrand gilt es herauszufinden, wer sich hinter dem mysteriösen Mister X verbirgt. Doch die Hinweise sind gut versteckt; da ist Zusammenarbeit gefragt: «Natur» mit Blättern auf den Waldboden schreiben, eine Menschenpyramide bauen oder einen Samariterknoten machen. Jene Gruppe, die den Mister X als erstes entlarvt, darf beim anschliessenden Grillplausch auch die ersten «Schoggibananen» essen. Umgeben von den leuchtenden Kinderaugen und lachenden Gesichtern wird schnell klar: Die Jubla ist ein Riesenspass! Auf die Frage, was ihr an den regelmässigen Gruppenstunden gefällt, antwortet die achtjährige Livia strahlend: «Die abenteuerlichen und lustigen Spiele. Und dass man mit Freunden zusammen ist».
Verantwortung übernehmen
Über 29´000 Mitglieder zählt die Jubla schweizweit. Davon sind rund 9´000 ehrenamtliche Leitende. Die meisten waren von Klein auf in der Jubla und haben später Verantwortung als Leitungsperson übernommen. So auch der 22-jährige Kilian der Jubla Kerns.
«Gute Freunde, Schoggibanane und das Lachen der Kinder bringt mir mehr als 100-tausend Franken», sagt er. Mit seinen Schützlingen geht er am liebsten in die Natur. «So ermögliche ich den Kleinen Neues zu entdecken – etwas, das sie im Alltag nicht erleben». Über die Jahre entstünden tiefe Freundschaften, so Kilian. Das bestätigt auch sein Jubla-Freund Joel. «In der Jubla wird Gemeinschaft gelebt. Ausserdem können sich bei uns Kinder fern von Leistungsdruck entfalten, ihre Fähigkeiten entdecken und weiterentwickeln. Dabei lernen sie auch, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen».
Ganzheitliche Lebensschule
Gemeinschaftliche Erfahrung, Aktivitäten im Freien, grenzenlose Fantasie. Die Jubla ist eine ganzheitliche Lebensschule. «Insbesondere in unserer heute so individualisierten, leistungsorienterten und schnellebigen Gesellschaft gibt die Jubla Kindern und Jugendlichen Halt und Orientierung.», meint Alice Stierli, Co-Präsidentin Jubla Schweiz. Diese gelebten Werte prägen den Jubla-Alltag stark. Ganz im Zeichen der Solidarität sind in der Jubla denn auch alle willkommen, unabhängig ihrer Fähigkeiten, Herkunft und Religion.
Das ist «Jubla» Momente am Lagerfeuer geniessen, gemeinsam lachen, unvergessliche Augenblicke erleben, im Wald «Versteckis» spielen, wandern und unter dem Sternenhimmel übenachten, über dem Feuer kochen, eine Schatzkarte zeichnen, «Bändeli» knüpfen, Seifenkisten bauen, sich verkleiden, Köpfe zusammenstecken und Ideen entwickeln, besondere Momente feiern, Freundinnen und Freunde fürs Leben finden – das alles und vieles mehr bietet Jungwacht Blauring (Jubla).
Komm vorbei und entdecke Jungwacht Blauring Jubla-Tag
Am Samstag, 9. September 2017, laden Jubla-Gruppen aus der ganzen Schweiz interessierte Kinder, Jugendliche und Eltern auf eine Reise durch die Welt der Jubla ein! Sei auch du mit dabei und entdecke Jungwacht Blauring. Informationen zum Programm in deiner Nähe findest du unter jubla.ch/jublatag.
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Kolumne
Die Signale müssen verstanden werden Durch die Luft fliegende Metallautos, Wutausbrüche und Kraftausdrücke – eine Mutter weiss nicht mehr weiter mit ihrem Sohn.
Jesper Juul ist Familientherapeut und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familien. 1948 in Dänemark geboren, fuhr er nach dem Schulabschluss zur See, war später Betonarbeiter, Tellerwäscher und Barkeeper. Nach der Lehrerausbildung arbeitete er als Heimerzieher und Sozialarbeiter und bildete sich in den Niederlanden und den USA bei Walter Kempler zum Familientherapeuten weiter. Seit 2012 leidet Juul an einer Entzündung der Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im Rollstuhl. Jesper Juul hat einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter Ehe geschieden.
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Das wütende und frustrierte Verhalten des Sohnes bedeutet, dass er sich bei dieser Art Erziehung nicht wohl fühlt.
sein Zimmer muss, nur wird er dann noch viel wütender. Haben Sie einen «besseren» Vorschlag, wie wir diese Wut in den Griff bekommen kön nen? Vor allem möchte ich nicht, dass er uns Objekte an den Kopf wirft. Ein weiteres Problem sind seine Kraftausdrücke. Wie sollen wir re agieren, wenn er uns zum Beispiel sagt, wir seien doof, oder seinem Bruder, er sei ein Doppel-A…? Seit einem halben Jahr bringen wir dies einfach nicht mehr von ihm weg. Obwohl sein grosser Bruder sehr selten solche Wörter verwendet, hat der Kleine keine Hemmungen, diese zu brauchen. Gespannt freue ich mich auf Ihre Antwort! Jesper Juul antwortet
Verhaltensweisen, wie Sie sie für Ihre zwei Söhne beschreiben, sind nur selten an ein spezifisches Alter gebunden. Sie sind lediglich das, was wir in der modernen Entwick lungspsychologie «Signale» nennen. In diesem Fall nennen Sie es ein Problem, das nach einer Lösung verlangt. Wenn wir es jedoch ein Signal nennen, verlangt es nach Ver ständnis. Lassen Sie mich mit Ihrem jüngs ten Sohn beginnen. Sein frustriertes oder wütendes Verhalten ist ein Signal, welches Ihnen zeigt, dass er sich nicht wohl fühlt so, wie Sie ihn zu erziehen versuchen. Wenn ein Kind das Gefühl verliert, wertvoll zu sein, und darauf mit Aggressionen
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
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ine Leserin schreibt Jesper Juul: Mit viel Interesse verfolge ich Ihre Rubrik im Magazin Fritz+Fränzi. Ich bin immer sehr gespannt auf Ihre Ant wort und überlege mir im Voraus, wie ich handeln würde. Nun bin ich auch in einer Situation, wo ich mir nicht mehr zu helfen weiss, deshalb gelange ich an Sie. Wir haben zwei Jungs im Alter von knapp 8 Jahren und 4 Jahren. Beide sind meistens lieb zueinander und verstehen sich trotz Altersunter schied ziemlich gut. Aktuell hat aber der Kleinere immer wieder extreme Wutausbrüche, wenn etwas nicht nach seinem Gutdünken läuft. Das typische Trotzen in diesem Alter. Nur fliegen leider Sachen wie Metall autos und Legosteine in unsere Rich tung (unsere Köpfe sind auch schon getroffen worden), wenn er noch im Wohnzimmer ist, sonst knallt er sei ne Türe zu und wirft auch dort seine Sachen an die Wand. Dies ist ziem lich anstrengend. Ich bin der Mei nung, dass er in dieser Situation in
reagiert – ob diese nun destruktiv oder selbstdestruktiv sind –, liegt das immer an der bewussten oder unbewussten Botschaft der Erwach senen, die dem Kind zu verstehen geben, dass es mehr Belastung als Vergnügen ist. Frustration/Aggres sion (bei Kindern wie auch bei Er wachsenen) kann ein Zeichen dafür sein, dass Ihr Sohn nicht mag, was Sie von ihm zu tun oder zu lassen verlangen. Es ist aber auch ein Zei chen dafür, dass es für Ihren Sohn nicht angenehm, ja vielleicht sogar verletzend ist, wie Sie mit ihm gera de umgehen. In so einem Konflikt geht es oft viel mehr um das Wie als um das Was. Signale entstehen immer als ein Resultat, wie wir in der Gemein schaft (als Familie) zusammenleben. Wenn nun ein Familienmitglied immer wieder wütend und frustriert ist, ist das eine Botschaft an die Eltern, dass es sinnvoll ist, neue und konstruktivere Wege für das Mitein ander zu finden. (Ich habe dies in meinem Buch «Aggression» be schrieben.) Aggression und Wut sind in vie len Familien aus moralischer Sicht generell nicht willkommen. Der tra ditionelle Weg, diese Gefühle bei den Kindern auszulöschen, ist die Anwendung von Macht: zum Bei spiel das Kind in sein Zimmer zu schicken, ihm einen Klaps zu geben, das Kind zu beschimpfen, es anzu schreien, zu bestrafen. Von der Gesellschaft werden diese Erzie hungsmassnahmen oft als solche gutgeheissen. Hier ist eine Alternative: Setzen Sie sich zu einem konfliktfreien Zeitpunkt mit Ihrem Sohn hin, sehen Sie ihm freundlich in die Augen und sagen Sie ihm: «Hör zu, mein Schatz, ich mag die Art und Weise nicht, wie wir streiten, wenn wir uns uneinig sind, und ich weiss, dass es in meiner Verantwortung liegt, dies zu ändern. Ich brauche deine Hilfe. Sag mir bitte, was ich anders machen kann, wenn es wie
Kinder brauchen etwa zehn Jahre, um zu lernen, ihre Impulse konstruktiv umzusetzen, und Erwachsene, die für ihre Aggression Verständnis haben.
der so destruktiv zwischen uns wird. Ich will nämlich nicht, dass du Gegenstände herumschmeisst und Sachen beschädigst.» Auf diesem Weg wird er sich geliebt und wertvoll für Ihr Leben und die Familie fühlen, und ich ver spreche Ihnen, dass er Ihnen einen oder mehrere Anhaltspunkte geben wird, um Sie zu konstruktiverer und effektiverer Kindererziehung zu führen. Dass er mit seiner Zunge schlägt (Kraftausdrücke, die sie erwähnen), ist nur eine andere Form von Ag gression und ein anderes Signal, welches Ihnen zeigt, dass er sich als Familienmitglied unwohl fühlt. Ein Vierjähriger kann nicht kommen und sagen: «Ich möchte euch allen etwas sagen: Schon seit Längerem fühle ich mich unwohl mit meinem Leben in unserer Familie, und ich brauche eure Hilfe, um herauszufin den, was falsch läuft. Würdet ihr mir bitte helfen?» Auch die meisten Erwachsenen können das nicht. Die Erwachsenen brauchen oft auch eine Zeit, in wel cher sie meckern, gereizt, kritisch oder deprimiert sind – was alles für ihr Umfeld nicht «nett» ist. Es kann ein beliebiges Familienmitglied sein, welches schimpft und schlecht gelaunt ist. Auch da können sie die selbe Vorgehensweise wählen: «Ich habe bemerkt, dass du dich in letzter Zeit nicht wohl fühlst mit uns, und sofern du es mir erzählen kannst, möchte ich wissen, warum. Ich liebe dich genauso, auch wenn du dich schlecht fühlst.»
Das Einzige, was Sie als Elternteil oder Partner tun müssen, ist Folgen des: Lassen Sie die anderen Fami lienmitglieder wissen, dass Sie von ihnen nicht erwarten, immer glück lich zu sein, und dass sie auch auf Ihre Liebe und Unterstützung zäh len können, wenn sie es nicht sind oder nicht in der Lage sind, die rich tigen Worte für ihr Unwohlsein zu finden. Kinder brauchen eine Kind heit lang – etwa zehn Jahre –, um ihre Impulse konstruktiv und krea tiv umzusetzen. Damit ihnen das gelingt, brauchen sie Erwachsene, die Verständnis für ihre Frustration/ Aggression haben.
Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen in Zusammenarbeit mit
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 43
Erziehung & Schule
Im Verlauf der letzten Jahre haben sich vermehrt Fragen im Spannungsfeld von Religionsrecht und Schule ergeben. Wo verlaufen die Grenzen zwischen Entscheidungsmacht der Eltern, Glaubensfreiheit der Kinder und dem Bildungsauftrag der Schule? Text: Gisela Kilde 44
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Bild: Maskot / Plainpicture
Die Eltern bestimmen die Religion ihrer Kinder
Erleben Sie Bewegung! Die Eltern dürfen und sollen Einfluss auf den Glauben ihrer Kinder und damit verbundene Werthaltungen nehmen. Erziehung der Kinder. Dieses Recht ist Teil der elterlichen Sorge. Bei gemeinsamer elterlicher Sorge müs sen sich daher die Eltern einigen. Ist ein Elternteil allein sorgeberechtigt, so steht nur ihm die Entscheidungs kompetenz über die religiöse Erzie hung des Kindes zu. Ab 16 Jahren haben Jugendliche selber das Sagen
A
rdit und Samira sind die Eltern von Granit, 16, und Edita, 14. Den Eltern liegt es sehr am Herzen, ihren Kindern die Traditionen und die Kultur ihres Herkunftslandes Kosovo zu vermitteln. Dazu gehört auch ihre Religion, der Islam. War die Religionszugehörigkeit in der Familie von Ardit und Samira von Anfang an klar, wurde diese Frage von Theo und Lea, den Eltern von Luna, 8, kontrovers diskutiert. Als Atheist wollte Theo, dass sein Kind ohne Religion aufwachsen sollte. Lea besucht zwar keinen Got tesdienst mehr, ist aber weiterhin Mitglied der katholischen Kirche. Während Leas Schwangerschaft führte erst die Frage der zukünftigen Grosseltern nach der Kindstaufe zur ernsthaften Auseinandersetzung mit diesem Thema. Theo und Lea einig ten sich schliesslich darauf, ihre Tochter Luna vorerst ohne Religion aufwachsen zu lassen. Sie sollte die Freiheit erhalten, sich selber für eine Religion zu entscheiden. Gemäss Zivilgesetzbuch bestim men die Eltern über die religiöse
Zunächst bestimmen also die Eltern vollumfänglich über die Ausübung oder Nichtausübung einer Religion. Was aber ist, wenn die eigenen Kin der sich nicht oder nicht mehr an die Religionsvorschriften halten wollen? Darf Granit von sich aus entschei den, den Ramadan nicht mehr ein zuhalten? Was passiert, wenn Edita das Kopftuch nicht mehr tragen will? Und wie steht es mit Luna, die wie ihre Schulfreundinnen gerne die Erstkommunion feiern möchte? Wird vom religiösen Gehalt die ser Fragen abgesehen, sind es zuerst einmal Streitpunkte, wie sie in jeder Familie auftauchen. In allen Fami lien gelten gewisse Verbote und Ge bote, die besonders von Jugendli chen in Frage gestellt werden. Entsprechend ist auch hier familien intern eine Einigung in den Streit fragen zu suchen. Rechtlich gesehen haben die Eltern das Recht und die Pflicht, ihre Kinder gemäss ihren Verhältnissen zu erziehen. Darin ist auch die Weitergabe ihrer Kultur und ihrer Werte mitenthalten. Die Eltern dürfen und sollen daher Ein fluss auf den Glauben ihrer Kinder und damit verbundene moralische Werthaltungen nehmen. Sieht das Zivilrecht ausdrücklich eine Gehorsamspflicht für >>>
Die wichtigsten Vorbilder von Kindern sind ihre Eltern. Auch wenn es um Bewegung geht. Ein bewegtes Familienleben ist daher für die Entwicklung Ihres Kindes nur von Vorteil. Keine Angst, Sie müssen sich mit Ihrem Kind jetzt nicht auf Jogging-Runden begeben. Schaffen Sie stattdessen als Familie gemeinsame Bewegungserlebnisse, die mehr sind als einfach nur gesund: Ergänzen Sie einen Waldspaziergang doch mit spannenden Denkaufgaben. Damit profitiert nicht nur der Körper, sondern auch der Geist. Langweilig wird es so garantiert niemandem. Mehr gemeinsame Bewegungstipps finden Sie übrigens im neuen Ratgeber «Bewegung, Spiel und Spass in der ganzen Familie» der EGK-Gesundheitskasse, den Sie hier erhalten: www.egk.ch/spiel-und-spass
Lukas Zahner Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel
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Erziehung & Schule
>>> Kinder vor, so bestimmt die gleiche Norm, dass die Eltern die Meinung des Kindes zu berücksich tigen haben. Da es sich im Bereich des Glaubens und der Religion um höchstpersönliche Rechte handelt, haben die Eltern die gefestigten Ent scheidungen ihrer urteilsfähigen Kinder zu respektieren. Hat Edita also nachvollziehbare Gründe, weshalb sie das Kopftuch nicht mehr tragen will, und kann sie die Konsequenzen des Nichttragens absehen, so sollten die Eltern diesen Entscheid respektieren. Allerdings spielen hier nicht nur religiöse, son dern noch viele weitere Motivatio nen hinein. Ein Entscheid gegen den ausdrücklichen Wunsch der Eltern kann sich daher in der Realität als sehr schwierig erweisen. Wie steht es mit Lunas Wunsch nach Taufe und Erstkommunion? Mit der Taufe würde Luna Verpflich tungen begründen, die die Eltern mittragen müssten. Daher werden an Lunas Urteilsfähigkeit höhere Voraussetzungen gestellt. Wird ihre Urteilsfähigkeit verneint, ist die Zustimmung der Eltern notwendig. Mit Blick auf die zutiefst persönliche Frage nach Bestehen eines Glaubens oder dem Bedürfnis, eine Religion auszuüben, sollten Eltern ihr Ent
Eine Norm im Zivilrecht bestimmt, dass Eltern die Meinung des Kindes berücksichtigen müssen. 46
scheidungsrecht gegenüber dem geäusserten Willen des Kindes zu rückhaltend ausüben. Es sollte zumindest ein im Alltag lebbarer Kompromiss gefunden werden. Eine Religionsausübung beziehungsweise Nichtausübung ohne einen gewissen Grundkonsens in der Familie dürfte zu grossen Reibungen und damit zu ernsthaften Schwierigkeiten führen. Wenn die Schule ins Spiel kommt …
Das Leben religiöser Riten und Tra ditionen in der Familie ist grundsätz lich vor Eingriffen des Staates geschützt, soweit die gesunde Ent wicklung des Kindes dadurch nicht gefährdet wird. Eine andere Aus gangslage herrscht, wenn etwa Gra nit während des Ramadans den Sportunterricht nicht besucht oder der Lehrerin zur Begrüssung den Handschlag verweigert; wenn Edita nicht ins Schulschwimmen gehen oder das Kopftuch in der Schule tra gen will. Die Schule steht dabei in einem Spannungsfeld: Einerseits ist sie ver pflichtet, die in der Bundesverfas sung garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit zu respektieren (siehe Box rechts unten), anderseits hat sie einen Bildungsauftrag. Bil dungsziele enthalten nicht nur den Erwerb von Fachkenntnissen in Deutsch und Mathematik, sondern sie umfassen auch das Vermitteln von demokratischen Grundsätzen und gesellschaftlichen Werten. In manchen Volksschulgesetzen basie ren diese Werte auf christlichen Grundsätzen. In den meisten Kan tonen herrscht eine staatliche Neu tralität vor, der eine offene Haltung für verschiedene Weltanschauungen und Glaubensbekenntnisse zugrun de liegt. Nur wenige Kantone wie etwa Genf oder Neuenburg kennen laizistisch orientierte Traditionen, die auf eine strenge Trennung von Kirche und Staat achten. Stossen nun Schulregeln oder Bil dungsinhalte mit religiös motivier ten Verhaltensweisen von Schülern
zusammen, versucht die Schule, zusammen mit den Eltern und den betroffenen Kindern einen Konsens zu finden. Unumstritten ist etwa die Praxis, bei wichtigen religiösen Fes ten Dispensen für einzelne Tage zu erteilen. Ebenfalls soll während des Ramadans im Sportunterricht auf fastende Jugendliche Rücksicht genommen werden. Dennoch hatte das Schweizer Bundesgericht gewisse Fragen zu entscheiden: Im Jahr 2008 hat es zum Beispiel erwogen, dass die Inte gration einer Schülerin in den Unterricht einer Dispensation vom Schwimmunterricht vorgeht. Weiter entschied es im Dezember 2015, dass ein Kopftuchverbot für eine Schülerin ein weitreichender Ein griff in ihre Religionsfreiheit wäre und kein öffentliches Interesse dies
Das gilt in der Schweiz Die Glaubens- und Gewissensfreiheit umfasst sowohl die (innere) Freiheit, zu glauben, nicht zu glauben oder seine religiösen Anschauungen zu ändern, als auch die (äussere) Freiheit, entsprechende Überzeugungen innerhalb gewisser Schranken zu äussern, zu praktizieren und zu verbreiten oder sie nicht zu teilen.
