Fritz+Fränzi 04-17: Hausaufgaben

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Fr. 7.50 4/April 2017

Monatsinterview Wie Kinder von psychisch kranken Eltern leiden Hochbegabt Woran man schlaue Kinder erkennt – und wie sie gefÜrdert werden

Sinnvoll oder ungerecht?

Hausaufgaben


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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser

Bild: Geri Born

Nach 44 Jahren lüfte ich ein Geheimnis. Einige der Deutschaufsätze in der Primarschulzeit («Mein schönstes Ferienerlebnis», «Ein Tag bei meinem Grossvater») habe ich nicht allein geschrieben. Meine Mutter, eine frühere Journalistin, hat mir dabei geholfen. Wir haben so lange an jedem Satz geschraubt, bis es passte. Meine Mutter hat ganze Arbeit geleistet: Für die meisten Aufsätze erhielt ich von Lehrer Niederer eine glatte 6 und durfte sie ins goldene Buch übertragen.

Nik Niethammer Chefredaktor

Ich erwähne das deshalb, weil wir uns bei den Arbeiten am vorliegenden Dossier «Hausaufgaben» intensiv mit diesen Fragen beschäftigt haben. Sollen Eltern ihre Kinder bei den Hausaufgaben unterstützen? Und wenn ja – wie? Die Experten sind sich uneins: Hausaufgaben sind für die Schüler, nicht für die Eltern, lautet eine Botschaft. Eine andere: Eltern müssen ihre Kinder davon abhalten, zu lange an den Hausaufgaben zu sitzen. Eine dritte These lautet: Hausaufgaben sind ein Bindeglied zwischen Schule und Elternhaus. Wenn Eltern sich bei den Hausaufgaben ihrer Kinder engagieren, zeigen sie Interesse. Und wissen, was ihr Kind in der Schule so treibt.

«Wissenschaftlich gesehen wären die wichtigsten Schulfächer Musik, Sport, Theaterspielen, Kunst und Handarbeiten.» Manfred Spitzer, deutscher Hirnforscher, Psychologe und Buchautor

Die Frage, wie viel Hausaufgaben sinnvoll sind oder ob sie nicht besser abgeschafft werden sollten, wird seit Jahren leidenschaftlich debattiert. «Es gibt kein einziges Argument für Hausaufgaben in den ersten sechs Schuljahren», sagt Kinderarzt und Buchautor Remo Largo. «Mit Auswendiglernen, Prüfungen und Noten wird in unseren Schulen eine Treibjagd veranstaltet, die nichts bringt.» Largo wünscht sich mehr Individualität im Unterricht und eben auch beim Lernen. «Es ist die Herausforderung für Eltern und Lehrpersonen, herauszufinden, wie das Kind mit welchen Lernerfahrungen in seiner Entwicklung unterstützt werden kann.»

Persönlich halte ich eine Verlagerung der Hausaufgaben in die Schule als geeignetste Massnahme, um Schule und Freizeit besser zu trennen und die Chancenungleichheiten nicht weiter zu verstärken. Es ist leider eine Tatsache, dass Kinder aus bildungsferneren Schichten selten Unterstützung bei den Hausaufgaben erhalten. Dasselbe gilt für Schüler mit Vollzeit arbeitenden Eltern. Die Hilfe meiner Mutter habe ich damals gerne angenommen. Trotzdem: Aus einiger Distanz und mit dem heutigen Wissen sehe ich ihr Engagement kritisch. Als zweifacher Vater interessiere ich mich selbstverständlich für die Hausaufgaben meiner Kinder – aber ich werde mich hüten, diese für sie zu erledigen. Sind Hausaufgaben sinnvoll oder ungerecht? – ab Seite 12. Herzlichst – Ihr Nik Niethammer

850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org


Inhalt Ausgabe 4 / April 2017

Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf fritzundfraenzi.ch und

facebook.com/fritzundfraenzi. Augmented Reality

Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und Zusatzinformationen zu den Artikeln.

Psychologie & Gesellschaft 38 A dipositas Kinder, die mehr wiegen, als Mediziner empfehlen, haben es schwer. Wie kann ihnen geholfen werden? 42 G eschwister – Verbündete und Rivalen Kronprinz, Nästhäkchen oder Sandwichkind? Die Geschwisterkonstellation ist nicht unwichtig – und sollte von Eltern berücksichtigt werden.

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Dossier: Hausaufgaben 10 Hausaufgaben: Lust und Frust Kinder erhalten einen Verweis, wenn sie die Hausaufgaben nicht erledigen. Das drängt die Eltern in die Ermahner-Rolle. Wie nötig und sinnvoll sind Hausaufgaben wirklich?

32 «Hausaufgaben sind reine Zeitverschwendung!» Der deutsche Bildungsjournalist und Buchautor Armin Himmelrath im Interview. 36 «Was habe ich da nur angerichtet?» Eine Seklehrer berichtet aus der Praxis.

Bild: Désirée Good / 13 Photo

Cover Ufzgi sind in jeder Familie ein Thema – und häufig Grund für Konflikte. Hausaufgaben, unser Dossier-Thema im April. 4

Bilder: Désirée Good / 13 Photo, Filipa Peixeiro / 13 Photo, Sandra Lutz Hochreutener, Gabi Vogt / 13 Photo

18 So vermeidet man Knatsch um Ufzgi Neun Tipps für Eltern.


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Kurt Albermann, woran erkennt man Kinder, deren Mutter depressiv ist?

Die Kraft der Klänge – wenn Musik zu Therapiezwecken eingesetzt wird.

Hochbegabte Kinder brauchen mehr Input, als in der Regelschule gegeben wird.

Erziehung & Schule

78 D igitale Kommunikation Wie funktioniert Snapchat?

56 Fabian Grolimund Wie können wir die Zeit mit unseren Kindern geniessen – trotz prall gefüllter To-do-Liste?

52 Musiktherapie Mit Klängen, Tonfolgen und Rhythmen einen Zugang zu kleinen Patienten finden. 59 Schreiben – ein Kinderspiel! Schreib- und Kritzelübungen verbessern die Schreibmotorik. 62

chlaue Köpfe S Hochbegabte Kinder sollen im Programm «Atelier Plus» speziell gefördert werden. Eine Reportage.

Ernährung & Gesundheit 70 Verhütung Die Pille ist bei Mädchen das beliebteste Verhütungsmittel. Seit diesem Jahr ist ein neues Präparat auf dem Markt – für Teenager geeignet.

Digital & Medial 74 F acebook-Mamis Sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen, ist wichtig. Besonders für Mütter. Die «Basler Mamis 2.0» stehen sich mit Rat und Tat zur Seite, im Internet.

79 Mixed Media

03 Editorial

58 Michèle Binswanger Unsere Kolumnistin über das Heranreifen zur Frau und das Recht, seine Grenzen zu verteidigen.

06 Entdecken

60 Leserbriefe

43 Stiftung Elternsein Ellen Ringier über das Privileg der freien Meinungsäusserung.

Service

Rubriken

44 M onatsinterview Kinder, deren Mutter oder Vater psychisch erkrankt, geraten schnell in die Erwachsenenrolle, sagt Kinderpsychiater Kurt Albermann. 50 Jesper Juul Der Familientherapeut über Wahrhaftigkeit und die Frage, wann sich Eltern in die Beziehungen ihrer Kinder einmischen dürfen.

76 Verlosung 80 Sponsoren/Impressum 80 Abo 81 Buchtipps 82 Eine Frage – drei Meinungen Der Freund des Sohnes bezeichnet alles und jeden als «schwul». Müssen Eltern so etwas dulden?

Die nächste Ausgabe erscheint am 4. Mai 2017.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 5


Entdecken

Kinder halten jung! Grosseltern, die sich um ihre Enkel kümmern, leben länger. Dies fanden Forscher der Max-Planck-Gesellschaft in München heraus. In einer Studie wurden 500 Menschen im Alter zwischen 70 und 103 Jahren untersucht. Aber Achtung: Wer es übertreibt mit dem Hüten, bekommt Stress – und der schadet der Gesundheit. www.kescha.ch

3 FRAGEN «Schüler sollten gerne in diese Schule gehen» Zum dritten Mal wird in diesem Jahr der Schweizer Schulpreis verliehen. Bis zum 15. Juni können sich Schulen um die Teilnahme bewerben. Walter Bircher weiss, welche Schulen gute Chancen haben. Interview: Evelin Hartmann Herr Bircher, was zeichnet eine gute Schule aus? Um dies festzustellen, sollte man sich drei Ebenen von Schule genauer anschauen. Zum einen die Schule als Organisation, System. Nimmt sie die gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen wahr und passt sie sich, wo es sinnvoll ist, durch Neuerungen an? Zum anderen die Lehrpersonen. Sind sie bereit und fähig, Schule als Lern- und Lebensort aktiv mitzugestalten? Sie müssen sich also immer mitverantwortlich für die Profession und ihr Umfeld sehen. Und sie sollten einen guten Unterricht gestalten mit viel Lernzeit, klaren Strukturen und individueller Förderung. Welches ist die dritte Ebene? Diese betrifft die Schüler selbst. Wie werden sie in ihrer Individualität wahrgenommen und gefördert, inwieweit wird ihre Kreativität, ihr Sozialverhalten entwickelt? Grundsätzlich gilt: Schüler sollten gerne in diese Schule gehen. Kann eine Schule auch in einem dieser Bereiche besonders herausstechen? Ja, aber ohne die anderen dabei zu vernachlässigen. Um sich bewerben zu können, sind sechs Kriterien zu erfüllen, die auf unserer Website einsehbar sind. Infos auf www.schweizerschulpreis.ch und wwww.canisi-edition.com

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Bei aller Befragten einer Umfrage zum Thema Heimat lösen Landschaften Heimatgefühle aus, meistens sind es Berge. In den Traditionen finden 91 Prozent der Befragten eine Heimat. Im Vordergrund stehen dabei die individuellen Rituale in der eigenen Familie. (Quelle: Das Stapferhaus Lenzburg hat 1000 Menschen zum Thema Heimat befragt. Aufhänger ist die Ausstellung «Heimat. Eine Grenzerfahrung».)

Du hast Recht! «Welche Rechte haben eigentlich wir Kinder?» Das wird sich der eine oder andere Junge oder das eine oder andere Mädchen fragen und bekommt jetzt von Gleichaltrigen eine Antwort … Denn um für das Thema Kinderrechte ein Bewusstsein zu schaffen, hat die Kinderlobby Schweiz ein bunt illustriertes Buch herausgegeben – aus Kindersicht geschrieben. «Kinder kennen ihre Rechte. Kinder erklären die Kinderrechte» Fr. 26.80 Zu bestellen auf www.kinderlobby.ch > Shop

April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Bilder: fotolia, ZVG

an Walter Bircher, Jury-Präsident des Schweizer Schulpreises


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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 7


Entdecken

«Junge Frauen, findet den richtigen Mann! Es ist entscheidend, dass man die wichtigen Fragen früh klärt: Wer schaut wann zu den Kindern, wer arbeitet wie viel?» Claudine Esseivas Ratschlag an junge Frauen, die Familie und Karriere anstreben, in einem Interview auf www.cash.ch

Claudine Esseiva ist FDP-Politikerin und Beraterin.

Mach doch nicht so einen Lärm! Am 26. April 2017 findet der Internationale Tag gegen Lärm unter dem Motto «Ruhe fördert» statt. Im Mittelpunkt steht dabei, wie sich der Lärm auf Kinder auswirkt. Julia Dratva, die Leiterin der Forschungsstelle Gesundheitswissenschaften an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW in Winterthur, sagt, was Eltern zum Thema Lärm und Gehör interessieren könnte ... 8

Nina, äh, Emma, äh, Katja Wer Geschwister hat, kennt das vermutlich nur zu gut: Eltern bringen die Namen ihrer Kinder gerne durcheinander. Ein Ausdruck mangelnder Zuneigung sei das aber nicht. Tatsächlich scheinen wir Informationen zu unserem näheren sozialen Umfeld im Gedächtnis unter einer einzigen Beziehungskategorie abzuspeichern und ebenso abzurufen. Dieses Fazit ziehen Forscher der amerikanischen Duke University. Sie befragten mehr als 1800 Probanden unter anderem, ob und wenn ja von wem sie schon einmal falsch angesprochen worden seien. Typischerweise waren die Verwechsler Familienmitglieder und oft wurde statt des echten Namens der des Bruders oder der Schwester genannt.

Ob Lärm schädlich ist oder nicht, hängt von der Frequenz, dem Schallpegel und der Dauer eines Geräuschs ab. Ein kurzer, einmaliger, aber sehr lauter Knall kann schädigend für das Gehör sein, ebenso wie ein weniger hohes Geräusch direkt am Ohr, dafür aber über längere Zeit. Entscheidend ist die Gesamtbelastung. Grundsätzlich gilt: Ab einem Dauerschallpegel von 60 Dezibel (Surren einer Näh­m­­aschine) können Stress­­reaktionen im Schlaf auftreten, ab 90 Dezibel (schwerer LKW) können das Gehör und die Gesundheit Schaden nehmen. Die Schmerzgrenze liegt bei 120 Dezibel (Düsenjäger), dann hält sich ein Mensch automatisch die Ohren zu. Auch Kinder.

Kognitive Leistungen können unter hoher Lärm­belastung leiden. Studien belegen bei Kindern eine geringere Lernleistung durch Lärmbelastung. Wir nehmen ständig Geräusche wahr. Doch eine Dauerbeschallung mit hohen Dezibel schränkt die Regeneration der Haarzellen des Ohrs, sprich die Abnehmer und Weiterleiter der Schallwellen, ein. Also öfter für weniger Lärm sorgen. Einen Knopf im Ohr haben ist cool! Das Wissen, ab wann Musikhören schädlich sein kann, erlaubt es Jugendlichen aber, einen guten Umgang damit zu finden. Grundsätzlich gilt: die Lautstärke der Geräte nicht ausreizen und bei zusätzlichen Lärmquellen nicht aufdrehen. Eltern sind dabei Vorbilder, von Anfang an. Infos zum Tag gegen Lärm auf www.laerm.ch

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Nie mehr Hausaufgaben? Sie sorgen in vielen Familien regelmässig für Frust und Ärger: Hausaufgaben. Sind Hausaufgaben wirklich nötig? Warum schafft man sie nicht einfach ab? Und mit welchen Tricks geht das Lernen leichter? Eine Annäherung an ein hoch emotionales Thema. Text: Claudia Landolt Bilder: Désirée Good / 13 Photo

Lehrer und Schüler sind uneins, wie viel das Büffeln nach der Schule bringt.

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Dossier

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ienstagnachmittag, 15 Uhr 15. Fernando, 12 Jahre alt, kommt nach Hause und setzt sich gleich an den Schreibtisch in seinem Zimmer. Er hat Hausaufgaben. Mathe, eines seiner Lieblingsfächer. Fernando soll Bruchteile in Quadraten benennen. Das fällt ihm leicht. Nach 20 Minuten ist er fertig. «Hausaufgaben stressen mich selten», sagt Fernando. «Ich mache sie immer sofort nach der Schule.» Seine Mutter würde liebend gerne einmal einen Blick auf seine Arbeiten werfen, doch Fernando will das nicht. «Ich lerne ja für mich selbst, nicht für meine Mutter», sagt er. Hach. Es gibt sie also, jene Kinder, für die Hausaufgaben eine Fingerübung sind, nicht mehr als ein Zeitvertreib. Für alle anderen sind Hausaufgaben alles andere: ein lästiges Übel, ein Quell des Unverständnisses, eine pädagogische Gängelei, ein Reizthema. Seit einigen Monaten ist die Debatte um Sinn und Unsinn von Hausaufgaben neu entfacht. Die Vizepräsidentin des Schweizer Schulleiterverbands, Lisa Lehner, plädierte in diesem Magazin für eine Schule ohne Hausaufgaben. Auch

1993 schaffte der Kanton Schwyz die Hausaufgaben ab; 1997 führte er sie wieder ein – auf Druck der Eltern. 12

ihr Kollege, der Verbandspräsident Bernard Gertsch, sprach sich für Änderungen aus. Hausaufgaben, so fordert er, sollten im Sinne der Chancengleichheit zu Schulaufgaben werden. Schüler, die sich zu Hause an niemanden wenden könnten, seien nämlich durch klassische Hausaufgaben benachteiligt. Auch in anderen Ländern wird heftig über den Wert von Hausaufgaben gestritten. In Spanien werden sie bestreikt und in Israel will man sie ganz abschaffen. Das Video einer Lehrerin aus Texas, USA, in dem sie erklärt, warum sie Hausaufgaben ablehnt, wurde zum Youtube-Hit. Und in Deutschland erreicht das Thema politische Dimensionen: Die Grünen wollen zusammen mit der Landesschülervertretung Hausaufgaben gleich flächendeckend ab­­ schaffen. Ist es tatsächlich sinnvoll, auf Hausaufgaben zu verzichten? Was bringen Kindern Hausaufgaben und was nicht? Was wäre eine Alternative? Und was meinen Lehrpersonen dazu, was wünschen sich Kinder und deren Eltern? Diesen Fragen geht dieses Dossier nach. Die Schule ohne Hausaufgaben ist kein Hirngespinst. Es gab sie schon mal – nämlich im Kanton Schwyz. 1993 entschloss sich das Bildungsdepartement, alle Hausaufgaben abzuschaffen. Die Lerninhalte seien fortan in die Unterrichtszeit zu integrieren, die Wochenstundenzahl wurde um eine Stunde erhöht. Das machte die Kinder glücklich, nicht aber deren Eltern. Nach nur vier Jahren wurde der Versuch beerdigt – auf Druck der Eltern. Die Regierung hob die Regelung 1997 wieder auf. Hausaufgaben als Kontrollmittel

Eltern sind tatsächlich weniger hausaufgabenkritisch als erwartet. Viele der für dieses Dossier be­­ fragten Eltern gaben an, Hausaufgaben im Sinne eines Kontrollinstru­ mentes zu befürworten. «So >>>


Dossier

Aus Ufzgi sollen Schulaufgaben werden, fordern Experten.

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Dossier

Viele Eltern fĂźhlen sich verpflichtet, bei Hausaufgaben zu helfen.

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Dossier

Eltern helfen bei den Hausaufgaben aus Sorge, das Kind komme nicht mit im Bildungswettbewerb.

«Früher hatte ich weniger Ufzgi» Die Drittklässlerin Elin, 9, fand Hausaufgaben früher einfacher: Es gab weniger. An die Umstellung musste sie sich erst gewöhnen. «Ich fand Ufzgi früher besser, da waren es weniger. Heute habe ich manchmal vier Sachen auf. Daran musste ich mich zuerst gewöhnen. Am besten kann ich Gedichte auswendig lernen. Nach den Aufgaben gehe ich am liebsten in mein Zimmer und male. Eine Schule ohne Hausaufgaben könnte ich mir sehr gut vorstellen. Meine frühere Lehrerin sagte uns oft, geht raus, eure Aufgabe heisst: Wasserschlacht! Das fand ich natürlich toll. Ich frage mich aber, ob man ganz ohne Haus­ aufgaben auch so schnell vorwärtskommen würde.» Das sagt ihre Mutter: «Kommen meine Kinder heim, frage ich sie oft: Habt ihr Ufzgi? Ich tue das, weil ich es sinnvoll finde, dass sie lernen, ihre Zeit einzuteilen und sich zu organisieren. Das Priorisieren von Arbeiten lernen die Kinder in der Schule nämlich nicht. So ist es schon mal vorgekommen, dass es dann plötzlich am Freitagnachmittag einen regelrechten Haus­ aufgabenstau gab – was zu Frust bei allen Beteiligten führte. Das möchte ich natürlich verhindern. Elin erledigt viel selbständig. Ihr älterer Bruder auch, vor allem seit er einen neuen Lehrer hat. Dank Wochen­ plänen hat er gelernt, seine Aufgaben zu strukturieren. Früher gab es deswegen oft ein Gstürm.»

>>> weiss ich ungefähr, wo mein Sohn steht», sagt eine Mutter. Haus­ aufgaben stellen eine Verbindung zwischen der Schule und dem Elternhaus her. Oder wie es in einem Merkblatt des Kantons Luzern heisst: «Hausaufgaben sind ein Fenster zur Schule und geben den Eltern Einblick, was dort läuft.» Manche Mütter und Väter belas­ sen es nicht dabei. Eine Studie des deutschen Pädagogen Thomas Hardt zeigt, dass Eltern ihren Kin­ dern regelmässig bei den Hausauf­ gaben helfen. Sie wollen, dass diese gut erledigt werden. Sie tun das aus Sorge, ihr Kind könnte im Bildungs­ wettbewerb nicht bestehen. So be­­ werten 56 Prozent der Eltern die Tatsache, dass ein Kind pro Tag weniger als eine Stunde Hausaufga­ ben erledigen muss, als Indiz dafür, dass dieses Kind von der Schule nicht ausreichend gefordert wird. Eltern wuchsen mit Ufzgi auf

Das nur der elterlichen Bildungsbe­ flissenheit zuzuschreiben, wäre aber falsch, meint der Bildungsjournalist und Buchautor Armin Himmelrath. «Schliesslich wird Eltern seit Jahr­ zehnten eingetrichtert, dass das häusliche Pauken am Nachmittag, in den Abendstunden und am Wochen­ ende irgendwie der Reifung und Bildung der Kinder dient.» (Siehe auch Interview auf Seite 32.) Tatsächlich sind Hausaufgaben schon lange ein pädagogisches In­­ strument. Bereits in Schulordnun­ gen aus dem 15. Jahrhundert werden diese Arbeitspflichten erwähnt und >>> geregelt. Hausaufgaben dien­

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Dossier

Elterliche Einmischung ist leider schlecht, weil sie das Selbstbewusstsein untergräbt.

>>> ten schon damals dazu, Kin­ dern das selbständige Arbeiten ein­ zuüben und den in der Schule behandelten Stoff eigenständig nachzuarbeiten und zu vertiefen. Daran hat sich wenig geändert. Nahezu der gleiche Wortlaut findet sich fast zwei Jahrhunderte später in einem Merkblatt des Kantons Zürich zur Volksschule: «Kinder lernen durch Hausaufgaben selbständig zu lernen, sich die Arbeitszeit einzutei­ len und Verantwortung für das Ler­ nen zu übernehmen.»

atmosphäre für sie nicht stimmt. Und dort, wo jemand zu Hause ist, kommt es womöglich zu Konflikten, weil Eltern unweigerlich in die Rol­ le des Hilfslehrers schlüpfen. Sie kontrollieren oder versuchen, die Hausaufgaben zu verstehen, mah­ nen, drohen und sanktionieren mit Fernseh- oder Handyentzug aus Sorge, das Kind könnte die Aufga­ ben nicht machen oder vergessen, was vielerorts einen Verweis oder mindestens einen Eintrag im Pflich­ tenheft zur Folge hat. Diese elterliche Einmischung ist grundsätzlich schlecht. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, in der 1700 Eltern und Schüler über einen längeren Zeitraum befragt wurden. Das Resultat – erschienen im «Jour­ nal of Educational Research» >>>

Grosses Konfliktpotenzial

Doch die Gesellschaft hat sich radi­ kal verändert. Die Grossfamilie exis­ tiert kaum mehr, Alleinerziehende oder Patchworkfamilien haben sich etabliert, und Mütter und Väter gehen beide ihren Berufen nach. Solche Formulierungen zu den Hausaufgaben gehen jedoch von einem optimalen Zustand aus, der mit der heutigen Realität oft wenig zu tun hat. So kritisiert Jürg Brühl­ mann von der Pädagogischen Ar­­ beitsstelle des Dachverbands Schwei­ zer Lehrerinnen und Lehrer LCH in der «NZZ»: «Viele Kinder können die Aufgaben zu Hause kaum erle­ digen, weil sie kein eigenes Zimmer haben, der Fern­seher läuft oder die Geschwister stören.» Klassische Hausaufgaben bergen viel Konfliktpotenzial: zum einen, weil sie zeitaufwendig sind und nicht alle Kinder verstehen, was genau sie zu erledigen haben; zum anderen, weil niemand da ist, der ihnen helfen könnte, oder die Lern­ 16

Wann sind Hausaufgaben verboten? In der Schweiz sind Hausaufgaben vom Vormittag auf den Nachmittag, vom Vortag eines Feiertags auf den nächsten Schultag und über die Ferien nicht erlaubt. Ob sie übers Wochenende und über einen freien Nachmittag beispielsweise zulässig sind, ist strittig. So sieht das Schulreglement des Kantons Zug etwa vor, dass sie vom Freitag auf den Montag verboten sind, während der Kanton Zürich dies lascher handhabt. Experten sind sich einig, dass sie über einen freien Nachmittag nicht erteilt werden sollten, weil dies dem Anspruch der Kinder auf Erholung und Freizeit entgegensteht. «Auch Kinder haben den Feierabend verdient», sagt etwa Gabriel Romano, Erziehungswissenschaftler, in einem Interview. Umso mehr, als die Lektionenzahl derart zugenommen hat, dass sich Hausaufgaben erübrigt hätten, weil die Schüler tagsüber genug lernten: «Die Volksschule ist ein Fulltime-Job.»


Dossier

Hausaufgaben sind seit Einführung der Schulpflicht Standard.

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Dossier

«Knatsch bei den Hausaufgaben – das muss nicht sein» Die neun besten Tipps, wenn Hausaufgaben ein Reizthema sind – von STEP-Kursleiterin Liselotte Braun. 1 Machtkämpfe um Ufzgi Hausaufgaben sind in erster Linie eine Sache zwischen Kind und Lehrperson. Viele Eltern fühlen sich jedoch voll dafür verantwortlich. Aus Angst um die beruflichen Chancen ihrer Kinder üben sie bewusst oder unbewusst Druck aus. Dies bewirkt meist Widerstand, und es entsteht ein Machtkampf. Wenn Eltern Verantwortung abgeben und das Kind ermutigen, selbstverantwortlich die Ufzgi zu machen, ist das Kind kooperativer. Es wird in seinem Selbstbewusstsein gestärkt und lernt für die Zukunft. 2 Was tun, wenn es eskaliert? Bei Konflikten gilt erst einmal: sich beruhigen, durchatmen, das Kind nicht anschreien. Das Bewusstsein, dass Haus-

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aufgaben nicht in der Verantwortung der Eltern sind, hilft, dem Kind in Ruhe zu begegnen. So können Eltern die Unlust oder die Wut des Kindes akzeptieren: «Es sieht so aus, als hättest du überhaupt keinen Bock, die Ufzgi zu machen – weil es so viele oder weil sie so schwierig sind?» Dadurch fühlt sich das Kind verstanden. Vielleicht äussert es dann plötzlich, was eigentlich der Hintergrund seiner Unlust ist. Oder die Lösung besteht darin, die Hausaufgaben auf später zu verschieben. Mit der respektvoll ausgesprochenen Aussage «Du kannst die Ufzgi machen, dann hast du alles erledigt, oder du machst sie nicht und riskierst einen Eintrag – du entscheidest», übertragen die Eltern dem Kind die Verantwortung, und es lernt aus den Folgen seiner Entscheidung. 3 Angst vor einem Verweis Viele Eltern wollen das Kind vor einem negativen Erlebnis wie z. B. einem Verweis bewahren. Sie nehmen ihm aber damit die Erfahrung, welche Folgen seine Entscheidung hat. Eine solche Erfahrung darf man dem Kind zutrauen. Wichtig ist, dass Eltern bei einem negativen Erlebnis nicht

moralisieren und sagen: «Siehst du, ich habs dir ja gesagt!» 4 Hausaufgaben dauern lang Dafür gibt es verschiedene Gründe. Manchmal macht das Kind zu viele Hausaufgaben, weil ihm der Auftrag nicht klar ist oder es etwas falsch verstanden hat. Oft erlebe ich auch, dass das Kind mit diesem Verhalten die Aufmerksamkeit der Eltern sucht. Es denkt: «Wenn ich Probleme habe, sind meine Eltern da und haben Zeit für mich.» Oder aber seine Erfahrung lehrt es, dass die Eltern schliesslich die Aufgaben lösen. Es gibt aber auch Kinder, die überfordert und sehr entmutigt sind, weil sie die erwartete Leistung nicht erbringen können. Weiter überschätzen Eltern oft die Konzentrationsfähigkeit des Kindes. Hilfreich ist es, immer wieder mal eine kurze Pause einzuschieben. 5 Elterliche Hilfe – ja oder nein? Eltern helfen manchmal, damit das Kind schneller fertig ist. Doch so lernt es nicht, auch mal an etwas dranzubleiben. Andere Eltern helfen, um bei der Lehrperson einen guten Eindruck zu machen. Die Lehrperson weiss dann aber nicht, was das Kind

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Dossier

Hausaufgaben sind schlicht und einfach «Hausfriedensbruch», schreibt «Der Spiegel».

