Fr. 7.50 3/März 2017
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H E ITS G ESU N D
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ht D a s m a ca r k t Ki n d e r s 68 Seite
Warum Konflikte wichtig sind
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Lass uns streiten!
Psychische Gewalt Wenn Eltern ihre Kinder demütigen Jesper Juul Macht Kriegsspielzeug Kinder aggressiv?
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Editorial
Bild: Geri Born
Liebe Leserin, lieber Leser
Nik Niethammer Chefredaktor
Er ist der bekannteste Familientherapeut Europas. Aber von seinem schweren Schicksalsschlag wissen nur wenige. Jesper Juul leidet an einer Autoimmun krankheit, die seine Rückenmarksflüssigkeit entzündet hat. Er lag im Koma, verbrachte 18 Monate in einer Rehaklinik, verlor nach einem Luftröhrenschnitt seine Stimme. Heute ist Juul vom Brustkorb abwärts gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Seine Schaffenskraft aber ist ungebrochen. Davon können Sie sich in diesem Heft gleich zweimal überzeugen: im Interview mit meiner Kollegin Sandra Casalini zum Dossier-Thema «Lass uns streiten!» (Seite 22). Und in seiner Kolumne «Macht Kriegsspielzeug Kinder aggressiv?» (Seite 44). Dem Familientherapeuten geht die Euphorie seiner Fans manchmal zu weit. Für Erzieherinnen, die einen «JuulKindergarten» gründen wollen, und Eltern, die ihre Kinder stets im «Juul’schen Sinn» erziehen, hat Juul wenig übrig: «Da kann ich nur sagen: arme Kinder!»
«In einer Familie, die nicht nur aus Mumien besteht, gehören Konflikte dazu.» Reinhard Mey, deutscher Liedermacher
Es ist der Wunsch aller Eltern: ein gesundes Kind, das die Herausforderungen des Lebens meistert, ein gutes Selbstwert gefühl entwickelt, achtsam und respektvoll mit seinen Mitmenschen umgeht. «Das macht Kinder stark» lautet der Titel eines «Gesundheits-Spezials», das dieser Ausgabe erstmals beiliegt. Claudia Landolt, leitende Autorin beim Schweizer ElternMagazin, hat über vier Monate an diesem Heft gearbeitet. Ihre Kernbotschaft: «Wir Eltern sind stets aufs Neue gefordert, unsere Kinder darin zu unterstützen, ihre Stärken zu entdecken, ohne sich für ihre Schwächen zu schämen.»
Nun wünsche ich Ihnen viel Lesevergnügen. Ausgewählte Geschichten aus dem Heft und Texte, die wir nur online publizieren, finden Sie wie gewohnt auf unserer Webseite unter www.fritzundfraenzi.ch. Herzlichst, Ihr Nik Niethammer
850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org
Bild: Alain Laboile
Mit zu meinen schönsten Aufgaben als Chefredaktor gehört der Dialog mit Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser. Vielleicht können Sie erahnen, wie sehr wir uns über die Resultate der kürzlich durchgeführten Leserbefragung gefreut haben. Wie es scheint, machen wir vieles richtig: Drei Viertel aller Befragten beurteilen unser Magazin als «sehr gut». Über 90 Prozent geben an, dass ihnen unsere Inhalte im täglichen Familienleben helfen. Die für mich eindrücklichste Zahl: Fast jeder zweite der insgesamt 1009 Teilnehmer der Umfrage gab an, mindestens 10 Beiträge pro Ausgabe zu lesen. Das sind Werte, von denen andere Titel nur träumen können. Vielen herzlichen Dank für Ihr Vertrauen! Bleiben Sie uns gewogen. Und empfehlen Sie uns weiter, wenn Sie mögen.
«Gesundheits-Spezial» 68 Seiten
Inhalt Ausgabe 3 / März 2017
Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf fritzundfraenzi.ch und
facebook.com/fritzundfraenzi. Augmented Reality
Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und Zusatzinformationen zu den Artikeln.
Psychologie & Gesellschaft 38 K ein Kontakt Wenn Eltern sich trennen, ist das für Kinder meist schwer. Manchmal brechen sie den Kontakt zu einem der beiden Elternteile sogar ab. 42 Ein lehrreicher Weg Kinder machen auf dem Weg zur Schule viele Erfahrungen – nicht alle sind positiv.
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Dossier: Konflikte
22 Keine Angst vor Gefühlen Eltern müssen ihre Werte heute klar vorleben und sich den Konflikten mit ihren Kindern stellen, fordert der dänische Familientherapeut Jesper Juul. 30 Kann man aus Konflikten lernen? Und ob, sagt Annette Cina. Zum Beispiel Kompromisse zu schliessen. Die Psychotherapeutin im Interview.
Bild: Anne Gabriel-Jürgens
Cover Gestritten wird in jeder Familie. Doch wie geht man konstruktiv mit schlechter Stimmung um? Konflikte, unser Dossier-Thema im März. 4
Bilder: Ornella Cacace / 13 Photo, Ruben Wyttenbach / 13 Photo, Stefanie Neumann / Plainpicture, Mara Truog / 13 Photo
10 Vom Streiten und Versöhnen Streit kommt in den besten Familien vor und ist per se nichts Schlechtes – vorausgesetzt, man streitet richtig, sagen Experten.
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Wie sehr können Worte unsere Kinder verletzen, Franz Ziegler?
Kinder von alkoholkranken Eltern haben es schwer, verlässliche Beziehungen einzugehen.
Giulias Mutter hatte Krebs – und wurde vom Teenager zu Hause gepflegt.
Erziehung & Schule
74 Chatroom statt Couch? In der Psychotherapie von Jugendlichen spielen neue Medien heute eine wichtige Rolle.
52 Fabian Grolimund Was braucht ein Kind, um selbständig zu werden? Ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinen Eltern.
78 S treit ums Smartphone Mit dem ersten Smartphone des Kindes beginnen die Diskussionen – Eltern sollten sie führen!
64 Leserbriefe
46 Wenn Eltern trinken Suchtverhalten kann verheerende Folgen haben – auch für die Kinder. 50 Ganz schön kreativ So viel Spass machen Kindern Schreibexperimente. 54 Bangen um Mama Young Carers sind Jugendliche, die ein krankes Familienmitglied pflegen – wie Giulia. Eine Reportage. 62 Vom guten Lehrer Das Vertrauen in die Lehrer schwindet, warum eigentlich?
Ernährung & Gesundheit 66 Der legale Trip High werden mit Hustensaft, Badezusatz, Duftpulver – das ist nicht ungefährlich.
Digital & Medial 70 Die virtuelle Welt Eignen sich die beliebten VR-Brillen auch für Kinder?
76 Stiftung Elternsein Ellen Ringier über das, was wirklich zählt im Leben, die Familie.
79 Mixed Media
Rubriken 03 Editorial 06 Entdecken 32 M onatsinterview Beschimpfen, ignorieren, drohen – psychische Gewalt ist die häufigste Form von Gewalt gegen Kinder, sagt Psychologe Franz Ziegler. 44 Jesper Juul Die Aggression ist ein Teil unserer Emotionen. Aber was tun, wenn der Sohn immer Krieg spielt? 51 Mikael Krogerus Verständnis für genervte Eltern.
Service 80 Sponsoren/Impressum 80 Verlosung 81 Buchtipps 82 Eine Frage – drei Meinungen Die Tochter einer Leserin hat Angst vor Dieben. Was soll die Mutter dem Mädchen sagen, ohne es anzulügen? 83 Abo
Die nächste Ausgabe erscheint am 6. April 2017.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 5
Entdecken
Wir schauen hin! Das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht ist seit vier Jahren in Kraft. Obwohl die KESB, die zuständige Behörde, laut Studien ihre Arbeit gut macht, gibt es ihr gegenüber zum Teil Misstrauen. Deshalb haben sechs Organisationen, die im Kindes- und Erwachsenenschutz aktiv sind, die Anlaufstelle KESCHA aufgebaut. Ihr Ziel: Betroffenen Eltern im Umgang mit der KESB zur Seite stehen. www.kescha.ch
3 FRAGEN «Ich bin gerührt, wie gut das Buch ankommt» Er ist der Landesheilige der Schweiz, sie die vierfache Mutter und Künstlerin. Verbunden sind sie durch ein Buch, das Mariann Wenger über das Leben von Niklaus von Flüe, genannt Bruder Klaus, gezeichnet hat. Erschienen ist es zum 600-jährigen Jubiläum des Landespatrons im Canisi-Verlag. Interview: Evelin Hartmann
24 % der Schweizer wollen am Stadtrand, 23 % in der Agglomeration leben. Also zentral, aber unweit der
(45,5 %). Im Dorf wollen sich nur 15,7 % niederlassen, und der Blick auf Felder begeistert gerade mal 2,6 %. Natur – und am liebsten mit Seesicht
(Quelle: Wohntraumstudie 2016/17 von Moneypark und AlaCasa.ch)
Mariann Wenger, wie kam es zu diesem Buch? Als gestresste Mutter war ich einmal im Kloster Bethanien in St. Niklausen in Obwalden zur Kur. Dort in der Nähe hatte sich das Leben des Bruder Klaus abgespielt. Bis ich dieses Buch angegangen bin, hat es jedoch Jahrzehnte gedauert. Was war der Auslöser? Irgendwann kam in mir der Wunsch auf, neben der Malerei auch Comics zu zeichnen, eine fortlaufende Geschichte. Und am 16. Oktober, dem Geburtstag einer meiner Söhne, wusste ich auf einmal, welche Geschichte das sein könnte. Warum ist dieses Datum so wichtig? An einem 16. Oktober ist Bruder Klaus in die Einsamkeit gegangen. Sieben Jahre habe ich an diesem Buch gearbeitet, bin immer wieder in sein Leben eingetaucht, habe sein Haus besucht, bin zu Recherche zwecken ins Landesmuseum gefahren. Ich nahm mir dazu die Zeit. Jetzt bin ich gerührt darüber, wie gut es ankommt. Dass mir Eltern rückmelden, dass sie es mit ihren Kindern anschauen, finde ich schön.
Eine Spitzmaus aus Wolle, ein grüner Löwe aus Karton. Wie bitte, ein Löwe aus Karton, gibt’s so etwas? Und ob! Der Fantasie sind im K’Werk, der Bildschule für Kinder und Jugendliche zwischen 4 und 16 Jahren, keine Grenzen gesetzt. K’ steht dabei für Kinder, Kunst, Kreativität und Kultur. Hier werden tolle Kurse in den Bereichen Malerei, Zeichnen, 3D-Gestaltung und Foto angeboten. Sie wohnen nicht in Zürich? Das K’Werk ist der «Konferenz Bildschulen Schweiz» angeschlossen, der auch das K’Werk Basel, Bern / Biel und Zug sowie die Bildschule Aarau und die kleine kunstschule St. Gallen angehören. Einfach mal vorbeischauen!
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Für junge Künstler
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Bilder: ZVG
an Mariann Wenger, Künstlerin
«Es gibt leider immer wieder Eltern, die das Schwänzen ihrer Kinder tolerieren und es ihnen erlauben, sich mit einer Ausrede wie etwa ‹Kopfschmerzen› zu entschuldigen.» Lilo Lätzsch in einem Beitrag auf 20min.ch zum Thema Schulschwänzen an Schweizer Schulen.
Lilo Lätzsch ist Präsidentin des Zürcher Lehrerverbandes.
Du und ich Jugendliche drehen sich vor allem um eins: sich selbst. Das ist normal. Um aber zu erfahren, wie sich andere fühlen, hat der Verein Fly mit Rückenwind das Projekt Fly ins Leben gerufen, in dem Teenager ein Schuljahr lang zwei bis vier Stunden pro Woche Primarschüler oder Kindergartenkinder betreuen. Per individuellem Videocoaching auf der Grundlage der Erziehungsmethode Marte Meo werden die Jugendlichen begleitet und geschult. Eine Schule, die bereits zum fünften Mal teilnimmt, ist das Oberstufenzentrum Madretsch in Biel. Alle Infos auf www.flymitrueckenwind.ch
Wasser ist Leben Wie viel Wasser ist notwendig, um die Nahrungsmittel und die Gegenstände für unseren täglichen Gebrauch herzustellen? Wem gehört überhaupt das Wasser, und was ist ein «hydrologischer Fussabdruck»? Diese und noch mehr Fragen möchte die Umweltarena Spreitenbach ihren Besuchern beantworten – anschaulich und intelligent aufbereitet durch die Ausstellung «Unser Wasser» der Stiftung Cap Santé. Alle Infos auf www.umweltarena.ch
Mary Poppins Sie trägt ihr Haar immer zum Dutt, fliegt mit einem Regenschirm durch die Gegend und ist wohl das berühmteste Kindermädchen der Welt: Mary Poppins. Im März feiert das preisgekrönte gleichnamige Musical Premiere in der Schweiz und verwandelt das Theater 11 in Zürich in die magische Welt der liebenswerten Nanny, die bei der Familie Banks anheuert. Die Eltern haben ihre Kinder Jane und Michael nicht mehr unter Kontrolle und sind auf der Suche nach einem neuen Kindermädchen. Je strenger, desto besser. Da taucht wie aus dem Nichts eine geheimnisvolle junge Frau namens Mary Poppins auf. Ein zauberhaftes Musical für die ganze Familie, noch zu sehen bis zum 19. März im Theater 11. www.musical.ch/de/theater11zuerich
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 7
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Dossier
Dossier
Wie streitet man richtig? Konflikte kommen in jeder Familie vor und sind an sich nichts Schlechtes. Entscheidend ist die Art und Weise, wie ein Streit ausgetragen wird. Wie Konflikte entstehen, wie wir sie beenden und warum sie uns weiterbringen, versucht dieses Dossier zu ergründen.
Bild: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo
Text: Sandra Casalini Bilder: Anne Gabriel-Jürgens, Ornella Cacace, Christian Nilson
Streitregel Nummer 1: Nie gegen jemanden, sondern immer für etwas kämpfen.
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Dossier
man erst dann von einem Konflikt, wenn jemand diese Differenzen so erlebt, dass er sich im Verwirklichen dessen, was er denkt, fühlt oder will, von jemand anderem beeinträchtigt fühlt. Es wird also auch dann von einem Konflikt gesprochen, wenn dies nur die eine Partei so erlebt, während sich die andere noch in einer total «problemfreien Zone» wähnt. Palette an Gefühlen
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in Konflikt (lateinisch confligere, «zusammen treffen, kämpfen») ist eine «schwierige Situa tion infolge des Aufein anderprallens unterschiedlicher Interessen, Forderungen und Mei nungen.» So umschreibt der Duden das Wort «Konflikt». Fachleute stehen dieser Defini tion allerdings skeptisch gegenüber. «Verschiedene oder gegensätzliche Vorstellungen, Ideen, Gefühle, Wer te oder Ziele sind an sich noch keine Konflikte», schreibt der österreichi sche Konfliktforscher Friedrich Glasl im Buch «Wie Familienmedia tion gelingen kann». «Es kommt darauf an, wie wir mit den Unter schieden umgehen, ob daraus ein sozialer Konflikt entsteht oder nicht.» In der Forschung spricht
Ein Konflikt entsteht, wenn eine andere Person den eigenen Zielen und Bedürfnissen im Weg steht. 12
Wie aber entsteht aus einer alltägli chen Meinungsverschiedenheit ein Konflikt? «Indem man gewahr wird, dass die Bedürfnisse und Ziele einer anderen Person den eigenen Zielen oder Bedürfnissen im Weg steht», sagt Familienforscher Dominik Schöbi, Direktor des Institutes für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg. Sprich: Wenn die Mutter die Unordnung im Zimmer der Tochter als «Puff» empfindet, während sie sich dort vollkommen wohl fühlt, haben sie per definitionem noch kei nen Konflikt. Dieser entsteht erst dann, wenn die Mutter der Tochter befiehlt, sofort aufzuräumen, sie aber weiter am Handy chatten möchte. Die Tochter wird also gewahr, dass das Bedürfnis ihrer Mutter nach sofortiger Ordnung ihrem eigenen Bedürfnis (Chatten) im Weg steht. Ist die Konfliktsituation erst ein mal da, geht es meist nicht mehr nur um deren Auslöser – das «Puff» im Zimmer – sondern je länger, je mehr um eine ganze Palette an Gefühlen, von Unsicherheit über Ärger bis hin zu unkontrollierbarer Wut: «Unsere psychischen Fähigkeiten werden wesentlich eingeschränkt, wenn wir unter Druck, Spannung und Stress stehen, wie das bei einem Konflikt der Fall ist», sagt Friedrich Glasl. «Unsere Wahrnehmungsfähigkeit, unser Denkvermögen, unser Um gang mit Emotionen und auch das Bewusstsein für das, was uns treibt, werden einseitig. Das führt >>>
Streitregel Nummer 2: Nach einer Auszeit gehts meistens ruhiger weiter.
Bild: Ornella Cacace / 13 Photo
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 13
Dossier
«Keinen Bock auf Diskussionen» Antoinette Masi lebt mit Jeron, 16, und Elisha, 14, in Suhr AG. Die alleinerziehende Mutter hat noch zwei erwachsene Töchter, Nea, 25, und Dara, 23, die nicht mehr zu Hause wohnen.
Bild: Christian Nilson / 13 Photo
Antoinette: Wir drei leben gewissermassen in einer WG-Situation zusammen. Streit gibts fast ausschliesslich beim Thema Ordnung. Jeron: Wenn Elisha und ich allein zu Hause sind und niemand etwas sagt, lassen wir die schmutzigen Teller halt in der Küche stehen. Dann gibts Ärger, Mami kann auch etwas lauter werden. Ich geh dann in mein Zimmer. Irgendwann räumt schon jemand auf. Antoinette: Aber ich muss etwas sagen, sonst dauerts bei dir wochenlang, bis du dich mal rührst. Jeron: Das stimmt gar nicht! Ausserdem ist Elisha nicht besser. Sie schweigt einfach, wenn du was sagst, und macht gar nichts.
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Elisha: Doch. Ich räume dann auf, wenn mich der Dreck stört. Es ist ja mein Zimmer, und ich muss darin wohnen, nicht du, Mami. Antoinette: Aber wenn ich das Gefühl habe, da krabbeln gleich Viecher aus dem Dreck in euren Zimmern, geht es auch mich etwas an, oder? Am schwierigsten finde ich aber die Ferien. Wenn ich nach Hause komme und weiss, ihr liegt seit Stunden hier rum, und es herrscht ein Riesenpuff, nerve ich mich schon. Aber schreien mag ich nicht, das macht einen nur noch machtloser. Jeron: Ich weiss ja auch, was dich aufregt, aber ich habe keinen Bock auf Diskussionen. Das muss ich mir nicht antun, mich volllabern zu lassen. Ich gehe dann einfach weg. Antoinette: Du bist konfliktscheu. Das bin ich ehrlich gesagt auch. Aber manchmal muss man euch gewisse Dinge halt erklären. Zum Beispiel wenn es um deine ComputerGames geht. Jeron: Das will ich gar nicht hören, weil du eh immer das Gleiche sagst. Das macht mich so hässig, dass ich gar nichts mehr sage. Antoinette: Dabei seid ihr ja eigentlich recht friedliche Teenager. Mit Nea und Dara wars schwieriger. Dass ich mit euch weniger
Diskussionen habe, liegt sicher daran, dass ich heute gelassener bin. Aber auch daran, dass jeder ein Handy hat und ich euch immer erreichen kann. Jeron: Weisst du, was mich nervt? Wenn ich am Gamen bin und du immer wieder sagst, ich solle aufhören und mal rausgehen. Ich will nicht rausgehen. Andere Eltern wären froh, wenn ihre Kinder nicht dauernd im Ausgang herumhängen würden. Elisha: Stimmt, du checkst manche Dinge einfach nicht. Zum Beispiel, dass ich Horrorfilme einfach mag. Die sind lustig! Ich habe keine Angstzustände, wenn ich sowas sehe. Jeron: Und manchmal wollen wir einfach über gewisse Sachen nicht reden. Wenn ich gerade auf Netflix eine Serie schaue, musst du mich nicht vollquatschen. Du erzählst eh immer das Gleiche. Dass ich den Kontakt zu anderen Leuten verliere, wenn ich immer zu Hause hocke. Aber das stimmt nicht. Ich kommuniziere von zu Hause aus. Diese Unterhaltung führen wir alle paar Wochen. Antoinette: Wenn ich ein Thema wichtig finde, schneide ich es an, wenn ich allein mit dem betreffenden Kind im Auto bin. Da kann es nicht weglaufen.
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier
Immer über die gleichen Dinge zu streiten, ermüdet. Regeln geben eine gute Orientierung. Vor allem für Teenager.
>>> zu immer einfältigeren Handlungsmustern auf beiden Seiten. Wir fallen in alte Muster zurück, die eigentlich nicht mehr zu unserem jetzigen Entwicklungsstand passen.» Die Mutter reagiert auf die Weigerung der Tochter, aufzuräumen, indem sie laut wird, weil sie das aus ihrem eigenen Elternhaus so kennt. Die Tochter bricht daraufhin in Tränen aus, wie sie das als Kleinkind tat. Neun Stufen zur Eskalation
Jeron: Das ist extrem nervig! Aber wir haben ja zum Glück keine schlimmen Probleme. Antoinette: Stimmt. Und sie werden sich spätestens lösen, wenn ihr auszieht! Evelin Männel Fretz, Pro Juventute Elternberatung, über die Familie Masi: «Die drei gehen Streit gern mal aus dem Weg. Beziehungen funktionieren aber auch über Konflikte, und Kinder müssen streiten lernen. Ob die Strategie, Konflikte im Auto anzusprechen, die richtige ist, bezweifle ich. Ich empfehle der Familie, in einem Familienrat zu klären, wer welche Vorstellungen hat. Sie sollten Regeln aufstellen und die Konsequenzen festlegen, wenn diese gebrochen werden. Antoinette Masi würde ihren Kindern und sich selbst einen Gefallen tun, wenn es ein paar Regeln mehr gäbe. Regeln sind wichtige ‹Geländer› und geben Teenagern eine gute Orientierung. Als Alleinerziehende ist es wichtig, sich Inseln zur Kraftschöpfung zu schaffen. Das ginge besser, wenn nicht immer über die gleichen Dinge wie das Zimmeraufräumen diskutiert werden müsste.»
Antoinette Masi mit ihren Kindern Jeron, 16, und Elisha, 14.
So nimmt die Auseinandersetzung ihren Lauf. Friedrich Glasl stellt diesen in einem weitläufig anerkannten Modell zur Konflikteskalation dar. Mit ihm lassen sich die unterschiedlichsten Konflikte analysieren, von Eltern-Kind-Konflikten über Scheidungen bis hin zu Auseinandersetzungen zwischen Staaten. In seinem neunstufigen Modell stellt der Konfliktforscher die Eskalation nicht als Anstieg zu immer höheren Stufen dar, sondern als einen Abstieg zu immer tieferen, primitiveren Formen der Auseinandersetzung. Er teilt diesen in drei Ebenen ein: Auf der ersten können beide Konfliktparteien noch gewinnen («Win-Win»), auf der zweiten verliert eine Partei, während die andere gewinnt («Win-Lose»), auf der dritten verlieren beide Parteien («Lose-Lose»). Auf der «Win-Win»-Ebene entsteht der Konflikt («Verhärtung»), die Parteien diskutieren und argumentieren («Debatte») und erhöhen dann schliesslich den Druck, um sich durchzusetzen («Taten >>>
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 15
Dossier
>>> statt Worte»). Auf der «WinLose»-Ebene geht es nicht mehr um die Sache, sondern darum, den Konflikt zu gewinnen, eventuell indem man Sympathisanten für seine Sache sucht («Koalitionen»). Danach wird der «Gegner» mit Unterstellungen in die Ecke gedrängt («Gesichtsverlust») und schliesslich durch Drohungen eingeschüchtert («Drohstrategien»). Die Mutter unterstellt der Tochter, sich für nichts mehr anderes als ihr Handy zu interessieren, und droht mit Entzug desselben, wenn sie nicht sofort aufräumt. Auf der «Lose-Lose»-Ebene wird der eigene Schaden schon als Gewinn gesehen, wenn der Schaden der anderen Partei grösser ist («Begrenzte Vernichtung»). Schliesslich soll der Gegner zerstört werden («Zersplitterung»), und auf der alleruntersten Stufe kalkuliert man die eigene Vernichtung mit ein, um den anderen zu besiegen («Gemeinsam in den Abgrund»). Die Mutter nimmt der Tochter das Handy weg, diese rennt weinend aus dem Haus und kommt stundenlang nicht wieder. Konfliktforscher Friedrich Glasl unterscheidet zwei Austragungsformen von Konflikten: heiss und kalt. Heisse Konflikte sind das, was wir gemeinhin als Streit wahrnehmen: «Ich zeige und äussere mich, bin sichtbar, ob als Aggressor oder Angegriffener», so der Konfliktforscher. Bei kalten Konflikten spielen sich andere Mechanismen ab: «Das Konfliktverhalten ist nicht sichtbar. Die negativen Gefühle sind aber trotzdem da. Wenn sie nicht gezeigt werden, entladen sie sich nach innen und belasten das eigene Selbstbewusstsein und die eigenen Emotionen, aber auch die des anderen.» Als die Tochter zurückkommt, verzieht sie sich wortlos in ihr Zimmer, Mutter und Tochter gehen sich die nächsten Tage aus dem Weg. Und fühlen sich beide mies. Aus dem heissen Konflikt ist ein kalter gewor16
Am häufigsten streiten Familien über die Ordnung zu Hause. Und wie viel Medienkonsum zu viel ist. den. Aus einer Kabbelei ein handfester Streit mit verhärteten Ansichten der Konfliktparteien. Immer wieder dieselben Themen
Tatsächlich ist Unordnung laut einer aktuellen Studie des österreichischen Institutes für Familienforschung das Thema Nummer eins, wenn es zu Diskussionen zwischen Eltern und ihren Kindern kommt. Fast ein Viertel aller Mütter und Väter geraten regelmässig in Rage, wenn es um die Unordnung im Haus geht. An zweiter Stelle kommt der Medienkonsum: In fast 20 Prozent der Haushalte wird darüber gestritten. >>>
Pausentaste und Versöhnungsritual Drei Tipps von Stephanie Schneider, Autorin von «Der kleine Streitberater»: 1. Nicht gegen jemanden, sondern für etwas kämpfen Es ist alles eine Einstellungssache: Wer Streit sucht, will eigentlich, dass man nett zu ihm ist. 2. Die Pausentaste drücken Eine Streit-Tradition im Hause Schneider: Wenn jemand während einer Diskussion eine Auszeit verlangt, gehen alle Beteiligten fünf Minuten in einen eigenen Raum. Danach trifft man sich wieder und macht weiter. Meistens ruhiger als vorher. 3. Versöhnung feiern Ein schönes Ritual, das Streit und Konfliktlösungen aufwertet. So merkt man: «Unsere Beziehung hält das aus.»
Kommt in den besten Familien vor: Der Vater schimpft, die Tochter schmollt.
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Bild: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo
Dossier
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 17
Dossier
«Sie hat bis zur Ohnmacht täubelet»
Michaela und Rico Kurath mit ihren Kindern Leyla, 10, und Lara, 8.
Bild: Ornella Cacace / 13 Photo
Michaela und Rico Kurath wohnen mit Leyla, 10, und Lara, 8, in Embrach ZH.
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Lara: Mami nervt, wenn sie sagt, ich soll Klavier üben. Ich hasse Klavierüben. Michaela: Du willst aber Klavier spielen und Stunden nehmen. Lara: Ich spiele ja gern Klavier. Aber ich muss immer so viel üben. Ich möchte das können, ohne zu üben. Und Papi nervt bei den Kleidern. Rico: Du willst im Winter im kurzärmligen T-Shirt raus! Lara: Ich würde das Shirt ja anziehen, wenn es langärmlig wäre, aber das ist es halt nicht.
