Fritz+Fränzi Spezialausgabe: Gesundheit 17

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März 2017

Gesundheit

Das macht

Kinder stark

Die neue Achtsamkeit

Böser, böser Zucker

Schlafen und Lernen

Meditation mit Kindern – wie funktioniert das?

Wie Eltern ihre Kinder richtig ernähren

Wie guter Schlaf und gute Noten zusammenhängen


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März 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial


Editorial

Bild: Geri Born

Liebe Leserin, lieber Leser

Claudia Landolt Leitende Autorin beim Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Einer meiner vier Söhne mag Fussball nicht. Vergangenes Jahr mühte er sich damit ab, den Ball bei drei Versuchen wenigstens ein Mal ins Tor zu bekommen. Denn Jungs, die Fussball nicht mögen, haben zumindest in der Primarschule einen schweren Stand. Man kann seine Talente nicht aussuchen, denn niemand ist perfekt – auch das eigene Kind nicht. Aber mindestens eine Sache kann jeder Mensch gut, und genau darum geht es in diesem Heft: wie Kinder ihre Stärken entdecken, ohne sich für ihre Schwächen zu schämen, und trotzdem bereit sind, Herausforderungen anzunehmen. Wir Erwachsenen können sie dabei unterstützen. Ich hätte meinem Sohn nur zu gern gesagt, er solle in der Pause doch lieber Pingpong spielen, statt sich mit den fussballverrückten Klein-Neymars zu messen. Tat ich aber nicht. Ich tröstete, ermutigte – und schwieg. Eisern. Was geschah? Mein Sohn entpuppte sich als meisterhafter Goalie und wird nun von den anderen Fussballjungs regelmässig ins Tor gewählt. Einstimmig. Tore schiessen immer noch die anderen, aber er, er hält jeden Ball.

Herzlichst, Ihre Claudia Landolt

Inhalt Gesundheits-Spezial März 2017

Geist 04 « Eltern, glaubt an eure Kinder» Der Glücksforscher Ernst FritzSchubert weiss, was unsere Kinder wirklich glücklich macht. 14 D ie neue Achtsamkeit Meditation mit Kindern – funktioniert das? Unsere Autorin hats ausprobiert. 18 W as Kinder stark macht Sechs Tipps für Eltern vom Psychologen, die wirklich helfen.

Körper 22 E in gesunder Selbstwert Die Gefühle der Eltern beeinflussen den Selbstwert des Kindes – weiss der Kinderarzt Cyril Lüdin.

26 S chlafen und Lernen Über den Zusammenhang zwischen gutem Schlaf und guten Noten.

52 M entale Muster lösen Wie ein brasilianischer Psychiater und Bestsellerautor Kinderseelen stärkt.

28 S chlafen und Handy Was blaues Licht dem Körper vorgaukelt.

56 A chtung, Depression! In der Pubertät treten oft seelische Verstimmungen auf. Alles über die ersten Anzeichen.

30 Kinder und Zähne Böser, böser Zucker: Die Banane muss weg. 34 K inder und Augen Alles über Schielen, Kurzund Schwachsichtigkeit. 38 K ein Zoff mit der Ernährung Stress am Familientisch? Alles über Zen beim Essen. 42 T ipps und Tricks rund ums Essen Wie man Teenagern Pizza, Chips und Burger abgewöhnt.

Seele 44 E s lebe das Spiel! Lasst die Kinder endlich spielen. Ein Plädoyer.

62 S o kommuniziere ich richtig Kinder sind Meister im Ignorieren der elterlichen Befehle. Wir sagen, wie wir garantiert gehört werden.

Service 66 Bücher und Links / Impressum

Die Bilder in diesem Heft stammen vom französischen Fotografen Alain Laboile. Er ist Vater von sechs Kindern. Über viele Jahre hat er das Leben seiner Familie im Südwesten Frankreichs mit der Kamera festgehalten. Kindsein heisst dort baden im Fluss, mit Fröschen spielen und nackt durch den Garten laufen. www.laboile.com

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Geist

« Eltern, glaubt an eure Kinder» Ein Kind braucht kein Ritalin und keine Matura, um stark und glücklich zu sein, sagt der Heidelberger Glücks­forscher und Pädagoge Ernst Fritz-Schubert. Ein Gespräch über Lernen, Lebensfreude und Loslassen.

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Interview: Claudia Landolt Bilder: Alain Laboile

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Geist

mich als Fünfjähriger mit der Zuckertüte angetrieben hatten, verwandelten sich schnell in Rat­ losigkeit, Zweifel und Furcht. Ich wurde jünger eingeschult als die anderen und erbrachte nicht die gleiche Leistung. «Mehr anstren­ gen!» – diesen Satz bekam ich immer wieder zu hören. Aber kein Lob dafür, wie gut ich doch zu­­ rechtkam. Sie sagen, Sie hätten sich lieber herumgetrieben, als den Kopf in Bücher zu stecken.

Ernst Fritz-Schubert spricht gern, schnell und viel. Und wenn er spricht, leuchten seine Augen. Der pensionierte Schulleiter empfängt uns in seinem pittoresken, über 100 Jahre alten Haus am Philosophen­weg in Heidelberg. Hier haben sich früher Liebende zum Stelldichein getroffen. Die Wohlfühlatmosphäre und das liebliche Ambiente kontrastieren mit den pointierten Äusserungen des älteren Herrn mit dem ungewöhnlichen Doppelnamen. «Schule muss mehr sein als blosse Qualifizierungsanstalt», sagt Fritz-Schubert, während er Kaffee kocht. «Schule empfinde ich in dieser Form als starke Vergeudung der Möglichkeiten. Kinder verlernen das Gefühl, selbst wirksam zu sein, wirklich gebraucht zu werden». Herr Fritz-Schubert, gingen Sie gern zur Schule?

An meine eigene Schulzeit habe ich keine guten Erinnerungen. Meine Neugier und die Lust, die 6

Weil ich eher schmächtig war, kam für meine Mutter und meine Leh­ rer nur eine Ausbildung in einem Büro in Frage. So landete ich in einem Steuerbüro und langweilte mich zu Tode. Als Ausgleich kauf­ te ich teure Autos und päppelte so mein Selbstwertgefühl auf. Die Wende kam bei einer allgemein­ bildenden Schulung während des

«Die Schule ist eine künstliche Veranstaltung.» Militärdienstes. Ein Deutschlehrer ermutigte mich, das Abitur nach­ zuholen und Volkswirtschaft zu studieren. Das änderte alles. Haben Sie deshalb das Schulfach Glück erfunden?

Ich hatte es einfach satt, dass Schu­ le in der Beliebtheitsskala der Schüler gleich nach dem Zahn­ arztbesuch rangiert. Neun- bis Dreizehnjährige gaben an, sich besonders in den Ferien wohlzu­ fühlen, an Weihnachten, über­ haupt bei den Eltern. Am wenigs­ ten glücklich sind sie beim Zahnarzt. Und in der Schule. Also tat ich mich mit ein paar Kollegen zusammen. Wir entwarfen ein Konzept für ein Fach, das in der

Berufsfachschule und im Wirt­ schaftsgymnasium in Deutschland seit 2007 auf dem Stundenplan steht, in Teilen Österreichs und zeitweilig auch im Internat Ingen­ bohl in der Schweiz. Was wollen Sie Kindern damit vermitteln?

Dass es neben dem vordergründi­ gen materiellen Glück auch das lebenslange Glück gibt, das durch die eigenen Werte geprägt wird. Macht die Schule unsere Kinder unglücklich?

Die Schule ist eine künstliche Ver­ anstaltung. Lehrer geben meist alles vor, und Schüler bekommen mehr fertige Antworten statt Fra­ gen mit nach Hause. Dadurch ver­ lieren sie das Gefühl, selbst wirk­ sam zu sein, wirklich gebraucht zu werden. Dies ist aber neben der Selbstachtung ein zentraler Faktor für die Persönlichkeitsbildung und für Glück und Wohlbefinden. Aber Kinder kommen doch in der Regel glücklich zur Welt.

Das stimmt, und die meisten Eltern strengen sich an, dass aus ihnen glückliche Erwachsene wer­ den. Aber nicht immer gelingt es. «Gut meinen» ist noch lange nicht «gut machen». Alle Kinder haben ungeahnte Ressourcen, und die gilt es gemeinsam mit ihnen zu entdecken, das ist eine der wich­ tigsten Aufgaben von Eltern und Pädagogen. Alle Eltern möchten, dass ihre Kinder stark werden.

Ja, das steht auch nicht im Wider­ spruch zur gesellschaftlich er­­ wünschten Vermittlung von Wer­ ten wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität, sondern beschreibt lediglich einen anderen Weg zum selben Ziel. Wie meinen Sie das?

Lust und Leistung sind keineswegs Gegensätze. Das Leben zu meis­ tern, heisst nicht nur, dass man sich die nötigen Fähigkeiten aneig­

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net, um zu überleben, sondern es gehört auch Lebensfreude dazu, die Fähigkeit, zu geniessen und auch einmal über sich selbst zu lachen, wenn der gewünschte Erfolg ausbleibt. Es hilft unseren Kindern jedenfalls nicht, wenn wir sie mit erhobenem Zeigefinger erziehen oder ihnen alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Niederlagen können auch Erfolge sein.

Genau. Aber nur dann, wenn die notwendige Energie für einen neuen Anlauf aufgebracht wird. Dazu benötigt man vor allem positive Emotionen. Kinder, die nach einer schlechten Note oder einem Streit nach Hause kommen, können nicht direkt zur Tagesordnung übergehen, sondern wollen getrös-

tet werden und in der Geborgenheit der Familie neue Kräfte sammeln.

«Schlechte Noten sollen die elterliche Liebe nicht mindern.» Haben Kinder Angst, dass schlechte Noten ihren Eltern missfallen?

Alle Kinder wollen ihren Eltern gefallen. Umso wichtiger ist es, den Kindern zu vermitteln, dass schlechte Noten die elterliche Liebe und Wertschätzung nicht mindern.

Sie möchten, dass Kinder sich in der Schule positiv entwickeln?

Kinder und Jugendliche brauchen ganzheitliche Erlebnisse, um körperlich und seelisch gesund zu bleiben und sich in der Gemeinschaft wirklich wohlzufühlen. Diese Erfahrungen können sie aber heute kaum noch machen. Wie oft klettern sie noch auf Bäume, werfen sie sich in einen Heuhaufen oder pflücken sie einen Feldblumenstrauss, um ihn der Mutter nach Hause zu bringen? Deshalb haben wir 2007 in Heidelberg begonnen, unser schulisches Leitziel «physische und psychische Gesundheit für Schüler und Lehrer» durch die Einführung des neuen Unterrichtsfaches «Glück» umzusetzen. >>>

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>>> Gab es einen besonderen Moment für diese Idee? Als mir ein Schüler sagte, ich sei der erste Mensch, der ihm etwas zugetraut hätte. Dieses Zutrauen und Vertrauen ist ja sozusagen die Fortsetzung des Urvertrauens und dafür verantwortlich, wie wertvoll wir uns als Mensch fühlen. Was soll das Fach Glück den Kindern vermitteln?

Wir wollen die Schüler stärken, indem wir ihnen vor allem die Voraussetzungen für ein gelingen­ des Leben aufzeigen. Das Fach dient nicht der Leistungsmaximie­ rung, sondern es geht darum, dass sie sich in ihrer Persönlichkeit entwickeln, indem sie zum Bei­

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spiel früh lernen, mit Herausfor­ derungen umzugehen, Stress zu vermeiden oder Phasen extremer Belastung gelassen zu meistern.

«Die inneren Bedürfnisse der Kinder werden oft nicht erkannt.» Erfolgt Persönlichkeitsbildung nicht daheim?

Elternhäuser legen sozusagen das Standbein fest und schaffen die

Voraussetzungen. Die Schule ent­ wickelt das Spielbein und eröffnet neue Möglichkeiten. Ist das Stand­ bein nicht fest entwickelt – etwa durch Vereinzelung, die Medien, unsere Multioptionsgesellschaft –, werden die Kinder äusserlich zwar schnell selbständig, ihre inneren psychischen Bedürfnisse aber wer­ den nicht erkannt oder nicht be­­ friedigt. Dann sind sie unsicher und suchen anderswo Bestätigung – durch viele Freunde oder durch materielle Dinge, die gegen aussen einen Selbstwert repräsentieren. Wie werden Kinder glücklich?

Wenn man ihnen hilft, ihre eige­ nen Potenziale zu entdecken und an sich selbst zu glauben.

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Was können Eltern dafür tun?

Das ist die Gretchenfrage. Was wünschen wir uns für unsere Kin­ der? Dass sie diszipliniert sind und gut funktionieren? Oder dass sie ein glückliches Leben führen? Noch nie gab es so viele sogenann­ te Problemkinder. Sie sind hyper­ aktiv, verwöhnt, aggressiv, möch­ ten Topmodel werden oder Superstar und verstecken sich im Hotel Mama. Aber sind wir wirk­ lich von kleinen Tyrannen oder Nesthockern umgeben? Nein! Aus Angst, dass unsere Kinder in der Leistungsgesellschaft versagen, konzentrieren wir uns zu sehr auf ihre Probleme. Doch wenn man Kindern nur ihre Schwächen vor­ hält, werden sie unglücklich und mutlos.

«Wir konzentrieren uns zu sehr auf die Schwächen unserer Kinder.» Sie sprechen von einem überalterten Schulsystem. Können Sie das kurz erklären?

Acht Glücksfragen, die sich Kinder (und ihre Eltern) stellen können • Was will ich eigentlich? • Welche Stärken habe ich? • Wenn ich diese und jene Stärken habe: Was mache ich damit? • Lebe ich sie? • Habe ich eine Vision damit? • Welchen Weg will ich gehen? • Bin ich bereit, auch Herausforderungen anzunehmen? • Wie schaffe ich es, mich bei Lustlosigkeit zu motivieren?

Wir haben eine Pädagogik, die 200 Jahre alt ist und auf einem anderen Gesellschaftssystem fusst: einer Oberschicht, in der reflektiert wird; einer Mittelschicht, aus der Handwerker hervorgehen; sowie einer Unterschicht, aus der Knech­ te und Mägde entstehen sollen. Dabei haben wir eine emanzipa­ tive Gesellschaft, in der die sozia­ le Herkunft weder ein Vorteil noch ein Hindernis sein soll. Schule wird also allzu oft dazu benutzt, Menschen an wirtschaftliche und gesellschaftliche Gegebenheiten anzupassen, die es so gar nicht mehr gibt. Schule lehrt etwas

anderes als das, was jetzt gebraucht wird. Was schlagen Sie vor?

Uns endlich von diesem antiquier­ ten Konstrukt zu lösen. Jedes Kind hat ein Potenzial, auch wenn es aus einer Schicht kommt, die für ein Akademikerleben nicht vorgese­ hen ist. Wir sollten uns doch fra­ gen: Will ich all die Potenziale ver­­geuden? Was sagen Sie zur herrschenden Fehlerkultur in der Schule?

Ich habe nichts gegen Fehlersuche. Ich frage mich aber, ob es das Schwergewicht sein sollte. Eine Fehlerkultur richtig zu verstehen, setzt voraus, aus den Fehlern zu lernen. Wirkliche Fehlerkultur heisst für mich, dass der Lehrer zum Begleiter wird und alternati­ ve Möglichkeiten bietet. Also den Kindern alternative Lösungswege aufzeigt, statt sie negativ kommen­ tiert. Die heutige übertriebene «Fehlerfahndung» erzeugt nur negative Emotionen. Jeder Mensch zieht sich zurück, wenn er hört, dass er etwas Falsches gesagt hat. Evolutionsgeschichtlich sollten Angst, Wut, Ekel usw. nämlich dafür sorgen, uns vor etwas zu bewahren. Bekomme ich aber Zuspruch und positive Emotio­ nen, führt das zu einer Öffnung. Das nenne ich Potenzialentwick­ lung. Erinnern Sie sich an ein Beispiel aus Ihrer Schulzeit?

Der Lehrer fragte mich in der ers­ ten Klasse: Wie entstehen Wolken? Ich habe gesagt: durch die Loko­ motive. Er antwortete einfach nur: «Das ist Quatsch.» Für mich war meine Antwort aber logisch, denn wir haben an einer Eisenbahnlinie gewohnt und ich sah jeden Tag Lokomotiven, die Dampfwolken ausstiessen. Doch mein damaliger Lehrer hat diese Erkenntnis kom­ plett ignoriert. Die Lösung wäre gewesen, zu sagen: Ja, das >>>

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Geist

>>> ist interessant, wie arbeitet denn eine Lokomotive? Wurde Ihr Potenzial in der Schule entdeckt?

Nein. Nachdem mein Vater mir erklärte, dass das Gymnasium für mich nicht in Frage komme, blieb ich zunächst in der Volksschule und kam dann in eine Handels­ schule, weil man mir prognosti­ ziert hat, dass ich im Kaufmänni­ schen meine Heimat finden würde. Die Eltern und die Schule schrie­ ben mir das als «meinen» Weg vor. Ich war in diesem nach Schichten gegliederten Schulsystem für nichts anderes vorgesehen. Heute ist das sicherlich anders, da glau­ ben viele Eltern, dass ihre Kinder unbedingt studieren müssten. Ist das falsch?

Prinzipiell nicht, aber überhöhte Erwartungshaltungen können Kinder unglücklich machen. Sol­ che Kinder fühlen sich abgehängt und machen die Schule einfach, um die Erwartungen der Eltern zu erfüllen und der Beziehung zu ihnen nicht verlustig zu werden. Es führt zu einer grossen Abhän­ gigkeit, wenn der Selbstwert nur an Noten und Leistung geknüpft ist. Es erstaunt mich nicht, dass

dass Kinder viel können. Dass sie sie nicht nur nach der schulischen Leistung bewerten. Nicht sagen: gute Noten, gutes Kind. Diese Kau­ salitätskette kann einfach nicht erfolgreich sein.

«Gute Noten, gutes Kind: Diese Kausalitätskette kann nicht funktionieren. » Was macht ein Kind erfolgreich?

Dass man an es glaubt, realisiert, dass es das Beste macht, das es kann. Eltern sollen sich vom Sys­ tem Schule lösen, statt es zu ver­ stärken. Das Kind darf nicht den­ ken: Hab ich eine 6, bin ich super, hab ich eine 4, bin ich knapp, aber okay, und mit einer 3 bin ich nichts wert. Dieses Nichtswertsein be­ deutet Einschränkung, negative Gefühle. Man kommt dann schnell in so ein Raster rein. Ich hab das bei meiner Tochter beobachtet. Inwiefern?

viele junge Leute freie Zeit aus­ ufernd leben, feiern und trinken, bis es kracht. Diesen Druck, den Erwartungen zu genügen, hält auf die Dauer kein Mensch aus.

Ihre Grundschullehrerin empfahl sie für das Gymnasium und gab ihr auf den Weg mit: «Du schaffst das schon irgendwie, du bist ja gut in den Sprachen, aber weniger in der Mathe.» Sie glaubte das wirk­ lich. Aber in der zehnten Klasse veränderte sich das. Sie lernte ab und zu mit einem Neffen von mir, der Physik studierte. Sie dachte, wenn ich verstehe, was er lernt, bin ich okay. Und sie verstand immer mehr. Im Abitur erreichte sie in Mathematik die Höchstnote, be­ gann dann ein naturwissenschaft­ liches Studium und schloss mit der Promotion ab.

Auf ihre Intuition hören und die­ ser folgen. Sich gewahr werden,

Die hatte in der ersten Klasse Schwierigkeiten, vom freien Ler­

«Der Selbstwert eines Kindes darf nicht nur an Noten und Leistung geknüpft sein.»

Was sollten Eltern also tun?

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Und Ihre zweite Tochter?

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nen auf strukturiertes Lernen um­ zustellen. Damit sie nicht sitzen blieb, wurde sie durch meine damalige Frau regelrecht durch die Schule gepowert, es war grauen­ haft. Genutzt hat dieser Drill wenig. Die Wende kam erst, als meine Tochter ein Austauschjahr in den USA machte. Dort hat sie lauter Kurse belegt, die nur gerin­ ge Anforderungen an sie stellten, Babysitting zum Beispiel und Deutschkurse und all sowas. Sie kam zurück und wollte zuerst mit der Schule aufhören und etwas Praktisches machen. Wir über­ redeten sie, noch die zwei Jahre bis

zum Abitur auszuhalten. Sie wil­ ligte ein, allerdings unter der Bedingung, dass sie nie mehr die­ sem Hausaufgaben- und Lerndrill mit der Mutter ausgesetzt sein würde. Und was geschah? Sie machte Abitur und wurde Sonder­ schullehrerin.

Viele Eltern haben zur Schule ein zwiespältiges Verhältnis.

Beide Töchter haben einen Weg beschritten, den die Schule und teilweise auch das Elternhaus mehr oder weniger nur behindert haben. Mein Fazit: Man soll seinen Kin­ dern etwas zutrauen und dem, was einem in der Schule gesagt wird, nicht so viel Wert beimessen.

Ja, klar. Ich erinnere mich an einen Jungen. Er war ein Migrantenkind, konnte die Sprache nicht so gut, und er war gross und korpu­lent, so der Typ dumpfer Bär. Beides erweckte nicht den Eindruck, besonders helle zu sein. Also sagte er sich, ich hole mir meinen >>>

Ihre Erkenntnis daraus?

Genau. Wie absurd ist das denn: Sie halten nicht so viel von der Schule, aber das Ergebnis bewer­ ten sie ganz hoch. Dann muss sich das Kind doch sagen: Wie doof ist das denn? Dachten das auch Ihre Schüler?

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Geist

Wie hat der Glücksunterricht das erreicht?

Wir schaffen Schlüsselerlebnisse, die zu guten Erfahrungen werden. Unsere wissenschaftlichen Unter­ suchungen haben eindeutig er­ge­ ben, dass die Schüler des Glücksun­ terrichts im Vergleich zu anderen Vierzehn- bis Siebzehnjährigen im Leben mehr Sinn sehen, sich mehr zutrauen, Familie und Schule mehr schätzen und deutlich besser wissen, was sie wollen oder nicht. Sie sind ein Verfechter humanitärer Bildung.

Ja, wir müssen die Schüler fähig machen, mit allen Dingen, die in ihrer Welt geschehen, auch umzu­ gehen. Intelligenz zeigt sich eben nicht nur in guten Noten. Um das

Leben zu meistern, benötigt man Kreativität, um neue Ideen zu ent­ wickeln, die analytische Fähigkeit, diese Ideen richtig einzuschätzen, soziale Kompetenzen, die Gedan­ ken auch umzusetzen, und letzt­ lich auch die Erkenntnis, ob sie der Gemeinschaft wirklich zuträglich sind. Wir müssen uns endlich klar­ machen, dass das Leben weit mehr als eine akademische Veranstal­ tung ist.

«Glück ist ein Idealzustand, der nach Wiederholung oder Fortdauer strebt.» Wissen ohne Erkenntnis ist unnütz?

Man kann damit vielleicht im Fernsehen Millionär werden. Aber sonst nützt es wenig. Auch müssen Schüler lernen, das Wichtige vom Dringlichen zu unterscheiden. Nicht alles, was dringlich er­­ scheint, ist auch wichtig. Das wich­ tige WhatsApp, der wichtige Ter­ min, die Verabredung: Kinder hetzen durchs Leben. Leider blei­ ben dadurch auch die wirklich wichtigen Dinge auf der Strecke.

Was ist denn nun Glück?

Glück ist ein Idealzustand, der nach Wieder­holung oder Fortdau­ er strebt. Manchmal fällt er ohne unser Zutun vom Himmel. Er erstreckt sich vom kleinen Mo­ ment des Hochgefühls bis hin zum sinnvollen, gelingenden Leben. Das sinnvolle Leben muss von jedem selbst erspürt werden. Ich finde, dass man es besonders gut spürt, wenn man etwas bewirkt, wenn man achtsam ist mit den Dingen, die einem begegnen, mit den Menschen und mit der Natur. Zum Erspüren gehört auch, dass man sich selbst nicht so wichtig nimmt, in Selbstvergessenheit gerät. Und dass man geniessen und sich entspannen kann. Zu guter Letzt gehört für mich auch die Erkenntnis dazu, dass man auch an Leid, an Niederlagen wachsen kann. Sind Sie glücklich?

Wenn ich zurückblicke, gibt es viele glückliche Momente und Gründe, zufrieden und dankbar zu sein. Glück ist für mich aber auch die freudige Erwartung der Zukunft, auf das, was noch kommt und mich herausfordert. >>>

>>> Selbstwert mit meiner Kraft, haue rein und kriege so den Re­­ spekt. Erst durch den von uns im Schulfach Glück angeregten Per­ spektivenwechsel kam er zu einer anderen Haltung. Die Sprache nicht zu können, ist zwar hinder­ lich, aber das kann man ändern. Es ging deshalb zunächst darum, ihm bei der Suche nach seinen charak­ terlichen Stärken zu helfen, Aus­ dauer, Kreativität und vielleicht auch die Fähigkeit, sich zu mässi­ gen. Als er endlich wusste, was er kann und was er will, hat sich das Sprachproblem sehr schnell gelöst.