>>> – besagt, dass sowohl die Leistungsentwicklung im Lesen als auch die Deutschnoten bei Kindern, deren Eltern häufig bei den Hausaufgaben halfen, schlechter ausfallen. Ausserdem untergraben diese Einmischungsversuche die Selbständigkeit der Schüler. Laut Studien sind Qualität und Menge der Ufzgi entscheidend für die Motivation.

effektiv verstanden hat. Sinnvoller ist es, bei andauernden Problemen das Gespräch mit der Lehrperson zu suchen. 6 Danebensitzen – ja oder nein? Keinesfalls sollten Eltern die ganze Zeit neben dem Kind sitzen. Das vermittelt dem Kind das Gefühl: «Ich kann es nicht allein.» Wenn das Kind die Hausaufgaben noch nicht selbständig erledigt, können die Eltern fragen, was an Hausaufgaben ansteht, und das Kind entscheidet, womit es beginnen will. Bei konkreten Fragen können Eltern natürlich Hilfe bieten. Die Initiative muss jedoch vom Kind kommen. Viele Kinder mögen es, die Aufgaben dort zu erledigen, wo sich die Mutter, der Vater oder die Geschwister aufhalten. Oft ist das der Küchen- oder Wohnzimmertisch. 7 Ufzgi gehen vergessen, die Lust fehlt Dann kann man fragen: Was würde dir helfen, dran zu denken? Was macht dir denn genau keine Lust? Oder man schreibt zusammen mit dem Kind eine To-do-Liste mit den verschiedenen Hausaufgaben, inklusive Pausenzeiten. Manche Kinder spornt es an, die erledigten Sachen abhaken zu können.

Eingriff in den Familienalltag

Den Eltern werde zu viel pädagogische Verantwortung übertragen, lautet ein weiterer Vorwurf der

8 Das kapier ich ja doch nicht! Entmutigte Kinder benötigen viel Ermutigung, schon die kleinste Bemühung sollte beachtet und positiv bestätigt werden. Mit der Zeit sind die Eltern manchmal selber entmutigt oder hilflos. Das spürt das Kind und wird noch entmutigter. Oft ist da eine externe Aufgabenhilfe sinnvoll. Wichtig ist auch, dass sich Eltern Hilfe holen. Oft sind Hausaufgaben auch ein möglicher Punkt, um bestehende Spannungen auszutragen. Wenn es etwa Krach in der Schule gab, oder das Kind sich von einer Lehrperson oder den Eltern nicht verstanden fühlt. Dann ist es wichtig, dass die Eltern dem Kind zuhören und seine Gefühle ernst nehmen. 9 Feste Zeiten – ja ode nein? Es ist sicher hilfreich, wenn es eine gewisse Routine gibt. Kinder sind jedoch unterschiedlich. Manche brauchen Unterstützung, wie z. B. einen Arbeitsplan. Andere sind sehr selbständig, da reicht es zu fragen: «Wann machst du die Hausaufgaben, vor oder nach dem Spielen? Du entscheidest.» Die Abmachung sollte dann auch eingehalten werden.

Hausaufgabengegner. Armin Himmelrath sagt, mit Hausaufgaben bürdeten Lehrpersonen den «Eltern die Verantwortung für das Gelingen der kindlichen Schullaufbahn in einem Mass auf, wie das aus schulpädagogischer Sicht zwar seit Jahrhunderten praktiziert wird, erziehungswissenschaftlich aber kaum seriös zu begründen ist». Das sei, um das berühmte Bonmot des Nachrichtenmagazins «Der Spiegel» zu zitieren, schlicht und einfach «Hausfriedensbruch». Dass Eltern die Hausaufgaben überwachen, miterledigen und sich für die schulische Heimarbeit ihrer Kinder verantwortlich fühlen, ist nicht erst seit 2017 Alltag. Wenn Hausaufgaben Bestandteil der Erziehung sind, kann das in vielen Familien ein tägliches Ärgernis darstellen. Das Kind hat keine >>>

Die wichtigsten Tipps zusammengefasst Bei Konflikten sich nicht in einen Machtkampf einlassen, dem Kind etwas zutrauen und ihm die Verantwortung übergeben. Nur Unterstützung geben, wo es wirklich nötig ist. Die Gefühle des Kindes ernst nehmen und auch kleine Fortschritte bemerken.

STEP Das Systematische Training für Eltern und Pädagogen (STEP) basiert auf liebevoll-konsequenter Erziehung, Anerkennung und Ermutigung. Ziel ist, das Selbstvertrauen von Eltern und Kindern zu stärken, sodass Eltern lernen, dem Entwicklungsprozess der Kinder zu vertrauen und sie dabei zu begleiten, zu fordern und zu fördern. Grundlage von STEP ist die Individualpsychologie nach Alfred Adler und Rudolf Dreikurs. www.instep-online.ch

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 19


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Besonders für Mütter und Väter von schulmüden Kindern sind Hausaufgaben ein ständiges Reizthema. >>> Lust, nach sieben Lektionen noch Wörter abzuschreiben. Es ist ihm nicht ganz klar, wie viel wirklich zu erledigen ist, und es telefoniert bei seinen Freunden herum. Es kriegt die Krise, wenn es die Aufgaben in der Schule vergessen hat. Oder es schafft es einfach nicht, diese in einer angemessenen Zeit zu erledigen. Eine Mutter klagt, dass Hausaufgaben zu Hause ein ständiger Reibungspunkt seien. Wenn sie nicht ständig nachfrage, ob ihr Sohn Hausaufgaben erledigen müsse, «läuft da nur wenig». Hausaufgaben seien etwas, was man immer im Auge behalten müsse, auch am Wochenende. Das dränge sie in die Rolle der Ermahnerin und führe zu Unwohlsein. Eine andere Mutter klagt, ihr 13-jähriges Kind habe mit den täglichen Hausaufgaben und dem Büffeln für Tests sowie dem Sporttraining und Musikunterricht in der 6. Klasse ein «sehr, sehr» gros­ ses Pensum. Wie viel ist erlaubt?

Wie viele Hausaufgaben erlaubt sind, entscheiden die Kantone. Diese sind laut Bundesverfassung für die Schulrechte zuständig. Sie nehmen ihre Kompetenz aber unterschiedlich wahr und haben das Schulwesen oft nicht bis ins letzte Detail geregelt. Es existiert kein Bundesgesetz, das bei Hausaufgaben eine zeitliche Begrenzung vorsieht. Fehlen auch im kantonalen Schulrecht Richtlinien zur maximalen Belastung der Schülerinnen und Schüler, kommt das Arbeitsgesetz zur Anwendung. Es schreibt für Jugendliche ab 15 Jahren >>> 20

«Wörtli lerne ich gern» Emilia, 10, und ihr Bruder Giacomo, 8, erledigen die Ufzgi am liebsten mit ihren Freunden. Emilia: «Wörtlilernen mache ich lieber als Matheaufgaben, denn da habe ich oft noch Fragen. Ich arbeite nach Wochenplan, das finde ich anstrengend, weil es oft nach Stress aussieht. Andererseits hilft es mir, die Aufgaben einzuteilen. Es stört mich aber, wenn eine Fachlehrerin dann noch Ufzgi auf den Wochenplan der Hauptlehrerin dazugibt. Am liebsten mache ich sie mit meinen Freundinnen.» Giacomo: «Lesen ist meine liebste Hausaufgabe, Arbeitsblätter in Mathe mache ich am wenigsten gern, nur Logicals finde ich cool. Ich vergesse die Ufzgi höchstens, wenn ich Fussballtraining

habe. Sowieso erledige ich alles in der Aufgabenstunde im Hort, damit ich nachher frei habe und spielen kann.» Das sagt ihr Vater: «Hausaufgaben abschaffen? So weit würde ich nicht gehen. Was ich als Problem erachte, ist die Menge. Zweit- und Viertklässler haben ein Mengengerüst zu bewältigen, das ihnen jegliche Freizeit raubt, den guten wie den weniger guten Schülerinnen, reinste Fleissarbeit. Viele haben ja noch das eine oder andere Hobby. Und so sitzen sie dann bis spät oder am Wochenende hinter den Büchern, anstatt zu schlafen oder mit anderen Kindern ihre Freizeit zu verbringen. Oft braucht es auch die Hilfe der Eltern. Es darf aber nicht davon ausgegangen werden, dass Eltern ihren Kindern dabei dunter die Arme greifen müssen. Das ist nicht der Job der Eltern. Zudem tun sich hier gesellschaftliche Ungleichheiten auf.»


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Auch bei den Ufzgi helfen ältere Geschwister oft den jßngeren, sagt die Forschung.

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Im Schnitt wenden Schweizer Kinder vier Stunden pr o Woche für Ufzgi auf.

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>>> eine Höchstarbeitszeit von täglich 9 Stunden vor, die innerhalb eines Zeitraumes von 12 Stunden liegen soll. Bei 14-Jährigen liegt die Höchstarbeitszeit bei 40 Stunden. Für jüngere Kinder muss dieser Wert entsprechend tiefer liegen. Im Schulalltag eingebürgert hat sich folgende Praxis: 10 Minuten pro Klassenstufe und pro Tag. Ein Erstklässler sollte also nicht mehr als 10 Minuten pro Tag, ein Sechstklässler höchstens 60 Minuten pro Tag an den Hausauf­ gaben sitzen (Prüfungsvorbereitung inklusive). Das entspricht den Zahlen der OECD-Studie aus dem Jahr 2012. Sie untersuchte in 38 Ländern der Welt, wie viel Zeit pro Woche für Hausaufgaben aufgewendet wird. Das Ergebnis: in der Schweiz 4 Stunden pro Woche, in Finnland 3, in Russland 9, in Deutschland und Frankreich knapp 5 Stunden. Geringe Wirksamkeit

Ob Hausaufgaben etwas bringen, ist umstritten. Neue Studien zeigen: Manchen schaden sie sogar. Der neuseeländische Pädagoge John Hattie gilt als Referenz auf diesem Ge­­ biet. In seinem Buch «Lernen sichtbar machen» trug er Befunde aus über 50 000 Studien mit mehr als 80 Millionen Schülern zusammen. Er wollte herausfinden, welche Voraussetzungen und Bedingungen Kindern beim Lernen helfen. Faktoren, die den Lernerfolg fördern, sind beispielsweise eine gute Schüler-Lehrer-Beziehung oder bestimmte Lerntechniken wie wiederholendes Lesen. Hausaufgaben fördern den Lernerfolg dagegen nur sehr wenig. Und selbst dieser >>>

Studien zeigen: Hausaufgaben haben nicht den erhofften Lerneffekt. 23


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Hausaufgaben machen Schüler nicht klüger und auch nicht dümmer.

«Ohne Ufzgi wäre mein Thek leichter» Die beiden Fünftklässlerinnen Simin, knapp 11, und Marilu, 11, würden die Hausaufgaben lieber in einer zusätzlichen Stunde in der Schule erledigen.

>>> geringe Nutzen ist mit Vorsicht zu betrachten. Denn er hängt vom Zeitaufwand ab, den die Schülerinnen und Schüler in ihre Hausarbeiten investieren müssen. Je mehr Aufwand, desto geringer sei der Profit, lautet Hatties Fazit. Profitieren würden im Durchschnitt vor allem ältere und leistungsstärkere Schüler. Auch Armin Himmelrath hat für sein Buch «Hausaufgaben, nein danke» unzählige Studien untersucht. «Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keine einzige Studie, die belegt, dass Leistung oder Wissen durch das systematische Erledigen von Hausaufgaben gesteigert werden kann», fasst er zusammen. «Im Gegenteil: Selbstwirksamkeitserfahrungen, Motivationssteigerungen, Selbststrukturierung bleiben in aller Regel auf der Strecke.» Hausaufgaben abschaffen?

Pädagogen an den Hochschulen plädieren schon lange für die Abschaffung der Hausaufgaben. Als eine «heilige Kuh», an der nicht gerüttelt werden darf, als eine «Pille mit fast ausschliesslich negativen Nebenwirkungen» bezeichnet sie ein Dozent einer Fachhochschule. Er möchte aus Angst vor Repressionen anonym bleiben. Hausaufgaben brauche es nicht, sagt er, man könne sie getrost weglassen. Denn: Die Schüler würden nicht klüger und auch nicht dümmer. Auch Lehrpersonen, Pädagogen an der Front, stellen die klassischen Hausaufgaben infrage. In der Recherche zu diesem Dossier sprachen wir mit unzähligen Lehrpersonen, die Hausaufgaben in neuen Formen zu >>> 24

Simin: «Ich frage mich, wer Hausaufgaben erfunden hat. Ich fände es viel besser, wenn man alle Ufzgi in der Schule machen könnte. Dann hätte ich mehr Zeit für mich, zum Musikmachen, Spielen oder um mich mit Freundinnen zu treffen. Ausserdem wäre dann mein Thek nicht so schwer. Ich mache Hausaufgaben nicht allzu gern und bin froh, dass wir nicht so viele haben. Dass es einen Eintrag gibt, wenn man sie vergessen hat, finde ich nicht gut. Auch regt es mich auf, wenn Eltern sich immer in die Hausaufgaben einmischen.» Marilu: «Ich mache sehr gern Hausaufgaben, aber manchmal finde ich es sehr anstrengend, neben dem vielen Training nicht nur den Schulstoff nachzuholen, sondern auch noch Hausaufgaben zu machen. Dann denke ich wieder, ohne das alles wäre mir doch recht langweilig! Um meine Zeit gut einzuteilen, mache ich Ufzgi auf dem Weg ins Training, im Zug oder im Auto. Ich will mindestens zwei Tage die Woche ohne Aufgaben und Training sein. Meistens mache ich meine Ufzgi allein. Nacharbeiten erledige ich mit Mama. Manchmal geht es besser mit meinem Papa oder mit meinem Gotti.»


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Erwachsene überschätzen die Fähigkeit der Kinder, sich zu konzentrieren. Pausen sind notwendig.

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>>> integrieren versuchen. Einige Beispiele: • Eine Mittelstufenlehrerin unter­ wandert das System, indem sie ihren Schülern nur noch selten Hausaufgaben erteilt. Stattdes­ sen sagt sie: Geht raus, spielt! • Ein Oberstufenlehrer unter­ richtet in Arbeitseinheiten, in denen Aufgaben integriert sind. Seine Teamkollegen halten auf einer grossen Tafel alle Aufga­ ben fest. Das verhindert, dass Kinder an manchen Tagen gleich dreifach Hausaufgaben

zu erledigen haben, an anderen Tagen hingegen gar keine. • Ein Lehrer glaubt, das Thema sei deshalb nicht totzukriegen, weil Lehrpersonen mittels Hausaufgaben die unterschied­ lichen Arbeitsgeschwindigkei­ ten der Schüler ausgleichen könnten. Wenn Kinder zu Hau­ se den Stoff aufholen, kann die Lehrperson anderntags in der gesamten Lerngruppe dieselbe Geschwindigkeit und dasselbe Niveau an den Tag legen. Die Hausaufgaben abzu­ >>>

Hausaufgaben abschaffen bedeutet, den Unterricht grundlegend zu ändern. Dazu sind nicht alle bereit.

Hausaufgaben in der Schule – welche Alternativen gibt es bereits? In der Gemeinde Neuheim ZG wurde schon vor einigen Jahren eine ElternLehrer-Gruppe gegründet, die unter anderem zwei Mal pro Woche kostenlose Hausaufgaben­betreuung für Primarschulkinder anbietet. Das Gymnasium Bäumlihof in Basel hat 2010 begonnen, ganze Klassen ohne Stundenplan zu unterrichten, und Hausaufgaben durch Schulaufgaben ersetzt. Diese werden in der sogenannten individuellen Lernzeit erledigt. Bereits etabliert hat sich an vielen Schulen die sogenannte Aufgabenhilfe oder Aufgabenstunde im Hort. Dabei können Kinder nach dem regulären Unterricht oder als Freifach Aufgaben und Prüfungsvorbereitungen mit qualifiziertem Personal erledigen. Die Aufgabenhilfe ist aber nicht überall kostenfrei.

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Sind Kinder ohne Hausaufgaben motivierter und glĂźcklicher? Das ist die zentrale Frage.

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«Ufzgi stressen mich selten» Der Sechstklässler Fernando, 12, erledigt seine Hausaufgaben immer gleich nach Schulschluss. «Ich habe eine sehr nette Lehrerin. Sie gibt uns nicht viele Hausaufgaben. Einen Teil davon können wir bereits in der Schulstunde erledigen. Meine erledige ich immer sofort nach der Schule und brauche dafür maximal eine halbe Stunde. Meine liebsten Fächer sind Deutsch und Mathe. Nur am Montag, da stressen mich Hausaufgaben. Da habe ich bis 17 Uhr Schule und anschliessend noch Fussballtraining. Da bin ich müde und habe sie deswegen auch schon vergessen, das gibt dann ein Strichli. Hat man sechs, wird man sanktioniert.

Das möchte ich natürlich vermeiden. Ich habe aber Kollegen, die arbeiten viel länger an den Aufgaben als ich. Eine Schule ohne Aufgaben fänd ich natürlich klasse, obwohl ich damit keine Probleme habe.» Das sagt seine Mutter: «Ich bin unglaublich stolz, wie selbständig Fernando seine Hausaufgaben erledigt. Er will auf keinen Fall, dass ich mich ein­ mische oder ihn gar kontrolliere. Daran halte ich mich. Nur wenn er zwei oder drei Wochen mal gar nichts von Aufgaben oder einem Test erzählt, hake ich nach. Und Französischwörter, die darf ich ihn auch abfragen. Wenn ich so zurückdenke, habe ich eigentlich nie kontrolliert. Als er jünger war, fragte ich dann und wann mal nach, aber nie extrem und schon gar nicht täglich. Ich finde auch, dass er genug Zeit hat, um zu spielen und raus­ zugehen.»

Notendoping durch Nachhilfe Ein weiterer Aspekt der Hausaufgaben­ diskussion ist, dass eine ganze Branche von den Arbeiten lebt, welche Lehrerinnen und Lehrer delegieren: der Nachhilfe­ markt. Er würde ohne Hausaufgaben erheblich schrumpfen. In der Schweiz braucht jeder dritte Schüler Nachhilfe, um die Hausaufgaben und Prüfungen zu schaffen. Die Nachhilfequote in der 8. und 9. Klasse ist innerhalb von drei Jahren von knapp 30 auf 34 Prozent angestiegen, wie der Bildungsforscher Stefan Wolter in einem Interview mit der «Sonntags­ Zeitung» sagte. Insgesamt 63 000 Jugendliche müssen nach Unterrichts­ schluss die Schulbank drücken. Das schaffen aber nur Gutverdienende: Für das Notendoping auf der Oberstufe blättern Eltern in der Schweiz pro Jahr «100 bis 300 Millionen Franken» hin, schätzt Bildungsexperte Wolter.

>>> schaffen, hiesse folglich, den Unterricht grundlegend zu ändern. Dazu seien viele nicht bereit. Personalisierte Hausaufgaben

Entscheidend ist auch die Qualität. Laut Ulrich Trautwein von der Universität Tübingen ist sie ein entscheidender Faktor für die Lern- und Schulkarriere. In Mathematik etwa falle der Lernerfolg höher aus, wenn die Lehrpersonen sich auch für den Lösungsweg interessierten, selbst wenn dieser Fehler aufweise. Denselben Effekt erzielt man, wenn Schüler bei Hausaufgaben über etwas Neues nachdenken müssen. Und Schüler gaben an, vom Nutzen der Hausaufgaben überzeugt zu sein, wenn diese ihrer Meinung nach gut vorbereitet und in den Unterricht integriert sind. Das bedeutet in der heutigen Schülerwelt vor allem eins: Individualisierung. «Hausaufgaben müssten personalisiert werden. Die Lehrer sollen die Schüler dort abholen, wo sie gerade sind», sagt Christoph Schmid, Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Denn Schüler würden manchmal in Sachen Selbständigkeit und -diszi­ plin überschätzt. «Dabei ist der Sinn der Hausaufgaben ja, dass die Kinder Vertrauen in ihr Können gewinnen und Erfolgserlebnisse haben.» Das ist in manchen Schulen schon Alltag. Die deutsche Gesamtschule Barmen in Wuppertal erhielt 2015 den Deutschen Schulpreis, weil sie möglich macht, «dass alle an ihr Ziel kommen», wie es in der Laudatio hiess. Dort dauert die Schulstunde 60 statt 45 Minuten. Haus- >>>

Der Sinn von Hausaufgaben ist, dass Kinder Vertrauen in ihr Können gewinnen.

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Aufgaben in den Unterricht einbauen hiesse, dass daheim nur noch für Tests gelernt würde.

3 Fragen an Achim Arn, der in Wil SG mit seiner Kollegin Darinka Egli eine altersgemischte, integrative Unterstufen­klasse unterrichtet. Bei ihnen bestimmen die Schülerinnen und Schüler die Menge und das Niveau der Hausaufgaben selbst.

«Hausaufgaben sollen Freude machen» Herr Arn, wie sieht das Hausaufgabenkonzept Ihrer Klasse aus?

Erstens: Das Kind muss die Hausaufgabe wollen! Die Motivation liegt also beim Kind. Zweitens: Es muss sich darin kompetent fühlen, es muss sich das, was es zu Hause arbeiten soll, vorstellen können und sich darin sicher fühlen. Drittens: Die Hausaufgaben entstehen aus dem, was im Unterricht entsteht, und fliessen auch da wieder hinein. Viertens soll das Kind Anerkennung erhalten. Es bekommt ein Feedback zu dem, was es erarbeitet hat. Die Schüler erhalten von uns also nichts

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aufgebrummt, sondern das Angebot, etwas Sinnvolles für sich zu arbeiten. Die Hausaufgaben sollen ihnen Freude machen! Wie sieht das in der Praxis aus?

Um jedem Kind in seiner Einzigartigkeit gerecht zu werden, arbeiten wir ohne Lehrmittel und Arbeitsblätter. Die Kinder haben dafür leere Hefte, die sie selbst mit ihren Arbeiten füllen. Jedes Heft ist so einmalig, wie die Kinder es selbst sind. In diese Hefte kommen auch die Hausaufgaben. Natürlich sollen und müssen diese zum einzelnen Kind passen. Das heisst zum Beispiel, dass sie uns nach dem gemeinsamen Plus-Rechnen fragen, ob wir ihnen noch Aufgaben ins Heft schreiben könnten. Meist sagen sie uns auch genau, wie diese auszusehen haben und wie viele sie wollen. Das ist zwar aufwendig, lohnt sich aber. Wir sind gerade dabei, die «vier Elemente» zu erforschen. Da liegt es nahe, die Kinder zu ermutigen, die Experimente aus der Schule mit ihren Eltern zu Hause zu wiederholen und ihnen alles zu erklären. Das macht allen Spass und alle lernen etwas dabei! Wie gehen die Eltern damit um?

Ich glaube, alle finden es gut! Natürlich ist es für die Eltern am Anfang etwas unge-

wohnt. Doch das ändert sich rasch: Sie sehen, wie fleissig ihre Kinder in der Schule und je nach Situation auch zu Hause arbeiten. Dazu sehen sie die Lernerfolge der Kinder. So wächst das Vertrauen, dass man mit Freude mehr lernt als mit Angst und Druck. Viele Eltern finden es auch sehr entlastend, weil unsere Hausaufgaben keinen Familienstress produzieren. Denn die Kinder wählen ihre Hausaufgaben sehr bewusst. Hat ein Kind an einem Abend noch Training oder sonst Programm, hält es sich zurück. An einem regnerischen Mittwoch nehmen dann deutlich mehr Kinder etwas zum Arbeiten nach Hause. Auf jeden Fall erzählen uns die Eltern immer wieder, dass die Kinder ihre Hausaufgaben von sich aus anpacken und sie sehr selbständig lösen können. Das muss auch so sein, denn wir schreiben und entwickeln die Aufgaben ja nicht für die Eltern!

Weitere Informationen über Darinka Eglis und Achim Arns Klasse, das Schulhaus Prisma und dessen Schulkonzept: www.prisma-wil.ch

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tet. Die Lehrpersonen geben den Schülern nur Aufgaben, wenn diese es wollen; zudem nur solche, die in den Unterricht integriert sind, und nur solche, in denen sich der Schüler kompetent fühlt. Will das Kind keine Hausaufgaben, bekommt es auch keine. Das Resultat: Sehr viele Kinder kommen und fragen selbst nach zusätzlichen Aufgaben. >>>

>>> aufgaben sind Arbeitsstunden, nicht drangehängt an den Unterricht, sondern um 10.30 Uhr, zweibis dreimal pro Woche. Die Aufgaben, die die Schüler lösen müssen, sind massgeschneidert. Sind sie erledigt, gibts ein Kreuz ins Schülerlogbuch. Die Eltern unterschreiben dieses Büchlein jede Woche und erfahren so, welche Fortschritte ihr Kind macht. In einer Schule im Aargau haben Lehrpersonen klassendurchmischte Unterrichtseinheiten und fix in den Stundenplan inte­grierte Lern­atelier­ stunden eingebaut, in denen Schüler an ihren Aufträgen arbeiten. Zu Hause sollte nur Zeit für die Prüfungsvorbereitung bleiben. Und in einer Primarschule in Wil SG hat ein Klassenteam gar ein eigenes Hausaufgabenkonzept erarbei-

Buchtipps Don Dinkmeyer, Gary D. McKay: STEP – Das Elternbuch. Beltz-Verlag, 2012, um 18 Fr. Armin Himmelrath: Hausaufgaben, nein danke! Warum wir uns so bald wie möglich von den Hausaufgaben verabschieden sollten. hep-Verlag, 2015, um 16 Fr.

Links • www.step-online.ch • www.schuelerrechte.ch • www.sgb.ch > Lehrlings- und Jugendrechte

Claudia Landolt

ist mit pflichtbewussten Kindern gesegnet, zumindest in Sachen Hausaufgaben. Dass es auch anders sein kann, bekommt sie mit, wenn ihre Kids mit ihren Kollegen FacetimeKonferenzen und Chatorgien betreiben oder sich über Ufzgi-Jobsharing unterhalten.

Veranstaltungen Hausaufgaben, ein alter Zopf, der abgeschnitten gehört? Podiumsdiskussion am Campus PH Zürich, 12. Juni 2017, 18 bis 20 Uhr, u. a. mit Fabian Grolimund, Akademie für Lerncoaching. www.phzh.ch > Weiterbildung

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 31


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« Hausaufgaben sind reine Zeitverschwendung» Der deutsche Lehrer und Journalist Armin Himmelrath hat sich jahrelang mit dem Thema Hausaufgaben beschäftigt und wissenschaftliche Grundlagen aus über 500 Jahren untersucht. Seine Bilanz ist vernichtend. Interview: Claudia Landolt Herr Himmelrath, Sie lehnen Hausaufgaben ab. Warum?

Es gibt über 500 Jahre alte Schulver­ ordnungen, die sich mit dem Thema Privatarbeit befassen, denn so hies­ sen Hausaufgaben damals. In diesen wird davon ausgegangen, dass zu­ sätzliches Lernen etwas bringt. Also habe ich mir die Wissenschaft ange­ schaut, die sich in den vergangenen 130 Jahren mit dem Thema ausein­ andergesetzt hat. Dabei habe ich etwas Erstaunliches festgestellt: Es gibt keine einzige Studie, welche die Wirksamkeit von Hausaufgaben belegt. Keine einzige? Kaum zu glauben.

Dachte ich auch. Also hab ich wei­ tergeforscht, auch international. Und herausgefunden: Es gibt wirk­ lich nur ganz, ganz dünne Zusam­ menhänge zwischen Hausaufgaben und Lernerfolg, die manchmal her­ gestellt werden. Aber diese sind keinesfalls so zu bewerten, dass Hausaufgaben per se einen Bil­ dungswert oder einen Zuwachs an Kenntnissen bei Schülern bewirk­ ten. Bereits in den 1960er-Jahren belegte der Erziehungswissenschaft­

«Die Studienlage ist eindeutig: Hausaufgaben haben keinen Bildungswert.» 32

ler Bernhard Wittmann, dass nach einem viermonatigen Versuch bei Drittklässlern, Hausaufgaben weg­ zulassen, diese nicht schlechter waren im Rechtschreiben als solche, die Aufgaben erhalten hatten. Das­ selbe galt für das Fach Mathematik. Dennoch sind Hausaufgaben in der Schule Standard. Woran liegt das?

Nun ja, Eltern wird seit Jahrhunder­ ten eingetrichtert – und die meisten von ihnen haben es selbst auch so erlebt –, dass das häusliche Lernen am Nachmittag und Abend irgend­ wie der Reifung und Bildung der Kinder dient. Wir alle sind mit Hausaufgaben sozialisiert worden. Auch wird geglaubt, dass Hausauf­ gaben irgendwie eine erzieherische Wirkung haben. Nur der Nachweis dazu fehlt. Eltern hören immer wieder, wie wichtig Hausaufgaben seien als Repeti­tion des behandelten Stoffes oder auch zur Entwicklung der Selbständigkeit.