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Ein Bildungsziel der Schule ist auch das Vermitteln von demokratischen Grundsätzen und gesellschaftlichen Werten. native in Erwägung ziehen, etwa eine Verbeugung oder eine Hand geste ohne Körperkontakt. Die Diskussion, inwiefern unter schiedliche Weltanschauungen und Glaubensbekenntnisse respektiert werden und wie viel Anpassung ein gefordert werden soll, ist auf jeden Fall noch nicht abgeschlossen. >>>
rechtfertigen könne. Die Verweige rung des Handschlags von Jugend lichen gegenüber einer weiblichen Lehrperson wurde letztes Jahr be kannt und prompt Gegenstand eines rechtlichen Gutachtens. Darin wur de festgehalten, dass ein Handschlag durchaus eingefordert werden dürfe. Die Begrüssung der Lehrperson ist wichtig und unverzichtbar. Eine auf Konsens ausgerichtete Haltung könnte aber eine Begrüssungsalter
Mit Kopftuch in die Schule? In Deutschland und in der Schweiz ist Schülerinnen das Kopftuchtragen erlaubt. Viele Kantone haben Richtlinien und Hinweise zum Umgang mit religiösen Wertvorstellungen in der Schule erlassen. Frankreich bekennt sich zu einer strikten Trennung von Staat und Religion, was zu einem gänzlichen Verbot des Kopftuchs in der Schule führte.
Gisela Kilde Dr. iur., ist Koordinatorin und Lehrbeauftragte am Institut für Familienforschung und -beratung an der Universität Freiburg.
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 47
Erziehung & Schule
Frühfranzösisch – mais oui! Sollen Frühenglisch und Frühfranzösisch auf der Primarstufe unterrichtet werden? Und falls ja, in welcher Reihenfolge, ab welchem Schuljahr und mit wie vielen Wochenlektionen? Sollen die Leistungen in den Fremdsprachen beim Übertrittsentscheid für die Sekundarstufe I eine wichtige Rolle spielen? Und wie sind eigentlich die Eltern von diesem nationalen Sprachenstreit betroffen? Ein Plädoyer gegen den Kantönligeist und für die Willensnation Schweiz. Text: Beat Zemp
E «Es ist gescheiter, die Koordination im Fremdsprachenbereich zu Ende zu führen.» Beat W. Zemp ist Zentralpräsident des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH).
s kommt selten vor, dass am gleichen Tag zum gleichen Thema gleich zwei gewichtige Vorentscheide fallen: Mit 68 zu 53 Stimmen hat der Thurgauer Grosse Rat am 3. Mai 2017 beschlossen, auf eine Gesetzesänderung einzutreten, welche die Abschaffung des Frühfranzösisch-Unterrichts an den Primarschulen verlangt. Damit würde nur noch Frühenglisch unterrichtet, die zweite Landessprache Französisch müsste sich ihren Platz im bereits stark belasteten Stundenplan der Sekundarstufe I erkämpfen. Sehr zum Ärger der Sekundarlehrpersonen im Kanton Thurgau, die eine solche Lösung des Sprachenstreits mehrheitlich ablehnen. Eine kantonale Volksinitiative im Kanton Graubünden will ebenfalls nur noch eine Fremdsprache auf der Primarstufe, und zwar Englisch für den deutschsprachigen Kantonsteil
Für das schulische Fremdsprachenlernen gilt nicht «weniger ist mehr», sondern «mehr ist mehr». 48
und Deutsch für den rätoromanischen und italienischen Teil. Diese Forderung sei diskriminierend für die Sprachminderheiten und damit rechtsungültig, entschied der Grosse Rat. Doch das Bundesgericht korrigierte diesen Entscheid am 3. Mai 2017. Die Fremdspracheninitiative sei rechtsgültig, weil die Bündner Primarschulen zusätzliche Fremdsprachen fakultativ anbieten könnten und daher keine Diskriminierung vorliege. Deshalb soll das Volk darüber abstimmen können. Weitere ähnliche Abstimmungen sind auch in den Kantonen Zürich, Luzern und Baselland vorgesehen. Rote Linie überschritten!
Sollten die Thurgauer, Zürcher und Bündner und weitere Kantone tatsächlich den Unterricht in der zweiten Landessprache aus der Primarschule kippen, wäre die rote Linie überschritten, die Bundesrat Alain Berset im Namen der Landesregierung definiert hat – der Sprachenstreit wäre definitiv auf der nationalen Ebene angekommen. Der Bund wäre dann gemäss unserer Verfassung befugt, verbindliche Regelungen für alle Kantone zu erlassen, weil sich diese nicht auf ein einheitliches Modell einigen konnten. Das vom Bundesrat favorisierte Modell sieht vor, dass der Unterricht in der zweiten Landessprache auf der Primarstufe einsetzt und durch-
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
gehend bis zum Ende der obligato rischen Schulzeit erteilt wird. Zu den Details des Englischunterrichts äussert sich das bundesrätliche Modell nicht. Dafür wären weiterhin die Kantone zuständig. Viele be fürchten aber ein Referendum gegen diese vorgesehene Verschärfung des Sprachengesetzes, was letztlich in eine eidgenössische Volksabstim mung münden würde. Ob die Landessprachen aus einer solchen Abstimmung gestärkt her vorgehen würden, ist fraglich. Zu dem besteht die Gefahr, dass die sprachliche Mehrheit die sprachli chen Minderheiten überstimmen würde – mit nachhaltig negativen Folgen für den nationalen Zusam menhalt, wie man in anderen mehr sprachigen Ländern sehen kann, in denen ein Sprachenstreit tobt. Es könnte aber auch sein, dass die Willensnation Schweiz Stärke be weist und den Landessprachen im Schulunterricht einen prioritären Platz einräumt. Denn Englisch kommt heute auf allen Kanälen zu den Schülerinnen und Schülern: via Handy, Musik, Games, soziale Medien und Videokanäle im Inter net. Bessere Unterrichtsbedingungen
Die Gretchenfrage lautet daher: Wer hat die besseren Argumente und kann diese durch Fakten belegen? In den Parlamentsdebatten und Ab stimmungsargumentarien tobt ein richtiger Kampf der Studien. Sind die Schülerinnen und Schüler nun über- oder unterfordert? Lernt man Fremdsprachen besser, wenn man früher damit beginnt, oder doch effizienter auf der Oberstufe? Welche Gruppengrösse ist ideal, um auch die mündlichen Sprech- und Hörkom petenzen zu schulen, die heute gleich wichtig sind wie etwa die korrekte Schreibweise und das Passé simple? Auf all diese Fragen hat die evi denzgestützte Bildungsforschung keine eindeutigen Antworten. Aber eine Erkenntnis läuft wie ein roter
Faden durch alle Studien und Eva luationen: Für das schulische Fremdsprachenlernen gilt nicht «weniger ist mehr», sondern «mehr ist mehr». Das heisst, je mehr Lek tionen im Unterricht zur Verfügung stehen und je mehr Schuljahre die ser Unterricht dauert, desto besser sind die Resultate. Guter Unterricht hat eine positive Wirkung auf die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler in den Fremdsprachen, kurz: Teaching matters. Daher verlangt der LCH seit dem Beginn der Fremdspra chendebatte bessere Unterrichtsbe dingungen, damit möglichst viele Lernende davon profitieren können. Dazu gehören mindestens drei Wochenlektionen, mehr Halbklas senunterricht und spezielle Förde rungen für sprachschwache Schüle rinnen und Schüler. Mit direkten Begegnungen und Austauschprojek ten zwischen den Sprachregionen kann die Motivation zum Erlernen einer zweiten Landessprache zudem deutlich verbessert werden. Wer bezahlt die private Nachschulung?
Wer früher mit schulpflichtigen Kin dern von einem Kanton in einen anderen umziehen musste, weiss, was es bedeutet, Bekanntschaft mit einem anderen Schulsystem zu machen und dann auch noch mit unterschiedlichen Fremdsprachen konzepten konfrontiert zu werden. Was tun, wenn zwei, drei oder gar vier Jahre Unterricht in einer Fremdoder Landessprache fehlen? Wer bezahlt die private Nachschulung? Und wie schafft mein Kind den be vorstehenden Stufenübertritt trotz dem noch? Nicht von ungefähr haben im Mai 2006 85 Prozent aller Stimmenden für den schulischen Harmonisierungsartikel in der Bun desverfassung gestimmt. Man hatte damals den Kantönligeist definitiv satt. Die Pflicht der Kantone, die schu lischen Strukturen und die Ziele der
Es ist die Pflicht der Kantone, die schulischen Strukturen und die Ziele der Bildungstufen zu harmonisieren.
Bildungsstufen zu harmonisieren, ist seit dieser Abstimmung ein ver bindlicher Auftrag an alle Kantone. Diese sind auch nicht untätig geblie ben: 23 von 26 Kantonen haben das Fremdsprachenmodell 3/5 der EDK weitgehend umgesetzt. Nur die Kan tone Aargau, Appenzell-Innerrho den und Uri haben noch abweichen de Modelle. Statt den Rückwärtsgang einzu legen und die erreichte Harmonisie rung wieder zu zerstören, ist es daher viel gescheiter, die Koordina tion im Fremdsprachenbereich zu Ende zu führen, aber auch die Unterrichtsbedingungen endlich zu verbessern und den Fremdspra chenunterricht von der Selektion für die Oberstufe zu entkoppeln. Dann können möglichst viele Kinder mit Freude ausrufen: Frühenglisch – «yes, I can», und Frühfranzösisch – «mais oui!».
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Erziehung & Schule
Schulstart: mit Unterstützung die ersten Hürden meistern Emma hat sich so auf die Schule gefreut! Dort angekommen, läuft es mit dem Lernen nicht ganz rund. Sie ist oft ungeduldig und lustlos. Bei manchen Kindern zeigen sich beim Schulstart Lernschwierigkeiten. Die Schulische Heilpädagogin ist dazu da, über die ersten Hürden hinwegzuhelfen. Text: Claudia Ziehbrunner Bild: Thomas Burla
E
mma ist ein aufgewecktes Kind. Im Kindergarten stellte sie unermüdlich fragend ihre Welt auf den Kopf. In raschem Wechsel tauschte sie eine Aktivität gegen die nächste. Sie war ständig in Bewegung. Auf die Schule hat sich Emma gefreut. Wenn die ältere Schwester an den Hausaufgaben sass, wollte Emma mitmachen, aber ihr Zappeln und Schwatzen störte, und die Schwester schickte sie weg. In der ersten Klasse klappt es mit dem Rechnen nicht gut. Obwohl Emma die Zahlen bis zehn im Kindergarten gelernt hat, führt nun das Abzählen der Rechnungen an den Fingern zu vielen Fehlern. Rasch verliert Emma das Interesse. Das Arbeiten im Klassenzimmer macht sie lustlos und ungeduldig. Es geht Emma nicht gut. Die Eltern sind ratlos. Emma und die Schule scheinen nicht zusammenzupassen. Wie Emma ergeht es auch anderen Kindern in der Schuleingangsphase.
Die moderne Schule soll darauf ausgerichtet sein, allen Lernbedürfnissen gerecht zu werden. 50
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Lernschwierigkeiten können dabei nicht nur beim Rechnen auftreten, auch beim Lesen- und Schreibenlernen läuft es nicht immer rund. Erschwerend können mangelnde Deutschkenntnisse sein oder Konzentrationsschwierigkeiten. Wurden Kinder mit besonderen Lernbedürfnissen früher in separaten Klassen unterrichtet, soll die moderne Schule darauf ausgerichtet sein, allen Lernbedürfnissen gerecht zu werden. Die Schule lernt, sich an die Kinder anzupassen. Heute verfügen Schweizer Schulen über Konzepte zu sogenannter integrativer Förderung. Diese unterstützt Kinder bei Lernschwierigkeiten und hilft ihnen über die schulischen Hürden hinweg. Dazu arbeitet die Klassenlehrperson mit einer Fachperson für Schulische Heilpäd-
agogik SHP zusammen, die während einiger Lektionen in der Woche im Unterricht anwesend ist. Die SHP ist Expertin für Lernschwierigkeiten. Über die Beobachtung von Lernergebnissen und in der Arbeit mit dem einzelnen Kind kann sie feststellen, wo das Kind in seiner Lernentwicklung steht, welches die nächsten möglichen Lernschritte sind und wie diese Lernschritte im schulischen Alltag unterstützt werden können. Frau Zellweger ist Schulische Heilpäd agogin an Emmas Klasse. Sie weiss, dass es für den Mathematikerwerb überaus wichtig ist, dass Emma das Abzählen an den Fingern durch geeig netere Strategien ersetzt. Mit der Klas senlehrperson plant sie den Unterricht so, dass Emma Gelegenheit hat, zuerst
Die Fachperson für Schulische Heilpädagogik ist Expertin für Lernschwierigkeiten. das Verdoppeln und Halbieren im Zahlenraum 1 bis 20 intensiv zu üben, ohne die Finger zu Hilfe zu nehmen. Erst danach werden die Aufgabenstel lungen schrittweise erweitert. Dieser Unterricht kommt auch den anderen Kindern zugute. In den Stunden, in denen Frau Zellweger mit im Unter richt ist, beobachtet sie Emma beim Lernen, stellt ihr angepasstes Übungs material bereit, lobt Fortschritte und unterstützt bei auftretenden Schwie rigkeiten. Emma freut sich, wenn Frau Zellweger da ist. Manchmal >>>
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Erziehung & Schule
Integrative Förderung Die Schulbildung von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Lernbedürfnissen liegt in der Zuständigkeit der Kantone. Seit 2004 wurden von allen Kantonen Konzepte dazu erarbeitet. Eltern können diese Konzepte über die kantonalen Schulämter einsehen. Darauf aufbauend verfügt jede Einzelschule über ein spezifisches Konzept zur integrativen Förderung. Schulleitungs- und Lehrpersonen können Eltern darüber Auskunft geben.
Schulische Heilpädagogik (SHP) Detaillierte Informationen zum Berufsbild der Schulischen Heilpädagogin und des Schulischen Heilpädagogen sind unter www.hfh.ch/de/studium/ ma-schulische-heilpädagogik zu finden.
>>> darf sie mit ihr und zwei, drei weiteren Kindern in den Gruppenraum. Dort steht ein Trampolin. Das Springen macht Spass, und das Rechnen fällt Emma dabei viel leichter. Integrative Förderung kann an den Schulen verschieden aussehen. Mög lich ist, dass die Klassenlehrperson und die SHP gemeinsam unterrich ten, die SHP im Klassenverband Kinder mit besonderen Lernbedürf nissen zusätzlich unterstützt oder mit diesen einzeln oder in kleinen Gruppen vorübergehend in einem separaten Raum arbeitet. Für die Lektionen ohne die SHP berät sie die Klassenlehrperson, wie die besonde ren Lernbedürfnisse berücksichtigt werden können. Der Unterricht wird laufend überprüft und an die Lern bedürfnisse der Kinder angepasst. Einige Kinder nehmen die allfäl ligen Hürden beim Schuleintritt rasch, etwa den Übergang vom zäh lenden zum nicht zählenden Rech nen. Für sie ist nur kurze Zeit eine zusätzliche Unterstützung nötig. Andere brauchen längere und auch vielseitigere Unterstützung. Der Ein bezug der Eltern ist wichtig, denn gerade sie kennen die Besonderhei ten der Entwicklung ihres Kindes seit dessen Geburt und können auf
Zur integrativen Förderung gehören regelmässige Standortgespräche. 52
grund ihrer Erfahrungen das schu lische Lernen mitunterstützen. Zur integrativen Förderung ge hören deshalb regelmässige Stand ortgespräche, in denen Eltern und Lehrpersonen gemeinsam über die Lernentwicklung des Kindes spre chen, Lernziele vereinbaren und Möglichkeiten festhalten, wie diese erreicht werden können. Dabei geht es ausser um die Förderung von Rechnen oder Lesen und Schreiben auch darum, wie das Kind allgemein lernt, ob es zum Beispiel zuhört und aufmerksam ist, Regeln einhält und seine Meinung sagen kann oder ob es mit anderen zusammenarbeitet und Freunde findet. Dies alles kann einen Einfluss auf die Lernentwick lung des Kindes haben. Herr Suter, Emmas Klassenlehrer, hat zu einem Standortgespräch eingeladen. Die Ziele, die vor einem halben Jahr festgelegt worden sind, sollen überprüft und weitere Schritte geplant werden. Frau Zellweger berichtet über Emmas Fortschritte im Rechnen. Das Verdoppeln und Halbieren ist gefestigt und darauf aufbauend gelingen ihr Plus- und Minus-Rechnungen im Zahlenraum bis 20 zunehmend automatisiert. Dieses Ziel ist gut erreicht. Am runden Tisch wird vereinbart, dass Frau Zellweger Emma auch im Übergang in die zweite Klasse im Mathematikerwerb unterstützt. Das zweite Förderziel, Zuhören und Aufmerksamsein, ist weniger gut erreicht. Vor allem, wenn Herr Suter alleine mit der Klasse arbeitet, ist Emma häufig abgelenkt und trotz vieler Bewegungspausen, mit denen Herr Suter seinen Unterricht kindgerecht strukturiert, immer irgendwie auf dem Sprung. Dies erweist sich als nachteilig für ihre Konzentration und damit für ihr Lernen. Zudem kann sich ihre Ablenkbarkeit störend auf den Unterricht insgesamt auswirken. Damit die Lernziele erreicht werden können, erhalten Kinder mit beson deren Lernbedürfnissen angepasste Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Lernangebote. Das ist das Grundverständnis der integrativen Förderung. Gleichzeitig sind die Kinder Teil einer Klasse und einer Schule. Lernen findet nicht alleine, sondern in Gemeinschaft statt. Damit sie funktioniert, bedarf es bestimmter Regeln, die von allen eingehalten werden. Dazu gehören Pünktlichkeit, Aufmerksamkeit, ein konstruktiver Umgang mit Konflikten oder einfach, dass in der Mathematikstunde gerechnet wird. Mit dem
Eintritt in die Schule erfolgt auch der Eintritt in die Lerngemeinschaft der Klasse. Schritt für Schritt lernt das Kind, sich der Schule anzupassen. Diese Anpassung fällt nicht allen Kindern leicht. Eltern können ihre Kinder darin unterstützen, Schule als Lernort zu verstehen, für den bestimmte Regeln gelten. Die Eltern, Herr Suter und Frau Zellweger sind sich einig: Emma muss sich an die Regeln des schulischen Lernens
anpassen. Sie vereinbaren, dass Emma in der Freizeit Gelegenheit erhalten soll, sich viel zu bewegen, wie es ihrem Naturell entspricht. Dies soll ein Ausgleich dazu sein, dass in der Schule mehr und mehr Aufmerksamkeit von Emma gefordert wird. In Emmas Wohngemeinde gibt es einen aktiven Fussballklub. Die Eltern wollen sich dort erkundigen, ob eine baldige Anmeldung möglich ist. Emma freut sich! >>>
Eltern können ihre Kinder darin unterstützen, Schule als Lernort zu verstehen.