Leyla: Mit Mami streite ich praktisch jeden Tag. Meistens über die Ufzgi. Michaela: Mich nervt, dass du die Hausaufgaben so oft in der Schule vergisst. Leyla: Das mache ich nicht extra. Wenn wir unsere Sachen zusammenpacken müssen, räume ich sie versehentlich unter mein Pult. Michaela: Dann musst du sie holen gehen. Leyla: Dann find ich dich manchmal doof. Michaela: Mich nervt auch, wenn du so eifersüchtig bist, Leyla. Du hast immer das Gefühl, Lara werde bevorzugt. Dabei hatten wir mit Lara früher viel mehr Krach, weil sie so ein Täubeli war. Rico: Sie hat bis zur Ohnmacht täubelet. Michaela: Sie hatte regelmässig Wutanfälle, machte am Morgen ein Riesendrama, weil sie nicht in den Kindergarten wollte. Da habe ich sie auch schon im Pyjama hingebracht. Im Frühling vor zwei Jahren suchten wir eine Kinderpsychologin. Lara geht sehr gern zu ihr, und seit sie das tut, ist es viel besser
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier
>>> Medien sind auch im Haus von Autorin Stephanie Schneider ein grosses Thema. Sie hat ihre eigenen Erfahrungen in ein Buch verpackt: «Der kleine Streitberater». Das Schreiben habe Mut gebraucht, sagt die Mutter von zwei Töchtern im Teenageralter. «Über Streit wird nicht so gern geredet.» Und darüber, dass man als Elternteil manchmal hilflos ist, schon gar nicht. Gerade was den Medienkonsum angeht, lasse sich eine gewisse Hilf losigkeit kaum vermeiden, sagt Schneider. «Es gibt fast keine festen Werte und Orientierungen in Sa chen neue Medien und Kinder oder Jugendliche. Dazu kommt, dass die Kinder uns meistens haushoch überlegen sind im Umgang mit der virtuellen Welt.» Und nicht zuletzt seien die Eltern selbst oft kein be sonders gutes Vorbild. «Was sollen Eltern ihren Kindern Vorschriften machen, an die sie sich selbst nicht halten?»
geworden. Sie thematisiert, wie Lara mit ihrer Wut besser umgehen kann. Lara: Ich weiss nicht, warum ich so wütend werde. Das explodiert in meinem Bauch. Michaela: Wir versuchen, Konflikte auszudiskutieren und Kompromisse zu schliessen. Seit Lara in die Therapie geht, kann man viel besser mit ihr reden. Rico: Früher konnte man ihr kaum etwas erklären. Wir haben vieles ausprobiert. Eine Weile haben wir die Anfälle einfach ignoriert. Michaela: Das klappt in dem Moment, wenn sie vor deinen Augen vor Wut blau wird und umkippt, nicht mehr. Das ist zweimal passiert. Es waren meist Kleinigkeiten, welche diese Wutanfälle auslösten. Mir wurde manchmal halb schlecht in solchen Situationen. Mir tat Lara leid, die ihre Emotionen nicht unter Kontrolle hatte. Und mir tat auch Leyla leid, da Lara so viel Raum einnahm. Ich finde aber schön, dass du dich immer entschuldigst, Lara.
Väter streiten mit ihren Kindern über die Art der Freizeitgestaltung. Mütter über die Mithilfe im Haushalt.
Gemäss der österreichischen Studie regen sich Männer über andere Din ge auf als Frauen. Während sich Väter mit ihren Kindern gern über Gehorsam und Freizeitgestaltung streiten, ist das für Frauen kaum ein Grund für Konflikte. Mütter disku tieren über das Einhalten von Schla fenszeiten – für keinen einzigen Vater ein Problem – oder die Mithil fe im Haushalt (worüber sich gerade mal 0,3 Prozent der Männer nerven). Aber wie streitet man nun rich tig? Wie kann man Konflikte >>>
Rico: Stimmt. Sie möchte einem dann immer die Hand geben und sich offiziell versöhnen. Michaela: Ab und zu machen wir eine Familienkonferenz. Dann reden wir übers Zimmeraufräumen. Wenn man etwas Neues hervornimmt, versorgt man das Alte, das wäre doch nicht so schwierig. Leyla: Doch. Michaela: Ihr räumt ja mein Puff auch nicht auf. Ich habe auch schon einfach alles liegen lassen, Geschirr nicht abgeräumt und gesagt: Seht ihr, so siehts in euren Zimmern aus. Das hat eine Weile gefruchtet. Ich habe übrigens auch schon in der Migros täubelet, um zu zeigen, wie das ist. Das kam danach tatsächlich nicht wieder vor. Wenn die Emotionen bei einem Streit zu sehr hochkochen, wird auch mal jemand in sein Zimmer geschickt, bis sich alle wieder beruhigt haben.
Evelin Männel Fretz, Pro Juventute Elternberatung, über die Familie Kurath: «Ich sehe Michaela und Rico Kurath als sehr engagierte Eltern, die sich aber immer wieder verunsichern lassen. Gewisse Dinge sind nicht verhandelbar, dazu gehören Hausaufgaben und Klavierüben. Vielleicht würde Leyla ein Stein als Erinnerung in der Hosentasche helfen, die Aufgaben nicht mehr in der Schule liegen zu lassen. Kinder wie Lara sind emotional sehr intensiv. Die Eltern müssen wissen, dass dieses Verhalten nicht gegen sie gerichtet ist, aber auch, dass sie dem Willen des Kindes nicht nachgeben dürfen. Hilfe von aussen zu holen, war sicher die richtige Entscheidung. Das Kind bei einem Streit ins Zimmer zu schicken, ist okay. Danach müssen die Eltern unbedingt das Gespräch mit ihrer Tochter suchen und ihr vermitteln, dass sie nicht weggeschickt wurde, weil man sie ablehnt, sondern weil ihr Verhalten das übrige Familienleben gestört hat.»
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Dossier
Streitregel Nummer 3: Versöhnung feiern. So merkt man: «Unsere Beziehung hält das aus.»
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>>> lösen – und dabei im besten Fall auf der «Win-Win»-Ebene bleiben? «Kleinere, unwichtigere Konflikte werden oft durch Einlenken der einen Seite beendet», sagt Familienforscher Dominik Schöbi. «Bei grundlegenderen Auseinandersetzungen braucht es mehr. Vor allem Einsicht: Die Sichtweise des anderen sehen und akzeptieren – ohne dass man sie teilen muss. Wenn der andere sieht, dass auch die eigene Sichtweise wahrgenommen wird, können eher Zugeständnisse ge macht werden.» Ein länger andauernder oder wiederkehrender Konflikt weist laut Schöbi häufig darauf hin, dass sich die Beteiligten nicht ausreichend mit der Sichtweise und den Bedürfnissen des anderen auseinandersetzen. Das wäre jedoch notwendig,
um Kompromissbereitschaft oder eine einvernehmliche Lösung zu erreichen, aber auch, um die Sachlage neu zu beurteilen, so dass je mand bereit ist, nachzugeben. Suche nach dem Kompromiss
Wenn jemand schnell mit starken negativen Gefühlen wie Ärger reagiere, versuche, den Konfliktpartner durch Sanktionen, Gewalt oder sehr negatives Verhalten zum Einlenken zu bringen, oder Interaktion und Gespräche verweigere, sei das un möglich, sagt Schöbi. Signalisiert die Mutter Verständnis für die Bedürfnisse der Tochter, macht aber auch auf ihre eigenen aufmerksam, ist die Tochter eher zu einem Kompromiss bereit, als wenn die Mutter sie mit Anschuldigungen und Drohungen konfrontiert.
«Sich dem Diktat einer Person zu unterwerfen, die sich nicht einmal bemüht, einen zumindest etwas zu verstehen, kann psychologisch höchst bedrohlich sein. Vor allem in einer Entwicklungsphase, in der die eigene Individualität zentral ist», so Dominik Schöbi. Eine solche Erfahrung kann de struktiv und selbstwertschädigend sein – und die Beziehung zu den Eltern nachhaltig belasten. Gerade die Adoleszenz, wenn sich die Kinder von den Eltern lösen, ist eine solche Phase. «Wenn diesen Prozessen zu wenig Raum und Flexibilität gegeben wird, kann es auch mal zu extremem Verhalten kommen», so Familienforscher Schöbi. «Eltern müssen dazu übergehen können, nicht mehr für die Kinder Entscheidungen zu treffen, sondern diese in
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der Entscheidungsfindung zu len ken und zu unterstützen.» Gefühl von Wertschätzung
Zahlreiche Mütter und Väter tun dies, wie eine Umfrage im Auftrag von Shell unter deutschen Jugendli chen zeigt: 46,7 Prozent geben an, bei Problemen mit ihren Eltern zu reden und gemeinsam zu einer Ent scheidung zu kommen. Nur knapp zehn Prozent gaben an, ihre Eltern würden ihnen sagen, wie sie zu han deln hätten. Sieben Prozent der Be
fragten erklärten, sich bei einem Streit am Ende durchzusetzen. Sich wertgeschätzt zu fühlen, sei ein wichtiges Bedürfnis von Kin dern, sagt Dominik Schöbi. Und das stehe bei Konflikten auf dem Spiel. Umso wichtiger ist es, Diskussionen zwischen Eltern und Kindern nicht entgleiten zu lassen. Britta Went vom Elternnotruf ist oft mit genau solchen Situationen konfrontiert. «Wenn böse Worte und Drohungen ausgesprochen werden, verwandelt sich ein Konflikt in etwas De >>>
Thomas Gordon: Die Familienkonferenz. Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind. Heyne, 2012, 365 Seiten, Fr. 14.90 Thomas Gordon: Familienkonferenz in der Praxis. Wie Konflikte mit Kindern gelöst werden. Heyne, 2012, 382 Seiten, Fr. 14.90 Stephanie Schneider: Der kleine Streitberater. Familienkonflikte lösen mit Herz und Verstand. Kösel, 2013, 39 Seiten, Fr. 14.90 Elternnotruf: 24 Stunden Hilfe und Beratung von Fachpersonen für Eltern, Familien und Bezugspersonen: www.elternnotruf.ch Pro Juventute Elternberatung: Anlaufstelle für Eltern und Bezugspersonen. Persönliche, telefonische und Online-Beratung durch Fach personen für Eltern in Notsituationen, rund um die Uhr: www.projuventute.ch/Elternberatung Verein Gordon-Training Schweiz: Erfreuliche Konfliktlösung. Erfolgreich Konflikte lösen ohne Verlierende: www.gordon-training.ch
Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo
Wenn Diskussionen in der Familie entgleiten, gerät die ganze Welt des Kindes ins Wanken.
Literatur- und Online-Tipps
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Dossier
Das Gordon-Modell
Eine allgemeingültige Methode zur Konfliktlösung zwischen Eltern und Kindern gibt es nicht. Wohl aber ein Modell, das in seinen Grundzügen
im Alltag anwendbar und durchaus erfolgversprechend ist. Entworfen hat es der amerikanische Psychologe Thomas Gordon (1918–2002). Das wohl bekannteste Buch des mehrfach ausgezeichneten Psychologen trägt den Titel «Die Familienkonferenz». Gordon entwickelte spezifische Trainingskurse für Eltern und Erziehungspersonen, die heute weltweit angeboten werden. «Das Modell ist sehr schlicht und deshalb erfolgreich», sagt Priska Wenk vom Verein Gordon-Training Schweiz.
Eine einfache Methode zur Konfliktlösung gibt es nicht. Wohl aber ein Modell, das sogenannte Gordon-Modell.
«Wer seine Gefühle begräbt, begräbt sie lebendig!» In Zeiten, in denen das elterliche Machtwort obsolet geworden ist, braucht es Mütter und Väter, die ihre Normen und Werte klar kommunizieren. Familientherapeut Jesper Juul über den Unterschied zwischen Führungsqualität und Gehorsamskultur, «richtiges» Streiten und warum es so wichtig ist, seine Emotionen nicht zu verstecken. Interview: Sandra Casalini
Herr Juul, früher gab es so etwas wie das elterliche Machtwort. Was Vater und Mutter sagten, war Gesetz. Kinder hielten sich, mehr oder weniger, an klare Regeln. Ja – in Zeiten, als Regeln noch funktio nierten. Es gab einen Konsens in unserer
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«Zuerst müssen wir evaluieren, wer überhaupt ein Problem hat. Oft machen wir nämlich das Problem des Kindes zu unserem.» In diesem Fall, so Wenk, müsse man das Kind unterstützen, selbst eine Lösung zu finden. «Habe hingegen tatsächlich ich ein Problem, geht es darum, wie ich meinem Gegenüber sage, dass ich mit seinem Verhalten nicht einverstanden bin, ohne unsere Beziehung zu stören.» Ich-Botschaften
Dabei setzt das Gordon-Modell vor allem auf sogenannte Ich-Botschaften. Damit verhindere man auch, dass jemand einfach davonläuft, wenn es Streit gibt, so Wenk. «Man läuft oft nicht vor dem Konflikt davon, sondern davor, wie man mit ihm konfrontiert wird.» Wenn man sage, wie es einem selbst in >>>
Gesellschaft, was Werte anging, und in den meisten Familien herrschten die selben Regeln. Heute gibt es diese Einheit von Regeln und Werten nicht mehr, und die meisten Kinder haben keine Angst vor Erwachsenen. Sicher eine positive Entwicklung. Aber was ist an dessen Stelle getreten? Erst einmal: Die Vorstellung von elterlicher Führung hat sich in über einem Jahrhundert kaum verändert. Sie hat sich nur moder nisiert und demokratisiert, zum Beispiel geben Eltern ihren Kindern heute mehr Freiheiten. Was wir alle möchten – übrigens auch die Kinder – ist, dass die Werte, welche Eltern und Schulen als gut für die Familie und ihre Mitglieder definieren, respektiert werden. Dies gilt auch für die von Eltern definierten persönlichen Grenzen. Um das zu erreichen, braucht es zwei Dinge: Füh rungsqualitäten und Eltern, die vertrauens würdige Vorbilder sind. Was machen Eltern Ihrer Meinung nach denn am häufigsten falsch, wenn sie in Konflikte mit ihren Kindern geraten?
Bild: Ornella Cacace / 13 Photo
>>> struktives», sagt Went. «Man unterstellt dem Kind böse Absichten. Das ist verheerend, denn Eltern bekleiden für ihre Kinder die Rolle als fürsorglicher und zuverlässiger Partner.» Wenn sie diese nicht mehr erfüllen, kommt die ganze Welt des Kindes ins Wanken.
Viele Eltern kommunizieren ihre Wertvor stellungen nicht früh genug und verweigern so den Kindern die Möglichkeit, sich mitein bezogen zu fühlen. Eltern nehmen sich nicht die Zeit, darüber zu reden, welche Werte sie ihren Kindern vermitteln möchten und wie sie ihnen diese zeigen und vorleben wollen. Dem kann man etwa so vorbeugen – aber bitte nicht während oder direkt nach einem Konflikt: «Weisst du noch, als ich mich geärgert habe, weil du deine Legosteine nicht aufräumen wolltest? Ich habe darüber nachgedacht und gemerkt, dass wir dir nie gesagt haben, welches Verhalten wir wichtig und richtig finden in unserer Familie. Du bist kein Baby mehr, und es ist Zeit, dass du einige Sachen selbst erledigst und uns manchmal hilfst, wenn wir danach fragen.» Was bewirkt eine solche Aussage bei meinem Kind? Es wird den genauen Inhalt dieses Ge sprächs zwar vergessen, nicht aber das Gefühl, als gleichwürdiger Partner mit einbezogen zu werden. So können Eltern Regeln aufstellen und gleichzeitig den Ton
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definieren, in dem künftig Konflikte ausgetragen werden. Das ist der Unterschied zwischen moderner Führungsqualität und veralteter Gehorsamskultur. Über die Regel – alle Familienmitglieder müssen zum Wohl der Familie beitragen – gibt es nichts zu diskutieren, aber über die Art, wie man nach ihr lebt, kann verhandelt werden. Kann man «richtig» streiten? Für mich bedeutet das, so zu streiten, dass die persönliche Integrität der anderen Person nicht verletzt wird. Das ist definitiv möglich. Aber so, wie die meisten von uns aufgewachsen sind, braucht es sehr viel Übung – obwohl es eigentlich simpel ist. Dabei sind Ich-Botschaften wichtig. So kommt ein «Ich hasse es, wenn du mich ignorierst» beim Gegenüber besser an als ein «Du hörst mir nie zu!». Nun gibt es viele, die einem Streit lieber aus dem Weg gehen. Seine Gefühle zu verstecken oder politisch korrekt zu sein, ist nicht die Lösung. Der andere fühlt die versteckten Emotionen, und gerade bei Kindern ist das gefährlich,
weil sie ihrer Fantasie überlassen sind, und diese richten sie immer negativ gegen sich selbst. Man muss sich bewusst sein: Wer seine Gefühle begräbt, begräbt sie lebendig. So leben sie innen drin unkon trollierbar weiter. Bei sozialen Kontakten, die nicht so wichtig sind, spielt das keine Rolle, in nahen, persönlichen Beziehungen aber umso mehr.
«Hausaufgaben machen, Zimmer aufräumen»: Oh, wie diese Eltern wieder nerven!
Jesper Juul ist der berühmteste Familientherapeut Europas. Er ist Buchautor und Vater eines erwachsenen Sohnes. Juul lebt in Dänemark.
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Bild: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo
Alleinerziehender Vater: Adrian Halter mit Tochter Jennifer, 16.
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Dossier
«Um einen Lerneffekt zu erzielen, muss man sein Kind auch mal reinlaufen lassen» Adrian Halter wohnt mit seiner Tochter Jennifer, 16, in Brüttisellen ZH. Der alleinerziehende Vater hat noch einen Sohn aus einer anderen Beziehung. Jerôme, 14, lebt bei der Mutter und verbringt jedes zweite Wochenende und einen Teil der Ferien bei Vater und Schwester. Adrian: Ich gebe sehr selten nach. Mein Job als Vater ist es, Grenzen zu setzen. Wenn ich mit mir verhandeln lasse, diskutieren wir ewig ums Gleiche herum. Dinge wie Respekt und gutes Benehmen sind mir extrem wichtig. Aber klar gibts auch Sachen, die ich mal gerade sein lasse. Zum Beispiel beim Thema Handy. Ich habe versucht, das mehr einzugrenzen, aber ich denke, das ist heutzutage einfach nicht realistisch. Ganz streng bin ich beim Thema Ehrlichkeit. Jennifer: Wenn du merkst, dass ich gelogen habe, gibts Konsequenzen. Wenn ich zum Beispiel woanders war, als ich gesagt habe, darf ich nicht mehr raus. Adrian: Über Ausgang diskutieren wir sonst eigentlich nicht viel. Ich möchte wissen, wo du mit wem hingehst. Das gilt auch für den Umgang mit Jungs. Ich möchte informiert sein. Sonst passiert so was wie vor kurzem. Jennifer: Oh je … der war doch gar nicht mein Freund! Adrian: Der tauchte abends um halb zehn an unserer Tür auf und stellte sich mir als dein Freund vor. Ich war total enttäuscht, dass ich von nichts wusste. Jennifer: Das war echt schwierig, dir zu erklären, dass er nicht mein Freund ist. Adrian: Schau, ich möchte das Beste für dich. Wenns mir egal wäre, würde etwas nicht stimmen. Mir ist schon klar, dass du eigene Erfahrungen machen musst. Man muss das Kind auch mal reinlaufen lassen, um einen Lerneffekt zu erzielen. Aber bei matchentscheidenden Dingen, wie wenn es um eine Lehrstelle geht, ist nicht der richtige
Zeitpunkt dafür. Da benutze ich das Handy – beziehungsweise Handyverbot – oder das Ausgangsverbot schon mal als Druckmittel. Jennifer: Ausgehverbot war hart. Handyverbot war nicht so schlimm. Adrian: Es ist ein Machtkampf. Mit Jerôme ist das Konfliktpotenzial viel kleiner. Sicher gehe ich Konflikten auch bewusst aus dem Weg, um die wenige gemeinsame Zeit nicht mit Diskussionen zu belasten. Ich hatte zum Beispiel immer Mühe mit Jerômes Essensgewohnheiten. Er ist extrem heikel. Ich habe eine Zeitlang versucht, da streng zu sein, aber das war jedes Mal ein Riesendrama. Darauf hatte ich dann keine Lust mehr, zumal es bei allen negative Gefühle hinterliess, auch in den zwei Wochen, die wir uns dann nicht mehr gesehen haben. Jennifer: Du schaust trotzdem, dass du uns einigermassen gleich behandelst. Ich komme mir nur sehr, sehr selten benachteiligt vor, wenn mein Bruder hier ist. Adrian: Es liegt in der Natur der Sache, dass gewisse Dinge bei Jerôme weniger relevant sind. Sein Alltag geht halt mehr oder weniger an mir vorbei. Aber Jerôme weiss, dass meine Tür immer offen steht für ihn. Evelin Männel Fretz, Pro Juventute Elternberatung, über die Familie Halter: «Bei Familie Halter scheint es so, als hätte der Vater eine gute Mischung zwischen elterlicher Präsenz und Freiraumlassen gefunden. Dies ist gut erkennbar in der Diskussion bezüglich der Ehrlichkeit. Regeln, die dem Vater wichtig sind, bieten dem jungen Menschen Orientierung und damit Halt in einer turbulenten Zeit. Es ist in der Familie Halter offenbar sehr klar, in welchen Bereichen Jennifer Freiraum hat, zu entscheiden, und in welchen sie sich den elterlichen Regeln beugen muss. Schulische und berufliche Anforderungen fallen mit einer Entwicklungsphase zusammen, in der ein junger Mensch eh schon mit grossen Veränderungen zu kämpfen hat. Es zeigt sich aber immer wieder, dass auch ein heranwachsender Mensch erst einen Entwicklungsschritt tut, wenn er bereit dazu ist. Daher ist eine der wichtigsten Aufgaben von Eltern in der Teenagerphase das ‹Standhalten› bzw. ‹Aushalten› einer Situation.»
>>> einer Situation geht, statt den anderen zu beschuldigen, komme dieser nicht automatisch in eine Verteidigungshaltung. Priska Wenk erzählt ein Beispiel aus ihrer eigenen Familie: Die sechsjährige Tochter erscheint in einem T-Shirt, das vor Dreck steht, am Frühstückstisch. «Wer hat nun hier das Problem?», fragt sich Wenk. «Sie nicht, sie würde noch wochenlang im dreckigen Shirt herumlaufen. Das Problem habe ich – und das muss ich auch so kommunizieren.» Priska Wenks Ansage an ihre Tochter: «Ich habe Angst, dass du ausgelacht wirst, wenn du in diesem T-Shirt in den Kindergarten gehst.» Eine Ich-Botschaft und das Aufzeigen der Konsequenz. Fünf Minuten später steht das Mädchen in einem sauberen T-Shirt da. «Hätte ich ihr einfach befohlen, etwas anderes anzuziehen, hätte es endlose Diskussionen gegeben», ist Priska Wenk überzeugt. Richtig zuhören
Ein zweiter wichtiger Pfeiler im Gordon-Modell: Zuhören. «Es ist er staunlich, was man herausholen kann, wenn man dem Kind einfach mal richtig zuhört», sagt Wenk. Einen geeigneten Rahmen dafür bildet die Familienkonferenz. Dort kommt jeder zu Wort, es werden Konsequenzen aufgezeigt und Vereinbarungen getroffen statt Befehle erteilt. «Das Ziel einer solchen Konferenz und auch das Ziel unserer Kurse ist nicht, weniger zu streiten, sondern Konflikte anders anzugehen. Und vor allem, sie nicht gären zu lassen, bis sie explodieren», er klärt Priska Wenk. Kinder brauchen Konflikte
Mit den Worten von Konfliktforscher Glasl ausgedrückt, sollte man es nicht so weit kommen lassen, dass «der Konflikt mich hat, statt ich ihn». Dann können alle Parteien aus einer Auseinandersetzung lernen. «Im besten Fall fragen wir uns, wie >>>
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Bei Diskussionen mit ihren Eltern üben Kinder, Konflikte auch ausserhalb der Familie auszutragen.
>>>
Sandra Casalini hatte kürzlich Diskussionen mit ihrer Tochter. Sie liess – dieses Dossier im Kopf – erst einmal die 12-Jährige reden. Diese erklärte sich wortreich – und kam ganz allein zu einer Lösung. Ab sofort gelten für die Mutter folgende drei Regeln bei Konflikten: 1. Zuhören. 2. Zuhören. 3. Zuhören.
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Worüber Familien streiten Über diese Themen streiten Eltern und Kinder laut einer Umfrage des österreichischen Institutes für Familienforschung am häufigsten: Mütter Ordnung und Sauberkeit: 19 % Zu hoher Medienkonsum: 13,3 % Höflichkeit, Benehmen: 8,7 % Finanzielle, materielle Forderungen: 6,5 % Schule und Lernen: 6,1 % Angemessene Kleidung / Schminke: 5,5 % Einhalten der Schlafenszeiten: 4,8 % Mithilfe im Haushalt: 4,7 % Ernährungsverhalten: 4,3 % Konflikte unter Geschwistern: 4,2 % Trödelei: 1,9 % Freizeitgestaltung: 1 % Gehorsam, Einhalten von Regeln: 0,1 % Väter Gehorsam, Einhalten von Regeln: 10,9 % Zu hoher Medienkonsum: 10,1 % Freizeitgestaltung: 9 % Höflichkeit, Benehmen: 4,8 % Ordnung und Sauberkeit: 4,2 % Schule und Lernen: 4,1 % Ernährungsverhalten: 3,6 % Konflikte unter Geschwistern: 3,2 % Trödelei: 2,5 % Angemessene Kleidung / Schminke: 0,9 % Finanzielle, materielle Forderungen: 0,7 % Mithilfe im Haushalt: 0,3 % Einhalten der Schlafenszeiten: 0 %
Bild: Christian Nilson / 13 Photo
>>> wir uns im Konfliktpartner widerspiegeln, und betrachten die Konfrontation mit unserer eigenen Unzulänglichkeit als Feedback und Herausforderung, an den eigenen Schwächen zu arbeiten», so Glasl. Familienberaterin Eveline Männel Fretz von Pro Juventute weiss, wie wichtig Konflikte für Kinder sind. «Bei Diskussionen mit den Eltern können Kinder üben, Konflikte auch ausserhalb des familiären Rahmens auszutragen.» Kinder lernen aus dem Verhalten der Eltern. Das gilt auch bei Konflikten. «Ab dem Schulalter streben Kinder gewissen Vorbildern nach», sagt Konfliktforscher Glasl. «Wenn sie Eltern erleben, die an sich selbst arbeiten, werden sie unbewusst auch danach streben. Ohne Moralisieren der Eltern.»
Familienrat: Alle kommen zu Wort, es werden Bedürfnisse geklärt, Regeln aufgestellt.
Dossier
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 27
Dossier
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Dossier
Essay
«Meine Kinder sagen Dinge, die ich als ihre Mutter nicht einmal zu denken wage» Ein Streit zwischen Eltern und Kindern ist unfair. Weil Eltern immer am längeren Hebel sitzen. Unsere Autorin empfindet das oft gerade umgekehrt. Die Tatsache, dass ihre Kinder ihre Kinder sind, verleihe ihnen in einem Konflikt ganz schön viel Macht. Text: Sandra Casalini
Bild: Christian Nilson / 13 Photo
Eltern können Konflikte mit ihren Kindern beenden, indem sie einfach eine Entscheidung treffen. Eltern können bestrafen, belohnen, Konsequenzen ziehen, Machtworte sprechen. Warum fühle ich mich dann oft so hilflos, wenn ich mit meinen Kindern streite? Vielleicht deshalb, weil ich oft gegen die kindliche Logik nicht ankomme. («Nein, Fernsehen schadet meinem Hirn nicht, im Gegenteil. Ich schone es, weil ich es beim Fernsehschauen nicht brauche.») Geschweige denn gegen die Argumentation eines Teenagers. («Ich bin morgen früh sowieso müde, egal, wann ich ins Bett gehe. Also kann ich auch gleich noch aufbleiben.») Meine Kinder haben gemäss einem ungeschriebenen Gesetz das Recht, mich jederzeit ultradoof und megapeinlich zu finden und furchtbar wütend auf mich zu sein. Ich habe im Gegenzug dieses Recht nicht, sondern muss Verständnis zeigen und im besten Fall auch Humor. Letzterer ist hilfreich, wenn sie mir Dinge an den Kopf werfen, die
Ordnung und Sauberheit: Darüber streiten laut Statistik Mütter mit ihren Kindern am häufigsten.
ich als ihre Mutter nicht einmal zu denken wage, geschweige denn laut aussprechen würde: «Eh Mann, Alter, du nervst! Aber so richtig!» Wobei das «Alter» ein gutes Zeichen ist, es bedeutet nämlich in ihrer Sprache, dass ich als gleichwertige Diskussionspartnerin akzeptiert bin. Immerhin. Selbstverständlich nerven mich meine Kinder auch. Nicht nur ein bisschen, sondern manchmal «so richtig». Ich darf ihnen aber niemals sagen, dass ich sie gerade ultrablöd finde («ICH finde dich grad richtig doof» geht nicht als eine dieser viel gepriesenen Ich-Botschaften durch, fürchte ich). Im Gegenteil. Ich achte sehr genau darauf, meinen Kindern im Streit klarzumachen, dass ich nicht sie blöd finde, sondern das, was sie tun oder getan haben – oder eben nicht. Worauf ich als Antwort meistens zu hören bekomme, ich verstände das halt nicht. (Man stelle sich umgekehrt vor, ich würde zu meinem Kind sagen: «Ich versuch dir hier was zu erklären, aber das verstehst du halt nicht, Dummerchen!»)