Ja, bloss fehlen die Beweise dazu. Beim genaueren Hinsehen merkt man, wie schwammig diese Formu­ lierungen letztlich sind. Sie beschwö­ ren nichts anderes als die Festigung des Erlernten, ohne dass es Belege dafür gibt. Dennoch gehören für sehr viele Menschen unter uns Hausaufgaben einfach irgendwie dazu. Sie sind im kollektiven Gedächtnis der Menschen so veran­ kert, dass jeder denkt, das müsse so sein. Und auch Eltern gingen mal zur Schule, und die sagen dann, die

eigene Hausaufgabenzeit habe ja wohl niemandem geschadet. Das ist dann so etwas wie ein Totschlag­ argument. Um es noch drastischer auszudrücken: Ein Mediziner oder ein Physiker, der stolz sagt, er benut­ ze noch die Methoden von vor 50 oder 100 Jahren, hätte sich sofort selbst disqualifiziert. In der Pädago­ gik aber, beim Thema Hausaufga­ ben, ist das ein ganz normales Argu­ ment. Wie sind Sie denn überhaupt auf das Thema gekommen?

Irgendwann in meiner Zeit als Bil­ dungsjournalist habe ich festgestellt, dass es eben nicht so ist, dass zusätz­ liche Lernzeit in Form von Hausauf­ gaben auch zusätzlichen Lernerfolg bringt. Und wenn man dann wirk­ lich genauer hinguckt und Studien anschaut, wo Kinder, die mehrere Jahre keine Hausaufgaben hatten, mit Kindern verglichen wurden, die mehrere Jahre Hausaufgaben ma­­ chen mussten, so stellt man fest: Es gibt keine Lernunterschiede. Der einzige Unterschied ist: Die Kinder ohne Hausaufgaben waren moti­ vierter. Hausaufgaben sind oft Stoff für Konflikte in der Familie.

Absolut. Hausaufgaben verursachen mehr Probleme als Lösungen, das sagen sogar Lehrer und Studenten im Lehramt in Internetforen. Schon 1982 urteilte ein deutscher Lehrer aus Flensburg, Hausaufgaben seien bloss mit einem «Riesenaufwand

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betriebene, sinnlose Handgelenks­ übungen der Kinder». Sehr, sehr viele Eltern beklagen die Belastung durch die Hausaufgaben und be­ schreiben den Streit, der ins Fami­ lienleben hineingetragen wird. Eltern ärgern sich auch über die Disziplinierungsmassnahmen, zu denen sie sich gezwungen fühlen, damit die Kinder die Aufgaben erle­ digen. Das einzig Positive, das sie den Hausaufgaben abgewinnen können, ist, dass sie den Eindruck haben, damit noch ein wenig im Bilde zu sein, was ihr Kind in der Schule gerade so lernt. Wie war das bei Ihnen? Sie haben drei Kinder zwischen 17 und 21 Jahren, also reiche Hausaufgabenerfahrung.

Anfangs war ich total unkritisch. Ich dachte, Hausaufgaben seien einfach ein Teil der Schulperformance. Und anfänglich machen die Kinder die Hausaufgaben ja auch sehr gern, freuen sich darauf. Hausaufgaben zu haben, macht sie auch ein biss­ chen stolz. Aber Kinder sind sehr unterschiedlich. Mein ältester Sohn ist sehr zielorientiert, bei ihm gab es wegen Hausaufgaben nie viel Stress. Ganz anders mein zweiter Sohn, bei dem funktionierte die logische Argumentationskette ganz und gar nicht. Er ist der Typ, der gern das lernt, was ihn interessiert, ist also intrinsisch motiviert. Alles andere ist schwierig, und Druck erzeugt bei ihm nur das Gegenteil. Ich verbrach­ te insgesamt Jahre, in denen meine Kinder widerwillig am Küchentisch sassen und mich mit ihrer Lustlo­ sigkeit zur Verzweiflung brachten. Irgendwann begann ich zu zweifeln: Muss das denn sein? So begann ich zu recherchieren. Immer häufiger liest man von Schu­ len, die Hausaufgaben bestreiken oder ganz abgeschafft wollen. Kommt jetzt die Wende?

Wir befinden uns in einem vielfäl­ tigen Transformationsprozess. Es ist gut, dass Debatten darüber laufen. Die Gesellschaft, in der wir uns bewegen, ist individualistisch, die

Arbeitswelt setzt auf Diversität, und in der Schule hat individuelles Ler­ nen längst Einzug gehalten. Doch können wir in diesen individualis­ tischen Zeiten mit heterogenen Klassen wirklich 25 Kindern diesel­ ben Hausaufgaben geben, dieselben Prüfungsfragen stellen, die gleichen Lernziele setzen? Darüber müssen sich Pädagogen Gedanken machen. Die Politik nicht?

Das erachte ich zumindest in Deutschland als aussichtslos, denn hier ist Schulpolitik Länderpolitik und ein letztes Feld für Eigenstän­ digkeit, da mischt sich der Bund nicht ein. Aber ich bin überzeugt, dass man dieses System unterwan­ dern und eine kleine Revolte anzet­ teln kann, ohne dass gleich die Poli­ tik mitmischt. Sie fordern, dass Lehrer der Haus­ aufgabendoktrin entgegentreten?

Ja. Viele Lehrer sind sich bewusst, dass die eigene Hausaufgabenpraxis zwar nicht den Worten, wohl aber dem Sinn der gesetzlichen Vorgaben widerspricht. Das ist oft der Anlass, über kleinere Veränderungen im Schulalltag nachzudenken. Wie könnten solche Veränderungen aussehen?

In einem ersten Schritt mit dem Lehrerkollegium schauen, wer wann wie viele Hausaufgaben erteilt. Oder mit den Schülern darüber diskutie­ ren, wie sie das Thema Hausaufga­ ben empfinden. In einem zweiten Schritt die Hausaufgaben reduzie­ ren. Das kann sein, nur noch an einem oder zwei Tagen Hausaufga­ ben vorzusehen. In einem dritten Schritt könnten Lehrer aus Haus­ aufgaben Schulaufgaben machen. Also individuelle Lernzeiten in den Schulstunden einplanen. Manche nennen diese auch Trainings- oder Arbeitsstunden. Darin werden Schülern gemäss ihrem Leistungs­ niveau individuelle Aufgaben gege­ ben, die sie im Unterricht erledigen – selbständig, aber eben unter pro­ fessioneller Supervision der anwe­ senden Pädagogen.

«Es ist nie zu spät für eine besssere Schule. Das Ende der Hausaufgaben könnte ein Anfang sein.» Wie könnten solche Aufgabenstunden aussehen?

Es könnte einen Aufgabenpool geben, aus dem sich die Schüler bedienen. Sie können diese Aufga­ ben dann in der Klasse so lösen, wie es ihrer Lernstruktur entspricht: manche alleine in Stillarbeit, andere im Team mit anderen Kindern, wie­ der andere holen sich vielleicht Hil­ fe beim Lehrer. Der zweite wichtige Punkt ist ein gutes Feedback – und das muss individuell sein, also wirk­ lich auf jeden einzelnen Schüler eingehen. Man merkt schon: Das kostet richtig viel Zeit, da müssen der Unterricht und die ganze Schu­ le komplett neu organisiert werden. Das bedingt ein radikales Umdenken.

Ja, aber es ist auch eine grosse Chan­ ce. Es ist nie zu spät für eine bessere Schule. Das Ende der Hausaufgaben könnte ein Anfang sein. Das Ende der Hausaufgaben würde nicht nur zu glücklicheren Schülern führen, es gäbe auch stressfreiere Lehrer und Eltern.

Zur Person Armin Himmelrath, 50, ist freier Bildungs- und Wissenschaftsjournalist und Moderator. Nach seinem Lehramtsstudium in Deutschland arbeitet er heute u. a. für den «Spiegel», SpiegelOnline, Deutschlandradio und den WDR. Ausserdem unterrichtet er als Lehrbeauftragter an mehreren Universitäten und hat zahlreiche Bücher zu Bildungsthemen verfasst. Er hat drei Kinder und lebt in Köln.

Fortsetzung des Dossiers auf Seite 36

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, r e t t ü M e b Lie e t k e f r e p s a d h c u e t h c s n wü ! k n e h c s e g s Muttertag Machen Sie es Ihren Liebsten dieses Jahr einfach und wünschen Sie sich zum Muttertag etwas wirklich Sinnvolles: Eine Spende in Ihrem Namen ermöglicht es der Stiftung Elternsein, Familien in der Schweiz gezielt zu unterstützen. Am 14. Mai ist Muttertag. Zeit für eine ernst gemeinte Liebeserklärung an den «Fels in der Brandung des Familienalltags» – und Zeit, dem besten Mami der Welt Danke zu sagen. Wünschen Sie sich von Ihren Liebsten dieses Jahr ein Geschenk, das nicht nur Ihnen Freude macht, sondern auch wichtig und sinnvoll ist – eine Spende an die Stiftung Elternsein. Die finanzielle Zuwendung in Ihrem Namen erlaubt es der Stiftung, die vielfältigen Aktivitäten zur Unterstützung von Eltern schulpflichtiger Kinder fortzuführen und weiter auszubauen. Zum Beispiel mit einer Kampagne gegen Cybermobbing, die in den kommenden Wochen lanciert wird. Wir finden, ein schöneres Geschenk kann man einer Mutter gar nicht machen!


Stiftung Elternsein Die Stiftung Elternsein begleitet Eltern von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen. Ziel der unabhängigen Stiftung ist es, zu sensibilisieren, aufzuklären und zu informieren – mit aktuellen Beiträgen aus den Themenkreisen Familie, Erziehung und Schule. Weil es für den anspruchsvollsten Job der Welt keine Ausbildung gibt, unterstützt die 2001 gegründete Stiftung Eltern mit lösungsorientierten, praktisch anwendbaren Antworten auf Erziehungs- und Bildungsfragen. Die Stiftung Elternsein nimmt sich der Sorgen und Unsicherheiten von Eltern an und fördert gleichzeitig den gesellschaftlichen Dialog.

Als Herausgeberin des «Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi» führt die Stiftung Informations- und Sensibilisierungskampagnen durch und bietet ratsuchenden Eltern zudem zahlreiche Kurzfilme zu relevanten Themen wie Konfliktlösung, Medienkonsum, Schulangst, Depression und der Stärkung der Sozialkompetenzen.

www.elternsein.ch

Unser «Dankeschön» für jede Spende: eine Karte für die beste Mutter der Welt.

lles, a r ü f e Dank Mutter! liebe

Mit Ihrer Spende zeigen Sie der besten Mutter der Welt, dass Ihnen auch das Wohlergehen anderer Familien am Herzen liegt. Nutzen Sie den freien Platz für eine persönliche Widmung! Versand nach Spendeneingang. Wenns pressiert, kann die Karte auch per E-Mail (katja.schaffner@elternsein.ch) angefordert werden.

Liebe Mutte r Die Sp Mütte ende in De Sie al rn, Vätern inem Nam le dank – vo en en Di r allem ab an die St ift r dafü r von er Kinder ung Eltern ganzem n in de sein Herze r Schw kommt eiz zu n! gute.


Dossier

« Was habe ich als Lehrer nur angerichtet?» Hausaufgaben sorgen in vielen Familien regelmässig für Streit und rote Köpfe. Unser Kolumnist ist Seklehrer und weiss, wie eine gute Hausaufgabenpraxis aussieht. Und wie Dramen abgewendet werden können. Text: Samuel Zingg

I

ch bin perplex. Wieso hält sich der Schüler nicht an meine Anweisungen? Was habe ich nur angerichtet? Es ist Montagvormittag, ich sitze in einem Elterngespräch, nach vier Lektionen Unterricht. Am Tag zuvor, am Sonntagabend, er­­ reichte mich um 17 Uhr der Anruf einer aufgebrachten Mutter: «Das kann so nicht weitergehen!», teilte sie mir am Telefon mit. Sie habe nach dreieinhalb Stunden Mathe­ hausaufgaben die «Reissleine» gezo­ gen und dem Sohn die Mathema­ tiksachen weggenommen. Dramen wegen Hausaufgaben kommen leider viel zu oft vor. Eltern streiten mit ihren Kindern, drohen ihnen mit Fernsehverbot und Handyentzug. Oder die ganze Familie brütet stundenlang über scheinbar unlösbaren Hausaufga­ ben. Auch das Gegenteil gibt es: «Niemand» interessiert sich daheim für die Hausaufgaben – da meldet sich dann die Schule bei den Erzie­ hungsberechtigten. Wir Lehrperso­

nen erfahren von diesen Dramen oft erst, wenn die Situation bereits verfahren ist. Oftmals weitet sich dann das Drama von zu Hause am Familientisch zu einem Streitge­ spräch mit den zuständigen Lehr­ personen aus. Nun sitze ich also mit Mutter und Sohn an diesem Gespräch. Die Mutter schildert, dass ihr Sohn in der vergangenen Woche «nur für Ihre Matheaufgaben, Herr Zingg», zehn Stunden aufgewendet habe. Sie ist sehr erbost, und ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich war der Ansicht, ich hätte Hausaufgaben für etwa 20 Minuten gegeben. Was stimmt hier nicht? Als Lehrperson auf der Sekun­ darstufe I mache ich mir sehr wohl Gedanken, wie viele und vor allem welche Art Hausaufgaben ich den Lernenden erteile. Aus meiner eige­ nen Schulzeit kenne ich noch das «Fertigmachen» von Aufgaben, das «Aufholen». Heute weiss man aus verschiedenen Forschungsarbeiten, dass diese Hausaufgaben keinen

Gute Hausaufgaben sind ­abwechslungsreich, attraktiv und können selbständig gelöst werden. 36

Lernzuwachs bewirken, sondern die Schüler und Schülerinnen eher demotivieren. Eine gute Hausaufgabenpraxis sieht wie folgt aus: • Hausaufgaben sollen von den Jugendlichen selbständig gelöst werden können. • Übungsaufgaben dürfen vor­ kommen, sollten aber eher die Ausnahme bilden. • Kluge Aufgaben sind abwechs­ lungsreich, attraktiv, handlungs­ orientiert und werden selbstän­ dig verstanden. Dann braucht es weniger, um den gleichen Lern­ zuwachs zu erreichen. • Quantitativ sollte man lieber re­­ gelmässig wenige als punktuell viele Hausaufgaben geben. • Damit Hausaufgaben bedeutsam und lernwirksam werden kön­ nen, soll regelmässig individuel­ les, förderorientiertes Feedback zu den Hausaufgaben erfolgen. Um auf das Elterngespräch zurück­ zukommen: Welcher Art waren die besagten Hausaufgaben, die das Drama ausgelöst haben? Bei mir sollen die Schülerinnen und Schüler nicht mehr als 20 Minuten Hausaufgaben pro Tag für Mathe ma­­chen. Trotzdem hat dieser Schüler länger daran gearbeitet. Wieso? Weil er ehrgeizig ist und es unbedingt perfekt machen will. Das ist lobenswert, aber ich möchte das nicht. April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Ich habe also der Mutter den Auftrag gegeben, die Hausaufgaben nach spätestens 30 Minuten abzubrechen. Wenn die Aufgaben in dieser Zeit nicht erledigt werden können, liegt der Fehler bei mir, weil ich mich unklar ausgedrückt oder eine für den Schüler zurzeit noch nicht lös­ bare Hausaufgabe aufgegeben habe. Die Mutter war erleichtert. Weitere Dramen konnten abgewendet wer­ den. Zwar macht der Schüler noch heute manchmal während mehr als 30 Minuten Hausaufgaben, aber die Situation hat sich deutlich gebessert. Dann und wann ist er sogar bereits nach 15 Minuten fertig. Was erwarte ich als Lehrperson generell von den Eltern in Sachen Hausaufgaben? Es hat sich gezeigt, dass Interesse ohne dauernde Kon­ trolle förderlich ist. Ich wünsche mir, dass Eltern bei ihren Sprösslin­ gen nachfragen, auch mal in ein Heft schauen und mit ihrem Kind darüber sprechen, woran es gerade arbeitet. Sie sollen ihre Hilfe anbie­ ten, nicht fachliche, sondern orga­ nisatorische Hilfe, und vor allem ein ruhiges Umfeld schaffen, sodass ihr Kind konzentriert und somit spedi­ tiv lernen und arbeiten kann. Und nicht zuletzt erwarte ich von den Eltern, dass sie mich kontaktieren,

wenn es Probleme mit den Hausauf­ gaben oder der Schule gibt. Man stelle sich vor, die Mutter hätte sich nicht gemeldet. Der Schü­ ler wäre in der Folge immer frus­ trierter geworden, seine Leistungen wären wahrscheinlich gesunken. Als Lehrperson hätte ich dann immer mehr nachgefragt und schliesslich, nach einem Monat oder zwei, die Eltern zu einem Gespräch eingeladen, weil ihr Sohn ungenügende Leistungen erbracht hätte. Dieses Elterngespräch wäre dann mit Sicherheit für alle unan­ genehmer ausgefallen. Da bin ich gerne bereit, mehrere Elterngesprä­ che wie das eben geschilderte zu führen. Deshalb, liebe Eltern, kon­ taktieren Sie uns Lehrpersonen bei Fragen oder Problemen frühzeitig – es hilft allen Beteiligten. Als Lehrperson habe ich aber nicht nur Erwartungen an Eltern, sondern auch an Schulen und Gemeinden. Es gibt Schülerinnen und Schüler, welche nach der Unterrichtszeit alleine zu Hause sind. Ihre Betreuungspersonen arbeiten noch oder schlafen, da sie in einem Schichtbetrieb arbeiten. Diese Jugendlichen können die Hausaufgabensituation oftmals nicht alleine bewältigen. Für diese

Kindern, die nach der Schule allein zu Hause sind, sollte nach dem Unterricht eine kostenlose Betreuung zur Verfügung stehen.

Fälle soll die Schule eine kostenlose Betreuung nach Unterrichtsschluss zur Verfügung stellen. So können die Kompetenzen, welche wir mit den Hausaufgaben fördern möch­ ten, erfolgreich trainiert werden, und die Chancengleichheit ist best­ möglich gewährt.

Samuel Zingg ist Lehrperson an der Sekundarstufe I in Buchholz GL und Mitglied der Geschäftsleitung des LCH. Der Vater einer vierjährigen Tochter und eines zweijährigen Sohnes wohnt in Mollis GL.

Im nächsten Heft:

Bild: iStockphoto

Väter

Bin ich ein guter Vater? Welche Werte möchte ich meinem Kind vermitteln? Und werde ich den grossen Erwartungen an mich gerecht? Warum Väter für die Kindsentwicklung so wichtig sind. Und was sie so besonders macht – unser Dossier im Mai.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 37


Psychologie & Gesellschaft

Übergewicht – wenn Essen krank macht Warum werden Kinder wie der zehnjährige Luca übergewichtig? Welches sind die Folgen einer Adipositas? Und was könnte Luca helfen? Text: Nadine Messerli-Bürgy und Simone Munsch

L

uca ist 10 Jahre alt und übergewichtig. Er leidet unter seinen Gewichts­ problemen und hat schon oft versucht, abzuneh­ men. Bisher ohne Erfolg. Oft wird er von seinen Mitschülern wegen sei­ ner Gewichtsprobleme gehänselt. Der Bub fühlt sich daher häufig wertlos und wirkt traurig. Luca ist mit seinen Gewichtspro­ blemen nicht alleine. Nahezu jedes fünfte Kind in der Schweiz ist über­ gewichtig oder erreicht ein Gewicht, das im Verhältnis zu seiner Körper­ grösse deutlich erhöht ist und damit für Fachpersonen in den Bereich der Adipositas fällt. Adipöse Kinder leiden häufig an depressiven Stimmungen und an vermehrten Ängsten. Angststörun­ gen wie soziale Phobien, Trennungs­ ängste, aber auch Depressionen sind keine Seltenheit. Fachpersonen gehen davon aus, dass sich Depres­ sionen und Angstprobleme auf­ grund der erhöhten psychischen Belastung durch die Adipositas und

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die damit einhergehende Stigmati­ sierung entwickeln können. Die Körperfülle macht das Ge­­ wichtsproblem für die Mitmenschen sichtbar. So führen Hänseleien in der Schule, Ausgrenzung durch Mit­ schüler, Ausschluss von bestimmten Freizeitaktivitäten wie Sport, aber auch Einschränkungen im Alltag für das Kind zu einer ständigen Ausein­ andersetzung mit der Gewichtspro­ blematik. Die Sitze im Bus sind zu klein, die Schulbänke zu eng. Sich als Versager fühlen

Diese Auseinandersetzung ist für ein adipöses Kind sehr belastend. Im Vergleich zu gleichaltrigen Normal­ gewichtigen sind solche negativen Erlebnisse bei übergewichtigen Kin­ dern weitaus häufiger zu beobachten und damit die psychische Belastung höher. Die Folgen dieser Belastung sind ein geringer Selbstwert und ein negatives Bild der eigenen Person und des Körpers. Nicht selten ent­ wickeln Kinder in der Folge Ängste oder depressive Verstimmungen.

Stress und negative Gefühle bewältigen adipöse Kinder mit emotionalem Essen, was das Problem zusätzlich verstärkt.

Kinder mit Ge­­w ichtsproblemen nehmen sich oft als Versager wahr. Diäten beinhalten meist rigide Ein­ schränkungen und sind somit selten über längere Zeit von Erfolg gekrönt. Solche wiederholten erfolglosen Diätversuche führen häufig dazu, dass adipöse Kinder sich als willen­ los einschätzen und den Mut verlie­ ren, sich mit ihren Gewichtsproble­ men auseinanderzusetzen. Als Folge werten sich adipöse Kinder selbst ab, sind frustriert und haben Angst, sich mit Gleichaltrigen zu treffen. Dieser Rückzug begünstigt den «Teufelskreis», indem Frust und Enttäuschung zu emotionalem April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Bild: iStockphoto

Über­­e ssen führen. Emotionales Essen bei adipösen Kindern dient dazu, Stress oder negative Gefühle mit Essen zu bewältigen, was das Gewichtsproblem zusätzlich verstärkt. Einige adipöse Kinder neigen auch zu erhöhter Impulsivität und Hyperaktivität und haben Schwierigkeiten, zu kontrollieren, was und wie viel sie essen. Die Folge davon kann eine übermässige Kalorienzufuhr sein. Treten solche Essanfälle regelmässig auf und werden von Gefühlen des Kontrollverlusts sowie von starken Schuld- und Schamgefühlen begleitet, sollten weitere Hinweise auf eine zusätzliche Essstörung, die Binge-Eating-Störung BES, abgeklärt werden. BES ist eine Essstörung, bei der es immer wieder zu Heisshungeranfällen kommt. Die Gründe für Übergewicht sind vielschichtig

Übergewicht und Adipositas entstehen durch eine erhöhte Energiezufuhr im Vergleich zum Energiever-

brauch. Die überschüssige Energie, zugeführt durch Nahrungsmittel, wird im Körper in Fettdepots umgewandelt und gespeichert. Nebst der genetischen Veranlagung zur Fettspeicherung sowie einer erhöhten Ansprechbarkeit auf Nahrungsreize, die dadurch als besonders positiv empfunden werden, spielen Lernmechanismen im Umfeld und in der Familie der Kinder eine wichtige Rolle. So lernt ein Kind bereits von früh an am Modell der Bezugspersonen, welche Nahrungsmittel bevorzugt werden, welche Portionengrössen geschöpft werden oder wie schnell gegessen wird. Auch der Umgang der Eltern mit ihrem eigenen Körper und Gewicht spielt eine Rolle bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Gewichtsproblemen der Kinder. So können stetige Gewichts­ sorgen der Eltern die Gewichtsprobleme von Kindern beeinflussen. Die ständige Beschäftigung mit Gewicht und Diät kann dazu führen, dass Kinder den natürlichen >>>

Welches Behandlungsprogramm ist bei Kindern erfolgreich? In der Schweiz bietet unter anderem der Schweizer Fachverband Adipositas im Kindes- und Jugenalter Informationen über Behandlungsprogramme für unterschiedliche Altersgruppen an, www.akj-ch.ch. Ein weiteres, auf seine fünfjährige Wirksamkeit geprüftes Behandlungsprogramm, Training für adipöse Kinder und deren Eltern, TAKE, liegt von Roth und Munsch (2010) vor. Es richtet sich an Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren und deren Eltern. Dabei werden die Eltern zu verschiedenen Themen der Gewichts­ problematik geschult. Ziel ist, den Eltern Informationen und Strategien zu vermitteln, um ihre Kinder bei der gesunden Ernährung und gutem Essverhalten sowie bei der Bewegungsförderung zu unterstützen. Des Weiteren sollen Eltern als wichtigste Trainer ihrer Kinder ausgebildet werden, wenn es darum geht, die psychische Belastung des Kindes zu vermindern. Themen­ beispiele sind Umgang mit Hänseleien, Aufbauen des Selbstwertgefühls, bessere Akzeptanz des eigenen Körpers. Im Zentrum für Psychotherapie an der Universität Freiburg (www.unifr.ch/psychotherapie/de) wird TAKE je nach Alter des Kindes nur mit Eltern oder als Eltern-Kind-Programm durchgeführt. Bei älteren Kindern oder Jugendlichen werden entsprechende Inhalte direkt mit dem Jugendlichen erarbeitet.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 39


Psychologie & Gesellschaft

Wenn Eltern sich zu wenig bewegen, tragen sie dazu bei, dass ihr Kind an Gewicht zunimmt.

>>> Zugang zu Nahrungsmitteln verlieren. Weiter beeinflussen Stress in der Familie, wie beispielsweise die Krankheit eines Elternteils oder schwere Lebensereignisse, aber auch finanzielle Sorgen der Eltern den Umgang des Kindes mit Nahrung, Körper und Gewicht. Zudem spielt eine eingeschränkte Bewegungs­ aktivität eine wichtige Rolle bei der

Entwicklung von Übergewicht und Adipositas. Geringe Möglichkeiten, sich frei zu bewegen, ein fehlender Zugang zu einem Spielplatz, Sportplatz oder offenem Gelände und bewegungs­ arme Freizeitaktivitäten der Eltern beeinflussen die Gewichtsproblema­ tik des Kindes. Häufige sitzende Tätigkeiten wie Fernsehen, Lesen, Computerspiele und so weiter be­­ günstigen die Gewichtszunahme ebenfalls. Unbehandeltes Übergewicht hat gesundheitliche Folgen

Werden Übergewicht oder Adipo­ sitas nicht behandelt, kann das zu Beeinträchtigungen im psychischen und auch im körperlichen Bereich führen. Adipöse Kinder haben auf­ grund häufiger Ausgrenzung ein höheres Risiko, Verhaltensauffällig­

Praktische Ausbildung

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Nadine Messerli-Bürgy PD Dr. phil., Mutter von zwei Kindern, arbeitet seit 2014 als Senior Researcher in der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie am Departement für Psychologie sowie am Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg. Sie ist klinische Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Schweizer Kinderstudie «Swiss Preschooler’s Health Study» (SPLASHY) .

Simone Munsch Prof. Dr. phil., Mutter von drei Kindern, ist seit 2011 Ordinaria für Klinische Psychologie und Psychotherapie am Departement für Psychologie der Universität Freiburg. Sie ist Präsidentin des Instituts für Familienforschung und -beratung und Co-Leiterin der Akademie für Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen. Simone Munsch ist klinische Psychologin, Psychotherapeutin BAG und Supervisorin.

Vorteil Volg : Nah & einfach.

Mit dem Velo auf Einkaufstour.

eundlich Einkaufen im Dorf ist bequem, umweltfr persönliund zeitsparend. Nähe bedeutet bei Volg rsonal und cher Kontakt zwischen Kunden, Ladenpe weiss: Gäbe lokalen Produzenten. Wer das schätzt, erfinden! es den Dorfladen nicht, man müsste ihn

Wann spricht man bei einem Kind von Übergewicht oder Adipositas? Das Vorliegen von Übergewicht oder Adipositas wird durch die Berechnung des Body-Mass-Indexes (Körpergewicht geteilt durch Körpergrösse im Quadrat) festgestellt. Bei Kindern und Jugendlichen werden das Alter und das Geschlecht in der Beurteilung berücksichtigt. Gemäss Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter gelten Kinder ab der 90. Perzentile (Gewichtskurve) als übergewichtig, ab der 97. Perzentile als adipös. BMI-Rechner: www.akj-ch.ch/de > Familien > BMI-Rechner

brandinghouse

keiten zu entwickeln. Zudem weisen adipöse Kinder im Verlauf häufiger Depressionen und Angststörungen auf. Weiter steigt mit dem Gewichts­ problem das körperliche Gesund­ heitsrisiko. Adipöse Kinder leiden häufiger an Fettstoffwechselstörun­ gen, Bluthochdruck, Diabetes Typ II oder am Schlaf-Apnoe-Syndrom (Beschwerdebild, das durch Atem­ stillstände, Apnoen, während des Schlafs verursacht wird). Die schweren psychischen und körperlichen Folgen machen deut­ lich, wie wichtig die Früherkennung und die Behandlung sind. Bisherige Untersuchungen haben gezeigt, dass etablierte Behandlungsprogramme eine kurzfristige und langfristige Gewichtsreduktion des Kindes be­­ wirken und damit Gesundheitsfol­ >>> gen verhindern können.

