GHOSTWRITING
Letztes Mittel bei Leistungsdruck?
TARNUMHÄNGE
AUS DEM LABOR Forschung zwischen Magie und Militär
WINTER 22/23
AUSGABE 28 UN/SICHTBAR
StuPa-WAHLEN
Juckt’s noch wen?
Studi-Tickets 8 €
Studi-Ticker
Infos zu Studierenden-Tickets aufs Smartphone
PREMIEREN 2023 Amerika von Franz Kafka / AMORE von Aram Tafreshian & Ensemble / Dschinns von Fatma Aydemir / Schlachten (3. Teil der Kriegs trilogie) mit Texten von Heiner Müller / Antigone nach Sophokles / weitere Stücke von Hakan Savaş Mican und Yael Ronen
Das Gorki ist eine teilnehmende Bühne bei der Aktion JUGENDKULTURKARTE BERLIN.
www.gorki.de
Ein Bericht für eine Akademie von Franz Kafka ANZEIGE ANZEIGE
LIEBE LESER*INNEN,
die Welt scheint momentan ganz schön beschissen. What a time to be alive im Spätkapitalismus. Da bleibt für viele Dinge, die sich nicht unmittelbar aufdrängen, kaum mehr Platz übrig – gerade an der Uni. Was verlieren wir dadurch aus den Augen? Wir wollten dieses Semester genauer hinschauen. Nicht nur schwindelig vor Nachrichten von Seminar zu Seminar taumeln, sondern genau beobachten, was sich im Kosmos FU versteckt.
Wir haben uns auf Spurensuche nach Unsichtbarem begeben: Dinge, die verborgen bleiben und Projekte, die diese sichtbar machen. Das hat uns von der Mensa II über wilde Tiere im Audimax bis hin zur Geschichte der FU-Gebäude und in den Treptower Park geführt. Wir haben uns in unserem 28. He gefragt: Was verbindet Menschen auf der Suche nach spirituellen Krä en und Naturwissenscha ler*innen aus Großbritannien?
Wie sieht der Alltag von Studierenden mit Kind aus? Was und wie schnell sind Archaea? Und wie viel kosten eigentlich Ghostwriter*innen?
Wir wünschen euch eine spannende Lektüre und die eine oder andere Enttarnung von Unsichtbarkeiten!
Im Namen der Readaktion
Laura von Welczeck, Dune Korth & Anna-Lena Schmierer
INHALT PLAYLIST
Tausche Monatsgehalt gegen Seminararbeit
Ohne sie läuft hier nichts
Unsichtbare Mitbewohnis
Ein zahnloser Tiger streift durch das Audimax
Studieren mit Kind: Who Cares?
Was siehst du?
Schattenlos
Lücken im Archiv
Unsichtbare Superheld*innen
Chatgespenster
Warum und für wen?
Vom falschen Versprechen der Freiheit
Hürdenlauf zum Studienabschluss
Unsichtbar – zu welchem Preis?
Unkonkret
Augen zu vor der Katastrophe
Der Zauber des Verborgenen
Eine musikalische Begleitung des Hefts liefern Matthis Borda und Lucie Schrage:
Anm. d. Red.: Damit wir euch die FURIOS kostenlos zur Verfügung stellen können, sind wir auf Einnahmen durch gekennzeichnete ANZEIGEN angewiesen. Werbepartnerscha en bestehen teilweise über längere Zeit. Unsere Werbepartner*innen nehmen keinerlei redaktionellen Ein uss und sind für den Inhalt ihrer Anzeigen selbst verantwortlich.
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TAUSCHE MONATSGEHALT GEGEN SEMINARARBEIT
Während bei manchen die Hausarbeitsleichen in den Untiefen der Festplatte versauern, machen es sich andere scheinbar einfach und lassen sich die Arbeit schreiben. Für den Preis eines gebrauchten Kleinwagens liefern Ghostwriter*innen alles von Referat bis Doktorarbeit. Lohnt sich das?
Text Illustration
Anna-Lena Schmierer
Kristin Lahn
Es sind Semesterferien. Du sitzt an deiner Hausarbeit, um dich herum schwitzende, eißige Mitstudierende. Vor dir die leere Seite, der Cursor blinkt: Wo anfangen? Diese 15 Seiten müssen doch irgendwie in zwei Wochen zu schreiben sein. Während du auf deinen Laptop starrst, steigt langsam die Verzweiflung in dir hoch. Am Ende des Tages hast du zwei Sätze geschrieben und sie dann direkt wieder gelöscht. Wenn doch nur jemand anderes die Arbeit für dich schreiben könnte.