Claudia Ziehbrunner Professorin, ist Co-Leiterin des Departements für Heilpädagogische Lehrberufe an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH).
Papi, der grosse Held für den kleinen Alltag
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Allein mit Papi unterwegs läuft alles irgendwie anders. Bei kleinen Dingen des Alltags improvisiert er gerne mal – und dabei kommt manchmal ganz Lustiges heraus. Wir haben uns umgehört: Für Sara, 10, aus Pratteln BL, ist Papi der «Überlebenskünstler»: «Mein Papi ist ein echter Abenteurer. Wenn er sich etwas vorgenommen hat, hält ihn nichts davon ab. Zum Beispiel Brätle im Wald. Feuerstelle parat, schönes «Schiiteli» gebaut. Doch leider hats geregnet, das Holz ist nass. Ende Feuer. Der Cervelat wird roh gegessen.» Für Max, 9, aus Schaffhausen SH ist Vati der «Alles-Flicker»: «Vati ist ein Tüftler. Hosenknopf ab? Vati schliesst die Hose mit einer Sicherheitsnadel. Der Lieblingsfilzstift schreibt nicht mehr? Er gibt ein paar Wassertropfen hinein – und man kann wieder damit malen!» Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Für David, 13, aus Rothrist AG ist Dad der «praktische Stylist»: «Mein Dad hat seinen eigenen Style: praktisch und schnell. Warum zum Coiffeur, wenn die Stirnfransen lästig in die Augen fallen? Dad löst das Problem kurz und bündig mit seinem Rasierapparat. Er hat das Gerät voll im Griff, und am Schluss sieht die Frise mega-cool aus.»
Für Lara, 9, aus Frauenfeld TG ist Paps das «Wäsche-Gespenst»: «Paps ist manchmal richtig kindisch. Auch wenn er mal bei der Hausarbeit helfen muss, macht er immer wieder Wie lustig wird es erst, wenn Papi seine einen Spass draus. Zum Beispiel beim Überlebenskünste auf Abenteuerreise Wäsche-Aufhängen: Da wirft er plötzbeweist? Gewinne auf conci-world.ch eine lich die frisch gewaschene Bettwäsche Woche Camperferien mit deiner Familie über den Kopf und erschrickt als Geund kurve durch die ganze Schweiz. Juni/Juli 2017 53 spenst die Nachbarin. Das ist so lustig!» Jetzt online mitmachen!
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Elterncoaching
Belohnungen: ein zweischneidiges Schwert
Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor («Mit Kindern lernen»). In der Rubrik «Elterncoaching» beantwortet er Fragen aus dem Familienalltag. Der 37-Jährige ist verheiratet und Vater eines Sohnes, 4, und einer Tochter, 1. Er lebt mit seiner Familie in Freiburg. www.mit-kindern-lernen.ch www.biber-blog.com
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ährend Beloh nungsprogram me ein fester Bestandteil vie ler Erziehungs kurse sind, finden sich auch Stim men, die jede Form von Belohnung verteufeln und diese sogar als moder ne Form der Bestrafung sehen. Ich selbst würde zu einem sorgsamen Umgang raten. Belohnungen können hilfreich sein
Belohnungen können für Kinder wie auch für Erwachsene eine Unterstüt zung sein. Sie können als eine Art Krücke dienen, die uns das Gehen erleichtert, bis die Beine genügend Kraft haben, um uns zu tragen. Das gilt besonders dann, wenn bestimm te Handlungen zu Beginn schwerfal len oder unangenehm sind, mit zunehmender Übung aber Freude bereiten. Ich denke dabei zum Beispiel an ein Mädchen mit einer Leseschwä che. Es las sehr langsam und sto ckend und empfand einen zuneh menden Widerwillen gegen das
Belohnen Sie Ihr Kind möglichst nicht zusätzlich für Dinge, die es sowieso gerne tut. 54
Lesen. Zudem fand das Mädchen es «total ungerecht», dass es in den Sommerferien jeden Tag 15 Minu ten lesen sollte. Da es in den Ferien zuvor fast alle Buchstaben wieder vergessen hatte, war das Üben jedoch dringend nötig. Zwei kleine Belohnungen sollten dem Mädchen zu Beginn das Lesen erleichtern. Die erste Belohnung bestand darin, dass sich die Eltern bereit erklärten, abwechselnd zu lesen. Nach ein paar Zeilen las ihm die Mutter oder der Vater den Rest der Seite vor. Es durfte sich zurück lehnen und die Geschichte genies sen. Diese Belohnung ist deswegen sinnvoll, weil sie in einem engen Zusammenhang mit der Tätigkeit steht und dem Kind verdeutlicht: Lesen gibt dir Zugang zu wunderba ren Geschichten. Die zweite Belohnung sollte die «Kosten» aufwiegen, die für das Mädchen entstanden. Es fand es zu Beginn der Beratung «total unge recht», dass ihm die schöne Freizeit gestohlen werde, um lesen zu üben – das werde von den anderen Kin dern auch nicht verlangt. Die Eltern und ich mussten ihm beipflichten und vereinbarten daher Folgendes: Du darfst während der Ferien selbst entscheiden, ob du lesen möchtest. Wenn du deine wertvolle Freizeit dafür hergibst, darfst du dafür am Abend eine halbe Stunde länger auf bleiben – so geht dir die Zeit nicht
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Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
«Was halten Sie von Belohnungen?» Diese Frage wird mir von Eltern und Lehrpersonen immer wieder gestellt.
verloren. Gleichzeitig wurde dem Mädchen gesagt, dass dieser «Deal» natürlich nur für das freiwillige, zusätzliche Lesen gelte – und keines falls auf Pflichten wie die Hausauf gaben ausgedehnt werden könne. An den meisten Tagen entschied es sich für das Lesen und Aufbleiben. Im Weiteren wurde darauf ge achtet, dass die Leseübungen so gestaltet wurden, dass sie Spass machen. Mit zunehmender Lesefer tigkeit war das Mädchen gewillt, grössere Abschnitte selbst zu lesen. Mit Beginn des neuen Schuljahrs wurde zudem der «Deal» umfunk tioniert: Das Mädchen durfte auch während der Schulzeit 15 Minuten später das Licht löschen. Allerdings galt: Du musst bereits im Bett sein, darfst aber noch lesen. Dass sich die Haltung zum Lesen endgültig verändert hatte, bemerk ten die Eltern einige Monate später, als sie ihre Tochter dabei erwisch ten, wie sie nach dem Lichter löschen unter der Bettdecke mit der Taschenlampe weiterlas. In diesem Beispiel sehe ich Belohnungen als wertvolle Krücke. Das Lesen machte dem Mädchen aufgrund seiner Schwäche zunächst keine Freude. Es war anstrengend. Die Belohnungen erhöhten die Attraktivität des Lesens, bis die Fer tigkeit so weit entwickelt war, dass das Lesen selbst Spass machte. Belohnungen können aber auch unerwünschte Nebenwirkungen haben. Zusätzliche Anreize können die Freude an einer Sache untergraben
Mit Belohnungen sollte man zurück haltend sein, wenn ein Kind etwas bereits von sich aus gerne tut. Eine zusätzliche Belohnung kann in die sem Fall die ursprüngliche, von innen kommende Motivation unter graben. Dieser Vorgang wird als Korrumpierungseffekt bezeichnet. Wenn ein Kind beispielsweise eine Sportart gerne ausübt, zuneh mend besser wird und anfängt, Tur
niere zu gewinnen, kann die Beloh nung in Form von Turniersiegen wichtiger werden als die Freude an der Bewegung. Solange die Erfolge da sind, stellen sie eine zusätzliche Motivation dar. Bleiben sie plötzlich aus, kann es sein, dass das Kind nicht mehr die gleiche Begeisterung für den Sport empfindet wie zu Beginn. Das Problem tritt also auf, wenn eine zusätzliche Belohnung hinzugefügt wird, die ab einem bestimmten Zeitpunkt wieder ent zogen wird. Noch negativer wirken sich Be lohnungen aus, wenn wir jemandem helfen möchten. Ein Beispiel dafür wäre das Kind, das seinen Gross eltern den Rasen mäht, weil es ihnen etwas zuliebe tun möchte. Geben ihm die Grosseltern dafür fünf Fran ken, kann es sein, dass das Kind von diesem Moment an den Rasen nicht mehr mähen wird. Mit dem Geld haben die Gross eltern das Kind für seine Arbeit «be zahlt» und so seine ursprüngliche Motivation, ihnen etwas zuliebe zu tun, durchkreuzt. Die Freude der Grosseltern und das Gefühl, eine gute Tat vollbracht zu haben, wären dem Kind den Aufwand wert gewe sen – für fünf Franken ist ihm die Arbeit aber zu mühsam. Belohnungen können falsche Anreize setzen
Belohnungen können auch falsche Anreize setzen. Gut geführte KMU können oft auf die Loyalität ihrer Mitarbeiter zählen. Sie motivieren durch ein Gefühl der Zugehörigkeit und gemeinsame Ziele und Werte. Grosse Konzerne, die auf Profitma ximierung aus sind, versuchen ihre Mitarbeiter über Boni zu halten und anzuspornen. Das hat oft zur Folge, dass jeder nur noch an sich denkt – und für einen grösseren Bonus auch gerne zur direkten Konkurrenz wechselt. Auf ähnliche Weise können Be lohnungssysteme in Familien und Schulen das Gefühl der Gemein
Belohnen Sie Kinder nicht dafür, dass sie Ihnen etwas zuliebe tun – freuen Sie sich einfach und bedanken Sie sich! schaft untergraben. Viele Familien stellen nach einer motivierenden Anfangsphase mit Belohnungsplä nen fest, dass die Kinder nur noch an ihre Punkte denken, immer grös sere Belohnungen einfordern und – wenn sie um einen Gefallen ge fragt werden – fragen: «Was kriege ich dafür?» Kinder benötigen Eltern und Lehrpersonen, die mit ihnen in Beziehung treten und sie führen – wenn wir diese Aufgabe an ein Be lohnungssystem delegieren, schwä chen wir unsere Rolle und die Beziehung zum Kind. Kurztipps zum Einsatz von Belohnungen
• Gehen Sie sorgsam und sparsam mit Belohnungen um. • Achten Sie darauf, dass die Beloh nung möglichst in einem Zusam menhang mit der Tätigkeit steht (wie beim Vorlesen). • Machen Sie Ihrem Kind bewusst, dass die Belohnung nur über eine bestimmte Zeit hinweg für eine ganz spezifische Situation einge setzt wird. • Belohnen Sie Ihr Kind möglichst nicht zusätzlich für Dinge, die es sowieso gerne tut. • Belohnen Sie Kinder nicht dafür, dass sie Ihnen etwas zuliebe tun – freuen Sie sich einfach darüber und bedanken Sie sich.
In der nächsten Ausgabe: Mein Kind vergleicht sich ständig mit anderen
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« Wir wollen bei Papi wohnen!» Noch immer leben in der Schweiz nach einer Trennung die meisten Kinder bei der Mutter. Bei Familie Baumeler und Familie Schaffner ist das anders. Ein Modell mit Zukunft? Text: Sandra Casalini Bilder: Herbert Zimmermann / 13 Photo
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Erziehung Erziehung&&Schule Schule
André Schaffner mit Quentin und Bradie.
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Erziehung & Schule
E
s ist Sommer, in der Badi ordentlich was los. Der zehnjährige Marcel schlägt sich am Beckenrand den Zeh auf und blutet. «Oje, wo ist denn dein Mami?», fragt eine Frau besorgt. Marcel schaut sie an. Und schweigt. «Ich wusste nicht, was ich sagen soll», gesteht er verlegen. Denn ihr Mami sehen Marcel und seine siebenjährige Schwester Danielle nur jedes zweite Wochenende. Seit ihre Eltern sich trennten und ihre Mutter aus der gemeinsamen Wohnung auszog, leben die beiden bei ihrem Vater. Roger Baumeler war von Anfang an hauptsächlich für die Betreuung der Kinder zuständig. «Meine ExFrau hatte den besser bezahlten Job als ich und berufliche Ambitionen. Also haben wir uns nach der Geburt des ersten Kindes dafür entschieden, dass sie hundert Prozent arbeitet», sagt der gelernte Informatiker. Er übernahm die Betreuung von Marcel und Danielle und ging freiberuflich diversen Nebenjobs nach, unter anderem im Vorstand einer Kinderkrippe. «Das stimmte so für alle.» Vor drei Jahren kam es zur Scheidung. «Man kann leider nicht sagen, dass die Trennung friedlich abgelaufen ist», sagt Roger Baumeler. Dass
Nachdem Roger Baumeler das Urteil angefochten hatte, wurden die Kinder angehört. Ihre Aussagen waren deutlich. 58
er nach wie vor die hauptsächliche Betreuungsperson seiner Kinder bleiben wollte, war für ihn klar – schliesslich war das sein «Job». Vor Gericht wurden Marcel und Danielle aber in einem ersten Verfahren der Mutter zugesprochen. Ein Urteil, das Roger Baumeler bis heute nicht versteht – und das später auch durch das Kantonsgericht Luzern gerügt wurde: «Ich hatte die Kinder immer zu Hause betreut, während ihre Mutter arbeitete. Offenbar ist das Vorurteil, dass Kinder in jedem Fall zur Mutter gehören, extrem stark, und die reale Gleichstellung von Mann und Frau ist in solchen Themenbereichen kaum angekommen.» Die Kinder selbst seien nicht gefragt worden. Roger Baumeler: «Ich fühlte mich total hilflos.» Väter haben grossen Respekt vor dieser Aufgabe
Gut 207 000 sogenannte Ein-Eltern-Familien gibt es laut Bundesamt für Statistik in der Schweiz. In 83 Prozent dieser Familien leben die Kinder hauptsächlich bei der Mutter, in 17 Prozent wohnen sie beim Vater. Vergleichbare Zahlen aus früheren Jahren gibt es laut dem Bundesamt für Statistik nicht. In einer Publikation von 2009 («Kinder und Scheidung – Der Einfluss der Rechtspraxis auf familiale Übergänge») schreiben die Rechtswissenschaftlerin Andrea Büchler und die Psychologin Heidi Simoni jedoch von 8 Prozent der Kinder, die nach der Trennung beim Vater bleiben. Im Gegensatz zu 86 Prozent, die hauptsächlich von der Mutter betreut werden. 6 Prozent wohnten alternierend bei beiden Elternteilen. Das lässt zwar erahnen, dass die Zahl der Väter, welche die Hauptverantwortung für ihre Kinder übernehmen, stetig steigt. Trotzdem sind sie auch heute noch eher die Ausnahme. Dass Mütter nach einer Trennung nach wie vor mehr Verantwortung übernehmen als Väter, liege sicherlich auch daran, dass die Männer
grossen Respekt vor dieser Aufgabe hätten und sich überfordert fühlten, meint Christoph Adrian Schneider, Vorstandsmitglied von männer.ch (siehe Interview Seite 60). Aber nicht nur. «Wenn beide Elternteile die genau gleichen Voraussetzungen mitbringen, die Obhut über die Kinder auszuüben, muss man halt einen Entscheid fällen», sagt Charlotte Christener, Anwältin und Präsidentin der KESB Bern. «Ist die alternierende Obhut kein Thema, kann ich mir durchaus vorstellen, dass man im Zweifel die Kinder eher der Mutter zuspricht. Vielleicht spielt dabei eine Rolle, dass – rein rechtlich gesehen – immer sicher ist, wer die Mutter des Kindes ist, während beim Vater in den meisten Fällen kein Beweis vorliegt, dass er der biologische Vater ist», sagt die Juristin, und: «Wir bei der KESB Bern sind aber sehr bemüht, in jedem Fall genderneutral danach zu fragen, welche Lösung dem Wohl des Kindes am besten entspricht.» Den Alltag meistert das Trio problemlos
Nachdem Roger Baumeler das Urteil des Richters angefochten hatte, wurden die Kinder angehört. Die Aussagen von Marcel und Danielle waren deutlich: «Wir wollen bei Papi wohnen!» Papi habe ja viel mehr Zeit für sie als Mami, erklärt Marcel. «Er macht Sachen mit uns, kocht und hilft bei den Hausaufgaben.» Klar vermisse er sein Mami manchmal. «Aber eigentlich ist es gar nicht so viel anders als vorher.» Jedes zweite Wochenende verbringen die Kinder bei ihrer Mutter. Die Übergabe findet nach wie vor mit einer Begleitung durch eine Fachstelle statt, koordiniert durch eine Besuchsrechtsbeistandschaft. Obwohl sich die Eltern das Sorgerecht teilen, funktioniert die Kommunikation zwischen ihnen nicht. «Aber das ist unser Problem, nicht das der Kinder, und ich gebe mir grosse Mühe, das zu trennen», sagt Roger Baumeler. Den Alltag
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Ein gutes Team: Roger Baumeler mit seinen Kindern Marcel und Danielle.