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 41


Psychologie & Gesellschaft

Geschwister – Verbündete und Rivalen Geschwister kann man sich nicht aussuchen, und so liegt es nahe, dass sich Brüder und Schwestern nicht einfach so vertragen. Ein entspanntes Miteinander und mehr Gelassenheit helfen, Konflikte zu entschärfen. Text: Susan Edthofer

U

m den Alltag zu meistern, müssen Fami­ lien mit unterschiedlichen Persönlich­ keiten und Reibereien innerhalb der Geschwisterreihe zurechtkommen. Hilf­ reich sind dabei eine Portion Gelassen­ heit und ein gewisses Grundvertrauen, dass Kinder ihre Auseinandersetzungen selber regeln. Doch Geschwister spielen auch zusammen, gehen gemeinsam auf Ent­ deckungsreisen, lernen von- oder miteinander. Und sie treten als Verbündete gegenüber ihren Eltern, anderen Kindern oder Erwachsenen auf. Jedem Kind seine Art von Zuwendung

Geschwisterbeziehungen prägen die individuelle Ent­ wicklung des Kindes. Oft wundern sich Eltern, dass ihre Kinder so unterschiedlich sind. Gerade weil sie verschie­ den sind und nie die gleichen Erfahrungen machen, ist es auch unmöglich, sie genau gleich zu erziehen. Um sich angenommen zu fühlen, braucht jedes Kind eine andere Art von Zuwendung. Wichtig ist, dass Eltern reagieren, wenn ein zu grosses Ungleichgewicht zwi­ schen den Geschwistern besteht, wenn zum Beispiel die grosse Schwester stark dominiert und sich die kleine Schwester stets unterwirft. Beansprucht der ältere Bru­ der durch sein auffälliges Verhalten viel Aufmerksam­ keit, sollte darauf geachtet werden, dass das ruhigere Geschwister nicht untergeht. Geschwister beeinflussen das Verhalten

Zwar haben Kinder persönliche Veranlagungen, doch ob sie als Einzelkind oder mit Geschwistern aufwachsen, ist nicht bedeutungslos. Etwas über Geschwisterkon­ stellationen zu wissen, ist hilfreich. Dass das erste Kind sehr viel Aufmerksamkeit von Eltern und Grosseltern erfährt, liegt in der Natur der Sache. Beim Erstgeborenen wird jeder Lernschritt mit Bewunderung oder allenfalls mit Besorgnis quittiert. Mit der Ankunft eines Geschwisters gerät der Status des Kronprinzen, der Kronprinzessin ins Wanken. Kaum verwunderlich also, wenn Rivalitätsgefühle auftauchen. 42

«Geschwister sind verschieden. Sie gleich zu erziehen, ist unmöglich.» Susan Edthofer ist Redaktorin im Bereich Kommunikation von Pro Juventute.

Für das mittlere Kind ist die Situation eben­ falls nicht einfach. Es muss sich mit einem älteren und wahrscheinlich überlegenen Geschwister arrangieren und steht gleichzeitig im Schatten des Nest­ häkchens. Weil sie eher um ihre Position buhlen müssen, verhalten sich mittlere Kinder oft provokativer, fordern­ der oder gar aggressiver. Da innerhalb der Familie die Rollen verteilt sind, wird das jüngste Kind in ein bestehendes Gefüge hin­ eingeboren. Von allen umsorgt und entsprechend ver­ wöhnt, gelingt es ihm meist mit Leichtigkeit, alle um den Finger zu wickeln. Trotz mehr Nachsicht fühlen sich Nesthäkchen manchmal ungerecht behandelt. Einmal mehr zeigt sich, dass Fingerspitzengefühl bei der Kin­ dererziehung unentbehrlich ist.

Was Eltern tun können – vier Tipps • Üben Sie sich im Umgang mit Streitereien unter Geschwistern in Gelassenheit. • Vertrauen Sie auch darauf, dass Kinder ihre Auseinandersetzung selber regeln. Statt einen Streit durch ein Machtwort zu beenden, können Sie Möglichkeiten zur Lösungsfindung aufzeigen. • Ihre Kinder sind verschieden, und es ist unmöglich, sie genau gleich zu erziehen. Setzen Sie ähnliche, aber nicht die gleichen Massstäbe und geben Sie jedem Kind die Zuwendung, die es braucht. • Reagieren Sie, wenn ein zu grosses Ungleichgewicht zwischen den Geschwistern besteht. Achten Sie darauf, dass kein Kind zu stark dominiert und das andere sich unterwerfen muss.

Pro Juventute Elternberatung Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (058 261 61 61) oder online (www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag und zur Erziehung stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen keine Kosten an. In den Elternbriefen und Extrabriefen finden Eltern Informationen für den Erziehungsalltag. Mehr Infos: www.projuventute.ch

April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Stiftung Elternsein

«Lassen Sie uns NEIN sagen!»

Ellen Ringier über das Privileg, in einer Gesellschaft zu leben, in der jede und jeder seine Meinung frei äussern darf – und sollte. Dr. Ellen Ringier präsidiert die Stiftung Elternsein. Sie ist Mutter zweier Töchter.

Täglich begegnen mir in den Medien Meldungen, die mich unsäglich wütend machen. Und das sind alles andere als Fake News! Umso dankbarer bin ich, das Glück zu haben, in einer Gesellschaft zu leben, die sich nicht einfach alles bieten lassen muss. Was für eine Erleichterung, Ereignissen wie den folgenden, zufällig zitierten mit einem NO, einem leidenschaftlichen NEIN, entgegentreten zu können, ohne dafür im Gefängnis zu landen!

Bild: Maurice Haas / 13 Photo

Nehmen wir die folgenden Beispiele:

• Eine Burka-Kollektion präsentiert von Topmodels auf dem Laufsteg soll ein Zeichen der Toleranz sein? Burka (Ganzkörperschleier) und Hidschab (Kopftuch) sind Zeichen der Unterdrückung der Frau. Ist es zulässig oder nicht eher verantwortungslos, diese durch einen Modetrend zu verharmlosen? NO zu einer Toleranz, die keine ist, sondern bloss eine neue Geschäftsidee! • Täglich ringen Eltern in allen Berufen darum, ihre Arbeitspflichten korrekt zu erfüllen. Täglich passiert es jedoch, dass Kinder krank werden, dass eine Betreuung auf die Schnelle nicht organisiert werden kann, dass Eltern mit den Kindern zum Arzt oder ins Krankenhaus fahren müssen. Darf da der Arbeitgeberverband sinngemäss fordern, dass sich berufstätige Eltern besser zu organisieren hätten, Hauptsache, sie erschienen rechtzeitig zur Arbeit? NO, Pünktlichkeit am Arbeitsplatz ist mit Sicherheit nicht die «Hauptsache»! Es geht ganz und gar nicht, dass der Arbeitgeberverband seine Mitglieder sozusagen dazu auffordert, Härte zu zeigen, wo Mitgefühl angezeigt wäre. • Ausgerechnet die Partei, die vorgibt, sich ganz besonders für die Interessen aller Bürger stark zu machen, fordert nun die Abschaffung der Öffentlichkeit im eidgenössischen Beschaffungswesen! Endlich haben wir ein Öffentlichkeitsgesetz, das es den Medien ermöglicht, an Dokumente zu gelangen, die beispielsweise korrupte Vergaben von Aufträgen im SECO, im Staatssekretariat für Wirtschaft, belegten. Soll die

Deckung von Beamten, die ihre privaten Interessen in den «Dienst» der Öffentlichkeit stellen, wieder aufgehoben werden? NO! • In den letzten Jahren ist es zusehends Mode geworden, die Aufgabe und Tätigkeit der Schweizerischen Radiound Fernsehgesellschaft SRG zu hinterfragen. Die NoBillag-Initiative will die SRG finanziell zurückbinden. Angeblich der gleich langen Spiesse mit den privaten Sendern zuliebe. Die Arbeit der öffentlich-rechtlichen (Schweizer) Fernsehanstalt ist reglementiert, die SRG ist per Konzessionsbedingungen dazu verpflichtet, uns einen Service public zu liefern. Auch wenn dies durch Einnahmen von Gebühren und Werbegeldern allein nicht kostendeckend geleistet werden kann. Wollen wir wirklich eine Schwächung der SRG? NO, wenn man wie ich daran glaubt, dass die SRG zu den effizien­ testen Vertretern der «Vierten Gewalt» gehört! Die Liste der Unsinnigkeiten liesse sich beliebig verlängern! Wie schön, dass wir hierzulande weder Trump noch Orban, weder Le Pen noch Wilders und auch keine AfD brauchen: • Wir haben eine aufmerksame Medienlandschaft, welche diese Themen zur Diskussion bringt. • Wir haben funktionierende Parlamente, welche diese Probleme aufnehmen und zu einer Lösung bringen. • Und wir haben das Instrument der Volksbefragung, bei dem wir alle einfach unsere Stimm- und Wahlzettel ausfüllen, um den Verrücktheiten mit einem «nein danke» ein Ende zu machen! Make NO great again! Lassen Sie uns NEIN sagen!

STIFTUNG ELTERNSEIN «Eltern werden ist nicht schwer, Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch Oft fühlen sich Eltern alleingelassen in ihren Unsicherheiten, Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein an. Sie richtet sich an Eltern von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen Eltern, Kindern, Lehrern und die Vernetzung der elternund erziehungsrelevanten Organisationen in der deutschs­prachigen Schweiz. Die Stiftung Elternsein gibt das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus. www.elternsein.ch

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 43


Kurt Albermann ist ärztlicher Leiter des Instituts Kinderseele Schweiz iks.


Monatsinterview

« Viele Kinder schämen sich für die Krankheit ihrer Eltern – und fühlen sich schuldig» Kinder, deren Mutter oder Vater psychisch erkrankt, werden oft in eine Erwachsenenrolle gedrängt. Der Kinderpsychiater Kurt Albermann erklärt, warum sie häufig übersehen werden, worunter sie am meisten leiden und wie es Betroffenen gelingt, zu einem harmonischen Familienleben zurückzufinden. Interview: Sandra Casalini Bilder: Filipa Peixeiro / 13 Photo

Sozialpädiatrisches Zentrum Winterthur, erster Stock. Kurt Albermanns Händedruck zur Begrüssung ist fest, sein Lächeln charmant. Mit einer einladenden Geste weist er den Weg in ein Sitzungszimmer und offeriert Kaffee. Während des Gesprächs haut er mehrmals so fest auf den Tisch, dass das Getränk aus der Tasse zu schwappen droht. «Ich bin manchmal ein bisschen lebhaft», sagt er dann und lächelt. Herr Albermann, Sie nennen Kinder, die mit einem psychisch erkrankten Elternteil aufwachsen, in einer Studie «vergessene Kinder». Warum?

Weil diese Kinder häufig nicht auf­ fallen. Sie sprechen nicht darüber, wie es ihnen geht und dass die Eltern ein Problem haben. So übersieht man ihre Bedürfnisse in der Situa­ tion, in der sie leben. Ist es nicht eher so, dass gerade diese Kinder oft auffällig sind in ihrem Verhalten?

Manchmal schon. Aber der Zusam­ menhang, dass ein Elternteil eine psychische Erkrankung hat, wird übersehen. Können Sie einen Fall nennen, der zeigt, unter welchen Belastungen bei-

spielsweise Kinder mit einer depressiven Mutter oder einem Vater leiden?

Und was erwartete den Teenager nach der Schule?

Ich erinnere mich an eine Vierzehn­ jährige mit zwei jüngeren Geschwis­ tern, die sich an unsere Beratungs­ stelle gewandt hat. Seit sie denken konnte, kümmerte sie sich um die Mutter und um ihre Ge­schwister.

Im besten Fall eine «funktionieren­ de» Mutter. Es kam aber auch vor, dass die Tochter die Sanität rufen musste, weil sich die Mutter nicht wecken liess. Auf dem Nachttisch lagen Tablettenpackungen. Die stän­ dige Unsicherheit und Sorge um die Mutter veränderte die Hierarchie zu Hause. Die Vierzehnjährige über­ nahm die Rolle der Erwachsenen. Sie musste schon früh ihre eigenen Be­ dürfnisse hintanstellen. Oft war sie selbst traurig. Und wütend.

«Ich gehe in der Schweiz von bis zu 300 000 betroffenen Kindern aus.» Wie sah ihr Tag konkret aus?

Sie überlegte bereits am Vortag, was es morgen zu Mittag geben sollte, und kaufte dafür ein. Ihre Eltern waren geschieden. Die Mutter kam phasenweise vor Müdigkeit kaum aus dem Bett. Deshalb weckte das Mädchen morgens die jüngeren Geschwister, half beim Ankleiden, machte Zmorge und Znüni. Sie schaffte es kaum zum Unterricht, weil sie die Schwester noch in den Kindergarten und den Bruder zu den Nachbarn bringen musste.

Mit welchen Folgen?

Sie hatte kaum Kolleginnen, schäm­ te sich, jemanden mit nach Hause zu bringen. In der Klasse wurde sie aus­ gegrenzt, weil sie nie Zeit hatte und manchmal komisch war. Sie ging auch nicht zum Sport. Von den Pro­ blemen ihrer Mutter wusste niemand etwas, ihr wäre es peinlich gewesen, darüber zu sprechen. Die Leistungen in der Schule waren gut, obwohl sie sich oft unendlich müde fühlte. Man schätzt, dass in der Schweiz 20 000 bis 50 000 Kinder mit einem psychisch erkrankten Elternteil leben. Woher kommt diese Zahl?

Sie stammt aus einer Umfrage, die wir in Winterthur bereits vor >>>

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 45


>>> zehn Jahren gemeinsam mit der Hochschule für Soziale Arbeit und der Integrierten Psychiatrie Winterthur – Zürcher Unterland ipw gemacht haben. Ich persönlich halte diese Zahlen für eher konservativ. In Deutschland rechnet man mit gut

«Jedes dritte Kind von Eltern mit psychischen Störungen erkrankt ebenfalls.» drei Millionen betroffenen Kindern und Jugendlichen. Auf die Schweiz heruntergerechnet wären das etwa 300 000. Wie wirkt sich eine psychische Störung von Vater oder Mutter auf die Gesundheit der Kinder aus?

Etwa ein Drittel erkrankt ebenfalls, ein Drittel hat immer wieder mal psychische Probleme und ein Drittel schafft es, gesund zu bleiben. Eine elterliche psychische Belastung ist also ein Risikofaktor, ebenfalls zu erkranken?

Ja, bei den einen Erkrankungen mehr als bei anderen – und es lässt sich nicht voraussagen, ob ein Kind tat­ sächlich erkranken wird. Aber die Gefahr, an einer Depression zu er­ kranken, ist zum Beispiel bis zu sie­ ben Mal höher, wenn man einen de­­ pressiven Elternteil hat. Also können tiefgreifende oder chronische Stresserlebnisse der Eltern an die nächste Generation «vererbt» werden.

Das ist möglich und liegt unter ande­ rem an den sogenannten epigeneti­ schen Einflüssen: Unsere Zellen ver­ ändern sich, wenn wir unter chronischem Stress stehen. Diese gespeicherten Informationen kön­ nen auf zellulärer Ebene an nachfol­ gende Generationen weitergegeben werden. Ohne dass betroffene Eltern dagegen etwas tun können?

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Es gibt auch gesund erhaltende Fak­ toren. Wenn die Mutter trotz psychi­ scher Erkrankung in der Lage ist, die Bedürfnisse des Kindes wahrzuneh­ men und altersangemessen auf es einzugehen, ist die Gefahr, dass es erkrankt, viel geringer, als wenn es vernachlässigt wird. Mit welchen Störungen sind Sie in ihrem Arbeitsalltag am häufigsten konfrontiert?

Bei Müttern sind es depressive Stö­ rungen, bei Vätern Suchterkrankun­ gen. Häufig sind es auch Ängste oder traumatische Belastungsstörungen, zum Beispiel nach einer Scheidung. Das ist für Kinder doppelt schwierig, da sie selbst auch unter der Trennung leiden. Kommt es oft vor, dass sich Kinder von psychisch erkrankten Eltern selbst bei Betreuungsstellen melden?

Nein. Je nach Krankheit und Situa­ tion wächst ein Kind ja schon in so einer gewissermassen «ver-rückten», also veränderten Umgebung auf und kennt gar nichts anderes. Es ist alters­abhängig und schon eher die Ausnahme, dass ein Kind erkennt, dass der Vater oder die Mutter ein Problem hat.

Trotzdem leidet ein solches Kind unter dem Verhalten des kranken Elternteils.

Ja. Kinder schämen sich oder fühlen sich gar schuldig am Verhalten der Mutter oder des Vaters. So reden sie nicht darüber, dass es sie belastet, wenn zum Beispiel ihr Mami tage­ lang im Bett liegt. Psychische Krank­ heiten werden in unserer Gesell­ schaft tabuisiert, deshalb verbieten Eltern ihren Kindern auch oft, dar­ über zu sprechen. Auch weil man befürchtet, dass einem die Kinder weggenommen werden.

Wenn ein Elternteil psychisch ange­ schlagen ist, wird ihm nicht automa­ tisch das Kind weggenommen. Es gibt viele Unterstützungsmöglich­ keiten zu Hause oder Einrichtungen, in denen Kinder nur für eine gewis­ se Zeit platziert werden. Hier in Winterthur haben Christine Gäu­ mann und ich mit Partnerorganisa­

tionen unter dem Namen wikip sol­ che Angebote initiiert: SOS-Kinderbetreuung, Patenfamilien oder Elterngruppen. Andernorts gibt es ähnliche Angebote. Bei einer Bera­ tung schaut man gemeinsam, welche Unterstützung es braucht. Verstehen Kinder überhaupt, was mit Mama oder Papa los ist?

Kleine Kinder empfinden das Ver­ halten oft als normal – sie haben ja keinen Vergleich. Spätestens wenn sie in den Kindergarten kommen, realisieren sie aber, dass es in ande­ ren Familien anders läuft. Dann wird der Leidensdruck grösser. Man kann nicht, wie die anderen, Gspänli mit nach Hause nehmen. Weil der schi­ zophrene Vater alle Fenster mit Bret­ tern zugenagelt hat. Oder weil die Mutter eine Zwangsstörung hat und den fremden Dreck fürchtet. Es gibt aber noch einen anderen Elternteil.

Oftmals handelt es sich bei betroffe­ nen Müttern um Alleinerziehende. Wenn es einen präsenten anderen Elternteil gibt, der die Kinder unter­ stützt, kann dieser die Belastung kompensieren. Es kommt übrigens auch ab und zu vor, dass Kinder die Krankheit des Elternteils gar nicht als so extreme Belastung empfinden, sondern sie zu gewissen Zeiten sogar gut finden.

«Kleine Kinder empfinden das Verhalten ihrer Eltern als normal – Vergleiche fehlen.» Wie bitte?

Ein Kollege von mir hat ein Buch über seine Kindheit mit einem Vater mit bipolarer Störung geschrieben, bei der Stimmung und Verhalten unkontrollierbar zwischen mani­ schen und depressiven Phasen hinund herschwanken. Er fand das als


Monatsinterview

Kind zeitweise toll. In guten Phasen hatte er den besten Vater überhaupt, der mit seinem Sohn Ausflüge unternahm, ihn mit Geschenken überhäufte. In depressiven Phasen lag der im Bett und trank, und der Sohn hielt sich einfach vom Vater fern. Das klingt, als ob es manchmal gar nicht so schlimm ist, einen psychisch kranken Elternteil zu haben.

Das stimmt so natürlich nicht. Gerade bei bipolaren Störungen kommt es immer wieder zu gefährlichen Situationen. Man braust in einer

Kurt Albermann hilft betroffenen Eltern und Kindern, ein normales Familienleben zu führen.

manischen Phase mit dem Kind auf dem Nebensitz mit 200 Sachen über die Autobahn. Oder verschuldet sich total, weil man dem Kind ein Pferd gekauft hat. Sprechen Sie von Fällen aus Ihrer eigenen Praxis?

Nicht aus meiner, aber eine Kollegin hatte eine Patientin, die plötzlich mit einem Pferd auftauchte und das auf der Veranda «deponierte». Solche Anekdoten sind witzig zum Erzählen, aber im Alltag sind sie für die Familien nicht lustig. >>>


>>> Was soll ich denn zum Beispiel als Nachbarin machen, wenn ich das Gefühl habe, nebenan leben Kinder mit einer psychisch kranken Mutter? Erst mal die betroffene Person an­­ sprechen. Wenn ich mir nach einem

«Eine Meldung an die KESB ist heikel. Doch wir haben auch die Pflicht, aufeinander zu schauen.» Gespräch immer noch grosse Sorgen mache, kann ich eine Gefährdungs­ meldung bei der KESB machen. Das ist zwar heikel und ein Eingriff in die Privatsphäre. Aber wir leben in einer Gemeinschaft und haben auch die Pflicht, aufeinander zu schauen. Wenn eine solche Mutter in psychiatrische Behandlung kommt – was passiert dann mit den Kindern?

Ich setze mich dafür ein, dass Eltern in solchen Fällen automatisch kom­ petent und professionell beraten und

unterstützt werden, was leider noch lange nicht überall der Fall ist. Wich­ tig ist, dass man einen Notfallplan macht: Was soll das Kind im Falle eines Zusammenbruchs der Mutter tun? An wen kann es sich wenden? Das setzt voraus, als Vater oder Mutter mit den Kindern über die eigene psychische Störung zu reden.

Das ist extrem wichtig. Man muss sich als Erwachsener trauen, den Kindern einzugestehen, dass es einem gerade nicht gut geht. Man soll fragen, wie es den Kindern geht, und ihre Fragen beantworten. Das klappt am besten in einem beraten­ den Umfeld, zum Beispiel gemein­ sam mit einem Psychologen. Soll man eine psychische Krankheit im Umfeld der Kinder – Schule, Eltern der Freunde – kommunizieren?

Grundsätzlich muss das nicht sein. Wenn es für das Verständnis wichtig ist, zum Beispiel weil das Kind sich in der Schule nicht konzentrieren kann, kann man in einem Gespräch mit der Lehrperson auch sagen, dass man gerade in einer schwierigen Situation ist, ohne auf die konkrete Diagnose einzugehen. Wenn ein Vertrauensverhältnis besteht, kann eine offene Kommunikation aber

auch hilfreich sein und zum Ver­ ständnis beitragen. Was passiert, wenn der betroffene Elternteil nicht fähig ist, für seine Kinder zu sorgen?

Dann wird versucht, zu einer ge­ meinsamen Lösung zu kommen. Ist er oder sie nicht einsichtig, erfolgt im Notfall eine Gefährdungsmel­ dung an die KESB. Sie hat die Aufgabe, nach den aktuellen Belas­ tungen und nach Unterstützungs­ möglichkeiten zu schauen. Falls es zu einem Entzug kommt – wie erklärt man das einem Kind?

Bei kleineren Kindern machen wir das gern mit Bilderbüchern. Es gibt

«Wichtig ist, dass Kinder wissen, dass sie nicht schuld sind am Verhalten von Mami oder Papi.» zum Beispiel eines über eine Fuchs­ familie. Immer, wenn Vater Fuchs den grünen Mantel anhat, ist er komisch. Dann kann er nicht für

Kurt Albermann mit Fritz+Fränzi-Autorin Sandra Casalini.

Zur Person Dr. med. Kurt Albermann ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Chefarzt am Sozialpädiatrischen Zentrum SPZ Winterthur. Der Buchautor («Wenn Kinder aus der Reihe tanzen») ist ärztlicher Leiter des Instituts Kinderseele Schweiz (iks) der Schweizerischen Stiftung zur Förderung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, das Fachpersonen berät und betroffene Familien unterstützt. Albermann ist Vater von vier erwachsenen Kindern.

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April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Monatsinterview

Es gibt aber auch psychisch kranke Eltern, die ihre Kinder konkret gefährden.

Ja. Ich habe Kinder gesehen, die von der stark überlasteten Mutter buch­ stäblich an die Wand geknallt wur­ den. Oder einen Jungen, dem von der Mutter in einem schweren schi­ zophrenen Schub die Pulsadern auf­ geschnitten wurden. Da darf nicht lange gefackelt werden, die Kinder müssen sofort weg von den Eltern. Später kann man die Situation ana­ lysieren und schauen, wie die Bezie­ hung weiter gestaltet werden kann.

Mit Verlaub – aber eine Mutter, die ihrem Sohn die Pulsadern aufschneidet, darf diesen nie wieder sehen ...

Der Fall liegt zehn Jahre zurück. Die Psychiater der Mutter meinten, sie brauche den Kontakt zu ihrem Sohn, um gesund zu werden. Der Junge hatte Angst, ein Wiedersehen mit der Mutter nicht zu überleben! Das zeigt, dass auch Fachleute immer wieder überfordert sind. Ich kenne einen psychisch erkrankten Vater, der seine kleinen Kinder in einer Extremsitua­ tion aus dem Fenster warf. Der Mann war in Therapie, nimmt weiterhin Medikamente und hat heute ein herz­ liches Verhältnis zu den Kindern. Ist es auch möglich, als betroffene Familie ein normales Familienleben zu führen?

Lebens irgendwann psychisch er­ krankt und etwa jeder zehnte eine psychische Störung hat, muss es möglich sein. Wie gestaltet sich das Familienleben nach einer Erkrankung und einer Therapie?

Das ist von der Krankheit und den möglichen Folgen abhängig. Nicht selten plagen die Eltern Schuldge­ fühle. Das ist nachvollziehbar, aber wenig hilfreich. Wenn es gelingt, als Familie die Entstehungsgeschichte zu verstehen und die Rahmenbedin­ gungen anzupassen – ausreichende Entlastung und notwendige Unter­ stützung zu ermöglichen –, kann das Familienleben harmonischer sein als vor der Erkrankung. >>>

seine Kinder sorgen. Aber er ist immer noch der Papi. Jugendlichen kann man die Sachverhalte natürlich anders erklären. Wichtig ist, dass die Kinder wissen, dass sie nicht schuld sind am Verhalten oder an der Krankheit von Mami oder Papi.

Wenn man davon ausgeht, dass jeder zweite Mensch im Laufe seines

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Kolumne

Redet ehrlich, aber liebevoll miteinander Eine Mutter hört einem Gespräch ihrer Tochter mit ihren Freundinnen zu. «Wann sollte ich mich als Erwachsene in die Beziehung der Kinder einmischen?», fragt sie Jesper Juul.

Jesper Juul ist Familientherapeut und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familien. 1948 in Dänemark geboren, fuhr er nach dem Schulabschluss zur See, war später Betonarbeiter, Tellerwäscher und Barkeeper. Nach der Lehrerausbildung arbeitete er als Heimerzieher und Sozialarbeiter und bildete sich in den Niederlanden und den USA bei Walter Kempler zum Familientherapeuten weiter. Seit 2012 leidet Juul an einer Entzündung der Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im Rollstuhl. Jesper Juul hat einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter Ehe geschieden.

