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POLARIZED
Deutscher Computerspielpreis 2021 für Frankfurter Entwickler POLARIZED!
Marcel-André Casasola Merkle ist Designer, Spieledesigner genauer gesagt, sowohl analog als auch digital. Mit seinem Werk Polarized!, das er mit Dominik Wagner von der Frankfurter Firma TheCodingMonkeys rea- lisiert hat, wurde ihm nun der Deutsche Computerspielpreis
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2021 verliehen. ›› Interview: Heidi Zehentner
›› Polarized! – MonkeyBox 1: 1.99 €, ›› Cards! – MonkeyBox 2: 3,49 € downloadbar im Apple App Store
Es war nicht der erste Deutsche Computerspielpreis, der Marcel-André Casasola Merkle verliehen wurde, schon 2015 erhielt er ihn für das beste mobile Spiel Rules! und ein Jahr später für das beste Familienspiel „One Button Travel“. Mit Polarized! trifft er das
Geschäftsmodell des Frankfurter Unternehmers
Dominik Wagner, der sich mit seiner Ein-Mann-
Agentur auf schnell zu spielende Projekte konzentriert hat. Polarized!! war das erste seiner Art, das
Marcel-André Casasola Merkle für TheCoding-
Monkeysprogrammiert hat. Der 44-Jährige lebt und arbeitet aktuell in München. Dein Spiel Polarized! hat den Deutschen Computerspielpreis gewonnen? Was geht da in einem vor? Das ist eine Welle guter Gefühle. Auf der einen Seite können wir das Preisgeld in die Finanzierung des nächsten Projekts stecken – das gibt Sicherheit. Auf der anderen Seite tut aber auch die Bestätigung gut. Gerade weil Handyspiele nicht immer ernst genommen werden. Dabei sind mit einem Gerät, das man bei sich trägt, so viele spannende und außergewöhnliche Konzepte möglich. Ganz abseits von den üblichen Sachen.
Was war die Begründung der Jury? Ehrlich? Ich kann es nicht sagen. Wenn die Laudatorin bei der Preisverleihung dein Spiel aus dem Umschlag zieht, dann wird alles schlagartig unscharf. Du bist wie im Tunnel. Du hörst dein Herz klopfen. Aber das Gehirn ist mit Freuen ausgelastet. Von der Begründung bekommt man da nicht viel mit. Zum Glück wird das aber alles dokumentiert. Hier die offizielle Begründung von der Webseite: „Mobile Spiele können Spieler:innen eine besondere Erfahrung bieten, wenn sie technische Funktionen des Handys oder Tablets einsetzen, um das Spielgeschehen zu beeinflussen und voranzutreiben. Dies ist auch der Fall bei Polarized!, das als Spiel eine interessante Variante des Multiple-Choice-Adventures bietet. Spielende erleben eine interaktive Geschichte, in der sie der Protagonistin Clara dabei helfen sollen, sich an die Geschehnisse einer besonderen Winternacht zu erinnern. Das Spiel macht sich die Kamerafunktion und Bilderkennung des jeweiligen Endgeräts zunutze, um von Spieler:innen festgehaltene Bildelemente mit den in der Geschichte erforderlichen Gegenständen oder Situationen abzugleichen, sodass sich Clara an den Fortgang der Geschichte erinnern kann und diese weitererzählt. Polarized! schickt Spieler:innen auf eine Schnitzeljagd, die es durchaus beabsichtigt, alle Räume der eigenen Wohnung abzusuchen oder gar fehlende Motive selbst zu zeichnen. Durch die aktive Beteiligung der Spieler*innen ist eine tiefe Immersion ins Spielgeschehen möglich, sodass die Spannung über den Ausgang des Abenteuers bis zum Spielende erhalten bleibt.“
Was kann man sich unter Polarized! vorstellen? Was genau lässt sich spielen und wohin geht die Reise? Polarized! spielt man im Raum, in der eigenen Wohnung, indem man bestimmte Gegenstände sucht und fotografiert. Thematisch geht es um Clara, die eine Lücke in in ihrem Gedächtnis hat. Was ist in dieser einen schaurigen Nacht im Winter passiert? Als Spieler versuche ich ihr zu helfen. Ich suche Gegenstände, die sie beschreibt, und mache mit dem Handy Fotos. Die Hoffnung ist, dabei Erinnerungen zu wecken. Ein Beispiel: Clara
weiß nicht mehr, wie sie ins Haus gekommen ist. Sie steht vor einer verschlossenen Tür. Meine Aufgabe ist nun, z.B. einen Schlüssel zu fotografieren. Und Clara erinnert sich: „Ah, ja. Genau. Ich hatte einen Schlüssel dabei.“ Dieses Spielsystem ist erst seit kurzem möglich. Denn dahinter steckt künstliche Intelligenz, die die Bilder des Spielers oder der Spielerin analysiert und Objekte erkennen kann. Meine Aufgabe als Entwickler war, dem Handy beizubringen, was der Unterschied zwischen einem Schuh und einer Tasse Tee ist. Das eine Objekt hat Henkel, das andere Senkel. Meine Aufgabe ist, die Algorithmen mit den richtigen Beispielbildern zu füttern. Ich musste ein Gefühl dafür entwickeln, was der Computer versteht und was nicht. Sonst hält er eine Türklinke schnell mal für eine Banane.