Hier kommt Patrick ins Spiel. Er ist einer von tausenden Ghostwriter*innen in Deutschland. Gegen Bezahlung verfasst er wissenscha liche Texte in den Fachbereichen Politik und Wirtscha . Patrick erzählt, er habe eigentlich Lehrer werden wollen, aber nach seinem Referendariat nicht gleich eine Anschlussstelle bekommen. Deshalb sei er Ghostwriter geworden. »Ich hatte schon während meines Studiums Spaß, wissenscha liche Arbeiten zu schreiben, da war ich in meinem Element.« Wie die meisten seiner Kolleg*innen arbeite er für mehrere Ghostwriting-Agenturen gleichzeitig, nehme aber auch Au räge auf eBay Kleinanzeigen an.
Eine Arbeit in Au rag zu geben bedeute jedoch nicht, dass Klient*innen sich zurücklehnen könnten. Vielmehr komme es zur Koproduktion von Kund*in und Dienstleister*in. Jeder Schritt müsse besprochen und abgesegnet werden, denn nur so sei gute Qualität garantierbar. Patrick erklärt, gute Ghostwriter*innen schreiben jeden Text komplett neu und plagiatsfrei und nehmen auch die Kund*innen in die P icht, selbst mitzuarbeiten. »Das ist zumindest meine Herangehensweise. Mir ist wichtig, dass ein Lerne ekt da ist.« Für die meisten seiner Arbeiten hätten Studierende Einsen oder Zweien erhalten. Inzwischen könne er eine Bachelorarbeit innerhalb von zwei Tagen schreiben.
Stra ar machen sich die Agenturen und Patrick mit dem Ghostwriting nicht. O ziell erstellen sie nur Lösungsvorschläge für wissenscha liche Arbeiten. Patrick erzählt, er unterschreibe jedes Mal einen Vertrag, der das Urheberrecht an die Klient*innen weitergebe: »Im Vertrag sind alle Regelungen festgelegt, beispielsweise auch, dass beide Parteien zur Geheimhaltung verp ichtet sind. Kund*innen dürfen die Arbeit nicht in dieser Form als ihre eigene einreichen.« In der Realität passiere das natürlich trotzdem, die Agentur sei dadurch jedoch rechtlich abgesichert.
Ghostwriting in Anspruch zu nehmen, sei eine rechtliche Grauzone, erklärt Prof. Dr. Gerhard Seher, Dekan für Rechtswissenscha en an der FU. Hier greife höchstens § 132a des Strafgesetzbuches (StGB): »Wer unbefugt
[...] akademische Grade, Titel oder ö entliche Würden führt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestra .« Dafür müsse Ghostwriting aber natürlich erst einmal nachgewiesen und der Titel entzogen werden, so Seher. »Bei einer Hausarbeit können Studierende mit null Punkten rechnen. Exmatrikuliert werden sie jedoch nicht.«
Auch Patrick bestätigt, es sei schwer, Ghostwriting nachzuweisen. An der FU gibt es keine o ziellen Daten zu solchen Fällen. Dass sie aber existieren müssen, beweist die Vielzahl der online zu ndenden Agenturen. Eine wirbt beispielsweise mit über 3.000 verfügbaren Expert*innen und 18.500 betreuten Kund*innen seit 2011. Auch die Menge an Au rägen, die Patrick erhalten hat, bestätigen, wie groß der Markt für Ghostwriting ist. In den letzten eineinhalb Jahren habe er allein fast 400 Arbeiten geschrieben. Davon sei bisher nur eine enttarnt worden.
Ghostwriting wird selten entdeckt. Die Strafen sind – wenn es nicht gerade um eine Doktorarbeit geht – recht milde. Die Noten sind gut und eventuell gibt es sogar einen Lerne ekt. Das klingt auf den ersten Blick verlockend. Warum sich die Mühe nicht sparen und die Hausarbeit kaufen?
Brigitte Reysen-Kostudis von der psychologischen Beratung an der FU spricht sich deutlich gegen Ghostwriting aus: »Ich nde es durchaus kritisch und langfristig nicht empfehlenswert.« Es könne psychisch sehr belastend sein zu wissen, man habe eine wesentliche Voraussetzung für den Studienabschluss nicht gescha . Dazu komme auch die Angst, es könnte irgendwann au iegen. Sie erklärt: »Das Gefühl, versagt zu haben, geht nicht weg, wenn man eine*n Ghostwriter*in beschä igt.« Zudem mache man sich auch erpressbar, denn man könne nie sicher sein, dass Ghostwriter*innen nicht versuchen, sich für ihr Schweigen auch noch Jahre später bezahlen zu lassen.