meistert das Trio problemlos. Auch wenn er sich hin und wieder blöde Sprüche anhören müsse, weil er von der Mutter seiner Kinder Alimente beziehe, so Baumeler, der mittlerweile zu 50 Prozent als Berfusschullehrer arbeitet. Ob seiner Tochter manchmal eine weibliche Bezugsperson fehle? «Nun ja, eine Zeit lang fragte sie wahllos Frauen, ob sie ihren Papi heiraten wollten. Aber seit ich eine neue Partnerin habe, hat sie damit aufgehört», meint Roger Baumeler lachend. Danielle grinst breit und zeigt eine grosse Zahnlücke. «Es gibt nichts, was ich Papi nicht erzählen würde», sagt sie. «Es ist gut so, wie es ist.» Das findet auch der achtjährige Bradie. Zumal er gerade Geburtstag hatte und diese Tatsache die Legosammlung in seinem Zimmer beachtlich erweiterte. Nur ein
Als sich das Paar trennte, war klar, dass sie auszieht. Ohne die Kinder. Geschenk fehlt noch. «Von Mami bekomme ich ein spezielles NinjagoSet, wenn ich das nächste Mal bei ihr bin», erzählt er aufgeregt. Vor einem Jahr ging die Beziehung seiner Eltern in die Brüche, seither leben Bradie und sein Bruder Quentin, 10, bei ihrem Vater André Schaffner. Genau wie Roger Baumeler war auch Schaffner bereits zuvor mit den Kindern zu Hause. Vor gut drei Jahren hatten der gelernte Schriften maler und seine damalige Freundin beschlossen, die bisherigen Rollen zu tauschen. «Ich konnte mir das schon immer vorstellen, und sie
wollte mehr arbeiten, also versuchten wir es, und es hat bestens funktioniert.» Als sich das Paar trennte, war klar, dass sie auszieht und er mit den Kindern in der gemeinsamen Wohnung bleibt. Das Erstaunliche daran: André ist nicht Quentins leiblicher Vater. «Er trat in mein Leben, als er 18 Monate alt war. Für mich ist er mein Sohn», betont André Schaffner. Und: «Wir hätten ihn niemals von seinem Bruder ge trennt.» Die Buben verbringen jeden Sonntag bei ihrer Mutter, Quentin ist jedes zweite Wochenende bei seinem biologischen Vater, den >>>
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 59
«Als Vater braucht man eine dicke Haut» Christoph Adrian Schneider ist Psychologe mit eigener Praxis in Bern und Vorstandsmitglied von männer.ch. Im Interview spricht er darüber, warum Männer im Falle einer Trennung gegenüber Frauen in Fragen der Obhut noch immer das Nachsehen haben, das Wohl des Kindes aber immer im Zentrum stehen sollte. Interview: Sandra Casalini
>>> er «Dädi» nennt – und so nennt Bradie ihn auch! Das Sorgerecht für Quentin teilen sich dessen Eltern, André hat sein Aufenthaltsrecht. Die Sorge für Bradie teilt er sich mit seiner Ex-Partnerin. «Zwischen uns ist alles okay, wir sprechen uns ab, wenn sie die Jungs am Sonntagabend nach Hause bringt», erzählt André. Zu Elternabenden gehen sie zu zweit. «Einmal kam auch Quentins Vater mit. Da kam
ich mir dann schon ein bisschen komisch vor – auch wenn man uns ja mittlerweile kennt im Dorf», gesteht André lachend und wuschelt seinem Ältesten durchs Haar. «Ich vermisse den Alltag mit meinen Söhnen»
Quentin lächelt, beisst auf der goldenen Kette herum, die um seinen Hals baumelt. An ihr hängt ein Sternzeichen-Anhänger, eine >>>
«Als alleinerziehender Vater bist du ein Frauenmagnet», witzelt André Schaffner. 60
Herr Schneider, war es nie ein Thema, dass Ihre Söhne nach der Trennung hauptsächlich bei Ihnen leben? Als unsere Kinder geboren wurden, haben wir bereits beschlossen, dass wir nie um die Sorge streiten werden. Da wir beide sehr gerne Mutter und Vater sind, wir uns die finanzielle Mehrbelastung durch zwei Haushalte leisten können und das Zusammenleben mit unseren Kindern eine sehr hohe Priorität für uns beide hat, stand es immer ausser Frage, dass wir uns Sorge und Obhut zur Hälfte teilen. In der Schweiz lebt nach einer Trennung der Eltern immer noch der grösste Teil der Kinder mehrheitlich bei der Mutter. Woran liegt es, dass die Väter so wenig Verantwortung übernehmen? Wollen, können oder dürfen sie nicht? In erster Linie liegt es wohl daran, dass die meisten Paare vor der Trennung ein eher klassisches Modell wählten, in dem der Vater mehr arbeitet als die Mutter, und sie dieses danach so beibehalten – nicht zuletzt um die finanzielle Sicherheit zu gewährleisten. Es ist aber sicherlich auch so, dass viele Männer Respekt haben vor dieser Aufgabe und sich überfordert fühlen. Sie konzentrieren sich gern auf die Rolle des Ernährers. Man muss aber auch sagen, dass es einem als Mann nicht gerade schmackhaft gemacht wird, mehr Verant-
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Erziehung & Schule
wortung für die Kinder übernehmen zu wollen. Man wird bei einer Trennung im besten Fall schräg angeschaut, wenn man sagt, man wolle im Job reduzieren, und im schlechtesten nicht ernst genommen – auch von den Behörden nicht. Seit 2014 gilt bei einer Trennung die gemeinsame elterliche Sorge als Regel. Hat sich seither etwas getan für die Väter? Im Alltag nicht, nur in den Köpfen der Leute – aber das ist schon mal ein Anfang. Aus welchen Gründen bleiben Kinder beim Vater? Aus denselben, aus denen sie bei der Mutter bleiben. Entscheidend ist meines Erachtens, welcher Elternteil die besten Voraussetzungen für die Sorge und Obhut der Kinder hat. Kinder brauchen Stabilität, Fürsorge und ein sicheres Umfeld. Hat ein Elternteil zum Beispiel eine chronische Krankheit, finanzielle Schwierigkeiten oder ist durch den Job stark absorbiert, kann das schwierig sein in Bezug auf die Kinderbetreuung. Männer müssen offenbar mehr um die Obhut für ihre Kinder kämpfen als Frauen. Sofern sich sowohl Mutter als auch Vater damit einverstanden erklären, dass die Obhut beim Vater liegt, ist das kein Problem. Im Streitfall sieht das oft anders aus. Wird da auf die Wünsche der Kinder eingegangen? Kinder werden so früh wie möglich selbst befragt. Aber schlussendlich entscheidet das Gericht, welche Form der Obhut und Sorge angewendet wird – wobei sicherlich auch das Alter der Kinder eine Rolle spielt. Ältere Kinder können besser ausdrücken, was sie möchten. Kinder geraten in einen inneren Konflikt, wenn sie sich dazu äussern sollen, bei wem sie leben möchten. Wie soll man sich als Elternteil in einer solchen Situation verhalten? Das kann zu einer grossen Herausforderung und mitunter auch zu einer Überforderung aller Beteiligten führen. Es sollte unbedingt vermieden werden, dass das
Kind unter Druck entscheiden muss. Die Eltern sollten möglichst oft gemeinsam mit dem Kind über die anstehende Veränderung sprechen und wenn nötig mit einer Fachstelle zusammenarbeiten. Wie reagieren Mütter auf die Äusserung der Kinder, beim Vater bleiben zu wollen? Wohl ebenso wie ein Vater, dessen Kinder bei der Mutter bleiben möchten. Väter werden nicht schwanger, gebären und stillen nicht. Doch das war es dann auch schon mit dem Unterschied zwischen Vater- und Muttersein. Ich denke, jeder Elternteil ist in dieser Situation gefordert, egal, ob selbst oder durch Fremdbestimmung entschieden wird, bei wem das Kind lebt. Eine Trennung und Scheidung ist eine Sache. Sein Kind nicht mehr – beziehungsweise nicht mehr regelmässig – zu sehen, ist noch mal viel schwerwiegender. Es gilt, den Entscheid des Kindes zu akzeptieren und den Kontakt, so gut es geht, aufrechtzuerhalten. Es gibt Väter, die ihre Kinder gern mehr bei sich hätten, aber aus irgendwelchen Gründen klappt das nicht. Oft ist in solchen Fällen auch die Kommunikation zwischen den Eltern gestört. Was raten Sie solchen Männern? Als Vater muss man sich erklären, wenn man nach einer Trennung die Verantwortung als Betreuungsperson wahrnehmen will: Warum will man mehr Verantwortung für die Kinder, will man wirklich weniger arbeiten? Eine Mutter muss das nicht. Es ist schwierig, aus diesem Rechtfertigungs modus herauszukommen. Man sollte sich auf jeden Fall Unterstützung holen und Beratungsangebote nutzen. Väter, die hauptsächlich ihre Kinder betreuen, müssen sich vieles gefallen lassen, von schrägen Blicken bis zu offenen Anfeindungen. Wie geht man damit um?
Da kann ich aus dem Nähkästchen plaudern: Mir wollte mal eine Frau meinen Sohn aus dem Arm nehmen, weil sie es komisch fand, dass ich vormittags allein mit dem Buben in der Badi war. Sie fragte mich
mehrmals, wann denn die Mutter des Jungen käme, und fand es offenbar irritierend, als ich sagte, dass die Mutter bei der Arbeit sei. Ein Vater, der die Hauptverantwortung für seine Kinder trägt, braucht eine dicke Haut, aber auch den Austausch mit Gleichgesinnten. Das hilft. Wie lange, glauben Sie, dauert es noch, bis Väter und Mütter in der Schweiz wirklich gleichberechtigt sind in Beruf und Familie?
Bis die Kinder, die jetzt in Familien aufwachsen, in denen sich die Eltern die Verantwortung teilen – egal, ob getrennt oder nicht –, in den Gremien ankommen, in denen entsprechende Entscheide gefällt werden. Gleichberechtigung ist das Thema einer Generation, und es wird eine Generation dauern, bis sich etwas ändert, auf ideologischer und auf politischer Ebene. Dann kann es auch sein, dass in Zukunft mehr Kinder als jetzt beim Vater leben. Ich möchte aber betonen, dass es das Ziel sein sollte, dass Kinder nach einer Trennung eine gleichwertige Beziehung zu beiden Elternteilen haben können.
Zur Person
Christoph Adrian Schneider ist Psychologe mit eigener Praxis in Bern und Vorstandsmitglied von männer.ch. Die Dachorganisation der Väterund Männer-Stellen der Schweiz unterstützt Männer in allen Belangen und setzt sich auch auf politischer Ebene für die Gleichstellung beider Geschlechter ein. Schneider ist geschieden und teilt sich die elterliche Sorge für die beiden Söhne, 7 und 8 Jahre alt, sowie deren Obhut mit der Mutter der Buben.
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Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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witzelt er. Dabei habe er kaum Zeit, jemanden kennenzulernen – Zeit für sich selbst hat er nur sonntags, wenn die Jungs bei ihrer Mutter sind. «Mein Sozialleben hält sich in Grenzen. Aber das ist okay, ich ver misse nichts», sagt André Schaffner. Sein grösstes Ziel? «Dass meine Söhne später einmal sagen: «Wir hatten eine tolle Kindheit!» Bitte lesen Sie weiter auf Seite 64.
Sandra Casalini blieb nach der Trennung ihrer Eltern ebenfalls beim Vater, was sie nie bereut hat. Auch wenn ihre Ernährung als Teenager zu wünschen übrig liess, da niemand im Vater-Tochter-Haushalt kochen konnte.
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>>> Waage. Quentins Sternzei chen ist nicht Waage. «Aber das von Mami», sagt er leise. Ob er manch mal lieber bei ihr wohnen würde? Er zuckt die Schultern. «Manchmal. Aber manchmal auch nicht.» Es ist nicht immer alles Gold, was glänzt. Das weiss auch Fabienne Zollin ger, die Mutter von Quentin und Bradie. «Natürlich gibt es Vorteile für mich. Weniger Diskussionen mit den Kindern, weniger Verantwor tung», sagt sie. «Aber den Preis, den ich dafür zahle, machen diese nicht
wett. Ich vermisse den Alltag mit meinen Söhnen, die kleinen Momente, wenn sie beispielsweise morgens verschlafen zu mir kom men oder wenn ich sie abends ins Bett bringe.» Trotzdem ist sie über zeugt, dass die Entscheidung, die Buben bei ihrem Vater wohnen zu lassen, richtig war: «André ist ein toller Vater und hat sein ganzes Leben nach den Buben ausgerichtet. Ich könnte ihnen gar nicht so ge recht werden wie er.» Schräg ange schaut oder gar angefeindet werde sie nicht, sagt Fabienne Zollinger: «Die Leute sind eher neugierig, weil unsere Konstellation halt nicht der Norm entspricht.» Auch André Schaffner hat im Alltag keine schlechten Erfahrungen gemacht. «Im Gegenteil, als alleinerziehender Vater bist du ein Frauenmagnet»,
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Zeit für sich selbst hat André Schaffner nur sonntags, wenn die Jungs bei ihrer Mutter sind.
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«Ich wurde als Mutter disqualifiziert» Unsere Autorin Sandra Casalini war 15, als sich ihre Eltern trennten. Sie blieb nach der Trennung auf eigenen Wunsch beim Vater, der in der Folge auch das Sorgerecht für sie erhielt. In einem Mutter-Tochter-Gespräch erzählt ihre Mutter, wie das damals für sie war.
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Wie hast du reagiert? Ich bin fast verzweifelt daran, dass du dir selbst so viel Verantwortung aufgeladen hast. Du hast trotz meines eindeutigen Wunsches, beim Vater zu bleiben, das Sorgerecht für mich beantragt. Das heisst nicht, dass ich deinen Wunsch nicht respektiert habe. Ich war mir nur nicht sicher, ob du mit deinen noch nicht einmal 16 Jahren die ganzen Konsequenzen deines Entscheides abschätzen konntest. Wie hast du dich gefühlt, als mein Sorgerecht Papi zugesprochen wurde? Beschissen. Man kann sich nicht vorstellen, wie sehr ich angegriffen wurde, von Freunden, Verwandten, Arbeitskollegen, weil ich scheinbar nicht genügend um dich gekämpft hatte. Niemand akzeptierte, dass du das so wolltest. Ich wurde als Mutter disqualifiziert. Gab es das Besuchsrecht betreffend eine Regelung? Die gab es zwar, aber du hast das von Anfang an so gehalten, wie es dir gepasst hat. Manchmal bist du täglich bei mir reingeschneit, dann hast du dich eine Woche nicht blicken lassen. Dein Bruder war jedes zweite Wochenende beim Vater. Hast du mitbekommen, wie wir zurechtkamen?
Du hast zwar nur selektiv erzählt, aber ich war auch dank der Besuche deines Bruders im Bilde, was wie läuft. Ich glaube, dein Vater hat das gut gemacht, auch wenn er zur grösseren «Gluggere» mutierte, als ich das je war. Aber er musste von 0 auf 100 Prozent die Verantwortung für dich übernehmen, das ist nicht so einfach. Speziell war, dass du mir jeweils erzählt hast, was du so entschieden hast in deinem Leben – und ich hatte rein rechtlich absolut nichts dazu zu sagen. Unsere Beziehung bekam dadurch eine andere Dimension. Ich konnte dich unterstützen, ohne die Verantwortung zu tragen. Würdest du rückblickend etwas anders machen? Nein. In dieser Situation war es das Bes te für deinen Bruder und dich, auch wenn es für mich unglaublich hart war. Das ist jetzt 25 Jahre her, und ich fürchte, dass sich seither in den Köpfen der Leute nicht viel verändert hat. Man denkt immer noch, dass mit der Mutter etwas nicht stimmt, wenn ein Kind nach der Trennung beim Vater lebt, ohne die genauen Lebensumstände zu kennen. Diese Stigmatisierung der Mutterrolle ist bedenklich, da viele Väter diese Verantwortung übernehmen wollen und können. Wir wurden mit dieser Lösung als Familie im wahrsten Sinn des Wortes erwachsen. Bild: ZVG
Mama, ehrlich gesagt, kann ich mich kaum an die Zeit eurer Trennung erinnern. Gab es eigentlich einmal dieses «eine» Gespräch, in dem ihr meinem Bruder und mir gesagt habt, dass ihr euch trennt? Es gab so ein Gespräch, ja. Das war allerdings gar nicht mal als Trennungsgespräch gedacht, auch wenn uns allen die täglichen Streitereien zusetzten. Wir hatten uns nach fast zwanzig Jahren einfach unterschiedlich entwickelt. Alles, was ich zu dem Zeitpunkt wusste, war, dass ich mehr Raum brauchte. Wir haben diskutiert und debattiert. Und irgendwann bist du aufgestanden und hast gesagt: «Bitte, Mami, geh endlich!» Du warst 15. War von Anfang an klar, dass ich bei Papi bleibe? Du hattest das bereits so beschlossen. Auf meine Frage, was denn mit euch sei, wenn ich ausziehe, sagtest du: «Mein Bruder geht mit dir, ich bleibe bei Papi.» Dein Bruder brauchte Therapien und spezielle Unterstützung, das hätte dein Vater nicht gekonnt, das wusstest du. Aber du und er, das funktionierte. Es war aber wichtig, dass das von dir kam. Weisst du, warum ich bei ihm bleiben wollte? Du hast es mir später unter vier Augen gesagt: «Dich habe ich immer, egal, was passiert. Ihn werde ich verlieren, wenn ich nicht bei ihm bleibe.»
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 65
Leserbriefe
«Das Niveau ist beeindruckend»
Monatsinterview
«Viele Kinder schä für die Krankheit men sich und fühlen sich ihrer Eltern – schuldig» Kinder, deren Mutter oder Vater psychisch gedrängt. Der Kinderpsyc erkrankt, werden oft in eine Erwachsene hiater Kurt Albermann nrolle werden, worunter erklärt, warum sie am meisten sie häufig übersehen leiden und wie es harmonischen Familienleb Betroffenen gelingt, en zurückzufinden. zu einem Interview: Sandra Casalini
Sozialpädiatrisches Zentrum Winterthur, erster Stock. Albermanns Händedruck Kurt zur Begrüssung ist fest, sein Lächeln charmant. Mit einer einladenden Geste weist er den Weg in ein Sitzungszimme r und offeriert Kaffee. Während des Gesprächs haut er mehrmals so fest auf den Tisch, dass das Getränk aus der Tasse zu schwappen droht. «Ich manchmal ein bisschenbin lebhaft», sagt er dann und lächelt. Herr Albermann, Sie nennen Kinder, die mit einem psychisch Elternteil aufwachsen, erkrankten in einer Studie «vergessene Kinder». Warum?