Bild: Michael Hudler

Zur Person Dr. phil. Ernst Fritz-Schubert ist Dozent an der Universität Kassel und an der SRH Hochschule in Heidelberg. Als ehrenamtlicher Direktor leitet er das nach ihm benannte Fritz-Schubert-Institut, das Methoden zur Persönlichkeitsstärkung erforscht und entwickelt. Zuvor war der Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema Glück und Wohlbefinden viele Jahre Schulleiter der WillyHellpach-Schule, an der er im Jahre 2007 das Schulfach Glück einführte. Er ist Vater zweier erwachsener Töchter und zweifacher Grossvater. www.fritz-schubert-institut.de

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Durch Innehalten, Achtsamkeit und Meditation lernen wir, uns nicht vom Aussen abzulenken und das Gedankenkarussell abzuschalten. Auch Kinder profitieren davon. Text: Claudia Füssler 14

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Bild: Alain Laboile

Achtsamkeit mit Kindern – wie funktioniert das?


Geist

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ie erste Aufgabe klingt lösbar: sich einfach mal hinstellen. Ohne sich irgendwo anzulehnen. Die Hände aus den Hosentaschen, die Arme an den Seiten baumeln lassen. Beide Füsse stehen auf dem Boden, das Gewicht ist gleichmässig verteilt. «Für viele Kinder ist das extrem schwierig», sagt Vera Kaltwasser. «Einfach zu stehen, das kann der Anfang für eine Verfeinerung der Selbstwahrnehmung sein, spielerisch können die Kinder mal in die rechte Fusssohle spüren, dann in die linke und so Kontakt mit dem Körper aufnehmen.» Vera Kaltwasser ist Lehrerin an einer Frankfurter Schule und Autorin mehrerer Bücher zum Thema Achtsamkeit. Sie hat die sogenannte Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR, Mindfulness-Based Stress Reduction) bei Jon Kabat-Zinn, dem Erfinder die­ ­ses Programms, gelernt – eigentlich für sich selbst. Das hat ihr so gut getan, dass sie irgendwann auf die Idee kam, einen Teil dieser Methode bei ihren Schülern auszuprobieren. Das bewusste Stehen gehört zu den Stillephasen, die Kaltwasser immer wieder in den Unterricht einflicht – schon bei den Jüngsten. «Aischu» heisst das von ihr entwickelte Konzept, das Kinder und Jugendliche kontinuierlich in kleinen Schritten dafür begeistern soll, ihre Innenwelt zu erkunden und sich selbst besser spüren zu lernen. «Ich bitte die Kinder zum Beispiel, sich eine Zitrone vorzustellen. Dann nehmen sie erstaunt wahr, dass ihnen das Wasser im Mund zusammenläuft. Eine Vorstellung bewirkt also eine körperliche Reaktion», erklärt Kaltwasser. «So verstehen die Kinder, dass sie sich mit Befürchtungen und

Sorgen, obwohl es nur Gedanken sind, in Stress versetzen. Der nächste Schritt ist dann, dass Kinder und Jugendliche lernen, selbsttätig ihre Stressreaktion zu entschärfen, indem sie zum Beispiel bewusst auf den Atem achten.» Meditieren ist ein Prozess

Auch wenn es von aussen nicht so aussieht: Achtsamsein, Meditieren ist ein hochaktiver Prozess. Der Geist wird geschult. So ist der Fokus zum Beispiel der Atem. Immer, wenn die Gedanken ab­ schweifen, wird die Wahrnehmung wieder zum Atem zurückgeholt. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass aufmerksamer wird, wer regelmässig seine Achtsamkeit schult. Indirekt wirkt sich das auch auf die Leistungen der Schüler aus. Denn wer unter Stress steht, sieht oft die einfachsten Lösungen nicht, auch Höchstleistungen erbringt niemand in angespanntem Zustand. Auf die besten Ideen kommt man, wenn man entspannt ist. Das haben zahlreiche Studien gezeigt, und genau diese Erfahrung macht Vera Kaltwasser mit ihren Schülern. «Wichtig ist, dass wir Achtsamkeit nicht als Werkzeug zur Selbstoptimierung entwerten, sondern das ethische Potenzial erkennen, das sich entfaltet, wenn wir lernen, bewusst mit uns und dem anderen umzugehen», betont die Frankfurter Lehrerin. Regelmässige Übung ist wichtig

Der Schlüssel zur erfolgreichen Achtsamkeit ist die Konti- >>>

Wer unter Stress steht, sieht oft die einfachsten Lösungen nicht.

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Kinder sammeln beim In-sich-selbst-Hineinhorchen neue Erfahrungen. >>> nuität. Viel wichtiger als eine lange Übungsdauer ist es, re­­ gelmässig zu üben, und wenn es nur wenige Minuten sind. «Des­ halb ist es grossartig, wenn Kinder nicht nur in der Schule meditieren, sondern auch die Eltern sich damit ein bisschen auskennen und ge­ meinsam mit ihren Kindern auf mehr Achtsamkeit im Alltag ach­ ten», sagt Vera Kaltwasser. Sie rät davon ab, das Meditieren zu einem festen Programmpunkt im oft sowieso schon zu vollen Tagesplan eines Kindes zu machen. Stattdessen sollten Eltern auf­ merksam registrieren, wann sich ein guter Zeitpunkt ergibt, um in konkreten Situationen mit den Kindern ins Gespräch zu kom­ men. Wenn zum Beispiel ein Kind frustriert nach Hause kommt und

Meditation hinterlässt Spuren im Gehirn Dass Meditation Spuren im Gehirn hinterlässt, ist mittlerweile gut belegt. Der Psychologe Richard Davidson von der University of Wisconsin-Madison konnte schon 2007 demonstrieren, dass ein dreimonatiges Meditationstraining die Aufmerksamkeit schärft. Die Teilnehmer erkannten Zahlen, die auf einem Bildschirm zwischen zahlreichen Buchstaben versteckt sind, schneller als vor dem Training. Und Sara Lazar vom Massachusetts General Hospital in Boston berichtete, dass sich das Training sogar in der Morphologie des Gehirns niederschlägt. Der Hirnscanner zeigte, dass es den Mandelkern schrumpfen lässt, eine Struktur im Gehirn, die unter anderem an der Steuerung von Angst beteiligt ist. Zugleich hatte die graue Substanz in Bereichen des Gehirns zugenommen, die zum Beispiel mit Mitgefühl assoziiert sind. «Das Gehirn ist in der Lage, sich zu verändern, und so, wie wir eine neue Sportart lernen, können wir auch Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit oder Mitgefühl trainieren», sagt Richard Davidson. 16

sagt, der Lehrer könne es nicht leiden. Dann bietet es sich an, dem Ärger oder der Enttäuschung zwar Raum zu geben, aber auch Ein­ flussmöglichkeiten zu zeigen, wie der Stress, den so eine Zurückwei­ sung auslöst, entschärft werden kann. Das heisst nicht, dass man das Problem kleinredet, aber man kann so schon früh Bewältigungs­ strategien erlernen. In Zeiten der ständigen Reiz­ überflutung durch Medien und digitale Geräte ist Achtsamkeit ein Weg, der Kindern und Jugendli­ chen helfen kann, ihre Selbstwahr­ nehmung zu verfeinern. «Mir hat mal ein kleiner Junge nach den ersten Übungen gesagt: ‹Ich bin jetzt ein Freund mit mir.› Das trifft es ziemlich gut, finde ich», sagt Vera Kaltwasser. «Über den Atem machen sich die Kinder mit sich selbst vertraut, sie lernen, freund­ lich und liebevoll mit sich selbst umzugehen. Sie lernen auch, früh­ zeitig zu merken, wann sie sich mit Gedanken mal wieder die Hölle heiss machen. Und sie lernen, auch mit den anderen freundlich und wertschätzend umzugehen.» Während Kinder im Aussen oft an Grenzen stossen, anecken, regu­ liert werden, können sie beim Insich-selbst-Hineinhorchen ganz neue Erfahrungen machen. Sie merken, dass sie sich die Welt oft selber machen, dass es etwas ändert, wenn man die Dinge so oder anders sieht. Achtsamer Medienkonsum

Achtsam sein kann auch im Um­ gang mit Medien helfen. Kaltwas­ ser rät Eltern, nicht einfach ein Verbot – «Du darfst nicht mehr an das Tablet» – auszusprechen, son­ dern sich achtsam mit dem Nichtstun auseinanderzusetzen und dem Nachwuchs vorzuschlagen: Spüre mal nach, was das mit dir macht, wenn du jetzt nicht auf dem März 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial


Geist

«Aischu» und die Wissenschaft

Das Interventionsprogramm «Aischu» war inzwischen auch auf dem wissenschaftlichen Prüfstand. Niko Kohls und Sebastian Sauer, Forscher an der Ludwig-Maximi­ lian-Universität München, haben in einer kleinen Pilotstudie unter­ sucht, welchen Einfluss die Acht­ samkeit auf Aufmerksamkeitsleis­

tung, Lebensqualität, Wohlbefinden und Stress von Fünftklässlern hat. Die Ergebnisse zeigen, dass sich Achtsamkeit in allen Punkten posi­ tiv auswirkt. Besonders auffällig war die verbesserte Aufmerksam­ keitsleistung. Die Wissenschaftler betonen, dass die Studie Pilotcha­ rakter hat und die Ergebnisse nur als erste Anhaltspunkte dienen könnten, die weiter abgesichert werden müssten. Professor Gunther Meinl­ schmidt von der Psychologischen Fakultät der Universität Basel und der Ruhr-Universität Bochum fin­ det «das Thema so spannend, dass derzeit einige Studien und Unter­ suchungen laufen und man in einigen Jahren mehr wissen wird». Was man aber jetzt schon weiss: Stress kann zu sogenannten epigenetischen Veränderungen führen. Damit sind Veränderun­ gen an den Genen gemeint, die nicht vererbt sind, sondern von äusseren Faktoren herrühren. Stress ist ein solcher Faktor. «Als Eltern gemeinsam mit dem Kind das Innehalten und Wahrnehmen zu üben, davon können alle profitieren», sagt Meinlschmidt. Zum Beispiel bei einem Waldspaziergang: Tief ein­ atmen und die einzelnen Düfte schnuppern, die Ohren spitzen und den Geräuschen der Tiere und Pflanzen lauschen, einen Baum anfassen und mit den Fin­ gerspitzen die Rinde erfühlen – all das kann die Achtsamkeit för­ dern.

Achtsamkeit im Alltag Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeit. Dabei werden innere und äussere Erfahrungen registriert und zugelassen, ohne diese zu bewerten. Ein guter Start ist es, sich einfach mal hinzusetzen und eine halbe Minute lang nichts zu tun, als seinen Atem zu beobachten. Manchen hilf es, eine Hand auf den Bauch zu legen und den Atem so besser zu spüren. Nach und nach können Sie diese kleine Meditation etwas verlängern. Auch in den Alltag lässt sich Achtsamkeit integrieren. Schärfen Sie Ihre und die Sinne Ihres Kindes: Wie fühlt es sich an, auf dem Weg zur Schule über die Betonplatten zu laufen? Was hört man abends auf dem Balkon, wenn es draussen schon still ist? Wie fühlen sich Gegenstände an, die man täglich in die Hand nimmt – die Zahnbürste, die Seite eines Buches? Wie riecht es zu Hause? Und was schmeckt man eigentlich beim Eis zuerst? Das Süsse? Die Kälte? Oder die Frucht? Trainieren Sie das regelmässig, nimmt die Achtsamkeit bald ganz selbstverständlich einen wichtigen Platz im Leben ein.

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Smartphone oder am Computer spielst, sondern einfach so dasitzt. Das ist im Grunde genommen die gute alte Langeweile – und die führt bekanntlich zu kreativen Höhenflügen. Wie schwierig es für Kinder ist, eine Vorstellung von Zeit und dem Nichtstun zu haben, zeigt sich oft ganz am Anfang der Achtsamkeits­ praxis. Vera Kaltwasser fragt dabei gern, ob sie es schaffen, 30 Sekun­ den lang die Augen zu schliessen. Na logo, lachen die Jungen und Mädchen, das ist doch einfach! Und staunen nach fünf Sekunden, wie lange das doch dauert. «Nach etwa sechs Wochen», sagt Vera Kaltwasser, «können meist alle Kinder still stehen oder die Augen eine halbe Minute lang schlies­sen.» Bei denjenigen, die dann immer noch stören, weil sie nicht innehalten können, sollten Lehrer und Eltern genauer hin­ schauen: «Das ist eine Art Hilferuf, denn diese Kinder merken in den Stillephasen zum ersten Mal, was eigentlich in ihnen vorgeht, und das können sie mitunter nicht aus­ halten.»

Claudia Füssler

Was schmeckt man eigentlich am Eis zuerst? Das Süsse? Die Kälte? Oder die Frucht?

freie Journalistin in Freiburg, ist am liebsten beim Essen achtsam und zelebriert das Zutaten-Herausschmecken. Allerdings ist die Familie meist schon beim letzten Bissen, wenn endlich die letzte Nuance analysiert ist.

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März 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial


Geist

Was Kinder stark macht 6 Tipps für Eltern, die wirklich helfen Text: Fabian Grolimund

Es ist wichtig, dass Kinder ein gesundes Selbstvertrauen entwickeln. Es gilt aber nicht: je selbstsicherer, desto besser.

Bild: Alain Laboile

Tipp 1: Nutzen Sie Probleme, um Ihr Kind zu stärken

Kinder stossen im Verlauf ihres Lebens immer wieder auf Proble­ me. Als Eltern fühlen wir uns oft dazu gedrängt, für unser Kind sofort eine Lösung bereitzustellen. Dabei übersehen wir, dass jedes Problem auch eine Gelegenheit für das Kind darstellt, zu wachsen und wichtige Problemlösefertigkeiten zu entwickeln. Indem wir nur so viel helfen wie nötig und das Kind mehr und mehr in die Entwicklung einer Lösung einbeziehen, leiten wir es an, Probleme selbst zu lösen. Ein Kind, das sich auf seine Fähigkei­ ten und seine Problemlösekom­ petenzen verlassen sowie mit Rückschlägen und Misserfolgen umgehen kann, ist auch zuver­ sichtlich, wenn es mit Herausfor­ derungen konfrontiert wird. Wichtig ist, dass die Kinder ein gesundes Selbstvertrauen entwi­ ckeln. Es gilt aber nicht: je selbst­ sicherer, desto besser. Hilfreich ist ein positives, aber realistisches

Bild von sich selbst. Damit wir uns entwickeln können, uns angemes­ senen Herausforderungen stellen und uns über kleine Fortschritte freuen können. Wir müssen auch in der Lage sein, unsere Schwä­ chen und Schwierigkeiten wahr­ zunehmen und uns richtig einzu­ schätzen. Dazu benötigen Kinder wohlwollende, aber akkurate Rück­meldungen. Tipp 2: Zeigen Sie Ihrem Kind, dass sich Anstrengungen lohnen

Wie reagiert Ihr Kind, wenn es einen Misserfolg erlebt? Gibt es gleich auf oder übt es weiter? Kinder lernen auch indirekt von Ihnen als Eltern oder Lehr­ person, ob es sich lohnt, sich trotz Misserfolgen weiter zu bemühen. Wie effektiv schon ein kurzer Kon­ takt mit einem positiven Modell sein kann, zeigten die Psychologen Perry und Penner. Sie führten Psy­ chologiestudenten ein Video eines Psychologieprofessors vor. Dieser erzählte von seinen Studienzeiten und schilderte ein Ereignis, bei dem er wiederholt Misserfolge einstecken musste und nur durch gutes Zureden eines Freundes nicht aufgab. Danach habe er die Uni erfolgreich abgeschlossen. Er betonte, dass die Leistung vor allem von der eigenen Anstren­ gung abhänge und sich Fähigkei­

ten durch Übung trainieren lies­ sen. Jene Studierenden, die das Video gesehen hatten, zeigten am Semesterende bessere Leistungen. Die Forschung zeigt, dass Kin­ der gut mit Misserfolgen umgehen können, wenn sie glauben, dass sie sich durch Anstrengung verbes­ sern können. Sie geben hingegen rasch auf, wenn sie den Eindruck haben, eine Leistung hinge von Intelligenz oder Begabung ab. Kin­ der brauchen Eltern, die ihnen vermitteln: Du kannst dich durch Übung verbessern; ich sehe (auch kleine!) Fortschritte und freue mich darüber. Tipp 3: Fangen Sie Ihr Kind auf, wenn es Misserfolge einstecken muss

Wie würden Sie sich fühlen und wie würden Sie reagieren, wenn Sie in Ihrem Beruf trotz vollem Einsatz Woche für Woche hören müssten: «Du bist nicht gut genug! Deine Leistung reicht nicht!»? Vie­ le Kinder machen diese Erfahrung tagtäglich – über Jahre hinweg. Wie können wir als Eltern oder Lehrperson Kinder in dieser Situa­ tion stärken? Vielleicht gibt Ihnen der folgende Dialog zwischen der Mutter eines rechenschwachen Kindes und mir einen Hinweis: G.: «Wie schaffen Sie es, dass Ihre Tochter sich immer >>>

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial  März 2017 19


>>> wieder auf das Rechnen einlässt, obwohl sie ständig Miss­ erfolge erlebt?» Mutter: «Wissen Sie, ich erwar­ te von meiner Tochter, dass Sie täglich zehn Minuten mit mir übt. Da bin ich eisern. Ich habe aber gelernt, mich mit ihr zusammen über kleine Fortschritte zu freuen. Wenn sie mit einer Prüfung nach Hause kommt und eine 4 geschafft hat, gehen wir zusammen ein Sie­ gerglace essen.» G.: «Und was, wenn sie mit einer ungenügenden Note nach Hause kommt?» Mutter: «Dann gehen wir ein Trostglace essen! Ich will, dass sie weiss: Wenn es gut lief, freuen wir uns mit dir. Wenn es schlecht lief, fangen wir dich auf.» Tipp 4: Geniessen Sie Momente zu zweit

Wenn Kinder zu Jugendlichen her­ anreifen, entwickeln sie andere Bedürfnisse. Sie möchten von ihren Eltern nach wie vor ernst genommen werden. In Gesprä­ chen erwarten sie, eigene Meinun­ gen äussern zu dürfen. Sie suchen die Auseinandersetzung, aber auch Verständnis und Geborgenheit. Für Eltern werden die Gesprä­ che anspruchsvoller. Es gibt einen einfachen Weg, um wieder mehr Nähe herzustel­ len: Sorgen Sie dafür, dass Sie auch Zeit mit Ihrem Kind alleine ver­ bringen. Viele Themen, die Jugendliche umtreiben, lassen sich nicht am Esstisch in der Familie besprechen. Statt einen Ausflug zu viert zu machen, könnte die Mutter mit

dem Sohn, der Vater mit der Toch­ ter etwas unternehmen. Vielleicht liegt sogar ein kurzer getrennter Urlaub drin oder eine Städtereise zu zweit. Eltern sind regelmässig er­­ staunt, wie viel besser sie ihre Kin­ der kennenlernen und wie viel Nähe plötzlich wieder da ist, wenn sie sich ganz bewusst für ein Kind Zeit nehmen: nur zu zweit und ohne To-do-Liste im Kopf. Gleichzeitig wächst unser Selbstwertgefühl, wenn es uns gelingt, uns für unsere Werte und Ideale einzusetzen und an etwas mitzuwirken, das grösser ist als wir selbst. Dies geschieht, wenn Kinder die Erfahrung machen: • Durch mich und meinen Beitrag wird meine Familie, meine Klas­ se, ja vielleicht sogar die Welt ein wenig besser. • Andere können auf mich zählen und finden bei mir Halt und Unterstützung. In unserer Kultur steht der Erfolg des Einzelnen im Vordergrund. Es geht darum, besser zu sein, zu gewinnen, sich abzugrenzen, andere zu übertrumpfen und sich hervorzutun. Diese Kultur spornt uns an, unser Bestes zu geben. Sie hat aber auch ihre Schattenseiten: Stress, Burnout, Neid und Gefüh­ le des Versagens und der Wert­ losigkeit, wenn es uns nicht gelingt, vorne mitzuschwimmen. Wir können Glück erlangen und uns selbst verwirklichen, wenn wir uns auf etwas anderes als uns selbst konzentrieren. Wir können uns Zeit nehmen für unsere Kinder, uns auf unseren Partner einlassen.

Nehmen Sie sich ganz bewusst Zeit für Ihr Kind: nur zu zweit und ohne To-do-Liste im Kopf. 20

Tipp 5: Geben Sie Ihrem Kind die Möglichkeit, sich zu engagieren

Menschen, die sich freiwillig für andere, die Umwelt oder eine gute Sache engagieren, empfinden ihr Leben als sinnvoller und haben ein höheres Selbstwertgefühl. Eltern können ihre Kinder dazu anregen, sich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen, indem sie selbst etwas Gutes tun, grosszügig und dankbar sind. Wir können unseren Kindern vorle­ ben, dass es mehr gibt als Leistung, Wettbewerb, Sieg und Niederlage. So wie wir das Selbstwertgefühl eines Kindes fördern können, in­­ dem wir es an einer guten Sache mitwirken lassen, können wir auch alle Kinder stärken: Wenn wir einen 3-Kilometer-Lauf veran­ stalten, können manche Kinder ihr Selbstvertrauen stärken. Sie kön­ nen zeigen, wie sportlich sie sind. Auf der anderen Seite wird es Ver­ lierer geben. Das übergewichtige Kind, das als letztes ins Ziel kommt, wird sich schämen und darin bestätigt werden, unsport­ lich zu sein. Bei einem Sponsoren­ lauf hingegen zählt jede gelaufene Runde für einen guten Zweck, und jedes Kind kann sich am Ende des Laufs darüber freuen, eine gute Tat für andere erbracht zu haben. Unser Selbstvertrauen hat auch damit zu tun, wo wir im Vergleich zu anderen stehen. Machen wir unser Glück davon abhängig, ste­ hen wir auf wackligen Füssen. Wenn wir uns etwas mehr auf andere konzentrieren als auf uns selbst, wächst unser Selbstwertge­ fühl. Wir lesen an den Gesichtern anderer Menschen ab, dass unser Beitrag geschätzt wird. Wir sehen eine gute Sache wachsen, freuen uns darob, empfinden unser Leben als wert- und sinnvoll. Zugleich weitet sich der Blick. Wir sind nicht mehr so stark auf uns fixiert, denken weniger dar­über nach, wie

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Geist

• mit anderen sprechen, wenn mich Sorgen quälen, • mir Hilfe und Unterstützung holen, wenn ich sie benötige. Ich bin

andere uns sehen, wie wir wirken und wie bedeutsam wir sind. Tipp 6: Zeigen Sie Ihrem Kind den Wert guter Taten

Der Forschungszweig der positiven Psychologie befasst sich mit der Frage, wie Menschen Wohlbefinden erreichen können. Professor Martin Seligmann, der Begründer dieser Forschungsrichtung, kommt zum Schluss, «dass eine freundliche Handlung mehr zur Steigerung des eigenen Wohlbefindens beiträgt als jede andere Übung, die wir getestet haben». Überlegen Sie zusammen mit Ihrem Kind, zu wem es freundlich sein könnte. Die folgenden Fragen können Ihnen dabei helfen: • Wann und wie hast du letztmals je­­mandem eine Freude gemacht? Wie hast du dich danach gefühlt? • Wie kann man andern eine Freude bereiten (je­­manden besuchen, jemandem helfen, etwas teilen, ein Kompliment machen, ein Kind, das am Rand steht, zum Spielen einladen usw.)? • Was davon würdest du nun gerne tun? Tauschen Sie sich danach mit Ihrem Kind darüber aus, wie es sich gefühlt hat.

• a ls Mensch liebenswert, • verantwortlich für das, was ich tue, • zuversichtlich, dass ich mit Problemen und schwierigen Gefühlen umgehen kann, • mir bewusst, dass mein Wert als Mensch nicht von meinen Leistungen abhängt. Ich habe

• Eltern, die mir zuhören und sich Zeit für mich nehmen, • Menschen in meinem Leben, die mich so annehmen und lieben, wie ich bin,

• Menschen, die mir helfen, wenn ich Hilfe brauche, und mich gleichzeitig darin bestärken, selbstbestimmt zu handeln, • Werte, die mir wichtig sind und für die ich mich einsetzen kann. >>>

Wer sich für andere engagiert, hat ein höheres Selbstwertgefühl.

Dieser Text ist in Fritz+Fränzi, Ausgabe 2 / März 2015 erschienen.

Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor («Mit Kindern lernen»). Der 38-Jährige ist verheiratet, Vater eines Sohnes, 4, und einer Tochter, 1. Er lebt mit seiner Familie in Freiburg.

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Körper

« Gefühle der Eltern beeinflussen den Selbstwert des Kindes»

Herr Lüdin, was brauchen Kinder, um stark zu sein?

Kinder brauchen eine verlässliche Bindung an primäre Bezugsperso­ nen, in der Regel Mutter und Vater. Werden sie zudem im Umfeld von verlässlichen Personen umsorgt, erlangen sie eine gute soziale Kom­ petenz, zeigen eine adäquate Stress­resistenz und neigen weniger zu psychischen Erkrankungen. Sie haben den Zusammenhang zwischen früher Bindung und dem Einfluss auf die Hirnstruktur des Kindes erkundet. Welches sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse?

Wir wissen aus den Erkenntnissen der pränatalen Psychologie und aus der Hirnforschung, dass ein ungeborenes Kind mit seinen Sin­ nen alles aufnimmt und speichert. Es spürt, wenn die Eltern in Ver­ bindung mit ihm stehen. Gefühls­ erfahrungen während der Schwan­ gerschaft, sowohl positive wie auch negative, werden im Gehirn als emotionale Muster abgelegt. Das

ungeborene Kind möchte aner­ kannt werden. Es ist hilflos, wenn sich die Mutter oder der Vater see­ lisch verschliessen. Auch wenn das Kind schon älter ist?

Ja. Erinnern Erlebnisse in der frü­ hen Kindheit an vorgeburtliche negative Muster, so können sie irrationale Ängste auslösen. Solche Ängste sind ein Risikofaktor für spätere Lernstörungen, Aggres­ sionen und asoziales Verhalten. Wie muss ich mir ein solches Muster vorstellen?

Ängste sind in unserer Zeit allge­ genwärtig. Sie entstehen schon in der Schwangerschaft, indem die werdende Mutter durch die Hektik im Alltag und durch medizinische Interventionen kaum mehr zur Ruhe kommt. Eltern in freudiger Erwartung geben dem Kind Sicherheit. Alle Sinne des Embryos sind aktiv, er lebt bewusst! Das Ungeborene ist intrauterin in der gleichen Stimmung wie seine Umgebung und schüttet bei Un­

Kinder spüren jede Stimmung von uns Erwachsenen – egal wie alt die Kinder sind. 22

ruhe oder Angst ebenso das Stresshormon Kortisol als Abbau­ produkt ins Fruchtwasser aus. Unterschätzt wird, dass der ent­ sprechende Geschmack vom Embryo wahrgenommen und nach der Geburt am Körper der Eltern wiedererkannt wird. Auch in der Stillzeit riecht die Mutter unterschiedlich, je nachdem, ob sie in Ruhe oder in Anspannung ist. Neugeborene schmiegen sich an – oder sie schreien, quengeln und wenden sich ab. Egal, wie alt die Kinder sind, sie spüren jede Stimmung von uns Erwachsenen. Sie sagen, Berührung, Bewegung und Sprache seien die wichtigsten Elemente für ein gesundes Gedeihen der Kinder.

Als soziale Wesen reagieren Kin­ der auf körperliche wie auf emo­ tionale Einflüsse. Schon der direk­ te Körperkontakt in den Wochen nach der Geburt vermittelt Sicher­ heit und Geborgenheit. Berührung ist ganz essenziell für die Sicherheit und das Wohlbefinden in einer Eltern-Kind-Beziehung. Bewegung fördert die Entwick­ lung der motorischen, geistigen und sprachlichen Fähigkeiten. Schon in der Schwangerschaft setzt die Bewegung des Babys Rei­ ze für die Entwicklung des Gehirns

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Bild: Alain Laboile

Seit drei Jahrzehnten praktiziert Cyril Lüdin als Kinderarzt bei Basel. Einer seiner Schwerpunkte ist die Eltern-Kind-Bindung. Dabei spricht er aus eigener Erfahrung. Interview: Claudia Landolt


und der Muskulatur. Gefühle von Freude bewirken ein Strampeln, Angst und Furcht ein Erstarren des Babys. Kinderzimmer müssen früh zu Freiräumen werden, in­ dem wir zum Beispiel eine Strick­ leiter, eine Schaukel oder Kletter­ griffe an die Wand montieren – oder mit dem Kind jonglieren üben. So fördern wir spielend die Geschick­ lichkeit. Auch Spielplätze gehören dementsprechend gestaltet, Wäl­ der sollten zusammen mit den Eltern genutzt werden. Das freie Spiel in der Bewegung ist zentral für die Entwicklung. Und Sprache?

Kommunikation ist das A und O. Sie bedeutet Wahrnehmung, Inter­ aktion und Anregung. Sie funk­ tioniert nur in der Beziehung. Im Kontakt zum Kind müssen wir emotional und gedanklich dabei sein. Hantieren wir am Smart­ phone, sind wird nicht wirklich

Im Kontakt mit dem Kind müssen wir emotional und auch gedanklich dabei sein. verfügbar. So fehlt schon dem Kleinkind die sprachliche Ausein­ andersetzung und damit die kommu­­nikative Kompetenz. Zum Lernen braucht es persönliche Be­­ ­ziehungen. Geschichten vorlesen und erzählen hilft den Kindern, Ruhe zu finden und sich zu kon­ zentrieren. Im Blick- oder Körper­ kontakt können wir uns gut rück­ versichern, ob das Kind noch emotional «dabei ist». Wir geben Fähigkeiten und Fertigkeiten wei­ ter, ebenso Vorstellungen von Regeln, von Haltungen und Orien­ tierungen. Ich wiederhole mich: Kinder brauchen uns als Vorbilder und als Gegenüber.

Sie haben als einer der ersten Kinderärzte den Körperkontakt direkt nach der Geburt im Spital institutionalisiert.

Ja, unsere Neugeborenen dürfen ab Geburt während der ganzen Spitalzeit am Körper der Mutter bleiben. Wärme und Geborgenheit erzeugen bei Mutter und Kind ein Gefühl von Ruhe, Phasen der Unsicherheit können besser regu­ liert werden. Wo Bindung besteht, herrrscht Ruhe. Natürlich gelingt das nicht immer, aber die Gefühle der Eltern werden vom Kind «ver­ standen» und be­­einflussen seinen Selbstwert. Die Folgen von emotio­ naler Vernachlässigung >>>

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Körper

>>> sind Unruhe, Aufmerksam­ keitsprobleme, Hyperaktivität und Lernstörungen. So werden in der frühen Kindheit mit grossem Auf­ wand Frühförderungen angeord­ net. Diese wiederum haben nur in einer wertschätzenden Beziehung Aussicht auf Erfolg, wenn die Gefühlszentren des Kindes ange­ sprochen und aktiviert werden. Leider werden Kinder heute oft in spalierbaumartige Vorstellungen gezwängt. Andersartigkeit wird gebrandmarkt und einer Therapie zugeführt, Originalität, mangeln­ de Konformität kaum mehr ge­­ würdigt und getragen. Sie fordern einen Mutterschafts­ urlaub von sechs Monaten. Warum?

Unsere Gesellschaft macht es Frau­ en und Männern schwer, das Aben­teuer «Elternsein» ruhig und gelassen anzugehen. Wir leben in einer beschleunigten Welt, in der niemand Zeit hat. Dies steht im Gegensatz zum gemächlichen Tempo des kindlichen Empfin­ dens, vor allem der frühen Kind­ heit. Frauen müssen, damit sie ihren Job nicht verlieren, nach vier Monaten wieder arbeiten gehen, das bedeutet einen grossen Stress. Sie sind häufiger gezwungen, abzustillen, während das Kind noch nie einen Schoppen getrun­ ken hat. Die Fremdbetreuung muss schon früh organisiert wer­ den, vor allem, wenn die Gross­ eltern weit weg wohnen, noch arbeiten oder an­derweitig beschäf­ tigt sind. Einen Vaterschaftsurlaub gibt es nicht. Das Kind muss also in die Krippe. In Tagesbetreuungs­ stätten ist die Kontinuität der Be­ ziehung oft durch betriebliche Faktoren ge­fährdet. Sie sagen, die Gesellschaft müsse sich ändern. In welche Richtung?

Indem Elternschaft geschätzt und der Wert der Bindung zwischen Kind und Eltern anerkannt wird. Ich bin für ein Elterngeld, damit 24

sie länger zu Hause bleiben kön­ nen oder eine Institution be­zahlen können, die eine sichere sekundä­ re Betreuung gewährleistet. Was passiert mit Kindern, die un­sicher gebunden sind?

Säuglinge und Kleinkinder, die zu Hause eine unsichere Bindung er­ fahren, sind besonders verwund­ bar, wenn sie tagsüber fremd­be­ treut werden. Ihre Erfahrungen von dysfunktionalen Be­­ziehungen zu Hause und unzulänglichen Zweitbindungen während der Tagesbetreuung setzen sie einem doppelten Risiko aus. Eine sichere und beständige Zweitbetreuung durch eine einfühlsame sekundäre Bindungsperson in einer Krippe wirkt sich aber auch positiv aus. Man darf also nicht verallgemei­ nern. Doch wir müssen hohe Anforderungen an die Qualität der Betreuungsperson stellen, aber auch über politische Arbeit viel Geld in die Ausbildung investie­ ren. Das ist Familienförderung in der heutigen Zeit. Sie behandeln in Ihrer Praxis viele Eltern zusammen mit ihren Kindern. Berührung spielt da eine Rolle. Wie muss ich mir das vorstellen?

Unter Berührtwerden verstehe ich die Anerkennung der Geschichte des Kindes mit seinen Eltern. Es gibt Kinder, die ihre Verzweiflung verbergen, indem sie ganz ruhig werden, sie täuschen Zuversicht vor. Als Säuglinge nuckeln sie ent­ weder, klammern sich an Über­ gangsobjekte oder schaukeln. Spä­ ter wiederum sind sie zwanghaft selbständig, Kontakt vermeidend

oder distanzlos. All diese und noch viele andere Verhaltensweisen ge­­ ben uns Hinweise auf Belastungen oder durchgemachte Traumata in der Schwangerschaft, nach der Geburt oder in der frühen Kind­ heit. Indem ich die Eltern in An­­ wesenheit des Kindes ihre gemein­ same Geschichte erzählen lasse, erhält das Kind Einblick in die Ge­­schehnisse, Sorgen und Pro­ bleme der Eltern und wird dadurch einbezogen. Bestehen Tabuthe­ men innerhalb der Eltern-Kind-Be­ ziehung, wird das Kind nicht ruhig. Um diese Themen dann therapeutisch zu bearbeiten, brau­ che ich einen Auftrag der Eltern. Schuld und Scham sind oft Ur­­ sachen der Verschwiegenheit, An­­ erkennung der Gegebenheiten unsererseits ist wichtig. Sie arbeiten auch mit Atmung.

In der «Emotionellen Ersten Hilfe» (siehe Box Seite 25) ist die Bauch­ atmung ein Hilfsmittel, um das autonome Nervensystem zu regu­ lieren und so die Entspannung zu fördern. In einem gesunden Orga­ nismus befindet sich das autonome Nervensystem in einem ständigen Schwingungsprozess. Beim Kind schön sichtbar in entspannten Phasen des Selbstkontaktes und in aktiven Zeiten der Interaktion und Umwelt­erkundung. Die Übererre­ gung äussert sich durch Quengeln, Schreien, Schlaf­unruhe, Hyper­ motorik. Bei der besorgten Mutter verflacht sich der Atem, ihr Blick­ kontakt ist weniger zugewandt, der Körper fühlt sich weniger kuschlig an, und ihre Stimme hat nicht

Eigene Erfahrungen weckten mein Interesse, die Ursachen von Verhaltensauffälligkeiten zu hinterfragen. März 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial


Viele Eltern fühlen sich mit ihren Fragen alleingelassen, beschämt und isoliert. mehr den weichen Klang. Sie leidet an Muskelverspannungen vor allem im Schulterbereich, auch an Schlaflosigkeit. Sie fühlt sich nicht mehr verstanden. Im Endeffekt fühlen sich viele Eltern mit ihren Fragen alleingelassen, beschämt und isoliert. Wichtig in meiner Praxis sind die Achtsamkeit, die Anerkennung der Situation, in der Eltern und Kind sich befinden. Jungen Müttern rate ich, authen­ tisch zu sein und ihre Gefühle den Kindern offen mit­­zuteilen. Zu­­ rückgehaltene und unterdrückte Gefühle bewirken beim Kind Irri­ tationen und Ängste. Sie behandeln auch verhaltens­ originelle Kinder. Verschreiben Sie Ritalin?

Ja. Ist das Kind richtig diagnosti­ ziert und sind die Ressourcen in Familie, Schule und Umfeld auf­ gebraucht oder einfach nicht vor­ ­handen, kann Ritalin für Eltern und Kind eine grosse Erleichte­ rung sein. Die moralbehaftete öffentliche Diskussion um dieses Medikament miss­achtet, häufig durch Unkenntnis, das Ausmass dieses Leidens der Betroffenen. Ich habe es selbst an meinem Adop­ tivsohn erlebt.

halten. Das Kind spürt den tägli­ chen Er­­wartungsdruck und kann ihm nie gerecht werden. Hat Ihre eigene Situation Ihren For­ schungsschwerpunkt beeinflusst?

Absolut. Vaterschaft ist eines mei­ ner leidenschaftlichsten Anliegen. Gerne hätte ich damals mehr ge­­ wusst. Die Erfahrungen mit mei­ nem Sohn weckten mein Interesse, die Ursachen dieser Verhaltensauf­ fälligkeiten zu hinterfragen. Wir müssen bei der Beurteilung der Kinder die Lebensweise und Le­ bensgeschichte der Eltern kennen und verstehen. Auf der Suche nach Möglichkeiten, Stressreaktionen rund um die Ge­burt und während der frühen Kindheit re­duzieren zu können, fand ich das enorme Potenzial des frühen kontinuierli­ chen Hautkontakts zur Bindungs­ förderung. Weiter faszinierte mich die Pränatalforschung, und in der Praxis legte ich meinen Schwer­ punkt auf die Psychosomatik und Eltern-Baby-Therapie. <<<

Emotionelle Erste Hilfe Die Emotionelle Erste Hilfe wird als körperorientierter Ansatz in der Bindungsförderung von Eltern und Kind und in der Krisenintervention und Elternbegleitung eingesetzt. Sie hat ihre Wurzeln in der Körper­ psychotherapie nach Wilhelm Reich, in der Säuglings- und Bindungsforschung sowie der Neurobiologie. Sie hilft dann, «wenn Eltern in den frühen Entwicklungsphasen nach der Geburt mit den Nerven am Ende sind, die Ausdruckssprache ihrer Kinder nicht mehr verstehen und kein Loch am Ende des Tunnels erkennen können». So beschreibt der Begründer dieser Praxis, der Körpertherapeut und Psychologe Thomas Harms, seine bindungsbasierte Körperpsychotherapie. Harms ist auch Begründer der ersten Schrei­ambulanz für Eltern und Säuglinge in Berlin.

Zur Person

Bild: Basile Bornand / 13 Photo

Mögen Sie davon erzählen?

Als er zu uns kam, in eine Familie mit drei eigenen Kindern, hatte er eine äusserst schwache Selbststeue­ rung, keine sprachlichen Kompe­ tenzen und war sehr bedürftig. Seine Impulsivität war für alle belastend. Auch wir versuchten ihm mit verschiedenen Förder­ massnahmen zu helfen – und mussten häufig die eigenen Frus­ trationen und die des Knaben aus­

Cyril Lüdin ist Spezialarzt für Kinder und Jugendliche FMH und Fachberater für Emotionelle Erste Hilfe. Er führt seit 1986 als Kinderarzt eine eigene Praxis in Muttenz, nun mit zwei Kolleginnen. Daneben ist er verantwortlicher Pädiater am Bethesda Spital Basel. www.eltern-kind-bindung.net

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Körper

Lernen im Schlaf – geht das? Genügend Schlaf ist wichtig für die Gedächtnisbildung und erfolgreiches Lernen. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass insbesondere ungestörter Tiefschlaf von grosser Bedeutung ist – auch für Kinder in der Pubertät. Text: Claudia Landolt

N

ach der Schule lernt Luis Französischwörter und für den Geografietest. Der 14-Jährige geht um 21 Uhr ins Bett. Die darauffolgende Nacht entscheidet mit, ob er das Erlernte auch im Kopf behält. Genug Schlaf und vor allem ein erholsamer Tiefschlaf geben dabei den Ausschlag. Warum wir schlafen, ist eine Frage, die bis heute wissenschaftlich nicht geklärt ist – auch wenn sich die Spezialisten einig sind, dass der Schlaf sowohl für das Immunsystem, für den Stoffwechsel wie auch für die kognitiven Leistungen des Gehirns unabdingbar ist. Schlaf und Lernen sei in den letzten Jahrzehnten eines der Hauptforschungsgebiete in der Schlafforschung, erklärt Reto Huber, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Schlaf­medizin am Kinderspital Zürich. «Schlaf ist mehr als nur Er­­holungsphase, er trägt etwas Eigenständiges zum Lernen, zum Gedächtnis, zum Verarbeiten von Erlebtem bei», so Huber. Es sei wissenschaftlich unbestritten, dass Schlaf zum Lern­erfolg beitrage: «Wenn man vor dem Schlafengehen noch etwas lernt, das am anderen Tag abgefragt wird, erzielt man eine Verbesserung von 10 bis 20 Prozent», erklärt Huber – zumindest bei Erwachsenen. 26

Bei Kindern und Jugendlichen ist das Bild unschärfer. Denn Schlaf ist eine komplizierte und von mehreren Faktoren bestimmte Sache. Erstens das individuelle Schlafbedürfnis von Kindern und Jugendlichen. Zweitens gibt es Kurzschläfer und Langschläfer. Und drittens gibt es sogenannte Chronotypen: die Eulen, die ungern vor 23 Uhr ins Bett gehen und dafür am Morgen nicht aus den Federn kommen, sowie die Lerchen, die gern früh ins Bett gehen und morgens um sieben Uhr schon sehr munter sind. Hinzu kommt: In der Pubertät nimmt die Fähigkeit, länger wach zu bleiben und später aufzustehen, generell zu.

suchungen wissen wir, dass gerade diese Slow Waves wichtig für die Lernprozesse im Gehirn sind», erklärt der Schlafexperte. Werden diese Ströme zum Beispiel durch Aussenreize gestört, weisen Versuchspersonen Lerndefizite auf. Im Vergleich zu ungestört Schlafenden können sie sich am nächsten Morgen schlechter an gelernte Wortpaare erinnern. Diese Slow Waves sind besonders interessant, weil sie im Zu­­ sammenhang mit der Hirnentwicklung stehen. Diese verändert sich während Kindheit und Jugend deutlich. Slow Waves sind interessanterweise immer in jener Hirnregion besonders aktiv, in der ge­rade ein Reifungsprozess stattWichtige Slow Waves findet. «Das sieht man beispielsAber noch wichtiger als die Schlaf- weise am Schlaf von 6- bis 8-Jähdauer ist die Schlafintensität, also rigen; in diesem Alter schlafen wie gut und tief der Schlaf ist. Ent- Kinder so unglaublich tief, dass scheidend ist die erste Nachthälfte. man sie fast nicht wecken kann», Der Tiefschlaf ist durch sogenann- erläutert Reto Huber. Die zunehte langsame Wellen gekennzeich- mende Reifung des Stirnlappens net, im Fachjargon Slow-Wave-­ bewirkt, dass sich das Kind zunehStröme (SWS) genannt. Sie sind mend selbst beherrschen, seine das Mass für die Schlafqualität; je Gefühle kontrollieren und seine eindeutigere und je mehr Slow Bedürfnisse herausschieben kann. Waves, desto tiefer die Schlafpha- Dadurch kann es sich besser konse. Entscheidend ist, dass die nor- zentrieren und zielgerichtet lermalerweise kontinuierliche Akti- nen. vität der Neuronen für einige 100 Millisekunden unterbrochen wird. Umbau zur Effizienz Wenn das viele Neuronen tun, Bei Jugendlichen werden die vorerzeugt das die langsamen Hirn- deren Teile des Grosshirns, die für stromwellen, die Slow-Wave-Strö- Entscheidungen und höhere ko­­ me. «Aus einer Vielzahl von Unter- gni­tive Leistungen benötigt werMärz 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial


Rubrik

Slow-Wave-Ströme Slow-Wave-Ströme (SWS) bezeichnen eine Schlafphase, in der die Aktivitätsphase der Neuro­nen extrem gering ist (mit einer Frequenz zwischen 0,5 und 3 Hz). Diese SWS-Schlafphase gilt als der Schlaf mit der höchsten Weckschwel­le und widerspiegelt die Qualität des Schlafes.

Bild: Alain Laboile

Schlafen – Lernen – Schlafen In einer aktuellen Studie mussten 40 Probanden die Übersetzungen von 16 Swahili-Wörtern auswendig lernen. Dabei schritt die Gruppe, die um 9 Uhr abends sowie 12 Stunden später lernte, deutlich besser ab als die Gruppe, die zuerst morgens und dann abends lernte. Das bedeutet, dass Schlaf das Erlernen und langfristige Behalten von Inhalten begünstigen kann. Effizi­ent lernen heisst demnach: lernen, eine Nacht schlafen und am Morgen erneut lernen.

den, umgebaut. «Es überleben nur die relevanten Verknüpfungen, welche für die Funktionalität des Hirns in der Adoleszenz wichtig sind», weiss Reto Huber. Teenager verfügen mit der Zeit dann über ein weniger dichtes, dafür umso effizienteres Netzwerk an Nerven­ zellen. Und ebenso, wie die Um­­ bauwelle des Gehirns von hinten nach vorne geschehe, veränderten sich auch diese SWS-Muster. Das heisst: Teenager schlafen zwar weniger, weil die Fähigkeit, länger wach zu bleiben, zunimmt. Dafür schlafen sie relativ tief. Langsame Wellen sind also wichtig für die Gedächtnisleis­ tung. Lerninhalte, die am Abend eingeprägt werden, werden am Morgen besser memoriert. Die grosse Frage aber lautet: Was pas­ siert, wenn Jugendliche zu wenig

schlafen? «Da gibt es natürlich Leistungseinbussen», erklärt Reto Huber. Genug Schlaf ist wichtig

Allerdings ist die Grenze sehr indi­ viduell und abhängig von der ein­ zelnen Leistung, denn nicht alle kognitiven Fähigkeiten geraten in Schieflage. Ob acht Stunden pro Tag wirklich notwendig sind, belegt die Wissenschaft nicht.» Man sehe aber, dass Teenager am Wochenende sehr viel mehr schla­ fen würden als unter der Woche. «Das zeigt, dass ein gewisses Be­­ dürfnis unter der Woche zu kurz kommt.» Wie viel Schlaf das eige­ ne Kind braucht, ist für Eltern manchmal schwierig zu eruieren. Laut Reto Huber kann man sich dabei an Ferienzeiten orientieren, wenn die Jugendlichen nach einem

eigenen Rhythmus leben können. «Wenn jemand immer um 23 Uhr ins Bett geht und nicht vor 11 Uhr aufsteht, ist klar, dass diese Person mehr als sieben Stunden Schlaf braucht.» Allerdings machen Ju­ gendliche ihren Schlafmangel einerseits durch tieferen Schlaf wieder wett, sie füllen ein Schlaf­ defizit durch einige Nächte mit tiefem Schlaf wieder auf. Anderer­ seits müssen sie eben gerade am Wochenende oder in den Ferien vermehrt Schlaf nachholen. Und Luis? Er hat in jener Nacht vor dem Test gut geschlafen. Im Geografietest bringt er eine 5,5 nach Hause, die Französischwört­ chen weiss er auch am anderen Tag noch. Einer guten Nacht folgte ein lerntechnisch erfolgreicher Tag.

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Körper

Schlafstörungen: Ist das Handy schuld?

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ugendliche, die nachts im Bett digitale Medien nutzen, haben ein erhöhtes Risiko, an Schlafproblemen und depressiven Symptomen zu leiden. Das fanden Forscher der Uni Basel heraus und publizieten 2005 eine vielbeeachtete Studie. Um den digitalen Medienkonsum bei

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Bild: Alain Laboile

Der zunehmende Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen hat Auswirkungen auf das Schlafverhalten. Schuld ist das blaue Licht. Es gaukelt dem Körper vor, dass Tag ist. Text: Claudia Landolt

Teenagern mit Smart­phones zu untersuchen, befragte das Forscherteam insgesamt 162 Schülerinnen und 200 Schüler aus der Nordwestschweiz im Alter von 12 bis 17 Jahren. Die Resultate sprechen für sich. So verbrachten Jugendliche mit Smartphones an Wochentagen etwa doppelt so viel Zeit im Inter-

net wie ihre Alterskollegen mit konventionellem Handy, nämlich durchschnittlich zwei Stunden gegenüber einer. Zudem ergab die Studie, dass nur 17 Prozent der Teenager ihr Smartphone über Nacht ausschalten oder lautlos stellen – im Vergleich zu 47 Prozent der Jugendlichen mit Handys ohne Internet.