Neben den psychischen Risiken und der moralischen Frage, ob es gegenüber den anderen Studierenden gerecht ist, sich eine Leistung zu erschleichen, bleibt auch das nanzielle Problem: Wer kann sich Ghostwriting überhaupt leisten?
Eine 15-seitige Hausarbeit kann bei den bekanntesten Agenturen gut und gerne um die 1.700 Euro kosten. Patrick sagt, er verdiene pro Seite zwischen 25 und 40 Euro. Der Preis komme auf die Agentur und das Niveau
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der Arbeit an. Bei über 4.000 geschriebenen Seiten in weniger als zwei Jahren und einem Durchschnittspreis von 32,50 Euro pro Seite wären das insgesamt über 130.000 Euro. Auf die Frage, ob er das alles versteuere, antwortet Patrick fast schon entrüstet: »Klar.« Steuerlehre sei Teil seines Studiums gewesen. Er sagt: »Ich würde niemals etwas Illegales machen.«
Warum geben Studierende überhaupt wissenscha liche Arbeiten in Au rag? Patrick erzählt: »Am Anfang dachte ich, die meisten lassen sich nur aus Faulheit etwas schreiben. Aber meine Erfahrung zeigt: Die Leute stecken fest.« Viele von ihnen hätten bereits Teile der Arbeit geschrieben, wüssten nicht mehr weiter und seien verzweifelt. Er erklärt:
Dies liege auch daran, dass Studierende sich o alleingelassen fühlten und Dozierende sie schlecht betreuten.
Ist die Betreuung an deutschen Universitäten wirklich so schlecht? Reysen-Kostudis ndet, das könne man kategorisch so nicht sagen: »Dass Probleme au auchen, kann zwar daran liegen, dass die Betreuenden nicht so engagiert sind; es kann aber auch an den Schreibenden liegen.« Beispielsweise hätten viele Studierende zu hohe Erwartungen an sich selbst. An der FU gebe es zahlreiche Hilfsangebote wie beispielsweise Schreibcafés, wo sich Studierende austauschen könnten.
Helfen diese Angebote überhaupt? Haben Menschen, die sich eine Arbeit ghostwriten lassen, zuvor ein solches Angebot in Anspruch genommen? Leider haben sich keine Studierenden gefunden, die von ihren Erfahrungen mit Ghostwriting erzählen wollten. Eine nicht-repräsentative Umfrage unter den Instagram-Follower*innen von FURIOS zeigt allerdings: Eine große Mehrheit weiß gar nicht, dass es solche Hilfsangebote an der Uni gibt. Bei denen, die sich Hilfe gesucht haben, spalten sich die Meinungen – einige waren zufrieden mit der Betreuung, etwas mehr als die Häl e jedoch nicht.
Wenn sie neben dem Studium zugleich Eltern seien oder in einer schwierigen beru ichen Situation steckten, kämen weitere Belastungen hinzu.
Reysen-Kostudis erklärt: »Hilfsangebote, wie die kostenlose Schreibberatung des Studierendenwerks, sind in der Regel nicht bekannt.« Bislang habe sie die Erfahrung gemacht, dass es mit einer Kombination aus Gruppenveranstaltungen, organisierten Schreibzeiten und regelmäßigen Terminen in der psychologischen Beratung »dann doch irgendwie ging.«
Das Phänomen Ghostwriting macht zahlreiche Problemfelder unseres akademischen und kapitalistischen Systems sichtbar. Wo landen wir, wenn Leistungsdruck und Konkurrenz immer weiter zunehmen, während die Regelstudienzeit durch die Bologna-Reform verkürzt wird und nanziell privilegierte Studierende sich ihre wissenscha liche Qualikation seitenweise kaufen können? Lässt sich das mit ein paar universitären Hilfsangeboten lösen, die für den Großteil unsichtbar sind?
Zum Schluss bleibt eine moralische Frage: Wie lässt es sich als Ghostwriter*in verantworten, Studierenden einen wichtigen Teil ihrer Quali kation abzunehmen? Patrick sagt: »Manchmal bringst du Leute durch, die es nicht verdient haben. Aber solange sie Hilfe brauchen, es mir Spaß bringt und ich daran nicht schlechter als anderswo verdiene, werde ich weiter Ghostwriter bleiben.«
sich zwei
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»Die haben Gedankenterror im Kopf.«
Anna-Lena Schmierer ist im Rahmen der Recherche bei eBay Kleinanzeigen mehrfach negativ aufgefallen.