Kurt Albermann ist ärztlicher Leiter des Instituts Kinderseele Schweiz iks.
spielsweise Kinder mit einer depressiven Mutter oder einem Vater
Bilder: Filipa Peixeiro
Und was erwartete
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den
Teenager nach leiden? Ich erinnere mich an eine Vierzehn der Schule? jährige mit zwei jüngeren Geschwis Im besten Fall eine «funktionieren tern, die sich an unsere Beratungs de» Mutter. Es kam aber auch stelle gewandt hat. Seit sie denken dass die Tochter die Sanität vor, rufen konnte, kümmerte musste, weil sich sie sich um die die Mutter nicht Mutter und um wecken liess. Auf ihre Geschwister. dem Nachttisch lagen Tablettenpacku dige Unsicherheit ngen. Die stän und Sorge um die Mutter veränderte die Hierarchie zu Hause. Die Vierzehnjähri ge über nahm die Rolle der Erwachsenen. Sie musste schon früh ihre dürfnisse hintanstellen. eigenen Be Oft war sie selbst traurig. Und wütend.
«Ich gehe in der Schweiz von bis 300 000 betroffenzu en Kindern aus.»
Mit welchen Folgen?
Weil diese Kinder Sie hatte kaum häufig nicht auf Kolleginnen, schäm fallen. Sie sprechen te sich, jemanden nicht darüber, mit nach Hause wie es ihnen geht Wie sah ihr Tag zu bringen. In der und konkret aus? Klasse wurde sie ein Problem haben. dass die Eltern Sie überlegte aus gegrenzt, weil sie bereits am Vortag, nie Zeit hatte und man ihre Bedürfnisse So übersieht es morgen zu Mittag geben was manchmal komisch war. in der Situa sollte, auch nicht tion, in der sie Sie ging und kaufte dafür leben. zum Sport. ein. Ihre Eltern Ist es nicht eher waren geschieden. blemen ihrer Mutter Von den Pro so, dass gerade Die Mutter kam wusste niemand diese Kinder oft auffällig phasenweise vor sind in ihrem VerMüdigkeit kaum etwas, ihr wäre es peinlich gewesen, halten? aus dem Bett. darüber zu sprechen. Deshalb weckte Die Leistungen Manchmal schon. das in der Schule Mädchen morgens Aber der Zusam waren die jüngeren menhang, dass Geschwister, half sich oft unendlich gut, obwohl sie ein Elternteil beim müde fühlte. Ankleiden, eine psychische Erkrankung machte Man schätzt, dass in der Schweiz hat, wird schaffte Zmorge und Znüni. Sie übersehen. 20 000 bis 50 es kaum zum 000 Kinder mit Können Sie einen einem weil sie die Schwester Unterricht, psychisch erkrankten Fall nennen, der noch in den Elternteil leben. zeigt, unter welchen Kindergarten und Woher kommt Belastungen beidiese Zahl? den Nachbarn bringen Bruder zu den Sie stammt aus einer Umfrage, musste. die wir in Winterthur bereits vor >>> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi April 2017
Mai 2017
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«Schade, dass die öffentliche Berufsberatung nicht erwähnt wurde»
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Wel che ote r kom me n vers chw Ber ufe inde n werden
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(Monatsinterview, Heft 4/2017)
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Kürzlich hat uns Ihr Heft «Berufswahl» erreicht. Ich habe als Verantwortliche für dieses Themenfeld im Kanton Bern die Beiträge von Herrn Michel und die Illustration durch Herrn Adhihetty natürlich genau angeschaut. Ich war erfreut von der Qualität und den ausgewählten Themen und gratuliere Ihnen zu diesem rundum gelungenen Heft! Das Niveau ist wirklich beeindruckend und deckt sämtliche Fragebereiche, die Eltern von Jugendlichen im Berufswahlalter auch bei uns in der Beratung äussern, sehr gut ab. Einzig einen kleinen Wermutstropfen möchte ich erwähnen: Eltern wenden sich häufig auch an die öffentliche Berufsberatung und nutzen unsere Dienstleistungen in der Information und Beratung zur Klärung ihrer Anliegen. Dass Eltern Jugendliche im Prozess eng begleiten und auch an den Gesprächen mit unseren Fachleuten teilnehmen, ist ausdrücklich erwünscht und schweizweit eine etablierte Tradition. Deshalb finde ich es schade, dass die öffentliche Berufsberatung im Heft nicht explizit als professionelle Anlaufstelle genannt wird. Durch unsere enge Zusammen arbeit mit den Volksschulen und unsere spezifischen Angebote für Eltern werden diese überhaupt erst an den Prozess der Berufswahl an sich herangeführt. Sicher können einige Jugendliche auch ohne Beizug der Berufsberatung einen erfolgreichen Berufswahlentscheid treffen, doch die Mehrheit der Jugendlichen und deren Eltern nutzen zumindest unser Informationsangebot. Es wäre deshalb sicher auch von Interesse gewesen, uns als Anlaufstelle speziell auch für Eltern zu erwähnen. Shirley Barnes (per Mail) Geschäftsbereichsleiterin Berufswahl Kanton Bern
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«Als Mutter kann man an diesem Anspruch fast zerbrechen»
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unt erst
(Sonderheft «Berufswahl», Mai 2017)
wa h l
Als Mutter mit mehreren Kindern und mit einer Traumafolge störung hat mich das Interview mit Herrn Albermann natürlich brennend interessiert. Das Interview zeigt aber nur einen kleinen Teil der Probleme, die aus einer psychischen Beein trächtigung resultieren. Die Kinder werden einem nicht automatisch weggenommen, aber die «Hilfe», die ich erhalten habe, gleicht zum Beispiel eher einer «Überwachung» und ist für mich eher demütigend. Ich finde, es kommt auch sehr darauf an, welche psychische Erkrankung die Mutter oder der Vater hat. Es gibt nicht nur depressive Eltern. Das ganze Spektrum der dissoziativen Störungen wird hier nicht genannt. Ein Aspekt scheint mir auch wichtig zu sein. Seit ich die Diagnose einer Traumafolgestörung erhalten habe, habe ich das Gefühl, eh nichts mehr richtig machen zu können. Sämtliche Schwierigkeiten, und seien sie auch noch so normal, werden mit meiner Befindlichkeit als Mutter in Zusam menhang gebracht. Denn es gilt die Regel: «Geht es den Eltern gut, dann geht es auch den Kindern gut.» An diesem Anspruch kann man als Mutter fast zerbrechen, denn egal, was man tut, es ist nie mehr genug. So stehe ich mit einem Schuldgefühl auf und gehe mit diesem auch wieder ins Bett. Dann hätte ich mir zum Schluss noch etwas konkretere Hilfsangebote gewünscht, zum Beispiel ein paar konkrete Adressen. Grundsätzlich finde ich es gut, dass die Diskussion über dieses heikle Thema stattfindet. Maja Gfeller-Christen, Bern (per Mail)
Schreiben Sie uns! Ihre Meinung ist uns wichtig. Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Nie mehr Hausaufgaben?
Eine Frage – drei Meinungen
Dossier
Sie sorgen in vielen Familien regelmässig für Hausaufgaben. Frust und Ärger: Sind Hausaufg aben wirklich man sie nicht nötig? Warum einfach ab? Und schafft mit welchen Tricks leichter? Eine Annäherung an geht das Lernen ein hoch emotiona Text: Claudia Landolt Bilder: les Thema. Désirée Good /
alle möglichen Personen Sohnes, 13, betitelt Der beste Freund unseres fremde Kinder wir eingreifen, wenn als «schwul». Wie sollen AG ? Claudia, 37, und Marc, 38, Suhr Schimpfwörter benutzen
13 Photo
Tonia von Gunten
Nicole Althaus
um Der Junge ist alt genug, zu hören: eine klare Ansage Schimpf dass «schwul» kein sexuel wort ist, sondern eine es genau le Ausrichtung. Dass ist, so falsch und sexistisch zu «schwul» als Schimpfwort gebrauchen, wie «Nigger» dass Sie rassistisch ist und nicht dulden.
Haus deshalb das in ihrem
zwar so: Greifen Sie ein, und Men «Du bezeichnest andere schen als schwul. Darüber reden. möchte ich mit dir das sagst, Mich stört, dass du was dar und ich weiss nicht, Ich wün an lustig sein soll. sche mir, dass du deinen über Umgang mit Leuten aufgrund aufhörst, Mitmenschen zu belei denkst und damit ihrer sexuellen Präferenz ihres Aussehens oder das?» digen. Wie siehst du
Lehrer und Schüler sind uneins, wie viel das Büffeln nach der Schule bringt.
Peter Schneider
59, ist praktizierender («Die Peter Schneider, und SRF-Satiriker Psychoanalytiker, AutorEr lehrt als Privatdozent andere Presseschau»). an der Uni Zürich und ogie an für klinische Psychologie eines ist Professor für Entwicklungspsychol Schneider ist Vater der Uni Bremen. Peter erwachsenen Sohnes.
HO
Frage? Haben Sie auch eineE-Mail an: Schreiben Sie eine fraenzi.ch redaktion@fritzund
April 2017 82
«Das Fundament für den späteren Berufsweg» 10
/ 13 Photo, Pino Stranieri,
ist Kolumnistin, Autorin Nicole Althaus, 48, der «NZZ am von «wir und Mitglied der Chefredaktion sie Chefredaktorin Sonntag». Zuvor warMamablog auf «Tagesanzeiger. eltern» und hat den Nicole Althaus ist Mutter ch» initiiert und geleitet. und 12. von zwei Kindern, 16 Pädagogin 43, ist Elterncoach, Tonia von Gunten, leitet elternpower.ch, ein und Buchautorin. Sie Energie in die Familien z Programm, das frische in ihrer Beziehungskompeten bringen und Eltern von Gunten ist verheiratet stärken möchte. ToniaKindern, 10 und 7. und Mutter von zwei
Fritz+Fränzi Das Schweizer ElternMagazin
Bilder: Anne Gabriel-Jürgens
«Gleiches mit Gleichem vergelten ist keine Lösung»
Ihres Soh Wenn der Freund Sinn für nes einen gewissen könn paradoxe Ironie hätte, sie fänden ten Sie ihm sagen, Wortes den Gebrauch des «schwul» als Schimpfwort wollten «total behindert» und Ihrer das Wort daher in hören. Gegenwart nicht mehr hysterisch sie auch nicht allzu Andererseits müssen man kaum Schwulenhasser wird ein denn reagieren, Jugend un in seiner unbedarften deshalb, weil man ausgesetzt war. Man angemessenen Schimpfwörtern weil die Freundin wird auch keine Nymphomanin, alles «geil» findet.
April 2017
Das Schweizer ElternMagazin
Fritz+Fränzi Das Schweizer ElternMagazin
Fritz+Fränzi
April 2017
(Eine Frage – drei Meinungen, Nr. 4/2017)
(Dossier «Hausaufgaben», Nr. 4/2017)
Herr Schneider schreibt zum Thema «Hilfe, der Freund unseres Sohns betitelt alle möglichen Personen als ‹schwul›» Folgendes: «Wenn der Freund Ihres Sohnes einen gewissen Sinn für paradoxe Ironie hätte, könnten Sie ihm sagen, Sie fänden den Gebrauch des Wortes ‹schwul› als Schimpfwort ‹total behindert›.» Was ist schlimmer, ein Kind, das als Schimpfwort schwul verwendet, oder ein Psychoanalytiker und Privatdozent für klinische Psychologie, der den Rat gibt, solche Kinder als total behindert zu bezeichnen? Wenn sich jemand falsch verhält, dann ist er nicht behindert, denn behinderte Menschen sind keine Menschen, die sich falsch verhalten. Gleiches mit Gleichem vergelten ist auch im gewissen Sinn für paradoxe Ironie keine Lösung.
Warum diese Debatte? Die Eltern, die ja arbeiten müssen, um zwei Autos und ein Einfamilienhaus bezahlen zu können, finden keine Zeit mehr, mit ihren Kindern Hausaufgaben zu lösen. Die Eltern sind von ihren Jobs gefordert, und am Abend wollen sie Ruhe haben. Für viele Eltern sind die Kinder nur noch Staffage und ein Zeigeprodukt. Gemeinsam die Hausaufgaben machen bringt einen Dialog und Wärme in die Beziehung – wie auch die gemeinsam erarbeitete gelungene Lösung. Hausaufgaben erledigen ist das Fundament für den späteren Berufsweg. Ein Kind braucht Disziplin, denn das Leben schenkt einem nicht viel. Als Jungmenschen müssen sie wissen: ohne Fleiss kein Preis. E. Schürmann, Gams (per Brief)
Irene Gresch-Gisler, Trachslau (per Mail)
Richtig Grosswerden mit bunten Schulbleistiften
Aller Anfang ist schwer – aber mit STABILO macht Schreibenlernen einfach Spass! STABILO begleitet Schüler von 5 bis 12 Jahren bei allen Herausforderungen und Lern-Etappen: In bunten Farben sind die Schulbleistifte Weggefährten für die Jüngsten. Schreibenlernen, Zeichnen und Skizzieren. Der EASYgraph für Schreibanfänger, der Trio und Trio dick für Grundschüler und der pencil 160, der in jedem Schulfach überzeugt. Bunter Schreibspass für alle – unabhängig von Können und Schreibdruck! Der EASYgraph macht Lust aufs Schreibenlernen Durch die ergonomische Dreikantform und die passgenauen Griffmulden finden Vorschulkinder und Schüler ab 5 Jahren intuitiv die richtige Handhaltung. Die Finger der Schreibhand bleiben auch beim intensiven Üben von Buchstaben und Zahlen locker und entspannt. Für farbverliebte Schreibanfänger gibt es den EASYgraph in den Farben petrol, blau, pink, orange und grün, für linkshändige ABC-Schützen erstrahlt der Schaft des EASYgraphs in petrol, blau und pink. Trio und Trio dick – die Begleiter für die Grundschulzeit Der Dreikant-Schulbleistift, der zu den Fähigkeiten passt: Mit einer bruchsicheren Grafitmine ist der Trio der richtige Begleiter für Grundschüler, die schon erste Erfahrungen mit Bleistiften gesammelt haben. Feine Linien, Kästchen und Kreise sind kein Problem. Der Trio dick hat eine breitere Mine (3.15mm) für die kleinen Schreibanfänger, die noch ein wenig Übung für den richtigen Schreibdruck brauchen. Die beiden Bleistifte leuchten in den fünf schicken Schaftfarben petrol, blau, pink, orange und grün und in den Härtegraden HB (mittelweich) – perfekt für Schreibanfänger und der ideale Begleiter zum Schreibenlernen. Im pencil 160 stecken 160 Jahre an Erfahrung Bruchsichere Grafitmine? Na klar! Der neue Sechskant-Bleistift pencil 160 ist nicht nur superpraktisch und ein echter Alleskönner sondern auch schön bunt: In fünf strahlend frischen Farben – petrol, blau, pink, orange und gelb – bringt der pencil 160 gute Laune, saubere Linien und neue Kreativität in jedes Schulfach. Dank extrem hoher Qualität ist auf die Mine (2.2mm) des pencil 160 auch in stressigen Situationen Verlass. Der Bleistift ist erhältlich mit und ohne Radierer. 160 Jahre Stiftexperte, 160 Jahre bunt – das muss gefeiert werden! STABILO zeigt mit dem neuen pencil 160, was einen farbenfrohen Alleskönner ausmacht. Der Schulbleistift passend zum Jubiläum – in fünf trendbewussten Farben.
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Kolumne
Auf der schiefen Bahn
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r sagte: Rate mal. E Ich sagte: Was denn? Er: Ich musste auf den Polizeiposten. Unseren Sohn abholen gehen. Er ist beim Klauen erwischt worden.
Michèle Binswanger Die studierte Philosophin ist Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel.
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Ich bin eine mit zwei tollen Kindern gesegnete Mutter, sie haben noch nie wirklich Probleme gemacht. Deshalb war diese Situation neu, und in meinem mütterlichen Hirn kochten sofort panische Gedanken hoch: Mein Sohn, auf der schiefen Bahn! Ich wusste immer, dass er ein Filou ist. Wo soll das noch enden? Werde ich ihn dereinst im Gefängnis besuchen müssen? Haben wir als Eltern versagt?
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heoretisch rechnet man als Mutter mit einem solchen Erlebnis. Richtig darauf vorbereitet ist man trotzdem nie. Und so fiel ich aus allen Wolken, als an jenem Nachmittag mein Telefon klingelte. Am Apparat war der Vater meiner Kinder.
Es gab auch einen weniger panischen Gedanken: Hurra, nun habe ich einen Grund, ihn ein paar Monate den Kompost leeren zu lassen! Aber der Vater versicherte mir in einem zweiten Telefonat, der Kleine sei sehr zerknirscht und er habe mit ihm bereits eine Strafe bestimmt: ein paar Stunden Velo putzen. Schade um die Komposthilfe. Trotzdem brauchte ich jetzt psychologische Unterstützung. Ich erzählte es meinen Schwestern, Freundinnen, Kollegen. Sie schienen es alle ziemlich locker zu nehmen. Die Schwester sagte: «Was hat er denn geklaut?» Ich wusste es nicht. Vor lauter Panik hatte ich vergessen zu fragen. Die Schwester fuhr fort: «Erinnerst du dich, wie wir im Vorschulalter mal in einem Laden ein paar Glitzerketten mitlaufen liessen und Mama sie zu Hause in der Schublade gefunden hat?» Ich erinnerte mich. Wir mussten alles zurückbringen und standen dann heulend und zitternd vor dem Filialleiter, dem die Szene offensichtlich höchst unangenehm war. Wir haben nie mehr gestohlen. Eine Freundin, selbst Mutter erwachsener Söhne, erzählte mir von ihrer Erfahrung. Ihr damals 13-jähriger Sohn hatte
einmal bei einem Kollegen übernachtet, als sie einen Anruf von der Polizei erhielt. Sie solle ihren Sohn abholen. Er war mit dem Kollegen nachts auf eine Baustelle sprayen gegangen, bis ein Kastenwagen mit sechs Polizisten in Kampfmontur auftauchte und die beiden mitnahm. «Es war der Schock seines Lebens», lachte die Freundin. «Jetzt ist er Anwalt. Übrigens: Was hat dein Sohn denn geklaut?» Ich musste passen. Ein Freund schliesslich sagte: «Meine Güte, ist das nicht ein bisschen krass, gleich zur Polizei? Was hat er denn geklaut?» Ich wusste es immer noch nicht, fand aber, die Erfahrung auf dem Polizeiposten könnte vielleicht heilsam gewesen sein. Abends fragte ich endlich meinen Sohn, was er denn habe klauen wollen. Er berichtete mir beschämt, der Kollege und er hätten versucht, einen Scherzartikel zu stehlen. Einen Furzspray. Um der Lehrerin einen Streich zu spielen. Ich musste lachen. Vielleicht war das mit der Polizei ja tatsächlich etwas übertrieben, selbst wenn man Furzspray als eine Art Einstiegsdroge zu späteren Sprayereien versteht. Ich weiss nicht, ob ich jetzt auch auf eine künftige Anwaltskarriere des Sohnes hoffen kann. Aber stehlen wird er wohl so schnell nicht mehr.