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Viele der Befragten gaben an, bis spät in die Nacht noch Videos anzusehen, online zu sein oder mit Freunden zu chatten. Eine Umfrage der amerikanischen Schlafstiftung (National Sleep Foundation) ergab 2014 ein ähnliches Bild. So schlafen Kinder schlechter, wenn sie Handy, Computer oder Fernseher in ihrem Zimmer haben. Fast drei Viertel der befragten Kinder zwischen 6 und 17 Jahren besassen mindestens ein elektronisches Gerät, wobei die Spanne von Fernseher, Computer und Spielkonsolen bis hin zu Tablets und Smartphones reicht. Die Untersuchung ergab, dass diese Schulkinder schlechter schliefen als jene, die kein Gadget in ihren Zimmern hatten. Eine andere Untersuchung der Stony Brook University New York um Dr. Jill Creighton ergab, dass Kinder und Jugendliche, die ein Smartphone besitzen, bis zu einer Stunde weniger schliefen als ihre Altersgenossen. Besonders Jugendliche überprüfen auf iPhone und Co. die Uhrzeit, wenn sie nachts wach werden. Das Licht des Displays unterbricht jedoch den Schlafzyklus und man schläft wesentlich schlechter ein. Schuld daran ist das blaue LED-Licht des Displays. Dieses Kunstlicht ist ein kurzwelliges Licht mit erhöhtem Blauanteil im Lichtspektrum, wie es sich in Beleuchtungen mit LED findet. Die Spektralfarbe Blau wiederum senkt den Melatoninspiegel und hält das Gehirn wach – ein Effekt, der am Abend vor allem bei Schulkindern wohl eher unerwünscht ist. Die innere Uhr in Schieflage

«Wer um Mitternacht noch seine E-Mails oder SMS checkt, bringt seine innere Uhr durcheinander», sagt Christian Cajochen, der Leiter des Zentrums für Chronobiologie

an den Psychiatrischen Universitären Kliniken Basel. In jüngster Zeit habe es sich gezeigt, dass die Menschen spezielle Sinneszellen im Auge haben, die auf blaues Licht reagieren und dem Hirn mitteilen, ob es den Körper wach oder schlafbereit halten soll. Bisher gab es aber nur wenige gültige Daten, die der Frage nachgingen, ob das Licht der LED-Monitore tatsächlich ausreicht, um den Tag-WachRhythmus zu stören und den Schlaf zu verzögern. In einem weiteren Experiment wählten die Forscher einen anderen Ansatz. Sie testeten die Auswirkungen auf den Schlaf direkt bei Jugendlichen. Laut Umfrage­ ergebnissen verbringen diese knapp viereinhalb Stunden am Tag vor dem Fernseher, am Computer oder Smartphone. 95 Prozent checken noch regelmässig vor dem Schlafengehen ihre SocialMedia-Seite oder ihre Chats. Mit einer Blaulicht-Dusche ins Bett

«Viele gehen mit einer richtigen Blaulicht-Dusche ins Bett», sagt Cajochen. Die Forscher gaben nun Jugendlichen Brillen mit oder ohne Blaulichtfilter und untersuchten den Schlaf am Freitagabend nach einer Schulwoche. Nach einer Woche fanden die Forscher bei den Teilnehmenden mit Brillen mit Filter deutlich höhere Melatoninwerte als bei den Probanden mit Brillen ohne Filter. «Je länger man abends am Licht ist, auch am Computerbildschirm, desto länger meint die innere Uhr, es sei Tag», so Cajochen. Experten empfehlen für Schulkinder genügend Schlaf. Weniger kann manchmal zu Konzentra­ tionsschwächen führen. Bereits die letzte Stunde vor dem Schlafengehen – so die Wissenschaftler – sollten Kinder grundsätzlich

ohne Computer, Handy und Co. verbringen. Eltern wird empfohlen, mit den Kindern eine Zubettgeh-Routine zu entwickeln. Diese funktioniert auch bei grös­seren Kindern – etwa Zähneputzen, Duschen, Lesen. Spätestens um 21 Uhr sollte aber auch für grössere Kinder Schluss sein mit lustig.

Go offline – und fünf weitere Tipps von Jill Creighton für Eltern • Entwickeln Sie eine Zubettgeh-Routine, egal, wie alt ihr Kind ist. Das kann ein Bad sein, ein Buch lesen oder ruhige (!) Musik hören. • Go offline! Die Stunde vor dem Schlafengehen ist elektronikfreie Zone. Die Kinder sollten an einem definierten Ort in der Wohnung – beispielsweise in der Küche oder im Wohnzimmer – ihre Gadgets einste­cken und über Nacht dort lassen. • Das Bett ist handyfreie Zone. Ein normaler Wecker tut es auch. • Falls das Kind sein Smartphone nicht ausschal­tet, sollte man die Screening-Zeit herunterhandeln. 30 Minuten pro Woche weniger online sind ein guter Anfang. Idealer­weise limitieren Eltern die OnlineZeit auf 60 Minuten pro Tag. So viele Minuten, wie das Kind am Handy hängt, sollte es sich auch bewegen. • Das pubertierende Kind vom Sofa oder aus dem Zimmer zu kriegen, kann zur elterlichen Herausforderung werden. Sport oder Bewegung wird gerne als langweilige Pflichtübung empfunden. Creighton rät zur Kreativität. Ein 20-minütiger Spazier­gang, 30 Minuten Basketball, aber auch Ämtli und Hausarbeit wie Staubsaugen, Schneeschau­feln oder Rasenmähen zählen zu entsprechenden Aktivitäten, die je nachdem monetär entschädigt werden. • Gute Gewohnheiten etablieren. Am Ess­­tisch vom Smartphone oder Fernsehen abgelenkt zu sein, führt zu eigenartigen Tischmanieren. Die Eltern müssen hier mit gutem Beispiel vorangehen.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial  März 2017 29


Körper

Kinder und Zähne:

Brot ist besser als Banane

Wussten Sie, dass Milchzähne schneller kariös werden, zu früher Zahnwechsel zu Lispeln führen kann und elterliche Zahnputzkontrolle bis ins Teenageralter wichtig ist? Antworten auf Fragen, die Eltern zu den Zähnen ihrer Kinder haben. Text: Claudia Füssler

D

ie Milchzähne gründlich pflegen? Wozu denn? Die fallen doch sowie­ so wieder heraus. Diese Einstellung ist bei Eltern auch heute noch weit verbreitet. Und sehr falsch. Denn die ersten Zähne im Leben sind wertvoll: Sie bilden das Fundament für ein lebenslang gesundes und solides Gebiss. «Deshalb ist einmal täglich Zähneputzen ab dem ersten Zahn Pflicht», sagt Priska Fischer von der Klinik für Zahnerhaltungs­ kunde und Parodontologie am Universitätsklinikum Freiburg im Breisgau. Spätestens wenn sich die ersten Backenzähne im zweiten Lebensjahr zeigen, sollte morgens und abends geputzt werden: mit einer Bürste, deren Kopf klein und mit weichen Borsten ausgestattet ist. Ihr Griff sollte dicker sein als bei Bürsten für Erwachsene; sie ist dadurch für Kinder leichter zu handhaben. Die richtige Dosis Fluorid

Für die Jüngsten empfiehlt sich eine gering fluoridierte Zahn­ creme. Zahnpasta für Erwachsene enthält meist zwischen 1000 und 1500 ppm (parts per million) des Karies vorbeugenden Fluo­rids. Das entspricht 1 bis 1,5 Milli­ 30

gramm pro Gramm Zahnpasta. Da Kinder bis zum Schulalter noch eher viel Zahnpasta verschlucken, statt sie auszuspucken, dürfen Kin­ derzahncremes maximal 500 ppm Fluorid enthalten, also 0,5 Milli­ gramm pro Gramm Zahnpasta. Die Zwischenstufe sind soge­ nannte Juniorzahnpasten, die zwar wie eine Zahncreme fluori­ diert, aber vom Geschmack her sanfter und vielleicht sogar mit Fruchtaromen versehen sind. Empfohlen werden diese Zahn­ cremes meist ab dem sechsten oder siebten Lebensjahr. «Mitun­ ter ist es allerdings sinnvoll, früher damit zu beginnen», sagt Priska Fischer. «Ausschlaggebend sollte sein, wann die ersten bleibenden Zähne kommen. Bei manchen Kindern ist das bereits mit vier, fünf Jahren der Fall. Dann ist eine stärkere Fluoridierung wichtig.» Wir brauchen ein gut funktio­ nierendes Milchzahngebiss für die Nahrungsaufnahme. Um von einem Brot oder einer Karotte abbeissen zu können, müssen die Zähne richtig zueinander stehen. Zudem haben die ersten Zähne eine sogenannte Platzhalterfunk­ tion. Die ersten bleibenden Backenzähne nutzen die hinters­ ten Milchbackenzähne als eine Art Gerüst, an dem sie sich hochhan­ geln. Fehlt diese Orientierung,

stossen die bleibenden Backen­ zähne oft zu weit vorne durch den Kiefer – nicht selten muss hier später der Kieferorthopäde für die richtige Zahnstellung sorgen. Milchzähne sind auch essenzi­ ell für den Prozess des Sprechen­ lernens: Fallen die Schneidezähne im Oberkiefer zu früh aus, hat das negative Folgen für die Sprachent­ wicklung. Die Zunge hat plötzlich vorne mehr Platz, als sie braucht, dadurch klingen S- und Z-Laute merkwürdig, das Kind beginnt zu lispeln. Schlimmstenfalls führen die ständigen Zungenbewegungen nach dem Zahnwechsel zu einem offenen Biss. Ein Putzsystem fürs ganze Leben

Deshalb versucht die moderne Zahnmedizin alles, um auch schwer geschädigte Milchzähne so lange wie möglich zu erhalten. Es gibt Kronen für Milchzähne und Zahnprothesen für Kinder, auch Wurzelbehandlungen an den ers­ ten Zähnen werden durchgeführt. So weit sollte es allerdings nur in

Die Milchzähne sollten genauso gut gepflegt werden wie die bleibenden Zähne.

März 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial


Bild: Alain Laboile

Ausnahmefällen kommen. Die Prophylaxe heisst also: Pflege, Pflege, Pflege. Die Milchzähne sollten unbedingt genauso gut gepflegt werden wie die bleibenden. Sie sind nämlich schwächer mineralisiert als das dauerhafte Gebiss und werden dadurch schneller kariös. Dem Keim Streptococcus mutans und den Laktobazillen – den beiden grössten Kariesverursachern – ist völlig egal, ob es sich um einen Milch- oder einen bleibenden Zahn handelt. Eine einmal auftretende Karies an Kinderzähnen kann schlimme Folgen haben, denn die Nervhöhle des Zahns ist im Verhältnis zur Hartsubstanz grösser als bei einem bleibenden Zahn. Das heisst, die Karies kann den Nerv schneller erreichen. «Ist der Nerv einmal entzündet, kön-

nen die Bakterien auch den ge­­ schützt darunterliegenden bleibenden Zahn angreifen», erklärt Priska Fischer. Bis in das Grundschulalter hinein sollten die Eltern nachputzen, rät Fischer. Erst in diesem Alter sehe man, ob es den Kindern gelungen sei, sich ihr eigenes Putzsystem zu erarbeiten. Das ist wichtig, denn solche Muster bleiben meist ein Leben lang erhalten. Ab dem Kindergartenalter – die Kleinen müssen ausspucken können – können Eltern mit Färbe­ tabletten aus der Apotheke das Bewusstsein für die Sauberkeit der Zähne schärfen: Rote Verfärbungen zeigen an, wo noch Belag haften geblieben ist und gründlicher geputzt werden muss. Während eine Mundspülung für die Zahnpflege bei Kin- >>>

Die Milchzähne Milchzähne haben wichtige Aufgaben. Angelegt werden sie in der sechsten Schwangerschaftswoche, und bei der Geburt liegen sie voll entwickelt im Kiefer des Kindes – man sieht jedoch noch nichts von ihnen. Ab dem vierten Lebensmonat brechen die Zähne durch, und zum ersten Geburtstag sind meist alle oberen und unteren Schneidezähne sichtbar. Bis zum 16. Monat folgen die ersten Backenzähne, die Eckzähne zeigen sich bis zum 20. Monat. Ein dreijähriges Kind hat mit 20 Zähnen ein vollständiges Milchzahngebiss. Die neuen, bleibenden Zähne entwickeln sich unter dem Milchgebiss. Zwischen dem 6. und dem 12. Lebensjahr werden die Milchzähne durch die bleibenden Zähne ersetzt – wann genau, das ist von Kind zu Kind verschieden. In der Regel ist der Zahnwechsel abgeschlossen, bis die Kinder 12 Jahre alt sind.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial  März 2017 31


Körper

>>> dern eher lässlich ist, ist die Zahnseide ein wichtiges Hilfsmittel. Sie sollte konsequent ab dem Moment angewandt werden, ab dem man zwischen zwei Zähnen keinen Zwischenraum mehr sieht. «Das sollten die Eltern übernehmen, motorisch ist Zahnseide für Kinder noch schwierig zu handhaben», sagt Priska Fischer. Die fehlende Feinmotorik sollte jedoch kein Grund dafür sein, dass Eltern sich dazu verführen lassen, eine elektrische Zahnbürste für die Kinder zu kaufen – zumindest nicht am Anfang. Denn jedes Kind sollte zunächst

Jedes Kind sollte zuerst die grundlegende Putztechnik mit einer Handzahnbürste lernen.

«Wir befinden uns auf gutem Weg» Der Präventivzahnmediziner Giorgio Menghini über die Mundgesundheit in der Schweiz. Interview: Claudia Füssler

Herr Menghini, wie steht es um die Gesundheit von Kinderzähnen in der Schweiz? Insgesamt sehr gut. Das liegt auch daran, dass wir in der Schweiz ein System haben, bei dem bereits im Vorschul­ alter, vor allem durch Mütterberaterinnen, und ab dem Kindergartenalter durch Schulzahnpflege-Instruktorinnen regelmässig auf die Zahnpflege der Kinder geachtet wird. Diese umfassende Aufklärung von Eltern und Kindern und die Zahnbürstübungen in der Schule haben einen wichtigen Beitrag

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die grundlegende Putztechnik mit einer Handzahnbürste aus dem Effeff beherrschen, um darauf zurückgreifen zu können, wenn die elektrische Zahnbürste nicht dabei ist. «Ich vergleiche das immer mit Tennis und Tischtennis», sagt Priska Fischer, «das eine spielt man aus dem Handgelenk, das andere aus dem Arm heraus – so verhält es sich auch mit der Handzahnbürste und der elektrischen.» Sind die Kinder sicher im Umgang mit der Handzahnbürste, kann eine elektrische eine sinnvolle Anschaffung sein, denn sie entfernt mehr Beläge als eine Handzahnbürste – allerdings nur bei richtiger Handhabung. «Man kann auch mit einer elektrischen Zahnbürste schlecht putzen», sagt Priska Fischer. Die ideale Kombination, so die Zahnärztin, sei,

an die Karies­reduktion von 90 Prozent geleistet, die in den letzten 40 Jahren bei den Volksschülern beobachtet wurde. Gibt es gar nichts mehr, was Ihnen Sorgen macht? Es gibt immer noch Risikogruppen, bei welchen auch die einfachen Botschaften der Kariesvorbeugung schwer ankommen. Wir achten also darauf, dass die bewährten Vorbeugemassnahmen möglichst alle Bevölkerungsschichten erreichen. Doch wir befinden uns auf einem guten Weg. Dank der verbesserten Mundhygiene sind auch schwere Fälle von Gingivitis – also der Zahnfleischentzündung – aus der Schule praktisch verschwunden. Was sind die wichtigsten Faktoren für die Mundgesundheit? Als erster das Zähnebürsten, ab dem Durchbruch des ersten Milchzahns einmal täglich, spätestens mit zwei

morgens von Hand und abends elektrisch zu putzen. Zahnfreundliches Essen und Trinken

Neben dem Putzen trägt auch die Ernährung zu einem gesunden Gebiss bei. Es gilt die Faustregel: generell so wenig industriell hergestellte Lebensmittel und Fertigprodukte wie möglich. Die enthalten meist viele versteckte Zucker, die die schädlichen Säureangriffe der Bakterien auf die Zähne auslösen. Hierunter fallen auch viele Früchtetees für Kinder sowie Eistees und Softdrinks für Jugendliche. Karotte und Apfel sorgen durch ihre Konsistenz ebenso wie Vollkornbrot für eine leichte, natürliche Reinigung der Zähne, während eine Banane lange an den Zähnen kleben bleibt. Bei Süssigkeiten kommt es auf die richtige

Jahren zweimal täglich. Wir empfehlen dazu eine fluoridhaltige Kinderzahnpaste, mit der die Frontzähne zuerst aussen, dann innen gebürstet werden. Wichtig sind die Bewegungen: Sie sollten vertikal sein, also auf und ab. Horizontale, schrubbende Bewegungen schaden Zähnen und Zahnfleisch auf Dauer. Sobald die ersten Milchmolaren da sind, müssen auch deren Kau­ flächen gründlich gebürstet werden. Ausführliche Zahnpflege-Informationen auf: www.generation-kariesfrei.ch.

Giorgio Menghini ist Zahnarzt an der Klinik für Präventivzahnmedizin, Parodontologie und Kariologie der Universität Zürich.

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Lieber zehn Gummibärchen auf einmal essen als unkontrolliert den ganzen Nachmittag welche naschen. Dosierung an: «Lieber zehn Gum­ mibärchen auf einmal als unkon­ trolliert den ganzen Nachmittag über welche essen und den Bakte­ rien damit immer wieder Substrat zuführen», sagt Priska Fischer. Die Zahnärztin empfiehlt für Kinder, die ein erhöhtes Karies­ risiko haben, den natürlichen Zuckerersatzstoff Xylith. Der schmeckt süss und eignet sich sowohl als Mundspülung als auch zum Backen. Da Xylith in zu hohen Dosen abführend wirken kann, sollten sich Anwender lang­ sam an grössere Mengen herantas­ ten. «Als Spüllösung verwendet, blockiert Xylith den Bakterien­ stoffwechsel und kann so Karies verhindern», sagt Fischer. Auch eine Versiegelung kann sinnvoll sein, so haben Bakterien weniger Angriffsmöglichkeiten auf der Kaufläche eines Backenzahns. Die Strategie mit dem Nach­ putzen und den Färbetabletten sollten Eltern auch bei älteren Kindern beibehalten – wenn auch nicht täglich. So können die Kin­ der lernen, worauf es beim Zäh­ neputzen wirklich ankommt. Vor allem, wenn mit sechs, sieben Jah­ ren die ersten bleibenden Backen­ zähne kommen, stellen Zahnärzte häufig fest, dass die schnell Karies bekommen – weil dies in einem Alter geschieht, in dem die elter­ liche Zahnputzkontrolle meist schon an Strenge verloren hat. Dabei ist die weit bis ins Teen­ ageralter hinein gefragt: Jugendli­ che sind eine Klientel, die Zahn­ ärzte mit ihren Appellen kaum erreichen.

Karies vorbeugen So schützen Sie die Milchzähne Ihres Kindes vor Karies: • R egelmässige und sorgfältige Zahn- und Mundhygiene: zweimal täglich mit fluoridhaltiger Kinderzahnpasta. • Regelmässige Kontrolluntersuchungen beim Zahnarzt zweimal im Jahr. • Zahnfreundliches Essen und Trinken: Produkte, die wenig Zucker und wenig Säure enthalten. Schlecht für die Zähne sind Nahrungsmittel, die an den Zähnen kleben – zum Beispiel Chips, Honig, Bananen oder Trockenfrüchte. • Zahnfreundliche Süssigkeiten: Ein weisses Zahnmännchen mit Schirm auf rotem Grund – mit diesem Logo sind Süsswaren gekennzeichnet, die während und bis 30 Minuten nach dem Verzehr keinen Säure auslösenden Kariesschub verursachen. • Fluoridierung: Fluoride wirken doppelt. Sie hemmen den Stoffwechsel der Karies auslösenden Bakterien und sie härten den Zahnschmelz und machen ihn so widerstands­fähiger. Achten Sie auf eine fluoridhaltige Zahncreme. Vorbeugend kann zudem fluoridiertes Speisesalz zum Kochen verwendet werden.

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Körper

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Schielen, Schwach- und Kurzsichtigkeit treten bei Kindern und Jugendlichen jeden Alters auf. Viele Augenprobleme können mit einer frühen Diagnose und Therapie erfolgreich behandelt werden. Text: Petra Seeburger 34

Sehen lernen in der Kindheit

Augenprobleme bei Kindern und Jugendlichen können vielschichtig sein und jedes Alter betreffen. «Stets geht es bei der Behandlung von Augenerkrankungen in dieser Altersgruppe darum, das bestmögliche Sehvermögen zu erhalten oder wiederzuerlangen», sagt Professorin Klara Landau, Direktorin der Augenklinik am Zürcher Unispital. Schliesslich sei das Sehen einer unserer wichtigsten Sinne. Das Sehvermögen entwick-

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Bild: Alain Laboile

Kinderaugen, die alles sehen

ie orthoptische Sprechstunde der Zürcher Augenklinik ist voll. Die dreijährige Anna ist zum Sehtest hier. Ihre Hausärztin hat bei der Jahreskontrolle festgestellt, dass sie auf einem Auge schlechter sieht. In einer Art Kasperlitheater werden dem Mädchen Bilder von Äpfeln, Sternen und Blumen gezeigt. Die Orthoptistin kontrolliert so die Sehfähigkeit der Kleinen. Nach ihr kommt der sechsjährige Max mit der Augenklappe. Seit etwa einem Monat trainiert der kleine Pirat damit sein schielendes Auge. Dann sitzt noch Frank im Wartezimmer. Er ist in der zweiten Klasse. Bei ihm wurde eine LeseSchreib-Schwäche festgestellt. In der Augenklinik wird nun abgeklärt, ob ein Augenproblem dabei eine Rolle spielen könnte. Zum Schluss kommt noch die zehnjährige Jana, die neu eine Brille hat, weil sie kurzsichtig ist.


le sich aber erst nach der Geburt. «Zwar sind die Sehnerven und die Augen schon angelegt, die kom­ plexen Verbindungen zwischen den Nervenzellen in der gesamten Sehbahn vom Auge bis zum Ge­­ hirn müssen sich jedoch erst aus­ bilden und reifen», erklärt Landau. Sehvermögen beobachten

Ein Sehproblem bei Kindern zu erkennen, ist aber nicht immer leicht: «Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie melden nicht von sich aus, wenn sie nicht gut sehen», sagt Renata Gulik Landolt, Cheforthoptistin der Zürcher Kli­ nik. Es sei daher die Aufgabe der Eltern oder des Umfelds, das Seh­ vermögen zu beobachten. Wenn allerdings nur ein Auge schlechter sehe, merke das keiner. «Für die Kinder ist das dann die Norm», sagt Renata Gulik Landolt. Seh­ tests seien deshalb auch Teil der regelmässigen Kindervorsorge­ untersuchungen. «Im Kanton Zürich gehören sie sogar zu den schulärztlichen Untersuchungen.» Wenn Eltern bei ihrem Kind eine Sehschwäche vermuten, soll­ te das umgehend spezialärztlich untersucht werden. «Viele Augen­ probleme können mit einer frü­ hen Diagnose und Therapie er­­ folgreich behandelt werden», be­­tont Landau. Sei man hingegen zu spät, könne dies lebenslange Auswirkungen haben. «Faule» Augen

Wird bei einem Kind ein Auge durch einseitiges Schielen oder eine ungleiche Brechkraft der Augen benachteiligt, kann es zu einer Schwachsichtigkeit kom­ men. Bei dieser sogenannten Amblyopie sieht dieses zurückge­ setzte Auge beschränkt, obwohl es «organisch» gesund ist. Die Exper­ tinnen reden auch von einem «lazy eye».