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Anm. d. Red.: Nach Redaktionsschluss haben
Personen gefunden, die Ghostwriting in Anspruch genommen haben. Ihre Erfahrungen könnt Ihr online auf unserer Website nachlesen.
OHNE SIE LÄUFT HIER NICHTS
Wer sorgt eigentlich dafür, dass an der FU die Mägen gefüllt sind, die Lampen funktionieren und die Bücher am rechten Platz stehen? Drei Beschäftigte erzählen von ihrem Arbeitsalltag und ob Studierende auch manchmal nerven.
Interview
Fotos Caroline Blazy, Dominique Riedel Dominique Riedel, Tim Gassauer
FURIOS: Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
GERT KINNEMANN: Wenn Studierende, Lehrende oder andere Mitarbeitende der FU ein Problem haben, sei es ein technisches oder organisatorisches, geht entweder eine Meldung zur zentralen Meldewarte oder die Personen wenden sich direkt an uns. Zum Beispiel, wenn Leuchtmittel ausgefallen sind oder jemand keinen Zugang zu einem Raum hat. Wir scha en die Grundlagen, damit alle an der Universität ihre Aufgaben erledigen können. Man muss ein*e Problemlöser*in sein.
Wie ist Ihr Kontakt zu den Studierenden?
In der Frühschicht mache ich meine erste Runde, gucke was los ist. Manchmal ist eine Lampe defekt. Also muss man los und schnappt sich eine Leiter. Das sollte bis 9 Uhr erledigt sein, denn dann kommen viele Leute hierher und gucken dank des Smartphones nur so (gestikuliert so, als würde er ein Smartphone in der Hand halten, ohne auf die Umgebung zu achten). Die gucken nicht genau, ob da jemand gerade mit einer Leiter kommt, gegen den man rennen könnte.
Ansonsten funktioniert es wunderbar. Ich bin seit März 2020 an der FU und hatte noch nie mit jemandem Probleme. Das hier ist ein angenehmer Arbeitsplatz.
Gibt es etwas Skurriles, was Ihnen im Arbeitsalltag passiert ist?
Es gab eine Sache, bei der ich mir das Grinsen nicht verkneifen konnte. In der ielallee 36 gibt es eine freie Fläche mit Garten und einer Bienenwiese. Das wurde alles gekennzeichnet, aber die Mitarbeitenden des Grün ächenbetriebs haben sich für die Schilder wohl nicht weiter interessiert oder der Wind hatte sie weggeweht. Jedenfalls waren sie ganz ›happy‹, als sie gemeldet haben, dass die Wiese ordentlich gemäht wurde. Und diejenigen, die die Bienenwiese angelegt hatten, haben fast einen Schlaganfall gekriegt (lacht). Bei vielen ist noch nicht angekommen: Alles, was kreucht und eucht, ist auch wichtig. Jeder Spatz gehört mit dazu.
Sind Sie auch mal von den Studierenden genervt?
Was ich gerade für die Reinigungskrä e traurig nde, ist, dass überall Tassen und Teller außerhalb der Mensa herumstehen. Also ich könnte mir das nicht leisten, mein Geschirr irgendwo auf der anderen Straßenseite stehen zu lassen. Man kann nicht sagen: ›Wir wollen Ressourcen schonen bis zum Gehtnichtmehr‹ und dann alles irgendwo in der Pampa stehen lassen. Sowas nde ich nicht in Ordnung. Es tut ja auch nicht weh, das Geschirr zurückzubringen – zumal die Mensa ja auch Möglichkeiten dazu bietet.
Gert Kinnemann ist gelernter Heizungs-Sanitär-Monteur sowie Industriemechaniker und einer von zwölf Hausmeister*innen in der zentralen Universitätsverwaltung. Er gehört zum Team Mitte, das für die Gebäude rund um die Mensa II zuständig ist und an den gelben Arbeitsshirts zu erkennen ist.
FURIOS: Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
INA KIRSCH: Ich habe einen Mix aus alltäglicher Arbeit an der Leihstelle: Bücher ausleihen, zurückbuchen, verloren gegangene Bücher suchen und Dienst- und Urlaubspläne für die Mitarbeitenden erstellen. Dann noch die Sachen, die irgendwie besonders sind. Beispielsweise bei Buchverlusten, wenn jemand ein Buch nicht wieder ndet oder die Mahngebühren nicht zahlen möchte.
Wie ist Ihr Kontakt zu den Studierenden?
Grundsätzlich bekommen wir hier bei uns im Haus in erster Linie positives Feedback von den Studierenden. Insgesamt haben wir den Eindruck, dass wir als Bibliothek ganz gut ankommen.