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Wie Fritz+Fränzi laufen lernte
Die Schweiz hat kein Ministerium für Familien. Aber seit 16 Jahren einen engagierten Ratgeber für Eltern von schulpflichtigen Kindern. Die Geschichte von Fritz+Fränzi ist ein Lehrbeispiel für Mut, Leidenschaft und Engagement. Text: Ellen Ringier Bild: Maurice Haas / 13 Photo
A
n meinem 50. Geburtstag im Jahre 2001 waren meine beiden Töchter 10 und 8 Jahre alt. Nichts deutete auf die Pubertätskrisen hin, die mein Mann und ich in nicht allzu fernen Zeiten zu bewältigen haben würden ... Unsere Welt war (noch) heil! Und trotzdem schien es mir, dass Eltern zu sein sich mit jedem Jahr schwieriger gestaltete, schwieriger jedenfalls als Eltern zu werden. In den Schulen meiner Kinder nahm die Zahl der verhaltensauffälligen Kinder im gleichen Mass zu wie die Zahl der gestressten Lehrer. Die Elternabende wurden mit jedem Jahr besser besucht und mir kam es vor, als wären einige Eltern ausgesprochen fordernd – weil überfordert. Was, so fragte ich mich damals, ist zu tun? Wie so oft im Leben half der Zufall. In Form einer um einiges jüngeren Dr. Ellen Ringier präsidiert Werbefachfrau, alleinerziehende Mutter zweier Töchter im die Stiftung Elternsein. Alter der meinen: Sabine Danuser. «Lass uns zusammen Sie ist Mutter zweier Töchter. ein Elternmagazin zu Erziehungsfragen herausgeben!» Ein Ratgeber, der die wirklich drängenden Fragen der Eltern von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen beantworten sollte. Keine Themen rund um die Geburt, keine Antworten auf wunde Kinderpopos, keine Rezepte, Rätsel, Kindermode und dergleichen, wie sie in allen kommerziellen Magazinen zu finden waren und sind.
Die Herausgeberin sollte eine Stiftung sein, eine Nullnummer wurde gebastelt. Ich konsultierte einen Verlagsprofi, der uns einen jährlichen Millionenverlust in Aussicht stellte. Doch Sabine und ich hatten nur eine Sorge: «Wie sollten wir unser Elternmagazin nennen?» Es war der damals bekannte Werber Hermann Strittmatter, der uns nach einem Brainstorming auf die Sprünge half: «Es geht um Kinder und Jugendliche, die man Saugoofe nennen würde, das sollte daher der Titel >>> 70
Bild: Maurice Haas / 13 Photo
«Die Suche nach einem Namen war schwierig. Zur Auswahl standen ‹Saugoofen› und ‹Max und Moritz›.»
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
>>> sein!» Auf dem Heimweg redeten Sabine und ich uns in Rage: Ja, wir würden unsere Kinder unter Umständen Saugoofen nennen, was aber denken Eltern, wenn ihre Kinder und Jugendlichen so bezeichnet werden? Wir mussten uns etwas anderes einfallen lassen. «Eltern-Ratgeber» kam uns zu bieder vor. Vielleicht «Max und Moritz»? Es mag ja sein, dass zu Wilhelm Buschs Zeiten (er schrieb das Buch 1865) nur Jungs zu Streichen aufgelegt waren, im 2001 waren die Mädchen in Sachen Erziehungsprobleme definitiv gleichberechtigt. Und so suchten wir nach zwei Namen, die für beide Geschlechter einen frechen Klang hatten, «Fritz+Fränzi» war geboren.
Fritz+Fränzi 1/2003 Thema: Jugendsuizid
«Eine freche Schlagzeile gefällig? Voilà: ‹Legal, illegal, scheissegal: Die Jugend berauscht sich.›» 16 Jahre später kann ich mich nur wundern, wie wir es geschafft haben, von 2001 bis 2009 sechs Ausgaben jährlich mit nur drei fest angestellten Mitarbeitern und Sabines Ex-Mann als Fotografen zu publizieren! Als Herausgeberin kümmerte ich mich um den Vertrieb und die Anzeigen. Wir schafften es, die kantonalen Erziehungsdirektoren davon zu überzeugen, dass die Schulen unser Elternmagazin den Eltern abzugeben hätten. Später wurde der damalige und heutige Präsident des LCH, Beat Zemp, unser Vertriebspartner. Raiffeisen, Manor, Amag, Otto’s und Coop gehörten zu den ersten Anzeigenkunden, die das Magazin mitgetragen haben – manche sogar mit einem finanziellen Beitrag obendrauf! Meine telefonischen Bemühungen, Anzeigen zu schnorren, gestalteten sich eher schwierig. Häufige Antwort auf die Frage, wer ich sei: «Ja, vom Ringier, das habe ich verstanden, aber wie lautet ihr Name?» Dass die Frau des bekannten Verlegers selber Anzeigen akquirierte, taten viele anfänglich als Scherz ab. Inhaltlich konnten wir uns von Beginn weg auf Beiträge unserer InhaltsPartner SVEO (Schweizerische Vereinigung der Elternorganisationen), Pro Juventute, MMI (Marie Meierhofer Institut für das Kind) und S&E (Schule und Elternhaus) verlassen. Deren Kompetenz in Erziehungsfragen machte Fritz+Fränzi schnell zum richtigen Erziehungsratgeber. Und bei alldem tat ich – mein Beruf ist Juristin – schamlos so, als verstünde ich etwas vom Verlagswesen. Oder gar von Erziehung! «Armutsrisiko Kinder» (Was sie kosten, fordern, verprassen) hiess der erste Titel im September 2001. «Jetzt reicht’s» (Wenn Kinder uns an unsere Grenzen bringen) der zweite. Ich kenne bis heute niemanden, der so frech titeln konnte wie Sabine Danuser! Was halten Sie von «Friss oder stirb!» (Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen) oder «Dumm und frech» (Schulschwächen und Verhaltensauffälligkeiten) oder «Störfall Kind?» (Paare mit schulpflichtigen und älteren Kindern berichten über ihre Entwicklung). Weitere Beispiele gefällig? «Väter – Konkurrenzkampf zwischen Familie, Beruf und ich», «Grosseltern – Alte Freunde», «Rabeneltern» (Spagat zwischen Beruf und Familie), «Klasse und Rasse» (Faktoren der Chancengleichheit) oder «Legal, illegal, scheissegal: Die Jugend berauscht sich». Wir schüttelten uns oft vor Lachen, auch wegen den Titelfotos! Unvergesslich der «Geldfresser» oder «Feindbild Lehrer». Einmal sind wir ganz offensichtlich zu weit gegangen. Unser Cover «Mein letzter Wille – Wenn Jugendliche nicht mehr leben wollen» >>>
Fritz+Fränzi 1/2005 Thema: Jugendgewalt
Fritz+Fränzi 3/2005 Thema: Armutsrisiko
Fritz+Fränzi 1/2006 Thema: Lehrer
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 71
Erziehung & Schule
Fritz+Fränzi 2/2006 Thema: Rechtsradikalismus
Fritz+Fränzi 6/2006 Thema: Pubertät
Fritz+Fränzi 8/2011 Thema: Sexualität
>>> zeigte ein junges Mädchen mit einem von einem Strick um den Hals herrührenden Abdruck, den man kaum als Halskette interpretieren konnte. Es ging um das Thema Jugendsuizid. Die Zahl der Lehrer und Eltern, die uns Fritz+Fränzi erbost zurückschickten, hat uns beinahe erschlagen, wir zogen eine Lehre daraus! In den 16 Jahren des Bestehens von Stiftung und Magazin mussten wir öfters und mehr, als uns lieb war, um jeden Rappen kämpfen. Ein Defizitjahr jagte das andere! Die Nächte wurden allzu oft zum Tag, Ferien machten Sabine Danuser und ich nur, um an einem anderen Ort – dem Ferienort – Tag und Nacht weiterzuarbeiten. Und unsere Töchter kamen zu allem Übel in die Pubertät. Meine fröhliche, nicht «unterzukriegende» Kollegin und ich kamen nun auch zu Hause ganz schön unter die Räder … Die Auflage von Fritz+Fränzi stagnierte, die Einnahmen aus Anzeigen reichten nicht, Defizite machten mir trotz Spendern und Sponsoren das Leben schwer. Das Start-up drohte zu scheitern. Aber Aufgeben kam nicht in Frage.
«Mit dem Titel ‹Suizid› schossen wir übers Ziel hinaus: Die Ausgabe erzürnte viele Eltern und Lehrer.» Endlich gestand ich mir ein, dass ich eine professionelle Verlagsleitung brauchte, weil das Projekt Fritz+Fränzi sonst im Desaster zu enden drohte. In der Person von Thomas Schlickenrieder fand ich 2008 den rettenden Verlagsleiter (und Geschäftsführer der Stiftung Elternsein). Plötzlich gab es eine Auflagensteuerung, ein «Personalwesen», das seinen Namen verdient, ein Redaktionsbudget, das nicht vom ersten Tag an als Makulatur galt. Und vieles mehr! Wenn ich ab und zu zum Verlag meines Mannes hinüberschiele, wird mir bewusst, auf wie viele Unternehmensdienstleistungen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verzichten müssen. Ein Start-up wie unser Eltermagazin konnte nur gelingen kann, weil jeder sich mit Pioniergeist voll eingebracht hat: viel Arbeit und wenig Lohn! Heute ist Fritz+Fränzi erwachsen geworden (meine Töchter übrigens auch), unsere Mitarbeiter unter der redaktionellen Leitung von Nik Niethammer, einem ehemaligen Chefredaktor der «Schweizer Illustrierten», sind Vollprofis. Ich bin zwar um eine grossartige Erfahrung reicher, doch finanziell substanziell ärmer, mindestens 16 Jahre älter und ganz offensichtlich grauhaarig geworden – und glücklich, dass unser Elternmagazin zu einem unverzichtbaren Ratgeber für so viele Eltern geworden ist! >>>
VERLOSUNG Wir freuen uns über 125 Ausgaben Fritz+Fränzi. Diese Freude möchten wir mit Ihnen teilen. Wir verlosen zehn Jahresabos von Fritz+Fränzi und fünf Erziehungsratgeber «Leitwölfe sein» von Jesper Juul unter den Einsendungen mit der richtigen Antwort auf die Frage: Wie heisst die Stiftung, die das Schweizer ElternMagazin herausgibt? Fritz+Fränzi 2/2017 Thema: Burnout
72
Mailen Sie Ihre Antwort an: redaktion@fritzundfraenzi.ch, Betreff: 125. Bitte geben Sie Ihren Wunschgewinn an. Einsendeschluss ist der 30. Juni 2017.
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule
125 Ausgaben Fritz+Fränzi
Erziehung, Familie, Schule und Elternschaft – das sind die grossen Themen des Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi. Aus 125 Ausgaben haben wir die wichtigsten, pointiertesten und überraschendsten Aussagen von Pädagogen, Psychologen und prominenten Persönlichkeiten zusammengetragen.
«Eigentlich bräuchte der Vater Urlaub in der Zeit der Pubertät seines Sohnes. Aber dann sind die meisten Väter in einer Phase ihres Berufes, wo sie voll ausgebucht sind. Dabei wäre es gerade in der Zeit der Pubertät wichtig, dass der Vater da ist und Zeit hat.» Allan Guggenbühl, Psychoanalytiker (1/2007)
«Erziehung ist ja nicht nur ein Verhalten, Erziehung ist eine Haltung.» Sigrid Tschöpe-Scheffler, Professorin für Erziehungswissenschaften (3/2006)
«Medienpädagogik funktioniert nicht! Bei Kindern und Jugendlichen hilft nur eine Reduktion der Dosis. Das Gerede vom mündigen Umgang mit den Medien ist fehl am Platz. Wir müssen Kinder nicht vor die Medien setzen, um ihnen dann noch den mündigen Umgang damit beizubringen.» Manfred Spitzer, Hirnforscher (6/2006)
«Intelligenz ist genetisch bedingt, und deshalb hat es überhaupt keinen Sinn, vom Kind Leistungen zu fordern, die seine Möglichkeiten übersteigen. Eltern sollten sich also auch überlegen, was dem Kind mit seinen individuellen Fähigkeiten überhaupt zugemutet werden kann.»
«Es ist einfacher, Überzeit zu machen, als sich von der Arbeit abzumelden und die Frau zu Hause zu unterstützen. Sie hingegen kann nicht davonlaufen und sagen: Läck, seid ihr mühsam, ich komme nach dem Znacht wieder.» Franziska Bischof-Jäggi, Geschäftsführerin der Familien management GmbH (4/2006)
«Ich rate zu mehr Gelassenheit: Was kann schon passieren, wenn das Kind im Winter in Turnschuhen in die Schule geht? Es wird selbst merken, dass es kalte Füsse kriegt.» Annette Cina, Psychologin am Institut für Familienforschung, Universität Freiburg (6/2005)
Peter Angst, Familientherapeut und Buchautor (1/2005)
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 73
Erziehung & Schule
«Das Tyrannische an Kindern ist, dass ihre Bedürfnisse nicht mit denen der Erwachsenen naturwüchsig übereinstimmen. Die Angleichung ist ein langer Prozess. Wer das nicht aushält, sollte keine Kinder haben.» Peter Schneider, Psychoanalytiker, Satiriker und Autor (10/2012)
«Eine funktionierende Paarbeziehung und finanzielle Sicherheit reichen nicht für ein harmonisches Familienleben, wenn der eigene Perfektionismus Eltern einen Strich durch die Rechnung macht.» Maria Hofecker, Fachärztin für Psychiatrie Psychotherapie und Familientherapeutin (1/2011)
«Bei Jugendlichen ist kein Unrechtsbewusstsein vorhanden, wenn sie einen Joint rauchen. Für sie ist der Konsum von Cannabis zu Recht vergleichbar mit dem Bier, das ihre Väter am Feierabend t rinken. Beides kann je nach Situation harmlos oder problematisch sein.»
«Mein grösster Tipp für Eltern ist, ihren Kindern weitere erwachsene Personen zugänglich zu machen und i hnen so einen anderen Erfahrungsraum zu ermöglichen. Je mehr Menschen ein Kind kennenlernt, desto grösser die Chance, dass darunter jemand ist, der es so sieht, wie es ist, und um seiner selbst willen liebt.»
François van der Linde, Präventivmediziner (6/2003)
«Es kostet Eltern enorm viel Kraft, dranzubleiben, konsequent zu sein. Und sie bieten deshalb den Eltern-Service auch weiterhin an, tragen aber einen unausgesprochenen Frust in sich.»
«Ich kenne keinen einzigen Mann, der keine starke emotionale Bindung zu seinen Kindern hat oder sie sich zumindest wünscht. Ein Vater verpasst definitiv etwas, wenn er seine Kinder nur schlafend sieht. Es braucht also nicht nur praktikable Einrichtungen, sondern auch Männer, die etwas wagen.» Georges T. Roos, Zukunftsforscher (2/2016)
Gerald Hüther, Neurobiologe, Buchautor (5/2015)
Rochelle Allebes, Sozialarbeiterin und systemische Therapeutin (4/2015)
«Ja, Pubertierende sind muffelig. Man kann es getrost vergessen. Also einen schönen Abend wünschen und das Kind in Ruhe lassen.» Caroline Märki, Erwachsenen- und Elternbildnerin FA (9/2015)
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Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule
«Aggression ist nur eine von vielen Arten, Liebe auszudrücken. Wenn diese ignoriert oder zurückgedrängt wird, wächst sie und wird schliesslich entweder zum Vulkanausbruch oder eisig kalt.» Jesper Juul, Familientherapeut und Bestsellerautor (5/2016)
«Wir alle sind mit Hausaufgaben sozialisiert worden. Auch wird geglaubt, dass Hausaufgaben irgendwie eine erzieherische Wirkung haben. Nur der Nachweis dazu fehlt.» Armin Himmelrath, Bildungs- und Wissenschaftsjournalist, Autor (4/2017)
«Ich bin gegen ein System, das auffällige Jugendliche sehr schnell abklärt, therapiert und mit Medikamenten sediert. Nirgendwo wird so viel Geld mit Kindern verdient wie in der Schweiz.» Sefika Garibovic, Expertin für Nacherziehung, Konfliktmanagement und Sexualtherapie (10/2016)
«Der beste Rat für Mütter? Temporäre Vernachlässigung. Das bedeutet, dass man zeitweilig etwas vernachlässigt, zu Hause oder bei der Arbeit, und dass man lernt, diese Unvollkommenheit zu akzeptieren.» Ulrike Ehlert, Stressforscherin (9/2014)
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 75
Erziehung & Schule
«Nicht was man lernt, zählt, sondern was man erlebt. Nach drei, vier Stunden Spazierengehen ohne Handy passiert etwas, das nicht vorstellbar ist: Der Druck fällt weg, und man ruht wieder in sich. Um in der heutigen Zeit gesund zu bleiben, wäre es erforderlich, alle zwei bis drei Wochen gezielt zwei bis drei Stunden etwas zu tun, um zu sich zu kommen.»
«Um stressfreier leben zu können, brauchen Familien mehr Zeit für das Familienleben und Arbeitszeiten für beide Eltern, die dies erlauben. Und sicher auch mehr erschwingliche und qualitativ hochwertige Betreuungsmöglichkeiten – ergänzend zur Familie. Es muss selbstverständlicher werden, den Arbeits- und Familienalltag zu vereinbaren und zu leben.»