Die Schwachsichtigkeit entstehe in der kindlichen Entwicklungspha­ se zwischen der Geburt und dem Primarschulalter und könne auch in dieser Zeitspanne erfolgreich behandelt werden, erklärt Klara Landau. Behandelt wird mit der sogenannten Okklusionstherapie: Für eine bestimmte Zeit am Tag wird das führende Auge mit einem Augenpflaster abgeklebt. Das Kind wird so quasi gezwungen, das schwächere Auge zu benutzen. Dies sei übrigens eine Behand­ lung, deren Wirksamkeit wissen­ schaftlich nachgewiesen sei, be­­ tont Landau. David H. Hubel und Torsten N. Wiesel haben 1981«für ihre Entdeckungen über die Seh­ wahrnehmung» den Medizin­ nobelpreis erhalten. Zur Okklu­ sionstherapie braucht es aber oft noch eine Brille. Bei richtiger The­ rapie erholt sich die Sehkraft wie­ der. Nicht auf Achse stehen

Schielen ist ein weiteres und häu­ figes Augenproblem von Kindern. Etwa fünf Prozent aller Kinder sind betroffen, betont Orthoptistin Renata Gulik Landolt. Beim Schie­ len liege eine Fehlstellung der Augen vor. «Die zentrale Steue­ rung zwischen Augenmuskeln und Gehirn ist gestört», ergänzt sie. Es gibt unterschiedliche Formen von Schielen. So kann ein Kind dau­ ernd schielen oder nur manchmal, wenn es müde ist. Wenn das räum­ liche Sehen eingeschränkt >>>

Welche Symptome können auf Augenprobleme hinweisen? • Fehlstellung der Augen (Schielen) • Schiefhalten des Kopfes • Häufiges Blinzeln und Zwinkern oder Augenzittern (Nystagmus) • Lichtüberempfindlichkeit • Kopfschmerzen und Brennen der Augen • Konzentrationsprobleme, Leseschwäche • Ungeschicklichkeit wie Vorbeigreifen an Gegenständen oder Schwierigkeiten mit Zielen und Fangen

Wie entwickelt sich das Sehen? • Geburt: Neugeborene sehen etwa 20 Zentimeter weit. • 3. Monat: Kontraste werden wahrgenommen, Säuglinge können Menschen und Gegenstände anschauen und fixieren. • 4. Monat: Dinge in der Ferne sowie in der Nähe werden zunehmend scharf gesehen. • 6. Monat: Das räumliche und dreidimensionale Sehen entwickelt sich. • E rste Lebensjahre: Die Kleinkinder sehen in Farben. • 7 . Lebensjahr: Sehvermögen ist komplett ausgebildet. • 8 . bis 9. Lebensjahr: Gesichtsfeld ist vollständig entwickelt.

Was macht eine Orthoptistin? Orthoptistinnen und Orthoptisten HF sind medizinische Fachkräfte und arbeiten im Auftrag von Augenärzten. Sie untersuchen oder behandeln Sehstörungen oder Funktionsstörungen der Augenmuskeln.

Kinder, die meistens drinnen mit Handy und Computer beschäftigt sind, werden häufiger kurzsichtig.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial  März 2017 35


Körper

>>> ist oder bei einem grossen und störenden Schielwinkel kann eine Operation an den Augenmuskeln durchgeführt werden. Dabei wird die Schielstellung verbessert und die Sehachse gestellt. Den Eingriff übernimmt die obligatorische Krankenversicherung. Bei der Lese-RechtschreibStörung – auch Legasthenie ge­­ nannt – besteht eine fehlerhafte Verarbeitung von sprachlichen Informationen im Gehirn. «Bei Verdacht auf eine Legasthenie soll trotzdem immer eine augenärztliche Untersuchung gemacht werden, um gute Voraussetzungen für die visuelle Wahrnehmung von Texten zu schaffen», erklärt Gulik Landolt. Für das Lesenlernen muss ein Kind Wortbilder korrekt sehen können. Ist die Diagnose der Legasthenie gesichert, so empfiehlt Frau Gulik, dass die weitere Be­­ treuung durch geschulte Logopädinnen und Logopäden erfolgt. Alternative Massnahmen wie Prismengläser seien allerdings wissenschaftlich nicht belegt und unter Umständen sogar schädlich.

erklärt sie. Kinder, die meistens drinnen mit Handys und Computern beschäftigt sind, werden häufiger kurzsichtig, bedingt durch die ständige Akkommodation, also das Zoomen in die Nähe. Bei Kurzsichtigkeit – auch Myopie genannt – wächst auch der Augapfel in die Länge. Betroffene brauchten dann eine Brille, was seit den Harry-Potter-Filmen viel besser akzeptiert sei. Bei Kontaktlinsen sind beide Expertinnen zu­­ rückhaltend: Diese seien wegen des Hygieneproblems nur bei wenigen Erkrankungen oder für Spezialfälle etwa ab dem 14. Le­­ bensjahr zu empfehlen. Sonnenbrille nicht vergessen

Gemäss Klara Landau ist in den Industriestaaten Blindheit bei Kindern heute sehr selten. «Schwere Schädigungen der Netzhaut sehen wir selbst bei sehr kleinen Frühgeborenen kaum noch», sagt sie. Allerdings können Infektionskrankheiten von schwangeren Müttern bei Kindern Augenpro­ bleme verursachen, wie beispielsweise die Toxoplasmose oder neu das Zika-Virus. Klara Landau warnt besonders vor Röteln in der Schwangerschaft: «Diese Erkrankung kann zu schwersten Augenmissbildungen beim ungeborenen

Kind führen.» Deshalb sei die Rötelnimpfung aller jungen Mädchen dringend empfohlen. Auf die Frage, ob Augengymnastik oder eine Extraportion Rüebli den Augenproblemen vorbeugten, winkt Renata Gulik Landolt ab: «Eine spezielle Augengymnastik ist nicht nötig, denn die Augen sind ständig in Bewegung – sogar im Schlaf.» Auch ein Vitamin-A-­Mangel sei in unseren Breitengraden kein Thema. Für gesunde Kinderaugen seien die folgenden Faktoren ausreichend: abwechslungsreiche Er­­ nährung, viel Zeit im Freien verbringen und die Augen mit einer Sonnenbrille vor UV-Strahlen schützen. Die beiden Expertinnen empfehlen aber, «Sehprobleme immer ernst zu nehmen und rasch abklären zu lassen». >>>

Kontaktlinsen sind für Jugendliche erst ab dem 14. Lebensjahr zu empfehlen.

Petra Seeburger

ist Intensivpflegefachfrau, Journalistin und Kommunikationsspezialistin. Sie arbeitet seit über 30 Jahren im Gesundheitswesen.

Kurzsichtigkeit nimmt zu

Immer mehr Kinder und Jugendliche sind kurzsichtig. «Die Zunahme ist vor allem im asiatischen Raum dramatisch», sagt Klara Landau. Zum einen seien dafür genetische und zum anderen Umweltfaktoren verantwortlich. «Massgeblichen Einfluss hat die Lichtexposition – also der Aufenthalt im normalen Tageslicht», 36

Ausgewogene Ernährung und viel Zeit im Freien sorgen für gesunde Kinderaugen. März 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial


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März 2017 37 Allgemeinen Vertragsbedingungen der Krankenkasse.


Zen in der Kunst der Kinderernährung Bei allen guten Ratschlägen und sachlichen Empfehlungen rund um das Thema Ernährung geht beinahe vergessen, dass Essen auch Genuss und Geborgenheit bedeutet. Text: Ruth Hoffmann

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emüse, klar, Obst und Vollkornbrot sowieso, selbstverständlich Hülsenfrüchte und Milchprodukte, Schokolade nur ab und zu – wie gesunde Ernährung für Kinder aussieht, wissen wir ganz gut. An Empfehlungen mangelt es ohnehin nicht, und auch nicht am guten Willen, sie umzusetzen. Zumindest nicht bei uns. Es könnte so einfach sein, wäre da nicht dieser kleine Haken: das Kind. Partout will es Nudeln, am liebs38

ten täglich, Tomaten akzeptiert es allenfalls im Ketchup, kräht nach Pommes frites, Pizza, Hamburger und schwört, sterben zu müssen, wenn es in die Nähe von Brokkoli käme. So uneins sich Eltern in vielen Fragen sind, ins grosse Klagelied über das Essverhalten ihres Nachwuchses stimmen alle mit ein. Fast gilt es schon als Tatsache, dass Kinder beim Essen rundweg ablehnen, was gut für sie ist. Und es ist auch oft nicht einfach. Das Thema birgt durchaus Konfliktpotenzial und sorgt in

vielen Familien regelmässig für Frust auf beiden Seiten: beim Kind, weil es sich unverstanden fühlt, bei den Eltern, weil ihre Versuche, ihm Gesundes schmackhaft zu machen, nicht fruchten wollen. So wird der Esstisch immer wieder zum Schauplatz grösserer und

Die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels sind Kindern egal. Hauptsache, es schmeckt.

März 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial


Körper

kleinerer Scharmützel. Jammer­ schade ist das. Und völlig unnötig: Kein noch so vorbildliches Ernäh­ rungskonzept ist es wert, dass dar­ über die Freude am Essen verloren geht, denn ohne sie wird es sowie­ so nichts damit.

Wer möchte, dass der Nachwuchs freiwillig zu Vollkorn, Früchten und Gemüse greift, muss selbst mit gutem Beispiel vorangehen.

Bild: Alain Laboile

Genuss oder Qual der Mahlzeit

«Wir starren viel zu sehr auf Er­­ nährungsempfehlungen und ver­ lieren dabei den Blick für die Ess­ situationen. In denen entscheidet sich aber, ob eine Mahlzeit als Genuss oder als Qual empfunden wird», sagt Ines Heindl. Sie ist Pro­ fessorin für Ernährungswissen­ schaft und Verbraucherbildung an der Europa-Universität in Flens­ burg, Deutschland, und beschäf­ tigt sich seit vielen Jahren mit dem Zusammenhang zwischen Essen und Kommunikation. Dieser sei von der Wissenschaft vernachläs­ sigt worden, kritisiert sie die eige­ ne Zunft. So befassten sich auch viele Verbraucher eher mit Nähr­ stoffgehalten und Lebensmittel­ pyramiden als mit Genuss und Freude am Essen (siehe Interview auf Seite 40). Eine angespannte Atmosphäre bei Tisch, in der gereizt verhandelt wird, was gegessen werden muss, ist nicht dazu angetan, das, was auf dem Teller liegt, mit guten Gefühlen zu verbinden. Wer mit sechs Jahren vor einer Portion Spi­ nat sitzen musste, bis sie aufgeges­ sen war, wird Spinat höchstwahr­ scheinlich auch als Erwachsener noch meiden. Die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels sind Kindern ohnehin egal. Hauptsache, es schmeckt! Ist das nicht auch ein verständlicher Ansatz? Mit Appellen ans Gesundheits­ bewusstsein kommt man also nicht weit – sie funktionieren schon bei Erwachsenen nicht son­ derlich gut. Druck und Zwang aber sind sogar absolut kontrapro­

duktiv. Denn Essen ist nun einmal viel mehr als nur Nahrungsauf­ nahme. Es kann trösten und beru­ higen; es verbindet, trennt und schafft Identität. Mal ist es Hei­ mat, mal Fremde, mal eklig, mal köstlich. Es weckt Erinnerungen und Assoziationen, im Guten wie im Bösen. Kurz: Es ist emotional. Natürliche Vorliebe für Süsses

Von Anfang an ist das so. Schon ein Säugling erlebt das Gestilltwer­ den als wärmende Zuwendung. Die Entspannung durch die lang­ sam einsetzende Sättigung, die Nähe zur Mutter, ihre Stimme und ihr Herzschlag verschmelzen zu einem Gefühl von Geborgenheit, das sich untrennbar mit der Süsse der Muttermilch verbindet. Die Vorliebe für Süsses ist uns also angeboren und kein Trick der Lebensmittelindustrie. Jedes Kind kommt mit ihr auf die Welt, unab­ hängig vom Kulturkreis. Auch in der Ablehnung bitterer Geschmä­ cker sind sich alle Menschenkin­ der gleich: ein Schutz der Evolu­ tion vor Giftigem. Erst mit der Zeit lernt ein Kind, auch Saures, Salziges und Bitteres zu mögen. Vorausgesetzt, es be­­ kommt die Chance dazu. Und hier sind die Eltern gefragt: Kurzfristig mag es einfacher sein, Kindern jeden Essenswunsch zu erfüllen. Auf Dauer tut man ihnen damit aber keinen Gefallen, da man sie so der Möglichkeit beraubt, ihre Sinne zu entwickeln und unter­ schiedliche Geschmackserfahrun­

gen zu machen. Ein Versäumnis, das später nur schwer nachzu­ holen ist. Je breiter und bunter das Angebot an Nahrungsmitteln ist, das Kinder und Jugendliche zu Hause kennenlernen, desto breiter ist auch das kulinarische Funda­ ment, auf dem sie stehen, und des­ to besser sind sie gegen Mängel oder Essstörungen gefeit. Die ersten Weichen werden schon vor der Geburt gestellt: For­ schungen haben gezeigt, dass Kin­ der von Frauen, die sich während der Schwangerschaft abwechs­ lungsreich ernährt haben, später eher bereit sind, sich beim Essen auf Neues einzulassen, weil sie über das Fruchtwasser bereits vie­ les in Nuancen zu schmecken be­­ kommen haben. Auch Mutter­ milch schmeckt jeden Tag ein wenig anders und trägt so zur Ge­­ schmacksprägung des Babys bei. Als Kleinkind erforscht es dann das Universum des Essens mit derselben Neugier wie den Rest der Welt. «Kinder interessieren sich ir­­ gendwann ganz von selbst für das, was sich Vater und Mutter in den Mund stecken und ihnen offen­ sichtlich schmeckt. Man sollte darum schon früh versuchen, es in altersgemässer Weise an den ge­­ meinsamen Mahlzeiten teilhaben zu lassen», rät Ines Heindl. «Kin­ der wollen nicht gefüttert werden, sondern dabei sein und mittun.» Warum also nicht die Anderthalb­ jährige von den Pellkartoffeln mit Quark und den gekochten >>>

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Körper

Der Geschmack eines Menschen entwickelt sich allmählich und in Schüben.

Kinder durchschauen unehrliches Werben

Wer möchte, dass der Nachwuchs freiwillig zu Vollkorn, Früchten und Gemüse greift, muss selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Je echter und selbstverständlicher, desto besser. Denn Kinder haben feine Antennen für Zwischentöne und doppelte Böden: Wenn der Vater das Müesli als «gesund und gut» preist, es aber insgeheim selbst nicht mag, wird seine Wer­ bung wenig Erfolg haben. Wenn Kinder ihre Eltern aber mit Vergnügen essen sehen, in der Familie eine undogmatische Viel­ falt auf den Tisch kommt und ge­­ meinsam in entspannter Atmo­ sphäre gegessen wird, stehen die Chancen sehr gut, dass sie sich eines Tages davon anstecken las­ sen und ebenfalls zu Paprika, Gur­ ke und Birne greifen. «Das Vorbild der Eltern hat eine starke Wir­ kung, auf die man sich getrost verlassen kann», sagt Ines Heindl. «Entscheidend ist, dass der ‹sozia­ le Raum des Essens› von allen als etwas Schönes empfunden wird und sich mit positiven Erlebnissen anreichern kann.» Was aber, wenn sich das Töch­ terchen strikt weigert, Neues zu probieren? Tatsächlich sind Kin­ der dickfellige Gewohnheitstiere und haben meist kein Problem damit, jeden Tag dasselbe zu essen. Das heisst aber nicht, dass Eltern sich dem dauerhaft ergeben müssen. Der Geschmack eines 40

Menschen entwickelt sich allmäh­ lich und in Schüben: Phasen ein­ seitiger Vorlieben und vermeint­ licher Rückschritte sind normal und kein Grund zur Sorge. «Wenn die Eltern kein Problem daraus machen, gelassen weiterhin Un­­ terschiedliches anbieten und das Kind wählen lassen, wird sich sein Spektrum früher oder später wie­ der erweitern», beruhigt Heindl. Dranbleiben und sich nicht verunsichern lassen, lautet also die Zauberformel. Und im Kopf be­­halten, dass es meist mehrere An­­läufe braucht, bis ein unbe­ kanntes Lebensmittel akzeptiert wird, die erste Reaktion also nicht das letzte Wort sein muss. Zwei Wochen später, in neuem Kontext oder anders zubereitet, kann das Urteil ganz anders ausfallen. Will man also Kindern bei­ bringen, sich gesund und ab­­ wechslungsreich zu ernähren, tut man gut daran, sich in Vertrauen und Gelassenheit zu üben, Hal­ tungen, die ohnehin – auch für einen selbst – ausgesprochen nützlich und heilsam sind. >>>

>>> Rüben probieren lassen oder beim Frühstück von einem Stück des Käsebrots?

«Bei Kindern siegt immer die Neugier»

Ruth Hoffmann kocht leidenschaftlich gerne und schreibt seit vielen Jahren über Ernährung. Die Mutter zweier Kinder weiss, wie schwierig Gelassenheit in gewissen Esssituationen ist. Ruth Hoffmann lebt in Hamburg.

Die Ernährungswissenschaftlerin Ines Heindl über die Botschaften, die sich hinter dem Essen verstecken. Interview: Ruth Hoffmann Frau Heindl, warum empfinden es viele Eltern als so schwierig, ihre Kinder zu gesundem Essen zu erziehen? Nach meiner Erfahrung in der Beratung und aus Befragungen stehen zu oft Ge­­ sundheitsbotschaften im Vordergrund. Je jünger die Leute sind, desto mehr. Genuss, Freude und die Lust am Ausprobieren verschwinden dahinter regelrecht. Daran ist die Ernährungswissenschaft nicht un­­ schuldig. Sie konzentriert sich in der Vermittlung zu sehr auf Empfehlungen zur Nährstoffzufuhr und hat den Zusammenhang zwischen Essen und Kommunika­ tion aus dem Blick verloren. Aber Essen ist immer auch Kommunikation! Das müssen Sie erklären. Meistens liegt der Fokus auf dem, was gegessen wird oder gegessen werden sollte, aber nicht darauf, wie es gegessen wird: Wie sieht die konkrete Esssituation aus? In welcher Atmosphäre wird gegessen? Welche Personen sind dabei und wie verhalten sie sich? Der Esstisch kann ein Ort der Entspannung sein, an dem sich alle gern versammeln, oder ein Schauplatz von Pflichtveranstaltungen, die man so schnell wie möglich hinter sich bringen möchte. Mit dem, was und wie wir essen, senden wir Botschaften aus über uns selbst und unser Verhältnis zu den anderen, auch wenn uns das nicht bewusst ist. Wenn sich ein Kind weigert, etwas anderes zu essen als Nudeln mit Zucker, ist darum auch das ein Mittel der Kommunikation. Aber wie soll man als Eltern damit umgehen? Man sollte sich fragen, wer hier eigentlich wen erzieht. In anderen Zusammenhän-

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>>> gen, im Kindergarten etwa oder wenn sie bei Freunden zu Besuch sind, verhalten sich Kinder meistens ganz anders und essen anstandslos, was dort auf den Tisch kommt. Einfach weil sie wissen, dass es da nicht verhandelbar ist. Also geht es gar nicht unbedingt um eine Vorliebe oder Abneigung. Genau. Das jeweilige Essen ist oft nur ein Vehikel, über das ganz andere Dinge verhandelt werden. Ein anderes gutes Beispiel ist die «Quengelmeile» mit Süssigkeiten vor der Supermarktkasse, die ganz bewusst dort platziert werden, weil viele Eltern die Wut ihrer Kinder nicht aushalten und dann lieber nachgeben. Vordergründig geht es um Süssigkeiten, die jedes Kind gern isst. Darunter läuft aber noch ein anderes Thema, nämlich: Wer hat hier das Sagen? Eltern müssen sich erst einmal selbst darüber klar werden, welche Linie sie fahren wollen. Wenn sie diese in aller Ruhe und konsequent vertreten, akzeptieren die Kinder sie auch irgendwann. Von strikten Verboten rate ich allerdings ab, egal ob es um Bonbons, Chips oder Hamburger geht – sie machen das Begehrte nur noch attraktiver. Fastfood und andere Dickmacher zu begrenzen, ist das eine. Wie schaffe ich es aber, mein Kind von Obst und Gemüse zu überzeugen? Indem Sie es selbst gern essen und zubereiten, und zwar ganz normal und selbstverständlich, ohne mahnende Appelle und Gesundheitsbotschaften. Mit das Erste, was ein Kind lernt, ist ja das Essen. Es kommt zwar mit einer Vorliebe für Süsses auf die Welt, lernt dann aber in der sozialen Gemeinschaft auch andere Geschmäcker kennen und erweitert so allmählich seinen kulinarischen Horizont, wobei es sich das meiste von seiner unmittelbaren Umgebung abguckt. Früher oder später will es darum ganz von selbst auch das probieren, was Vater, Mutter oder ältere Geschwister sichtlich mögen. Vorbilder

haben eine starke Wirkung. Bei Kindern siegt immer die Neugier. Und wenn es trotzdem nicht so recht funktioniert? Gelassen bleiben, sich nicht verunsichern lassen und sich in Geduld üben. Solange man selbst kein Problem daraus macht, weiterhin die Vielfalt anbietet und das Kind wählen lässt, wird sich sein Spek­ trum mit der Zeit schon erweitern. Das Wichtigste ist die entspannte Atmosphäre bei Tisch. Essen sollte etwas rundum Erfreuliches sein, das sich mit schönen Erlebnissen in der Gemeinschaft verbindet und so positiv aufgeladen wird. Wenn das gelingt, bekommt man die Kinder schon. Man darf nur nicht den Fehler machen, zu erwarten, dass sie sich gleich beim ersten Mal für ein neues Lebensmittel begeistern. An unbekannte Geschmäcker und Konsistenzen muss man sich erst gewöhnen. Das ist normal und geht Erwachsenen auch so. Was bekannt ist und regelmässig auf den Tisch kommt, wird hingegen gern gegessen. Es ist eine Art Training. Tischregeln können dabei helfen, etwa die, dass alles probiert werden muss. Oder gemeinsame Familien­ rituale – Pizza oder Pfannkuchen am Wochenende zum Beispiel, für die sich jeder seinen Lieblingsbelag bzw. seine Lieblingsfüllung wünschen kann. Wie geht man mit Teenagern um, die ständig ihr Gewicht im Auge behalten oder bestimmte Nahrungsmittel aus ideologischen Gründen ablehnen? Das ist nicht leicht. Leider machen heute viele Jugendliche beim Essen eine Gratwanderung, besonders Mädchen. Nach meiner Erfahrung finden die meisten aber wieder zurück zum normalen Essen. Vor allem muss man versuchen, mit ihnen im Gespräch zu bleiben. Zeigen Sie Interesse an dem, was sie beschäftigt, und erkundigen Sie sich nach ihren Beweggründen, statt ihr Verhalten als unsinnig abzutun. Wenn Mädchen Angst haben, zu dick zu

werden, nützt es wenig, ihnen das ausreden zu wollen. Besser ist, mit Verständnis zu reagieren und bis zu einem gewissen Grad darauf einzugehen, indem man etwa Gemüsetage für die ganze Familie anbietet. Man darf den Draht nicht verlieren. Wann ist wirklich Grund zur Sorge? Wenn das Essverhalten pathogene Züge annimmt und sich zur psychogenen Störung entwickelt. Erste Anzeichen für eine Essstörung könnten sein, wenn Jugendliche beispielsweise nach einer zunächst durchaus sinnvollen Gewichtsreduktion immer noch weiter abnehmen wollen und sich bei ihnen keine Zufriedenheit mit dem neuen Körperbild und dem neuen Essverhalten einstellt. Man sollte ausserdem darauf achten, was sie von Gleichaltrigen erzählen und – ganz wichtig – in welchen Internetforen sie unterwegs sind. Andererseits zeichnet sich bei jungen Leuten im positiven Sinne ein zunehmendes Bewusstsein fürs Essen und die Herkunft von Lebensmitteln ab. Ja, angesichts von Trends wie Clean Eating, veganer Küche oder dem Hype um sogenannte Superfoods zeigen viele junge Leute Interesse an gesunder Ernährung und lassen sich für Fragen der Nahrungsqualität gewinnen. Verbindet sich das im sozialen Raum der Familie oder im Freundeskreis mit einem Gefühl der Zusammengehörigkeit, indem man neue Rezepte oder Zubereitungsarten ausprobiert und sich darüber austauscht, wird Essen wieder zum genüsslichen und Gemeinschaft stiftenden Erlebnis – und das «Problemthema Ernährung» verliert seine Macht im Alltag.

Ines Heindl Professorin, ist Ernährungswissenschaftlerin an der Europa-Universität Flensburg, Abteilung Ernährung und Verbraucherbildung.

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Interesse zeigen statt mahnen Burger, Pizza und Eistee: Viele Kinder und Jugendliche mögen das, was Erwachsene zur Verzweiflung bringt. Die Ernährungsexpertin Marianne Botta kennt Tipps und Tricks, wie man Fastfood ein bisschen unattraktiver machen kann. Text: Claudia Landolt

Frau Botta, Teenager lieben Fastfood. Kann man ihnen das abgewöhnen?