Wären meine Kinder Erwachsene – Freunde oder Arbeitskollegen –, würden wir Konflikte niemals so austragen, wie wir das tun. Einen ewigen Besserwisser wie meinen Sohn würde ich vermutlich einfach stehen lassen, statt nach unzähligen Erklärungsversuchen immer noch liebevolles Verständnis zu heucheln. Und käme mir jemand in dem Ton, den meine TeenieTochter manchmal drauf hat, würde ich die Diskussion wohl sofort für beendet erklären. Mit meinen Kindern geht das nicht. Weil ich die Pflicht habe, mit ihnen zu streiten und ihnen Grenzen zu setzen. Aber ich habe auch die Pflicht, sie zu selbstbewussten und selbständigen Individuen zu erziehen – und sie demnach im Streit niemals über die Massen zu verunsichern oder gar zu demütigen. Das ist nicht immer einfach. Aber als mein Sohn letzthin ganz pragmatisch meinte: «Ich weiss gar nicht, warum ich schreie, ich weiss ja, dass es nichts nützt», dachte ich, dass ich das vielleicht doch nicht so verkehrt mache.
Mit Kindern zu streiten ist deshalb so schwierig, weil man als Eltern oft nicht gegen die kindliche Logik ankommt.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 29
« Mit Teenagern ist es normal, dass es täglich kracht» Eltern haben die Pflicht, Konflikte mit ihren Kindern auszutragen, sagt die Psychotherapeutin Annette Cina vom Institut für Familienforschung der Universität Freiburg. Sie müssen aber nicht jedem Wunsch der Kinder entsprechen. Interview: Sandra Casalini Frau Cina, wie entsteht ein Konflikt?
Wenn Menschen aufeinandertref fen, die andere Ansichten, Absich ten, Vorstellungen und Ziele haben, entstehen Konflikte. Dabei spielen auch andere Einflüsse eine Rolle, zum Beispiel wie es einem grund sätzlich gerade geht, ob man ge stresst ist oder eher gelassen. Ein Konflikt geht meist mit dem Gefühl einher, überhört und übergangen zu werden. Dabei ist das eigentliche Thema der Diskussion oft gar nicht so relevant wie dieses Grundgefühl. Warum geraten wir gerade mit den Menschen, die wir lieben, am häufigsten in Konflikt?
Familienmitglieder, mit denen wir zusammenleben, sind tagtäglich da, mit all ihren Launen, Erlebnissen, Emotionen, Wünschen und Ansprü chen. Innerhalb der Familie traut man sich eher, Konflikte anzuspre chen, und meist hat man auch höhe re Ansprüche als an andere. Sind Konflikte zwischen Eltern und Kindern besonders schwierig, gerade weil es ein gewisses Machtgefälle gibt?
Ja und nein. Im Gegensatz zu Kon flikten unter Erwachsenen haben Eltern bei Streitereien mit ihren Kindern die Macht, sie zu beenden, indem sie einfach entscheiden. Sie haben aber auch die Pflicht, Kon flikte mit ihren Kindern auszutra gen, und dabei müssen sie nicht jedem Wunsch der Kinder entspre chen. Handfeste Streite mit Kritik, Abfuhren und harten Strafen müs sen aber nicht sein. Geht denn Erziehung ohne Strafen und Belohnen?
Nein. Kinder müssen gewisse Regeln der Gesellschaft lernen, Kompro misse schliessen, den Umgang mit Frust lernen. Gerade kleineren Kin dern kann man nicht alles erklären. Sie lernen vieles durch die Erfah rung, wie auf ihr Verhalten reagiert wird. Es ist eine Illusion, zu denken, dass Kinder sich ausschliesslich aus sich selbst entwickeln. Sie brauchen und möchten ein Feedback. Ich bin ganz klar dafür, dass man einem Kind zeigt, wenn es etwas gut ge macht hat. Wie beispielsweise durch ein ehrlich gemeintes Lob. Umge
«Ich rate Eltern zu mehr Gelassenheit. Was kann schon passieren, wenn das Kind im Winter in Turnschuhen in die Schule geht? Es wird selber merken, dass es kalte Füsse kriegt.» 30
kehrt soll Fehlverhalten Konsequen zen haben. Diese dürfen aber nicht so stark sein, dass das Kind nicht die Chance erhält, es nochmals zu ver suchen und selbst lernen zu können. Können Sie ein Beispiel nennen?
Wenn ein Kind sich weigert, den Computer auszuschalten, ist die logische Konsequenz, dass seine Zeit am Computer für eine Weile gestri chen wird. Danach soll das Kind aber wieder an das Gerät dürfen und die Gelegenheit erhalten, zu lernen, den Computer selbst abzustellen, wenn die ausgemachte Zeit abgelau fen ist. Worauf sollten Eltern im Streit mit ihren Kindern besonders achten?
Beide Parteien müssen die Möglich keit haben, ihre Empfindungen mit zuteilen. Es geht nämlich oft nicht um reine Tatsachen – ob man nun eine halbe Stunde mehr oder weni ger am Handy spielt, ist irrelevant –, sondern um Ängste und Empfin dungen. Da haben die Eltern auch die Pflicht, die Kinder miteinzube ziehen, nachzufragen, was ihre Be weggründe sind. Kinder haben ein sehr starkes Ungerechtigkeitsemp finden und fühlen sich oft unver standen. Da muss man Kompromis se suchen. Führt das nicht zu stundenlangen Diskussionen?
Grundsätzlich sollten Diskussionen nicht ewig dauern. Das frustriert und oft werden dieselben Argumen te wieder und wieder ins Spiel ge März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier
bracht. Wenn man zu keinem Kom promiss kommt, darf man als Mutter oder Vater nochmals dar über nachdenken und dann einen begründeten Entscheid fällen – auch wenn der nicht im Sinn des Kindes ist. Das Kind sollte jedoch verstehen, warum die Eltern diesen Entscheid fällen. Grundsätzlich gilt: Entschei dungen dürfen auch revidiert und angepasst werden, wenn sich die Sachlage ändert. Wie oft ist Streit in der Familie normal?
Das ist sehr unterschiedlich und kommt auch auf die Temperamente der Familienmitglieder an. Es ist also auch normal, wenn es täglich kracht?
In gewissen Phasen schon, gerade mit Teenagern. Hat Streit auch positive Aspekte?
Absolut. Kinder – und Eltern auch – lernen, verschiedene Ansichten zu akzeptieren und Kompromisse zu finden. Und aus der Paar-Forschung weiss man, dass Beziehungen, die Krisen überstanden haben und in denen Konflikte gelöst worden sind, besonders stabil sind. Verhindert eine möglichst autoritäre Erziehung Konflikte?
Nein. Autoritäre Erziehung bedeu tet, dass die Kinder nicht miteinbe zogen werden. Das ermöglicht kei
nen Austausch. Starre Regeln und Verbote führen dazu, dass Kinder Dinge heimlich und ohne elterliche Begleitung ausprobieren. Konflikte werden nicht ausgetragen. Kinder lernen verborgene Strategien. Wie sieht es umgekehrt bei einer antiautoritären Erziehung aus?
«Aus der Forschung weiss man: Familien, die Krisen überstanden haben, sind besonders stabil.»
Das würde im Extremfall heissen, dass die Kinder entscheiden. Aber Kinder müssen und wollen Grenzen spüren. Sie brauchen Reibung und ein Visavis, das sich mit ihnen aus einandersetzt. Sie sollen ernst ge nommen werden, müssen aber ler nen, andere auch ernst zu nehmen. Sollen Konflikte immer aktiv gelöst werden oder kommt es vor, dass sie sich von selbst auflösen?
Man muss nicht jede Kleinigkeit von A bis Z durchdiskutieren und dar über streiten. Ich rate zu mehr Ge lassenheit: Was kann schon passie ren, wenn das Kind im Winter in Turnschuhen in die Schule geht? Es wird selbst merken, dass es kalte Füsse kriegt. Annette Cina Dr. phil., ist Oberassistentin am Institut für Familienforschung der Universität Freiburg. Sie forscht in den Bereichen Prävention von kindlichen Verhaltungsstörungen, Kindererziehung und Elternberatung, Stress und Coping, Evaluation von Präventionsprogrammen sowie Scheidung.
Im nächsten Heft:
Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo
Hausaufgaben Hausaufgaben machen die Klugen klüger und die Dummen dümmer. Hausaufgaben fördern die Eigenverantwortung der Kinder. Hausaufgaben machen Sinn – Hausaufgaben sind der grösste Unsinn. Die grosse Debatte – in der April-Ausgabe.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 31
Monatsinterview
« Eltern, holt euch Hilfe!» Drohen, Erpressen, Demütigen – im Familienalltag können nicht nur Ohrfeigen Kinder verletzen. Psychische Gewalt ist die häufigste Form von Gewalt gegen Minderjährige, sagt der Psychologe und Heilpädagoge Franz Ziegler. Der Kinderschutzexperte über ein Phänomen, das schwer einzugrenzen ist, aber quasi jede Familie betrifft. Interview: Evelin Hartmann Bilder: Ruben Wyttenbach / 13 Photo
Der Weg zu Franz Ziegler führt vorbei am Kindergarten und der Dorfschule. Kindergeschrei, dann wieder Stille. Noch schnell die Dorfstrasse überqueren, und man steht vor einem schneeweissen Haus, dahinter grasen Kühe und Schafe. «Sie haben es aber schön hier!», sage ich, als die Tür aufgeht. Franz Ziegler lächelt: «Nicht wahr? In Zäziwil scheint seit Monaten die Sonne.» Herr Ziegler, eine Mutter, total gestresst, sagt im Zorn zu ihrer kleinen Tochter: «Manchmal würde ich dich am liebsten verkaufen!»
Da hat die Mutter ihre Tochter ge schlagen, würde ich sagen. Geschlagen?
Ja, mit Worten. Verbale Gewalt ist die typischste Form von psychischer Gewalt. Deshalb spricht man auch von Wortschlägen. Wie definiert man generell psychische oder seelische Gewalt an Kindern?
Das ist ein sehr komplexes und wei tes Thema. Psychische Gewalt kann von einem einfachen Nebensatz wie «Kapierst du das eigentlich nie?» bis zum verbalen Treiben in den Selbst mord führen: «Ich wünschte, du 32
wärst tot.» Das wichtigste Merkmal von psychischer Gewalt ist, dass Eltern ihrem Kind das Gefühl von Minderwertigkeit oder Wertlosigkeit vermitteln, sei es durch Drohen, Erpressen, Lächerlichmachen, De mütigen, Isolieren, Ignorieren oder auch permanente Schuldzuweisun gen.
«Mit dem Kind nicht mehr zu reden, ist eine Form der Erpressung.» Ein Fünfjähriger will sein Zimmer nicht aufräumen, die Mutter redet auf ihn ein, nichts passiert. Irgendwann sagt sie gar nichts mehr. Auch auf die verunsicherte Nachfrage des Kindes hin, «Mama, was ist denn?», schweigt sie beharrlich. Kann man in diesem Fall von seelischer Gewalt sprechen?
Auf jeden Fall. In dem Moment, in dem ich die Entwicklung seines
Selbstvertrauens und das Vertrauen in andere zu untergraben anfange, reden wir von psychischer Gewalt. Mit dem Kind nicht mehr zu reden beziehungsweise ihm zu vermitteln, ich lieb dich nur, wenn dein Zimmer aufgeräumt ist, und trete auch erst dann wieder in sozialen Kontakt mit dir, ist eine Form von Erpressung. Und wenn sich die Mutter nur zurückzieht, um am Ende nicht die Fassung zu verlieren?
Das ist eine andere Situation. Es ist ein Unterschied, ob sich eine Mutter ein Timeout von zehn Minuten nimmt, dieses auch als solches dekla riert, um dann wieder ruhiger mit dem Kind sprechen zu können, oder ob sie beharrlich schweigt und jeden Versuch des Kindes, wieder mit ihr in Kontakt zu treten, boykottiert. Nehmen wir ein anderes Beispiel. Eine 13-Jährige kommt wiederholt mit schlechten Noten nach Hause, am Nachmittag möchte sie mit ihren Freundinnen reiten gehen. «Lern du erst einmal vernünftig rechnen, so blöd wie du kann man doch gar nicht sein», macht ihr Vater ihren Freizeitplan zunichte. Was tut er mit diesem Satz seiner Tochter an? >>>
Franz Ziegler beschäftigt sich schon seit über 25 Jahren mit Kinderschutz. Er studierte Heilpädagogik und Psychologie.
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Monatsinterview
Eltern sollten sich vernetzen, um sich auszutauschen und Hilfe in Anspruch nehmen zu können, sagt Franz Ziegler.
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>>> Er stellt sie bloss, erniedrigt sie, unterwandert die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins und Selbstwertgefühls. Ein grosses Problem bei psychischer Gewalt sind Dinge, die ein Kind immer und immer wieder zu hören bekommt. Ein Kind kann unter diesen Umständen kein gesundes Vertrauen in sich selbst und in andere gewinnen. Das ist ja klar. Es hört permanent: Du bist nichts und du wirst auch nichts werden. Also kommt es auf die Häufigkeit
dieser Äusserungen beziehungsweise Handlungen an?
Nein, schon beim ersten Mal handelt es sich um Gewalt. Das gilt genauso für eine Ohrfeige, also körperliche Gewalt. Und wenn wir grundsätzlich etwas am Ausmass der ausgeübten Gewalt an Kindern ändern wollen, müssen wir diese Tatsache akzeptieren. Nicht die möglichen Folgen sind entscheidend, sondern die Handlung selbst. Die Tat an sich ist ein Ausdruck von Gewalt und insofern verurteilenswert.
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Welches sind denn die möglichen Folgen seelischer Gewalt?
Diese können sehr vielfältig sein und umfassen beispielsweise das ganze Spektrum psychischer Störungen, aggressives oder depressives Verhalten, Drogen- oder Alkoholmissbrauch. Ein Kind, das über Jahre kleingehalten wurde, kann kein gesundes Selbstbewusstsein ent wickeln. Dies wiederum führt zu Beziehungsproblemen, sozialen Problemen. Oder die kognitive Entwicklung des Kindes wird beeinträchtigt,
weil es den Kopf nicht frei hat für intellektuelle Leistungen. Es entwickelt massive Schulprobleme. Und klar ist, wenn man einem Kind Ge walt antut, dann lernt es primär eins: Gewalt. Das Kind imitiert die Eltern. Es wird ein Lernprozess in Gang gesetzt. Wie machen es diese Kinder später mit ihren eigenen Kindern?
Da gibt es diejenigen, die bewusst oder unbewusst auf die eigene Kindheit zurückblicken und das, was sie selbst erlebt haben, so weitergeben. Und es gibt die anderen, die aus Überzeugung genau das Gegenteil machen. Die sagen, ich werde meine Kinder niemals so erziehen, wie ich selbst erzogen wurde! Dazwischen gibt es viele Varianten. Ist jedes Kind, dem psychisches Leid angetan wird, gleichermassen stark betroffen?
Die Verletzlichkeit ist von Kind zu Kind sehr unterschiedlich. Und damit auch die Eigenschaft der Resilienz, der psychischen und physischen Widerstandsfähigkeit, Dinge auszuhalten. Es gibt Kinder, die zehn, zwölf Jahre schlimmsten Psychoterrors ausgesetzt sind und die trotzdem eine unglaubliche Selbstbehauptung, ein Selbstbewusstsein entwickeln. Das sind Kinder, denen
«Wenn man einem Kind Gewalt antut, lernt es primär eins: Gewalt.» kann man einen Felsbrocken in den Weg legen und sie kommen drum herum, anderen legt man einen Kieselstein in den Weg und sie stolpern darüber. Da sprechen Sie von Extremfällen. Trotzdem, das Leben mit Kindern kann sehr fordernd sein, einen manches Mal an seine Grenzen bringen. Da passiert es doch wahnsinnig schnell, dass
einem in einer Stresssituation eine unüberlegte Bemerkung herausrutscht.
Absolut. Wie oft das passiert, wissen wir leider nicht. Es gibt keine aus sagekräftigen Erhebungen beziehungsweise Untersuchungen. Es ist sehr schwer abzugrenzen, wo psy-
«Klar ist: Psychische Gewalt ist die häufigste Form von Gewalt.» chische Gewalt anfängt und wo sie endet. Klar ist aber: Psychische Gewalt ist die häufigste Form von Gewalt, da sie sowohl in physischer und sexueller Gewalt impliziert ist als auch alleine vorkommen kann. Sie beschäftigen sich beruflich schon über ein Vierteljahrhundert mit Kindern und Jugendlichen. Dabei sind Ihnen sicher einige Fälle von psychischer Gewalt begegnet.
Ja, sehr viele und auch unterschiedliche. Doch häufig lässt sich ein solches elterliches Verhalten in Scheidungssituationen, besonders bei Kampfscheidungen, beobachten. Oder in Familien, in denen ein oder beide Elternteile psychisch erkrankt sind. In beiden Situationen sind die Eltern derart mit sich selbst beschäftigt, dass sie für die Anliegen und Bedürfnisse der Kinder nicht offen sind. Ihnen fehlt die Sensibilität gegenüber den Kindern oder sie in strumentalisieren die Kinder für ihre eigenen Anliegen. Kinder werden dann oft auch in eine Erwachsenenrolle gedrängt und müssen quasi für einen Elternteil sorgen – physisch und psychisch. Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Ein 12-jähriger Junge, integriert und aktiv, zieht sich plötzlich zurück, bleibt dem geliebten Training im Fussballklub fern, entwickelt körperliche Symptome wie Entzün- >>>
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Monatsinterview
>>> dungen und Schmerzen ohne medizinisch erkennbare Ursachen, trifft sich in der Freizeit nicht mehr mit seinen Freunden. Wie sich herausstellt, ist seine Mutter psychisch erkrankt und hat ihren Sohn an sich gebunden. Er muss die Rolle eines Pflegenden und Verpflegenden übernehmen und verliert dadurch die Möglichkeit, noch Kind sein zu können. Ein anderer Junge meldet sich per E-Mail und schreibt, dass er es nicht mehr aushalte zu Hause. Seine Mutter schreie ihn mindestens einmal wöchentlich «den ganzen Abend» an, werfe ihm vor, wie böse und undankbar er sei. Sie wecke ihn nachts auf und verletze fortlaufend seine Privatsphäre. In welchen Fällen müssen die Behör den eingreifen?
Immer dann, wenn das Kindeswohl gefährdet ist und die Eltern nicht fähig beziehungsweise nicht willens sind, an ihrem Verhalten beziehungsweise der Gefährdungssitua tion etwas zu ändern. Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Ich erinnere mich an eine 15-Jährige, die sich selbst an den Sozialdienst gewandt hat, weil sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten hat. Ihre Mutter, in der Trennung zum Vater lebend, sagte Dinge zu ihr wie:
«Das können Eltern wie Sie und ich sein, die in Situationen von Stress an ihre Grenzen kommen.» «Wenn du nicht mehr leben würdest, hätten wir kein Problem mehr.» Die Jugendliche wurde für das zerrüttete Verhältnis der Eltern verantwortlich gemacht. Dass sie Hilfe und Unterstützung nötig hatte, war naheliegend. Jemand, der dem Teenager ein Umfeld bieten konnte, das ihm half, die Verletzungen zu verarbeiten und das Selbstbewusstsein und Selbstver36
trauen aufzubauen. Ihre Eltern haben nie eine Beziehung zu ihrem Kind aufbauen können oder wollen. Was ist mit ihr passiert?
Die Behörden haben entschieden, dass das Mädchen in einer betreuten Wohngruppe platziert werden soll. Alle Beteiligten haben dem zugestimmt. Wie erkennen Sie einen Fall von psy chischer Gewalt?
Wir sind vor allem auf die Aussagen von Eltern und Kindern angewiesen. «Mein Mami sagt, dass sie mich lieber nie geboren hätte.» Es gibt Eltern, die so etwas völlig unbedarft vor Zeugen aussprechen. Im Rahmen von Untersuchungen wurde festgestellt, dass in Misshandlungsfamilien weniger kommuniziert wird und, wenn kommuniziert wird, oftmals negativ. Und in einem Umfeld, wo Beleidigungen und Schimpfwörter zum Standard der Kommunikation gehören, werden Beschimpfungen auch eher ausserhalb der eigenen vier Wände geäussert. Sie sprachen gerade von typischen Missbrauchsfamilien …
... so einfach ist das leider nicht. So vielfältig die Formen und Ausprägungen von psychischer Gewalt sind, so vielfältig sind auch die Familien. Das können Eltern mit niedrigem Bildungshintergrund sein, Mütter oder Väter mit einer psychischen Krankheit oder einem Suchtpro blem. Es können aber auch Eltern wie Sie und ich sein, die manchmal in Situationen von Stress, Überforderung an ihre Grenzen kommen. Die aus einer Enttäuschung heraus eine Äusserung machen und danach denken: «Oh nein, so etwas willst du doch eigentlich gar nicht sagen!» So wie es auch in der Kommunikation unter Erwachsenen passieren kann. Nur darf man dann nicht, weil es sich beim Gegenüber um ein Kind handelt, einfach darüber hinwegsehen. Kann man das Gesagte zurückneh men, sich entschuldigen?
Ja, unbedingt. «Sorry, es tut mir leid. Jetzt habe ich wieder etwas total
Unüberlegtes gesagt.» Aber dann lassen Sie es auch darauf bewenden. Diese Dinge passieren fast jeder Mutter oder jedem Vater mal. Davor ist keiner gefeit.
«Mehr Fantasie im Umgang mit Kindern würde vielen guttun.» Und was können Eltern tun, damit es erst gar nicht so weit kommt?
Wenn man merkt, dass es auf eine Eskalation zuläuft: sich zurücknehmen, ein Timeout nehmen, nachdenken und schauen, was man anders machen kann, um die Situation zu einem guten Ende zu bringen. Es gibt nur sehr wenige Situa tionen, in denen man unmittelbar handeln muss. Doch nicht selten beharren Eltern auf ihren Erziehungsmustern. Und das sind jahrhundertealte, unkreative Muster. Mehr Fantasie im Umgang mit Kindern würde vielen Familien guttun. Darüber hinaus sollte man sich immer wieder fragen: Möchte ich wirklich so behandelt werden, wie ich mein Kind gerade behandle? Ein Kind ist kein Objekt, sondern ein Subjekt mit Rechten und einem Anrecht auf Integrität. Ich persönlich finde es immer hilf reich, in extremen Stresssituationen mit den Kindern an meinen Partner zu übergeben: «Mach du das bitte, ich explodiere gleich.» Er ist in diesem Moment vielleicht entspannter und kann mit der Konfliktsituation gelas sener umgehen. Aber was machen Eltern, die diese Möglichkeit nicht haben, weil sie beispielsweise allein erziehend sind?
Ein altes Postulat von mir ist die Nachbarschaftshilfe. Warum schotten wir uns, wenn es um Erziehungsfragen geht, nach aussen hin so ab? Warum tun wir uns so schwer, über Erziehungsprobleme zu reden? Es ist März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Um noch einmal auf den Beginn unseres Gesprächs zurückzukommen: Das Mädchen, das verkauft werden sollte, ist heute erwachsen. Die Szene ist ihr gut im Gedächtnis geblieben, trotz-
dem zweifelt sie keine Sekunde daran, dass ihre Mutter sie damals wie heute über alles geliebt hat beziehungsweise liebt.
Ja, das ist die gute Nachricht. Nur weil man sein Kind mal psychisch verletzt, entwickeln sich daraus nicht notwendigerweise Probleme und Störungen. Wenn es spürt, okay, jetzt hat meine Mama die Fassung verloren, aber grundsätzlich weiss, sie liebt mich über alles, dann kann es ein Urvertrauen entwickeln, auf dessen Boden es so etwas gut verarbeiten kann. Wenn solche Szenen jedoch immer wieder und wieder vorkommen, gelingt dies irgendwann nicht mehr. >>>
so wichtig, dass eine Mutter bei der Nachbarin klingeln und fragen kann, ob sie ihr die Kinder mal für eine Stunde abnehme. Eltern sollten das formelle Netzwerk, bestehend aus Beratungsstellen, Kursangeboten und so weiter, ebenso in Anspruch nehmen wie das informelle: die eigenen Eltern, Geschwister, Freunde, Nachbarn. Aber dafür muss man erst einmal das Bewusstsein dafür schaffen, dass Hilfe annehmen kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke ist.
Evelin Hartmann, stellvertretende Chefredaktorin von Fritz+Fränzi, im Gespräch mit dem Psychologen und Heilpädagogen Franz Ziegler.
Zur Person Franz Ziegler studierte Heilpädagogik und Psychologie und leitete drei Jahre ein Kinderheim. Von 1990 bis 2006 war er Geschäftsleiter der nationalen Stiftung Kinderschutz Schweiz. Anschliessend leitete er die Fachstelle Kinderschutz im Kanton Solothurn, die Ende 2015 geschlossen wurde. Heute leitet der Kinderschutzexperte die Fachstelle Kindes- und Jugendschutz des Kantons Basel-Landschaft. Franz Ziegler ist verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn.
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Psychologie & Gesellschaft
«Papa, ich will dich nicht mehr sehen» Wenn sich Eltern trennen, bedeutet dies eine grundlegende Veränderung für alle. Nicht jede Familie findet ohne Hilfe zu einem Umgang, mit dem jedes Familienmitglied glücklich ist. Manchmal wenden sich Kinder sogar ab von einem Elternteil. Unsere Autorin weiss warum – und wer im Konfliktfall helfen kann. Text: Gisela Kilde
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ie Trennung der Eltern stellt für Kin der und Jugendliche ein kritisches Le bensereignis dar. Welches im besten Fall zu einer ruhigeren, konfliktfreieren Familie führt. Meist bedeutet es aber, dass das Leben komplizierter wird. Das Hin und Her zwischen zwei Wohn orten ist aufwendig. Dadurch verän dert sich das Leben der Kinder und Jugendlichen. Auch die Beziehung zu den Eltern verändert sich. In vielen Familien wird nicht nach der vom Gericht oder von der Kindes- und Erwachsenenschutzbe hörde KESB vorgesehenen Besuchs ordnung gelebt. Vielmehr organisie
Nicht die Symptome, der Kontaktabbruch, sondern die Ursachen müssen angegangen werden. 38
ren beide Eltern die Betreuung oder die Besuche und Ferien des Kindes flexibel – je nach den sich ändern den Bedürfnissen der Familienmit glieder. Allerdings haben viele Kin der zu einem der beiden Elternteile keinen regelmässigen Kontakt. Man che von Anfang an nicht, in anderen Fällen kommt der Kontakt nach einiger Zeit zum Erliegen. Verschiedene Ursachen können zu einem solchen Kontaktabbruch führen. Ein Beispiel: Moritz, 16 Jah re, lebt seit der Trennung der Eltern bei der Mutter. Seit Monaten weigert er sich, den Vater zu besuchen. Wie kann es dazu kommen? Zeigt der Vater kein Interesse an Moritz oder passt er die Besuche nicht Moritz’ Interessen und Bedürfnissen an, kann dies beim Buben zu einer Ver weigerungshaltung führen. Andererseits kann auch das Ver halten der Mutter bei ihrem Sohn das Gefühl auslösen, er solle sich für eine (ihre) Seite entscheiden. Sei es, indem sie auf Moritz’ Besuche beim Vater negativ reagiert, sei es, indem sie in Anwesenheit ihres Sohnes über den Vater schimpft. So sind bei
jüngeren Kindern oftmals weiter schwelende Paarkonflikte Grund für Kontaktschwierigkeiten. Aufgrund der lebenslangen Be deutung, die rechtliche Eltern für ihre Kinder haben, versuchen Ge richte und Kindesschutzbehörden den Kontakt aufzubauen und zu erhalten. Eine gute Beziehung kann nicht erzwungen werden
In der Vergangenheit wurde bei ein seitigem Verweigern der Besuche die Besuchsrechtsregelung erzwungen, indem die Polizei das Kind dem besuchsberechtigten Elternteil zu führte. Heute bestehen zwar immer noch gesetzliche Grundlagen, die ein Erzwingen des persönlichen Um gangs miteinander ermöglichen würden. Doch gute Beziehungen können nicht mit Zwang erreicht werden, weshalb ein solches Han deln nicht dem Kindeswohl ent spricht. Allenfalls wird bei unge rechtfertigter Besuchsverweigerung mittels Strafgesetzbuch eine Busse angedroht und bei Nichtbefolgen auch ausgesprochen.