Gibt es etwas Skurriles, was Ihnen im Arbeitsalltag passiert ist?
Im Sommer ist es bei uns klimatisiert. Die Leute sitzen dann gerne hier zum Arbeiten. Vor ein paar Jahren kamen auch viele Fachfremde. Das war in der Zeit, als die Studierenden bei uns noch nicht so viele Bücher ausleihen dur en. Das heißt, die Studierenden aus unserem Fachbereich waren tatsächlich auf Sitzplätze bei uns angewiesen. Da gab es dann Zugangsbeschränkungen: In der Sommerzeit
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dur en nicht alle Leute rein, beziehungsweise Fachfremde nur zu einer bestimmten Anzahl. Ich fand es amüsant, wenn die besonders eifrigen Jura-Erstis damit getönt haben, dass das ›furchtbar illegal‹ wäre und dass wir sie nicht einfach rausschmeißen könnten. Sie haben es o auch dann nicht verstanden, wenn wir auf den Aushang vom Rechtsamt der Uni verwiesen haben. Das haben wir uns ja nicht selber ausgedacht. Da gab es dann häu g Diskussionen.
Sind Sie auch mal von den Studierenden genervt?
Ja, ein bisschen. Da können die aber gar nichts für. Das ist so dieser Klassiker, wenn man mit Kund*innen arbeitet. Beispielsweise wenn die 100. Person fragt, wie das mit den Schließfächern funktioniert oder wo die Mensa ist. Da ist man schon mal genervt, aber zeigt das natürlich nicht, sondern ist genauso hö ich wie bei den 99 Menschen davor. Die meisten sind hier wirklich sehr nett, da gibt es überhaupt keine Probleme.
etwas berichtigt werden muss. Außerdem werden Bestellungen gemacht. Dann muss mit den Köch*innen besprochen werden, ob alles klar ist. Die kriegen alle ihre Rezepturen an die Hand. Zudem übernimmt die Wirtscha erin die Personaleinteilung. Zur Ö nung wird jedes Gericht abgeschmeckt und geschaut, ob alles in Ordnung ist. Es ist selten, dass dies nicht der Fall ist. Und dann ist da auch immer noch die Planung für die nächsten Tage, Personalgespräche und, und, und.
Wie ist Ihr Kontakt zu den Studierenden?
Da, wo das Essen ausgegeben wird, ist der Kontakt recht gut. Es ist ganz selten, dass da mal jemand sagt: ›Was ist denn hier los?‹ Im Gegenteil: Diese Generation ist sehr nett und freundlich. Wenn ich durch die Mensa gehe, sehe ich meistens lachende und freundliche Gesichter. Und das zeigt ja, dass man auch zufrieden ist mit dem, was wir machen.
Gibt es etwas Skurriles, was Ihnen im Arbeitsalltag passiert ist?
Eine Weile hatten wir mehrere Feueralarme pro Tag. Da mussten wir immer wieder die Geräte schnell abschalten und raus aus der Küche. Die Gäst*innen mussten auch alle raus. Es waren aber immer Fehlalarme. Dann ging es erneut los: Kaum, dass die Kolleg*innen wieder angefangen hatten, auch mit der Essensproduktion, ertönte der Alarm und alle mussten wieder raus.
Sind Sie auch mal von den Studierenden genervt?
An sich nicht, nein. Ich sehe die Studierenden in erster Linie als Gäst*innen. Das ist ja der Job, für den wir uns entschieden haben. Und wir besprechen das auch in den Meetings: Warum sind wir hier? Was machen wir hier? Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sich die Studierenden in ihrem Alltag wohl fühlen. Das hat sich auch das Studierendenwerk auf die Fahne geschrieben, das gehört dazu! Wenn ich in die Gastronomie gehe, sei es im Hotel, Restaurant oder hier, habe ich immer mit Gäst*innen zu tun und bin für sie da. Es war immer mein Credo, das auch zu vermitteln.
FURIOS: Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
THOMAS-ARNE JAROCKI: Morgens wird die Ware kontrolliert, eingegeben und die Lieferscheine müssen bestätigt werden. In der Warenannahme muss geprü werden: Ist alles in Ordnung, korrekt gestempelt und unbeschädigt? Die Menü-Displays müssen auch gep egt werden. Da kommt es mal vor, dass
Genervt? Nein, wieso? Es gibt manchmal Fragen, die für uns selbstverständlich sind. Ich sage aber, die Studierenden haben erstens das Recht zu fragen und zweitens kommen sie aus einer Vorlesung und da ist der Kopf voll.