Die Frage lautet: Haben sie Junk­ food wirklich gern oder gehen sie nur zum Schnellimbiss, weil ihre Kollegen das auch tun? Meiner Er­­ fahrung nach möchten viele Jugendliche gesund essen, aber das Geld dazu nicht ausgeben – weil sie lieber für eine neue Jeans oder ein Game sparen. Denn ein Salat kostet selbst beim Fastfood-Markt­ führer mehr als ein Burger. Wenn es am Geld liegt, gibt es eine Mög­ lichkeit, die bei meinen Kindern gut funktioniert: Ich gebe ihnen Essensgeld, damit sie sich gesund verpflegen – gegen eine Quittung. So sehe ich, was sie ge­gessen haben. Liegt es eher an der Peer­ group, dann sollte man versuchen, mit den Kids ins Gespräch zu kom­ men. Was bedeutet es dir, mittags ins Schnellrestaurant zu gehen? Warum findest du es fein? Können wir etwas zu Hause tun, um unser Essen aufzuwerten? Ge­­rade in der Pubertät ist es sinnlos, sich wegen gesundem Essen in die Haare zu

In der Pubertät ist es sinnlos, sich wegen gesundem Essen in die Haare zu geraten. 42

geraten. Gegen Kollegen hat man keinen Stich. Besser, man holt die Kinder ins Boot und bezieht sie mit ein. Was auch funktioniert, ist die Wissensschiene. Ihnen zu erklä­ ren, was Hamburger, Hotdogs und Donuts mit ihrem Körper machen – selbst wenn es «nur» Pickel, Fett­ röllchen oder Cellulitis sind. Glau­ ben Sie mir, kein Teenager möch­ te dick sein oder Cellulite haben. Nach der Schule haben viele Kinder Hunger. Wie verhindere ich, dass sie zu Chips und Co. greifen?

Grössere Kinder mögen es, wenn man ihnen Verantwortung über­ gibt und Zusammenhänge auf­ zeigt, zum Beispiel indem man sagt: «Probier doch das mal aus und schau, wie es dir geht.» Oder wenn man ihnen erklärt, dass nach einem Schoggistengeli der Blut­ zuckerspiegel sofort wieder absinkt und sich ein Hungergefühl ein­ stellt. Sind Kinder allein zu Hause, essen sie gerne vor dem TV oder am Handy. Das verhindert aber, dass sich ein Sättigungsgefühl ein­ stellt. Am besten ist, man stellt ein vorbereitetes Znüni oder Zvieri hin oder in den Kühlschrank. Das kann auch mit dem Namen des Kindes angeschrieben sein. Sie schlagen vor, dass jedes Familienmitglied drei bis fünf Lebensmittel abwählen darf, die es nicht probieren oder essen muss.

Schreiben Sie auch für sich selbst eine Liste. Sie haben auch das

Recht, nichts zu probieren. Das ergibt lustige Situationen, wenn Ihre Kinder Sie dann doch davon überzeugen möchten, etwas zu probieren. Dieses Listensystem funktioniert aber nur, bis Kinder in die Pubertät kommen. Der Ge­ schmackssinn wird in den ersten zehn bis zwölf Lebensjahren trai­ niert, danach ist alles spannend, was die Eltern auf die Palme bringt – also zickiges Essverhalten. In der Regel normalisiert sich das später wieder. Problematisch wird es, wenn der Teenager jüngere Ge­ schwister hat. Dessen Verhalten am Tisch färbt auf die Jüngeren ab: Macht der grosse Bruder Theater ums Gemüse, werden es seine Ge­ schwister auch tun. Bei uns gibt es folgende Regel: Wenn das grosse Kind etwas nicht mag oder nicht essen will, soll das diskret gesche­ hen, denn es hat eine Vorbildfunk­ tion. Das klappt gut. Was, wenn Kinder heimlich naschen?

Sackgeld gibt Kindern die Mög­ lichkeit, ungeliebtes Essen zu um­ gehen, indem sie sich am Kiosk etwas zum Naschen kaufen und es dann im Zimmer verstecken. Dann sollte man darauf bestehen, dass nur am Tisch gegessen wird. Grössere Kinder können beispiels­ weise Lebensmittel, die sie gern essen und die man mit ihnen aus­ gehandelt hat, in einer Box in der Küche aufbewahren. So stellt man sicher, dass sie nicht wahllos

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Körper

irgendetwas essen. Oder man geht die Sache offensiv an: Wenn die Kinder wirklich ganz grosse Lust auf etwas haben, kann man es zusammen kaufen und gemein­ sam essen. Selbst wenn es drei Pack Fasnachtschüechli sind. Soll man Süsses verbieten?

Verschiedene Studien zeigen, dass Kinder Lebensmittel, die ihnen verboten oder vorenthalten wur­ den, besonders interessant finden. Kinder, denen Süssigkeiten verbo­ ten wurden, greifen später lieber, häufiger und am meisten zu Süs­ sigkeiten. Besser ist es, man han­ delt etwas aus. Etwa: Eine Süssig­ keit pro Tag ist in Ordnung, ein Mal pro Monat Fastfood auch. Was, wenn es am Tisch heisst: «Wäh! Hani nöd gern!»

Dann schöpft man dem Kind trotzdem von allem, was man ge­ kocht hat, auf den Teller und lässt sich auf keinen Machtkampf ein. Grösseren Kindern kann man er­ klären, warum eine solche Aus­ sage verletzend ist. Viele Eltern kochen nur noch das, was ihren Kindern sicher schmeckt. Ist das falsch?

Damit Kinder nicht zu mäkligen Essern werden, müssen sie von Anfang an möglichst vielseitig essen. Und die Geschmacksner­ ven trainieren. Ein Kind muss 10 bis 15 Mal ein neues Lebensmittel probieren, bis es sich an den neu­ en Geschmack gewöhnt hat. Bes­ ser funktioniert die Regel: Wer kocht, bestimmt, was auf den Tisch kommt. Bringen Eltern ein neues Gericht mit Begeisterung auf den Tisch, wird es eher akzep­ tiert. Ausserdem dürfen Kinder bestimmen, wovon sie wie viel essen möchten. Auch ein Thema: Am Tisch sitzen bleiben, bis alle fertig sind.

Im Restaurant kann es einem Kind tatsächlich mal langweilig werden. Da hilft, eine Schachtel mit span­

nenden Dingen mitzunehmen, die das Kind erforschen kann und womit es wirklich beschäftigt ist. Diese Schachtel gibt es dann aber immer nur bei Restaurantbesu­ chen. Zu Hause ist es eine Defini­ tionsfrage, es gibt nicht eine Regel, die stimmt. Die Erwachsenen soll­ ten selbst bestimmen, was sie sich wünschen, und eine Regel festset­ zen. Sicher optimaler ist, zu fragen, ob man aufstehen darf, statt ein­ fach den Tisch zu verlassen. Salz, Fett oder Zucker: Was ist eigentlich schlimmer?

Bei Jugendlichen sind Fett und Salz weniger ein Problem, weil sie in der Regel genügend Sport trei­ ben, dabei schwitzen und Salz ver­ lieren. Zudem essen wir heute generell viel weniger Salz als frü­ her. Auch Fett ist nicht so schlimm, da wir weniger Transfettsäuren zu uns nehmen und Olivenöl und Rapsöl die ungesunderen Öle wie Sonnenblumenöl verdrängt haben. Zucker aber ist ein Pro­blem, vor allem in Kombination mit Weiss­ mehl oder schnell verwertbaren Kohlenhydraten – gerade für Kin­ der mit wenig Bewegung. Die Tochter isst plötzlich vegan. Muss ich mir Sorgen machen?

Fragen wie «Wer bin ich und wie wirke ich auf andere?» sind bei Teenagern zentral. Dazu gehört auch, neue Ernährungstrends aus­ zuprobieren. Ich empfehle, daraus keine grosse Sache zu machen. Wichtig ist: Fehlen Fleisch und Milchprodukte, mangelt es an Pro­ tein und Eisen – Letzteres ist vor allem bei Mädchen ein Thema. Eine Studie mit 16-jährigen Mäd­ chen hat gezeigt, dass bei Eisen­ mangel die Noten um 1 bis 1,5 schlechter sind. Mängel können sich also negativ auswirken. Das sollte man thematisieren und gege­ benenfalls mit Vitamin-B-­1 2Nahrungsergänzungsmitteln sup­ plementieren.

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Ernähren sich Kinder von Anfang an vielseitig, werden sie nicht zu mäkligen Essern. Diese Lebensmittel machen schön, schlau und gute Laune • Für bessere Konzentration: Walnüsse, Cashewnüsse, Mandeln, Avocado, Hülsenfrüchte – und viel Wasser trinken! • Für bessere Laune: Vanille, Safran, Chili, Ingwer, Lachs, Hering, Datteln, Feigen, Beeren • Für schöne Haut und Haare: Dinkel, Roggen, Rüebli, Weizenkeime, Linsen oder Fleisch, Buttermilch, Kiwi, Meerrettich

Zur Person Marianne Botta ist Lebensmittel­ wissenschaftlerin und Fachlehrerin. Sie hat sich auf Ernährungswissenschaften spezialisiert, arbeitet als Fach­journalistin für verschiedene Publikationen und hat mehrere Bücher geschrieben, unter anderem über Kinderernährung (www. mbfit.ch). Sie ist Mutter von 8 Kindern zwischen 7 und 21 Jahren und kocht und isst täglich mit ihrer Familie

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Seele

Lasst die Kinder spielen! Experten empfehlen Mädchen und Jungen die Rückkehr zum freien, unbeobachteten Spiel in der Natur. Denn Kinder, die viel Zeit mit Spielen verbringen, lernen später leichter – und oft auch mehr. Text: Claudia Landolt Bilder: Alain Laboile

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Seele

Unsere Grosseltern verbrachten 75 Prozent ihrer Freizeit draussen. Bei unseren Kindern sind es noch 25 Prozent.

D

ie Maxime des deutschen Neuro­ biologen Gerald Hüther ist ein Drei­w ortsatz im Imperativ: «Rettet das Spiel!» So lautet dieser, und es ist auch der Titel eines Buches, das Hüther verfasst hat. Ein programmati­ scher Titel. «Spiel ist die Erkundung des Möglichen, der ganzen Grossar­ tigkeit», erklärt Hüther in einem Interview mit der Sendung «aspekte» zu seinem Buch. Die Crux dabei ist: Wir tun es immer weniger. Erwachsene fast gar nicht, und Kinder leider auch nicht. Natur ist für viele Kinder zu einer Art Kulisse geworden, die vom Auto, vom Fahrrad oder vom Weg aus betrachtet wird. Hüther, der zusammen mit Co-Autor und Kinderarzt Herbert Renz-Polster das Buch «Wie Kinder heute wachsen» geschrieben hat, beklagt 46

dies bitterlich. Der Aktionsradius der Kinder – also der Raum, in dem sie auf eigene Faust spielen und entdecken dürfen – ist laut ihm zwischen 1970 und 1990 auf ein Neuntel zurückgegangen. «Es ist anzunehmen, dass inzwischen weitere Einbussen dazugekom­ men sind. Und für viele Kinder kommt inzwischen auch noch eine elektronische Leine dazu – welches Kind ist nicht jederzeit per Handy für seine Eltern er­­ reichbar?», fragen die Autoren. Eine fatale Entwicklung, dia­ gnostizieren sie, denn: «Die Natur stellt für Kinder einen massge­ schneiderten Entwicklungsraum dar.» Sie biete den Kindern Reich­ tum für ihre Entwicklung, stecke voller Anreize, die zu den Heraus­ forderungen des Grosswerdens passten wie der Schlüssel zum Schloss. «Spiel ist der Zustand, in dem der Mensch wirklich frei ist und jegliche Angst verloren hat.» Spielen ist Arbeit

Spielen ist eben nicht nur Bildung, wie es im pädagogischen >>>

Das Spiel ist der Zustand, in dem der Mensch frei ist.


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«Kinder wollen in die Natur, nicht auf den Spielplatz» Die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm erklärt, warum Kindern eine getaktete Freizeitgestaltung nicht zugutekommt. Interview: Claudia Landolt

Frau Stamm, warum spielen Kinder immer weniger? Weil es nicht in unsere Erwachsenenwelt passt. Das kindliche Spiel ist nicht ziel­ orientiert. Ausserdem erzeugt das freie Spiel bei vielen Eltern Angst. Warum? Bewegt sich das Kind draussen, befürchten viele Eltern, dass es sich verletzen könnte. Oder dreckig wird.

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Sie kritisieren Förderkurse. Warum? Kurse sind nicht grundsätzlich schlecht. Aber wenn ein Kind nur noch in Kurse geht, statt draussen zu spielen, ist das ungünstig. Sie plädieren fürs Nichtstun? Langeweile ist ein wichtiges Erziehungsprinzip. Aber wenn Eltern am Weekend ihre Kinder plötzlich machen lassen, steigen noch mehr Gewissensbisse auf. Nach dem Motto: Mann, bin ich ein Faulpelz, jetzt einfach auf dem Sofa zu liegen. Dabei wäre Langeweile etwas, das man wiederentdecken müsste. Was ist denn die Zentralkompetenz eines Kindes? Es braucht drei Punkte, damit ein Kind längerfristig erfolgreich ist. Erstens ein gutes Selbstkonzept. Das heisst, das Kind empfindet sich selbst als guten Menschen und hat Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten. Zweitens muss es eine gewisse Frustrationstoleranz haben, also

in der Lage sein, eine Hürde zu meistern, ohne aufzugeben oder ohne dass Mami und Papi zeigen, wie es geht. Drittens: Neugier. Das ist etwas, das ein Mensch braucht, um in der Schule erfolgreich, leistungsbereit und lernmotiviert zu sein. Warum spielt die Natur eine so wichtige Rolle? Die beste frühkindliche Bildung ist die ganzheitliche Förderung aller Sinne. Da bietet sich der Wald doch an. Aber das ist für Eltern anspruchsvoll: Man muss in den Wald gehen, das Kind wird dreckig, man muss Angst haben, das Kind esse etwas Unkontrolliertes. Dabei wissen wir aus der Forschung, dass Kinder, die viel mit Dreck in Kontakt kommen, weniger Ekzeme, Allergien und ADHS haben. Der Wald als Spielraum passt nicht zu unserer modernen Lebenskultur. Wie könnte man das ändern? In der Schweiz ist man relativ schnell in einer Gegend, in der sich ein Kind frei

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Seele

Das kindliche Spiel gilt in den Augen vieler Erwachsener als trivial.

>>> Standardwerk «Entwicklungspsychologie» heisst. Spielen ist viel mehr. «Spielen ist die Arbeit des Kindes und seine wichtigste Tätigkeit», sagt Professor André Frank Zimpel. Der Pädagoge ist europaweit der Forscher, der die frühkindliche Entwicklung und insbesondere das Spiel untersucht hat.

bewegen kann. Man müsste ganz bewusst solche Inseln suchen und etwa einmal in der Woche dorthin gehen. Ohne Ziel! Es gibt eine Studie, in der Kinder nach ihrem Lieblingsort zum Spielen befragt wurden. Die Antwort lautete: Natur! Kinder ziehen sie dem Spielplatz oder anderen künstlichen Anlagen vor. Also sollen wir unseren Kindern sagen: Geht raus? Ja, genau. Vertrauen entwickeln in sich selber und in die Welt, das ist zentral.

Margrit Stamm ist emeritierte Professorin und Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education in Bern. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Begabung, der Qualität in der Berufsbildung und der Förderung von Migrantenkindern.

Für Zimpel ist deshalb klar: Spielen ist das Beste, was ein Kind tun kann. «Wenn Kinder einen Stein wie ein U-Boot auf dem Boden oder im Wasser fahren oder sich Blumen wie die Krone einer Prinzessin aufsetzen, dann bewegen sie sich in einer Fantasiewelt», so Zimpel. Diese sei von einer nicht zu unterschätzenden Wichtigkeit, so der Experte. Denn gerade in der Fantasie lerne ein Kind, seine Einbildungskraft einzusetzen und zu abstrahieren. Kinder sähen im Fantasie­ spiel von einigen Eigenschaften ab und höben andere hervor, so Zimpel. Genau diese Art der Gehirn­ tätigkeit ist später die Grundlage für natur- und geisteswissenschaftliches Denken. Zimpel erklärt, dass Kinder sich im Spiel intuitiv selbst Herausforderungen suchten, die ihre intellektuelle Entwicklung vorantrieben, und dass sie so nahezu alles durch das Spiel lernten. Doch heute hat das kindliche Spiel massiv an Bedeutung verloren. Es kontrastiert mit Lernen oder «wird lediglich als Vorsta­ dium für das eigentliche Arbeiten bezeichnet», wie die Schweizer Professorin Margrit Stamm aus ihren Studien FRANZ («Früher an die Bildung – erfolgreicher in die Zukunft?») und PRINZ («Best Practice in Kitas und Kindergärten») weiss. Das Ergebnis der beiden Studien: Das kindliche >>>

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Seele

Spielen ist die beste Fördermassnahme, weil Kinder fast immer Spass dabei empfinden.

>>> Spiel gilt in den Augen vieler Erwachsener als «trivial oder reine Zeitverschwendung». Zwei Gründe für den starken Rückgang des freien Spiels

Verantwortlich für diese Einschätzung sind, so Margrit Stamm, zwei Faktoren. Einerseits die gesellschaftspolitische Debatte um Frühförderung: Kindertagesstätten und Kindergärten werden als Orte zum Lernen angesehen. Die Resultate der Pisa-Studie und der Druck, in einer globalisierten, wissensorientierten Arbeitswelt er­­ folgreich sein zu müssen, haben bei manchen Eltern einen regelrechten Förderwahn hervorgebracht. Laut Margrit Stamm sind viele Angebote auf den Markt gekommen, welche den Eltern weismachen wollen, dass man nie früh genug beginnen könne, dem Kind «spielerisch» erste Lese-, Mathematik- und Fremdsprachenkenntnisse beizubringen. Das habe zur Folge, dass die Eltern die Wochenprogramme ihrer Kinder durchtakten – im Glauben, sie würden ihrem Kind durch diese «Förderitis» Gutes tun. Doch nicht nur die Eltern sind verantwortlich dafür, dass ihre Kinder immer weniger spielen. Auch städtebauliche und architektonische Situationen sind – als zweiter Faktor – massgeblich daran beteiligt. Ein Beispiel: Eine Intensivuntersuchung bei 20 Fa­­ 50

milien mit Kindern im Kindergartenalter in der Stadt Zürich hat laut Wohn­experte und Pädagoge Marco Hüttenmoser Folgendes gezeigt: Wer in einem Wohnumfeld aufwächst, das kein unbegleitetes Spiel im Freien zulässt, zeigt im Alter von fünf Jahren deutliche Defizite in der motorischen und sozialen Entwicklung. Eine anschliessend in der Stadt Zürich durchgeführte repräsentative Studie und eine Kontrollerhebung in sieben Landgemeinden zeigte auf, dass in der Stadt wie auf dem Land ein Viertel bis ein Drittel der Kinder bis im Alter von fünf Jahren die Wohnung und das Haus nicht unbegleitet verlassen dürfen. Der Verlust an Spielkameraden für diese Kinder ist gross, und der Zwang, die Kinder dauernd zu begleiten, führt zu einem massiven Verlust an Bewegungszeit. Als wichtigste Ursache bezeichnen 76 Prozent von 1729 Eltern der Stadt Zürich den Strassenverkehr. Von 142 Eltern auf dem Land sind 87 Prozent dieser Meinung. «Kinder, die ohne rechte Bodenhaftung aufwachsen – Hors-sol-Kinder sozusagen –, sind das Produkt der modernen, vom privaten Motorfahrzeugverkehr dominierten Ge­­ sellschaft», sagt Marco Hütten­ moser. Dieser Verkehr dominiert auch die letzte erwachsenenfreie Zone: den Schulweg. Nicht einmal 10 Prozent der Achtjährigen kom-

men laut «Spiegel» allein zum Unterricht. 1971 waren es noch 80 Prozent. Der Schulweg, Inbegriff des anarchischen Freiraums, auf dem geträumt wurde, gerauft, die Hausaufgaben abgeschrieben und mit dem ersten Schwarm zögerliche Kontakte geknüpft wurden, ist für ganz viele Kinder heute Geschichte. Hüther benutzt für diese Entwicklung drastische Worte: «Es ist gefährlich, wenn eine ganze Ge­­ sellschaft einen Weg geht, auf dem das Spiel kaum vorkommt oder verzweckt wird.» Eine vielfältige und kreative Gesellschaft benötige genau dieses Spielen: «Erst das Spiel ermöglich Kreativität, Ideen und Visionen», sagt Gerald Hüther. Drogenrausch im Hirn

Wir wären genau dies doch unseren Kindern schuldig. Denn sie, so belegen Neurowissenschaftler, blühen kognitiv auf, wenn sie – ohne Helm, Matschhose und Rückenpanzer – unbeaufsichtigt draussen

Der Zwang, Kinder dauernd zu begleiten, führt zu ­einem massiven Verlust an Bewegunszeit.

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auszusetzen, stiehlt ihnen körper­ lich wie geistig wichtigste Erfah­ rungen. Auf Bäume klettern muss man selbst.» Dieser Text ist in Fritz+Fränzi, Ausgabe 8 / August 2016 erschienen.

unikat

und nachhaltigen Lernen. Beides versorgt das Nervensystem mit Dopamin, dem Glücksbotenstoff im Gehirn. Wer sich an Gelerntes erinnert, erinnert sich auch immer an die Emotion beim Lernen. Wurde das Lernen als lustvoll empfunden, erinnern wir uns gerne an das Gelernte. Haben wir unter Angst einen Stoff auswendig gelernt, werden wir uns nicht gerne daran erinnern. Insofern ist Spielen die beste Fördermassnahme, weil Kin­ der fast immer Spass dabei emp­ finden. Robert Schmuki, früherer Di­­ rektor von Pro Juventute, sieht es so: «Kinder der offenen Welt nicht

>>>

spielen, sie werden umsichtiger und ihr Mitgefühl steigt, ebenso wie die Schulleistungen. Auch sind Wissenschaftler überzeugt, dass bei Kindern, die in einem freien Raum spielen, der von keinem Architekten designt und von keinem Elternteil aufge­ räumt wurde, die Synapsen im kindlichen Hirn ins Kraut schies­ sen würden. Hüther nennt es den «Drogenrausch im Hirn». Erst in der Freiheit gedeihen die Verknüpfungen im Denkappa­ rat und vernetzen sich ebenso vielfältig wie die Bezüge im Öko­ system der Natur. Und die Kinder haben Spass dabei. Denn Spass ist der Schlüssel zum erfolgreichen

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Seele

« Die herrschende Bildungsdoktrin macht unsere Kinder krank» In Brasilien ist Augusto Cury ein Superstar und gilt als der Paolo Coelho der Elternberaterzunft. Seine Bücher werden über 15 Millionen Mal verkauft. Nur hierzulande ist er kaum bekannt. Ein Porträt. Text: Claudia Landolt

Kinder brauchen nicht nur physische Hygiene, sondern auch psychische. 52

aufwachsen, emotional zu stärken und aus ihnen Menschen mit einem gesunden Selbstwert werden zu lassen. Dafür hat er Module entwickelt, die in den Schulen Brasiliens seit vielen Jahren angewendet werden. Diese Theorie veranschaulicht Cury in seinen Büchern in literarischer Form. Damit treibt Cury das an, was man altmodisch als – wissenschaftlich erforschte – Herzensbildung bezeichnen kann. Im Mittelpunkt seiner Forschungen stehen die Entwicklung einer höheren Lebensqualität sowie die Ausprägung der menschlichen Intelligenz in Bezug auf die Natur, den Aufbau und die Dynamik von Emo­ tionen und Gedanken. Von Spitzensportlern bewundert

Dazu hat er Bücher verfasst. Zu seinen treuesten Bewunderern ge­­ hören Spitzensportler wie Lu­­cia­na Diniz (olympische Springreiterin) oder Ricardo Kaká (ehemaliger Weltfussballer des Jahres). Sie fühlen sich von Curys Philosophie angesprochen, weil er wie kein anderer auf die Kraft der Emotionen, des Vertrauens und des Glaubens an sich selbst baut. Im Dezember 2016 wurde der Film

«O vendedor de sonhos» (dt.: Der Träumhändler) von Jaime Monjardin in Brasilien uraufgeführt, laut einem Facebook-Eintrag Kakás ein «äusserst bewegender Film», der nicht wenige Zuschauer zu Tränen gerührt habe. Augusto Cury ist ein dunkelhaariger Mann mit Brille, den man sich gut als Psychiater, versunken in einem tiefen Ohrensessel, vorstellen kann. Jemand, dem man seine Sorgen gern anvertrauen würde. Seine Stimme ist sonor und ruhig, er spricht, wie nur ein in sich selbst ruhender Mann es tun kann. Sie erhebt sich nur dann, wenn Kinder das Thema sind. «Die heutigen Schulen lehren Kinder alles, aber nicht das, was sie wirklich brauchen im Leben: wie sie mit ihren Emotionen umgehen können», sagt Cury. Wissensbildung genügt nicht