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Bild: iStockphoto
In den letzten Jahren hat sich aber mehr und mehr die Einsicht durchgesetzt, nicht die Symptome, den Kontaktabbruch, anzugehen, sondern die dahinterstehenden Ursachen. So können Eltern durch die zuständige Behörde angewiesen werden, eine Beratung aufzusuchen. Diese Massnahme ist besonders dann sinnvoll, wenn ein Elternteil Schwierigkeiten in kindgerechter Betreuung oder in der altersgemässen Erziehung hat. In der Beratung wird beiden Eltern aufgezeigt, dass sich ihre fortdauernden Paarkonflikte schädigend auf die Kinder auswirken. In einer Mediation können konkrete und punktuelle Konflikte gelöst werden. Verweigert ein Jugendlicher wie Moritz die Besuche, kann direkt zwischen ihm und seinem Vater eine Mediation angeordnet werden. Bei schwerwiegenden Beziehungsproblemen zwischen Kind und Elternteil oder schädigendem elterlichem Verhalten kann eine (Familien-) Therapie in Frage kommen. Bei jüngeren Kindern steht der hauptsächlich betreuende >>>
Eltern können durch die Behörde angewiesen werden, eine Beratung aufzusuchen. Was tun bei einem Kontaktabbruch? • Um einen Kontakt zwischen Jugendlichen und Eltern wiederherzustellen, ist nach den Ursachen des Kontaktabbruchs zu forschen, um bei den Beteiligten eine innere Haltungsänderung erreichen zu können. • Bei Paarkonflikten kann eine Beratung, eine Mediation oder eine Therapie angeordnet werden. Mit dem Ziel, durch Informationsvermittlung, Konfliktlösung respektive eine Änderung des schädlichen Verhaltens die Ursachen des Kontaktabbruchs zu beseitigen. Und die Situation für die Kinder zu verbessern. • Verweigern Jugendliche den Kontakt, ist die Besuchsrechtsregelung entsprechend ihren geänderten Bedürfnissen abzuändern. Allenfalls hilft eine Mediation direkt zwischen Jugendlichem und Elternteil, eine passende Lösung zu finden. • Haben Jugendliche eigene schlechte Erfahrungen mit dem Elternteil gemacht oder sind sie beinahe volljährig, bleibt unter Umständen der Kontakt abgebrochen. In diesen Fällen können Erinnerungskontakte helfen, einen minimalen Informationsaustausch zwischen Elternteil und Jugendlichen herzustellen.
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Psychologie & Gesellschaft
In Fragen, die das Kind betreffen, sind Eltern zu gegenseitiger Loyalität und Kooperation verpflichtet. >>> Elternteil, in unserem Beispiel also die Mutter, in der besonderen Pflicht, für die Ausübung der Besuche zu sorgen. Durch erzieherische Mittel und Motivation kann sie tatsächlich Entscheidendes bewirken. Bei Moritz, dem 16-jährigen Jungen, wird es jedoch schwierig, ihn gegen seinen ausdrücklichen Willen zum Besuch beim Vater zu bewegen. Brechen Jugendliche nahe der Volljährigkeit den Kontakt ab, verzichten Behörden meistens auf die
Regelung von Besuchs- und Ferienrecht. In einem Fall hat das Zürcher Obergericht als Besuchsregelung gemeinsame Mittag- und Abend essen angeordnet. Das Bundesgericht hat diesen Entscheid gestützt. Unter gewissen Umständen können sogenannte Erinnerungskontakte zwischen Jugendlichen und Elternteil dazu dienen, einen minimalen Kontakt aufrechtzuerhalten. Mit Hilfe einer Fachperson wird bei gemeinsamen Treffen für einen gegenseitigen ungefilterten Informationsaustausch gesorgt. Um Kontaktschwierigkeiten oder gar einen Abbruch des Kontakts zu vermeiden, ist das Verhalten unmittelbar nach der Trennung entscheidend: In Fragen, die das Kind betreffen, sind Eltern zu gegenseitiger Loyalität, Kommunikation und Kooperation verpflichtet. Dies ver-
langt eine gewisse Toleranz gegenüber dem Erziehungsstil des anderen Elternteils. Ebenso haben sie ihre Konflikte von ihrem Kind fernzuhalten. Im Idealfall kann bei der Trennung an die bisherige Familienorganisation angeknüpft werden. Bleiben Vater und Mutter nahe beieinander wohnen, kann beispielsweise der Vater das Kind (weiterhin) in den Kindergarten oder zum Fussballtraining begleiten. Gemeinsame Mittag- oder Abendessen bleiben ebenfalls möglich. Auch für Elternteile, die bislang nicht aktiv am (Alltags-)Leben des Kindes teilgenommen haben, kann die Übernahme einer solchen Verantwortung die Teilnahme am täglichen Leben des Kindes ermöglichen. Das Kind selber wünscht sich mit zunehmendem Alter oft eine gewisse Flexibilität. In solchen Fällen ist
«Alles, was die Berge uns geben ... ... kann man in
unserer Milch
auch schmecken.» Judith, Pro Montagna Milchbäuerin
Seit Jahren produziert die Familie von Judith im Goms Bergmilch. Von Kühen, die ein vielseitiges Futter aus aromatischen Gräsern und Kräutern erhalten. So entsteht ein typisches Pro Montagna Produkt. Damit dies so weitergeht, fliesst auch in Zukunft bei jedem Kauf ein Solidarbeitrag an die Coop Patenschaft für Berggebiete. coop.ch/promontagna
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40 Von den Bergen. Von den Bauern.
es einfacher, wenn die Eltern Hand für flexible Besuchszeiten bieten. Handelt es sich um Wochenend besuche, sollten die Interessen des Kindes in die Planung mit einflies sen. Weiter kann eine bewusste Pla nung des Wochenendes mit vorgän giger Information aller Beteiligten helfen, allfällige Ängste des haupt sächlich betreuenden Elternteils zu vermindern. >>>
Die Betreuung im Trennungsfall • Bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verfügen beide Elternteile über Betreuungs anteile; diese können grundsätzlich beliebig unter den Eltern verteilt werden. Leitlinie bildet dabei das Kindswohl. In den meisten Familien gibt es aber einen hauptsächlich betreuenden Elternteil und einen, der ergänzend das Kind betreut. • Betreuen beide Eltern das Kind im ähnlichen Umfang, wird von alternierender Obhut gesprochen.
Gisela Kilde
Dr. iur., ist Koordinatorin und Lehrbeauftragte am Institut für Familienforschung und -beratung, Universität Freiburg.
• Liegt die alleinige Sorge vor, steht dem anderen Elternteil ein persönlicher Verkehr zu, der typischerweise aus einem Besuchsund Ferienrecht besteht. Auch diese Besuche können so ausgestaltet werden, dass es de facto zu einer hälftigen Betreuungszeit führt.
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Psychologie & Gesellschaft
Wenn der Schulweg zum Problem wird «Bereiten Sie Ihr Kind auf mögliche Gefahren auf dem Schulweg vor!»
Wenn der Schulweg nicht bloss eitel Freude bedeutet, kann das verschiedene Gründe haben. Etwa weil ängstliche Eltern sich mit Lehrpersonen im Clinch befinden, die erwarten, dass die Kinder alleine zur Schule kommen. Text: Susan Edthofer
A
uf dem Weg zur Schule lernen Kinder eine Menge und eignen sich in diesem Erlebnis- und Erfahrungsraum eine gewisse Eigenständigkeit an. Deshalb sollten Schulkinder den Weg bald alleine bewältigen, sind Fachleute überzeugt. Beim Unterwegssein lernen Kinder, sich selbständig zu behaupten und Gefahren auf der Strasse selber einzuschätzen. Auch das Agieren in einer Gruppe und das Zusammentreffen unterschiedlicher Altersgruppen werden auf dem Schulweg geübt. Doch zunehmend häufiger werden Eltern von Ängsten geplagt und befürchten, dass ihrem Kind etwas passieren könnte. Und manchmal spielt auch Bequemlichkeit mit: Es geht schneller, wenn man das Kind ins Auto packt und direkt vor der Schule abliefert. Dass das Kind den Launen anderer Kinder einfach ausgeliefert ist, beschäftigt Mütter und Väter ebenfalls. Doch besteht die Lösung wirklich darin, das Kind stattdessen in die Schule zu begleiten? Vielleicht wird es gerade deswegen ausgelacht und nicht ernstgenommen. Viel wichtiger ist, genau hinzuhören, um zu eruieren, was abläuft. Häufen sich die Vorfälle, sollte die Lehrerin, der Lehrer informiert werden, damit das Problem in der Schule angesprochen und Lösungsansätze gesucht werden können. Die Sicherheit steht an oberster Stelle
In Städten ist die Gefährlichkeit ein zentrales Thema. Eltern, die ihr Kind gut auf den Schulweg vorbereiten, leisten einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit. Je besser das Kind den Weg kennt und weiss, wo Gefahren lauern könnten, desto eher ist es gegen Unvorhergesehenes gewappnet. Diese Gewissheit hilft Eltern, loszulassen und Kinder alleine loszuschicken. In ländlichen Gegenden ist die Länge des Weges zentral. Aufgrund von schwindenden Schülerzahlen werden Klassen zusammengelegt, was sich natürlich auch auf die Schulwege auswirkt. Laut Richtlinien des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz gelten 42
Susan Edthofer ist Redaktorin im Bereich Kommunikation von Pro Juventute.
Schulwege von mehr als 30 Minuten pro Weg und eine Mittagszeit von weniger als 45 Minuten als unzumutbar. Denn lange und un attraktive Wege würden auf Kosten einer sinnvollen Freizeit gehen und Kinder beim Erledigen von Hausaufgaben benachteiligen. Schulen in der Pflicht
Schulen sind verpflichtet, regelmässig Verkehrsunterricht anzubieten und Kinder auf den Verkehr vorzubereiten. Bei Schulhäusern muss an gefährlichen Stellen die Sicherheit der Kinder mit einem Lotsendienst oder durch die Polizei gewährleistet werden. Zudem fordert der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, dass beim Zusammenlegen von Schulen und Klassen Überlegungen zum Transport und zur Dauer des Schulwegs gemacht werden. Bei solchen Entscheidungen sollte stets das Interesse des Kindes im Mittelpunkt stehen.
Was Eltern tun können – vier Tipps • Fahren Sie Ihr Kind nicht aus Bequemlichkeit oder weil es regnet oder kalt ist, zur Schule. Der Schulweg ist ein wichtiges Lernfeld und bietet Raum für Erlebnisse und Entdeckungen. • Bereiten Sie Ihr Kind auf den Schulweg und mögliche Gefahrenherde vor. • Stärken Sie das Selbstvertrauen Ihres Kindes, indem Sie ihm zutrauen, den Schulweg alleine bewältigen zu können. • Suchen Sie das Gespräch mit anderen Kindern, Eltern und Lehrpersonen, wenn Ihr Kind unter ständigen Streitigkeiten auf dem Schulweg leidet.
Pro Juventute Elternberatung Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (058 261 61 61) oder online (www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag, zur Erziehung, zum Schulweg stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen keine Kosten an. In den Elternbriefen und Extrabriefen finden Eltern Informationen für den Erziehungsalltag. Mehr Infos www.projuventute.ch
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Kolumne
Macht Kriegsspielzeug Kinder aggressiv?
U Jesper Juul ist Familientherapeut und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familien. 1948 in Dänemark geboren, fuhr er nach dem Schulabschluss zur See, war später Betonarbeiter, Tellerwäscher und Barkeeper. Nach der Lehrerausbildung arbeitete er als Heimerzieher und Sozialarbeiter und bildete sich in den Niederlanden und den USA bei Walter Kempler zum Familientherapeuten weiter. Seit 2012 leidet Juul an einer Entzündung der Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im Rollstuhl. Jesper Juul hat einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter Ehe geschieden.
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nser fünf Jahre alter Sohn hat Spielfigu ren, mit denen er sich ins Rollenspiel ver tieft. Wir sehen ihn nicht als «Problemkind». Im Gegen teil, wir erleben ihn als offen und lieb. Auch die Kinder im Kindergar ten kommen gut mit ihm aus. Einmal beobachtete ich dort, wie er mit einem älteren Buben mit zwei Stöcken spielte, als seien es Gewehre. Ich sprach mit befreundeten Eltern darüber und erhielt alle möglichen Antworten – von «Ach, wir haben doch als Kinder auch Cowboy und Indianer gespielt» bis «Das ist nicht okay, du musst etwas dagegen tun!». Unser Sohn hat ein Spielzeug schwert und eine Plastikpistole. Manchmal spielt er mit Stöcken als Schwert oder Gewehr. Er erschiesst sich selbst und sagt: «Jetzt bin ich tot!», um ein paar Minuten später wieder zum Leben zu erwachen. Oder er fordert uns auf, mitzuspie len, uns dabei gegenseitig zu er schiessen und uns tot zu stellen. Wenn er auf uns böse ist, formt er seine Finger zu einer Pistole und sagt «peng, peng». Auch andere Buben im Kindergarten machen das.
Die Aggression ist ein natürlicher und notwendiger Teil unserer Emotionen.
Wir haben uns entschlossen, vorerst nicht weiter darauf einzugehen. Wir glauben, dass sein Spiel mit dem Todsein eine unschuldige und harm lose Form des Spielens ist. Er hat keinen Bezug zum Tod und sieht auch nie Beängstigendes im Fern sehen. Wir machen uns Gedanken darüber und wählen auch aus, was er im Kinderfernsehen schauen darf. Er sieht mit uns keine Nachrichten, und auch bei seinen engen Freunden wird das zu Hause so gehandhabt. Aber einmal mussten wir eingrei fen. Er spielte mit seinen Spielfigu ren, dass er einem Männchen die Kehle durchschneidet. Mein Mann und ich sahen uns an und sagten: «Oh nein, dieser arme Mann.» Unser Sohn entgegnete, der Mann sei ein Dieb. Mein Mann antwortete: «Aber das machen wir nicht mit Dieben. Sie kommen ins Gefäng nis.» Darauf steckte unser Sohn die Figur ins «Gefängnis». Am nächsten Tag tat er so, als ob er seiner fünf Monate alten Schwester die Kehle durchschneide. Mein Mann reagier te sofort und sagte: «Ich will nicht, dass du so mit deiner Schwester spielst!» Unser Sohn sagte «okay» und spielte etwas anderes. Meine Schwester erzählte mir kürzlich, dass ihre beiden Söhne, die vier und sieben Jahre alt sind, mit den Nachbarsbuben Bombenhagel nachspielen, ihre Mütter mit Bom ben töten und sich gegenseitig köp fen. Wie sie sagt, schauen die Nach barsbuben mit ihren Eltern
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Eine verunsicherte Mutter sucht Rat: Sollen Eltern eingreifen, wenn sich Kinder gegenseitig mit Plastikpistolen «erschiessen» und so tun, als würden sie anderen Kindern die Kehle durchschneiden?
Nachrichten, in denen von Krieg, Entführungen und Terror berichtet wird. Sie hat nun versucht, den Kontakt zu diesen Nachbarskindern einzuschränken, und hat auch Regeln aufgestellt, was für sie okay ist und was nicht. Aber wo ist die Grenze, das Spielen zu verbieten? Welches Spielzeug können wir ruhigen Gewissens unseren Kindern geben? Mit Spielzeugpistolen und Schwertern können sie sich nicht verletzen. Und wie ist das mit Spielfiguren von «Superhelden»? Wir wollen nicht, dass unser Sohn zum Gewalttäter wird. Jesper Juul antwortet
Lassen Sie mich damit beginnen, dass die Art und Weise, wie Sie und Ihr Mann bisher auf die aggressiven Spielmomente reagierten, vorbildlich ist. Ihr Sohn lernt durch Ihre Rückmeldungen über sein Verhalten. Historisch gesehen haben Eltern regelmässig genau das Gegenteil praktiziert: Sie haben die Grenzen der Kinder durch Kritik verletzt. Strafen, Tadel und Gewalt wurden als Versuch dafür eingesetzt, Kindern beizubringen, die Grenzen anderer Menschen zu respektieren. Es ist nicht gesagt, dass Ihr Sohn mit seinem Experimentieren und Forschen bereit ist zur Frage, welche Möglichkeiten noch in einem Plastikschwert stecken. In der Eisenzeit wurden Schwerter ja auch nicht dazu erfunden, Brot damit zu schneiden. Solange Ihr Sohn nicht durch Angst gesteuert wird und er offen spielt, wird er auch offen für Ihre Einwände sein. Als meine Generation kleine Kinder hatte, wurde Kriegsspielzeug von vielen Eltern und Bildungseinrichtungen kategorisch verboten, weil es den damals geltenden Idealen des Pazifismus widersprach. Man wollte nichts davon wissen, dass die Aggression ein natürlicher und auch notwendiger Teil unserer menschlichen Emotionen ist.
Nicht die Spielsachen machen die Kinder zu Gewalttätern. Das machen die anderen Menschen. Das totale Verbot ist zum Glück nie gelungen, weil die Kinder andere Wege und Möglichkeiten gefunden haben, das Gleiche auszudrücken. Ein Verbot ist absurd. Genauso gut könnten wir Kindern verbieten, ihre Sexualität, ihre Freude oder ihre Trauer auszudrücken. Die Kunst der Aufklärung besteht nicht darin, Verbote auszusprechen. Es geht darum, unsere Kinder klug und vertrauensvoll zu begleiten – auf Basis universeller menschlicher Gefühle, die Ausdruck in der Kultur finden, in der die Kinder aufwachsen. Das Dilemma Ihrer Schwester ist ein schönes Beispiel für die globale Kultur, in der unsere Kinder heute aufwachsen. Wann und wie Kinder mit der Realität konfrontiert werden, müssen die Eltern selbst herausfinden. Eltern haben immer die Macht darüber, die Freundinnen und Freunde ihrer Kinder auszuwählen, um sie vor vermeintlichen Gefahren zu schützen. Ich persönlich würde eine andere Wahl treffen, aber das ist so wie mit vielen anderen persönlichen Wahlmöglichkeiten auch: Sie sind weder richtig noch falsch. Während meiner Arbeit habe ich viele traumatisierte Flüchtlingskinder kennengelernt, die ihre Erfahrungen im Spiel oder in Zeichnungen ausdrückten. Sie brauchen lange Zeit Hilfe, die sie leider nur selten bekommen – weder von ihren Eltern noch von der Gesellschaft. Das gleiche Prinzip gilt für alle Kinderspiele: Kinder verarbeiten und integrieren dabei unter anderem Erlebtes. Ihr Sohn nähert sich einer Phase, in der er sich, wie die meisten anderen Kinder auch, mit dem Tod beschäftigt. Bald wird er darüber
nachdenken, dass auch seine Eltern sterben können. Was wird mit ihm geschehen, was wird mit ihm sein, falls das passiert? Er hat das Glück, mit nachdenklichen und liebevollen Eltern aufzuwachsen. So wird er offen über alles sprechen und seine Fragen stellen. Auf die Frage zum richtigen Spielzeug gibt es, glaube ich, keine gute Antwort: Wie Sie es ja beschreiben, braucht es keine Plastikpistolen, um Schiessen zu spielen. Es gibt ausgezeichnete pädagogische Spielmaterialien. Sie werden gegenüber anderen Spielmaterialien auf dem Markt danach beurteilt, welche Sinne sie im richtigen Alter stimulieren und welchen ästhetischen Wert sie haben. Meiner Meinung nach ist es so, dass – wie auch in anderen Fällen – vor allem die Eltern nachdenken und sicher sein müssen, ob sie sich mit einem guten Gewissen selbst in die Augen sehen können. Nicht die Spielsachen machen Kinder zu Gewalttätern. Das machen die anderen Menschen.
Haben auch Sie eine Frage an Jesper Juul, die er persönlich beantworten soll? Dann schreiben Sie uns eine E-Mail an redaktion@fritzundfraenzi.ch oder einen Brief an: Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen in Zusammenarbeit mit
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 45
Erziehung & Schule
Wie Kinder leiden,
wenn Eltern
Die Suchterkrankung von Eltern bleibt Kindern niemals verborgen. Die Buben und Mädchen bekommen wenig Aufmerksamkeit und fühlen sich oft schuldig. Wie Eltern und Experten helfen können. Text: Rut Brunner Zimmermann
Belastung nicht spurlos an den Kindern vorbeigeht und sie in ihrer Entwicklung gefährden kann. Gewiss spielt dabei der Grad der Suchtbelastung eine Rolle und es gibt auch korrigierende Faktoren. Tatsache aber ist, dass die Sucht eines Elternteils die ganze Familie betrifft. Auch dann, wenn sich die Eltern bemühen, die Kinder davon fernzuhalten. «Ich konnte meinen Vater nicht spüren»
Kinder aus betroffenen Familien haben oft Probleme, Bindungen einzugehen – und das setzt sich im Erwachsenenalter fort. Der Grund dafür ist, dass sie wenig Verlässlichkeit, Fürsorge, Verständnis, emotionale Verfügbarkeit und Vertrauen von ihrem suchtkranken >>>
Kinder aus suchtkranken Familien haben oft Probleme, Bindungen einzugehen. 46
Bild: BreBa / Beyond / Plainpicture
eine Kinder haben von allem nichts mitbekommen. – Diesen Satz höre ich oft von Eltern, die wegen einer Suchterkrankung in die Beratung kommen. Und meist wird noch hinzugefügt: «Ich habe getrunken, während die Kinder schliefen, ich ging normal der Arbeit nach, und die Kinder haben auch nie gefragt.» Hinter diesen Gedanken steckt ein verständlicher Wunsch: Eltern möchten ihre Kinder vor den eigenen Schwächen und Problemen bewahren. Der Gedanke, dass die elterliche Sucht negative Auswirkungen auf die Kinder haben könnte, ist für viele schwer zu ertragen. Dennoch belegen Studien unzweifelhaft, dass eine solche familiäre
Zahlen Gemäss SuchtSchweiz leben in der Schweiz etwa 250 000 alkoholabhängige Menschen. Rund 100 000 Kinder in der Schweiz haben eine alkoholabhängige Mutter oder einen alkoholabhängigen Vater. Dies bei einer hohen Dunkelziffer, denn die Zahlen beziehen sich auf die wegen einer Alkoholabhängigkeit in Behandlung stehenden Patientinnen und Patienten. Beim Konsum von illegalen Substanzen oder anderen Süchten fehlen Zahlen.
Links www.mamatrinkt.ch www.papatrinkt.ch www.suchtschweiz.ch
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 47
Betroffene Kinder müssen jüngere Geschwister betreuen, fürs Essen sorgen, den Haushalt machen.
>>> Elternteil erfahren haben. Manchmal kann dies durch den gesunden Elternteil kompensiert werden. Oder das Kind hat das Glück, dass es andere Personen in seiner Nähe gibt, die eine verlässliche Bindung anbieten. Dies würde die kindlichen Ressourcen stärken und die Entwicklungsprognosen verbessern, wie die Resilienzforschung zeigt. (Resilienz ist eine psychische und physische Widerstandsfähigkeit.) Die Beziehung zum betroffenen Elternteil aufzubauen, ist hingegen schwierig. Kürzlich sagte mir eine erwachsene Person, welche als Kind die Sucht des Vaters erlebt hat: «Mein Vater war zwar da, dennoch war er nicht da. Ich konnte ihn nicht erreichen. Er war nicht spürbar.» Kinder nehmen den alkoholisierten Elternteil oft wie durch eine «Scheibe» wahr. Die Sucht oder der Alkohol stehen dazwischen. Das er schwert eine authentische Beziehung oder macht sie gar unmöglich. Betroffene Kinder haben ausserdem häufig Mühe, ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche wahrzunehmen. Sie haben sehr gute Antennen dafür entwickelt, was von ihnen erwartet wird. Ihr ganzer Fokus ist darauf ausgerichtet, die Bedürfnisse der andern wahrzunehmen und zu befriedigen. Kinder, die in suchtbelasteten Familien aufwachsen, zeigen oft ein geringes Selbstwertgefühl. Zu Hause standen die suchtkranken Eltern, die Suchtthematik oder der Stoff im Mittelpunkt – sie selbst haben wenig Aufmerksamkeit bekommen. Daher 48
konnten ihre Eltern sie auch nicht bei ihren alterstypischen Entwicklungsaufgaben unterstützen. Andere betroffene Kinder wirken seltsam erwachsen. Schon sehr früh haben sie Erwachsenen-Aufgaben übernehmen müssen und wurden so um ihre Kindheit betrogen. Es kam zu einer Rollenumkehr: Die Kinder mussten jüngere Geschwister be treuen, fürs Essen sorgen, den Haushalt machen. Dies gilt vor allem bei suchterkrankten Alleinerziehenden. Hier sind die Kinder ganz besonders gefährdet. Diese Kinder lernen früh und beeindruckend, Verantwortung zu übernehmen, kommen dabei aber selbst zu kurz.
und Aufmerksamkeits- und Konzentrationsproblemen bei den Kindern gibt. Sie haben den Kopf verständlicherweise woanders, sind besetzt von Sorgen, von denen sie eigentlich frei sein müssten. Hinzu kommt, dass es sich wie ein Verrat an den Eltern anfühlen würde, sich jemandem anzuvertrauen. Eltern, die den eigenen Konsum hinterfragen, gehen bereits den ersten wichtigen Schritt. Der nächste Schritt sollte sie zu einer Fachstelle führen, um sich professionell beraten zu lassen. Sucht ist eine psychische Erkrankung. Es braucht die Hilfe von Experten und keine fami lieninternen Therapien. In der Fachstelle erhalten Eltern auch Unterstützung für das alters adäquate Gespräch mit den Kindern. Denn oft wurde das Thema zu Hause tabuisiert. Es tut den Kindern gut, wenn ihnen gesagt wird, dass Vater oder Mutter krank sind. Sie haben jetzt eine Erklärung für das
Schritt für Schritt zum klärenden Gespräch
«Ich habe mich oft meiner Mutter oder meines Vaters geschämt», ist ebenfalls ein typischer Satz für Kinder von suchterkrankten Eltern. Das Kind, das den betrunkenen Vater vom Stammtisch heimholen musste, ist da sicher ein Extrembeispiel. Viele Kinder wagen es kaum, Kolleginnen und Kollegen nach Hause zu nehmen, weil sie nie wissen, wie sie Vater oder Mutter antreffen. Sie haben gelernt, mit dieser Unberechenbarkeit zu leben, wollen diese Erfahrung den Freunden aber nicht zumuten. Dies führt zusätzlich oft zu Schwierigkeiten in der Beziehung zu Gleichaltrigen. Nicht zuletzt weisen betroffene Kinder Leistungseinbussen in der Schule auf. Untersuchungen zeigen, dass es einen auffälligen Zusammenhang zwischen elterlicher Sucht
Wann liegt ein Alkoholproblem vor? 1. Hatten Sie jemals das Gefühl, Ihren Konsum an alkoholischen Getränken verringern zu müssen? 2. Hat Ihr Umfeld schon einmal Bemerkungen über Ihren Alkoholkonsum gemacht? 3. Hatten Sie schon einmal den Eindruck, dass Sie zu viel trinken? 4. Haben Sie schon einmal am Morgen Alkohol gebraucht, um in Form zu sein? Wenn Sie zwei oder mehr dieser Fragen mit Ja beantworten, könnte es sein, dass ein problematischer Alkoholkonsum vorliegt. In diesem Fall sollten Sie bei einer Sucht beratungsstelle Hilfe suchen. (vgl. www.aktionstag-alkoholprobleme.ch)
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule
wenn Kinder und Eltern offen miteinander sprechen. Ein solches Gespräch ist eine Erleichterung – und keine zusätzliche Belastung, wie viele Suchterkrankte befürchten. Denn Kinder nehmen die elterliche Suchterkrankung immer wahr, sogar schon im Mutterleib.