Michael Winterhoff, Kinder- und Jugendpsychiater und Buchautor (9/2013)
Heidi Simoni, Psychologin und Leiterin des Marie-Meierhofer-Instituts für das Kind (4/2013)
«Die Gesellschaft fordert zwar permanent Kinder, kümmert sich aber nicht um sie. Die Erziehung von Kindern – das ist an sich eine Aufgabe für mehrere Menschen. Selbst zwei Personen sind im Prinzip zu wenig für ein Kind.» Irene Mariam Tazi-Preve, Politikwissenschaftlerin und Zivilisationstheoretikern (11/2016)
«Es wäre schön, die ganze Gesellschaft wäre Kindern und Jugendlichen gegenüber toleranter. Hätten wir mehr Verständnis dafür, wie vielfältig menschliches Verhalten ist, wären die Belastungen sicher weniger gross, welche Familien von Kindern, die ein bisschen von der Norm abweichen, erleben.» Bea Latal, Professorin und Co-Leiterin Entwicklungspädiatrie Kinderspital Zürich (8/2015)
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«Wenn der Jugendliche ein Gefühl von Langeweile und Leere hat, dann eher in der Schule. Das eigentliche Leben findet woanders statt.» Jürgen Grieser, Psychotherapeut (2/2012)
«Ich kann die Welt nicht verbessern, aber ich kann versuchen, die Welt für die Kinder, die zu mir kommen, besser zu machen.» Georg Staubli, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin (4/2016)
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule «Es gibt Ferienformen, die für alle stimmen. Wesentlich ist, dass man wenig macht, das aber intensiv. Man sollte nicht auf ein Ziel fixiert sein, sondern auch sagen können: Jetzt brechen wir ab, machen es ganz anders. Es braucht Zeit für Musse.» Heinrich Nufer, Leiter des Marie-Meierhofer-Instituts für das Kind, Psychologe (2/2002)
«Man darf nicht von einem Kind erwarten, dass es sich an den eigenen Haaren aus dem Schlamassel zieht, wenn es einmal drinsteckt.» Margrit Stamm, em. Professorin für Erziehungswissenschaften (1/2012)
«Ich habe noch nie einen Mann zu einer Frau sagen hören: ‹Das Kind muss etwas anderes anziehen.› Andersrum leider sehr oft. Das tut uns weh.»
«Am wichtigsten scheint mir, dass Eltern ihre Kinder immer spüren lassen: Egal, was passiert, egal, wie du dich verhältst – du hast bei uns dein Zuhause und wir stehen zu dir.»
Michael Gohlke, Gründer des Väternetzwerks Avanti Papi (6/2014)
Remo H. Largo, em. Professor für Kinderheilkunde (1/2001)
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 77
Erziehung & Schule
Eine Erfolgsgeschichte Im September 2001 erschien die erste Ausgabe von Fritz+Fränzi. 125 Hefte später blicken wir zurück. Sind die Themen von damals dieselben wie heute? Wie hat sich unser Magazin verändert? Und wie die Sicht auf Erziehung und Familie? 125 Ausgaben Fritz+Fränzi – eine Erfolgsgeschichte. Text: Claudia Landolt
E
llen Ringier, die Gründerin von Fritz+Fränzi, schuf vor 16 Jahren ein Magazin für Eltern von pubertierenden Kindern. Für Väter und Mütter also, deren Söhne gerade den ersten Oberlippenflaum bewundern und sich plötzlich nur noch in Ein-Wort-Sätzen äussern. Für Eltern, deren Töchter in Papa nicht mehr den Helden, sondern einen in die Jahre gekommenen stinkpeinlichen Herrn sehen. Für Eltern, deren Kinder Probleme machen, ihnen Sorgen bereiten. In einem Interview 2014 mit der «Werbewoche» sprach Ellen Ringier darüber, was sie antreibt: «Die Öffentlichkeit muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass Familien zum Teil gravierende Probleme haben. Wir müssen in diesem Land aufhören, weg zu schauen.» Diese Form der Aufmerksamkeitsgewinnung ist ein Kerngedanke des Elternmagazins, der in jedem Heft spür- und lesbar ist. Es sind keine leichten Geschichten, die wir Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, zumuten: Kinder, die kiffen. Kinder, die an Bulimie leiden, an psychischen Störungen, an ADHS. Kinder, die sich radikalen politischen Gruppierungen anschliessen. Kinder, die ihre Eltern schlagen. Die von ihren Eltern getrennt werden, weil die sich gegenseitig halb totprügeln. Kinder, die sich wünschen, nicht mehr am Leben zu sein. Es sind Themen, die heute genau so aktuell sind wie 2001, dem Grün-
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dungsjahr von Fritz+Fränzi. Die meisten jungen Menschen wünschen sich nach wie vor eigene Kinder, wie zahlreiche Jugendstudien belegen. Die Familiengründung erscheint vielen aber immer mehr als eine riesige Herausforderung: Die überhöhten Ansprüche ans Elternsein, die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die eigenen finanziellen Möglichkeiten stehen oft im krassen Gegensatz zum Kinderwunsch. Zwei von drei Eltern sind von Selbstzweifeln geplagt
Entscheidet sich heute ein Paar für ein Kind, erfährt dieses mehr Aufmerksamkeit als ein Kind früherer Generationen. «Die Wohlstandsentwicklung hat den Trend zu einer emotionalen Zweiteilung der Gesellschaft verstärkt: Intimität und Emotionalität im familiären Rahmen gegenüber Emotionslosigkeit und Rationalität in der Berufswelt», sagt Soziologe François Höpflinger in Fritz+Fränzi(11/2013). Solche «Emotionsgemeinschaften» stehen aber im Spannungsfeld, eine idealisierte Gefühlswelt mit der alltäglichen Lebenswirklichkeit ins Gleichgewicht zu bringen. Nachgiebigkeit und Gefühlsbetontheit: Das macht Erziehung nicht einfacher. In Studien sagen etwa zwei Drittel aller Eltern, dass sie oft von Selbstzweifeln geplagt sind, obwohl sie täglich ihr Bestes geben. «Das grösste Problem für Eltern ist heute die Vereinzelung», sagt Fachpsycho-
loge Philipp Ramming (SeptemberAusgabe 2016). «Jede Familie ist eine eigene Insel, es gibt keine Grossfamilie mehr und auch keine Normen, die uns sagen, was wir tun sollen und was nicht. Die Welt ist so vielfältig geworden, dass uns in der Erziehung manchmal die Orientierung abhandenkommt. Trotzdem ist das Bedürfnis nach Schutz, Orientierung und Anlehnung immer da.» Als Fritz+Fränzi 2001 erschien, war das Magazin mit dieser Thematik allein auf weiter Flur. Erziehung wurde damals vor allem mit Schwangerschaft, Babyzeit und Kleinkindjahren assoziiert. Heute gibt es ein wachsendes Segment an Magazinen, Blogs und Informa tionsseiten im Netz, die sich mit Lust und Frust in der Kindererziehung beschäftigen. Auch Zeitungen und Zeitschriften, deren Kerngeschäft primär die Berichterstattung aus Politik und Wirtschaft ist, entdecken vermehrt Familien- und Ge sellschaftsthemen. Eltern zu sein macht trotz aller Anstrengungen Freude
Wir möchten unser Magazin noch stärker als Psychologie-Ratgeber positionieren, als Wegbegleiter von Eltern in guten wie in schwierigen Zeiten. Wir wollen auch in Zukunft Probleme nicht bewirtschaften, sondern Lösungsansätze anbieten. Und mit jeder Geschichte eine wichtige Botschaft vermitteln: Bei aller Anstrengung macht es grosse Freude, Eltern zu sein. Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule
Publireportage
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 79
Digital & Medial
Bibliothek 2.0: Hier wird gerappt,
geschrieben und gezockt
Kinder sind fleissige Bibliotheksnutzer. Die Buben bleiben dann aber oft in der Pubertät fern.
80
A
drian und Leonard haben es sich gemütlich gemacht. Sie lümmeln auf grossen Sitzsäcken, Adrian mit «Greg’s Tagebuch» in der Hand. Er kichert ständig vor sich hin, so dass Leonard von seinem Comic aufschaut und im Flüsterton fragt, welche Stelle genau so witzig sei. Hinter den beiden Buben hocken Jugendliche vor den PCs, surfen im
Internet und unterhalten sich mit gedämpfter Stimme. An den langen Regalen voller Bücher wandern Kinder und Jugendliche auf und ab. Den Kopf schräg geneigt entziffern sie die Schrift auf den Buchrücken, greifen ab und an eins heraus. «Das hier ist sooo super», sagt Lea und packt «Das Schicksal ist ein mieser Verräter» auf den Stapel Jugendromane, den ihre Freundin im Arm hält. Ein ganz normaler Nachmittag in einer Bibliothek in der Schweiz. Und dann kommt dieser Satz. Hans Ulrich Locher sagt, er habe ihn erschüttert: «Nur zwei Prozent der Jugendlichen in der Deutschschweiz nutzen regelmässig eine Bibliothek, in der Romandie sind es sechs Prozent, im Tessin zehn Prozent.» So steht es in der aktuellen JAMESStudie geschrieben. JAMES ist eine Umfrage zum Mediennutzungsund Freizeitverhalten von 12- bis 19-Jährigen, die die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) durchführt. Seit 2010 wird sie alle zwei Jahre im Auftrag der Swisscom erstellt. «Das stimmt absolut nicht mit unseren Zahlen überein und widerspiegelt den technikorientierten Ansatz der Studie. Diese Zahlen beziehen sich auf die «nonmediale Nutzung» der Bibliothek; dabei bezweckt der Besuch einer solchen Einrichtung in erster Linie die Nutzung von Medien», sagt Hans Ulrich Locher, Geschäftsführer der Schwei-
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Bild: Fotolia
Nur zwei Prozent der Deutschschweizer Jugendlichen gehen regelmässig in die Bibliothek, heisst es in der aktuellen JAMES-Studie. Die Bibliotheken selbst erzählen aber eine ganz andere Geschichte. Wie sie die Jugend zum Lesen animieren. Text: Claudia Füssler
zerischen Arbeitsgemeinschaft öffentlicher Bibliotheken (SAB) und von Bibliothek Information Schweiz. Gemäss der Erhebung des Bundesamtes für Statistik zum Kulturverhalten haben innert eines Jahres 64,3 Prozent der jungen Menschen zwischen 15 und 29 Jahren mindestens einmal eine Bibliothek besucht. «Bei den 12-, 13- und 14-Jährigen liegen die Zahlen hoch und höher. Kinder und Jugendliche gehen umso mehr in die Bibliothek, je jünger sie sind», erklärt Locher. Mädchen bleiben meist treue Mitglieder, wenn sie älter werden, männliche Benutzer gehen den Bi bliotheken auf dem Weg in die Pubertät eher verloren. Dennoch: Die Schweizer Bibliotheken haben im Jahr 20 Millionen Besucher. «Das sind zehn Mal mehr, als die Fussballnationalliga A hat», sagt Locher. Bücher zu allen Themen – sogar am Sonntag
Bibliotheken seien die Kulturinstitutionen mit dem grössten Publikum in der Schweiz, und damit das so bleibe, müsse man viel tun. «Natürlich erreichen wir auch nicht alle Menschen, aber wir geben uns grosse Mühe. Sie finden bei uns Medien zu allen Themen der Welt, die sie sich denken können», sagt Locher. Und das in einigen Bibliotheken seit Kurzem auch sonntags. Ein Angebot, das insbesondere vom männlichen Pu blikum und von Alleinstehenden sehr positiv angenommen wird, der Zuspruch ist gross. Dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Männer und Frauen etwas finden, das sie anspricht, dafür werden Bibliothekare ausgebildet. Sie müssen literarische Spürnasen sein und das Angebot immer frisch halten, damit ihre Bibliothek interessant bleibt. Deshalb erneuern öffentliche Bibliotheken jedes Jahr etwa 10 bis 20 Prozent ihres Bestandes, verschenken oder verkaufen ihn. Nach fünf bis spätestens zehn Jahren wird der Bestand so komplett
Wo früher Karl May stand, stehen heute Vampirromane und Harry Potter.
erneuert. «Das ist wichtig, denn während die Jugendlichen zu meiner Zeit noch Karl May gelesen haben, lesen sie heute Harry Potter und Vampirromane. So etwas muss man dann einfach dahaben», sagt Locher. Mit der Zeit gehen heisst auch, mit den neuen Medien gehen. Deshalb haben auch die E-Books Einzug gehalten in den Schweizer Bibliotheken. Die Nutzungsraten liegen laut Locher jedoch wie im Buchhandel auch noch im einstelligen Prozentbereich. Neue Medien sind allerdings kein Königsweg, um Jugendliche in die Bibliothek zu locken. «DVDs spielen praktisch keine Rolle mehr, Filme und Musik streamen die Jugendlichen zu Hause», sagt Danièle Kammacher, Vizedirektorin der Kornhausbibliotheken in Bern. Für E-Books interessieren sich Mittvierziger mehr als die ganz Jungen. «Die jungen Leute lesen ja meist übers Handy, und darauf ein ganzes Buch zu lesen, ist doch etwas mühsam», mutmasst Kammacher. Rund ein Viertel der Nutzer der Kornhaus bibliotheken sind zwischen 13 und 25 Jahre alt. Neue Projekte in der jüngeren Vergangenheit haben dazu geführt, dass diese Zahl leicht gestiegen ist.
der Bibliothek. Spätestens aber bei Studienbeginn ergibt sich der Kontakt zu einer solchen Einrichtung automatisch. «Damit fallen jedoch all die jungen Menschen weg, die eine Berufsausbildung machen, und das ist eine grosse Menge», sagt Kammacher. Die Kornhausbibliotheken haben deswegen die Zusammenarbeit mit der Berner Gewerbeschule intensiviert. Jede Klasse von dort wird mit einer Führung und einem Leseprojekt mit der Institution Bibliothek vertraut gemacht. «Viele der Jugendlichen erfahren hier zum ersten Mal, wie sie ein Buch zu einem bestimmten Thema finden und ausleihen können, und viele bleiben dann begeistert hängen und werden zu regelmässigen Besuchern», sagt Kammacher. Damit die dranbleiben, gibt es im zweiten Stock der Kornhausbibliothek eine Lounge-Zone, Tablets, Games und eine grosse Jugendbibliothek sowie spezielle Lesungen oder englisches Storytelling für die jungen Besucher. Zudem lesen sie – wie in fast allen Schweizer Bibliotheken – gratis. >>>
Der erste Kontakt läuft oft über die Schule
Es gibt eine Gruppe, für die ergibt sich der Bezug zur Bibliothek ganz automatisch, sagt Kammacher. Das sind Kinder, die aufs Gymnasium gehen, die als Hausaufgaben Aufträge bekommen, etwas zu einem bestimmten Thema zu recherchieren, verbunden mit einem Besuch in
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 81
Digital & Medial
>>> In der JAMES-Studie stösst man auch auf erfreulichere Zahlen zum Leseverhalten von Jugendlichen. So ist es seit 2010 unverändert ein stabiles Viertel der Jugendlichen, die in ihrer Freizeit regelmässig Bücher lesen. «Die Tatsache, dass zwar die Nutzung digitaler Medien seit 2010 deutlich angestiegen ist, gleichzeitig das Lesen von Büchern aber stabil geblieben ist, finde ich ein gutes Ergebnis», sagt die Psychologin und Mitstudienautorin Isabel Willemse. «Jugendliche, die gerne lesen, tun dies auch weiterhin, trotz der ständigen Verfügbarkeit von digitalen Medien mit Internetzugang.» Hausaufgabenhilfe in der Bibliothek
Von zu wenigen jugendlichen Besuchern kann auch in der Stadtbibliothek Basel keine Rede sein. Anne- Lise Hilty, bei der Bibliothek zuständig für Kommunikation und Fundraising, belegt das mit Zahlen: Knapp 20 000 Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren gibt es in BaselStadt, rund 12 000 davon haben ein Konto bei der Stadtbibliothek. «Etwa 5000 davon sind aktive Nutzer, das heisst, sie haben in den vergangenen zwölf Monaten mindestens ein Buch ausgeliehen», sagt Hilty. Etwa 80 Jugendliche tummeln sich täglich in der Stadtbibliothek in einem fast abgeschlossenen, eigenen Bereich. «Jugendliche sind keine ganz einfache Gruppe», sagt Hilty. Und vor einiger Zeit ist das tatsächlich problematisch geworden. Jede Menge Pubertierende, die laut sich unterhaltend die Bibliothek unsicher machen, abhängen und viele Dinge tun, die nichts mit dem Ausleihen von Büchern zu tun haben.
Jugendarbeitende helfen bei den Hausaufgaben und leihen den Kindern ein offenes Ohr. 82
So motivieren Sie Ihr Kind zum Lesen • Lesen Sie selber viel, egal ob Bücher, Zeitschriften oder Zeitungen. Die Vorbildfunktion ist hier besonders stark. • Reden Sie mit Ihrem Nachwuchs über das, was er gerade liest – das gilt für Kinder genauso wie Jugendliche. Fragen Sie nach, lassen Sie sich die Geschichten erzählen oder Zusammenhänge erklären. • Gehen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind in die Bibliothek, zeigen Sie ihm die Möglichkeiten und erklären Sie, wie man ein Buch ausleiht. • Sorgen Sie für ruhige Phasen und einen ungestörten Ort zu Hause, sodass Zeit und Raum zum Lesen bleiben. • Weisen Sie ältere Kinder und Jugendliche darauf hin, wenn Sie irgendwo etwas zu einem Thema gelesen haben, das sie interessiert. • Sorgen Sie dafür, dass immer ein ausreichendes und spannendes Angebot an Lektüre vorhanden ist. Bücher sollten keine seltenen Geschenke sein, auf die ein Kind monatelang warten muss. • Wenn Ihr Kind schon selber liest, plötzlich aber keine Lust mehr auf Bücher hat, lesen Sie wieder vor. Ein sogenannter Leseknick mit etwa sieben, acht Jahren ist normal und gibt sich meist wieder.
Die Bibliothek sah Handlungsbedarf und hat sich mit der Jugendarbeit Basel (JuAr Basel) zusammengeschlossen. Seit 2012 sind – zunächst über eine Stiftung finanziert – zwei Jugendarbeitende als feste Ansprechpersonen in vier Bibliotheken der Stadtbibliothek anzutreffen. Sie bieten Unterstützung bei Hausaufgaben und Bewerbungen, helfen beim Umsetzen von Ideen und Projekten, leisten PC-Support, leiten Gesellschaftsspiele an und leihen den Jugendlichen bei Sorgen und Nöten ein offenes Ohr. Darüber hinaus hat sich das Angebot an Veranstaltungen für Jugendliche enorm erweitert: Schreibclub, Filmworkshop, digitale Schnitzeljagd, es wird gerappt, gezeichnet, fotografiert. «Das geht alles weit übers Lesen hinaus, hat aber den Effekt, dass die JugendliJuni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
chen die Bibliothek mit einem positiven, spannenden Ort assoziieren, an dem es viele Möglichkeiten gibt», sagt Hilty. In der Kornhausbibliothek Bern können junge Autoren zwischen 12 und 16 Jahren in einem Forum ihre selbst geschriebenen Geschichten vorlesen. In Luzern gibt es gemütliche Sitzsäcke in einem eigenen Bereich für Kinder und Jugendliche, die zum langen Schmökern einladen. Die Pestalozzibibliothek Zürich
arbeitet mit dem FabLab Zürich zusammen und lädt Kinder und Jugendliche ein, mit einem Egg-Bot Ostereier zu bemalen, mit 3-D-Druckern zu experimentieren und Selfies mit einem LED-Bildgenerator zu erzeugen. Die Botschaft lautet: Eine Bibliothek ist alles andere als ein dunkler Ort mit verstaubten Büchern. Und sie wird von den Schweizer Bibliotheken sehr überzeugt in die Welt getragen. >>>
Roboter, die Ostereier bemalen: Die Bibliothek geht mit der Zeit.