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Verbote lähmen. Gleichwürdige Dialoge dagegen aktivieren und entwickeln das Gehirn.

und mal ausladen würde. Wie ist das unter Kindern? Sprechen sie die Dinge direkt an und halten so etwas besser aus als wir Erwachsenen? Während des Gesprächs habe ich mich mehrmals gefragt, ob ich etwas sagen soll und, wenn ja, was. Ich konnte sowohl mit Julia wie auch mit unserer Tochter mitfühlen. Julia wollte unsere Tochter aufrichtig einladen. Die Antwort unserer Tochter fand ich ehrlich und stark, weil sie einfach keine Lust hatte, ohne Kim an die Party zu gehen. Inwieweit sollte ich mich als Erwachsene in die Beziehung zwischen Kindern einmischen? Jesper Juul antwortet

Das ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie Kinder Erwachsene in­spirieren und ihre Normen und soziale Spielregeln in Frage stellen. Kurz gesagt: Als Elternteil können Sie zwei Wege gehen: Entweder gehen Sie den erziehenden und moralisierenden Weg oder den fragestellenden und beziehungsaufbauenden Weg. Den ersten Weg kennen wir alle. Wenn wir diesen gehen, fühlen sich die Kinder «falsch» – ganz unabhängig davon, wie nett und pädagogisch die Botschaft vermittelt wird – und die Erwachsenen «richtig». Ende der Geschichte! Ich empfehle den anderen, beziehungsaufbauenden Weg. Das bedeutet in der Praxis, dass Sie einige Stunden später zu Ihrer Tochter zum Beispiel sagen: «Erinnerst du dich an

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Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren

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ine Mutter erzählt in einem Brief an Jesper Juul von ihrer siebenjährigen Tochter Lena und einem Gespräch, das sie mit ihren Freundinnen Julia und Kim geführt hat. Julia durfte zu ihrem Geburtstag zwei Freundinnen für ein Wochenende zu sich nach Hause einladen. Zu unserer Tochter Lena sagte Julia: «Du bist eingeladen!» Lena fragte, ob denn Kim nicht auch eingeladen sei. Julia: «Nein, nur du und eine andere Freundin.» Daraufhin sagte unsere Tochter, dass Julia ja nicht unbedingt vor Kim über dieses Thema reden müsse, wenn sie nicht eingeladen sei! Julia erwiderte, dass Kim an die «normale» Party, die sie auch noch mache, kommen könne. Unsere Tochter hatte plötzlich keine Lust auf das Wochenende und sagte dies ihrer Freundin, die darauf erwiderte: «Dann kann ich ja jetzt Kim einladen.» Kim antwortete, dass sie keine Lust habe. Beim Zuhören kamen viele Gefühle in mir hoch. Ich überlegte, wie das für mich wäre, wenn jemand so mit mir reden und mich mal ein-


das Gespräch, das du mit deinen Freundinnen heute hattest? Es ging darum, wer zur Party eingeladen ist und wer nicht. Obwohl ich Ehrlich­ keit für wichtig halte, war ich ein bisschen schockiert, als ich mitbe­ kommen habe, wie ehrlich ihr zu­­ ein­ander wart. Ich frage mich, ob ihr euch gegenseitig verletzt habt. Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass es mich verletzt hätte. Wie war es für dich?» Diese Fragen können zu einem spannenden Dialog zwischen Mut­ ter und Tochter führen, in dem bei­ de einander besser kennenlernen. Der Dialog wird auch sicher bewir­ ken, dass Ihre Tochter über ihre Beziehung zu ihren Freundinnen zu philosophieren beginnt. Vielleicht hat die Aussage der Freundin auch Ihre Tochter verletzt – oder sie hat das Gefühl, dass die Freundinnen sich gegenseitig verletzt haben. Die­ ses Gespräch eröffnet Ihnen die Möglichkeit, Ihre Erfahrung und Werte mit Ihrer Tochter zu teilen. Kinder und Jugendliche brauchen stets die Inspiration der Erwachse­ nen, um über ihr eigenes Verhalten und die eigenen Meinungen nach­ denken und reflektieren zu können. Sie brauchen ganz selten Richter. Kritik und Verbote lähmen, gleich­ würdige Dialoge dagegen aktivieren und entwickeln das Gehirn. Eine verbale Botschaft kann erst wirklich verstanden werden, wenn wir auch den Tonfall und die Kör­ persprache dazu kennen. Die drei Mädchen bei Ihnen zu Hause schei­ nen miteinander so «cool» gewesen zu sein, dass sie sich ganz ohne Wut und Scham mit Tatsachen konfron­ tieren konnten. Bei dieser Gelegen­ heit möchte ich den Eltern dieser drei Mädchen mein Kompliment dafür aussprechen, dass es ihnen gelungen ist, ihren Kindern die Ent­ wicklung der persönlichen Sprache zu ermöglichen. In weiterer Folge lernen wir immer mehr die soziale Sprache dazu. Diese kann vielleicht als ober­

Kinder sollten lernen, über ihre eigenen Gedanken, Gefühle, Erlebnisse und Werte zu sprechen statt über die anderer Menschen. flächlich bezeichnet werden, aller­ dings hilft sie uns dabei, unsere eige­ nen Grenzen und die von anderen zu schützen. Es ist sehr wertvoll, neben der persönlichen Sprache auch über die soziale Sprache zu ver­ fügen. Kinder lernen sie am besten und am schnellsten, wenn sie Er­­ wachsene untereinander beobach­ ten. Erwachsene haben oft das Be­­ dürfnis, den Kindern beizubringen, wie sie «nett» miteinander reden. Dies fördert den Lernprozess der Kinder selten. Die wichtigste Ur­­ sache dafür ist wahrscheinlich, dass Belehrung und Kritik von den Er­­ wachsenen eben nicht «nett» ist, und genau dieses Verhalten macht sie unglaubwürdig. Sich ausgeschlossen zu fühlen oder auch nur die Angst davor sitzt tief in vielen von uns. Deswegen wollen wir auch unsere Kinder davor schützen. Es ist ein schöner Gedanke, der sich aber nur auf einer oberflächlichen und sozialen Ebene abspielt – also in der Beziehung zu Menschen, die uns nicht speziell wichtig sind. In Freundschaften und Liebesbeziehungen funktioniert es nicht, immer «nett» zu sein. Hier müssen wir früher oder später ler­ nen, uns zu zeigen und auch in klei­ nen Dingen Nein zu sagen, wenn wir nicht wollen, dass die Beziehung in die Brüche geht oder zur totalen Selbstverleugnung führt. Ehrlichkeit als meine authenti­ sche Aussage über mich selbst ist für meine persönlichen Beziehungen immer konstruktiv. Ehrlichkeit hin­ gegen als meine Meinung über dich ist fast nie ehrlich. Wenn wir ab und zu in Bezug auf unsere Gefühle und Meinungen über andere Menschen ehrlich sein müssen, sollte die Ehr­

lichkeit immer mit der Liebe Hand in Hand gehen. In diesem Punkt brauchen Kin­ der Inspiration und Begleitung von Erwachsenen. Kinder sollten lernen, über ihre eigenen Gedanken, Gefüh­ le, Erlebnisse und Werte zu sprechen statt über die anderer Menschen. Dieses Lernen fängt zum Beispiel damit an, wenn die Tochter der Nachbarn läutet und Ihre Tochter fragt, ob sie mit ihr spielen mag. Wenn Sie merken, dass Ihre Tochter Ja sagt, aber Nein meint, braucht sie Ihre Hilfe, um herauszufinden, wie sie am besten ihre eigenen Bedürf­ nisse und Grenzen wahren kann, ohne den anderen zu kränken oder zu verletzen. Das ist eine Kunst, die nur weni­ ge von uns Erwachsenen beherr­ schen. Deshalb entscheiden wir uns oft für die einfachste Lösung: Wir lehren Kinder, auf eine «nette» Art (also unantastbar) zu lügen. Das ver­ letzt den anderen auch, aber wir haben dabei ein Alibi, und nach vie­ len Jahren Praxis verschwindet der bittere Beigeschmack – fast!

Haben auch Sie eine Frage an Jesper Juul, die er persönlich beantworten soll? Dann schreiben Sie uns eine E-Mail an redaktion@fritzundfraenzi.ch oder einen Brief an: Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen in Zusammenarbeit mit

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Erziehung & Schule

Mit Musik ausdrücken, was unaussprechlich ist Klänge, Rhythmen, Tonfolgen – über die Mittel der Musik versuchen Therapeuten einen Zugang zu ihren jungen Patienten zu finden. Ein wichtiges Element der Musiktherapie ist dabei der Safe Place, ein sicherer Raum, der es den Kindern ermöglichen soll, sich mitzuteilen. Text: Sibylle Dubs

Safe Place – ein Kind in Therpaie soll sich hier sicher und geborgen fühlen.

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Bild: Sandra Lutz Hochreutener

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in Raum voller Musik­ instrumente. Darin be­­ wegt sich Nadia. Die Zehnjährige schlägt auf Trommeln, Becken und Gong ein. Dazu stösst sie Schreie aus. Ihre Musiktherapeutin steht am Rand, begleitet sie auf dem Xylofon. Sie spielt kleine Antworten auf Nadias wildes Spiel und gibt musi­ kalische Impulse. Doch das Mäd­ chen scheint diesen Versuch einer Kontaktaufnahme nicht zu beach­ ten. Als Betrachter stellt man sich das hyperaktive Kind im Alltag vor, wie Nadia aneckt, wie sie aufgefor­ dert wird, still zu sein, wie ihr Umfeld vielleicht leidet. Man fragt sich, wie die Therapeutin dieses stürmische Mädchen, das gerade mit unglaublicher Kraft gegen die Rahmentrommel knallt, stoppen kann. Bei dieser Szene handelt es sich um eine Videosequenz, entstanden im Rahmen der MusiktherapeutenAusbildung an der Zürcher Hoch­ schule der Künste ZHdK. Sandra Lutz Hochreutener schaut auf den Bildschirm. Sie ist die Leiterin des Masters of Advanced Studies für kli­ nische Musiktherapie an der ZHdK und praktiziert selbst seit 36 Jahren. «Die Therapeutin hält das aus», kommentiert sie die Sequenz mit Nadia. Ein Therapieraum ist nicht der Ort für Kritik und Kontrolle. Im Gegenteil: Wenn sich das Verhalten des Kindes verändern soll, muss für das Mädchen ein sogenannter Safe

Place, ein sicherer Raum, geschaffen werden. «Ein Kind muss sich so angenommen und geschützt fühlen, dass es alle Seiten von sich zeigen kann: die wilden, harmonischen oder die bösen.» Dann kommt im Film ein wich­ tiger Moment. Nadia nimmt wahr, dass die Therapeutin ihren Schlag auf das Becken auf dem Xylofon wie­ derholt. Das Mädchen hält inne, nimmt Blickkontakt auf, schlägt erneut auf das Becken und stoppt sogleich den Nachhall, um zu hören, ob ihr Spiel wieder eine Antwort erhält. Als der Xylofonton erklingt, gibt Nadia einen freudigen Jauchzer von sich. Ein kleiner Schritt ist getan, der Beginn einer Beziehung zwischen Nadia und ihrer Therapeu­ tin, ein erstes Ankommen in einem

Im Safe Place lernt ein Kind, ­s eine Gefühle auch ausserhalb des ­T herapieraums zu regulieren. Raum, der zum Safe Place des Mäd­ chens werden soll. Ziel wird sein, dass das Mädchen den Safe Place verinnerlicht. Dann wird sie auch ausserhalb des Therapieraums bes­ ser fähig sein, ihre Gefühle zu regu­ lieren und Kontakte zu knüpfen. So ein Prozess kann lange dauern. Kommunikation durch verschlossene Türen

Der Safe Place bildet die Grundlage für die therapeutische Arbeit, sagt Sandra Lutz Hochreutener und erzählt von einem Mädchen aus ihrer Praxis. Wegen eines frühkindlichen Traumas beherrschte Angst ihr Leben. Das war auch im Therapie­ raum nicht anders. «Ich sagte, okay, du kannst dir eine Hütte bauen und dich drin verstecken, und du >>>

Ein Tanz im Park Musiktherapie ist ein psycho­­therapeu­­tisches Therapieverfahren, das für Menschen jeden Alters als Einzeloder Gruppentherapie angeboten wird. Die rund 300 Musiktherapeutinnen und Therapeuten in der Schweiz arbeiten in Kliniken oder Praxen. Häufige Indikationen für Musiktherapien bei Kindern sind Mutismus und andere Kommunikationsstörungen, Depressionen, psychosomatische Erscheinungsformen wie Kopf- oder Bauchweh, Essstörungen oder Autismus. Die Behandlungen erfolgen nach Überweisung von Sozialdiensten oder Ärzten oder auf private Empfehlung. Die Kosten werden von den Zusatz­ versicherungen der Krankenkassen oder von der IV übernommen.

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Erziehung & Schule

>>> kannst auch ein Stofftier mit­ nehmen.» Wochenlang versteckte sich das Mädchen die ganze Therapie hin­ durch in ihrem Haus aus Stühlen, Decken und Kissen. «Mit der Zeit gab es Kontakt von innen nach aussen: Das Mädchen hat auf der Flöte Töne gespielt, und ich habe von aussen mit einer anderen Flöte geantwortet. So hat sich langsam Kontakt angebahnt.» Daraus entwi­ ckelten sich instrumentale «Gesprä­ che». Es folgten gegenseitige Besu­ che, bis eines Tages das Mädchen statt der Hütte einen Platz für sie beide einrichtete. Das Dach «brau­ che sie nicht mehr», hätte sie beiläu­ fig gesagt. Musik hat gegenüber dem Reden den Vorteil, dass sie mehrere Sinne gleichzeitig berührt und stimuliert. Man hört den Klang, spürt die Vi­­ bration, sieht und fühlt die Instru­ mente in ihren unterschiedlichen Grössen und Materialien. Und Musik spricht sowohl körperlich wie auch auf der Gefühlsebene an. «Wenn ich hinten in der Ecke einen kleinen Ton spiele, ist der andere im Raum davon beeinflusst, auch wenn

wir uns nicht anschauen», sagt San­ dra Lutz Hochreutener. «Deshalb ist es auch bei verschlossenen Men­ schen ein effizientes Mittel. Die Schale, die rundherum ist, wird mit der Musik sanft durchbrochen.» Wie in jeder Psychotherapie gibt es auch bei der Musiktherapie eine Vielzahl von Methoden, die bei den Patienten individuell eingesetzt wer­

Anders als Reden berührt und stimuliert Musik gleichzeitig mehrere Sinne. den. Zentral ist die Improvisation: das Spielen jenseits von Richtig oder Falsch. Improvisation kann helfen, Spannungen abzubauen oder Hin­ dernisse zu überwinden. Sie wird auch eingesetzt, um sich in der The­ rapie einem Thema zu nähern. Oft folgen ihr auch Rollenspiele oder Gespräche. Bei der Improvisation

eröffnet sich ein «schöpferischer Raum, in welchem Wandlung und Erneuerung stattfinden kann», schreibt Sandra Lutz Hochreutener in ihrem Buch «Spiel-Musik-Thera­ pie». Das Buch basiert auf 540 Ton­ protokollen aus ihrer Praxisarbeit, welche sie analysierte. Die Fallbei­ spiele zeigen eindrücklich die Viel­ falt und Möglichkeiten der Musik­ therapie. Mit einem Lied in die Sprache kommen

Auch Lieder spielen – gerade in Kombination mit der Improvisation – eine wichtige Rolle. Das sogenann­ te «spontane Singen mit Text» ist eine lustvolle Form, die es Kindern erleichtert, Worte zu finden, um sich auszudrücken. Eine Videoaufnahme zeigt ein Mädchen, welches gegenüber ihrer Therapeutin sitzt. Beide haben eine Gitarre. Die Siebenjährige schlägt rhythmisch über die Saiten. Die Therapeutin übernimmt die Bewe­ gung genau und lässt dabei ihre Gitarre in harmonischer Abfolge klingen. Dies gibt einen musikali­ schen Boden. Das Mädchen singt

Musiktherapie als Gewaltprävention: «TrommelPower» in Schulen Die «TrommelPower»-Methode ist ein spezifisches Konzept für die präventive Arbeit in Schulhäusern. Musiktherapeutisch geschulte Trainer besuchen Klassen, bei denen Ausgrenzung, Verweigerung, Konflikte, Unsicherheit oder Angst ein Thema sind. Entwickelt wurde die Methode von einem Team um den Münchner Kinderund Jugendpsychotherapeuten Andreas Wölfl: «Die Trommel kann sowohl Kraft und Stärke als auch Ärger und Wut aus-

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drücken. Im Trommelspiel können die verschiedenen Qualitäten erfahren werden und die Kinder lernen beides zu unterscheiden.» Die Grundlagen der Methode stammen aus der klinischen Arbeit mit aggressiven Jugendlichen. «In der Analyse der Biografien gewaltbereiter Jugendlicher wurde schnell deutlich, dass eine frühzeitigere Auseinandersetzung mit dem Thema bei vielen eine negative Gewaltkarriere hätte verhindern können», stellt Wölfl fest.

«TrommelPower» will mit den Ressourcen und der Spielfreude der Schüler ihre Kompetenzen im Umgang mit Stress, Spannungen, Angst und Konflikten fördern. Durch das gemeinsame musikalisch-kreative Erleben entsteht häufig auch ein anderer Kontakt zwischen Lehrperson und den Schülern, der die Beziehung offener und vertrauter macht. Das Projekt wird auch in der Schweiz angeboten. Infos: www.trommelpower.org.

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dazu in ein Mikrofon: «Hallo liebe Freunde, ich bin so alleine.» Das Mädchen findet Worte, die ihre eigenen Gefühle ausdrücken. Dabei zeigt es körperlich kaum Emotionen. In seinem spontan erfundenen Lied trifft es einen Hund, einen Husky. «Hallo, liebe Freunde, ich bin so alleine» wird zum Refrain. Schliesslich geht das

Das sogenannte «spontane Singen» hilft Kindern, Worte zu finden, um sich auszudrücken. Mädchen mit dem Hund in den Wald. Da steht ein böser Räuber. Der Singfluss ist auf einmal unterbrochen. Die Situation steht offensichtlich für ein Trauma. Die Therapeutin bricht nicht ab, sondern macht auf der Gitarre ein Zwischenspiel. «Wenn die Sprache versiegt, trägt die Melodie weiter», schreibt Lutz Hochreutener dazu in ihrem Buch. Tatsächlich findet das Mädchen während des musikalischen Intermezzos zu einer Lösung: «Husky, ich setze mich auf dich drauf und dann rennen wir schnell weg.» Und die Therapeutin stärkt die Lösung: «Wir

rennen, rennen, rennen, rennen, rennen weg.» Nach dem Lied schreit das sonst scheue Mädchen, so laut es kann, «Hallo!» in das Mikrofon. Es bemerkt, wie die Instrumente im Raum widerhallen. Dann schreit es nochmals und nochmals. Zurück zu Nadia. Drei Monate sind seit ihrer wilden ersten Therapiesitzung vergangen. Eine neue Filmaufnahme zeigt den gleichen Ort. Nach zehn Therapiesitzungen scheint er ein Safe Place für Nadia geworden zu sein. Sie spielt rhythmisch auf der Lotusflöte, und die Therapeutin stützt den Rhythmus mit der Trommel. Nadia versucht, gleichzeitig zur Flöte auch andere Instrumente zu spielen. Es gelingt ihr. Doch dann verliert sie den Rhythmus, den sie so lange wiederholte. Sie geht zur Therapeutin, die sanft weiterspielt. Nadia hält das Ohr an die Trommel und stimmt wieder mit ein. Es ist eine neue Qualität von Beziehung, welche das Mädchen hier erlebt. «Die verstehen sich», denkt der Betrachter und ist berührt. >>>

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ist Musiklehrerin an der Musikschule Konservatorium Zürich. Daneben macht sie einen Master in elementarer Musikpädagogik an der Zürcher Hochschule der Künste. Die Mutter von zwei Kindern ist Juristin und hat viele Jahre als Fernsehjournalistin gearbeitet, bevor sie ihre Liebe zur Musik und zu Kindern zu ihrem Beruf machte.

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Elterncoaching

Die To-do-Liste kommt auch mal ohne Sie klar

Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor («Mit Kindern lernen»). In der Rubrik «Elterncoaching» beantwortet er Fragen aus dem Familienalltag. Der 37-Jährige ist verheiratet und Vater eines Sohnes, 4, und einer Tochter, 1. Er lebt mit seiner Familie in Freiburg. www.mit-kindern-lernen.ch www.biber-blog.com

A

ls Eltern fragen wir uns, was wir unseren Kindern für ihr Le­­ ben mitgeben möch­ ten. Dazu gehören Liebe, ein gesundes Selbstwertgefühl und vielleicht eine gute Ausbildung. Wir können uns aber auch fra­ gen, was unsere Kinder sich mög­ lichst lange bewahren sollen und was wir von ihnen lernen möchten. Dazu gehört für mich die Fähigkeit, zu geniessen und zu staunen. Denn darin sind kleine Kinder wahre Meister. Zeit und Raum für Genuss

Um etwas geniessen zu können, müssen wir uns darauf einlassen können. Und wir müssen es uns gön­ nen. Als vielbeschäftigte Eltern ist das nicht so einfach. Vor allem dann nicht, wenn man die Redewendung «Zuerst die Arbeit, dann das Vergnü­ gen!» verinnerlicht hat. In Zeiten von Internet und E-Mail ist es schwierig geworden, die Arbeit nach Feierabend ganz hinter sich zu lassen – und zu Hause

Warten Sie nicht darauf, bis Sie Zeit finden, das Leben zu geniessen. Beginnen Sie gleich jetzt damit. 56

erwartet die meisten von uns wieder eine prall gefüllte To-do-Liste. Viele von uns hätten rund um die Uhr etwas zu tun. Wenn wir erst Pause machen, wenn wir zu erschöpft sind, um weiterzumachen, schaffen wir keine guten Voraussetzungen für den Genuss. Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn wir diese Philosophie hinterfragen und da und dort Momente des Genusses in unseren Alltag einstreu­ en, ohne dass wir uns diese zuerst durch das Abarbeiten aller Aufga­ ben verdienen müssen. Es wäre wahrscheinlich auch für unsere Kin­ der hilfreich, wenn sie lernen, dass Arbeit und Vergnügen sich abwech­ seln dürfen – oder dass Arbeit und Vergnügen gar keine Gegensätze sind, sondern Arbeit auch ein Ver­ gnügen sein kann. Sogar bei Arbeiten, die wir nur un­­gern machen, können wir uns fragen, wie wir sie vergnüglicher ge­­ ­stalten könnten. Machen diese viel­ leicht zu zweit mehr Spass? Oder an einem schönen Ort? Warten Sie nicht darauf, bis Sie Zeit finden, das Leben zu geniessen. Gönnen Sie sich solche Phasen gleich jetzt und lassen Sie die To-doListe mal warten. Das Schöne an der Arbeit ist, dass sie uns nicht davon­ läuft und sie uns meist auch nie­ mand wegnimmt, wenn wir uns zeitweise nicht darum kümmern. Nach einem schönen Erlebnis kann

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Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Es gibt nichts Spannenderes, als mit einem Kind an der Hand die Welt zu entdecken. Unser Kolumnist weiss, wie es auch vielbeschäftigten Eltern gelingt, Dinge bewusster zu erleben und zu geniessen.


man den Elan gleich mitnehmen und in guter Stimmung wieder loslegen. Sich auf Alltägliches einlassen

Genuss hat viel mit einer bestimmten Haltung und Hingabe zu tun. Wenn wir es uns vornehmen, können wir fast alles geniessen: eine Auto- oder Zugfahrt, einen Tee oder Kaffee, eine kleine Runde Extraschlaf am Morgen, wenn wir den Wecker etwas früher stellen, damit wir noch ein wenig dösen dürfen, die Sonne oder den Regen. Wenn wir uns und anderen Zeit schenken, können wir andere Menschen geniessen: den Partner, die Kinder, Freunde. Dazu müssen wir nichts weiter tun, als uns zu überlegen, was wir in den nächsten Stunden mit Genuss angehen möchten. Diese Frage hilft dabei, den Moment bewusster zu erleben und da und dort eine kleine Portion Extragenuss einzustreuen: Die Autofahrt wird schöner, wenn wir uns entweder ganz auf das Fahr­ erlebnis konzentrieren oder es mit unserer Lieblingsmusik oder einem mitreissenden Hörspiel anreichern. Der Spaziergang mit dem Kind wird interessanter, wenn wir unseren Blick für die Natur öffnen und gemeinsam Pflanzen, Tiere und schöne Steine entdecken. Mut zum Blödsinn

Viele von uns Erwachsenen sind durchdrungen vom Gedanken, sich stets nützlich zu machen. «Mach etwas Sinnvolles!», rufen wir unseren Kindern zu. Sich und sein Leben ständig zu optimieren und dauernd irgendwelchen Zielen oder Pflichten nachzujagen, kann uns jedoch ermüden. Ab und zu sollten wir den Mut haben, unsere Zeit zu verschwenden und in irgendwelchem Blödsinn zu schwelgen. Denn der Genuss liegt oft in den Dingen, die weder gesund noch sinnvoll sind: ein gutes Glas Wein, Süssigkeiten, fettiges Essen. Wenn

wir uns diese Sachen gönnen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, essen und trinken wir nicht mehr davon – aber wir geniessen sie stärker. Das Gleiche gilt für die etwas bescheuerten Hobbys, die wir gerne vor anderen geheim halten. Wenn ich morgens müde bin, dann liegt das oft daran, dass meine Kinder mich in der Nacht mehrmals ge­­ weckt haben. Manchmal trägt je­doch Geralt die Schuld – mein Hexer, mit dem ich durch die wunderschön gestaltete Welt von «The Witcher 3» streife, mit Silber- und Stahlschwert gegen Monster und Banditen kämpfe und dabei das eine oder andere Herz schöner Zauberinnen erobere. So ein Abenteuer kann auch mal bis 2 Uhr morgens dauern. Peinlich? Ja. Aber spannend! Und die prachtvoll animierten Landschaften dieses Spiels «tun meinen Augen so gut». Viele von uns geniessen von Zeit zu Zeit etwas, das sie als peinlich empfinden. Die Amerikaner kennen dafür den Begriff «guilty pleasures» und umschreiben damit die Dinge, die wir gerne mögen – und von denen wir gleichzeitig das Gefühl haben, sie nicht mögen zu sollen. Die Playstation habe ich so platziert, dass meine Eltern sie nicht sehen, wenn sie zu Besuch kommen. Den Satz «ich hatte gehofft, diese Phase hättest du durch!» will ich nicht unbedingt hören. Dafür weiss ich, warum meine Mutter beim Telefonieren unruhig wird: Im Hintergrund läuft «Rosamunde Pilcher», und sie mag es nicht so recht zugeben. Meine Frau liebt Vampirromane und meine Kollegin schaut in der Freizeit den Bachelor und «Zwischen Tüll und Tränen». Wenn wir diese Hobbys und Vorlieben schon vor anderen verheimlichen: Zumindest uns selbst könnten wir sie zugestehen und uns ihnen mit ganzer Wonne und roten Ohren hingeben. Und vielleicht gönnen wir diese Momente in

Fragen Sie Ihre Kinder, wenn sie von der Schule nach Hause kommen: «Was möchtest du heute gerne noch machen?» gesundem Mass unseren Kindern und Jugendlichen, ohne ihnen mit dem Satz «Mach etwas Sinnvolles!» in den Ohren zu liegen. Kurztipps zum Thema «Geniessen»

• Starten Sie den Tag mit der Frage: Was habe ich heute Schönes vor? • Fragen Sie Ihre Kinder, wenn sie von der Schule nach Hause kommen: «Was möchtest du heute gerne noch machen?» • Gönnen Sie sich entspannende Momente – auch wenn noch nicht alles erledigt ist. Ihre Todo-Liste kommt auch mal ohne Sie klar. • Planen Sie den Genuss. Suchen Sie sich bereits am Mittag den Film aus, den Sie gerne sehen möchten – anstatt am Abend einfach reinzuzappen. Fragen Sie sich, wie Sie sich die Zug- oder Autofahrt zur Arbeit und zurück versüssen könnten. • Vermiesen Sie sich selbst und Ihren Kindern lustvolle Momente nicht, indem sie scheinbar sinnlose Vergnügen als kindisch, nutzlos oder peinlich abwerten. Halten Sie sich stattdessen an das Zitat von Will Ferrell: «Kindisch ist ein Wort, das langweilige Menschen verwenden, um lustige Menschen zu beschreiben.»

In der nächsten Ausgabe: Kinder unter Druck

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Kolumne

Kräftig in die Eier treten

Michèle Binswanger Die studierte Philosophin ist Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel.

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Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren

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rinnere ich mich daran zurück, wann ich mich zum ersten Mal als Frau fühlte, gibt es diesen einen Moment. Es war nicht der unvermeidliche rote Fleck in der Unterhose, nicht die schamvoll umklammerte Packung Tampons, sondern ein Auto. Mit quietschenden Reifen nahm es die Kurve, ein Mann beugte sich heraus und brüllte mir hinterher: «Geiler Arsch, du Stute!» Ich zeigte ihm den Finger – meinen heimlichen Stolz, solches Interesse zu erwecken, beschloss ich zu ignorieren. Meine Tochter ist ebenfalls fünfzehn, bald eine Frau. Neulich erzählte sie mir vom Ausgang. Sie war auf einer Party ihres Gymnasiums, eine öffentliche Veranstaltung in einer städtischen Halle. Die Musik war schrecklich, die Jungs peinlich, aber sie hatten grossen Spass. Oh, und ihre Gruppe von Mädchen sei übel begrabscht worden, erzählte sie bei­ läufig. Offensichtlich war da ein Mann, ein Erwachsener, der sich ihrer Grup­ pe näherte, die Kolleginnen an den Hintern fasste und meine Tochter, als sie sich schützend davor stellte, in die Brust kniff. Ich meinte mich ver­ hört zu haben. «So ein Schwein!», rief ich: Wer das gewesen sei, jemand, den sie kenne? Hatte ihn sonst jemand gekannt? Sie lächelte unsicher, überrascht von meiner Reaktion: «Chill, Mama, so schlimm war es nicht.» Chill? Kommentarlos in die Eier treten sollte man so einen. Was meine Tochter mir signalisierte, ist beruhigend. Dass ich mir kei­ ne Sorgen machen muss, dass das ein Idiot war und sie mit der Erfahrung klarkommt. Ob meine Tochter aber auch wusste, was ich meine, bezweif­ le ich. Nämlich, dass sich kein Mann solch niederträchtige Übergriffe erlauben darf. Und keine Frau und schon gar kein Mädchen sich das gefallen lassen muss. Ganz egal, wie schlimm der Übergriff empfunden wird oder eben nicht. Die Pubertät ist eine Zeit der körperlichen Revolutionen. Haare spries­sen, Brüste knospen, Hüften wachsen. Und die Blicke auf der Stras­ se verändern sich, wenn man als sexuelles Wesen wahrgenommen wird. Die Verwandlung wird oft von psychische Krisen begleitet, die sich in dieser Zeit in Form von Essstörungen oder Selbstverletzungen zeigen können. Dahinter steckt das Bedürfnis, die Kontrolle zurückzugewinnen, seine physischen und psychischen Grenzen zu manifestieren. Was braucht es, um sich in einer Wohnung, einer neuen Stadt, mit einem neuen Menschen heimisch zu fühlen? Es braucht Erfahrungen. Man holt Brot aus der Bäckerei zwei Strassen weiter, erlebt, wie der Park nebenan sich mit den Jahreszeiten verändert. Und genau so funktioniert es mit der Sexualität. Es geht darum, sich diesen neuen Körper und diese neue Persönlichkeit zu entdecken. Und vor allem zu erkennen, wo die Grenzen liegen und wie man sie schützt. Meine Tochter wird ihren eigenen Weg finden. Ich habe sie derweil für einen Krav-Maga-Kurs angemeldet. Dort lernt man effektive und gna­ denlose Selbstverteidigungstechniken. Damit sie den nächsten Täter kräftig in die Eier treten kann.