Kinder nehmen die elterliche Suchterkrankung immer wahr, sogar schon im Mutterleib.
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vielleicht unverständliche Verhalten der betroffenen Eltern. Das wirkt entlastend. Kinder suchen oft die Schuld im eigenen Verhalten: «Mein Vater trinkt, weil ich mich schlecht benommen habe.» Und dann erhalten Kinder endlich die Möglichkeit, zu sagen, wie es ihnen geht, was sie belastet, was ihnen Sorgen macht. Gewiss ist dieses Gespräch nicht leicht. Eltern zeigen sich verletzlich, gestehen Schwächen ein, können jetzt aber auch lernen, sich in die Lage ihrer Kinder zu versetzen. Dies ist oft der Punkt, an denen Eltern erst klar wird, dass ihre Kinder sehr wohl viel mitbekommen haben. Auch wenn sie es vielleicht nicht verstanden haben und nicht einordnen konnten. Auch wenn darüber nicht geredet wurde. Es ist unsere Erfahrung aus der therapeutischen Arbeit mit betroffenen Kindern und Familien, dass sich Verhaltensauffälligkeiten und andere Symptome auflösen können,
Regionale Suchtberatungsstellen (erste Anlaufstelle, Hinweise für Entzug, Therapien und Klinikaufenthalte) Rut Brunner Zimmermann ist eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin und Dozentin an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH).
• Selbsthilfeorganisation bei Alkoholproblemen www.iogt.ch • Therapiestelle für Kinder suchtkranker Eltern ZEBRA, Winterthur stadt.winterthur.ch (im Suchfeld ZEBRA eingeben)
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Erziehung & Schule
Die Tür zur Fantasie öffnen Beim kreativen Schreiben gibt es kein Richtig oder Falsch. Es geht dabei vielmehr um den Ausdruck von Fantasie und das erfinderische Experimentieren mit Sprache. Schreibideen für zu Hause, die auch Rechtschreibmuffeln Spass machen und Erfolg bereiten. Text: Johanna Oeschger
Buchstabenbilder Buchstaben und Worte kann man auch zum Malen verwenden: Das Wort Sonne formt die Strahlen einer gezeichneten Sonne, viele kleine Buchstaben bilden den Anfangsbuchstaben eines Namens usw. Mit den Buchstabenbildern können die Kinder z. B. spezielle Grusskarten oder Namensschilder gestalten. Wurmurmeltier und Forellensittich Zwei Tiernamen werden zu zoologischen Neukreationen zusammengesetzt. Dann zeichnen die Kinder ihr Fantasietier und beschriften es. Auf der Rückseite können sie weitere Besonderheiten des Tiers aufschreiben (oder reimen): Was frisst das Tier? Wo wohnt es? Wer sind seine Eltern, Geschwister, Freunde? Geschichten-Würfel Die Spieler würfeln Symbole und fabulieren eine Geschichte dazu. Ältere Kinder schreiben gleichzeitig mit den anderen Spielern innerhalb eines Zeitlimits. Nach Ablauf der Zeit werden die Texte in der Runde vorgetragen. Die passen-
Hintergrund Am Anfang des kreativen Schreibens regt ein Erlebnis, Bild, Wort oder ein anderer Impuls dazu an, die eigene Fantasie, persönliche Erinnerungen oder subjektives Empfinden in einem Text auszudrücken. Dabei steht der offene, sinnliche und kreative Umgang mit Sprache und Schrift im Mittelpunkt, normative Regeln müssen nicht beachtet werden. Das kreative Schreiben ermuntert so zum Experimentieren und führt auch bei Kindern, die sich mit Rechtschreibung und Grammatik schwertun, zum Schreiberfolg. Den Lesern eröffnet es faszinierende Einblicke in das Erleben der Kinder.
den Würfel gibt es z. B. von «Icon Poets» der Gebrüder Frei oder von «Rory’s Story Cubes» (Letztere sind auch als App erhältlich).
App-Tipp Diese App verwandelt Schrift in Kunst: Zuerst den Text eintippen, dann mit dem Finger Formen und Figuren malen – anstelle von Linien erscheinen Buchstaben. Erhältlich für iOS (Fr. 2.–) und Android (gratis).
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Johanna Oeschger
ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin, unterrichtet Deutsch und Englisch auf der Sekundarstufe II und arbeitet als Mediendidaktikerin bei LerNetz.
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Bilder: ZVG
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Kolumne
An alle schlechten Eltern
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Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
Mikael Krogerus ist Autor und Journalist. Der Finne ist Vater einer Tochter und eines Sohnes, lebt in Biel und schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi und andere Schweizer Medien.
atersein hat mich vor allem in einem Punkt verändert: Es hat mich verständnisvoller gemacht. Nicht gegenüber Kindern – Gott be wahre! Da bin ich ungeduldiger, ja ungehaltener als früher. Nein, verständnisvoller gegenüber anderen Eltern. Früher habe ich Eltern oft bewertet. Und mir ausgemalt, wie liebevoll, abenteuerlustig und verspielt ich dereinst mit meinen Kindern umgehen würde. Heute bin ich vorsichtiger. Wenn ich eine müde Mutter mit ihrem nörgelnden Kind in der Schlange an der Coop-Kasse sehe und höre, wie das Kind schon wieder ansetzt: «Mami, i wott no Schoggi …» – worauf die Mutter komplett die Fassung verliert und brüllt: «I wott, I wott, I wott – du kannst doch verdammt nochmal nicht immer nur wollen!». Dann denke ich nicht mehr im Bettina-Wegner*-Tonfall: «Es sind so kleine Kinder, die darf man nicht anschreien!» Nein, meine Sympathien sind bei der Mutter: «Was für ein grässliches, rücksichtsloses Kind!», denke ich. Manchmal werde ich innerlich richtig laut – «Rettet die Frau!» Natürlich würde ich nichts dergleichen sagen. Nicht mal denken. Aber wissen Sie, was ich meine? Neulich sah ich, wie ein Vater auf einer Bank vor dem Spielplatz nicht ein einziges Mal von seinem Smartphone aufblickte, als sein Kind ihn fragte: «Kann ich den Schnee essen?» Früher hätte ich gedacht: «Was ist denn das für ein Vater? Wenn ich einmal Kinder habe, werde ich ihnen jede Frage beantworten und ihre Augen öffnen für die Wunder dieser Welt.» Heute denke ich: «Lass den Mann in Ruhe und beschäftige dich selber.» Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe meine Kinder. Aber was kinderlose Erwachsene gern vergessen: Kinder machen nicht nur glücklich. Sie saugen dich auch aus. Sie können die schlimmsten Seiten in dir wecken. Und dich zum Gegen teil von dem machen, was du eigentlich gerne wärst. Elternsein ist ein tägliches Scheitern, und ich finde, Eltern bekommen dafür zu wenig Verständnis. Lange Zeit beeindruckten mich (scheinbar) perfekte Familien, in denen glück liche Kinder und stolze Eltern Hand in Hand durchs Leben spazieren. Ich fragte mich: Wie machen die das? Inzwischen frage ich mich: Was, wenn es vielleicht gar nicht gute Eltern sind, sondern bloss gute Kinder? Kinder, die einfach von selbst aufrichtig, engagiert und zufrieden geworden sind – und nicht weil ihre Eltern alles richtig gemacht haben? Niemand wird bestreiten, dass Liebe und Zuneigung für Kinder so wichtig ist wie Atmen und Schlafen, aber darüber hinaus, könnte es nicht sein, dass sie sich auch ein klein wenig autonom entwickeln, von ihrem Umfeld und ihrer Herkunft geprägt werden und nicht ausschliesslich von ihren Eltern? Vielleicht stimmt das nicht. Aber in den schwärzesten Stunden meines Eltern seins ist es ein kleiner Trost, dass wir die Wirklichkeit nicht planen, sondern nur in ihr leben können. * Bettina Wegner ist eine deutsche Liedermacherin und Lyrikerin. Ihr bekanntestes Lied ist «Kinder» (Sind so kleine Hände …).
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Elterncoaching
Wie wird mein Kind selbständiger? Damit unsere Kinder als Erwachsene fähig sind, Entscheidungen zu treffen und das Leben selber zu gestalten, müssen sie ihre Eigenständigkeit entwickeln können.
www.mit-kindern-lernen.ch www.biber-blog.com
E
Selbständigkeit bei Kindern wird von Fachpersonen gefordert
In meiner Arbeit begegnen mir immer wieder Eltern, die sich Sorgen machen, weil ihr Kind nicht selb ständig genug sei: Es habe Mühe mit dem selbstorganisierten Lernen und mache die Hausaufgaben nicht allei ne. Auch mir ist die Forderung nach mehr Selbständigkeit bereits begeg net. Unser Kinderarzt wies uns dar auf hin, dass unsere Kinder lernen sollten, alleine einzuschlafen, und empfahl uns das Buch «Jedes Kind
Selbständigkeit entwickelt sich in gegenseitigem Vertrauen und durch genügend Gelegenheiten zum selbständigen Tun. 52
kann schlafen lernen». Wie die Anekdote am Anfang zeigt, haben wir seinen Rat nicht befolgt. Selbständigkeit lässt sich nicht erzwingen
Selbständigkeit ist in unserer Kultur ein wichtiges Ziel: Unsere Kinder sollen als Erwachsene in der Lage sein, sich in einer komplexen Welt zurechtzufinden, eigene Entschei dungen zu treffen und ihr Leben selbst zu gestalten. Doch Eigenständigkeit entwi ckelt sich nicht über Nacht, nicht durch Zwang und auch nicht dadurch, dass man ein Kind sich selbst überlässt. Sie entwickelt sich in Beziehung, in gegenseitigem Ver trauen und durch genügend Gele genheiten zum selbständigen Tun. Das Tempo gibt dabei das Kind vor – nicht irgendeine Normvorstellung. Selbständigkeit entsteht in Beziehung
Beobachtungsstudien zeigen: Je sicherer Kinder sich in der Bezie hung zu ihren Eltern fühlen, desto besser können sie sich von ihnen loslösen, um ihre Umgebung zu erkunden. Wenn ein Kind die Erfah rung macht, dass seine Eltern da sind, wenn es Hilfe braucht, ihm beistehen, wenn es sich unsicher fühlt, und ihm zuhören, wenn es etwas loswerden muss, kann es in Ruhe ausprobieren und eigene Er fahrungen sammeln. Das Vertrauen,
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor («Mit Kindern lernen»). In der Rubrik «Elterncoaching» beantwortet er Fragen aus dem Familienalltag. Der 37-Jährige ist verheiratet und Vater eines Sohnes, 4, und einer Tochter, 1. Er lebt mit seiner Familie in Freiburg.
s ist Samstagmorgen, acht Uhr, mein Vierjäh riger schleicht aus dem Bett. Ich döse etwas wei ter. Eine halbe Stunde später steht er vergnügt vor mir: «Schau, Papa, ich habe mich ganz alleine angezogen!» Tatsächlich: Sogar die Knöpfe seines Pullovers und den Gürtel hat er zugekriegt! Dann wandelt sich sein Gesichtsaus druck von stolz zu besorgt: «Aber, Papa – weisst du, was ganz, ganz schwierig ist und was ich noch ganz lange nicht kann? Alleine schlafen.»
dass die Eltern und andere Erwachsene verfügbar sind, um Schutz, Sicherheit und Nähe zu spenden, bildet die Basis für die Selbständigkeit des Kindes. Viele Kinder benötigen diese Nähe auch im Schulalter. Es gelingt ihnen zum Beispiel besser, die Hausaufgaben selbständig zu erledigen, wenn sie dabei nicht alleine sind. Setzen Sie sich zu Ihrem Kind an den Tisch und gehen Sie eigenen Aufgaben nach: Beantworten Sie E-Mails, bezahlen Sie Rechnungen – und signalisieren Sie dem Kind, dass Sie ungestört arbeiten möchten. Selbständigkeit entsteht durch Zutrauen
Während das Kind Vertrauen in die Eltern braucht, um sich sicher zu fühlen, müssen die Eltern genügend Zuversicht in das Kind und das Leben entwickeln, um es so weit loszulassen, dass es eigenständig werden kann. Dieses Vertrauen lässt sich nicht in einem oberflächlichen «Du schaffst das!» äussern. Es basiert auf dem Gefühl, dass das Kind seinen Weg gehen wird und dabei Fehler und Umwege machen darf. Es besteht in der neugierigen Frage «Wollen wir mal sehen, ob du das schaffst?» und der unausgesprochenen Versicherung, dass Experimentieren und Fehlermachen erlaubt sind und man mit Misserfolgen umgehen kann. Wenn jemand zu uns «Du schaffst das!» sagt, fragen wir uns in Gedanken fast automatisch: «Und wenn nicht?» Es ist ermutigend, wenn die Antwort darauf lautet: «Dann sehen wir weiter und versuchen etwas anderes. Und wenn alles nicht funktioniert, dann können wir damit leben.» Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kind Ihr «Du schaffst das!» nicht annehmen kann, können Sie darauf achten, wie Sie sich in diesem Moment fühlen. Sind Sie angespannt? Fühlen Sie sich unter Druck, dass Ihr Kind etwas eigentlich schon
können müsste? Sind Sie frustriert oder wütend, weil Ihr Kind nicht auf Ihren Zuspruch reagiert? Plagen Sie Sorgen um das Kind? Ihr Kind wird stärker auf Ihre Gefühle reagieren als auf Ihre Worte. In dieser Situa tion können Sie etwas Neues ausprobieren. Zum Beispiel: «Ja, ich weiss auch nicht, ob du das schaffst. Sieht ganz schön schwierig aus! Wir lesen mal die Aufgabe und schauen, worum es geht.» Selbständigkeit entsteht durch Freiraum
Neben Vertrauen benötigen Kinder Gelegenheiten und Zeit, um sich kennenzulernen und sich auszuprobieren. Dies gelingt Kindern am besten im freien Spiel mit anderen Kindern. Dort müssen alle Kinder Vorschläge einbringen, in der Gruppe für ihre Ideen einstehen und andere für sich gewinnen. Sie müssen Entscheidungen treffen, sich ab und zu durchsetzen oder nachgeben. Sie müssen Enttäuschungen verkraften und sich wieder aufrappeln. In Amerika ist die Freizeit der Kinder mittlerweile so durchstrukturiert, dass sich der Verband der Kinderärzte veranlasst sah, Alarm zu schlagen. Die Fachpersonen wiesen darauf hin, dass wir unseren Kindern einen der wichtigsten Aspekte der Kindheit rauben, wenn wir ihnen das freie Spiel nehmen. Der deutsche Kinderarzt Herbert Renz-Polster sieht ähnliche Entwicklungen. Er schreibt dazu in seinem Buch «Menschenkinder»: «Zuerst haben wir den Kindern die Wälder genommen, danach die Wiesen, die Hinterhöfe, die Brachflächen, dann die Strassen, Gassen und Gärten. Seit den 70er-Jahren ist die Fläche, die Kinder im Freien zum Spielen nutzen dürfen, um 90 Prozent zurückgegangen.» Wir können uns als Eltern fragen: Hat mein Kind genügend Gelegenheit zum freien Spiel? Hat es Zeit und die Möglichkeit, sich mit anderen Kindern zu treffen – ohne dass
Vieles lernen Kinder genau dann, wenn nicht die Absicht besteht, ihnen etwas beizubringen. immer ein Erwachsener da ist, der Vorschläge macht, aufpasst und eingreift? Vieles lernen Kinder genau dann, wenn nicht die Absicht besteht, ihnen etwas beizubringen. Dann, wenn es kein durchdachtes, durchstrukturiertes, von Erwachsenen angeleitetes Programm oder Training gibt. Es ist schwieriger geworden, diese Freiräume zu schenken. Es lohnt sich daher, sich aktiv dafür einzusetzen und mit unseren Kindern nach Möglichkeiten zu suchen. Selbständigkeit – drei Tipps
• Signalisieren Sie Ihrem Kind, dass Sie da sind. Anstatt die Hausaufgaben alleine im Zimmer zu erledigen, könnten Sie das Kind einladen, gemeinsam zu arbeiten. Zeigen Sie Ihrem Kind, auch während es spielt, ab und zu, dass Sie da sind – ohne sich aufzudrängen. • Lassen Sie Ihr Kind deutlich spüren, dass Sie sich freuen, wenn es etwas selbständig versucht. Gestehen Sie ihm seinen Stolz zu und gehen Sie entspannt mit dem Re sultat um. • Gewähren Sie Ihrem Kind genügend Freiräume. Im unbeobachteten und unstrukturierten Spiel kann es sich ausprobieren und entdecken.
In der nächsten Ausgabe: Das Leben geniessen.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 53
Erziehung & Schule
Bangen um die Mutter Erkrankt ein Elternteil schwer, helfen minderjährige Kinder oft mit bei der Pflege. Wie gehen Jugendliche mit der Herausforderung um? Text: Sarah King Bilder: Mara Truog / 13 Photo
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Erziehung & Schule
Giulia ist 16 Jahre alt, als ihre Mutter erkrankt. Plötzlich findet sie sich in der Erwachsenenrolle wieder. Davon will sie berichten.
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Erziehung & Schule
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iulia schaut konzen triert auf die Strasse. «Als meine Mutter an Krebs erkrankte, war ich 16, aber ich wurde sehr schnell 17.» Heute ist Giulia 18. Sie parkiert den Wagen vor ihrem Elternhaus in Thalwil. Niemand ist zu Hause. Seit zwei Wochen arbeitet Giulias Mutter wieder 100 Prozent. «Seit Anfang Dezember 2016 ist Mami offiziell gesund. Dabei hatte ich Angst, dass sie meinen 18. Ge burtstag nicht erleben wird.» Mit dieser Angst ist Giulia nicht alleine. Basierend auf US-amerika nischen Statistiken sind in westli chen Industrieländern bis zu 15 Prozent der minderjährigen Kinder von körperlich kranken Eltern betroffen. Etwa 200 000 Kinder sind es in Österreich, Deutschland und der Schweiz unter Berücksichtigung nur krebskranker Eltern. Rechnet man zu den Kindern aller körperlich kranken Eltern auch diejenigen psy chisch kranker dazu, dürfte die Zahl der Betroffenen höher sein. Laut Agnes Leu, Professorin an der Kalai dos FH, Departement Gesundheit, in Zürich, zählen viele dieser Kinder zu den «Young Carers»: Kinder, die ein erkranktes Familienmitglied pflegen (siehe Interview Seite 58). Dies tun sie nicht selten auf Kosten ihrer Ausbildung und Freizeit. Wie gehen Jugendliche wie Giulia mit dieser Belastung um? Und vor allem: Wer versteht ihr Leiden? Januar 2015, Spital Wollishofen, Aufwachraum: Die 16-jährige Giulia tritt ans Bett ihrer Mutter. «Eine kleine Operation», wurde Giulia zuvor informiert. «Nur zwei Zysten entfernen.» Die Operation sei gut
verlaufen, aber man habe der Mutter neben den Zysten auch den Blind darm entfernt, erfährt Giulia. Sie wird stutzig. Die Mutter nimmt ihre Hand, bekundet ihre Liebe. Da wird Giulia ohnmächtig. Sie mag es danach lan ge nicht, wenn jemand ihre Hand hält. Im Februar 2015, sechs Tage vor Giulias 17. Geburtstag, erhält ihre Mutter schliesslich die Diagnose: Blinddarmkrebs. Für Giulia beginnt ein Leben «wie auf einer Achter bahn». Dem Alltag kam die Norma lität abhanden und Giulia die grosse kindliche Illusion, dass Eltern un zerstörbar sind. Sie sah zu, wie sich ihre Mutter «von einem kerngesun den Menschen» in jemanden ver wandelte, «der aussieht, als würde er sterben». «Habe ich Mami gesagt, dass ich sie gerne habe?» Das wurde Giulias dringende Frage beim täglichen Spi talbesuch. Ihr Alltag änderte sich radikal
«Jugendliche sind über die Medien laufend mit dem Tod konfrontiert, aber stets aus sicherer Distanz», sagt der Psychiater Alain Di Gallo, Direk tor der Kinder- und Jugendpsychia trischen Klinik Basel. «Werden sie nun mit der schweren Erkrankung eines Elternteils konfrontiert, kommt es zu einem Einbruch der Endlich keit, was existenzielle Fragen auf wirft.» Giulias Fragen betrafen nicht nur die Existenz im Sinne von Leben und Tod. Durch die Krankheit der Mutter veränderte sich ihr Alltag radikal. Statt Schulaufgaben erledig te sie zu Hause den Haushalt. Statt
Bis zu 15 Prozent der minderjährigen Kinder sind «Young Careres»: Sie pflegen ein krankes Familienmitglied. 56
ihren Brieffreunden zu antworten, gab sie Bekannten und Verwandten telefonisch Auskunft über das Befin den der Mutter. Das ist kein unbe kanntes Phänomen, wie Agnes Leu weiss: «Unsere Forschung zeigt, dass sich Jugendliche als Kommunika tionsstelle fühlen, die alles triagiert, sortiert. Jeder ruft sie an – vom Arzt bis zum entfernten Bekannten. Das ist zeitaufwendig und belastend.» Die Belastung fiel in einen Zeit raum, der für Jugendliche ohnehin ein Kraftakt ist. «Ausser vielleicht bei der Geburt und beim Tod sind die physiologischen und psychi schen Ansprüche an einen Men schen nie grösser als während der Adoleszenz», sagt August Flammer. Der inzwischen emeritierte Profes sor für Entwicklungspsychologie an der Universität Bern hat Jugendliche über Jahre erforscht. «Freundschaf ten, Ausbildung, Lebensstil, Ausse hen, Sexualität, die Ablösung von den Eltern – das alles ist ein enormer Aufwand für die Heranwachsen den.» Die zusätzliche Belastung zehrte an Giulias Kräften. Sie zog die Kon sequenzen, pausierte mit der Fern matur und stellte Hobbys ein. Als ihre Mutter nach sechs Wochen aus dem Spital nach Hause entlassen wurde, wehrten sich Vater und Tochter. Zu gross war ihre Angst, dass sie der Aufgabe nicht gewach sen sein würden. «Ich fühlte mich verantwortlich für meine Mutter, die eben noch im Sterben gelegen hatte. Mein Vater redete mit dem Arzt über eine Rehabilitationsklinik. Die ser fand aber, Mami sei jung und zu Hause besser aufgehoben. Die Fami lie sei ja noch da. Wir redeten mit Mami. Auch sie bestand darauf, nach Hause zu kommen. Bei ihren Freunden stiessen wir auf Unver ständnis. So kam Mami heim. Wir freuten uns nicht.» Giulia hält inne, als warte sie ab, welche Reaktion auf ihre Worte folgt. Auf einem Möbel hinter ihr lächelt sie zusammen mit ihren
Giulia fühlte sich während der Krankheit ihrer Mutter oft allein. Bei ihrem Kater hat sie Trost gefunden.
Eltern aus einem Bilderrahmen. Eine Momentaufnahme der Harmo nie, bevor die Krankheit ausbrach. «Familien können an dieser Situa tion wachsen», schreibt der Kinderund Jugendpsychiater Georg Romer in einem Fachartikel. Sie könnten aber auch vorübergehend oder ganz zusammenbrechen. Giulias Mutter kam nach Hause. Die Familie hielt den Veränderun gen stand. Vorübergehend zu sammengebrochen ist Giulias Ver ständnis der Rollenverteilung. «Am Anfang machte ich den Haushalt, unterstützte Mami, wenn sie Schmerzen hatte, schaute, dass sie nichts ass, was ihr schaden könnte.
Übernehmen Kinder die Rolle der Eltern, sprechen Experten von einer «Parentifizierung».
Als ich ihr mal das Brot strich, erin nerte ich mich an ein Bild aus dem Internet: Eine Mutter trägt ihr Kind auf dem Arm, hält es später an der Hand und wenn sie eine alte Frau ist, hält das Kind die Mutter. Da wusste ich: Es ist zu früh. Mein Mami ist noch nicht alt.» Von «Parentifizie rung» spricht die Fachwelt, wenn
Kinder die Elternrolle übernehmen. Dieses Phänomen beobachtet Alain Di Gallo in seiner Praxis häufig. Bedenklich sei das besonders dann, «wenn das Kind nach kurzer Zeit nicht wieder in seine Rolle zurück schlüpft». Wichtig sei vor allem, dass das Kind reden könne und An sprechpersonen habe, denn >>>
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«Kinder halten sich aus Angst und Scham verborgen» Erkranken Eltern schwer, sind ihre Kinder mitbetroffen. Sie helfen mit bei der Pflege, im Haushalt und bei der Betreuung jüngerer Geschwister. Wie viele Kinder in der Schweiz in der Unterstützerrolle sind, will Agnes Leu von Careum Forschung sichtbar machen. Interview: Sarah King
Frau Leu, seit vier Jahren erforschen Sie Kinder, die ihre schwerkranken Eltern pflegen – sogenannte «Young Carers».
In unserer Forschung berücksichtigen wir Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahre. Sie überneh men regelmässig Pflegeaufgaben für ein physisch oder psychisch erkranktes Familienmitglied – dies entweder über viele Jahre hinweg oder kurz und inten siv, zum Beispiel in einer Palliativsitua tion, wenn ein Elternteil stirbt. In den meisten Fällen kümmern sich diese Kinder um Eltern (50%), weniger häufig
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sind es Geschwister (30%) oder Gross eltern (3–4%). Oft werden diese Kinder zu wenig wahrgenommen. Dabei kann ihre Belastung so gross sein, dass ihr eigenes Wohl darunter leidet. In einem Teilprojekt befragten Sie Fachpersonen aus den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales. Was können diese zum Thema beitragen?
Wir wissen aus internationaler For schung: Wenn Fachpersonen nicht sen sibilisiert sind, können sie die jungen Leute nicht identifizieren. Das liegt nicht nur daran, dass sich betroffene Kinder aus Angst vor den Konsequenzen ver stecken, sondern auch an unserem pa tientenorientierten System: Ärzte wissen oft nicht, wie viele Kinder ihre Patienten haben, wie alt sie sind oder was sie tun. Kinder kranker Eltern hören oft, was sie tun sollen, aber selten die Frage: «Wie geht es dir?» Diese kleine Frage könnte so viel verändern. Wir möchten, dass Fachpersonen die betroffenen Kinder wahrnehmen. Wie viele Kinder übernehmen in der Schweiz eine Unterstützerrolle?
Bisherige Zahlen beruhen auf Schätzun gen. Eigentlich können wir nur sagen: Wir haben das Phänomen in der
Schweiz. Repräsentative Zahlen existie ren noch nicht. Ich versuchte erfolglos herauszufinden, wie viele junge Men schen in einer Familie leben, in der ein Familienmitglied erkrankt ist. Nun star ten wir diesen Frühling eine vom Schweizerischen Nationalfonds finan zierte nationale und repräsentative Stu die. In über 700 Schulen aus drei Sprach regionen befragen wir etwa 12 000 Schülerinnen und Schüler zu diesem Thema. Die obligatorische Schule ist der einzige Ort, wo Kinder sein müssen. So erhoffen wir möglichst alle betroffenen Kinder zu erfassen. Wenn sich Kinder kranker Eltern verstecken – tun sie das nicht auch in einem Fragebogen?
Kinder halten sich verborgen aus Angst und Scham. Gerade zwischen 11- und 14-jährig wollen sie gleich sein wie ande re Gleichaltrige – ebenso cool sein, aus gehen oder denselben Sport treiben. In diesem Alter fällt es ihnen schwer, zuzu geben, dass sie zu Hause einen Angehö rigen pflegen. Manche Kinder sind sich auch nicht bewusst, dass ihre Familien situation aussergewöhnlich ist. Deshalb befragen wir alle Kinder anonymisiert mit einem standardisierten Fragebogen
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule
Kinder von kranken Eltern halten sich aus Angst und Scham oft verborgen.
Giulia hat Brieffreunde in der ganzen Welt. Sie bat sie, ihrer kranken Mutter zu schreiben.