Wir sehen das hier als Aufgabe: Wir wollen für euch da sein.
wo in
Dominique Riedel hat nicht nur eine neue Redewendung dazugelernt.
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Ina Kirsch arbeitet in der Leihstelle der Philologischen Bibliothek und ist dort die stellvertretende Leiterin.
omas-Arne Jarocki ist seit der Erö nung der Mensa II im Jahr 1983 Mitarbeiter und seit 1994 deren Leiter. Er kommt ursprünglich aus der Hotel- und Restaurantgastronomie.
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Caroline Blazy weiß jetzt,
der Mensa die Nudelmaschine steht.
UNSICHTBARE MITBEWOHNIS
Zwei Kilogramm unseres Körpergewichts bestehen aus Mikroorganismen, die auf und in uns zuhause sind. Das sind winzige zelluläre Lebewesen mit Zellkern (Eukaryoten) oder ohne (Prokaryoten). Sechs Porträts.
Text
Malin Krahn
Illustration Matthis Borda
Viren sind nicht wirklich lebendig, sondern organische Strukturen. Sie haben keinen eigenständigen Sto wechsel. Um sich zu vermehren, müssen sie andere Zellen befallen. Viruspartikel gelangen auf unterschiedliche Weise in den Körper: zum Beispiel durch Tröpfchen-, Aerosol- oder Schmierinfektion. Der Vertreter SARS-CoV-2 ist wohl im Moment der unbeliebteste Mitbewohni.
Bakterien sind Prokaryoten, lebendig und asexuell, da sie sich durch Zellteilung vermehren. Sie be nden sich fast überall in und auf dem Körper. Auf jede Körperzelle kommt etwa ein Bakterium, die meisten davon im Darm. Dort richten sie sich als Darm ora ein und beein ussen sogar Essensvorlieben. Meist sind sie für ihre unangenehmen Seiten bekannt: als Erreger für Erkältungen, Karies oder Blasenentzündungen. Gefährlich wird es, wenn Bakterien antibiotikaresistent werden.
Archaea sind Prokaryoten und heben sich durch ihre verschiedenartigen Zellwände von den Eukaryoten und Bakterien ab. Sie sind echte Überlebenskünstlerinnen: Die meisten Archaea leben in Biotopen mit extremen Lebensbedingungen. Harmlose Exemplare sind auch auf und im Menschen beheimatet. Einige Archaea sind die schnellsten Lebewesen der Erde: Sie können das 500-fache ihrer Körperlänge pro Sekunde zurücklegen.
Pilze sind Eukaryoten, aber weder Tiere noch P anzen. Sie begegnen uns als Hefepilze zum Beispiel beim Biertrinken. Harmlose Pilze leben auf der Haut und ernähren sich von abgestorbenen Hautzellen und Schweiß. Eigentlich ganz nützlich also. Ein unangenehmer Mitbewohni ist dagegen der Fußpilz: leicht übertragbar und teils resistent gegen normale Hygiene-Maßnahmen. Treu ist er auch – er kann jahrelang überleben und sich auch auf andere Körperstellen übertragen.
Mikroalgen gelangen als fancy ›Superfood‹ in unsere Körper. Sie sind reich an Nährsto en wie Omega-3-Fettsäuren, Vitaminen, Mineralsto en und Proteinen. Diese Eukaryoten sind P anzen. Auch Plasmodium, der Erreger der Malaria, lässt sich aufgrund von Leukoplasten – notwendig für die Photosynthese – als Alge identi zieren. Als ›Superfood‹ eignet er sich vielleicht aber weniger.
Protozoen sind Eukaryoten und lassen sich in vier niedlich klingende Kategorien einteilen: Wurzelfüßer, Sporen-, Wimpern- und Geißeltierchen. Viele Wissenscha ler*innen sehen die Kategorie Protozoe indes als obsolet – zu unterschiedlich seien die Tierchen. Es gibt rund so viele Arten wie Studierende an der FU (ca. 40.000). Etwa 40 von ihnen können beim Menschen Krankheiten hervorrufen.
Matthis Borda wünscht seinen Mitbewohnis jetzt vor jeder Mahlzeit ebenfalls ›Guten Appetit‹.
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EIN ZAHNLOSER TIGER STREIFT DURCH DAS AUDIMAX
Weniger als fünf Prozent der Studierenden haben sich bei der StuPa-Wahl 2023 zur Wahlurne aufgerafft. Das zeigt: Hochschulpolitik kommt den meisten völlig irrelevant vor. Warum sie aus der Unsichtbarkeit hervortreten muss. Ein Kommentar.
sind zudem schwer zu durchdringen und kaum sichtbar: Wenige wissen, wie, welche und durch wen Entscheidungen in Sachen Studium und Lehre getro en werden. Auch mögliche Alternativen zu einer FU, die immer mehr zu einem vorbildha en Unternehmen statt einer kritischen Bildungsstätte wird, sind für die meisten völlig undurchsichtig.