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In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post

Erziehung & Schule

Kritzeln – Krakeln – Kleckern: Spiele zur Schreibmotorik Gut ausgebildete motorische Fertigkeiten erleichtern den späteren Handschrifterwerb in der Schule. Hier folgen drei spielerische Schreib- und Kritzelideen für den geübten Umgang mit Stift und Papier. Text: Johanna Oeschger Allerlei zum Schreiben «Wie schreibt man das?» Viele Kinder werden neugierig auf die Schreibweise von Wörtern, wenn sie einmal die ersten Buchstaben entdeckt haben. Eltern können die Wörter vorschreiben – oder helfen, sie aus Papier auszuschneiden, aus Teig- oder Knetwürsten zu formen, mit Schaum auf den Spiegel zu schreiben, mit dem Finger im Sand oder einem Zweig im Schlamm. Kinder freuen sich über die Spuren ihres Schreibens. Blind zeichnen Kinder können beim Malen oder Schreiben die Augen schliessen, verbinden oder ein Blatt vor das Gesicht halten. Fehlt plötzlich die visuelle Kontrolle beim Zeichnen oder Schreiben, werden die Bewegungen der Hand stärker wahrgenommen und prägen sich intensiver ein.

Hintergrund Schreiben ist anstrengend und fordert Anfänger ganz speziell: Sie müssen nicht nur den Textinhalt planen, ordnen und ausformulieren, sondern auch viel Konzentration für das Formen der Buchstaben auf dem Papier aufwenden. Ist diese Grundfähigkeit erst einmal automatisiert, wird das Arbeitsgedächtnis entlastet und kann sich mit den übrigen Aufgaben des Schreibprozesses befassen. Ab der Primarstufe wird die flüssige und leserliche Handschrift deshalb systematisch geübt. Beim Basteln, Malen und Kritzeln verbessern Kinder ihre motorischen Fähigkeiten und lernen so schneller, von Hand zu schreiben.

Katz und Maus Zwei Spieler halten je einen Stift im Dreipunktgriff (Stift zwischen Daumen, Zeig- und Mittelfinger) und führen ihn über ein Blatt. Spieler 1 spielt die «Kat-

ze», Spieler 2 die «Maus». Wenn sich die Stiftspitzen berühren, ist die Maus gefangen.

App-Tipp

Bild: Plainpicture

Kids Paint Eine App speziell für Kinder mit verschiedenen Utensilien zum Kritzeln, Zeichnen, Ausmalen oder Verzieren von Fotos. Für Tablet oder Smartphone (iOS und Android). Kosten: Fr. 1.–.

Johanna Oeschger

ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin, unterrichtet Deutsch und Englisch auf der Sekundarstufe II und arbeitet als Mediendidaktikerin bei LerNetz.

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t n e i d r e v r e d e J « » e c n a h C e n ei !» «Eltern, holt euch Hilfe Kinder können nicht nur Ohrfeigen Demütigen – im Familienalltag von Gewalt gegen Minderjährige, Drohen, Erpressen, Form Gewalt ist die häufigste rte über verletzen. Psychische Ziegler. Der Kinderschutzexpe und Heilpädagoge Franz Familie betrifft. sagt der Psychologe ist, aber quasi jede schwer einzugrenzen ein Phänomen, das Bilder: Ruben Wyttenbach

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und das Vertrauen Merkmal Selbstvertrauens tot.» Das wichtigste zu untergraben anfange, führt vorbei wärst ist, dass in andere Gewalt. psychischer Gewalt Der Weg zu Franz Ziegler reden wir von psychischerzu reden der Dorfschule. von das Gefühl von am Kindergarten und Eltern ihrem Kind dem Kind nicht mehr wieder Stille. Wertlosigkeit Mit zu vermitteln, Kindergeschrei, dann Minderwertigkeit oder beziehungsweise ihm durch Drohen, nur, wenn dein Zimmer Noch schnell die Dorfstrassevor vermitteln, sei es De­ ich lieb dich erst steht Lächerlichmachen, ist, und trete auch überqueren, und man Haus, dahinter Erpressen,Isolieren, Ignorieren oder aufgeräumt sozialen Kontakt mit einem schneeweissen dann wieder in «Sie haben mütigen, grasen Kühe und Schafe. ich, als die auch permanente Schuldzuweisun­ dir, ist eine Form von Erpressung. sage Mutter nur zurückes aber schön hier!», gen. Und wenn sich die lächelt: nicht die Fassung Tür aufgeht. Franz Ziegler zieht, um am Ende scheint seit «Nicht wahr? In Zäziwil zu verlieren? Situation. Es ist andere Monaten die Sonne.» eine ist Das «Mit dem Kind sich eine Mutter ein Unterschied, ob total zehn Minuten Herr Ziegler, eine Mutter, nicht mehr zu ein Timeout von Zorn zu ihrer als solches dekla­ gestresst, sagt im nimmt, dieses auch würde ruhiger mit reden, ist eine wieder dann kleinen Tochter: «Manchmal um riert, verkaufen!» zu können, oder ich dich am liebsten Form der dem Kind sprechen ihre Tochter ge­ und jeden Da hat die Mutter ob sie beharrlich schweigt mit ihr sagen. Erpressung.» wieder schlagen, würde ich Versuch des Kindes, boykottiert. treten, zu Geschlagen? in Kontakt Gewalt ist Beispiel. Eine Ja, mit Worten. Verbale Nehmen wir ein anderes von psychischer will sein Zimmer nicht wiederholt mit die typischste Form 13-Jährige kommt man auch Ein FünfjährigerMutter redet auf ihn nach Hause, am Gewalt. Deshalb spricht aufräumen, die schlechten Noten Irgendwann sagt sie mit ihren von Wortschlägen. ein, nichts passiert. Nachmittag möchte generell psychische Wie definiert man an Kindern? oder seelische Gewalt wei­

sie gar nichts mehr.

Auch auf die verdes Kindes hin,

Freundinnen reiten

gehen. «Lern du so

rechnen, unsicherte Nachfrage erst einmal vernünftig und sie doch gar nicht was ist denn?», schweigt Das ist ein sehr komplexes blöd wie du kann man Gewalt kann «Mama, Kann man in diesem Fall ihren Freizeittes Thema. Psychische sein», macht ihr Vater Nebensatz wie beharrlich. er mit diesem Gewalt sprechen? von einem einfachen zunichte. Was tut nie?» bis von seelischer Moment, in plan Tochter an? >>> «Kapierst du das eigentlich Selbst­ Auf jeden Fall. In dem seines Satz seiner in den ich die Entwicklung zum verbalen Treiben wünschte, du dem mord führen: «Ich März 2017

Schule

Erzieh ung &

«Wie kann man nur so ausländerfeindlich sein?!»

Monatsinterview

Interview: Evelin Hartmann

Erzieh ung &

Schule

Eine für MChance oham ed

Ob man ans Gymn auch asium in der komm Chanceng Schweiz t oder nicht leichheit noch imme dabei r so. Das , entscheide sorge für eine n. Jung t die Herk Progr höhere Text: amm Evelin unft. Das Schullaufb e, begabte ChagALL Hartma Migra nn Bilder: ist leide soll für ahn fit ntinnen Roshan r gema Adihett und Migra mehr cht. Eine 5252 y / 13 Photo nten werd Erfolg sgesc en hichte.

Februar

2017

Das Schweiz

er ElternMa

gazin

Fritz+Frä

nzi Das Schweiz

er ElternMa

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Fritz+Frä

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Februar

2017

Für eine bessere Konzen tration: Moham ed (rechts und die ) Teilneh anderen mer lernen Übunge Entspan n zur nung.

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(Konterleserbrief zum Leserbrief von Marco Specker zum Artikel «Eine Chance für Mohamed», Heft 3/2017)

Franz Ziegler beschäftigt sich schon seit über 25 Jahren mit Kinderschutz. Er studierte Heilpädagogik und Psychologie.

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Fritz+Fränzi Das Schweizer ElternMagazin

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«Worte können einen ein halbes Leben lang verfolgen» (Monatsinterview zum Thema psychische Gewalt, Heft 3/2017) Ein äusserst wertvoller Artikel, der bewusst macht, wie mächtig Sprache ist. Besonders prägend entfalten sich negative, kühle und gezielt eingesetzte Worte, die einen ein halbes Leben lang verfolgen können. Ein Beispiel: Meine erste Handarbeitslehrerin war sich politisch mit meinem Vater nicht einig und liess ihren Unmut über seine Haltung an mir aus mit der Bemerkung: «Jetzt kommst wieder du mit deinen zwei linken Händen.» Es gelang ihr in drei Jahren, mein Selbstbewusstsein in allem, was Handarbeit betraf, für Jahre zu zerstören, so dass ich immer zitterte, wenn ich etwas vorzeigen wollte. Als ich die Prüfung für die Bezirksschule Aarau mühelos bestand, fragte sie: «Wie kann jemand, der keinen geraden Saum hinbringt, so etwas erreichen?» Ich wurde später Lehrerin und unterrichtete gern, aber erst die eigenen Kinder brachten mich von der fixen Idee ab, ich hätte zwei linke Hände, indem sie mich einfach immer wieder voller Vertrauen fragten und baten: Mami, bitte hilf mir. Mami, kannst du das wieder flicken? Mami, wie geht das? Ich hüte mit meinem Mann regelmässig unsere Enkelbuben, und wie Sie sehen, ist mir dieser despektierliche Satz, diese Beurteilung oder Verurteilung durch die Handarbeitslehrerin immer noch bewusst. Ursula Fehr, Eglisau (auf www.fritzundfraenzi.ch)

Ich bin auch geschockt, aber auch fassungslos und traurig! Und zwar ob des von Fremdenhass triefenden Leserbriefs von Marco Specker. Was bringt Menschen wie ihn dazu, so ausländerfeindlich zu sein und zu glauben, etwas Besseres zu sein? Nur weil wir das grosse Glück haben, in einem verhältnismässig sicheren und schönen Land leben zu dürfen, haben wir nicht das Recht, andere, die zudem Krieg und Gewalt miterleben müssen, zu diskriminieren. Niemand kann etwas für seine Hautfarbe, seine Herkunft und seine Wurzeln. Statt Hetze zu betreiben, Angst zu schüren, Ausländer vorzuverurteilen, auszugrenzen besser integrieren, etwas mehr Dankbarkeit zeigen – dafür, auf der sonnigen Seite des Lebens leben zu dürfen, fernab von Krieg, Gewalt, Terror und Menschenrechtsverletzungen. Im Gegensatz zu Herrn Specker lehren wir unseren Kindern, dass es weder auf die Herkunft, Hautfarbe, Religion noch auf die Sprache ankommt, sondern allein auf den Menschen, dessen innere Werte und Charakter. Jeder hat eine Chance verdient! Herr Specker: In rund 195 Ländern sind auch Sie Ausländer! Andrea Mordasini, Bern (per Mail)

«Mit Herzblut und Kompetenz produziert» (Spezialheft Gesundheit, Heft 3/2017) Das haut auch einen alten Mediengaul aus den Socken: Eure neue Nummer mit der GesundheitsBeilage ist bewundernswert. Ich weiss und bedaure es, dass ein solches Medium, das mit viel Herzblut und grosser Kompetenz produziert wird, im Tsunami des Internets zu wenig Beachtung findet. Leider zählt heute der geile Reiz mehr als wahre Werte und Inhalte. Hans Jürg Deutsch, Ringier AG, Projekte/Beratung (per Mail)

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April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Leserbriefe Kolumne

ein Werden Sie für Ihre Tochter weigert, weibliches Vorbild, das sich das ein Opfer zu sein. Sie muss sehr bald lernen.

Kämpfen Sie für sich selbst, nicht gegen Ihren Mann!

Seine Familie leidet darunter. sich zurück, wirkt depressiv. Ein Familienvater trinkt, zieht Seine Frau bittet Jesper Juul fühlt sich allein und ausgeschlossen. stellt. Die siebenjährige Tochter grundlegende Entscheidung Antwort, die sie vor eine um Rat – und bekommt eine

Es braucht immer zwei Personen, um eine destruktive Beziehung zu schaffen.

Februar 2017

Fritz+Fränzi Das Schweizer ElternMagazin

Illustration: Petra Dufkova/Die

(«Kämpfen Sie für sich selbst, nicht gegen Ihren Mann», Heft 2/2017)

Jesper Juul Autor ist Familientherapeut und Bestseller zahlreicher internationaler Familien. zum Thema Erziehung und fuhr er 1948 in Dänemark geboren, zur See, war nach dem Schulabschluss später Betonarbeiter, Tellerwäscher und Barkeeper. Nach der er als Lehrerausbildung arbeitete Heimerzieher und Sozialarbeiter und bildete sich in den Niederlanden zum und den USA bei Walter Kempler Seit 2012 Familientherapeuten weiter. der Entzündung einer an Juul leidet und sitzt im Rückenmarksflüssigkeit Rollstuhl. Jesper Juul hat einen erwachsenen in zweiter ist und Ehe Sohn aus erster Ehe geschieden.

Selbstmordgedanken gesproein Mann und ich über hatte. sind seit acht Jah- chen und Ich arbeite, habe promoviert ren verheiratet erschöpft. Wir haben auch und haben eine bin total Probleme. Und alles, was sieb enj ä hr ige, finanzielle zu tun hat, regle ich ihn mit unserer Tochter Unterstützung wunderbare Tochter. Als getrunken. ich im Alleingang. kennenlernte, hat er oft gar keine – und zwar einer fes- bekomme ich Das wurde mit der Zeit zu Die Kommunikation war ein seit Anfang an. Mann ist ten Gewohnheit. Alkohol zwischen mir und meinem Begleiter jeder Auseinandersetzung. momentan auf ein Telefongespräch Er arbeitet vorwiegend nachmit- reduziert. Präsenz zu Frustratags und abends. Seine Unsere Tochter spürt die auf den meinerseits und Hause beschränkt sich meist Schlafbe- tion und Nervosität Sonntag. Erst wenn sein dass sie wenig von er für die ist unglücklich, seine vermisst dürfnis gedeckt ist, hat hat. Sie am liebsten ihrem Papa Tochter etwas Zeit, die er und leidet darunIch muss Aufmerksamkeit in der Wohnung verbringt. Jahr ist sie sehr weies zu einer ter. Seit einem oft intervenieren, damit sich oft von Kindern kommt. nerlich, fühlt gemeinsamen Aktivität sagt öfters, sie habe Kinder- ausgeschlossen, Dann schaut er mit ihr eine Tag und sei traurig. zusammen. einen schlechten entwickelt, sendung, oder wir essen Fami- Sie hat keine Strategie Die Rollenaufteilung in der Ersatz oder Ausweg bringt das um nach einem lie ist klassisch: Der Mann sie ausgeschlossen steht hin- zu suchen, wenn Geld nach Hause, die Frau gibt sie gern den Ton an, die Kinder. wird. Sonst term Herd und erzieht das liegt in ihrem Temperament. Damit bin ich nicht einverstanden. Allerdings kann sie nicht diplomafügworden, Ich bin anders erzogen des Kindes. tisch sein. beide te mich aber zum Wohl Eigentlich fühlen wir uns feststelNach Jahren musste ich nicht wahrgenomist. Er ausgeschlossen, werden len, dass mein Mann depressiv er men. Unsere Bedürfnisse mich hat das auch zugegeben, nachdem gar nicht erkannt. Ich bewege in einem Teufelskreis. zur Ich habe Hilfe gesucht, gehe Tochter Kindertherapeutin meiner etwas von und kann in Gesprächen begründen meinem Frust erkennen, Verhalten und verstehen. Auch das ich an, da meiner Tochter spreche

Illustratoren

M

«Bleibt nur die Trennung?»

grob sie mir gegenüber seit Jahren meinem ist. Und ich habe vor, mit seine Mann bei unserem Hausarzt Depression und Behandlungsmög­ lichkeiten zu besprechen. Ich habe über eine Trennung befürchte, nachgedacht. Aber ich Austausch dass es dann gar keinen Sie ihn immer noch lieben, und Vater verantwortlich, 2. Wenn mehr zwischen Tochter von ihm glückli­ de gleichermassen so wie er ist, müssen Sie ist das Opfer. gibt. Anderseits bietet eine geht als eine und nur Ihre Tochter verlangen, dass er zur Kur che Mutter wohl mehr Halt Solan­ Ich hebe dies in der Hoffnung die und trocken wiederkommt. überforderte und unglückliche, Sie damit anfangen wer­ teil­ sehen Sie hervor, dass ge er an einem Programm dafür zu keinen Ausweg sieht. Wie Unter­ den, Ihre wertvolle Energie nimmt, geben Sie ihm alle zu kämp­ das, Herr Juul? verwenden, für sich selber stützung, welche sein Betreuer länger Sie nie, dass fen und nicht gegen ihn. Je vorschlägt. Denken Sie Antwort von Jesper Juul wie bisher, je Nur er und so weitermachen Ihre Liebe ihn heilen kann. Vielen Dank für Ihr Vertrauen er sich fühlen, und und Sie welcher schuldiger wird selber kann sich heilen, die ehrliche, direkte Art, mit ihn durstig. Wenn es schildern; Schuld macht können ihn in den folgenden Sie Ihre Familiensituation die Verantwortung unter­ für viele Ihnen gelingt, Monaten und Jahren dabei zu Tochter Ihre das ist für mich und auch und ihn ähnlichen für sich selber stützen. Wenn Ihr Hausarzt es ihn dazu andere Familien, die mit Es übernehmen, könnte als klinisch depressiv diagnosti­ Problemen kämpfen, hilfreich. die Verantwortung für ver­ Informa­ inspirieren, ziert und ihm Antidepressiva gibt aber eine wesentliche ent­ sein Leben zu übernehmen. seit vie­ muss er am selben Tag nicht schreibt, Brief Ihrem ich tion, die und Wenn es wahr ist, dass er Sie Ihren mit dem Trinken aufhören nehmen kann: Lieben einer starken De­ weniger Sollten len Jahren unter nicht warten, bis er sich Mann? Ich frage das deshalb: hat er den destruk­ Toch­ für mich pression leidet, depressiv fühlt. Sie und Ihre Sie es nicht tun, ist es damit umzugehen, Ihren Sie die tivsten Weg, ter müssen in Bezug auf introver­ schwer vorstellbar, woher gewählt, nämlich zu einem Umgang miteinander realistische Energie und das Durchhaltevermö­ tierten, unverantwortlichen, selbst­ oft die nächs­ Erwartungen haben. Sehr Vater zu gen nehmen werden, um ein mat­ zerstörerischen Mann und erzeugen Antidepressiva ten drei bis fünf Jahre zu überstehen, werden. Ich sage bewusst «gewählt», Entschei­ tes Gefühlsleben. gab, unabhängig davon, welche weil es andere Möglichkeiten gleich, welche Entscheidung dung Sie treffen. den Schmerz mit Ganz wird es dass der zum Beispiel treffen, für Ihre Tochter Ich bin überzeugt davon, oder professionelle Sie sein. schon Ihnen zu teilen das Geschenk ihres Lebens Schmerz Ihrer Tochter Ihnen zu nehmen. ihrem Anspruch zu in Hilfe Beziehung keinen in der Nicht nur die gezeigt hat, dass Sie ihr Diese schlechte Wahl war die viel klarer, Sie bekommt als Sie und Vater wird Gefallen damit getan haben, Vorbild, viele Jahre Hinsicht ansteckend, auch in Ihnen ein weibliches Leere Ihrer Ehe über so seine Strategie kopiert zu sein. beide sind Ihre Tochter das sich weigert, ein Opfer hinweg zu erdulden. Sie und der Zukunft Ihrer das sehr bald lernen. gefallen, haben. Ihnen um möglicher­ Sie muss der Dynamik zum Opfer Mit­ Tochter zuliebe und Partnerschaft zu welche vom inkompetentesten defi­ weise eine sinnvolle verant­ glied der Familie, Ihrem Mann, schaffen, müssen Sie jetzt der fol­ eine niert wird. und werden wortlich Es braucht immer zwei Personen, genden Entscheidungen treffen: zu um eine destruktive Beziehung Liebe für ihn erschöpft Fall haben 1. Wenn Ihre beiden, schaffen, und in Ihrem ist, schulden Sie es Ihnen gegeben, lassen. Sie Ihrem Mann die Macht sich von ihm scheiden zu Juul entstehen ob Sie ihm Sie Die Kolumnen von Jesper die er jetzt hat. Es ist, als Die ersten Monate, nachdem Hand drü­ sind, in Zusammenarbeit mit die Autoschlüssel in die und Ihre Tochter ausgezogen würden, emotio­ cken und ihn darum bitten werden zeigen, ob er sich zu fah­ mit Ihnen allen betrunken nal als Teilzeitvater qualifizieren Richter ist, mit ren. Vor einem moralischen möchte. Der erste Schritt immer, verliert der Alkoholisierte dem Trinken aufzuhören. Sie bei­ aber im richtigen Leben sind

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Fritz+Fränzi Das Schweizer ElternMagazin

Februar 2017

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Mir erscheint Jesper Juuls Antwort aufgrund der vorliegend geschilderten Lage nachvollziehbar. Beim Lesen empfinde ich die Anfrage der Mutter als Bitte um Rechtfertigung einer Trennung. Nachvollziehbar, und aus meiner Sicht sehr verständlich. Mein Mann trinkt ebenfalls viel und regelmässig Alkohol. Er ist ein liebevoller Papa und Ehemann, aufmerksam, fürsorglich. Er wirkt praktisch nie betrunken. Alles läuft, der Job, der Haushalt (den grösstenteils er schmeisst), die Familie. Für ihn gibt es keinen Grund, etwas zu ändern. Aber ich möchte nicht, dass unsere beiden Kinder in einem Umfeld aufwachsen, in dem solche Mengen Alkohol «normal» sind. Auch ich habe an eine Trennung gedacht. Doch der Psychologe in der Suchtberatung hat mir andere Sichtweisen aufgezeigt. Dass z. B. das Suchtproblem für die Kinder durch die Trennung nicht gelöst wird. Dass ihr Papa in die «Jetzt erst recht»-Position gehen könnte und ich weniger mitbekäme, was laufe. Er sagte, dass eine Trennung zu einer Therapie führen könnte oder auch nicht. Dass das weder in meiner Macht noch in meiner Verantwortung stehe. Dass es vielmehr meine Erwartung sei, dass mein Mann meine Sicht übernehme und sich dieser unterordne, statt dass ich ihm die Verantwortung eines selbständigen Erwachsenen überlasse, seinen eigenen Umgang und Ausweg aus der Situation zu finden. So frage ich mich bei der Antwortmöglichkeit zwei, die Jesper Juul gegeben hat: Was ist die Konsequenz, wenn sich der Mann gegen eine Entwöhnungskur entscheidet? Es würde mich unheimlich interessieren, ob er wirklich nur den Weg der Trennung sieht. Madeleine (per Mail)

«Diese Familie braucht echte Hilfe» («Kämpfen Sie für sich selbst, nicht gegen Ihren Mann», Heft 2/2017) Jesper Juul mag eine grosse Ahnung von vielem haben, doch mit der Psychiatrie scheint er sich nicht auszukennen. Dieser Dampfhammer-Text ist brandgefährlich. Er kann eine sehr rasche und sehr gravierende Dynamik auslösen. Dass der alkoholkranke Vater für eine Therapie aus dem System genommen wird, ist sicher sinnvoll. Aber ohne peitschenden Mahnfinger in der Luft. Das ist 100 Prozent kontraproduktiv. Es gibt Probleme, die sich nicht mit einem markigen Textchen lösen lassen. Diese Familie benötigt echte Hilfe. Die Mutter wird leider noch viel Geduld und Energie aufbringen müssen, es gibt keine Blitzwunder. Ich kenne Menschen, die Angehörige durch Suizid verloren haben. Das ist für alle Hinterbliebenen die schlimmstmögliche Wendung. Markus Urs Leutwyler (via Facebook)

Schreiben Sie uns! Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut? Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns wissen! Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich. Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi oder Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi. Kürzungen behält sich die Redaktion vor.

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Hochbegabt – na und? Im Atelier Plus in Arth-Goldau SZ werden hochbegabte Schüler unterrichtet. Sie sind intelligent, wissbegierig und kontaktfreudig – aber vor allem sind sie ganz normale Kinder. Ein Unterrichtsbesuch. Text: Matthias von Wartburg Fotos: Gabi Vogt / 13 Photo

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chulhaus Sonnegg, erster Stock. An der Tür des Ate­ liers Plus streckt einem Albert Einstein die Zunge entgegen. «Er er­­forschte die Zeit und den Raum», steht unter der Bleistiftzeichnung geschrieben. Wer den Raum betritt, sieht acht weisse Labormäntelchen an einer Kleiderstange. Auf dem Labortisch stehen Re­agenzgläser, Trichter, Fla­ schen, Pipetten und Petri­schalen. Im hinteren Bereich des Zimmers steht ein Aquarium. Die Schülerpul­ te sind zu vier Arbeitsstationen zusammengestellt. Darauf Laptops, Mikroskope und Lupen. Hier im Atelier Plus werden hochbegabte Kinder gefördert. Jede Woche verlassen sie an einem Vor­ mittag ihre Regelklasse, streifen die Labormäntel über und werden zu kleinen Forscherinnen und For­ schern. Das Förderprogramm be­­ steht seit zehn Jahren. Es ist ein Pio­ nierprojekt. >>>

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Die hochbegabten Kinder werden einmal in der Woche im Atelier Plus gefördert.

April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 63


Erziehung & Schule

>>> 08.01 Uhr, die ersten Schüler betreten den Raum. Jonas, elf Jahre alt, packt seinen Zauberwürfel mit den verschiedenfarbigen Flächen aus, drehen, schrauben, drehen, schrauben, kurzes Innehalten – dre­ hen, schrauben. «Ich kann ihn in 38 Sekunden lösen. Der Weltrekord liegt bei 4 Sekunden.» Jonas will einen neuen Zauberwürfel entwi­ ckeln. «Dafür werde ich das System eines älteren Würfels mit dem Innenleben des neusten Exemplars kombinieren.» Hochbegabte Kinder als solche überhaupt zu erkennen, ist die gros­ se Herausforderung. Noch vor zehn Jahren galt die Prämisse: Ab einem IQ von 130 gilt ein Kind als hochbe­ gabt. «Von dieser Definition sind wir längst abgekommen», sagt Vic­ tor Müller-Oppliger. Der Schweizer

Experte in Sachen Hochbegabung leitet den Masterstudiengang Bega­ bungsförderung an der Fachhoch­ schule Nordwestschweiz, bei dem sich aktive Lehrkräfte zum Thema Hochbegabung weiterbilden. «Der klassische IQ-Test greift viel zu kurz. Er verengt die Hochbega­ bung auf eine akademische Intelli­ genz. Dabei gibt es zum Beispiel auch musikalische, gestaltende, sozia­le und kreative Begabungen, die sich mit IQ-Tests nicht erfassen lassen», sagt Müller-Oppliger. Die derzeit in der Wissenschaft anerkannte Definition der Hochbe­ gabung bestehe aus verschiedenen Aspekten: «Hochbegabung wird definiert als Möglichkeit zu Hoch­ leistungen, die im Vergleich zu Gleichaltrigen durch Exzellenz, Sel­ tenheit, Produktivität, Demonstrier­

Experten schätzen, dass in der Schweiz 10 bis 15 Prozent der Kinder hochbegabt sind und gefördert werden sollten. barkeit und besonderen Wert auffal­ len.» Im Atelier Plus bittet Thomas Berset die Schüler an den Konfe­ renztisch. Als Beobachter erhält man den Eindruck, die Lehrperson spreche zu einer Gymnasialklasse und nicht zu Zweit- bis Fünftkläss­ lern. «Wir sind heute etwas dezi­ miert. Minus drei. Ein Junge ist krank, zwei sind am Skitag.» Die morgendliche Konferenz beginnt, die Kinder sprechen über den Stand

Der grösste Unterschied zum Unterricht in der Regelschule: Im Atelier Plus haben die Kinder viel mehr Zeit.