– so müssen sich die Betroffenen nicht zu erkennen geben. Was ist das Ziel Ihrer Forschung?
Wir streben Chancengleichheit für die jungen Leute in Ausbildung an. Einer seits braucht es Praxisinstrumente, um die betroffenen Kinder identifizieren zu können, andererseits wollen wir verläss liche Unterstützungsmassnahmen erar beiten. Dazu gehören ganz simple Netz werkkarten für Fachpersonen oder eine To-do-Liste für junge Menschen. Eine 17-jährige Frau übernahm zum Beispiel nach Anleitung des Hausarztes die Insu linspritzen bei ihrem im Sterben liegen den Vater. Bei einer dieser Injektionen starb ihr Vater. Der Hausarzt war nicht erreichbar. Für sie war das traumatisch. Wir wollen verhindern, dass Kindern solche Aufgaben übertragen werden. Und sie müssen wissen, wie sie im Not fall reagieren können. Auch für Lehrer möchten wir Instrumente bieten, wie sie betroffene Kinder in ihrer Klasse erken nen können. Diese Kinder werden zum Teil gemobbt – sogar vom Lehrer, weil er nicht realisiert, warum das Kind so anders ist. Was sind für Sie die bisher wichtigsten Resultate?
>>> nicht selten werde es in sei ner Verantwortungsübernahme wenig beachtet. «Alles dreht sich um die erkrankte Person. Für das Leiden der Kinder herrscht wenig Verständ nis.» «Hat ein Elternteil von dir Krebs und du wünschst dir, mit anderen Jugendlichen, die in der gleichen Situation sind, zu reden?» – Mit die sen Worten suchte Giulia im Som mer 2015 Verständnis. Das Selbst hilfezentrum in Zürich unterstützte sie dabei. Auch in verschiedenen Arztpraxen legte Giulia einen Flyer auf. Reaktion? Keine. Das erstaunt nicht. Trotz vermehrter Aufklä
Es gibt auch in der Schweiz Kinder und Jugendliche, die Ausbildung und Pfle gerolle zusammen vereinbaren müssen. Die Studien zeigen, dass sie oft eine wichtige Vermittlungsrolle zwischen allen involvierten Personen einnehmen. Sie informieren zwar, dürfen aber bei Entscheidungen nicht mitreden. In den persönlichen Interviews erfuhren wir ausserdem, dass viele dieser Kinder ger ne eine fortführende Schule machen würden. Oft ist das aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Es zeigte sich aber auch eine erstaunliche Tatsache: Viele dieser jungen Leute können auf eine gute Art mit der Situation umgehen und sind sehr leistungsfähig.
Agnes Leu ist Professorin an der Kalaidos Fachhochschule, Departement Gesundheit, Zürich. Seit 2012 erforscht sie «Young Carers» und leitet das Forschungsprogramm «learn and care». Mehr zu den Forschungsprojekten und -ergebnissen ist zu finden unter www.careum.ch > Forschung > Young Carers.
rungsarbeit sind körperliche und besonders psychische Krankheiten in der Familie ein verschwiegenes Thema. «Kinder von kranken Eltern verstecken sich», weiss Agnes Leu aus ihrer Forschung. «Sie dürfen oder wollen nicht reden. Manche realisieren auch nicht, dass sie in einer ausserordentlichen Situation sind.» Vom Vater fühlt sie sich verstanden
Giulia versteckte sich nicht und fühl te sich doch übersehen: «Freunde meiner Eltern und Ärzte nahmen mich nicht mehr als Tochter wahr, sondern betrachteten mich als Pfle gepersonal oder als Kind, das nichts versteht.» Als Fernmaturandin frag ten auch keine Lehrer nach ihr. Vom Vater hingegen fühlte sie sich ver standen: «Wir wurden Verbündete, weil wir dieselben Bilder vor Augen hatten.» Der Vater war es auch, der Giulia zu einer Therapie motivierte. Die Therapeutin war es, die Giulia darin bestärkte, eine Haushaltshilfe einzufordern. Aber etwas Wesentli ches fehlte dennoch: die Gleichalt rigen. «Auf der Suche nach ihrer Iden tität suchen Jugendliche alternative Lebensräume», sagt August Flam mer. «Sie tauschen sich aus mit Gleichaltrigen, vergleichen, horchen in sich hinein. Für Mädchen ist die beste Freundin die wichtigste Be zugsperson. Mit ihr tauscht man Intimes aus und verbringt man am meisten Zeit. Diese Zeit fehlt Jugendlichen, die zu Hause stark be ansprucht werden. Dezember 2016: Giulia schlen dert mit einem Freund Richtung Sihlcity. Jonas. Die beiden kennen sich seit der 1. Sekundarstufe. Nein, sie seien kein Paar. «Früher mal», lacht Giulia. «Aber wir haben abge macht, dass wir beste Freunde blei ben.» Beste Freunde klauen bisweilen ein kaputtes Velo, wenn ihre Hilfe gefragt ist. «Eines Nachts kam mein Vater ins Zimmer und sagte, >>>
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 59
Erziehung & Schule
Kinder kranker Eltern müssen über alles reden können und alles fragen dürfen. Sie brauchen ehrliche Antworten. >>> er müsse nochmals ins Spital. Mami musste auf die Intensivstation verlegt werden. Ich rief Jonas an, um nicht allein zu sein. Er wohnt 25 Fussminuten entfernt.» – «Das dauerte mir zu lange, so schnappte ich mir auf dem Weg ein kaputtes Velo und stand nach einer Minute vor Giulias Tür», sagt der 19-Jährige. Er fand seine Freundin sprachlos vor. «Ich spürte nur ihre Angst. Oder eher ein Bangen um etwas. Extremer als die Angst um das eigene Leben.» Der beste Freund ist es also, der dem Gefühl Kinder kranker Eltern einen Namen gibt: Sie bangen. Ein Jahr lang blieb Giulia zu Hause und leistete ihrer Mutter Gesellschaft. Sie redeten, schauten TV oder gingen spazieren. Als ihre Mutter in die Physiotherapie ging, löste Giulia ein Abo im selben Fitnesscenter. «Ich wollte Mami nicht alleine lassen.» Jonas sah zu, wie sich seine Freundin immer mehr von ihren Freunden zurückzog. Berechtigt, wie Giulia damals dachte: «Zum Teil verstanden mich Gleichaltrige nicht mehr. Ass ich zum Beispiel während der Grippesaison Pancakes nicht mit blossen Händen, galt ich als Tussi. Wäre ich aber krank geworden, hätte ich Mami nicht besuchen können. Manche fanden auch, dass ich Fakten ohne Empfindung erzähle. Solche Kommentare helfen mir nicht, mich zu öffnen.» Was hilft denn? Das weiss Alain Di Gallo: «Eine offene Atmosphäre. Kinder kranker Eltern sollen über alles reden und alles fragen dürfen. Sie brauchen ehrliche Antworten. Wenn man nichts tabuisiert und offen mit ihnen spricht, sind sie mit 60
ihren Gefühlen nicht alleine. Bei Jugendlichen muss man aber auch respektieren, dass sie nicht immer über alles reden wollen. Sie sind oft mit sich selbst in Auseinandersetzung. Wenn hingegen Eltern erkranken, alle traurig sind und erstarren, dann ist es wichtig, Jugendliche direkt darauf anzusprechen.» Normal ist der Alltag noch nicht
Was Alain Di Gallo aus seiner Praxiserfahrung weiss, setzte Jonas in tuitiv um. «Giulia redete selten über ihre Sorgen. Ich stellte dann die Fragen so, dass sie Antwort geben musste. Nicht ja, nein, sondern spezifisch. So, wie es wirklich ist.» Und wie ist es heute wirklich? Giulia denkt nach. «Mami ist wieder gesund. Aber einen normalen Alltag gibt es noch nicht. Ich habe Mühe, einfach wieder Tochter zu sein. Manchmal sind unsere Rollen noch verschoben. So auch mein Zeitgefühl. Ich erledige die Dinge nicht mehr so schnell wie früher.» Jonas ist optimistischer. «Sie geht wieder mehr mit Kolleginnen ins Kino. Und die Erfahrung hat sie erwachsener gemacht: Sie will Probleme klären. Eigentlich ist es so, als käme die alte Giulia zurück. Aber mit Update.» Giulia nickt. «Ich bin unabhängiger und verantwortungsbewusster. Fahre ich Auto, spiele ich nicht mit meinem Leben. Ich streite auch weniger mit meinen Eltern.» Von «Entwicklungssprung» spricht August Flammer, wenn Kinder früher Verantwortung übernehmen als Gleichaltrige. Analog zur körperlichen Frühreife bestehe zum Beispiel das Risiko, dass psychisch
frühentwickelte Kinder bei Kollegen anecken. Dafür werde die Selbständigkeit gefördert. «Gleichzeitig leidet aber möglicherweise die Entwicklung in anderen Bereichen – in der Bildung oder im Berufsentscheid.» Der Berufsentscheid ist für Giulia noch fern. «Zuerst muss ich wissen, wer ich bin. Das ist nicht so einfach.» Die Entwicklung kann «springen», stillstehen, aber auch rückläufig sein, wie Alain Di Gallo erklärt. «Vor allem bei kleineren Kindern ist eine Regression auf eine frühere Altersstufe in einer belastenden Situation eine normale Reaktion. So hat zum Beispiel ein 7-jähriges Kind alleine im Bett plötzlich Angst.» Damit verschaffe es sich Zuwendung. Alain Di Gallo sieht den Nutzen: «Reculer pour mieux sauter.» Etwas zurückweichen, um mit mehr Anlauf springen zu können, so die sinngemässe Übersetzung. Giulia ist mitten im Sprung. Bald wird sie 19. Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich Bücher. Sie will aufholen, was sie in der Schule verpasst hat. Daneben redet sie weiter über das Erlebte – in Blogs und anderen Medien. Ihre Botschaft: «Es ist wichtig, dass man redet.» Nicht nur für sich selbst. Sondern «damit sich andere nicht alleine fühlen». <<<
Sarah King Dr. phil. Linguistik und MSc Psychologie, ist freie Journalistin und Autorin. Ausserdem arbeitet sie als Psychologin in einer psychiatrischen Klinik im Kanton Bern.
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Der BMW 2er Gran Tourer bietet Platz für alle – und für alles.
BMW 2er Gran Tourer
Auf die Grösse kommt es an Raus aus dem Haus, rein in den Van: Der BMW 2er Gran Tourer macht Lust auf Action. Wenn es sein muss, kann das Familienauto aber auch ganz vernünftig sein. Nebel, Kälte, Januarloch: Die letzten Wochen haben gute Ausreden geboten, ein bisschen länger zu schlafen oder mehr Serien zu schauen. Doch jetzt ist die Zeit gekommen, um wieder raus an die frische Luft zu gehen – sei es für ein letztes Ski-Erlebnis in den Bergen oder eine erste Wanderung. Der BMW 2er Gran Tourer ist für all das wie geschaffen. Denn dieser Allrad-Van steht nicht nur für Vernunft; das erfolgreiche Familienauto hat sich auch den Fahrspass gross auf die Haube geschrieben. Schliesslich ist der Alleskönner aus München ein echter BMW. Sportlichkeit ist für ihn Pflicht – das dynamisches Fahrverhalten, der Doppelauspuff, der elegante Hüftschwung an den Flanken oder die Sportlenkung verraten seine DNA. Der BMW 2er GT ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, dass es manchmal eben doch auf die Grösse ankommt. Denn er bietet Platz für alle – und für (fast) alles. Nicht nur, weil sich hinten eine dritte Sitzreihe hochklappen lässt und er so bis zu 7 Personen Platz bietet. Auch weil der Kofferraum selbst für einen grossen Kinderwagen samt Unmengen von Spielsachen geräumig genug ist, bei umgeklapptem Beifahrersitz Objekte von bis zu 2,60 Meter Länge ins Auto passen und man die Rückbank um 13 Zentimeter verschieben
kann. Damit lässt sich entweder der Laderaum so optimieren, dass von der Ski-Ausrüstung bis zur Hiking Gear garantiert alles reinpasst. Oder man kann damit den Fond so umbauen, dass auch Erwachsene bequem reisen. Seine grosszügigen Masse machen den BMW 2er GT zum perfekten Familienauto – und trotzdem wirkt er nicht wie ein Transporter, sondern wie ein moderner Van. Das merkt man, wenn man drinsitzt – oder wenn man Kindersitze montiert. Denn im Gegensatz zum Active Tourer passen bei diesem BMW 2er drei Sitze auf die Rückbank. Wer einen praktischen Allrounder für den Alltag mit Kindern sucht und trotzdem nicht auf den BMW typischen Komfort und die Sportlichkeit verzichten will, liegt mit diesem Auto goldrichtig. Dass der 2er Gran Tourer auch bei der Sicherheit mit seinen diversen Assistenzsystemen oder dem intelligenten Notruf für In- und Ausland vorne mitfährt, versteht sich bei BMW von selbst. Und mit seinem Verbrauch im umweltfreundlichen ECO PRO-Modus von nur 5 Liter auf 100 Kilometer schont er die Umwelt. Mit Ausreden wird’s bei diesem Auto also schwierig – besonders, weil das aktuelle Angebot mit attraktiven Preisen das perfekte Argument für eine Probefahrt liefert. www.bmw.ch
BMW 218d xDrive Gran Tourer Antrieb 2,0-Liter-Vierzylindermotor, 150 PS, 6-Gang-Handschaltgetriebe, intelligentes Allradsystem xDrive Fahrwerte 0 – 100 km/h in 8,9 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 205 km/h Masse 4556 Mm (L), 1800 Mm (B), 1608 Mm (H) Gewicht 1605 kg Laderaum 645 bis 1905 Liter Verbrauch 4,9 – 5,1 l/100 km, 128 – 133g CO2/km Preis ab 34’800 Franken (unverbindliche Preisempfehlung)
Erziehung & Schule
Auf den Lehrer kommt es an Was macht einen guten Lehrer aus? Ist es die Freude am Beruf und die Leidenschaft für die Vermittlung von Wissen? Sein pädagogisches Können? Oder ist ein guter Lehrer vor allem eine starke Persönlichkeit mit einer wichtigen Vorbildfunktion? Text: Christine Staehelin
«Das Vertrauen in die Schule und den Beruf des Lehrers schwindet.» Christine Staehelin, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Pädagogischen Arbeitsstelle LCH, Primarlehrerin und Mutter zweier Söhne.
W
enn Sie an Ihre eigene Schulzeit zurückdenken: Erinnern Sie sich an eine gute Lehrerin, einen guten Lehrer? Was hat sie oder ihn ausgezeichnet? Warum haben Sie seinen Unterricht gern besucht? Warum taucht gerade dieser oder jener Lehrer* in Ihrer Erinnerung auf? Ich habe eine kleine Umfrage in meinem Bekanntenkreis gemacht
Ein guter Lehrer ist in der Lage, Dinge so zu erklären, dass sie verstanden werden. 62
und genau diese Fragen gestellt. Das waren die Antworten: • An erster Stelle wurde das grosse Wissen des Lehrers genannt, seine Liebe und Begeisterung für das eigene Fach und seine Fähigkeit, dieselbe Begeisterung für die Sache bei den Schülerinnen und Schülern zu wecken und ihnen damit neue Perspektiven zu er öffnen. • Mehrfach positiv erwähnt wurden Lehrer, denen es gelingt, mit ihren Schülerinnen und Schülern in die Welt des Wissens einzutauchen und deren Bedeutsamkeit und Schönheit aufzuzeigen. • Im Weiteren wurde das Interesse des Lehrers an der Vermittlung des Wissens angeführt, sein Bestreben, dieses verständlich und damit das Lehren und Lernen zum zentralen Element des Unterrichts zu machen. Das bedeutet gleichzeitig, dass er an die Lern- und Begeisterungs fähigkeit seiner Schülerinnen und Schüler glauben muss. Lernen ist immer mit Herausforderungen verbunden. Der Lehrer muss darauf vertrauen, dass seine Schülerinnen und Schüler das lernen können, was er ihnen vermitteln will. • Ein Lehrer muss in der Lage sein, Sachverhalte so zu erklären, dass sie verstanden werden – und zwar immer wieder von Neuem. Das heisst nichts anderes, als dass er seine Schülerinnen und Schüler ernst nimmt, dass er Interesse
zeigt für sie, dass es ihm wichtig ist, sich gemeinsam einer Sache zu widmen. Lehrer müssen ihre Schüler und Schülerinnen sehen, erkennen und verstehen und ihnen die Möglichkeit geben, sich selbst einzubringen, denn Lehren und Lernen finden immer in der Wechselseitigkeit der Beziehungen zwischen dem Lehrer, den Schülern und Schülerinnen sowie der Sache statt. • Lehrer dürfen Ecken und Kanten haben und auch manchmal etwas eigenwillig auftreten, aber sie sollten gerecht, geduldig, verständnis- und humorvoll sein. Und sie müssen zeigen, dass sie ihren Beruf lieben. Lehrer sind Vorbilder, nicht nur hinsichtlich ihres Weltbezugs und ihrer Freude an der Sache und am Unterrichten, sondern auch als Persönlichkeit. Wer bereit ist, sich immer wieder von Neuem auf seine Gegenüber einzulassen, sich immer wieder von Neuem für Themen und Inhalte zu begeistern, zeigt damit eine gewisse Leidenschaft für die Welt – und gibt diese weiter an die nächste Generation. Die Resultate meiner nicht repräsentativen Umfrage werden von der Forschung gestützt: «Auf den Lehrer, die Lehrerin kommt es an!», lautet das zentrale Ergebnis der viel beachteten Hattie-Studie aus dem Jahr 2009, die auf einer Analyse von 800 Metastudien und damit auf der Be
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Lehrer dürfen Ecken und Kanten haben. Aber sie sollten geduldig, fair und humorvoll sein.
fragung von 250 Millionen Schülerinnen und Schülern beruht. Was heisst das nun in einer Zeit, in der auch die Fähigkeiten der Lehrer zunehmend kompetenztheoretisch gefasst und damit vermeintlich messbar werden? Was passiert mit den wichtigen Lehrertugenden wie Geduld, Verlässlichkeit, Vertrauen, Beständigkeit und Heiterkeit, die sich kompetenztheoretisch nicht fassen lassen? Was geschieht mit der Begeisterung für die Sache und für die Welt, wenn diese nicht mehr durch Lehrer verkörpert, sondern nur noch durch Bücher oder im Internet abgebildet werden? Die laufenden Reformen im Bildungssystem verweisen auf ein schwindendes Vertrauen in diese öffentliche Institution und letztlich auch in die Lehrerinnen und Lehrer. Wie liesse sich sonst erklären, dass auf Innovation statt auf Tradition, auf Expertokratie statt auf Erfahrungswissen gesetzt wird? Gleichzeitig verweist die Politik in diesen ungewissen Zeiten häufig auf die Bedeutung der Bildung als wichtigste Ressource für die Zukunft. Aber auf welche Bildung mit welchem Inhalt? Wie lässt sie sich noch beschreiben, wenn sie immer wieder neu erfunden wird? Und welche Ziele soll die Bildung, welche letztlich auf geteiltem Wissen basiert, haben, wenn Individualisierungstendenzen das gesellschaftliche Leben prägen? Wenn wir nicht wissen, ob morgen noch gilt, was heute bedeutsam
ist? Wenn unklar wird, was Wissen überhaupt noch für eine Bedeutung hat in einer Zeit, in welcher der Begriff postfaktisch zum Wort des Jahres 2016 gekürt wird? Diese Fragen verweisen darauf, wie wichtig es ist, sich vertieft mit der Bedeutung der Bildung und mit ihren Zielen und Inhalten auseinanderzusetzen. Und da die Vermittlung von Bildung – die nicht nur Wissensvermittlung, sondern auch die Einstellungen und Haltungen zum Wissen, Orientierung und Reflexion meint – an Schulen immer noch in erster Linie über die Lehrer stattfindet, muss auch vertieft über die Bedeutung der Lehrer nachgedacht werden. Wer wird sich später noch an die guten Lehrer erinnern können, wenn der Beruf des Lehrers zunehmend bedrängt und beschnitten wird? An all jene, die ihre Leidenschaft für die Welt weitergaben und damit wissbegierige, verantwortungsvolle und mündige Schülerinnen und Schüler bildeten – eine hoffnungsvolle nächste Generation gerade in schwierigen Zeiten.
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» t h c a r b e g t k n u P n e d f u a «Ehrlich Dossier Dossier
Wenn die Sexualität erwacht
«Ich wünsche mir beim Thema Sexualität mehr Vielfalt»
Doch eigene Körper dazu. die Welt, gehört der Erforschen Kinder erwachenden Sexualität nicht, wie sie der viele Eltern wissen mit Schweigen, raten sollen. Keinesfalls ihrer Kinder begegnen und eine frühe Umgang mit Sex Experten. Ein entspannter körperliche Entwicklung der Kinder. die Aufklärung begünstigen
Bild: Linnea Larsson
/ plainpicture
und Claudia Landolt Text: Claudia Marinka Erdt Sian Davey, Ruth Bilder: Linnea Larsson,
(Dossier «Sexualität», Heft 12/2016 / 1/2017)
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Dezember 2016 /
Januar 2017
Fritz+Fränzi Das Schweizer ElternMagazin
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Sehr geehrte Fritz+Fränzi-Redaktion In Ihrer Dezember-Ausgabe geht es um Sexualität und Sexual erziehung. Was mir auffällt, wenn es in Ihrem Heft um dieses Thema geht, ist eine gewisse Einseitigkeit. Dies im Gegensatz zu anderen Themen, bei denen Sie Experten zu Wort kommen lassen, die der gesellschaftlichen Vielfalt, der Unterschiedlichkeit von Eltern und ihren Standpunkten Rechnung tragen. Wenn Sie fast ausschliesslich Bruno Wermut oder andere Vertreter der sogenannten «Sexualpädagogik der Vielfalt» zu Wort kommen lassen, klingt das für mich eben gerade nicht nach Vielfalt, sondern nach einseitiger Beeinflussung von Eltern. Es gibt auch im Bereich der Sexualerziehung noch andere Ansätze, die bedenkenswert sind und deshalb zu Wort kommen sollten. Als Mutter von vier Kindern (der Jüngste ist 16 Jahre alt) geben mir Bruno Wermuts Ratschläge zu denken. Kürzlich beantwortete er in einem Interview die Frage eines Jugendlichen, der sich Sorgen machte, weil sein Penis schmerzt, wenn er masturbiert (drei Mal pro Tag). Wermut empfahl Gleitcrème, redete von «Pimmel» und fand es unproblematisch, wenn Jugendliche so viel masturbieren. (Uns Eltern wird in schulischen Elternabenden gesagt, wir sollten Kindern gegenüber für die Geschlechtsorgane die fachlich korrekten Ausdrücke verwenden.) In Ihrem Heft sagt Bruno Wermut, Eltern sollten ihren Kindern die eigenen Anschauungen nicht «überstülpen». Weshalb nicht? In anderen Bereichen tun wir das ja auch. Daraus besteht doch Erziehung. Ich beeinflusse mein Kind zum Beispiel sehr stark dahingehend, dass es auch Menschen anderer Hautfarbe respektvoll behandeln soll. Weshalb um alles in der Welt soll ich meinem Kind beim wichtigen Thema Sexualität nicht das ans Herz legen, was ich für langfristig zielführend und der gesunden sexuellen Entwicklung förderlich halte? Kinder und Jugendliche erwarten von Eltern Orientierung und konkrete Hilfestellungen für ihre Lebensgestaltung. Dass viele der von Ihnen positiv «beworbenen» Sexualpädagogen Teenager ermutigen, im Sexuellen auszuprobieren, worauf sie Lust haben («Hauptsache, ihr verhütet und beide sind einverstanden»), empfinde ich als fahrlässig und wichtige Fakten ignorierend.
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Fritz+Fränzi Das Schweizer ElternMagazin
Ich würde mich freuen, wenn Sie auch andere, ganzheitlichere und beziehungsorientiertere Ansätze zu Wort kommen lassen. Mir als Mutter, Elterncoach und Präventionsfachfrau ist wichtig, dass Teenager Sexualität als Beziehungsgeschehen verstehen, das ganzheitlich in die Persönlichkeit integriert ist. Regula Lehmann (per Mail) Geschäftsführerin «Elterninitiative Sexualerziehung», Kursleiterin, Elterncoach und Autorin von «Sexualerziehung? Familiensache!»
Erzieh ung &
Schule
Erzieh ung &
«Bin geschockt» («Eine Chance für Mohamed», Heft 2/2017)
Schule
Eine für MChance oham ed
Ob man ans Gymn auch asium in der komm Chanceng Schweiz t oder nicht leichheit noch imme dabei r so. Das , entscheide sorge für eine n. Jung t die Herk Progr höhere Text: amm Evelin unft. Das Schullaufb e, begabte ChagALL Hartma Migra nn Bilder: ist leide soll für ahn fit ntinnen Roshan r gema Adihett und Migra mehr cht. Eine 5252 y / 13 Photo nten werd Erfolg sgesc en hichte.
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Das Schweiz
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Für eine bessere Konzen tration: Moham ed (rechts und die ) Teilneh anderen mer lernen Übunge Entspan n zur nung.
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Sehr geehrte Frau Hartmann Ich war geschockt, als ich Ihren Artikel gelesen habe mit dem Titel «Eine Chance für Mohamed». Haben wir nicht schon genug fremde Leute in unserem Land, müssen wir diese dann noch zu den Obrigkeiten unserer Kinder heranzüchten? Dieser Integrationskult macht viele Menschen und vor allem mich traurig, dass wir unser Land durch diese Leute zerstören lassen. Das Schlimmste bei diesen Flüchtlingen und Eingewanderten ist, dass sie da bleiben und ihren Kult uns aufzwingen wollen. Zum Glück gibt es Menschen wie Donald Trump, die für das eigene Land einstehen. Ich arbeite daran, meinen Kindern beizubringen, dass dieser Integrationszwang nicht gut ist. Marco Specker (per Mail)
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Leserbriefe
«Kein einfaches Thema» (Dossier «Sexualität», Heft 12/2016 / 1/2017) Dossier Dossier
Ich gratuliere euch zur Ausgabe «Sexualität». Kein einfaches Thema. Gut umgesetzt und aus den verschiedensten Perspektiven betrachtet.
«Fühl mich verstanden» (Dossier «Die Lüge von der Vereinbarkeit», Heft 11/2016)
Die Lüge von der Vereinbarkeit einen hohen machen möchte, zahlt Wer Kinder hat und Karriere zwischen Mütter reiben sich auf Preis – besonders als Frau. von Familie die viel zitierte Vereinbarkeit Familie und Beruf. Denn allem eins: ganz viel Stress. und Beruf bedeutet vor Eine Entmystifizierung
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Jan von Holleben Text: Sibylle Stillhart Bilder:
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Fritz+Fränzi Das Schweizer ElternMagazin
Marc Bodmer (per Mail)
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Ich reagiere selten schriftlich auf Artikel, aber diesmal muss es gesagt sein: ein Dankeschön von Herzen für den Artikel «Die Lüge von der Vereinbarkeit» und den Text «Kinderhaben: das grösste Glück – der grösste Stress». Tatsachen werden ehrlich, ungeschönt, lebensnah auf den Punkt gebracht. Ich erkenne mich mit einem weinenden und einem lachenden Auge wieder. Das macht mir meine Sache nicht leichter und nicht schwerer, aber ich fühle mich verstanden. Und das reicht mir auch schon.
Schreiben Sie uns! Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut? Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns wissen! Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich. Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi oder Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi. Kürzungen behält sich die Redaktion vor.