Wie kamst du auf die Idee für Polarized!? Wie lange dauerte die Entwicklung und hast du dies alleine umgesetzt? Das Spiel war ca. neun Monate in Entwicklung. Die erste Idee habe ich zunächst alleine umgesetzt. Aber die finale Fassung war Teamarbeit. Ich arbeite mit Dominik Wagner von TheCodingMonkeys zusammen, der mich bei der Programmierung unterstützt und das Publishing übernommen hat. Beim grafischen Konzept hat mir meine Frau Agnes Lison unter die Arme gegriffen. Sie ist Senior Art Director, macht viel Editorial, Print und grafische Konzepte. Wir sitzen im gleichen (jetzt Home-) Office und schauen uns gern mal über die Schulter. Manche Spieleprojekte entwickeln wir von Anfang an gemeinsam, andere konzeptioniere ich fast alleine, aber selbst dann ist ihr gestalterischer Einfluss eigentlich immer spürbar.
Aktuell kann man Polrarized nur auf Apple spielen, warum Apple und wann kommen die Android-Jünger:innen dran? Die aktuelle Version nutzt spezielle Apple-Technologie, die es mir ermöglicht hat, die Algorithmen direkt auf meinem eigenen Laptop zu trainieren. Das war vorher nicht so einfach möglich. Ich möchte es für die Zukunft nicht ausschließen, aber eine Umsetzung für Android ist gar nicht so trivial. Der Deutsche Computerspielpreis war mit 35.000 € dotiert. Weißt du schon, was du mit dem Geld machen wirst? Mit „Polarized! haben Dominik und ich 2020 die MonkeyBox-Reihe gestartet. Eine Serie ganz unterschiedlicher ungewöhnlicher, verspielter und experimenteller Spiele. Das zweite Spiel heißt „Cards!“ und ist vor Kurzem erschienen. Gerade sind wir wieder in der Brainstormingphase – zwei, drei vielversprechende Ideen sind da schon dabei.
Was möchtest du unbedingt noch erreichen bzw. umsetzen? Ich möchte mir gerne meinen frischen Blick auf Spiele bewahren, über den Tellerrand schauen und sehr unterschiedliche Konzepte umsetzen.
Die aktuelle Situation schränkt unsere Bewegungsfreiheit arg ein, wie gehst du damit um? Das Tollste in der Entwicklung eines Spiels ist, Menschen beim Spielen zuzusehen. Vor der Pandemie konnte ich ganz spontan mein Handy aus der Tasche ziehen und meinen Freund:innen beim Spielen zusehen. Dabei fallen Probleme im Spiel sofort auf. Das geht momentan natürlich nicht. Mittlerweile bitte ich meine Tester:innen, beim Spielen Videos aufzunehmen, die ich mir dann in Ruhe ansehen kann. Das ist nicht nur gut, um Fehler zu finden, sondern auch ungeheuer unterhaltsam.