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April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


ihrer Forschung. Der neunjjährige Jeremia untersucht momentan den Körper von Salzwasserkrebsen. Die Tierchen sind nur wenige Millimeter lang. Sie zu untersuchen, braucht Geduld und technische Hilfsmittel. Jeremia präsentiert ein stark vergrös­ sertes Foto. «Ich habe diese Härchen hier entdeckt. Die haben wir vorher noch nie gesehen. Wir vermuten, dass nur die Männchen solche Här­ chen am Körperende haben.» – «Das wäre natürlich spannend», sagt Karol, 11 Jahre, «das wäre ein weite­ res Merkmal für die Geschlechter­ unterscheidung.» Solche Förderprogramme gibt es längst nicht an jeder Schweizer Schu­ le. Hochbegabte Kinder gibt es aber überall. Der Experte Victor MüllerOppliger sagt: «Wir gehen davon aus, dass 10 bis 15 Prozent der Kin­ der das Potenzial hätten, mehr zu leisten. Und diese Kinder sollte man unbedingt fördern.» Dabei sei die Förderung von Hochbegabten in der Schweiz nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. «Es ist grobfahrlässig, dass wir nicht besser hinschauen. Es ist problema­ tisch für hochbegabte Kinder, die sich nicht verstanden fühlen und leiden. Und es ist ein Problem für die Volkswirtschaft, denn wir verpassen die Chance, Begabungen zu fördern, auf die unsere Gesellschaft zum Erhalt ihrer Wohlfahrt dringend angewiesen ist.» Im Atelier Plus meldet sich der neunjährige Noel zu Wort: «Wir fragten uns: Können die Salzwasser­ krebse riechen? Wir haben einen Versuch gemacht, in dem wir acht Krebse und Algenfutter in eine Pet­ rischale gegeben haben. Unsere Ver­ mutung war, dass alle acht zum Fut­ ter schwimmen. Das war dann aber nicht der Fall. Wir fanden heraus, dass das Licht einen Einfluss hat. Die Salzwasserkrebse schwimmen weg vom Sonnenlicht.» Noel erhält den Auftrag, das Experiment mit der doppelten Versuchszeit zu wiederho­ len. «Die Schüler sollen lernen, sich

in andere Projekte hineinzudenken und konstruktive Kritik anzubrin­ gen. Gleichzeitig lernen die Kinder so, andere Ideen anzunehmen und Kritik zu ertragen. Heute war es diesbezüglich noch harmlos», sagt Thomas Berset. Berset war ursprünglich Primar­ lehrer, promovierte später in Biolo­ gie und war lange in der Forschung tätig. Warum er beim Atelier Plus arbeitet? «Ich wollte den hochbegab­ ten Kindern die Möglichkeit geben, das naturwissenschaftliche Forschen zu entdecken. Ausserdem betreibe ich Lernforschung und entwickle Lernmittel. Die hochbegabten Kin­ der sind sozusagen Teil meines For­ schungsprojektes. Habe ich eine neue Idee für ein Lernmittel, teste ich sie hier bei meinen Schülern.» Thomas Berset schaut zu, wie Noel mit einer Pipette acht Salzwas­ serkrebse aus dem Aquarium fischt, um sie später für seinen Test in die Petrischale zu geben. «Ich gebe ihnen Strukturen vor, aber inner­ halb dieser Strukturen haben sie alle Freiheiten», sagt die Lehrperson. «Der grösste Unterschied zum Unterricht in der Regelklasse ist, dass wir hier viel mehr Zeit haben. Wir können uns viel länger einem Thema widmen. Dieses Setting lässt es auch zu, dass die Kinder Miss­ erfolge haben, dass sie mit ihrer For­ schung in eine Sackgasse geraten. Solche Prozesse brauchen Zeit, sind aber enorm lehrreich.» Hinter all dem steht für Thomas Berset ein Ziel: «Im Grunde geht es darum, die hochbegabten Kinder anzustacheln und für die Welt der Wissenschaft zu begeistern.» Derweil werkeln die Schüler im Atelier Plus in Zweierteams an ihren Aufgaben. Es sind ausschliesslich Knaben. Das einzige Mädchen ist heute am Skitag. Der elfjährige Karol programmiert eine Webseite. Zu­­ sammen mit einem anderen Schüler hat er im Tierpark stundenlang die Fütterung von Steinböcken beob­ achtet und verhaltensbiolo­ >>>

« Hochbegabte Kinder gibt es überall» Vor zehn Jahren gründete Rektor Adrian Dummermuth das Förderprogramm Atelier Plus, eines der ersten Angebote dieser Art. Adrian Dummermuth, warum haben Sie damals mit der Hochbegabtenförderung begonnen? An fast jeder Schule gab es sonderpädagogische Konzepte mit dem Ziel, lernbehinderte beziehungs­ weise lernschwache Schülerinnen und Schüler im Regelklassenverband zu integrieren. Auch unsere Schule hat schon sehr früh viel Geld und Zeit in ein solches Programm investiert – und macht es heute noch. Aber auf der Gegenseite des Spektrums gab es nichts. Für mich ist es eine Frage der Chancenge­ rechtigkeit, dass man auch hochbegabten Kindern ein Angebot bereitstellt. Die Finanzierung war nie ein Problem? Nie. Die lokale Politik sah und sieht dieses Angebot als Bestandteil des Profils unserer Schule. Und die Kosten sind überschaubar. An unserer Schule haben wir ein Budget von 12 Millionen Franken. Das Atelier Plus kos­ tet uns rund 40 000 Franken im Jahr. Wird in der Schweiz genug unternommen in Sachen Hochbegabtenförderung? Nein, die Spitzenförderung wird in der Schweiz noch immer stiefmütterlich behandelt. Hochbegabte Kinder gibt es überall, aber nicht überall werden sie gefördert. In der Gemeinde Arth mit den Schulstandorten Arth und Goldau haben wir rund 900 Primarschulkinder. Darunter hatte es all die Jahre genug Hochbegabte, um ein Förderprogramm zu betreiben.

Hochbegabtes Kind? Was Eltern wissen müssen • Interessiert sich Ihr Kind auffällig früh für die verschiedensten Themen oder ist es den anderen Kindern allgemein weit voraus, könnte es hochbegabt sein. • Im Zweifelsfall kann eine Abklärung helfen. Solche Abklärungen macht zum Beispiel der schulpsychologische Dienst. • Ist Ihr Kind hochbegabt, informieren Sie die Schule und suchen Sie gemeinsam nach Möglichkeiten, Ihr Kind zu fördern. • Geben Sie Ihrem hochbegabten Kind die Chance, Kind zu bleiben. Unterstützen Sie auch Interessen des Kindes, die nicht die Schule betreffen.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 65


Erziehung & Schule

>>> gisch untersucht. Wer darf zuerst zum Futter? Wer hat am meisten Rechte in der Gruppe? Aus den Erkenntnissen haben die Schüler einen Fragebogen erstellt. Künftig können Schüler im Tierpark via Smartphone die Webseite von Karol aufrufen und so ein interaktives Lehrmittel nützen. Für die Schüler sei es enorm wichtig, dass ihre Forschung produktorientiert sei, sagt Thomas Berset: «Forschung kann man nicht im kleinen Kämmerlein machen. Letztes Jahr hielten meine Schüler zum Beispiel einen grossen Vortrag an der Uni Freiburg.» Aber auch Berset selbst hat den Anspruch, dass sein Unterricht Produkte erzeugt. Aus den Experimenten seiner Schüler entstehen immer wieder ganze Forschungskisten für Regelklassen. «Es braucht zum Beispiel sehr viel Aufwand, bis man für die ganze Klasse Salzwasserkrebse züchten kann, das wäre für eine Lehrperson in der Regelklasse nicht zumutbar. Indem ich diese Projekte

«Den Satz ‹Das trau ich mir nicht zu› hab ich von einem hochbegabten Kind noch nie gehört», sagt Lehrer Berset. samt Beschrieb und Material an Regelklassen verteile, können auch diese von der Hochbegabtenförderung profitieren.» Aber was genau unterscheidet hochbegabte Schüler von Schülern seiner Regelklasse – neben der hohen Begabung? «In erster Linie sind es ganz normale Kinder. Was mir aber auffällt: Sie sind alle enorm selbstbewusst. Ich hatte noch nie ein Kind, das sagte: Das traue ich mir jetzt nicht zu. Dazu kommt, dass alle sehr interessiert sind. Einmal hat ein Schüler ein Vogelnest vom Schulweg mitgebracht. Das haben wir dann während vier Stunden untersucht. Da hat keiner gesagt, dass es ihn anöde.»

«Die meisten Eltern fürchten sich vor der Diagnose» Das Thema Hochbegabung ist in der Schweiz noch immer ein Tabu. Darunter leiden Eltern und Kinder, sagt Giselle Reimann. Sie führt an der Uni Basel Abklärungen von Hochbegabten durch. Interview: Sandra Casalini

Frau Reimann, wie merke ich, dass mein Kind hochbegabt ist? Sehr häufig haben hochbegabte Kinder einen enormen Wissensdurst. Sie interessieren sich sehr stark für verschiedene Themen. Sie haben auch eine sehr gute Auffassungsgabe und kön­

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11.30 Uhr, der Unterricht ist aus, die Kinder gehen nach Hause. Noel wohnt mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem Einfamilienhaus in Arth. Cornelia Hohl, Noels Mutter, steht in der Küche. «Noel war schon immer sehr interessiert, in den verschiedensten Bereichen. Wir mussten ihm viel erklären.» Noel sei den anderen Kindern stets weit voraus gewesen. Noch vor dem Kindergarten konnte er rechnen und schreiben oder das Alphabet aufsagen. Das sei schön – und anstrengend, ergänzt Christoph Hohl: «Nicola, sein kleiner Bruder, kann sich gut selbst beschäftigen, Noel fällt das schwerer.» Ausserdem sei Noel schon immer sehr kontaktfreudig >>>

nen erstaunlich schnell Schlüsse ziehen. Es gibt aber auch hochbegabte Kinder, die nach aussen sehr langsam wirken. Weil sie sehr viel denken und viel überlegen, bevor sie über­ haupt etwas sagen. Es ist also gar nicht so einfach, Hochbegabung zweifelsfrei zu erkennen? Nein, gerade bei den sogenannten Minderleis­ tern, bei Kindern, die ihr Potenzial nicht zeigen, keine guten Noten schreiben, sich im Unter­ richt nicht melden, ist es teilweise nicht auf den ersten Blick erkennbar, dass sie hochbegabt sind. Wie schlimm ist es, wenn hochbegabte Kinder nicht als solche erkannt werden? Das kann problematisch sein. Bei uns landen häufig Familien, bei denen dies zu Schwierig­ keiten geführt hat. Wenn ein Kind permanent auf einem Niveau arbeitet, das eigentlich viel zu tief ist, kann es überhaupt nicht stolz sein auf das, was es macht, dann ist es einfach ge­

«In erster Linie sind es ganz normale Kinder.» Thomas Berset mit Schülern vom Atelier Plus.

langweilt und auch enttäuscht von den eigenen Leistungen. Das kann sich negativ auf den Selbstwert auswirken, und in den schlimmen Fällen können ernsthafte psychische Probleme oder Verhaltensauffälligkeiten entstehen. Sollen Kinder also im Zweifelsfall immer abgeklärt werden? Es braucht nicht immer eine Abklärung. Aber wenn ein Leidensdruck da ist, würde ich das sehr empfehlen. Eine sorgfältige Abklärung kann viele Fragen der Eltern beantworten und vor allem dann auch Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, um die Situation zu entschärfen. Wie reagieren Eltern auf die Diagnose «hochbegabt»? Viele glauben, dass Eltern zu einer Abklärung kommen und beweisen wollen, dass ihr Kind hochbegabt ist, und dann ganz stolz sind. Tat­ sächlich fürchten sich aber die allermeisten vor dieser Diagnose. Sie haben Angst vor dem Stig­ ma, das sie als Eltern bekommen könnten,

April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule

wenn sie zum Beispiel an die Schule gelangen und sagen: «Mein Kind hat eine hohe Begabung und braucht eine spezielle Förderung.» Es ist wirklich immer noch ein Tabu. Einzelne Eltern halten die Diagnose dann auch geheim. Sie machen zwar eine Abklärung, behalten das Resultat aber für sich. So etwas machen Eltern? Ja, das passiert. Ich bedauere das sehr. Bei einer Abklärung geht es schliesslich nicht nur darum, die Hochbegabung festzustellen, sondern vor allem darum, herauszufinden, wie der Alltag des Kindes verbessert werden kann. Es wird geschaut, welche individuellen Lösungen es gibt, die zur Familie passen. Die müssen dann aber umgesetzt werden, sonst bringt eine Abklärung wenig. Auch muss man aufpassen, dass bei der Familie kein «fixed mindset» entsteht, also kein Glaube, dass die hohen Begabungen sich nun ohne jede Anstrengung in hohen Leistungen zeigen müssen.

Haben wir Schweizer ein Problem mit herausragenden Leistungen? Sind wir lieber Durchschnitt? Durchaus. Viel Forschung zum Thema Hochbegabung kommt aus dem amerikanischen Raum, und dort ist es viel selbstverständlicher, dass Leistungen nach oben ausschlagen. Bei uns sieht man das halt nicht so gerne. In der Schweiz möchte man, dass alle gleich behandelt werden. Das ist im Prinzip ja auch ein schöner Gedanke, aber so wird man nicht allen gerecht. Es gibt den Mythos, dass Hochbegabte intellektuell stark, jedoch sozial schwach sind. Was spielen solche Vorurteile für eine Rolle im Umgang mit dem Thema? Die spielen eine grosse Rolle. Gerade dieser Mythos hält sich tatsächlich sehr hartnäckig. Den höre ich immer wieder von Eltern, von Lehrpersonen und auch von Kindern selber. Aber das ist wissenschaftlich widerlegt. Es hat

sich gezeigt, dass hochbegabte Kinder sozial und emotional meist sehr gut zurechtkommen. Es ist aber so, dass ein Kind, das lange in einer unpassenden Umgebung ist, emotionale Probleme entwickeln kann. Das kann zum Beispiel passieren, wenn es nicht gut gefördert wird oder wenn es von anderen Kindern wegen der Hochbegabung abgewiesen wird.

Zur Person Giselle Reimann ist stellvertretende Leiterin des Zentrums für Entwicklungsund Persönlichkeitspsychologie an der Universität Basel. Sie ist unter anderem auf die Abklärung und Beratung von Hochbegabten spezialisiert.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 67


Erziehung & Schule

Jeremia, 9 Jahre alt:

«Am liebsten schreibe ich an meiner Geschichte»

>>> gewesen, gehe selbstsicher auf andere Menschen zu. «Als er etwa fünf Jahre alt war, besuchte er zusammen mit einem Kind aus dem Dorf einen Schnuppernachmittag eines Bewegungs- und Musikkurses. Er hat dort sofort mitgemacht, während das andere Kind nur bei seiner Mutter sass. Am Schluss sagte Noel, es habe ihm nicht so gefallen, er wolle nicht wieder hingehen. Sogar wenn für ihn nicht alles hundertprozentig passt, hat er kein Problem, sich sofort in einer neuen Gruppe zurechtzufinden.» Cornelia Hohl arbeitet als FlightAttendant und ist immer wieder über längere Zeit zu Hause. Christoph Hohl ist Hausmann, daneben

Karol, 11 Jahre alt: Jeremia, was machst du in deiner Freizeit? Am liebsten schreibe ich an meiner Geschichte. Es geht um vier Jugendliche und um Monster. Die Jugendlichen haben Elementarkräfte, damit müssen sie die Monster besiegen. Welches ist dein Lieblingsfach? Mensch und Umwelt gefällt mir am besten. Oder auch Deutsch, je nachdem, was für ein Thema wir gerade haben. Einmal hatten wir Abenteuergeschichten, das fand ich cool. Wie hat man gemerkt, dass du hochbegabt bist? In der ersten Klasse war ich einfach immer viel schneller als die anderen. Wie ist es, hochbegabt zu sein? Mir gefällt das gut. Man ist anders als die anderen und darf ins Atelier Plus gehen. Was gefällt dir besonders gut im Atelier Plus? Am besten gefällt mir, wenn ich beim Forschen einen Fortschritt erziele. Was möchtest du einmal werden? Autor oder Schauspieler. Nicht Forscher? Vielleicht, mal schauen.

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«Ich will später Millionär werden»

betreibt er von zu Hause aus eine kleine Handelsfirma. Beide haben somit Zeit, ihren Sohn zu fördern und seinen Wissensdurst zu stillen. Vor der Einschulung wurde Noel abgeklärt. Ergebnis: hochbegabt. Noel geht seit der ersten Klasse ins Atelier Plus. Wie reagierte das Umfeld? «Was Noels Hochbegabung betrifft, haben wir noch nie negative Erfahrungen gemacht. Wir machen auch keine grosse Sache daraus», sagt Cornelia Hohl. Trotzdem wollen Hohls ihren Sohn bestmöglich fördern. Der Vater büffelt mit ihm Mathematik auf hohem Niveau oder übt für die Tests in den anderen Fächern. «Es ist ja nicht so, dass Noel sich die

Karol, was machst du in deiner Freizeit? Ich spiele Tennis und gehe ins Karatetraining. Und ich nehme Gitarrenunterricht. In der Freizeit spiele ich auf dem Computer oder gehe raus mit Freunden. Welches ist dein Lieblingsfach? Sport, es ist eine gute Abwechslung zum vielen Sitzen in der Schule. Wie hat man gemerkt, dass du hochbegabt bist? In der ersten Klasse war ich einfach etwas besser, war immer schneller mit den Arbeitsblättern. Wie ist es, hochbegabt zu sein? In den Filmen werden die Hochbegabten immer ausgeschlossen, aber bei mir ist das nicht so. Ich habe viele Freunde und mir gefällt es, ins Atelier Plus zu gehen. Was gefällt dir besonders gut im Atelier Plus? Mir gefällt, dass der Lehrer die Antwort auf unsere Fragen manchmal selber nicht weiss, dann können wir etwas Neues erforschen. Was möchtest du einmal werden? Anwalt oder Bankdirektor. Am liebsten aber Millionär. Nicht Forscher? Vielleicht, aber eher nicht.

April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Sachen einmal anschaut und sofort alles kann. Er versteht vielleicht die Zusammenhänge besser, aber auch er muss lernen. Manchmal ist das auch ein ziemlicher Knorz», sagt Christoph Hohl. Es sei schon wichtig, dass man dranbleibe, ergänzt seine Frau: «Wenn er jetzt nicht lernt zu lernen, dann wird es für ihn später schwierig.» «Hochbegabte müssen nicht nur lernen zu lernen, sondern auch lernen zu scheitern», sagt Victor Müller-Oppliger. Früher oder später kommt auch ein hochbegabtes Kind an einen Punkt, an dem es nicht so­­ fort weitergeht. «Irgendwann kann hohe Leistung nur mit harter Arbeit erreicht werden. Dazu gehören auch

immer Misserfolge. Nur wenn ein Kind genug früh auf seinem Niveau herausgefordert wird, lernt es, dass Scheitern dazugehört.» Kann Noel überhaupt noch Kind sein? «Definitiv, zum Kindsein braucht er keine Förderung. Er liebt Sport oder blödelt rum, was Kinder halt so machen», sagt Cornelia Hohl. «Uns ist aber auch wichtig, dass er sich auch neben der Schule engagiert und Kinder trifft. Im Chor oder im Fussball.» Noel, der bis jetzt zugehört hat, schaltet sich ein: «Im letzten Fussballmatch gewann unser Team acht zu eins. Ich habe sieben Tore ge­­ schossen!» <<<

Der Mythos, wonach Hochbegabte intellektuell stark, aber sozial schwach sind, ist wissenschaftlich widerlegt.

Matthias von Wartburg ist während seiner Schulzeit selbst in den Genuss einer Förderklasse gekommen. Jedoch am anderen Ende des Spektrums: eine Förderklasse, wo lernschwache Schüler die erste Klasse in zwei Jahren absolvieren. Der Autor und zweifache Vater lebt mit seiner Familie in Nidau.

Noel, 9 Jahre alt:

« In Mathe hatte ich noch nie eine Note unter Sechs» Noel, was machst du in deiner Freizeit? Ich bin im Fussballklub und singe einmal die Woche in einem Chor. Ausserdem spiele ich gerne Tennis und falte Origamifiguren aus Papier. Welches ist dein Lieblingsfach? Ich mache alles gerne, aber Mathematik ist klar das Lieblingsfach, dort hatte ich noch nie eine Note unter einer Sechs. Wie hat man gemerkt, dass du hochbegabt bist? Ich konnte im Kindergarten schon plus- und malrechnen. Wie ist es, hochbegabt zu sein? Ich finds cool, vieles fällt mir leicht. Was gefällt dir besonders gut im Atelier Plus? Dass wir richtig forschen können. Am besten hat mir gefallen, als wir unsere Forschungsergebnisse mit einem Vortrag an der Uni Freiburg vorstellen durften. Was möchtest du einmal werden? Flight-Attendant, weil das auch meine Mami ist und weil ich gerne fliege. Oder sonst Sänger. Nicht Forscher? Vielleicht, das kann ich noch nicht sagen.

Maximilian Der Film erzählt die Geschichte des berühmtesten Hochbegabten (IQ von 149+) der Schweiz. Ab Mai in ausgewählten Kinos in der Schweiz.

Starten Sie die aktuelle pp, Fritz+Fränzi-A ese Seite di e Si n ne an sc den Trailer und sehen sie ilian. im ax M von

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 69


«Mama, ich will die Pille» Die Pille ist das beliebteste Verhütungsmittel bei Teenagern. Seit diesem Jahr ist ein Präparat auf dem Markt, das den weiblichen Zyklus verlängert und die Blutungen auf vier im Jahr reduziert. Darin sehen viele Frauen Vorteile. Aber birgt es auch Risiken? Text: Susanna Steimer Miller

L

inda nimmt die Pille, seit sie 16 ist und einen festen Freund hat. Schwanger zu werden, käme für die Gymnasiastin zurzeit nicht in Frage. Zudem litt die 17-Jährige während ihrer Menstrua­ tion unter starken Unterleibsschmerzen. Sie könnte auf die monatlichen Blutungen gut und gerne verzichten. Eine neue Pille könnte der Schülerin jetzt helfen.

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Seit diesem Jahr ist in der Schweiz erst­mals eine Pille mit Langzyklus erhältlich, die ohne Unterbruch eingenommen wird und nur noch zu vier Blutungen pro Jahr führt. Ihr Name: Seasonique. Stellt sich die Frage, wie geeignet diese Pille für junge Frauen ist. Ga­­ briele Merki leitet an der Frauenklinik am Universitätsspital Zürich die Sprechstunde Schwangerschaftsverhütung. In einer Studie, die die April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Bild: iStockphoto

Ernährung & Gesundheit


Medizinerin 2014 durchgeführt hat, gaben 57 Prozent der Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren an, dass sie ihre Periode als beschwerlich empfinden. Rund 80 Prozent der befragten Mädchen hätten die Blutung lieber weniger als monatlich oder gar nicht.

«Aus medizinischer Sicht sind die regelmässigen Blutungen nicht nötig.»

Menstruation gestern und heute

Braucht es überhaupt eine monatliche Hormonentzugs- oder Abbruchblutung, wie sie bei herkömmlichen Pillen herbeigeführt wird? Sibil Tschudin, Leitende Ärztin an der Frauenklinik des Universitätsspitals Basel, erklärt: «Aus medizinischer Sicht sind die regelmässigen Blutungen unter Pilleneinnahme für die Gesundheit nicht notwendig.» Heute haben Frauen die Wahl, die Zahl ihrer Blutungen neben der Pille auch mit einem Pflaster oder Hormonring zu reduzieren. Häufige Blutungen sind eine Erscheinung der modernen Zeit. Noch vor etwa 100 Jahren hatten Frauen im Lauf ihres Lebens durchschnittlich nur zirka 160 Blutungen, weil sie zum einen die Periode später bekamen, zum anderen 10 bis 15 Mal schwanger wurden, 10 Kinder zur Welt brachten und die 7 oder 8 Überlebenden jeweils während etwa zwei Jahren gestillt haben. Die Menstruation wurde früher also während längerer Zeit durch zahlreiche Schwangerschaften und lange Stillzeiten unterbunden. Heute haben Frauen im Schnitt 450 Mal in ihrem Leben ihre Blutung, weil sie nur noch 1 bis 2 Kinder gebären und die Hälfte der Mütter bereits nach 3 Monaten abstillt. Junge Frauen setzen auf die Pille

Gemäss der letzten Gesundheitsbefragung des Bundesamtes für Statistik aus dem Jahr 2012 verhüten junge Frauen zwischen 15 und 24 Jahren am häufigsten mit der Pille. In dieser Altersgruppe verlassen sich rund 64 Prozent der Frauen auf den zuverlässigen Schutz.

Auch in Lindas Klasse nehmen drei Viertel der Mädchen die Pille. Die meisten versprechen sich neben dem Empfängnisschutz weitere Vorteile. Sarah, 16, schätzt die Tatsache, dass sie ihre Periode dank der Pille regelmässig bekommt und schwächer hat. Pia, 16, nimmt die Pille, weil sie seit Beginn der Pubertät an starker Akne litt. «Seit ich die Pille nehme, hat sich mein Hautbild deutlich verbessert», sagt sie. Sibil Tschudin vom Universitätsspital Basel weiss: «Diese positiven Begleiterscheinungen machen sich nicht bei allen Jugendlichen gleich stark bemerkbar. Die Pille ist kein Wundermittel, und Mädchen müssen sich bewusst sein, dass sie ein Medikament ist.» Pillen mit niedrigem Risiko

Frühestens mit 14 Jahren dürfen sich junge Frauen die Pille ohne Einwilligung ihrer Eltern verschreiben lassen. Gabriele Merki erklärt: «Einem vierzehnjährigen Mädchen, das allein in die Sprechstunde kommt und mit der Pille verhüten will, verschreiben wir diese nur dann, wenn es reif genug ist, eine solche Entscheidung treffen zu können.» Ein ausführliches Beratungsgespräch sei bei jeder Erstverschreibung äusserst wichtig (siehe Box in der Spalte rechts). Seit der Einführung der ersten Pille in den 1960er-Jahren sind unzählige Präparate auf den Markt gekommen. Doch welche Pillen eignen sich für Mädchen, die >>>

Was der Gynäkologe Ihre Tochter fragen sollte • Fühlst du dich für den Geschlechtsverkehr bereit oder kommt der Wunsch von deinem Freund? Wie alt ist dein Freund? • Bist du dir bewusst, dass die Pille bei korrekter Einnahme zuverlässig vor einer Schwangerschaft, aber nicht vor Geschlechtskrankheiten schützt? Vor Geschlechtskrankheiten schützt nur das Kondom. • Weisst du, dass die Pille von den meisten Frauen gut vertragen wird, aber auch Komplikationen und Nebenwirkungen auftreten können? • Zum Thrombose-Risiko: – Hat jemand in deiner Familie je eine Thrombose, eine Lungenembolie, einen Herzinfarkt oder einen Hirnschlag erlitten? – Rauchst du? – Leidest du oder jemand in deiner Familie an Bluthochdruck, Diabetes, einer Fettstoffwechselstörung, Bluterkrankungen, Lebererkrankung, einem östrogenabhängigen Karzinom? – Leidest du an neurologischen Krankheiten, Epilepsie oder Migräne? – Weisst du, dass Übergewicht das Thromboserisiko erhöht? – Was musst du wissen, wenn du die Pille mal vergessen oder zu spät eingenommen hast oder wenn du Durchfall hattest? Falls du trotz vergessener Pille Geschlechtsverkehr gehabt hast, kann die «Pille danach» vor einer Schwangerschaft schützen.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 71


Ernährung & Gesundheit

Komplikationen sind selten, Nebenwirkungen wie depressive Verstimmungen möglich.