Dominique Im Hof (per Mail)
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Ernährung & Gesundheit
Auf der Suche nach dem Kick Hustensaft, Badesalz, Räuchermischungen: Legal Highs werden Substanzen genannt, die auch für Jugendliche frei erhältlich sind. Harmlos sind sie aufgrund ihrer Wirkstoffe aber keineswegs, warnen Suchtexperten. Was Eltern über die neuen Modedrogen wissen sollten. Text: Susanna Steimer Miller
M
it 14 Jahren pro bierte es Lea* zum ersten Mal aus. Sie ging zum Medikamenten schrank im Badezimmer ihrer Eltern und schluckte Hustensirup mit dem psychoaktiven Wirkstoff Dextromethorphan (DXM), nicht etwa, weil sie erkältet war, sondern um auszuprobieren, wie es sich an fühlt, high zu sein. Die eingenom mene Menge lag weit über der in der Packungsbeilage empfohlenen Do sierung. Die Oberstufenschülerin be schreibt ihren ersten Trip: «Ich hat te das Gefühl, ich könnte fliegen. Die Schwerkraft war wie ausgeschaltet. Gleichzeitig war ich total verwirrt und konnte mich auf nichts mehr konzentrieren. Ich hörte und sah Dinge, die nicht da waren.» Obwohl es ihr während ihres Trips speiübel wurde, wiederholte die Jugendliche das Experiment immer wieder. Am Anfang alle paar Wochen, später mehrmals wöchent lich mit zunehmender Dosis. Den Hustensirup besorgte sie sich rezept 66
frei in verschiedenen Apotheken, um nicht aufzufallen. Heute ist die Jugendliche süchtig nach dem Hus tensirup und möchte davon weg kommen, weil sie immer wieder an Albträumen leidet.
Ein Trend, der zunimmt: Jugendliche berauschen sich mit Hustenmitteln.
Günstig und leicht erhältlich
Seit einigen Jahren beobachten Apo theker vor allem in städtischen Gebieten, dass sich Jugendliche mit Hustenmitteln, die Dextromethor phan oder Codein enthalten, berau schen wollen. Valeria Rauseo, stell vertretende Geschäftsführerin der Olympia-Apotheke am Stauffacher, erzählt: «Vor allem am Freitag fragen bei uns Jugendliche, aber auch Er wachsene nach codeinhaltigen Hus tensirups oder -tropfen, um sich fürs Wochenende einzudecken.» Die jüngsten Jugendlichen schätzt die Apothekerin auf 13 Jahre. Bei einem Preis von 7.30 Franken pro Fläsch chen ist der Trip für die meisten Jugendlichen erschwinglich. Die Wirkung von Codein kann von Gelassenheit, Unbeschwertheit, Euphorie, Aufgeregtheit bis hin zu einer Steigerung des Selbstbewusst
seins reichen. Manche Jugendliche mischen die Hustentropfen mit Süssgetränken wie Sprite und weite ren Medikamenten. Diese Mischun gen werden auch Texas Tea, Sizzurp oder Purple Drank genannt. Thilo Beck, Chefarzt Psychiatrie beim Zentrum für Suchtmedizin Arud in Zürich, erzählt: «Diese po tenziell gefährlichen Cocktails wer den von amerikanischen Rappern in Musikvideos verherrlicht.» Der Fachmann weiss, dass Jugendliche, die solche Hustenpräparate am Wochenende auf Partys nutzen, meist nicht süchtig danach sind. Beck warnt jedoch davor, dass die Opiate Codein und Dextromethor phan bei regelmässiger Einnahme süchtig machen können, und plä März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
diert dafür, Jugendliche adäquat über Wirkung und Gefahren zu informieren. Als besonders proble matisch beurteilt er die Interaktion mit anderen Substanzen, etwa Alko hol: «Diese Kombination erhöht das Risiko für eine Vergiftung.» Über www.know-drugs.ch kön nen Eltern und Jugendliche das Info-Set «Drugs – just say know» bestellen, das aus einem Faltpro spekt mit allgemeinen Informatio nen und 24 Karten besteht, die über mehr als 30 psychoaktive Substan zen informieren. Bisher wurde das Set bereits über 50 000 Mal angefor dert. In Zürich (www.safeparty.ch/ wo-wird-getestet.html) und Bern (www.raveitsafe.ch/angebot/dib) haben Jugendliche die Möglichkeit, Substanzen anonym und kostenlos testen zu lassen. Nur noch auf Rezept
Cornelia Reichert, Oberärztin bei Tox Info Suisse, ist überzeugt, dass Jugendliche die Risiken von Medi kamenten unterschätzen. Sie erklärt: «Hustensirup ist günstig und vieler orts rezeptfrei erhältlich. Je nach Dosierung kann Codein eine starke Abnahme der Atemfrequenz verur sachen und im Extremfall sogar zu einem Koma oder zum Tod führen. Dextromethorphan kann zusätzlich noch zu Agitation, Halluzinationen und epileptischen Krampfanfällen führen.» Die Olympia-Apotheke hat gehandelt und gibt den an sich frei verkäuflichen Hustensirup nur noch bei Reizhusten auf Rezept ab, wenn ein Verdacht auf nicht verschrei bungsgemässen Gebrauch besteht. Valeria Rauseo wirft ein: «Allerdings gehen manche Jugendliche so weit, dass sie Rezepte fälschen, um an den Sirup zu gelangen.» Tox Info Suisse erhält immer wie der Anfragen zu neuartigen Drogen mit psychoaktiver Wirkung. Diese sogenannten Legal Highs, Designer drogen oder Research Chemicals werden vor allem im Internet unter so harmlos klingenden Namen wie
Badesalz, Spice, Räuchermischung oder Raumlufterfrischer angeboten – oft noch mit dem Hinweis «not for human consumption» (nicht für die Konsumation durch Menschen). Legal Highs enthalten oft Sub stanzen aus der medizinischen For schung, synthetisch hergestellte Wirkstoffe, die ähnlich wie Canna bis, Kokain, Amphetamine oder LSD wirken. Die Substanzen stam men meist aus China, werden in Osteuropa konfektioniert und in peppig aufgemachten kleinen Päck chen übers Netz relativ günstig ver kauft. Oft fehlen Angaben zu den Inhaltsstoffen oder sie entsprechen nicht dem tatsächlichen Inhalt – wer sie bestellt, kauft eine Wundertüte und spielt Russisches Roulette. Diese Substanzen beurteilt Cor nelia Reichert als potenziell sehr ge fährlich, weil Erfahrungen mit den Hunderten von Wirkstoffen fehlten: «Eine genaue Risikoeinschätzug bei einer Überdosierung ist deshalb äusserst schwierig.» Die Gesetzeslage
Legal Highs, die gemäss Thilo Beck in der Schweiz nicht sehr populär sind und eher von älteren Jugendli chen und jungen Erwachsenen aus probiert werden, können am Anfang Glücksgefühle hervorrufen, oft aber auch zu schweren Psychosen wie zum Beispiel Halluzinationen füh ren. Die Wirkung ist unberechenbar. Betroffene können je nach Substanz, Dosis, Begleitumständen und eige ner psychischer Verfassung sehr aggressiv werden. In den USA sind einige Fälle beschrieben, in denen Jugendliche, die vermutlich zuvor Legal Highs konsumiert hatten, Amok gelaufen sind, Selbstmord begangen oder sich selbst verstüm melt haben. Legal Highs gibt es in unzähligen Variationen. Damit die Substanzen nicht unter das Betäubungsmittelge setz fallen, spielen die Hersteller mit dem Gesetzgeber Katz und >>>
Bei einer Kombination von Alkohol und Hustenpräparaten droht Vergiftungsgefahr!
Finger weg von Suchtmitteln – das können Eltern tun • Legen Sie möglichst früh in der Kindheit die Basis für eine gute Beziehung zu Ihrem Kind. Ein durch Respekt und Vertrauen geprägtes Verhältnis erleichtert es, auch in schwierigen Situationen im Gespräch zu bleiben. • Signalisieren Sie Ihrem Kind, dass Sie da sind. Das gibt Kindern und Jugendlichen Halt. • F ragen Sie nach und zeigen Sie Interesse an dem, was Ihr Kind in seiner Freizeit tut. Dabei geht es nicht um Kontrolle. • S chaffen Sie eine Beziehung, die auf gegenseitigem Vertrauen und Offenheit für die Sichtweise des Gegenübers aufbaut. So schaffen Sie eine Atmosphäre, in der Ihr Kind Ihnen eher mitteilt, was es in der Freizeit tut. • B leiben Sie offen für Gespräche und insistieren Sie, wenn Sie sich Sorgen machen. • Wenn Sie das Gefühl haben, nicht mehr an Ihren Sohn oder Ihre Tochter heranzukommen, suchen Sie dennoch immer wieder das Gespräch. • Wenn Sie nicht weiterkommen, wenden Sie sich an eine Erziehungs- und Jugendberatungsstelle. • L assen Sie zu, dass Ihr Kind Freundschaften pflegt und ausgeht – schaffen Sie fürs Ausgehen am Abend einen klaren Rahmen (wann, wie häufig und bis um welche Uhrzeit darf unser Sohn / unsere Tochter in den Ausgang). • Wenn Jugendliche abends weggehen, sollten Sie immer wissen, wohin Ihr Kind geht, mit wem und wie es nach Hause kommt. • Besprechen Sie vorab die Konsequenzen, wenn sich Ihr Kind nicht an die Regeln hält. • Thematisieren Sie mit Ihrem Kind den Umgang mit psychoaktiven Substanzen. Quelle und weitere Informationen: www.suchtschweiz.ch/eltern
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 67
Ernährung & Gesundheit
>>> Maus und verändern die Dro gen laufend. «Um dem zu begegnen, können diese neuen Drogen in einem beschleunigten Verfahren zeitnah der Betäubungsmittelgesetz gebung unterstellt werden. Teilweise werden auch Gruppen unterstellt, die mögliche neue Substanzen be reits einschliessen», erklärt Danièle Bersier, Mediensprecherin beim Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic. Viele Legal Highs sind also nicht legal und werden vom Zoll beschlagnahmt.
Die meisten Jugendlichen, die psy choaktive Substanzen konsumieren, tun dies aus Neugier und gehen nicht zu einem regelmässigen Konsum über. Monique Portner-Helfer von Sucht Schweiz sagt dazu: «Einen einmaligen Probierkonsum sollten Eltern nicht dramatisieren. Wichtig ist, dass sie mit den betroffenen Jugendlichen nachdrücklich über die Risiken sprechen und ihre Hal tung klar kommunizieren.» Anja Lischer von der Jugendbe ratung Streetwork, die auch die
Eltern sollten gegenüber Kindern ihre Haltung zu Drogen klar kommunizieren.
Webseite Safeparty.ch betreibt, rät Eltern, offen zuzuhören und nicht gleich mit Anschuldigungen oder Mahnungen zu kommen. «Wenn man den Konsum von Drogen und die Drogen selber nur schlechtredet, kann es schnell passieren, dass Kon sumierende einem nicht mehr zuhö ren und einen nicht ernst nehmen.» Eltern sollten sich gut informieren
Für Konsumierende sei der Drogen konsum auch mit positiven Eigen schaften verbunden, sagt Lischer. Deshalb sollten sich Eltern auch nach diesen erkundigen und diese ernst nehmen. Hilfreich für ein Gespräch sei auch, wenn sich die Eltern gut über die Wirkungen, Risiken und Nebenwirkungen der Substanzen informieren. Sie sollen ihrem Kind ruhig auch sagen, dass sie sich Sor
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gen haben (z. B. Gruppendruck) auf den Grund zu gehen: Was steckt hinter dem Konsum? Was ist diesbezüglich zu tun? Wenn es den Betroffenen schwerfällt, den Konsum zu stoppen, oder wenn Jugendliche nicht zu einer Veränderung bereit sind, ist es wichtig, Fachpersonen beizuziehen. Sucht- und Jugendberatungsstellen können Eltern und Jugendlichen in solchen Situationen weiterhelfen. >>>
gen machen und ihnen viel daran liegt, dass es ihm gut geht. Anja Lischer ergänzt: «Am besten ist es, wenn die Eltern in klaren IchBotschaften sprechen.» Also «ich mache mir Sorgen um dich» oder «ich beobachte, dass du Drogen ausprobierst» anstatt «warum schluckst du das Zeug?!». Für solche Gespräche müssen sich Eltern viel Zeit nehmen, aktiv zuhören und in erster Linie auf die Gefühle reagieren. Statt die eigenen Befürchtungen darzustellen, beschreiben die Eltern besser das Verhalten ihres Kindes, ohne es zu bewerten (z. B. «ich merke, dass du wütend bist»). Wenn Jugendliche mehrmalig oder regelmässig potenziell schädigende Substanzen konsumieren, empfiehlt Monique Portner-Helfer den Umständen, die dazu beigetra-
* Name von der Redaktion geändert
Susanna Steimer Miller ist Chefredaktorin des Elternratgebers «Baby & Kleinkind» und schreibt als Autorin über Gesundheits- und Ernährungsthemen.
Eltern sollten ein Vorbild sein Rund 160 000 Menschen in der Schweiz sind von Schlaf- und Beruhigungsmitteln abhängig und über 60 000 nehmen täglich oder fast täglich starke Schmerzmittel ein. Die Suchtgefahr ist bei Medikamenten auf der Basis von Benzodiazepinen oder benzodiazepinähnlichen Stoffen sowie bei Opiaten besonders gross. Jugendliche sind von Medikamentensucht nur selten betroffen. Etwa 0,1 Prozent der Jugendlichen verwenden regelmässig Schlaf- und Beruhigungsmittel. Dennoch müssen sich Eltern bewusst sein, dass ihr Umgang mit Medikamenten für ihr Kind prägend ist. Wenn Kinder ihre Eltern oft beim Schlucken von Medikamenten beobachten oder bei kleinen Beschwerden sofort welche erhalten, erhöht sich ihr Risiko, dass sie später als Erwachsene rasch und häufig zu Medikamenten greifen.
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Digital & Medial
VR-Brillen auf Kindergesichtern?
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ie virtuelle Realität fühlt sich echt an, manchmal zu echt. Das mussten die Tester des Kletterspiels The Climb erfahren. Immer wieder rissen sich die Spieler nach einem virtuellen Absturz in der Steilwand die VR-Brillen vom Kopf und rannten zum WC, um sich zu übergeben. Erst nach mehreren Versionen konnten die Game-Entwickler das Problem entschärfen. Nun erleben die Spieler den freien Fall lediglich einige Augenblicke lang, dann wird der Bildschirm schwarz. Doch das Beispiel zeigt: VR-Brillen sind nicht frei von Nebenwirkungen. Und Übelkeit ist nicht die einzige. Was sind VR-Brillen?
Fangen wir von vorne an: Was sind VR-Brillen eigentlich? Die Abkürzung VR bedeutet Virtual Reality, also Virtuelle Realität. VR-Brillen projizieren Bilder auf einen augennahen Bildschirm. Seitlich sind sie meistens geschlossen, so dass der Träger visuell komplett von der realen Welt abgeschnitten ist. Ziel ist es, künstlich erzeugte 3D-Welten so realistisch und glaubhaft wie möglich dazustellen. 70
Der Nutzer taucht voll in eine andere Realität ab. Sensoren auf der Brille registrieren die Kopfbewegungen des Nutzers. Schaut man in der Realität nach links, dreht man sich auch in der virtuellen Welt nach links. Einige VR-Brillen funktionieren mit Gestensteuerung, andere benötigen zusätzliche Hardware, etwa in Form eines Controllers. Trockene Augen und Kurzsichtigkeit
Da die aktuellen VR-Brillen noch nicht lange auf dem Markt sind, gibt es nur wenige Untersuchungen zu ihrer Wirkung. Bisherige Studien deuten allerdings darauf hin, dass VR-Brillen bei Kindern zu Kurzsichtigkeit führen könnten. Der Londoner Augenchirurg David Allamby sagt hierzu: «Eltern und jüngere Menschen sollten sich der Risiken bewusst sein. Mit VR wird es möglicherweise immer mehr Menschen geben, die an einem Mangel an Tageslicht leiden – etwas, das sich auf das natürliche Wachstum unserer Augen auswirkt und zu Kurzsichtigkeit beziehungsweise Myopie führen kann.» Ausserdem halte, sagt David Allamby, die virtuelle Realität die Augen davon ab, Objekte auf weite
Untersuchungen deuten darauf hin, dass VR-Brillen bei Kindern zu Kurzsichtigkeit führen können.
Entfernung zu fokussieren. Auch das könne Kurzsichtigkeit zur Folge haben. Ein weiterer unangenehmer Nebeneffekt sei, dass Spieler in der virtuellen Realität zu wenig blinzeln. Dies führe zu trockenen Augen und könne auf Dauer schmerzhaft werden. Zudem sind die neurologischen Langzeitfolgen noch nicht abzusehen. Was passiert, wenn sich Menschen regelmässig in der virtuellen Realität aufhalten? Die ersten Nutzer sind daher je nach Standpunkt Pioniere oder Versuchskaninchen. Auch die Hersteller von VR-Brillen können die Folgen nicht ab schätzen und empfehlen eine Nutzung für Spieler erst ab 13 Jahren. Zudem warnen sie vor der eingangs beschriebenen Motion Sickness be ziehungsweise Kinetose, bei der neben Übelkeit auch noch andere März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Bild: iStockphoto
Eine Welt, die nur virtuell existiert, in der man sich aber bewegen, die man erfahren und erfühlen kann: Das ist Virtual Reality. Immer häufiger entdecken auch Jugendliche diese neue Technologie. Mit sogenannten VR-Brillen tauchen sie in fiktive Welten ein und erleben Sinneseindrücke wie Geräusche und Berührungen. Aber nicht nur Augenärzte warnen vor den Folgen. Text: Stephan Petersen
Dank VR-Brille in der Kletterwand statt im Wohnzimmer.
Symptome wie Schwindel und Kopf schmerzen auftreten können. Zur Motion Sickness kommt es, wenn die Sinnesorgane wider sprüchliche Informationen erhalten. Beim Spiel The Climb sagen die Augen dem Spieler, dass er abstürzt. Der Körper nimmt jedoch keine Be wegung wahr. Aus dem gleichen Grund wird vielen Menschen schlecht, wenn sie während einer Autofahrt lesen. Unter den VR-Gamern klagen mehr als 50 Prozent über Übelkeit, Schwindel oder Kopfschmerzen nach einem Ausflug in die virtuelle Realität. Teilweise berichten sie auch von einer schnell eintretenden men talen Erschöpfung. Untersuchungen kommen übrigens zu dem Ergebnis, dass Kinder am anfälligsten für Motion Sickness sind. Ob die Entwicklungsstudios das Problem der Kinetose in den Griff bekommen? Steve Baker, der mehr
als 25 Jahre Erfahrung im Bereich militärische Flugsimulationen und virtuelle Realität aufweist, macht sich keine Hoffnungen: «Ich glaube nicht daran, dass es ein System für virtuelle Realität gibt, das zum einen die Erfahrung bietet, zum anderen nicht bei den meisten zu Übelkeit führt.» Gesteigertes Mittendrin-Gefühl
Das Mittendrin-Gefühl im Game ist mit der fortgeschrittenen Technik viel intensiver als bei einem norma len Game. Noch vermag niemand abzuschätzen, welche psychischen
Folgen dieses gesteigerte Abtauchen in Spiele haben kann. Bereits jetzt verfügen Games über ein nicht zu unterschätzendes Sucht- und Flucht potenzial. Statt Alltagssorgen und Routine erlebt der Spieler im Game Abenteuer und Abwechslung – er ist Held und Hauptdarsteller. Zu Erfol gen und Belohnungen kommt man hier einfacher als in der Schule oder im Sport. Der Zusammenhang von Gewalt und Games ist seit vielen Jahren ein kontroverses und intensiv beforsch tes Thema. «Vor dem Hintergrund der beeindruckenden Daten >>>
Hersteller von VR-Brillen empfehlen eine Nutzung für Spieler erst ab 13 Jahren.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 71
Digital & Medial
Trockene Augen, Kopfschmerzen, Übelkeit: VR-Brillen sind nicht frei von Nebenwirkungen.
Entscheidungs-Argumente auf einen Blick • V R-Brillen sind der neue Trend beim Gaming und erlauben ein nie dagewesenes Mittendrin-Gefühl. • Es gibt keine langfristigen Untersuchungen über mögliche körperliche und psychische Folgen.
>>> lage darf die Erkenntnis als empirisch gut gesichert gelten, dass Gewaltspiele zu erhöhtem aggressivem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen beitragen können», sagt hierzu Martina Zemp, Psychologin an der Universität Zürich. Offene Fragen
Welche Auswirkungen hat es, wenn das Mittendrin-Gefühl dank der VR-Brille noch intensiver ist? Was geschieht im Kopf eines Menschen, wenn er in einem Actionspiel wie GTA den Computerfiguren nicht nur mittels Controller das virtuelle Lebenslicht ausbläst, sondern in der virtuellen Welt das Gefühl hat, sich mitten im Geschehen zu befinden, und die Charaktere mit der Gestensteuerung, also den eigenen Händen, virtuell tötet? Die Verantwortlichen bei PEGI, dem europaweiten Alters-Einstufungssystem, denken wegen des starken Mittendrin-Gefühls über eine neue Inhaltsbeurteilung für VR-Spiele nach. Bei der deutschen Unterhaltungssoftware-Selbstkon trolle (USK) hat man bereits reagiert. Dort werden VR-Spiele meist höher eingestuft. So gibt es etwa ein Spiel, in dem man als Tiefseetaucher in einem Käfig unter Wasser sitzt und von einem Hai attackiert wird – die «normale» Version erhielt USK 12, die VR-Version USK 16. Ob das ausreicht? Da die Technik so neu ist und es noch keine Langzeituntersuchungen gibt, wird sicher immer wieder Diskussionsbedarf bestehen – in der Branche wie in den Familien. >>>
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• Bekannte Nebenwirkungen sind Übelkeit, Kopfschmerzen und trockene Augen; Ärzte rechnen mit einem erhöhten Risiko für Kurzsichtigkeit. • Die Altersempfehlungen der Hersteller für eine Nutzung der VR-Brillen liegen bei 13 Jahren. • VR-Spiele erhalten oft eine höhere Alterseinstufung als die «normalen» Versionen.
rten Laden und sta nziFrä tz+ Fri die sie Sie dem App und folgen rrad-Unterwasse Link in die 360-G von der ck dru Ein en welt, um ein zu bekommen. Virtual Reality rät bewegen ge bil Mo p: Tip sehen! um h und sic
Stephan Peterson ist studierter Historiker und freier Journalist. Zu seinen Themen gehören unter anderem Videospiele und Familie. Er ist Vater zweier Kinder im Alter von sieben und elf Jahren.
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Publireportage
Action und Chillen: bei Reka ist beides möglich.
Reka-Ferien mit Teenies? Und ob! Biken auf dem Pumptrack, Grillen im Teens Club, Chillen am Strand … Reka-Feriendörfer bieten Abwechslung für Teenager und Erwachsene. Von Julia Scheidegger «Blackbox» heisst der Teil im Jugendraum des Reka-Feriendorfs Zinal, wo man richtig chillen kann. Vorne trifft man sich zum Töggele, Billard oder Ping Pong spielen. In der Lounge im oberen Stock gönnt sich die ältere Generation ein Glas Wein. Draussen sorgt der Bike-Pumptrack für Nervenkitzel. Am Kletterfelsen können sich angehende Bergsteiger üben. Das Feriendorf steht denn auch unter dem Motto «Majestätische Bergwelt». Im Teens Club trifft man sich zum Kochen oder Grillen. Er ist fester Bestandteil des Familienprogramms, das alle Reka-Feriendörfer anbieten. Gletscher, Schlucht & Adrenalin Das Reka-Feriendorf Blatten-Belalp liegt am Rande des UNESCO Weltnaturerbes Jungfrau-Aletsch. Eines der Highlights ist die 124 m lange Hängebrücke, die in 80 m Höhe vor dem Grossen Aletschgletscher über die Massaschlucht führt: Adrenalin pur! Der Freizeitpark Hexenkessel bietet einen Seilpark mit einfachen bis hin zu spektakulären Parcours. Das top-
moderne Reka-Feriendorf hat einen grossen Aussenteerplatz mit Rampen, Street Soccer Toren und Basketball Korb, Scooter werden gratis verliehen. Im Hallenbad und im Fitnessraum kann man ganz schön Kalorien verbrennen. Sonne, Meer & Dolce Vita Das Reka-Ferienresort Golfo del Sole liegt direkt am feinsandigen Strand, rund 3 km nördlich der toskanischen Stadt Follonica. Zum Resort gehören eine Tennis- und eine Surfschule, Velo- und Bikevermietung sowie diverse Restaurants und Bars. Zusätzliches Plus: Hotelservice in den Bungalows und Ferienwohnungen (gegen Gebühr), nummerierte Liegestühle mitSonnenschirm am Strand und geführte Biketouren während bestimmter Wochen.
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Digital & Medial
Therapie im Chatroom? Der Klient, sein Problem, der Therapeut und vielleicht noch eine Couch – diese bekannte Konstellation ist heute längst nicht mehr die Regel. Das ständige Vor-dem-BildschirmSitzen ist ein Grund, warum Jugendliche eine Therapie brauchen. Aber es kann auch Teil der Lösung sein. Viele Therapeuten holen die Jugendlichen heute dort ab, wo sie sind: online. Die psychoanalytische Sozialarbeiterin Sylvia Künstler über Risiken und Chancen. Interview: Kathrin Blum
Frau Künstler, aus dem Alltag von Jugendlichen sind neue Medien nicht mehr wegzudenken. Wie wirkt sich das auf Ihren Arbeitsalltag aus?
Es ist ein riesiges Problem, wenn wir eine Jugendgruppe vor uns haben und alle ihre Smartphones zücken. Alle müssen nur «ganz schnell, ganz kurz»… Wenn man ihnen ihr Telefon wegnimmt, ist das im übertragenen Sinne gesprochen so, wie wenn man ihnen die Hand oder ein Bein amputieren würde. Das Handy hat eine immense Bedeutung bekommen, das «In-Kontakt-Sein mit der Welt» ist für die Jugendlichen essenziell. Selbst wenn sich die Jugendlichen gerade in einer sozialtherapeutischen Sitzung befinden?
Ja – und manchmal vielleicht auch gerade dann. Es kann natürlich auch eine Art sein, den Kontakt zu uns zu
«Mitten in der Sitzung wird das Smartphone gezückt. Und dann nimmt ein Freund virtuell teil.» 74
vermeiden oder uns die Kontaktaufnahme zumindest zu erschweren. Die Klienten teilen uns auch etwas mit, wenn sie den Kontakt zu anderen suchen, wenn eigentlich wir zu ihnen Kontakt aufnehmen möchten. Hin und wieder kommt es vor, dass wir nicht nur zu zweit in einer Einzelstunde sind, sondern dass per Internet oder Handy von den Ju gendlichen noch jemand dazugeholt wird. Nimmt ein Jugendlicher je manden (virtuell) mit in die Therapie, fragen wir uns: Warum macht er das? Was will uns der Klient damit mitteilen? Es ist möglich, dass da durch ein Problem in die Stunde mitgebracht wird, über das der Ju gendliche nicht sprechen kann. So macht er es dennoch zum Thema. Sehen Sie neue Medien in der Psychotherapie eher als Chance oder Risiko?
Mal sind sie Risiko, mal Chance. Wir sehen beispielsweise junge Menschen mit autistischen Störungen, die aus der Welt fallen, weil sie es nicht schaffen, zu anderen Kontakt aufzunehmen oder gar Beziehungen aufzubauen – zumindest nicht, wenn ihnen diese anderen gegenübersitzen. Für sie kann es eine grosse Chance sein, im Netz virtuelle Freundschaften zu schliessen. Und
diese Freundschaften können durchaus sehr intensiv sein. Ich erinnere mich da an eine Klientin, die Freundschaft geschlossen hat zu einer Frau in Moskau. Sie haben täglich telefoniert, geskypt oder gechattet, waren füreinander da, wenn eine in Not war. Das war eine echte Freundschaft. Aber die junge Frau hätte diesen Kontakt ohne die räumliche Distanz nicht ausgehalten. Für Autisten sind neue Medien und soziale Netzwerke eine grosse Chance, in Beziehungen zu treten. Werden allerdings alle anderen Be ziehungen durch Freundschaften im Netz ersetzt, kann das durchaus auch für autistische Menschen zum Problem werden. Ausserdem gibt es die dunklen Seiten, etwa die ganzen Mobbinggeschichten. Neue Medien sind extrem ambivalent. Viele Jugendliche verbringen mehrere Stunden täglich in der virtuellen Welt. Wann stellt sich die Frage nach der Internetsucht?