Stattdessen investieren Studierende ihre politische Energie lieber in Initiativen wie Fridays for Future oder Deutsche Wohnen und Co. enteignen. Diese bieten schließlich Raum für die Auseinandersetzung mit genau jenen großen emen. So lautet jedenfalls eine prominente ese zum sinkenden Interesse an studentischer Mitbestimmung.
Text
Laura von Welczeck
Illustration Dune Korth
Studierende sind dauerha mit übergroßen Krisen konfrontiert. In dieser geplagten Welt wird Nachrichtenlesen zum Jonglieren mit Feuerbällen aus Sorgen und Ängsten – an vielen Tagen scheint jede einzelne Meldung die Zuversicht für eine rosige Zukun zu schmälern. Plötzlich ist da die Pandemie inmitten derer ein Krieg in Europa ausbricht, parallel wird Energie zum Luxusgut und sämtliche Preise steigen. All das vor dem Hintergrund eines sterbenden Planeten. Machtlosigkeit wird zur anhaltenden Hintergrundmusik des Alltags.
Der studentischen Selbstverwaltung attestiert eine überragende Mehrheit der Studierenden nahezu absolute Bedeutungslosigkeit – das legt der fast 95-prozentige Nichtwähler*innenanteil bei der StuPa-Wahl 2023 nahe. Diese unterirdische Beteiligung ist sicherlich immer noch der Pandemie geschuldet. Trotzdem delegitimiert das o enkundig geringe studentische Interesse an den hochschulpolitischen Prozessen Forderungen nach stärkerer studentischer Mitbestimmung. Eine davon ist der in Hochschulgruppen noch immer laute Ruf nach Viertelparität. Diese würde den Studierenden, den wissenscha lichen Mitarbeiter*innen und den sonstigen Mitarbeitenden jeweils mehr Stimmenanteile in den Gremien verscha en, sodass diese mit den Professor*innen gleich auf wären. Damit könnten Studierende tatsächlich wirksam mitentscheiden.
Hochschulpolitisch engagierte Studierende haben es ohne breiten Rückhalt aus den eigenen Reihen immer schwerer, den politischen Raum Universität zu beanspruchen und Forderungen durchzusetzen. Zudem wurde studentische Mitbestimmung durch die Universitätsleitung im Verlauf der letzten Jahrzehnte systematisch zum Papiertiger degradiert. Das Präsidium muss dessen Beschlüsse nicht annehmen und die Statusgruppe der Professor*innen haben in allen Gremien die absolute Mehrheit. Auch dürfen sich Studierendenvertreter*innen nicht gesamtpolitisch äußern, sondern müssen stets studentische emen aufgreifen. Das spielt der katastrophalen Wahlbeteiligung direkt in die Karten.
Studentische Hochschulpolitik kämp also nicht nur gegen ihre scheinbare Irrelevanz gegenüber den großen emen unserer Zeit. Ihr fehlen auch die Werkzeuge, um studentischen Belangen Gehör zu verscha en. Zeit, den Tiger zum Zahnarzt zu schicken!
Zu schlussfolgern, dass das Desinteresse angesichts der höchstens symbolischen Rolle studentischer Beteiligung folgerichtig sei, käme einem Todesurteil für die studentische Selbstorganisation gleich. Das wäre fatal. Denn das universitäre Geschehen wirkt auch in die gesamte Gesellscha hinein. Zu welchen emen geforscht wird, wer was lehrt und wie Menschen ausgebildet werden, ist von enormer Relevanz für gesamtpolitische Fragestellungen. Man denke nur an die Unterrepräsentation sozialwissenscha licher Forschung zu Pandemie-Zeiten oder an kontroverse Wissenscha ler*innen, die großes mediales Interesse genießen.
Jene Krisen sind so omnipräsent, dass hochschulpolitische emen wie die jährliche Wahl des Studierendenparlaments (StuPa) oder die o verstaubt anmutende Gremienarbeit für viele in den Hintergrund rücken. Die Strukturen akademischer Selbstverwaltung
Studentische Mitbestimmung an der Uni ist damit keineswegs nur eine nerdige Nische. Vielmehr kann sie ein wichtiger Hebel sein, um über den universitären Kontext hinauszureichen. Statt die Hochschulpolitik in staubige Kellerräume zu verbannen, gebührt ihr ein Platz im Rampenlicht des Unialltags.