>>> zum ersten Mal damit verhüten wollen? «Jungen Frauen verschreibe ich am häufigsten Präparate der zweiten Generation, da sie über das beste Nutzen-Risiko-Profil verfügen», erklärt Gabriele Merki. Diese Kombinationspräparate, die das Gestagen Levonorgestrel und das Östrogen Ethinylestradiol enthalten, haben das kleinste Thromboserisiko. In Zahlen ausgedrückt, bedeutet dies: Während zwei bis drei gesunde Frauen von 10 000, die keine Pille einnehmen, an einer Thrombose erkranken, sind es bei Kombipillen der zweiten Generation vier bis sechs Frauen während eines Anwendungsjahres. Das Risiko wird insbesondere durch die Familienge-

schichte, aber auch durch Übergewicht, Rauchen und das Alter beeinflusst. Bei Pillen der dritten und vierten Generation liegt das Risiko bei sechs bis zehn zu 10 000. Auch wenn die Pille von der gros­sen Mehrheit der Frauen gut vertragen wird und Komplikationen wie Thrombosen selten auftreten, sind Nebenwirkungen möglich, zum Beispiel depressive Verstimmungen, Gewichtszunahme, Libidoverlust. Meist machen sich unerwünschte Wirkungen in den drei Monaten nach der erstmaligen Einnahme der Pille bemerkbar. Gabriele Merki empfiehlt deshalb, nach Ablauf dieser Zeit eine erste Kontrolle zu ver-

einbaren. Wenn Nebenwirkungen auftreten, kann ein Wechsel auf ein anderes Präparat sinnvoll sein. Neue Pille verlängert Zyklus

Aber wie geeignet ist die neue Pille für Teenager? In der Zusammensetzung unterscheidet sie sich nicht von den herkömmlichen Pillen der zweiten Generation. In den USA erschien die Pille bereits 2006, in Österreich ist sie seit zwei Jahren erhältlich, von Swissmedic wurde sie sowohl für junge Mädchen als auch Frauen zugelassen. Nachteile gegenüber herkömmlichen Präparaten der zweiten Generation sehen Experten nicht. Da­­ durch, dass die Pillenpause durch die kontinuierliche Einnahme wegfällt, verringert sich die Gefahr, dass die Frau die nächste Packung verspätet anbricht und damit einer un­­ gewollten Schwangerschaft. Zudem verkürzt sich die Zeit der Blutung auf etwa drei Tage, worüber sich ebenfalls viele Anwenderinnen freuen dürften. Andererseits könnte eine Langzeitpille das Gewöhnen an die monatliche natürliche Menstrua­ tion nach Absetzen erschweren.

Zeichen für Komplikationen Die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hat eine Checkliste zusammengestellt, die dabei helfen soll, Zeichen für Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Eine Frau sollte mit ihrer Gynäkologin oder ihrem Gynäkologen Kontakt aufnehmen, wenn: • sie unter Pilleneinnahme erstmalig Migräne hat, diese stärker auftritt oder sie häufig an ungewohnt starken Kopfschmerzen leidet; • sie plötzliche Seh-, Hör- oder sonstige Wahrnehmungsstörungen hat;

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• sie erste Anzeichen thrombo­­­em­bolischer Erscheinungen hat, insbesondere Atemnot, unklare Thoraxschmerzen oder Husten unklarer Ursache; • sie unklare Schmerzen in einer Extremität und/oder Schwellung eines Beines hat, vor allem nach Flug- und Busreisen; • sie sich einer geplanten Operation unterziehen muss (mindestens vier Wochen im Voraus) oder sich nach einem Unfall oder einer Operation kaum bewegen kann – falls dies nicht

möglich ist, ist eine gezielte Thromboseprophylaxe notwendig; • ihr Blutdruck plötzlich erhöht ist (bei wiederholter Messung); • Verdacht auf Herzinfarkt oder koronare Herzkrankheit besteht; • Verdacht auf Schlaganfall besteht; • sie an Gelbsucht, Hepatitis oder Juckreiz am ganzen Körper leidet; • starke Oberbauchschmerzen oder Lebervergrösserung auftreten; • sie schwanger ist oder Verdacht auf Schwangerschaft besteht.

April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Urlaub auf Familisch Mit der Nr. 1 für Familienferien Wenn die Tochter die Pille will, machen sich manche Eltern Gedan­ ken, ob dadurch die Fruchtbarkeit langfristig beeinträchtigt wird. Sibil Tschudin: «Die Fortpflanzungs­ fähigkeit wird durch die Pillenein­ nahme nicht beeinträchtigt, auch wenn diese im Langzyklus einge­ nommen wird.» Nach Absetzen der Kombinationspille, unabhängig davon, ob diese im Monats- oder Langzyklus eingenommen wurde, kommt der Zyklus in der Regel umgehend wieder in Gang.

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Susanna Steimer Miller ist Chefredaktorin des Elternratgebers «Baby & Kleinkind» und schreibt als Autorin über Gesundheits- und Ernährungsthemen.

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Kaiserhof Familotel Tiroler Zugspitzarena

Die Einnahme der Pille Die Reifung des Eibläschens und der Eisprung werden nur dann zuverlässig unterbunden, wenn die Pille regelmässig eingenommen wird. Manchen hilft eine App, um die Einnahme nicht zu vergessen (z. B. Lady Pill Reminder, myPill Erinnerung). Bei der Kombina­tionspille der zweiten Generation ist die Verhütung bei einer verspäteten Einnahme bis maximal 12 Stunden gewährleistet. Danach besteht kein zuverlässiger Schutz mehr. Bei Pillen im Monatszyklus erfolgt nach 21- bzw. 24-tägiger Einnahme eine Pause von 7 bzw. 4 Tagen. Bei der Pille im Langzyklus wird die Pille ohne Pause während 91 Tagen eingenommen. 84 Tabletten enthalten die Kombination Gestagen-Östrogen, die letzten 7 Tabletten eine niedrige Dosis Östrogen. Nach Beendigung der Packung erfolgt keine Pillenpause.

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 73

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Digital & Medial

Nicht allein, sondern online In der Facebookgruppe Basler Mamis 2.0 leisten sich Mütter gegenseitig moderne Nachbarschaftshilfe und bieten moralische Unterstützung. Dabei scheinen sie manchmal zu vergessen, dass man im Netz nie anonym ist. Text: Bianca Fritz

E

s ist in der Schweiz kein seltenes Bild: Die frisch­ gebackene Mama sitzt allein mit einem Baby und vielen neuen Fragen zu Hause. «Ist dieser Ausschlag nor­ mal?», «Warum weint das Kleine die ganze Zeit?», und wenn das Kind dann grösser ist: «Wie löst man nur diese Matheaufgabe?», «Wie krieg ich meinen Teenager vom Handy weg?» oder auch einfach nur «Es regnet! Was sollen wir mit diesem Tag anfangen?». Manche dieser Fra­ gen drängen. Man kann nicht war­ ten, bis man eine Mama mit Kindern im ähnlichen Alter trifft. Genau für solche Situationen gebe es Facebookgruppen wie die Basler Mamis 2.0, wie deren Grün­ derin erklärt. Hier antwortet nicht nur eine, hier stehen fast 3800 erfah­ rene Mamis bereit. «Wir sind besser

Besser als Google: Die Mamis bekommen auf jede Frage eine Antwort, und das mit geballter Erfahrung. 74

als Google», behauptet Sandra Hof­ stetter und führt aus: «Bei uns be­­ kommen die Mamis eine Antwort auf jede Frage. Und wir bringen unsere geballte Erfahrung mit ein.» Die 36-Jährige hat die aktivste regio­ nale Facebookgruppe für Eltern in der Schweiz (siehe Box Seite 75) vor sieben Jahren ins Leben gerufen. Heute wird die Gruppe von fünf Administratorinnen betreut. Jede steckt täglich ein bis zwei Stunden Arbeit in diese ehrenamtliche Auf­ gabe – oft noch neben Berufstätig­ keit und Kindererziehung. Die Administratorinnen sollen die Frauen wieder zur Ordnung rufen, wenn der Ton in der Gruppe zu rau wird. Bei über 50 neuen Posts pro Tag und noch mehr Kommen­ taren ist das eine Menge Arbeit. Doch die Admins wissen, bei wel­ chen Themen sie besonders auf der Hut sein und wirklich jeden Kom­ mentar mitlesen müssen. Impfen und Stillen zum Beispiel sind typische Reizthemen, bei denen gerne mal «Zickenkrieg» ausbricht, wie Sandra Hofstetter sagt. Aber auch bei Fragen, wann man den Nuggi abgewöhnen sollte (und ob es überhaupt einen geben darf) und ob Kleinkinder schon an die Fasnacht dürfen – und wenn ja, mit welchem

Gehörschutz. «Da kochen die Emo­ tionen hoch, weil jede eine Meinung hat und sie für die einzig richtige hält und dann gegenüber den ande­ ren Mamis beleidigend wird», sagt Hofstetter. «Frag nicht hier! Geh zum Arzt!»

Die Administratorinnen schreiten auch ein, wenn ein Thema nicht in die Gruppe passt, wenn es zum Bei­ spiel zu medizinisch wird. «Wir haben zwar auch Ärztinnen und Psychologinnen in unserer Gruppe, aber all die anderen Frauen geben gut gemeinte Ratschläge, die manch­ mal alles schlimmer machen», be­­ richtet Hofstetter. Ein Beispiel: Eine Mutter postete ein Bild vom Haut­ ausschlag ihres Kindes. «Die ande­ ren Mamis haben sie völlig verrückt gemacht, eine meinte sogar, dies könnte Leukämie sein!» Seither steht in den Gruppenregeln der Basler Mamis: Fragt hier nicht nach medi­ zinischen Ratschlägen, sondern geht zum Arzt! Zickenkrieg und gegenseitiges Reinsteigern in Probleme sind nur die eine Seite. Die andere Seite – und wohl auch der Grund, warum so viele Mamis an der Gruppe hän­ gen – ist die ungewöhnlich grosse Hilfsbereitschaft der Frauen unter­

April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Bild: Alexander Preobrajenski

Sandra Hofstetter (links) und Basler Mami Nicole Thomann zeigen den Erkennungspin.

einander. Die Medienwissenschaftlerin Sarah Bizzarri hat für ihre Masterarbeit ein halbes Jahr lang die Kommunikation in der Facebookgruppe untersucht und Mitglieder und Administratorinnen interviewt. Ihr Forschungsschwerpunkt lag auf der Frage, inwiefern die Mütter eine Gemeinschaft bilden, die über ein paar Kommentare bei Facebook hinausgeht. Ich komme vorbei und helfe dir

Bizzarris Ergebnis: «Wenn eine ein Problem hat, sind die anderen sofort da.» So habe sie zum Beispiel beobachtet, wie Mütter sich gegenseitig anboten, Kleider und Essen vorbeizubringen, Hilfe oder einfach Ge­ sellschaft zu leisten, wenn ein Mami im Krankenhaus lag oder zu Hause mit den Kindern überfordert war. Dabei entstünden feste Freundschaften, aber auch lose Verbindungen, die man immer wieder aktivieren könne, wenn man gerade etwas wissen oder einfach nicht allein im Park spazieren gehen wolle. Treffen im realen Leben seien keine Seltenheit, würden aber nicht

erwartet. «Das ist einzigartig: Mütter, die in unserer Gesellschaft oft isoliert sind, finden echte Hilfe, ohne sich selbst zu sehr verpflichten zu müssen», beschreibt Bizzarri ihr Ergebnis. Und fügt im Hinblick auf den manchmal sehr rauen Ton hinzu: «Ein bisschen ist das wie in einer Familie: Man streitet sich heftig. Aber man hilft sich auch, wenn es darauf ankommt.» Bizzarri schreibt in ihrem Fazit, dass sich die Trennung zwischen Online- und Offlinebeziehungen heute nicht mehr aufrechterhalten liesse. In Bezug auf Jugendliche hat man das schon häufiger gehört, in Be­­zug auf ihre Eltern oder in diesem Falle die Mütter selten. Sind wir normal?

Neben der handfesten Unterstützung – der modernen Nachbarschaftshilfe – bietet die Facebookgruppe vor allem emotionalen Beistand. Mehrmals täglich findet man hier die Frage, ob das, was man als Mami fühlt, oder das, was das Kind macht, denn normal sei. «Die gegenseitige Rückversicherung, dass man nicht >>>

Die Basler Mamis 2.0 und andere Facebookgruppen Die Facebookgruppe Basler Mamis 2.0 wurde erstmals 2010 von Sandra Hofstetter und ihrer Cousine ins Leben gerufen. Die Idee war, eine regionale Verkaufsplattform für Kindersachen anzubieten. Da der Verkauf oft für Streit sorgte, schlossen die Frauen die Gruppe wieder und gründeten 2015 die Basler Mamis 2.0 als reine Diskussionsplattform. Mit rund 3800 Mitgliedern ist sie die grösste und aktivste ortsgebundene Facebookgruppe für Mütter in der Schweiz. Der Verkauf ist jetzt ausdrücklich verboten. Sarah Bizzarri untersuchte in ihrer Masterarbeit auch andere Gruppen wie die Mamis usem Berner Oberland, Mamis usem Kanton Luzern und Umgäbig, Solothurner und Aargauer Mamis, die Thurgauer Mamis und die Mamis vom Kanton Züri. Sie alle haben weit weniger Mitglieder und Diskussionsbeiträge pro Tag als die Basler Mamis 2.0. In keiner anderen Gruppe fand die Wissenschaftlerin ausserdem einen solchen Zusammenhalt und eine solche Offenheit wie bei den Basler Mamis. Die Medienwissenschaftlerin führt dies vor allem auf die sehr aktiven und engagierten Administratorinnen in Basel zurück. Auch die Gruppe der Basler Papis, die ein Partner einer Administratorin der Basler Mamis gründete, ist eher eine stille Gruppe mit 200 Mitgliedern.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 75


Warum geben die Mamis so viel von sich preis? Viele können es selbst nicht erklären. >>> allein ist, hat einen hohen Stellenwert», sagt Bizzarri. Wie intim darf es denn sein?

Zudem wollen sich die Frauen manchmal auch einfach auskotzen. Über das Restaurant um die Ecke, das für Kinder kein Hahnenwasser servieren will, aber auch über den fünfjährigen Sohn, der sich partout weigert, selber Socken und Schuhe anzuziehen. Ja, und manchmal fallen auch böse Sätze über den Partner, von dem sich die Frauen mehr Unter-

Jetzt gewinnen!

stützung wünschen. Über den Partner und das eigene Kind im Internet schimpfen? Das Anmeldeprozedere bei den Basler Mamis vermittelt das Gefühl, dass man unter sich ist: Mitlesen können in der geschlossenen Facebookgruppe nur Mitglieder der Basler Mamis 2.0. Und Mitglied der Gruppe wird nur, wer von den Administratorinnen bestätigt wird. «Dafür prüfen wir, ob die Frau wirklich aus Basel kommt und ein realistisches Profil mit einigen Angaben und Fotos von sich hat», sagt Hofstetter. Dennoch sieht auch die Gründerin der Basler Mamis die Offenheit der Frauen kritisch. «Wir hatten schon mehrfach die Frage: ‹Wie oft habt ihr noch Sex?›, und viele haben eine Zahl genannt. Ich glaube, diese Frauen vergessen einfach, wie viele wir sind und über welche Ecken

April-Verlosung

lost  … Fritz+Fränzi ver

nze Familie a g ie d r ü f n e g 3 Übernachtun Waldhuus Davos tel im Arabella Ho . 1000.– * im Wert von Fr

Davos Klosters ist ein Ferienziel mit tausend Möglichkeiten: unterhaltsamen Erlebnisparks, wunderschönen Bikerouten in alle Seitentäler, unzähligen Bademöglichkeiten, verschiedenen Spielund Picknickplätzen oder Streichelzoos. Bereits ab einer Übernachtung profitieren Familien von freier Fahrt mit allen Bergbahnen sowie vom kostenlosen Gästeprogramm «Davos Klosters Active» mit über 70 unterschiedlichen Aktivitäten. Das Familienhotel Arabella Waldhuus mit hoteleigenem Minigolfplatz ist der ideale Ort für aktive Erholung in den Bergen. Die Jüngsten finden im neuen Globi Kids Club besondere Abenteuer, und Genuss pur verspricht der 700 m2 grosse Pool- und Wellness-Bereich. * Familienzimmer für Erwachsene und 2 Kinder bis 16 Jahre.

Mehr Infos: www.davos.ch/familien oder www.waldhuusdavos.ch Wettbewerbsteilnahme auf www.fritzundfraenzi.ch/verlosung Teilnahmeschluss: 3. Mai 2017 Teilnahme per SMS: Stichwort FF DK an 959 senden (30 Rp./SMS)


Digital & Medial

Accessoires. Hofstetter: «Ich sass in einem Internetcafé in Ägypten, und neben mir hatte eine Frau unsere Seite am PC offen. Sie postete liebe Grüsse und dass sie in Ägypten sei. Und ich antwortete ‹Ich weiss, denn ich sitze neben dir›. Das verdutzte Gesicht war grossartig.» Spätestens in diesem Moment muss der anderen Mami klargeworden sein: «Ich bin nicht nur nicht allein, sondern auch nicht anonym.» >>>

man sich kennen könnte», sagt Hofstetter. Zudem bleibt die Gefahr, dass einer, der einem Böses will, jederzeit einen Screenshot machen und ausserhalb der Gruppe verbreiten könnte. Auch Sarah Bizzarri hat in ihrer Masterarbeit festgestellt, dass die Frauen ins Straucheln kommen, wenn sie erklären sollen, warum sie in der Facebookgruppe so offenherzig sind. «Man ist halt ein Stück weit anonym», sagen sie, obwohl viele mit Profilbild und echtem Namen bei Facebook registriert sind. Und dann gibt es natürlich auch noch jene, die gar nicht unbedingt anonym bleiben wollen. Sie kaufen Buttons, Schlüsselanhänger und ­Ta­­schen mit dem Logo der Basler Mamis, damit sie einander auf der Strasse erkennen können. Manchmal braucht es dafür aber gar keine

Bianca Fritz Leiterin Online-Redaktion, liebt Facebookgruppen. Sie holt dort Rat zu Hundepflege, kauft und verkauft Gebrauchtes. Bei persönlichen Themen vertraut sie lieber auf Freunde und Familie.

ERLEB WAS. UND HILF DAMIT DEN KINDERN AUF DER WELT. Mit der spannenden Schnitzeljagd durch deine Stadt unterstützt du Hilfsprojekte.

Mit freundlicher Unterstützung von Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 77


Digital & Medial

Ich snap dir!

Bild:Swisscom

Teenager sind begeistert, Erwachsene ­verstehen es nicht. Snapchat ist der digitale Hype der jugendlichen Stunde. Wieso e­ igentlich? Text: Michael In Albon

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ür Teenager scheint die App mit dem niedlichen Geist auf gelbem Grund unverzichtbar. Das Spe­ zielle: Die versendeten Bilder können nur für ganz kurze Zeit angeschaut werden, dann ver­ schwinden sie wieder. Laut der JAMES-Studie 2016 zum Medien­ nutzungsverhalten von Jugendli­ chen hat Snapchat bei den Jüngeren inzwischen Facebook hinter sich gelassen. Die Anwendung zählt bei den Befragten zwischen 12 und 19 Jahren mit Instagram und Whats­ App zu den drei meistgenutzten Social-Media-Apps. 80 Prozent haben ein Konto bei Snapchat. Mit Snapchat haben Jugendliche einen digitalen Ort gefunden, an dem sie sich ausleben können, weil diese Plattform noch weitgehend frei von Eltern und anderen Erwach­ senen scheint. Viele Teenager nut­ zen die App für Schnappschüsse, sogenannte Snaps. Sie schiessen Fotos und legen Filter drauf – etwa fürs Gesicht oder die Umgebung. Damit können sie sich, dem Freund oder der Freundin einen Blumen­ kranz oder einen Schnauz verpas­ sen. Sticker, Malereien, Texte, Uhr­ zeit, Datum, Temperatur und Ort hinzufügen. Und besonders span­ 78

nend für die Jugendlichen: Sitzen zwei Personen nebeneinander, kön­ nen sie mittels der Funktion SwapFace die Gesichter vertauschen. Die Bilder oder kurzen Video­ sequenzen werden anschliessend direkt an Freunde verschickt oder in die sogenannte «Story» gepackt. In dieser können die Nutzer im Laufe des Tages Inhalte sammeln und so eine Geschichte erzählen, die sich die Freunde ansehen können. Snap und weg?

Viele Teenager sind auf Snapchat ein wenig mutiger als etwa auf Ins­ tagram, denn sie wissen: Die Videos verschwinden wieder – 24 Stunden bleiben die Bilder oder Videoschnip­ sel online. Und der Empfänger kann die Snaps maximal zehn Sekunden ansehen. Die Kommunikation mit den Snaps funktioniert schnell, intensiv, bunt, heftig und irgendwie schrill. Ein Abbild des Alltags von Teenagern eben: Man muss ständig präsent sein, um Aufmerksamkeit buhlen, darf nichts verpassen. Wie sicher ist die App? Dass der Empfänger einen Screenshot eines Snaps machen kann, daran denken geübte Snaper sehr wohl. Sie kennen auch die Apps, die Snapchat-Bilder speichern, SnapSave etwa. Trotzdem

bleibt es für Sie als Eltern wichtig, mit Ihren Kindern genau solche Sicherheitslücken zu besprechen. Indem Sie sich über die Anwendun­ gen Ihrer Kinder schlau machen und ihnen etwa bei Snapchat aufzei­ gen: Das Versprechen, die Bilder nach spätestens zehn Sekunden nicht mehr einsehbar zu machen, kann Snapchat nicht halten. Technik hin oder her: Jede Einschränkung ist umgehbar. Deshalb braucht es eine kritische Haltung, die uns Eltern und unsere Kinder Schritt für Schritt zu medienkompetenten Nutzern macht.

Michael In Albon

Michael In Albon ist Beauftragter Jugendmedienschutz und Experte Medienkompetenz von Swisscom.

Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive Lernmodule für den kompetenten Umgang mit digitalen Medien im Familienalltag. swisscom.ch/medienstark

April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


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Dick, schlaflos und schlecht entwickelt – sind die Medien schuld?

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Beim deutschen Jugendmedizinkongress im März haben Ärzte Alarm geschlagen. Denn die erste Aus­ wertung der BLIKK-Medien-Studie legt nahe, dass die Mediennutzung von Kindern starken Einfluss auf weitere Lebensbereiche hat. BLIKK steht für «Bewälti­ gung, Lernverhalten, Intelligenz, Kompetenz und Kommunikation», und im Rahmen einer Querschnitts­ studie wurden in 84 Arztpraxen insgesamt 5650 Patienten bis 14 Jahre befragt. Die bisherigen Ergeb­ nisse nach 3200 Auswertungen: • Im Alter bis zu sechs Jahren hängen Ausmass und Intensität des Medienkonsums eindeutig mit den von Ärzten vermehrt festgestellten Sprachentwick­ lungsstörungen zusammen. • Ab dem siebten Lebensjahr gibt es klare Zusammen­ hänge zwischen den schulischen Leistungen, ADHS sowie sozial bedingten Störungen und der Dauer der Nutzung digitaler Medien. • Im Schul- und Jugendalter treten vermehrt Schlaf­ störungen und auch Angststörungen auf. • Übergewicht im Kindes- und Jugendalter korreliert mit extremem Medienkonsum und insbesondere mit der dabei eingenommenen Menge an Süssig­ keiten und Süssgetränken. Quelle: aerztezeitung.de. In den kommenden Monaten sollen weitere Ergebnisse veröffentlicht werden – wir behalten das für Sie im Blick.

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Bilder: fotolia, ZVG

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Jetzt im Kino Junge Frauen im Bannkreis religiöser Fundamentalisten. Ein starker Film über ein aktuelles gesellschaftliches Phänomen.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 79


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Auflage (WEMF/SW-beglaubigt 2016) total verbreitet 101 725 davon verkauft 18 572

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April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Buchtipps

Fischer KJB, 2017, Fr. 17.90, ab 8 Jahren

Weg mit Knut! Bester Freund hin oder her – Knut muss weg, nur dann kann William gesund werden. Autor Jesper Wung-Sung lässt den unsichtbaren Freund zur Metapher einer Krebskrankheit werden. Hanser, 2017, Fr. 22.90, ab 12 Jahren

Crenshaw. Einmal schwarzer Kater Jacksons Familie plagen schon wieder Geldsorgen. Mit den Eltern kann Jackson nicht über seine Ängste reden – aber mit Crenshaw, dem schwarzen Kater, der jetzt für ihn da ist. Fischer Sauerländer, 2016, Fr. 17.90, ab 8 Jahren

Sie sind immer da, hören einem zu oder spenden in schwierigen Situationen Trost: die imaginären Freunde. Als Kater, Kind oder Löwe treiben sie sich auch gerne in Kinderbüchern herum.

Beste Freunde aus der Fantasie Aus dem Leben eines Unsichtbaren

Bilder: ZVG

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arlsson vom Dach ist wohl der bekannteste Vertreter seiner Gat­ tung. Der schöne, gescheite und gerade richtig dicke Mann in seinen besten Jahren – wie er sich selbst unbe­ scheiden bezeichnet – unterhält in drei Büchern von Astrid Lindgren den kleinen Lillebror und hilft ihm, mutiger und selbstsicherer zu wer­ den. Ob es Karlsson wirklich gibt? So genau lässt sich das nicht sagen. Die erwachsenen Leserinnen und Leser jedenfalls sehen in ihm gerne einen imaginären Freund – eine Figur, wie viele Kinder in einem gewissen Alter sie sich erschaffen. Imaginäre Freunde sind in der Kinderliteratur beliebt. Sie ermöglichen es, ein Alter

Ego des Kindes darzustellen, seine Gedanken mit jemandem teilen zu lassen. Kasimir Karton, zeit seines Lebens unsichtbarer Freund, erzählt nun selbst aus der misslichen Situa­ tion, in der er sich befindet. Schon immer hat er damit gelebt, dass die Bustüre vor seiner Nase zugeht, er im Turnen nie in die Mannschaft gewählt wird und die Eltern schon mal vergessen, ihm einen Gute­ nachtkuss zu geben. Aber als es traurige Gewissheit wird, dass er nur in der Fantasie seiner «Schwes­ ter» Fleur existiert, fällt für Kasimir eine Welt zusammen. Trost erhält er in der Selbsthilfegruppe der Anony­ men Eingebildeten – und bald fin­ det er auch wieder einen Freund, der ihn wirklich braucht.

Michelle Cuevas, 1982 in den USA geboren, studierte Kunst und Kreatives Schreiben.

Marta & ich Der Löwe, den Marta gemalt hat, steigt einfach aus dem Bild! Zusammen erleben die zwei in diesem fantasievollen Bilderbuch des Schweizer Illustratorinnenduos It’s Raining Elephants wilde Abenteuer. Atlantis, 2017, Fr. 29.90, ab 4 Jahren

Verfasst von Elisabeth Eggenberger, Mitarbeiterin des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien SIKJM. Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind weitere ­B­uch­empfehlungen zu finden.

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi  April 2017 81


Eine Frage – drei Meinungen

Der beste Freund unseres Sohnes, 13, betitelt alle möglichen Personen als «schwul». Wie sollen wir eingreifen, wenn fremde Kinder Schimpfwörter benutzen? Claudia, 37, und Marc, 38, Suhr AG

Nicole Althaus

Der Junge ist alt genug, um eine klare Ansage zu hören: dass «schwul» kein Schimpf­ wort ist, sondern eine sexuel­ le Ausrichtung. Dass es genau so falsch und sexistisch ist, «schwul» als Schimpfwort zu gebrauchen, wie «Nigger» rassistisch ist und dass Sie deshalb das in ihrem Haus nicht dulden.

Tonia von Gunten

Greifen Sie ein, und zwar so: «Du bezeichnest andere Men­ schen als schwul. Darüber möchte ich mit dir reden. Mich stört, dass du das sagst, und ich weiss nicht, was dar­ an lustig sein soll. Ich wün­ sche mir, dass du deinen Umgang mit Leuten über­ denkst und damit aufhörst, Mitmenschen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer sexuellen Präferenz zu belei­ digen. Wie siehst du das?»

Peter Schneider

Nicole Althaus, 48, ist Kolumnistin, Autorin und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am Sonntag». Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir eltern» und hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger. ch» initiiert und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter von zwei Kindern, 16 und 12. Tonia von Gunten, 43, ist Elterncoach, Pädagogin und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein Programm, das frische Energie in die Familien bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern, 10 und 7. Peter Schneider, 59, ist praktizierender Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent für klinische Psychologie an der Uni Zürich und ist Professor für Entwicklungspsychologie an der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines erwachsenen Sohnes. Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: redaktion@fritzundfraenzi.ch

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April 2017  Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO

Wenn der Freund Ihres Soh­ nes einen gewissen Sinn für paradoxe Ironie hätte, könn­ ten Sie ihm sagen, sie fänden den Gebrauch des Wortes «schwul» als Schimpfwort «total behindert» und wollten das Wort daher in Ihrer Gegenwart nicht mehr hören. Andererseits müssen sie auch nicht allzu hysterisch reagieren, denn ein Schwulenhasser wird man kaum deshalb, weil man in seiner unbedarften Jugend un­­ angemessenen Schimpfwörtern ausgesetzt war. Man wird auch keine Nymphomanin, weil die Freundin alles «geil» findet.


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