Da müssen wir differenzieren. Ex zessive Computernutzung wird oft als Problem betrachtet. Übersehen darf man dabei nicht, dass diese oft nur die Folge eines anderen Pro blems ist. Sozusagen das Symptom. Wenn beispielsweise ein Jugendli-
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
cher antriebslos ist, eine Depression entwickelt, verbringt er deshalb möglicherweise viel Zeit vor dem Bildschirm, weil er es nicht mehr schafft, rauszugehen. Und vor dem Bildschirm vergeht die Zeit einfach schneller. Viele versinken völlig in dieser anderen Welt. Man muss sehr genau hinschauen, ob die Compu tersucht nicht andere Probleme ver deckt und nur die Oberfläche dar stellt. Vielen dieser Patienten, die auf den ersten Blick computersüchtig scheinen, fällt es in der Klinik nicht schwer, dort zu verzichten. Durch die Therapie und den Kontakt zu anderen Jugendlichen mit ähnlichen oder gleichen Problemen brauchen sie den Computer nicht mehr. Wann sollten sich Eltern Sorgen machen?
Es gibt ein paar klare Grenzlinien. Die Zahl der Stunden, die jemand vor dem Computer sitzt, ist aller dings wenig ausschlaggebend. Ent scheidender sind die Fragen: Verlie ren Jugendliche normale Bezüge? Gehen sie in die Schule, in Vereine, treffen sie reale Freunde? Wenn sie andere, alltägliche Dinge nicht ver nachlässigen, sitzen sie zwar viel leicht zu lange am Computer, sind aber nicht krankhaft süchtig. Sobald ein Leistungsabfall eintritt, ein Rückzug oder eine Veränderung im Sozialverhalten, sind das Warnzei chen, die man ernst nehmen und denen man auf den Grund gehen sollte. Ist es nicht auch ein Warnzeichen, wenn Jugendliche sich dem ganzen Soziale-Netzwerke-Hype verweigern?
Mädchen und Jungen stellen sich ausserhalb ihrer Jugendkultur, wenn sie neue Medien ablehnen. Sie bege ben sich dadurch nicht selten in die Einsamkeit. Denn das Smartphone ist durchaus auch Bezugspunkt. Oft sitzen Jugendliche zu dritt über einem Bildschirm und zeigen sich Sachen. Computer und Handy haben ja auch interaktive Elemente. Wenn die Jugendlichen sich aber sonst nicht aus ihren sozialen Kon
«Im Internet fällt es manchen Jugendlichen leichter, Beziehungen und Vertrauen aufzubauen.» takten zurückziehen, würde ich es nicht als Warnzeichen sehen. Und wie gehen Sie nun in der Sitzung vor, wenn das Smartphone stört? Verbieten Sie das Gerät?
Mit radikalen Einschränkungen tun wir uns schwer. Und, wie gesagt, Jugendliche mit Aspergersyndrom sind mitunter auf dieses Medium angewiesen. Es ist ihr Zugang zur Welt. Deshalb lassen wir es gerade bei ihnen zu. Und nicht nur das. Wir versuchen, genau darüber in Kontakt zu kommen. Es gibt junge Men schen, die erzählen beispielsweise von ihren Computerspielen und was sie da machen. Wir versuchen, neu tral und interessiert zuzuhören – und nicht gleich zu wettern: blödes Ballerspiel. Oder es gibt die Jugend lichen, die nicht über ihr Problem sprechen können und es deshalb «verpacken», indem sie von einem Freund oder einer Freundin erzäh len, die gerade eine Nachricht ge schrieben hat. In der geht es eben um den Konflikt, der den Klienten gerade selbst beschäftigt. In der vir tuellen Welt entstehen Gruppen, Freundschaften, Konflikte – genau wie im realen Leben. Das müssen wir nutzen. Ich habe das Internet tat sächlich schon als Brücke erlebt. Computer und Handy bieten uns als Therapeuten die Möglichkeit, mit den Jugendlichen in Kontakt zu tre ten. Das kann durchaus in einem Chatroom sein. Haben Sie schon mit Klienten gechattet?
Ja. Mit einer Klientin habe ich mich regelmässig im Chatroom verabre det, um dort die sozialtherapeuti schen Einzelstunden mit ihr zu hal ten. Ihre Schwierigkeiten >>>
Erste Hilfe für Jugendliche im Internet • Die neuen Kommunikationswege nutzen, um Jugendlichen zu helfen, möchte die Plattform JugendNotmail. Für die in Berlin ansässige Online-Beratung arbeiten ehrenamtlich über 100 Psychologen und Sozialpädagogen – 365 Tage im Jahr. Auffällig: Mindestens 360 Mails kamen 2015 aus der Schweiz. In den Anfragen geht es um Depressionen, Selbstverletzung, Missbrauch, Suizidgedanken, Essstörungen. «Neben der Einzelberatung können sich die hilfesuchenden Jugendlichen im Forum und den monatlichen Themenchats austauschen», so Sprecherin Amelie Schwierholz. Sie betont: «Die Beratung kann keine Therapie ersetzen.» Erweise sich eine als nötig, vermittelten die Mitarbeiter den Jugendlichen weiter. • www.u25-schweiz.ch ist eine kostenlose und anonyme Online-Hilfe für Jugendliche – von Jugendlichen mit spezieller Ausbildung. Die Berater sind zwischen 17 und 25 Jahre alt, hinter ihnen stehen Sozialarbeiter und Psychologen. Angesprochen werden sollen Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 25 Jahren mit Suizidgedanken. Träger dieses Projekts ist der Verein Lebe! in Winterthur. • Auch viele Stellen, die bisher eher angerufen wurden, beraten heute Chat, SMS oder Mail: Die Dargebotene Hand (www.143.ch), Das Sorgentelefon (das-sorgentelefon.com) und die Jugendberatung von Pro Juventute (www.147.ch).
Laden und starten Sie die pp Fritz+Fränzi-A e ein lin on e Si en les und er ein ll ko Originalproto g. un at er Chat-B
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 75
Eine Brücke zurück zu den Menschen
«Auch ich habe mehr Zeit, die Dinge so zu formulieren, dass sie nicht verletzen.»
und man dem Gegenüber nicht in die Augen schauen muss. Sie sagen von sich selbst, dass Sie neuen Medien offen gegenüberstehen. Als Kind der 60er-Jahre sind Sie allerdings nicht mit dem Internet gross geworden. Ist es für Ihre Generation schwierig, die sogenannten Digital Natives zu verstehen?
Zur Person Sylvia Künstler arbeitet in Tübingen als psychoanalytische Sozialarbeiterin. Sie hat zwei erwachsene Kinder, die das Internet intensiv nutzen. Sie selbst ist weder bei Twitter noch bei Facebook aktiv, nutzt das World-Wide-Web allerdings täglich, um sich zu informieren und zu kommunizieren.
Kathrin Blum aus Freiburg arbeitet festangestellt als Redaktorin bei einer Tageszeitung und freiberuflich für verschiedene Medien. Die 33-Jährige fürchtet, dass es nicht mehr allzu lange dauert, bis ihre Töchter (dreieinhalb und zwei Jahre alt) sich für neue Medien interessieren.
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Dr. Ellen Ringier präsidiert die Stiftung Elternsein. Sie ist Mutter zweier Töchter.
Zu Weihnachten bekamen mein Mann und ich ein ungewöhnliches Geschenk von einem jungen Mann, dem Partner einer unserer Töchter: ein Bild, unsere beiden Enkel mit Bleistift und Kohle auf Papier gezeichnet, eine wunderschöne Erinnerung an die beiden Kleinkinder. Weihnachten ist vorbei und ich überlege, wo und wie ich dieses Bild, das immerhin eine halbe Plakatgrösse hat, rahmen lassen soll. Ich lege das Blatt auf den Tisch, betrachte die beiden Enkel, wie sie spielend am Boden kauern, ganz offensichtlich in spielerischem Kontakt miteinander. Reden können die beiden noch nicht richtig, und so werden sie sich wohl lautmalerisch verstanden haben. Und dann werde ich gewahr, dass der Hintergrund des Bildes aus einem ganz fein geschriebenen Text in Grossbuchstaben besteht, zuoberst lese ich: FAMILY RULES. März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Bild:Maurice Haas / 13 Photo
Es stimmt natürlich, dass ich da in der Position der Lernenden bin und mir manchmal sogar Zwölfjährige am Computer etwas Neues zeigen können. Dass sich Kinder und Jugendliche eine ganz neue Welt erschlossen haben, die uns fremd ist, ist durchaus eine Herausforderung. Aber eine, die wir meistern können, wenn wir offen und neugierig sind und bleiben. >>>
>>> konnten schriftlich und doch im direkten Kontakt mit ihr «besprochen» werden. Etwas, das im konkreten Miteinander schwer möglich war. Auch mir fiel es manchmal leichter, potenziell kränkende Dinge so zu formulieren, dass sie sie nicht verletzten. Ein Chat hat im Gegensatz zu anderem Schriftverkehr den Vorteil, dass man fast ohne Verzögerung auf das Gegenüber eingehen und doch kurz über das Geschriebene nachdenken kann. Besagte Klientin konnte im Chat Dinge in Worte fassen und eine innere Nähe zulassen, was im direkten Kontakt eben gerade nicht gelang. Generell können manche Klienten bedrohliche, schmerzhafte Dinge besser ansprechen, wenn es «beiläufig» passiert
Ellen Ringier über Familienregeln.
Stiftung Elternsein
Zum besseren Verständnis dessen, was ich sagen will, muss ich hier noch anmerken, dass ich Mitte 60, der junge Mann Mitte 20 ist. Was also will mich ein 26-Jähriger an «Familienregeln» lehren? Lesen Sie selber: HELP EACH OTHER ALWAYS TELL THE TRUTH SHARE DO YOUR BEST PAY WITH HUGS AND KISSES LISTEN TO YOUR PARENTS LAUGH AT YOURSELF SAY I LOVE YOU TRY NEW THINGS BE THANKFUL SHOW COMPASSION BE HAPPY LOVE EACH OTHER DREAM BIG RESPECT ONE ANOTHER LAUGH OUT LOUD KEEP YOUR PROMISES SAY PLEASE AND THANK YOU USE KIND WORDS KNOW YOU ARE LOVED * Während meine Gedankenwelt zusehends von den politischen Verhältnissen innerhalb und ausserhalb meines Landes bestimmt wird, während ich mich nächtelang gedanklich damit quäle, dass sich kaum einer darum kümmert, dass das «Weltethos», wie Prof. Dr. Hans Küng dieses so anschaulich beschrieben hat, vor die Hunde geht. Das supranationale Organ, die UNO, welche zur Aufgabe hätte, Menschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen, droht zu einem zahnlosen Papiertiger zu verkommen. Die prägenden Stichworte dieses Jahrzehnts heissen Krieg und Kriegsflüchtlinge. Populisten machen sich allenthalben beliebt, zumindest dort, wo Wähler das Vertrauen in ihre «ordentlichen» Regierungen verloren haben. Während all dies geschieht, gelingt es einem jungen Mann, mir mittels eines Weihnachtsgeschenks, das weder eine Marke noch einen Preis hat, eine Brücke zu bauen! Eine gedankliche Brücke, die mich zurück zu den Menschen führt, die mir am meisten bedeuten, die ich liebe: meine Familie. Ich spiele Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine Brücke weiter, die in diesem Kontext FAMILY RULES heisst. Auf deren Namen kommt es mir nicht an, sondern auf die Möglichkeit, mittels weniger
Regeln einen direkten Weg ins Herz der eigenen Familie, der Kinder (zurück) zu finden, das «Kleine und Feine» im Leben einer Familie nicht für das «Grosse und Ganze» aufs Spiel zu setzen! Natürlich habe ich, wie Sie auch, diese und viele andere Regeln verinnerlicht. Sie sind ein Teil von mir. Und doch weiss ich, dass kein Tag vergangen ist, an dem ich die Regeln nicht gebrochen habe. Zu müde, um ein Bobo wirklich mitzufühlen oder über einen Scherz meiner Kinder zu lachen. Zu viele Sorgen, um meiner Liebe Ausdruck zu verleihen oder mich auch nur aufrichtig dankbar zu zeigen. Keine Zeit, etwas Neues spielerisch umzusetzen oder – allzu oft – ein Versprechen einzuhalten. Ich kann die Liste beliebig lang werden lassen … Meine Kinder sind nun, wie der junge Maler, junge Erwachsene und junge Eltern. Ich wünsche ihnen und allen jungen Menschen, dass sie jederzeit die Kraft haben werden, über die Brücke von den Eltern zu den Kindern zu gehen. * Helft einander – sag immer die Wahrheit – teile – gib dein Bestes – sag es mit Umarmungen und Küssen – hör auf deine Eltern – lach über dich – sag es mit Liebe – probier Neues aus – sei dankbar – zeig Mitgefühl – sei glücklich – liebt einander – hab grosse Träume - respektier den anderen – lach laut – halt deine Versprechen – sag Bitte und Danke – sag nette Dinge – sei dir gewiss, dass du geliebt wirst
STIFTUNG ELTERNSEIN «Eltern werden ist nicht schwer, Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch Oft fühlen sich Eltern alleingelassen in ihren Unsicherheiten, Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein an. Sie richtet sich an Eltern von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen Eltern, Kindern, Lehrern und die Vernetzung der eltern- und erziehungsrelevanten Organisationen in der deutschsprachigen Schweiz. Die Stiftung Elternsein gibt das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus. www.elternsein.ch
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 77
Digital & Medial
Halten Sie den Streit aus! Digitale Medien führen immer wieder zu Streit. Mit dem ersten Smartphone Ihres Kindes bekommen Sie oft endlose Debatten gratis dazu. Und das ist gut so. Lesen Sie hier wieso. Bild: Swisscom
Text: Michael In Albon
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er Vater einer 13-Jährigen trifft den Nerv vieler Familien, wenn er sagt: «Ei gentlich verstehe ich mich mit meiner Tochter super – wenn das Thema Handy nicht wäre.» Denn ständig gibt es Auseinandersetzungen um die Nutzung der Bildschirmgeräte. Selbst bei den grundlegendsten Regeln wie etwa der Medienzeit. Eine Stunde sind 60 Minuten, sollte man meinen. Wann jedoch so eine Stunde beginnt und wann sie endet, ist keineswegs eindeutig. Gehört etwa das YouTube-Tutorial über Bruchrechnen dazu? – «Das ist ja Lernen.» Oder das Sportpanorama – «Das willst ja eigentlich du schauen». Und was ist mit den Minuten, in denen Ihr Kind zwischendurch, während seiner Me dienzeit, auf die Toilette muss? Das gilt es auszuhandeln. Streiten macht unabhängig
Solche Diskussionen drücken auf die Stimmung, hören nicht auf – und sind anstrengend. Denn trotz klarer Regeln und Abmachungen versuchen Kinder und Jugendliche immer wieder, längere Nutzungszeiten herauszuschlagen. Häufig argumentie78
ren sie damit, dass alle anderen ihre Geräte viel länger nutzen dürfen – alle Freunde, alle Klassenkameraden, ja die ganze Welt! Das ermüdet, frustriert und ist normal. Vor allem aber ist es positiv. Halten Sie als Eltern den Streit aus – gerade mit Teenagern. Er gehört zu ihrer Entwicklung. Schwierig ist dabei, dass Sie in einem konstruktiven Dialog bleiben. Das heisst: Lassen Sie Ihr Kind seinen Standpunkt vertreten und legen Sie Ihren dar. So lernen Teenager argumentieren und entwickeln ein gesundes Selbstbewusstsein. Dieses stärkt sie; vor allem um dem Gruppendruck von Gleichaltrigen standzuhalten. Jugendliche, die sich häufig fundierte Streitgespräche mit ihren Eltern liefern, sind weniger anfällig für negative Einflüsse. Sie entwickeln zu Hause eine gesunde Selbständigkeit, die sich auf die Beziehung mit Gleichaltrigen überträgt. Legen Sie also Ihre Erfahrungen dar, pochen Sie auf das Einhalten von Regeln und scheuen Sie den Konflikt mit Ihrem Kind nicht. Aber streiten Sie richtig: Streiten Sie um die Sache, nicht um die Beziehung. Überzeugen Sie mit sachlichen Argumenten; vermeiden Sie Dauer-
monologe oder Beschimpfungen. Und lassen Sie Ihre Teenager ihre Argumente vorbringen. Denken Sie nun, diese strengere Haltung lässt Kindern und Jugendlichen weniger Freiräume? Bedenken Sie: Diese Haltung vermittelt Ihren Kindern gleichzeitig Orientierung und schützt sie vor Überforderung. Denn Kinder, die sich im Schutz einer funktionierenden Familie auseinandersetzen können, haben die besseren Chancen, sich ihr Erwachsenwerden zu «erstreiten». Dabei kann es ruhig mal heftiger zur Sache gehen.
Michael In Albon
Michael In Albon ist Beauftragter Jugendmedienschutz und Experte Medienkompetenz von Swisscom.
Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive Lernmodule für den kompetenten Umgang mit digitalen Medien im Familienalltag. swisscom.ch/medienstark
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Diese Anspannung aller Anwesenden, wenn eine Mutter auf dem Spielplatz mit «Ich zähle bis drei!» droht und schon bei zwei angelangt ist ... Tweet von @FrauVanSass
Bilder: iStockphoto, ZVG
Medienkompetenz-Tipp: Der Umgang mit Fake News
Wenn das Herz überquillt …
Falsch- oder Hass-Meldungen zu erkennen, ist schon für Erwachsene nicht einfach. Spielen Sie mit Ihren Kindern deshalb die Tipps auf hass-imnetz.info/toolskennen durch. Wie man Bilder auf Manipulation überprüft, erfährt man auf hass-im-netz.info/ bilderchecken. Falschmeldungen, die bereits bekannt sind, werden auf mimikama.at oder auf hoaxmap.org aufgelistet. Und damit diese Listen auch aktuell bleiben, melden Sie gefundene Falschinhalte. Wie das geht, erfahren Sie auf no-hate-speech.de/melden. Auf hass-im-netz.info/ melden gibt es gleich ein entsprechendes Formular.
Die erste Liebe ist zauberhaft – und unfassbar kompliziert. Das erfährt auch Sophie, als sie mit ihrem Vater in eine neue Stadt zieht. Sie ist sauer auf das Leben und auf der Suche nach sich selbst. Dann verändert ein Kuss mit der besten Freundin alles. Ein unaufgeregter wunderschöner Liebesroman für Mädchen ab 14 Jahren – und zwar ganz egal, ob ihr Herz für Jungen oder Mädchen schlägt. Anne Freytag: Den Mund voll ungesagter Dinge. Heyne, 2017. 400 Seiten, Taschenbuch ca. 20 Fr., E-Book 14 Fr.
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ottos.ch
Service
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an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:
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Impressum 17. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich Herausgeber Stiftung Elternsein, Seehofstrasse 6, 8008 Zürich www.elternsein.ch Präsidentin des Stiftungsrates: Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch, Tel. 044 400 33 11 (Stiftung Elternsein) Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder, ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 01 01 Redaktion redaktion@fritzundfraenzi.ch Chefredaktor: Nik Niethammer, n.niethammer@fritzundfraenzi.ch Verlag Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,
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Stiftungspartner Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule Zürich / Schweizerische Vereinigung der Elternorganisationen / Marie-Meierhofer-Institut für das Kind / Schule und Elternhaus Schweiz / Schweizerischer Verband alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV / Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband Kinderbetreuung Schweiz
März-Verlosung
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ilytrail m a F n e d r ü f ) / 2 Kinder . w r .– E 2 ( t e k ic t n ert von je Fr. 79 W ie il im m a F 1 × 10 Helfen macht Spass! Eine spannende Schnitzeljagd durch Zürich, Bern oder
Bilder: ZVG
Basel erleben und dabei noch anderen helfen? Das sind die Familytrails von World Vision Schweiz und Foxtrail. Mit Spiel und Spass knifflige Rätsel lösen und dabei die Stadt sowie die Arbeit eines Kinderhilfswerks mit neuen Augen entdecken. Die Schnitzeljagd nimmt Ihre ganze Familie mit auf eine Reise zu Menschen in fernen Ländern. Sie möchten dabei sein? Mehr unter: www.familytrail.ch
Wettbewerbsteilnahme auf www.fritzundfraenzi.ch/verlosung Teilnahmeschluss: 5. April 2017. Teilnahme per SMS: Stichwort FF WV ZH oder FF WV BS oder FF WV BE an 959 senden (30 Rp./SMS)
Buchtipps
dtv, Reihe Hanser, 2017, Fr. 17.90, ab 12 Jahren.
Hilfe! Ich will hier raus! Als Oma Cordula behauptet, im Garten sei ein Schatz versteckt, zieht erst nur Henrik mit der Schaufel los. Doch bald gräbt die ganze Stadt … Eine verrückte Geschichte mit originellen Figuren. Dressler, 2014, Fr. 17.90, ab 8 Jahren
Die MississippiBande. Wie wir mit drei Dollar reich wurden Beim Angeln finden Te Trois und seine Freunde drei Dollar – in Louisiana um 1900 ein Vermögen! Der Italiener Davide Morosinotto spinnt daraus eine Abenteuer geschichte im Geiste Tom Sawyers. Thienemann, 2017, Fr. 21.90, ab 10 Jahren
Ob Holly und ihre Brüder oder Sam und Dave, ob Henrik oder die Mississippi- Bande: Sie alle haben auf ihrer Schatzsuche viel Optimismus und eine Portion Glück nötig.
Auf der Suche nach dem Schatz Eine Insel für uns allein
Bilder: ZVG
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rei Geschwister ohne Eltern und ein verstecktes Erbe: beste Voraussetzungen für eine abenteuerliche Schatzsuche! Die britische Autorin Sally Nicholls lässt in ihrem neusten Roman die zwölfjährige Holly erzählen, die mit ihren zwei Brüdern in London lebt. Der Älteste, Jonathan, war beim Tod der Mutter achtzehn und bekam das Sorgerecht für seine Geschwister. Die drei halten fest zusammen. Doch den Tierarzt für das kranke Kaninchen können die drei nicht alleine bezahlen. Da erfahren sie, dass ihre verstorbene Tante ihnen einen grossen Teil des Vermögens vermacht hat – nur: Kein Mensch weiss, wo sie die Koffer mit den
Papieren und dem Schmuck versteckt hat. Zum Glück gehen Jonathan und Holly im Londoner «Maker Space» ein und aus. In dieser offenen Werkstatt tragen alle gerne mit ihren Fertigkeiten zur Lösung des Rätsels bei: Da werden Fotos analysiert, Schlösser geknackt, das Internet mobilisiert – und bald ist klar: die Schatzsuche führt auf die Orkney-Inseln, was Jonathan gar nicht begeistert. Doch Holly ist Feuer und Flamme: Aufgeben liegt jetzt nicht drin! Und ihre Hart näckigkeit wird belohnt … Von wegen heute gibt es keine echten Abenteuer mehr! Von den Erlebnissen, die durch das Internet und das Teilen von Wissen und Können erst möglich sind, erzählt dieser erfrischende Roman.
Sally Nicholls wurde 1983 geboren. Die britische Kinderund Jugendbuchautorin schrieb mit 23 Jahren ihren Debütroman.
Sam und Dave graben ein Loch Dass Sam und Dave ein Loch graben, ist auf den Bildern deutlich zu sehen. Ebenso deutlich wird, dass sie den Diamanten dabei immer haarscharf verpassen! Grosser Bilderbuchspass von Mac Barnett und Jon Klassen. NordSüd, 2015, Fr. 21.90, ab 4 Jahren
Verfasst von Elisabeth Eggenberger, Mitarbeiterin des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien SIKJM. Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind weitere Buchempfehlungen zu finden.
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 2017 81
Eine Frage – drei Meinungen
Unsere Tochter, 9, hat Angst vor Dieben. Ich erkläre ihr, dass da, wo wir wohnen, keine Diebe seien. Das ist aber gelogen. Wenn ich ihr nun sage, es gebe zwar Diebe, aber die könnten uns nichts stehlen, weil wir starke Türen haben, sorgt sie sich weiterhin. Wissen Sie einen Rat? Gregor, 51, Altstätten
Nicole Althaus
Schön wärs, man könnte den geliebten Kleinen alle Ängste nehmen, sie luftdicht verschliessen und mit dem Müll entsorgen. Doch die Angst gehört zum Leben. So wie die Freude und die Trauer. Sagen Sie Ihrer Tochter das. Und dass Angst die Menschen lehrt, aufzupassen. Schliessen Sie abends gemeinsam die Tür zu und wenn nötig die Fensterläden. Und dann singen und kochen Sie zusammen und zeigen, dass man mit der Angst gut leben kann.
Tonia von Gunten
Wie gehen Sie heute mit Ihren eigenen Ängsten um? Und wie war es als Kind für Sie? Sprechen Sie mit Ihrer Tochter: «Ich habe heute keine Angst mehr vor Dieben. Doch du machst dir Sorgen. Sage es mir bitte, wenn du selber eine gute Idee gegen diese Angst hast, okay?» Als Kind lernt man den Umgang mit der eigenen Angst am besten, indem man erlebt, dass dieses Gefühl zum grossen Ganzen im Leben mit dazugehört und alle Menschen hin und wieder solche Gefühle erleben.
Peter Schneider
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Nicole Althaus, 48, ist Kolumnistin, Autorin und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am Sonntag». Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir eltern» und hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.ch» initiiert und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter von zwei Kindern, 16 und 12. Tonia von Gunten, 43, ist Elterncoach, Pädagogin und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein Programm, das frische Energie in die Familien bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern, 10 und 7. Peter Schneider, 59, ist praktizierender Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent für klinische Psychologie an der Uni Zürich und ist Professor für Entwicklungspsychologie an der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines erwachsenen Sohnes. Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: redaktion@fritzundfraenzi.ch
März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO
Ich fürchte, die Sorge können Sie ihr kaum abnehmen. Sie müssen Ihrerseits aber auch nicht befürchten, die Angst vor Dieben würde darum zu einem ständigen Begleiter im Leben Ihrer Tochter. Kinder sind hilfloser als Erwachsene; sie verfügen auch nicht über die relativierende Wurschtigkeit, die uns Erwachsenen den Alltag erleichtert. Sie haben mehr Zeit, sich in ihre Ängste zu vertiefen und sie mit allerlei Fantasien auszuschmücken. (Dasselbe gilt oft auch für alte Menschen.) Im Alter Ihrer Tochter haben Kinder auch den Glauben verloren, dass ihre Eltern sie vor allem schützen können. Das ergibt eine Neigung zur Hilflosigkeit, auf die man beruhigend reagieren sollte, die man aber eben auch nicht ausmerzen kann.
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* V-Klasse 220 d TREND, kompakt, 163 PS (120 kW), 2143 cm3, Barkaufpreis: CHF 49 700.– (Fahrzeugpreis CHF 57 564.– abzüglich CHF 7864.– Kundenrabatt und Retailprämien). ** Inkl. MERCEDES-SWISS-INTEGRAL (3 Jahre Garantie und 10 Jahre Gratis-Service, beides bis 100 000 km – es gilt das zuerst Erreichte). 5,9 l/100 km (Benzinäquivalent: 6,67 l/100 km), 154 g CO2/km (Durchschnitt aller verkauften Neuwagen: 134 g CO2/km), Energieeffizienz-Kategorie: E. Leasingbeispiel: Laufzeit: 48 Monate, Laufleistung: 10 000 km/Jahr, eff. Jahreszinssatz: 2,94%, 1. grosse Rate: CHF 11 000.–, Leasingrate ab dem 2. Monat: CHF 399.–. Ein Angebot der Mercedes-Benz Financial Services Schweiz AG. Vollkaskoversicherung obligatorisch. Eine Kreditvergabe ist verboten, falls diese zu einer Überschuldung des Leasingnehmers führen kann. Angebot gültig bis 30.6.2017. Immatrikulation bis 30.9.2017. Abgebildetes Modell: V-Klasse 220 d TREND, lang, mit Sonderausstattungen (Dachreling, eloxiert, LED Intelligent Light System), Barkaufpreis: CHF 52 948.–, 5,9 l/100 km (Benzinäquivalent: 6,67 l/100 km), 154 g CO2/km, Energieeffizienz-Kategorie: E. Leasingbeispiel: Laufzeit: 48 Monate, Laufleistung: 10 000 km/Jahr, eff. Jahreszinssatz: 2,94%, 1. grosse Rate: CHF 11 600.–, Leasingrate ab dem 2. Monat: CHF 429.–. Angebot gültig bis 30.6.2017. Immatrikulation bis 30.9.2017. Unverbindliche Preisempfehlung. Änderungen vorbehalten. Nur bei teilnehmenden Händlern.
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