Und weiter: «Die Gesellschaft funktioniert nur nach den er­­ kenntnistheoretischen Prinzipien eines Descartes ausgerichtet», erklärt er. Ein wichtiges Prinzip von Descartes ist die Dualität von Leib und Seele – die Antithese zu Curys Position. «Genau deshalb werden in den Schulen bril- >>>

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Bild: Alain Laboile

A

ugusto Cury ist ein glücklicher Mann. Der Psychiater und Schriftsteller lebt in São Paulo, der grössten Stadt Brasiliens. Eine Art New York der Südhalbkugel mit knapp 12 Millionen Einwohnern. Geboren in einem Ort, der von Pferdezucht und Pferdegestüten geprägt ist. Der heute 58-Jährige ist Vater von drei erwachsenen Töchtern, und er ist ein vielbeschäftigter Mann. In seinem Instituto Augusto Cury professionalisiert er die eigens von ihm entwickelte «Teoria da Inteligência multifocal» über die Funk­tionalität der Psyche und der Ge­­danken und Programme. Dahinter steckt das Anliegen, Kinder, die in der wissensorientierten Multi­optionsgesellschaft


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Seele

>>> lante Köpfe geformt, die Seele und ihre Emotionen aber gänzlich vernachlässigt.» Kinder wüssten am Ende ihrer Schulzeit sehr viel über Algebra, Chemie und Physik, aber nicht, wie sie den Umgang mit ihren Emotionen meistern könnten. «Ein vierjähriges Kind weiss mehr, als ein römischer Kaiser je wusste», sagt Cury im Interview, das wir via Skype führen und bei dem seine Tochter als Übersetzerin fungiert. «Kinder brauchen eine emotionale Impfung», erklärt er. Ohne ein emotionales Fundament kann ein Kind nicht kreativ sein. Nichtstun und Langeweile, freies Spielen, Musik, Zeichnen, eigene Sachen konstruieren und sich mit Hunden umgeben, das seien Dinge, die für junge Kinder essenziell seien und die im herrschenden Bildungs- und Förderwahn schlicht vergessen würden. Mentale Blockaden auflösen

Cury will für Kinder eine «mentale Hygiene in Ergänzung zur körperlichen Sorgfalt gegenüber dem eigenen Körper». Eltern und Lehrpersonen diese mentale Hygiene zu vermitteln, ist es, was Cury antreibt. «Viele Eltern glauben, ihre Kinder hätten eine glückliche Kindheit, aber ein Aufwachsen ohne mentale Hygiene ist nicht möglich.» Wie sieht mentale Hygie­ne aus? «Das Problem ist, dass Kinder negative Emotionen oder Gedanken speichern, schon in sehr jungen Jahren», führt Cury aus. «Und ein weiteres Problem ist, dass das

Kinder speichern negative Erlebnisse in ihrem Gehirn. Das ist fatal. 54

Gehirn alle Erlebnisse, die mit diesen negativen Gedanken verbunden sind, speichert – mit fatalen Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung. Um diese negativen Gedanken zu löschen, braucht es ein Management der Gefühle. Das müssten Eltern wie auch die Schule vermitteln, und zwar auf der ganzen Welt!» Gerade auch deshalb, weil mangelndes Selbstwertgefühl, Angst und De­­pressionen gerade in den Indus­trieländern sehr häufig sind. «Wir handeln erst, wenn die Symptome schon akut sind», er­­ eifert sich Cury. «Dann schicken wir unsere Kinder zum Psycholo-

gen. Das ist absurd!» Die Schule sei ein Ort der Kritik, der Kindern sage, was sie nicht könnten oder falsch machten, erzählt Augusto Cury weiter. Solche Kritik sei schädlich und könne Kinder nicht stark machen. Das bedeute aber nicht, so Cury, dass man Kinder von allem Negativen fernhalten müsse. Cury fordert daher, dass man Kindern erkläre und vorlebe, wie man mit externer Kritik umgehen lerne und neue Perspektiven entwickle. Ein Ansatz ist: von seinen ureigenen Ängsten und Verletzungen zu erzählen – und wie man trotzdem nicht aufgegeben habe.

Was Kinder zu starken Menschen macht Innere Stärke ist nicht in die Wiege gelegt, sondern kann erworben werden. Resilienz heisst die Fähigkeit, mit jeglichen Wider­ständen im Leben gelassen umzugehen. Text: Anja Lang

Widerstandskraft oder Resilienz geht auf das lateinische «resilire» zurück, was so viel bedeutet wie «zurückspringen» oder auch «abprallen». Ursprünglich in der Materialkunde verwendet, bezeichnet Re­silienz die Elastizität oder Spannkraft eines Werkstoffes. «In der Psychologie spricht man von Resilienz, wenn sich Personen trotz gravierender Belastungen oder widriger Lebensumstände psychisch gesund entwickeln», erklärt Professor Klaus Fröhlich-Gildhoff, Leiter des Zentrums für Kinder- und Jugendforschung (ZfKJ) an der Evangelischen Hochschule Freiburg. Resilienz gilt als eine Art Immunsystem der Psyche. Ähnlich wie das körperliche Immunsystem ist auch sie nicht angeboren. «Sie wird viel mehr durch Erfahrung und Interaktion mit der Umwelt erlernt und trainiert, aber auch erstickt oder vergessen», weiss FröhlichGildhoff. Durch neue­re Studien weiss man, dass es Faktoren gibt, die Resi­lienz bei Kindern fördern. Ein besonders wichtiger Baustein für die Entwicklung von Resilienz ist die liebevolle und wertschätzen-

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«Erfahren Kinder, dass auch ihre Eltern Hindernisse kennen, die sie zweifeln liessen, lernen sie, dass diese überwunden werden können, denn sie sehen ihre Eltern ja als stark und unbesiegbar.» Unsere Kinder, so schliesst Cury ab, würden in ihrem weiteren Leben noch grossen Frustrationen begegnen. «Vielleicht finden sie keine Arbeit, hungern oder erleiden Schicksalsschläge. Wir müssen sie darauf vorbereiten, dass auch Wohlstand und Gesundheit nicht selbstverständlich sind, dass das Leben trotzdem immer lebenswert und schön ist.»

Kritik, wie wir sie in der Schule betreiben, ist schädlich und macht Kinder nicht stark.

Zur Person

Augusto Jorge Cury, geboren 1958, ist ein brasilianischer Arzt, Physiotherapeut, Psychiater und Schriftsteller. Er ist der Begründer der «Teoria da Inteligência Multifocal» und Autor mehrerer Bücher über bessere Lebensqualität und Selbsthilfe. www.grupoaugustocury.com.br

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de Beziehung zu mindestens einem Menschen. «Diese Person muss nicht zwingend der eigene Vater oder die Mutter sein», betont Experte Fröhlich-Gildhoff. «Auch Geschwister, Grosseltern, Nachbarn oder Lehrer können diese Rolle einnehmen.» Pippi Langstrumpf ist ein Paradebeispiel für Resilienz

Die zweite tragende Säule zur Entwicklung von Resi­ lienz sind bestimmte Schutzfaktoren. Das Beispiel der Kinderbuchheldin Pippi Langstrumpf zeigt anschaulich, worauf es hier ankommt. Objektiv betrachtet, wächst Pippi ja unter denkbar ungünstigen Bedingungen auf: Die Mutter ist tot und der Vater ständig auf Reisen. Trotzdem meistert Pippi ihr Leben hervorragend. «Denn Pippi Langstrumpf verfügt über wichtige Resilienzfaktoren, wie eine positive Lebenseinstellung, soziale Kompetenzen und vor allem Selbstwirksamkeitsüberzeugung», betont der Resilienzexperte. «Faktoren, die die Forschung als besonders schützend für die kindliche Psyche identifiziert hat.»

indem sie die Bedürfnisse ihres Kindes ernst nehmen und soziale Kompetenzen im Alltag beispielhaft vorleben», appelliert Fröhlich-Gildhoff. «Lassen Sie Ihr Kind so oft wie möglich altersgerechte Erfahrungen selbst machen, aber überfordern Sie es dabei auch nicht.» So lernen Kinder schon früh, ihren Fähigkeiten zu vertrauen und sich auch in schwierigen Lebensphasen erfolgreich zu behaupten. Diese 6 Resilienzfaktoren machen Kinder stark

• Positive Selbstwahrnehmung • Gefühle allein steuern (Selbststeuerungsfähigkeit) • Selbstwirksamkeitsüberzeugung (eigene Stärken kennen sowie Erfolge auf ihr Handeln beziehen und Strategien daraus ableiten) • Soziale Kompetenzen (auf Menschen zugehen, Kontakt aufnehmen, einfühlsam sein, Konflikte lösen) • Angemessener Umgang mit Stress • Problemlösekompetenz

So fördern Eltern die psychische Widerstandskraft ihres Kindes

Eltern sind in den ersten Jahren meist die wichtigsten Bezugspersonen im Leben ihres Kindes. Deshalb können sie die psychische Widerstandskraft ihres Kindes besonders gut fördern. «Das tun Eltern am besten, indem sie präsent sind und ihrem Kind aktiv zuhören,

Anja Lang ist langjährige Medizinjournalistin. Sie ist Mutter von drei Kindern und lebt in der Nähe von München.

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Seele

Krank oder null Bock? Die Pubertät ist eine Zeit der Veränderung. Psychische Erkrankungen wie Depressionen treten gehäuft auf. Eltern sollten jetzt auf erste Anzeichen achten. Text: Constanze Löffler

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Ungefähr ein Kind pro Klasse leidet an einer behandlungsbedürftigen Depression.

Bild: Alain Laboile

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eere und Trauer kennt der 16-jährige Jakob, seitdem er von der Primar- in die Sekundarstufe wechselte. Um sie zu vertreiben, fängt er an zu kiffen. Später erscheint der Junge wiederholt angetrunken zum Unterricht. Als ihn ein Vertrauenslehrer darauf anspricht, streitet Jakob die Trunkenheit erst ab und fängt dann an zu weinen. Sein Leben sei völlig verkorkst und hoffnungslos. Er wisse überhaupt nicht, wie es nach der Schule weitergehen solle. Und ja, er denke darüber nach, sich das Leben zu nehmen. Der Lehrer ruft umgehend Alain Di Gallo an. Der Direktor der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie Basel ist alarmiert. «Ich bestellte Jakob und seine Mutter noch am gleichen Abend in die Klinik», erinnert er sich. Dort erzählt der Junge, dass seine Eltern seit fünf Jahren getrennt seien. Seine Mutter erklärt, sie habe unter dem unerwarteten Fortgang ihres Mannes sehr gelitten und sei kaum noch für ihren Sohn da gewesen. Jakob ist überzeugt, auch seine Freunde würden ihn nicht mehr mögen. Immer mehr hat er sich zurückgezogen und ins Comic-Zeichnen vertieft. Für den Psychiater deutet alles auf eine Depression hin. Geschichten wie die von Jakob gibt es viele. In der Schweizer SMASH-Studie aus dem Jahr 2002 gaben 35 Prozent der Mädchen und knapp 20 Prozent der befrag-

ten Jungen an, sie seien häufiger traurig und deprimiert. «Eine behandlungsbedürftige Depres­ sion hat am Ende nur ein Bruchteil von ihnen», beruhigt Experte Di Gallo. Rund drei Prozent der Kinder und fünf Prozent der Jugendlichen, also etwa eine Person pro Klasse, leiden daran. Das Fatale: Häufig bleiben die Sym­ ptome unerkannt – insbesondere, wenn sie mit dem Eintritt in die Pubertät zusammentreffen. Eltern fällt es dann schwer, zu erkennen, ob der Sprössling die Zimmertür ab-schliesst, weil er sich – wie in diesem Alter völlig gesund – von ihnen abgrenzt oder weil er ernsthaft krank ist.

den. Jetzt gleicht das Gehirn einer Grossbaustelle: Unwichtige Nervenverbindungen werden gekappt, wichtige ausgebaut. Nicht alle Hirnanteile entwickeln sich dabei gleich schnell. Das limbische System und die Amygdala – beides Hirnstrukturen, die Belohnung und Emotionen verschlüsseln – gedeihen schneller als das Stirnhirn. Das wiederum hat eine kontrollierende Funktion, mahnt also zur Ordnung und erinnert an Regeln. Die Suche nach dem Kick

Dieses Ungleichgewicht macht Heranwachsende anfällig für riskantes Verhalten. Jugendliche rasen mit dem Mofa umher, probieren Drogen, betrinken sich und wechseln ihre Geschlechtspartner – immer auf der Suche nach dem ultimativen Kick. «Die Schwelle, bei der ein Reiz das Gefühl >>>

Stimmungsschwankungen

«Gelegentliche Nullbockstimmung und ein schwankendes Selbstwertgefühl während der Pubertät sind völlig normal», meint auch Di Gallo. Gleichzeitig sei diese Lebensphase eine Zeit, in der sich gehäuft psychische Störungen entwickelten. «Negative Gedanken über die eigene Person», so Di Gallo, «können ein Baustein für die Entstehung von Depressionen sein.» Eine Untersuchung der Universität Zürich hat gezeigt, dass Pubertierende besonders rasch auf negatives Feedback reagieren. Das könnte erklären, warum sich Jugendliche alles so sehr zu Herzen nehmen. Während der Pubertät fallen solche negativen Empfindungen auf besonders fruchtbaren Bo-

Wenn das Leben keinen Sinn mehr macht 2014 nahmen sich laut Bundesamt für Statistik 31 Jugendliche zwischen 10 und 19 Jahren das Leben. «Diese Zahl muss uns zu denken geben», sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Alain Di Gallo. Nach Unfällen sind Selbsttötungen hierzulande die häufigste Todesursache bei Jugendlichen. Die Zahl der Suizidversuche schätzen Fachleute noch einmal 100-fach höher. Depressionen sind der stärkste Risikofaktor für einen Suizid: Betroffene Buben und Mädchen hegen oft Selbstmordgedanken. Als Gründe nennen sie Gefühle wie Einsamkeit und sich nicht geliebt fühlen, Wut, Ärger und Enttäuschungen. «Suizidalität muss mit depressiven Jugendlichen offen angesprochen werden. Falls notwendig, werden konkrete Hilfsmassnahmen verbindlich festgelegt», so Di Gallo. Dazu gehöre der Besuch bei einem Spezialisten und auch, zu Hause Waffen und Medikamente unzugänglich zu machen.

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Seele

>>> von Belohnung verschafft, liegt in der Jugend höher als im Erwachsenenalter», führt der 55-jährige Experte aus. «Die Adoleszenz ist wie ein Auto mit vielen PS, das die Jugendlichen zwar starten, aber noch nicht sicher lenken können.» Veranlagung spielt eine Rolle

Für Jungen sind Entwicklungen wie die von Jakob typisch. Sie ver­ stossen gegen Regeln in der Schule und Öffentlichkeit, riskieren mehr beim Sport oder im Strassenverkehr. Mädchen hingegen verletzen sich eher selbst und neigen zu Essstörungen. Psychiater und Psychologen haben die Kriterien für eine Depression klar umrissen. «Wenn Heranwachsende sich mindestens zwei Wochen am Stück von Freunden, Schule, Familie zurückziehen, ihre Freizeitaktivitäten vernachlässigen und ungewohnt bedrückt sind, muss man von einer depressiven Phase ausgehen», so Experte Di Gallo. Anders als Gleichaltrige kämen sie dann nicht mehr aus dem Bett, verweigerten die Schule und brächen den Kontakt mit Freunden ab. Dennoch ist die Diagnose nicht immer einfach: «Es gibt keine eindeutigen Laborwerte oder Anzeichen des Gehirns im Kernspin», erklärt Klinikdirektor Di Gallo. Eine Depression wird in erster Linie anhand der Symptome diagnostiziert. Ausschlaggebend sei

neben der Schwere der Symptomatik vor allem der Zeitfaktor: Das Gefühl der Leere geht einfach nicht mehr weg. Doch warum erkranken manche Kinder und warum überstehen andere diese labile Phase völlig unbeschadet? Untersuchungen zeigen, dass Kinder, die in schwierigen sozialen Bedingungen aufwachsen, gefährdeter sind für psychische Krankheiten. Auch eine genetische Veranlagung spielt eine Rolle. Ist ein Elternteil depressiv, erhöht sich das Risiko des Kindes, zu erkranken, auf 20 Prozent, sind beide Eltern betroffen, auf 50 Prozent. «Die genetische Veranlagung ist aber nicht allein für die Entwicklung von Depressionen verantwortlich», stellt Di Gallo klar. Zu den inneren Faktoren müssen äussere kommen. Einer der häufigsten Gründe ist die Trennung der Eltern. In einer Zeit, in der die Gefühle Achterbahn fahren, sind stabile Beziehungen eben besonders wichtig. Auch Jakob hätte seinen Vater gebraucht – um sich mit ihm als Pubertierender auseinanderzusetzen und um sich mit ihm als Mann zu identifizieren. Mittlerweile verstehen Forscher auch immer besser, dass schon Erlebnisse im Säuglingsund Kleinkindesalter depressive Krisen in der Adoleszenz auslösen können. «Traumatische Trennungen oder Vernachlässigung in der frühen Kindheit können nachhal-

Experten zufolge können Erlebnisse im Kleinkindalter depressive Krisen in der Adoleszenz auslösen. 58

tige Auswirkungen auf die Entwicklung haben», bestätigt Di Gallo. Mitunter reichen die Auslöser sogar noch weiter zurück. Schon während der Schwangerschaft stehen Föten über die Plazenta unter dem Einfluss mütterlicher Stresshormone wie Cortisol. Pränataler Stress hebt beim Ungeborenen den Stresshormonspiegel dauerhaft an und beschleunigt die Hirnreifung, fanden Neurologen der Uniklinik Jena heraus. Stress während der Schwangerschaft gilt deshalb als ein Risikofaktor für eine spätere Depression. Sind Jugendliche denn heute depressiver als noch vor zehn oder zwanzig Jahren? Experte Di Gallo

«Eltern verkennen ihre Rolle» Wenn das Kind sich in der Pubertät in sich zurückzieht, dürfen Eltern nicht lockerlassen. Interview: Constanze Löffler

Frau Walitza, wie deutet sich eine psychische Krise bei Pubertierenden an? Eltern sollten bei neu auftretenden Symptomen hellhörig werden. Vielleicht ist ihr Kind öfter schlecht gelaunt und gereizt oder ungewohnt ernsthaft und traurig. Vielleicht hört es auf, sich am Nachmittag oder Wochenende mit den Kollegen zu treffen. Oder es sackt in der Schule ab, bringt schlechte Noten heim oder verweigert die Schule ganz. Wie sollten Eltern reagieren? Solche Symptome treten auch im Laufe einer normalen pubertären Entwicklung auf. Eltern kennen ihre Kinder am besten. Wenn sie spüren, dass etwas nicht stimmt, sollten sie dem nachgehen und mit dem Nachwuchs reden. Ein offenes

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ist skeptisch. Heute stünden De­­ pressionen mehr im Blickpunkt, seien gesellschaftsfähiger gewor­ den und würden deshalb häufiger diagnostiziert, meint der Kinder­ psychiater. «Die Zeiten sind nicht schlimmer als früher, aber die Herausforderungen an die Jugend haben sich verändert.» So seien die meisten Kinder und Jugend­ lichen zwar leistungswillig. Man­ che hätten jedoch Mühe, ihren eigenen Ansprüchen ge­­recht zu werden, und fühlten sich davon gestresst. Problem Smartphone

Eine Mitschuld tragen auch die neuen Medien. Beispiel Cyber­

Gespräch klärt schnell, ob sie beruhigt sein können oder eingreifen müssen. Was, wenn es eine Krise ist? Eine Pubertät ohne Krisen gibt es nicht! Manche Krisen sind kleiner, andere grös­ ser: Liebeskummer, Schule schwänzen, Erfahrungen mit illegalen Substanzen bis hin zu kleineren Verkehrsdelikten. Die meisten Krisen gehen vorüber. Wenn Eltern allein nicht mehr weiterkommen, gibt es Hilfe: bei der Elternberatung von Pro Juventute, bei kantonalen Familienund Erziehungsberatungen oder dem Notfalldienst der kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken. Wer sind die richtigen Ansprechpartner bei einer möglichen Depression? Wichtig ist vor allem, dass Eltern, Lehrer und Freunde rasch handeln. Haben Eltern den Verdacht, dass Sohn oder Tochter depressiv ist, sollten sie sich zunächst an den Kinderarzt wenden. Geht es dem Nachwuchs nicht bald besser, vereinbaren sie einen Termin bei einem Kinderund Jugendpsychiater oder bei einem auf diese Altersgruppe spezialisierten Psychologen. Reden die Kinder von Suizid,

Auch Mobbing ist ein Risikofaktor für eine Depression.

mobbing: Früher wurde hinter vorgehaltener Hand getuschelt. Heute verbreiten sich Beleidigun­ gen und Gerüchte anonym und rasend schnell im Netz. Rund fünf Prozent aller minderjährigen Schweizer machen die Erfahrung, schwer gemobbt zu werden – ein häufiger Risikofaktor für eine Depression. Auch das ständige Spielen am Handy verändert das So­­ >>>

sollten sie mit ihrem Kind sofort einen Fachmann aufsuchen. Jugendliche, denen es schlecht geht, vertrauen sich übrigens häufig Gleichaltrigen an und bitten sie, das Erzählte für sich zu behalten. Das stürzt die Vertrauensperson in Konflikte. Auch hier helfen die Berater von anonymen Sorgentelefonen weiter. Eine Depression ist sehr ernst zu nehmen und darf nicht bagatellisiert werden. Wie beugen Eltern Krisen vor? Eltern sollten mit ihren Kindern im Gespräch bleiben, indem sie sich ein Thema suchen, mit dem sich das Kind identifiziert. Und auch wenn der Nachwuchs abweisend reagiert und meint, dass man davon nichts verstehe, dürfen Eltern nicht lockerlassen. Studien zeigen, dass Eltern ihre Rolle während der Pubertät ihrer Kinder unterschätzen. Sie haben einen grösseren Einfluss, als sie von sich glauben. Eltern sollten immer zeigen, dass sie für ihr Kind da sind und sich für es interessieren. Wenn Eltern beispielsweise nicht wissen, wo ihr Teenager die Nacht verbringt, finde ich das alarmierend.

Wie können Eltern ihre Kinder stärken? Indem sie dafür sorgen, dass Heranwachsende ein Interesse oder eine Leidenschaft haben, mit der sie sich beschäftigen, wenn es ihnen nicht gut geht. Sie brauchen einen Ersatz, wenn der erste Liebeskummer ausbricht oder es Pro­ bleme mit den Schulkameraden gibt. Fühlt sich ein Kind beispielsweise gemobbt und ausgegrenzt, wird es sich vermutlich nach und nach zurückziehen. Ist das Kind jedoch in einer Sportmannschaft integriert und wird von den Kameraden dort geschätzt, wird es die Ablehnung durch die Mitschüler als weniger bedeutsam empfinden. Andere Kinder reiten, spielen ein Instrument oder zeichnen Mangas – Hauptsache, sie sind mit Leidenschaft bei der Sache.

Susanne Walitza ist Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Zürich.

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Malatavie: Wenn das Leben wehtut In Genf hat die Stiftung Children Action in Zusammenarbeit mit den Universitäts­ spitälern Genf ein einzig­artiges Konzept zur Prävention von selbstmordgefährde­ ten Jugendlichen entwickelt. Text: Claudia Landolt

1994 gründete der gebürtige Franzose Bernard Sabrier, ehemals Chef von Unigestion, einem Vermögensverwalter für Grosskunden wie Pensionskassen und Versicherer, die Stiftung Children Action mit dem Ziel, Kindern in Not zu helfen – in der Schweiz und auch im Ausland. 1996 wurde in Genf in Zusammenarbeit mit den Universitätskliniken eine interdisziplinäre Kriseneinheit zur Prävention und Therapie von Teenies in Nöten, darunter auch selbstmordgefährdete Jugendliche, geschaffen. Die Malatavie (dt. Wenn das Leben wehtut) genannte Kriseneinheit besteht aus einer Präventionsund einer Pflegeabteilung. In der sogenannten Care Unit ist ein multidisziplinäres Team von Experten da, um betroffene Teenager und deren Eltern zu unterstützen, sei dies stationär oder ambulant. Das Ziel dabei ist, den Teenager zur Mitwirkung zu motivieren. Die Präventionsabteilung Preven­tion Unit operiert auf drei Ebenen: jener, die sich ausschliesslich an Jugendliche richtet, einer zweiten, die sich an Risikopersonen adressiert, und schliesslich einer dritten, die sich mittels Aufklärung an die Gesamtbevölkerung wendet. Seit Beginn des in der Schweiz einzigartigen Präventionsprogrammes hat Malatavie Hilfe für 3731 Jugendliche geleistet. Im selben Zeitraum hat die Ados Line, der Telefondienst für Teenies in Not, 7514 Anrufe registriert, wovon 6236 klinische Anliegen behandelt wurden. 2014 wurde die Plattform www.airedados.ch geschaffen, die das Netzwerk rund um sensi­ble Jugendliche stützen und erweitern soll.