Claudia Füssler
hat seit der 1. Klasse einen Bibliotheksausweis, egal, in welcher Stadt sie gerade lebt. Mindestens einmal pro Woche leiht sie sich neue Bücher und gibt das so gesparte Geld gerne für gutes Essen aus.
Wohnangebot Das Wohnangebot der IBK steht Lernenden während einer Praktischen Ausbildung zur Verfügung. Die Lernenden werden unter der Woche von pädagogisch ausgebildeten Personen in der Bewältigung der lebenspraktischen Anforderungen individuell unterstützt. Das gemeinsame Ziel ist der erfolgreiche Abschluss der Berufsausbildung. Weitere Informationen unter www.ibk-berufsbildung.ch
Unsere Mediadaten: www.fritzundfraenzi.ch
So lernen wir. – – – –
5./6. Primarstufe Sekundarstufe 10. Schuljahr Fachmittelschule
n Mitte in ic Zür h
www.fesz.ch | 043 268 84 84 Waldmannstr. 9 | 8001 Zürich
Ausbildung
Seniorenbetreuung
Infos unter www.ibk-berufsbildung.ch
Digital & Medial
Mein Kind, mein Smartphone und ich
Bild: OcusFocus
Kleine und grosse Bildschirme ziehen nicht nur unsere Kinder in ihren Bann, sondern auch uns Erwachsene. Wieso wir das ändern sollten und wie das geht. Text: Michael In Albon
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uf dem Spielplatz, beim Abholen aus der Kinderkrippe, im Wohnzimmer: Nur noch kurz die Mails checken, eine WhatsApp-Nachricht beantworten, die Wettervorhersage studieren. Immer wieder. Mal ehrlich, wie oft haben Sie diese Woche zu Ihrem Kind gesagt: «Moment, ich hab gleich Zeit für dich, ich muss nur schnell …»? Dabei erfolgt der Griff zum Handy oft automatisch. Vor Kurzem haben Forscher des deutschen «Menthal Balance»-Projekts, die über eine App das Verhalten von 60 000 Smartphone-Nutzern beobachten, herausgefunden, dass jeder Nutzer das Smartphone täglich 88 Mal einschaltet. Abzüglich ge schätzter 8 Stunden Nachtruhe also alle 10 Minuten. Genau diese ständige Ablenkung hat der Basler Kinderarzt Cyril Lüdin in einem Interview in diesem Magazin kürzlich bemängelt: «Im Kontakt zum Kind müssen wir emotional und gedanklich dabei sein. Hantieren wir am Smartphone, sind wir nicht wirklich verfügbar. So fehlt schon dem Kleinkind die sprachliche Auseinandersetzung und damit die kommunikative Kompetenz.» Andere Experten gehen weiter und 84
warnen zudem davor, dass Kinder dauerhafte Beziehungsstörungen entwickeln würden, wenn sie von ihren Eltern nicht genügend Zuwendung bekämen. Kinder fühlen sich vernachlässigt
Der niederländische Internetsicherheitsanbieter AVG hat in einer «Digital Diaries»-Studie 6000 Familien aus neun Ländern befragt, wie das Handy die Beziehung zwischen Eltern und Kindern beeinflusse. 54 Prozent der Kinder zwischen 8 und 13 klagen: «Du schaust ständig auf dein Handy!», 32 Prozent fühlen sich unwichtig, wenn die Eltern zu oft aufs Display starren: «Das Handy ist dir wichtiger als ich.» Vor allem weil Eltern während Unterhaltungen und gemeinsamen Aktivitäten immer wieder aufs Handy schauen. Es gibt gute Gründe, als Mutter oder Vater wieder Herr seines Handys zu werden. Vielleicht helfen Ihnen meine folgenden Tipps. Öffnungszeiten: Schalten Sie die Benachrichtigungen über Neueingänge aus und checken Sie Ihre Arbeitsmails nur zu festgelegten und kommunizierten Zeiten. Ausnahmen sind möglich, aber nicht zu oft. Ruhemodus: Versetzen Sie Ihr Handy in den Ruhemodus und las-
sen Sie es in der Tasche oder legen Sie es mit dem Bildschirm nach unten hin. Informieren: Sagen Sie Ihrem Kind, was Sie am Handy tun und wie lange es dauert – und halten Sie sich auch daran. Fokus: Notieren Sie kurz, was Sie am Handy machen wollen, bevor Sie es entsperren. Erledigen Sie dann auch nur das. Das mag umständlich erscheinen. Versuchen Sie, konsequent mit sich selbst zu sein, plötzlich wird es zum Automatismus. Ehrlichkeit: Gestehen Sie Ihrem Kind Ihre Schwäche, dem Onlinesog nicht immer widerstehen zu können. Zeigen Sie ihm, wie man mit Schwächen umgehen kann.
Michael In Albon
Michael In Albon ist Beauftragter Jugendmedienschutz und Experte Medienkompetenz von Swisscom.
Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive Lernmodule für den kompetenten Umgang mit digitalen Medien im Familienalltag. swisscom.ch/medienstark
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Warum erfordern ungewisse Zeiten Gewissheit bei den Zielen?
Š 2017 Ernst & Young AG. All Rights Reserved. ED None.
ey.com/ch
Unser Wochenende …
in Liechtenstein
verstehen sich exklusiv Bahnbillett Sesselbahn Malbun–Sareis. Falknerei Galina: von Mai bis Oktober, mittwochs bis sonntags, jeweils um 15 Uhr, Dauer zirka 45 Minuten. 200 Plätze, bei schlechtem Wetter 140. Erwachsene Fr. 8.–, Kinder Fr. 4.–. Hotel Falknerei Galina, Triesenberg, Im Malbun 20, www.galina.li
St. Gallen
Bangshof
Ruggell
Fürstentum Liechtenstein Vaduz
Schatzsuche
JUFA Hotel Falknerei Galina Hotel Gorfion
Sareis
Malbun
Zürich Rhein Chur
Erleben … … Möchten Sie mal in Gesellschaft eines Adlers wandern? Diese weltweit wohl einzigartige Möglichkeit haben Sie im Liechtensteiner Bergdorf Malbun. Gemeinsam mit dem Falkner Norman Vögeli und dem Steinadlerweibchen fahren Sie mit dem Sessellift von Malbun auf Sareis, und während Sie dann gemütlich talwärts wandern, können Sie die Flugkünste des Königs der Lüfte bestaunen. Es wird für Sie und Ihre Kinder ein beeindruckendes Erlebnis sein, so nah dabei zu sein, wenn der fast 90 Zentimeter lange Vogel mit einer Spannweite von über zwei Metern abhebt oder wieder landet. Wenn diese Art Vogel Ihre Familie fasziniert, wird Sie auch die Greifvogelschau in Norman Vögelis Falknerei Galina begeistern. Adler-Erlebniswanderung: Frühling bis Herbst täglich ausser montags um 16 Uhr. Dauer zirka 90 Minuten. Frühzeitig reservieren. Andere Zeiten und Termine auf Anfrage. Grundpauschale inkl. 1 Person Fr. 150.–, jede weitere Begleitperson Fr. 50.–, Begleitperson Kind 5 bis 12 Jahre Fr. 25.–. Diese Preise
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Text: Leo Truniger
… Nicht nur zuschauen, sondern aktiv werden müssen Sie auf der Schatzsuche in Vaduz mit der Detektiv-Trail-App oder mit der Schatzkarte. Am Startpunkt gilt es, das erste Rätsel zu lösen, und dann beginnt die eigentliche Suche. Der Detektiv-Dachs auf der App führt Ihre Familie in der Vaduzer Fussgängerzone von einem Rätsel zum andern. Während Sie Hinweise und Spuren verfolgen, kommen Sie an manchen Sehenswürdigkeiten vorbei. Finden Sie mit den Rätsellösungen den richtigen Code für die Schatztruhe, erhalten Sie einen kleinen Sofortpreis. Start und Ziel beim Liechtenstein Center in Vaduz. Für den rund fünf Kilometer langen Parcours brauchen Sie ohne Pause etwa zwei Stunden. Bis 31. Oktober 2017 täglich geöffnet von 9 bis 18 Uhr. Die Schatzkarte ist für Fr. 5.– im Liechtenstein Center erhältlich. Die App (für iOS und Android) kann auf www.detektiv-dachs.ch für Fr. 5.– gekauft werden. www.tourismus.li/schatzsuche
Geniessen … … Eine Vierersesselbahn bringt Ihre Familie von Malbun auf Sareis (2003 m ü. M.). Im Bergrestaurant mit einer urchigen Gaststube können Sie es sich bei einheimischen Spezialitäten wie Käsknöpfle mit Apfelmus, Rheintaler Ribelmais oder klassischen Gerichten gut gehen lassen. Auf der Sonnenterrasse geniessen Sie zudem ein grossartiges Gebirgspanorama. Für den Rückweg zu Fuss folgen Sie dem Gratweg bis zur Sareiserhöhe (2010 m ü. M.). Hier entscheiden Sie sich für die direkte Variante oder für den etwa vier Stunden längeren und anspruchsvolleren Weg über Augstenberg, Bettlerjoch/ Pfälzerhütte, Alp Gritsch, Tälihöhi nach Malbun. Sesselbahn und Bergrestaurant Sareis sind vom 17. Juni bis 22. Oktober 2017 täglich ab 8 Uhr in Betrieb. Preise Sesselbahn: einfache Fahrt / hin und zurück: Erwachsene Fr. 9.80/15.30, Jugendliche (16–18) 7.30/11.30, Kinder (5–15) 5.40/8.–. www.bergbahnen.li, www.bergrestaurant-sareis.li … Auf dem Bangshof in Ruggell bekommen Sie bis Ende August bei schönem Wetter jeden Sonntag ein Buurazmorga
Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Service
Bilder: Liechtenstein Marketing
Beim Falkner Norman Vögeli, Buurazmorga auf dem Bangshof, das Restaurant auf Sareis.
unter schattigen Bäumen von einem reichhaltigen Buffet. Für die Kinder gibt’s auf dem Bauernhof vieles zu bestaunen, und auch Kindertraktoren stehen bereit. Der Hof befindet sich am Eingang zum Ruggeller Riet, einer Torflandschaft mit seltenen Vögeln, vielen Insekten und harmlosen Reptilien. Mit etwas Glück entdecken Sie bei der Wanderung auch Biber oder zumindest deren Burgen. Bangshof, Fallagass 41, Ruggell, 9 bis 12 Uhr. Erwachsene ab 14 Jahren Fr. 24.–, Kinder bis 5 gratis, bis 6 Fr. 6.–, bis 7 Fr. 7.–, bis 13 Fr. 13.–. Unbedingt voranmelden, Tel. +423 373 49 30 oder unter www.bangshof.li bis Samstag (Vortag) um 18 Uhr. www.tourismus.li > Aktivitäten > Sehenswürdigkeiten & Naturerlebnisse > Naturerlebnisse
Übernachten …
bietet Ihnen das Familienhotel Gorfion in Malbun. Darüber hinaus auch ein abwechslungsreiches Familien-Wochenprogramm, freie Nutzung von Hallenbad, Sauna und Dampfbad und eine praktische 24-Stunden-Selbstservice-Oase mit Waschmaschine, Wäschetrockner, Mikrowelle. Familienhotel Gorfion, Malbun, www.gorfion Als Familie ebenfalls gut aufgehoben und willkommen sind Sie im JUFA Hotel in Malbun. Es ist als TOP-Familienhotel ausgezeichnet. Alle Zimmer haben Allergiker-Ausstattung, Dusche/WC, TV und Fön. Teenagerangebot mit Sporthalle, Funcourt und Tischtennis, eine Kinderspielelandschaft mit Kleinkinderbereich, eine Boulderecke sowie einen Outdoorspielplatz, eine Kleinsporthalle. Im Angebot sind auch ein Familienaktivprogramm, finnische Sauna und Dampfbad. JUFA Hotel, Malbunstrasse 60, Malbun. www.jufa.eu/malbun
… Suchen Sie ein Viersternehaus mit familiengerechten Zimmern und einem umfassenden Betreuungsangebot? Das
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 87
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Damit einzigartige Begegnungen möglich sind: Wir unterstützen den Zoo Zürich.
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Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Buchtipps
«Weisst du noch? Oben sassen die drei Ziegen und spielten Karten.»
In Kinderbüchern stören Eltern in der R egel: Denn echte Abenteuer lassen sich doch nur ohne Erwachsene erleben – dann, wenn Kinder und Jugendliche autonom und handlungskräftig agieren können.
Danger Express Der längste Zug der Welt fährt quer durch Kanada, und Will ist als Sohn des Lokführers mit dabei! In den Waggons und auf ihren Dächern erlebt er in diesem rasanten Roman von Kenneth Oppel das gefährlichste Abenteuer seines Lebens. Aladin, 2017, Fr. 21.90, ab 12 Jahren
Auf sich allein gestellt
Über die Augenblicke, in denen Kinder etwas zum ersten Mal bewusst erleben.
Bilder: ZVG
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it «Weisst du noch, als wir losgelaufen sind und die Strasse nicht mehr enden wollte?» beginnt die Geschichte zweier Kinder, die sich alleine – mit einem Teddybären unter dem Arm, einem Brot und einem verschrumpelten Apfel in den Manteltaschen – ins Abenteuer wagen. «Weisst du noch, als der Zwerg auf dem Fahrrad angefahren kam und eine Mütze mit lauter Korken auf dem Kopf hatte?» In einer Sprache, die vor Einfällen überschäumt und einen Sog entwickelt, ohne aufgeregt zu wirken, lässt uns der Autor Zoran Drvenkar an den Erlebnissen der Kinder teilhaben. Diese können autonom ihre Selbständigkeit ertesten: Erwachse-
ne gibt es in diesem Bilderbuch nur in den kleinen Vignetten auf den Textseiten, die wohl die ehemaligen Kinder als ältere Leute beim Erzählen der Erinnerungen zeigen. Auf dem grossen Bild jeder Doppelseite hat die Illustrationskünstlerin Jutta Bauer die Abenteuer in Bilder übersetzt, die Witz und Gefühl des Textes mittransportieren. Die Besorgnis des Fuchses etwa, dessen Freund auf der Strasse einen Unfall hatte, steht ihm ins Gesicht geschrieben. Wenigstens können die zwei Kinder sein Testament bis zum nächsten Briefkasten mitnehmen! Ein hochpoetisches Bilderbuch für das Unterstufenalter – und für alle, die sich an ihre Kindheit erinnern – über das Kindsein fernab der Erwachsenenwelt.
Käpt’n Kalle Selbständig werden kann nur, wer sich traut, wegzugehen. Mit Hund und Meer schweinchen fährt der kleine Held in diesem Vorlesebuch von Anke Kranendonk im eigenen Boot durch die holländischen Kanäle. Carlsen, 2016, Fr. 14.90, ab 6 Jahren
Hundert Stunden Nacht
Zoran Drvenkar / Jutta Bauer: Weisst du noch? Hanser, 2017, Fr. 21.90, ab 5 Jahren
Ausgerechnet als Emilia nach New York abhaut, bricht der Wirbelsturm Sandy über die Stadt herein. Eine Extremsituation draussen und in ihrem Innern – über zeugend geschildert von Anna Woltz. Carlsen, 2017, Fr. 23.90, ab 14 Jahren
Verfasst von Elisabeth Eggenberger, Mitarbeiterin des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien SIKJM. Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind weitere Buchempfehlungen zu finden.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli 2017 89
Eine Frage – drei Meinungen
Mein Mann arbeitet während der Woche in Deutschland. Wenn er nach Hause kommt, ist unser Sohn, 7, ausser sich vor Freude, während unsere Tochter, 5, kaum Gefühle zeigt und sich verkriecht. Was können wir tun, damit die Tochter mit der Abwesenheit des Papas besser zurechtkommt? Renate, 41, Bülach ZH
Nicole Althaus
Freude erzwingen geht nicht. Vielleicht braucht Ihre Tochter einfach eine längere Aufwärmphase. Sorgen Sie dafür, dass die Kleine sich möglichst nicht abkühlt. Vielleicht genügt ein tägliches Skype-Gespräch schon, um den Papa auch wochentags in der Nähe zu haben. Der Papa könnte so jeden Abend «Gute Nacht» sagen und ein wichtiges, warmes Ritual auch in seiner Abwesenheit fortführen.
Tonia von Gunten
Fragen Sie Ihre Tochter, wie es ihr mit der Abwesenheit des Vaters geht. Sie empfindet offenbar andere Gefühle als ihr Bruder und zeigt sie auf ihre eigene Weise. Ihr Mann könnte etwas zur Beziehung mit ihr beitragen, indem er sich vermehrt auch aus der Ferne meldet und sich für das Leben der Kinder interessiert. Er könnte telefonieren, Videos senden und am Wochenende immer wieder bewusst Zeit mit einem Kind alleine verbringen.
Peter Schneider
Nicole Althaus, 48, ist Kolumnistin, Autorin und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am Sonntag». Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir eltern» und hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger. ch» initiiert und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter von zwei Kindern, 16 und 12. Tonia von Gunten, 43, ist Elterncoach, Pädagogin und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein Programm, das frische Energie in die Familien bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern, 10 und 7. Peter Schneider, 59, ist praktizierender Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent für klinische Psychologie an der Uni Zürich und ist Professor für Entwicklungspsychologie an der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines erwachsenen Sohnes. Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: redaktion@fritzundfraenzi.ch
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Juni/Juli 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO
Vielleicht könnte Ihr Mann unter der Woche öfter mit der Tochter telefonieren. Oder am Wochenende, wenn Ihre Tochter das möchte, auch einmal alleine etwas ganz Alltägliches wie Einkaufen mit ihr unternehmen. Freude kann man nicht erzwingen und die Trauer über die Abwesenheit höchstens mildern, aber auch nicht ganz ausschalten. Und je mehr man auf die Effekte irgendwelcher Massnahmen schielt, desto mehr geht die Sache ohnehin in die Hose.
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