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>>> zial­verhalten. Statt mit drei, vier echten Freunden auf dem Sportplatz zu kicken oder sich zum Shoppen zu verabreden, haben Jugendliche mit ein paar hundert Freunden Kontakt – hinter zugezogener Tür. Das ständige Herumtippen am Smartphone oder Bildschirm verändert ihren Tag- und Nachtrhythmus. «Die ex­­z essive nächtliche Nutzung elektronischer Medien ist ein Risikofaktor für Schlafstörungen und Depressionen», erklärt Susanne Walitza, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Zürich. Schlafstörungen selbst können ein Sym­ ptom der Depression sein, aber auch die Entstehung von Depressionen begünstigen. Diese Risikofaktoren lassen sich jedoch positiv beeinflussen, meint die Expertin. «Elterliche Zuwendung, klare Grenzen und ein strukturierter Tagesablauf in Kindheit und Jugend beugen vor.» Nicht immer können sie eine psychische Erkrankung verhindern. Um frühzeitig zu erkennen, ob ein Jugendlicher in eine Depression abrutscht, braucht es die Aufmerksamkeit und Mithilfe aller aus dem Umfeld: Freunde, Eltern und Lehrer. Denn anders als früher gedacht wachsen sich Depressionen und andere psychische Erkrankungen nicht einfach aus. «Eine frühe Diagnose und durchgängige Intervention sind wichtig», erklärt Walitza. «Ansonsten kann sich die Langzeitprognose deutlich verschlechtern.» Studien belegen, was passiert, wenn die therapeutische Chance in der Pubertät vertan wird: Vier von fünf psychisch kranken Erwachsenen waren schon als Jugendliche psychisch labil. Die Therapie jugendlicher De­pressionen unterscheide sich kaum von der depressiver Er-

wachsener, erklärt Walitza, da sich auch die Symptome sehr ähnelten. «Im ersten Schritt klären wir die Jugendlichen über die Erkrankung auf.» Bei leichten Störungen helfe eine Gesprächs- und Verhaltenstherapie, in schwereren Fällen unterstützt durch Medikamente. «Typisch für Depressive ist, dass sie oft alles schwarz sehen und negativ bewerten», erklärt die Kinder- und Jugendpsychiaterin. «In der Therapie bringen wir Ereignisse und Empfindungen in einen realistischen Kontext.» Hat jemand eine Zwei in Mathe, ist er kein Schulversager. Verlässt ihn die Freundin, bedeutet das nicht, dass der Junge nie wieder eine Partnerin haben wird. Sich selbst vertrauen

Die Therapeuten helfen auch dabei, Auslöser aus der Welt zu schaffen. Beispiel Mobbing: «Wir nehmen mit der Schule Kontakt auf und überlegen gemeinsam, wie wir mit der Situation umgehen», so Walitza, selbst Mutter eines Teenagers. Mal fänden Gespräche mit Tätern und Opfer statt, mal würden ganze Klassen einschliesslich der Eltern geschult. Und gelegentlich empfehle sich ein Schulwechsel. «Zentrales Ziel der Therapie ist immer, das Kind zu stärken und es darin anzuleiten, auf sein Können und seine Fähigkeiten zu vertrauen», betont die Expertin. Auch ein stationärer Aufenthalt kann hilfreich sein. Einfach mal rauskommen aus dem deprimierenden Umfeld, weg von den traurigen Gedanken und den Grübeleien. Grossen Wert legt die 47-Jährige darauf, die Kinder nach der Therapie nicht einfach zu entlassen. «Es muss klar sein, wie es in Elternhaus und Schule weitergeht und wo die Therapie ambulant fortgeführt werden kann.»

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Und Jakob? Das Angebot des Professors, in der Klinik zu bleiben, schlug der Junge aus. «Drei Wochen später meldete er sich wieder, weil die innere Anspannung stärker geworden war», erzählt Alain Di Gallo. Dann sei Jakob bereit gewesen für eine ambulante Therapie. Während der wurde ihm klar, wie sehr der Vater ihn durch seinen Weggang und den Kontaktabbruch verletzt hatte – und dass er sich mit ihm treffen wollte. Das Wiedersehen gab ihm die Gelegenheit, dem Vater all seine Wut entgegenzuschleudern. Gleichzeitig war es der Anfang zum Aufbau einer neuen Beziehung. Heute studiert Jakob Kommunikationsdesign. Und die Depression ist eine vergangene Episode in seinem Leben.

Exzessive Internetnutzung ist ein Risikofaktor für Schlafstörungen und Depression. Anlaufstellen

Constanze Löffler findet es beruhigend, dass es für die jugendliche Depression handfeste neurobiologische Erklärungen gibt.

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SCHWEIZER GEMÜSE IST GESUND, FRISCH GEERNTET UND STAMMT AUS DER REGION:

In der Schweiz wächst das ganze Jahr über gesundes Gemüse auf Feldern und in Gewächshäusern. Je nach Saison kann man unterschiedliches erntefrisches oder gelagertes Schweizer Gemüse auf dem Teller geniessen. Die grosse Vielfalt und die Vorteile von Schweizer Gemüse überzeugen durch Frische, nachhaltigen Anbau, kurze Transportwege und hohe Qualität. Die Produkte, welche mit SUISSE GARANTIE oder der Bio-Knospe ausgezeichnet sind, werden streng kontrolliert.

Pro Juventute unterstützt Kinder und Jugendliche in Krisen­situationen rund um die Uhr per Telefon und SMS über 147, im Internet auf www.147.ch. Im Centre d’Etude et Prévention du Suicide (ceps.hug-ge.ch) der Universität Genf sind unter 022 372 42 42 Fachleute 24 Stunden erreichbar. Der Verein Ipsilon (www.ipsilon.ch) ist eine private Initiative, um Suizid zu verhindern.

WETTBEWERB Welches der abgebildeten Gemüse hat im März nicht Saison?

Fenchel

Lauch

Radiesli

Senden Sie uns Ihre Antwort inkl. Postadresse mit dem Betreff «Fritz&Fränzi» an: info@gemuese.ch Unter den richtigen Antworten wird ein saisonaler Gemüsekorb verlost. Interaktiver Saisonkalender: www.gemuese.ch/saisonkalender Rezepte und Tipps: www.gemuese.ch/rezepte /SchweizerGemuese.LegumesSuisses


Seele

Zum einen Ohr rein, zum andern wieder raus? Das muss nicht sein! Plötzlich schreit jemand, und Türen werden geknallt. Kommunikation in der Familie ist eine knifflige Sache, zumal Kinder manchmal auf Durchzug schalten. Fünf Beispiele aus dem Alltag – und wie man es besser machen kann. Text: Claudia Landolt

S

onntagmorgen, irgendwo in der Schweiz. Eine Mutter ruft: «Nein!» Das Kind stellt sich taub. «Wenn nicht, dann …», droht die Mutter. Der Steigerungslauf elterlicher Macht beginnt. Befehle, Drohungen, Ermahnungen. Geschrei, Machtkämpfe, Tränen: Das kennen wir doch alle. Und fragen uns: Muss das sein? Muss es nicht, sagt Kommunikationsexperte René Borbonus. Er sagt: «Respekt ist die Grundlage von funktionierenden Beziehungen. Menschen brauchen Respekt, insbesondere auch im ElternKind-Verhältnis. Wir sehnen uns nach Respekt und leiden, wenn wir ihn nicht erhalten.» Respekt kommt vom Lateinischen respicere und bedeutet: zu­­ rückblicken. «Respektvolle Kommunikation bringt zum Ausdruck, dass wir den andern sehen und seine Meinung respektieren», er­­ klärt Borbonus. Wenn man das tue, dürfe man auch anderer Meinung sein. «Der Punkt aber ist: Wenn wir das Gefühl haben, dass wir mit unserer Meinung oder Idee nicht respektiert werden, ent62

Respektvolle Kommunikation heisst, den andern «zu sehen», sich in ihn hineindenken. stehen Probleme, weil Kommunikation nur schlecht gelingt.» Fünf Beispiele aus dem Alltag 1. Wie geht man mit Vorwürfen um?

Situation: «Nie darf ich ... immer muss ich!» (das Kind). «Wie oft muss sich dir noch sagen, dass … (die Eltern). Resultat: Geschrei und Frustra­ tion. Niemand will nachgeben. Lösung: Zurück auf die Strasse der Sachlichkeit. Sich mit der Frage behelfen: «Worauf beziehst du dich?» «Woran denkst du ganz konkret?» Erklärung: Pauschalisierungen sind respektlos. Wir werden be­­ wertet, das bereitet uns Probleme, sofern es kein Lob ist. Mit der Be­­ ob­­achtung passiert das nicht. Hinter jeder Bewertung steckt eine

Beobachtung. Diese können wir erfragen und so mehr Ruhe ins Gespräch bringen. 2. Wie kommuniziert man respektvoll?

Situation: Das Kind ist nervös oder ängstlich, weil es anderntags eine Prüfung oder einen Auftritt hat. Es sagt: «Ich will nicht in die Schule!» Eltern antworten: «Ach komm, das ist doch nicht so schlimm, das schaffst du schon.» Resultat: Das Kind ist frustriert, fühlt sich nicht ernst genommen. Die Eltern sind genervt. Lösung: Empathisch sein, den andern sehen. Sich ins Kind hineindenken, die Angst sehen und sie thematisieren. Zum Beispiel: «Ja, du bist aufgeregt, du hast Angst, den Text zu vergessen, oder es macht dir Sorgen, dass du dich blamieren könntest.»

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ren es zusätzlich. Das Kind fühlt sich nun doppelt schlecht, zum einen, weil es Angst hat, zum an­ dern, weil es sich in dieser Angst falsch wähnt, weil es als Einziges Angst hat, mit diesem Gefühl also offenbar auch nicht richtig liegt.

Bild: Alain Laboile

3. Welche Aussagen sollte man in der Familie vermeiden?

Eltern sind manchmal unfrewillig respektlos, indem sie bagatellisieren.

Erklärung: Eltern neigen manch­ mal dazu, unfreiwillig respektlos zu sein, indem sie bagatellisieren und sagen: «Komm, ist doch nicht so schlimm, das schaffst du schon, du hast ja schon ganz andere Sa­­ chen geschafft, ein Beinbruch wär jetzt schlimmer.» Das ist gut ge­­ meint, allerdings bedeutet es in Wahrheit: den andern nicht sehen. Wir sehen das Gefühl nicht, wir ba­­gatellisieren es und delegitimie­

Situation: Der Vater ist im Bade­ zimmer und putzt sich die Zähne. Routinemässig überprüft er die Zahnbürste des Sohnes. Sie ist tro­ cken. Er ruft in das Zimmer des Sohnes: «Sag mal, hast du dir die Zähne geputzt?» Das Kind ruft zurück: «Ja, klar.» Der Vater zitiert ihn ins Bad und bringt ihn dazu, die Zähne zu putzen. Resultat: Das Kind gehorcht, der Vater hat seine erzieherische Auf­ gabe erfüllt. Besonders gut fühlen sich aber beide nicht. Denn fak­ tisch hat der Vater seinen Sohn als Lügner entlarvt («Du hast dir dei­ ne Zähne ja gar nicht geputzt!»). Lösung: «Kind, du hast dir deine Zähne noch nicht geputzt, komm bitte ins Bad, Zähne putzen.» Erklärung: Der Vater hat die Kon­ sistenz seines Kindes in Frage ge­­ stellt, also auch dessen Glaubwür­ digkeit. So entstehen in der Regel keine wirklich guten Gespräche. 4. Diskutieren wir zu viel?

Situation: Die Mutter fragt das Kind nach der Schule: «Möchtest du nicht lieber zuerst Hausaufga­ ben machen?» Das Kind antwor­ tet: «Nein.» Nach längerer Diskus­ sion sagt die Mutter: «Du machst zuerst die Hausaufgaben und gehst dann Fussball spielen.» Resultat: Das Kind ist verwirrt, die Mutter verärgert. Lösung: Sich klar werden, welches Ergebnis man will. Eine klare Aus­ sage machen, ohne Begründung. Erklärung: Wir stellen zu viele Fragen. Damit verwirren >>>

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Seele

>>> wir unsere Kinder. Wenn das Kind auf obige Frage mit Nein antwortet und ich seine Entscheidung korrigiere, respektiere ich seine Entscheidung nicht. Mit meiner Frage habe ich streng genommen dem Kind einen Entscheidungsrahmen übergeben, den ich eigentlich gar nicht übergeben wollte, weil ich ja gerne hätte, dass es so entscheidet, wie ich will. 5. M uss man ein «Nein» begründen?

Situation: Kind: «Papa, ich möchte noch ein Gummibärchen.» Vater: «Nein, du hattest schon welche.» Kind: «Aber nur drei, und die waren alle weiss.» Resultat: Der Vater ist ratlos. Lösung: Ein Nein nicht begründen, sondern drei Schritte weiterdenken. Sagen: «Ja, Gummibärchen, das wär jetzt toll, würd ich auch gern essen, am liebsten einen ganzen Haufen. Das geht jetzt aber nicht, denn wir essen gleich. Frag mich doch nach dem Abendessen nochmals.» Erklärung: Man sollte es vermeiden, ein Nein zu begründen, weil man sich damit auf weitere Diskussionen einlässt, die ärgerlich sein können. Begründet man ein Nein, geht es nur noch um den Grund, nicht um das Nein. Besser: Einen alternativen Impuls setzen und sagen: Frag mich nach dem Essen nochmals. So bleibt die Energie im Spiel. Schlimmstenfalls fragt dann das Kind: Warum nicht? Dann kann man es begründen, muss es aber nicht. Begründet 64

man es aber, ist man da, wo man immer schon war. René Borbonus über …

… Entschuldigungen: Eines der mächtigsten Instrumente in der Kommunikation. Wenn man sich richtig, aufrichtig und gut entschuldigt, hat das sehr viel Kraft. Eine gute Entschuldigung braucht drei Dinge. Erstens: die Reue. Wenn man glaubwürdig bereut, stellt das sofort wieder Vertrauen her. Zweitens: die Empathie. Dass man sagt, das hat dich getroffen, jetzt bist du traurig. Drittens: einen Plan. Glaubhaft versichern, dass es so nicht mehr vorkommt. ... Vergleiche: Wir kritisieren oft, indem wir vergleichen: «Guck mal, wie schön Anna ihr Zimmer aufgeräumt hat!» «Der Nicolas spielt so toll Klavier, er übt jeden Tag.» Was wir damit bei unseren Kindern erreichen, ist, dass sie Anna oder Nicolas abgrundtief hassen. … unechte Fragen: «Warum liegt denn dein Jacke am Boden?» Die Frage ist rein rhetorisch, denn es geht um etwas anderes: Die Jacke soll aufgehängt werden. Hintenrum verpackte Kritik nervt. … Forderungen: «Alle anderen dürfen, nur ich nicht.» Hier gehts nur über Emotionen. Also sagen: «Ja, das wär jetzt toll, zehn Stunden lang am Stück zu gamen. Und jetzt bist du wütend, weil du das unfair findest. Ich möchte dir aber gerne zeigen, wie ich das sehe.» Dann die Verhandlungen starten. In dem Bereich, der einem wichtig ist, jedoch unnachgiebig bleiben.

… Konflikte: Kinder brauchen Konflikte. Das ist anstrengend und kann auch verletzen. Aber ich halte es für einen Fehler, dass Eltern Konflikte und Eskalationen vermeiden möchten. Viele Eltern sind gefangen in diesem Wellness-Anspruch. Wir sind unseren Kindern einen Streit schuldig, selbst wenn sie uns dann ein «Ich hasse dich!» entgegenschleudern oder als «schlimmste Mutter / schlimmsten Vater der Welt» bezeichnen. Das gilt es auszuhalten. Wichtig ist: Man sollte sich davon nicht beeindrucken lassen. Der hormonelle Nebel legt sich wieder. >>>

Eltern stellen oft zu viele Fragen. Damit verwirren wir unsere Kinder.

René Borbonus

studierte Germanistik, Psychologie und Politik, ist ehemaliger Redenschreiber und arbeitet heute als Redner, Rhetoriker und Kommunikationstrainer. Er lebt in Deutschland, ist verheiratet und hat zwei Söhne. www.rene-borbonus.de

Wie kommuniziere ich richtig – vier Tipps • Kurz sprechen. Je mehr wir sagen, desto mehr Widerstände bauen sich auf. • Einfache Sprache. Keine Worte benutzen, die der andere nicht kennt. Gerade Kinder fragen oft nicht nach, weil sie sich keine Blösse geben wollen. • Strukturiert vorgehen. Also erst den Grund sagen, dann das Ziel. • Struktur hörbar machen. Also mündlich Absätze machen, wie wenn man es schriftlich auch tun würde. Die drei Ideen oder die drei Aspekte zum Beispiel erwähnen.

März 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial


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Einmal täglich eine Stunde Wenn Sie an Ihre Kindheit zurückdenken – woran erinnern Sie sich am ehesten? Daran, dass Sie immer viel zu früh ins Bett mussten? An Schulstunden, während denen Sie stillsitzen mussten? Oder vielleicht doch an die wilden Fangis-Partien im Garten mit den Nachbarskindern? Kinder wollen sich bewegen – ständig und überall. Doch diesem Bewegungsdrang Raum zu geben, ist nicht immer ganz einfach. Die Lebenswelten haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert. In Dörfern und Städten werden die Grünflächen immer kleiner. Auf den Quartierstrassen herrscht mehr Verkehr als Eltern lieb ist. Dabei wäre Bewegung so wichtig für Gesundheit und Wohlbefinden. Und zwar nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Zweieinhalb Stunden pro Woche sollte sich eine erwachsene Person mindestens so intensiv bewegen, dass sich ihre Atmung beschleunigt. Die aktuellste schweizerische Gesundheitsbefragung zeigt, dass mehr als ein Viertel der Personen im Alter von 15 bis 74 Jahren diese Bewegungsempfehlungen nicht erreichen. Bei Kindern ist es noch besorgniserregender: Sie sollten sich täglich mindestens eine Stunde bewegen können – drei Viertel aller Kinder tun das jedoch nicht.

Im Gleichgewicht mit der Oma Bis ins hohe Alter hilft regelmässige Bewegung, modernen Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder Übergewicht vorzubeugen. Weshalb also nicht die tägliche Bewegung zu einem Freizeitspass für die ganze Familie machen? Um dies zu erleichtern, hat die EGK-Gesundheitskasse den Ratgeber «Bewegung, Spiel und Spass in der ganzen Familie» entwickelt. Dieser fasst nicht nur spannende Daten und Fakten zu Bewegung und Gesundheit bei Kindern, Eltern und Grosseltern zusammen. Ein Praxisteil liefert zahlreiche Anleitungen und Inspirationen, wie Kinder mit ihren Gspänli, Eltern oder Grosseltern die Freude an Bewegung (wieder) entdecken können. Erleichtert wird die Umsetzung durch Beispielvideos, die

unter anderem in Zusammenarbeit mit der EGK-Gesundheitsbotschafterin Simone NiggliLuder und deren Familie entstanden sind. Die spielerischen Aktivitäten sind dabei auf die Bedürfnisse der jeweiligen Altersgruppe abgestimmt, wie Sportwissenschaftler Lukas Zahner vom Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel erklärt. «Kinder entwickeln ihren Gleichgewichtssinn erst, während er bei Senioren schon wieder abnimmt», so der Experte, der bei der Konzeption des Ratgebers federführend zur Seite stand. «Dadurch ist es sinnvoll, wenn beide Generationen den Gleichgewichtssinn mit gemeinsamen Spielen trainieren.»

Der Ratgeber «Bewegung, Spiel und Spass in der ganzen Familie» ist unter www.egk.ch/shop erhältlich und kostet für EGK-Versicherte CHF 18.–, für Nicht-EGK-Versicherte CHF 25.–. 118 Seiten, broschiert.

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Service

Literatur zum Thema Das wirft mich nicht um. Mit Resilienz stark durchs Leben gehen. Wie Krisen überstehen und in schwierigen Situationen stark bleiben? Dem Känguruh fällt dies leicht: Es reagiert flexibel auf die Umgebung. Jutta Haller erklärt anhand der Känguruh-Qualitäten, wie wir Widerstandskraft entwickeln. Kösel, 2015, 48 Seiten, ca. 11 Fr.

Glück kann man lernen. Was Kinder stark fürs Leben macht. Der Lehrer, Psychologe und Schulleiter Ernst Fritz-Schubert hat das Schulfach Glück erfunden und in Deutschland und im Ausland erfolgreich umgesetzt. Er erklärt, wie man die Potenziale der Kinder entdeckt und so erreicht, dass sie an sich selbst glauben. Denn nur aus starken Kindern werden glückliche Menschen. Ullstein Taschenbuch, 2011, 240 Seiten, ca. 11 Fr.

Links • Multifokale Theorie / Augusto Cury: www.augustocury.com.br

Klarheit. Der Schlüssel zur besseren Kommunikation. Wir kommunizieren immer häufiger und auf unterschiedlichen Kanälen. Gleichzeitig leiden die Klarheit unserer Botschaften, und es kommt zu Missverständnissen und Streit. René Borbonus erklärt, wie wir in Beruf und Familie klarer kommunizieren. Econ, 2015, 256 Seiten, ca. 20 Fr.

Essen ist Kommunikation. Esskultur und Ernährung für eine Welt mit Zukunft.

Die Professorin für Ernährungswissenschaft Ines Heindl untersucht, was und vor allem wie in verschiedenen Kulturen gegessen und getrunken wird. Es ist auch ein «Mutmachbuch», weil es Auswege aus der gängigen Ernährungsaufklärung zeigt. Umschau Zeitschriftenverlag, 2016, 216 Seiten, ca. 23 Fr.

• Glücksforschung: www.fritz-schubert-institut.de • Eltern-Kind-Bindung: www.elter-kind-bindung.net

• Leistungsförderung durch bewusste Ernährung (Forschung): www.uni-flensburg.de, Stichwort: Ines Heindl

• Schlafen und Lernen: www.fritz-schubert-institut.de

• Depressionen, Suizid und Prävention: www.hug-ge.ch, Stichwort: malatavie-unite-crise

• Achtsamkeit und Meditation für Kinder: www.kadampa.ch

Impressum Herausgeber Stiftung Elternsein, Seehofstrasse 6, 8008 Zürich www.elternsein.ch Redaktion Chefredaktor: Nik Niethammer, n.niethammer@fritzundfraenzi.ch Verantwortlich für diese Ausgabe: Nik Niethammer, Claudia Landolt

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Verlag Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich, Tel. 044 277 72 62, info@fritzundfraenzi.ch, verlag@fritzundfraenzi.ch, www.fritzundfraenzi.ch Business Development & Marketing Leiter: Tobias Winterberg, t.winterberg@fritzundfraenzi.ch

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Korrektorat Brunner Medien AG, Kriens, www.bag.ch Auflage: 101 725

Heftsponsoren Credit Suisse (Schweiz) AG

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HERZLICH WILLKOMMEN auf dem Bauernhof !

Stallvisite: Besuchen Sie uns das ganze Jahr hindurch auf dem Hof Wählen Sie aus über 300 Bauernhöfen in der ganzen Schweiz Entdecken Sie, was der Bauernhof Spannendes für Sie hergibt Geniessen Sie ein kostenloses Erlebnis für die ganze Familie Woher kommt mein Essen? Wir achten immer mehr auf die Herkunft und die Produktionsweise von Lebensmitteln, doch haben wir immer weniger den direkten Kontakt zu den Bauernfamilien. «Stallvisite» setzt einen Kontrapunkt: Sie macht die Herkunft von Milch, Fleisch und Eiern erlebbar und macht transparent, wo diese Lebensmittel herkommen und wie sie entstehen.

Ab, auf den Hof! Besuchen auch Sie einen Betrieb in Ihrer Nähe. Die Begrüssungstafel auf jedem Hof zeigt die individuellen Öffnungszeiten der Höfe für Besucher an. Ist die Bauernfamilie vor Ort, gibt sie gerne und kompetent Antwort auf Fragen rund um den Betrieb. Der Besuch ist kostenlos. Alle Stallvisite-Betriebe und weitere wichtige Informationen sind online auf www.stallvisite.ch zu finden. Haben Sie fragen? info@lid.ch / 031 359 59 77 / Stallvisite.ch


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