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Dune Korth mag bissige Tiger am liebsten.
STUDIEREN MIT KIND: WHO CARES?
Rucksack auf dem Rücken, Bücher unterm Arm, Mate in der Hand. Studierende mit Kind heben sich nicht wirklich von der kinderlosen Masse am Campus ab. Dass sie morgens von der Kita in den Hörsaal gehetzt sind, sieht man ihnen schließlich nicht an. Wie der Studienalltag mit Kind(ern) abläuft, erzählt FU-Studentin Maria.
8 Uhr morgens vor einem Mehrfamilienhaus in Berlin-Lankwitz. Der Winter ist eingebrochen. Im dritten Stock empfängt mich Maria herzlich in ihrer Wohnung. Maria ist 26, hat bereits eine abgeschlossene Ausbildung zur Einzelhandelskau rau, studiert im dritten Semester Bildungs- und Erziehungswissenscha en an der FU – und sie ist Mutter. Ihre Söhne Julius (4) und Joscha (2), die ich im Kinderzimmer tre e, spielen unbeirrt von meiner Anwesenheit weiter. Marias Ehemann Flo, der am Abend zuvor eine Spätschicht hatte, stellt sich gähnend zu uns. Seine Vollzeitstelle als Techniker am eater ist für ihren Lebensunterhalt als Familie unverzichtbar. Ergänzt wird sein Verdienst durch Marias BaföG und die monatlichen 300 Euro aus einem Stipendium.
Nach einer kurzen Spielrunde mit den Jungs wird es Zeit aufzubrechen. Der heutige Morgen stellt eine Ausnahme vom üblichen Tagesablauf dar. Normalerweise bringt Maria die Kinder noch vor der Uni zur Kita und Flo kümmert sich um die Abholung. Aufgrund seiner erneuten Spätschicht wird aber kurzfristig umgeplant. Das ist für Maria mittlerweile sowieso Alltag.
neu gemischt«
Aus dem CD-Player im Kinderzimmer klingen mittlerweile Geburtstagslieder. Maria beginnt vorsichtig ihre Jungs, vor allem den kleinen Joscha, auf den morgendlichen Abschied vorzubereiten. Während ›Wie schön, dass du geboren bist‹ durch die Wohnung schallt, malt sie sich und Joscha mit einem roten Filzsti jeweils ein Herz aufs Handgelenk. »Damit wir wieder drauf gucken können, wenn wir uns vermissen, Joschi«, sagt sie und streichelt ihm tröstend übers Handgelenk. Der morgendliche Trennungsschmerz vom gemütlichen Bett ist für die meisten Studierenden ohne Kind ein bekanntes Gefühl. Der zu beobachtende Abschiedsschmerz zwischen Mutter und Kind dür e allerdings den wenigsten von ihnen vertraut sein. Es sind eine Menge Emotio-
nen, die Maria jetzt schon fühlt. Dabei hat ihr Tag als Studentin noch gar nicht angefangen.
Nach intensivem Winken gehen wir aus ihrer Wohnung und raus auf die Straße. Der kleine Joscha wird oben vom Papa ans Fenster gebracht – noch mehr Winken, viele Kusshände. Auf dem Weg zur Bushaltestelle erzählt Maria, dass sie sonst eigentlich immer mit dem Fahrrad zur Uni fahre. »Ich genieße diese fünfzehn Minuten für mich sehr«, sagt sie. Sie könne dabei gedanklich gut die Rollen wechseln – von der Mutter zur Studentin. Ein Wechsel, den sie täglich mehrfach leistet.
Im Bus sprechen wir über das angebrochene Semester. Maria ist schon mitten in der Prüfungsvorbereitung. Gemeinsam mit ihrer Kommilitonin und Freundin Tabea*, ebenfalls zweifache Mutter, startet sie damit schon zu Semesterbeginn. Zu groß sei andernfalls das Risiko, dass gegen Ende des Semesters eines der Kinder krank würde und ihnen dadurch zu wenig Zeit zum Lernen bliebe. Andere kinderlose Freund*innen aus der Uni hat Maria nicht. Solche Freundscha en würden von ihr mehr Spontanität und Flexibilität erfordern, als sie au ringen kann. Schließlich müssen ihre Kinder abends gebadet, gefüttert und gekuschelt werden. Diese kostbaren Abendstunden mit ihrer Familie würde sie aber auch gar nicht gegen Barhopping eintauschen wollen.
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Text Illustration Seval Tekdal Noa Kreutz
»Die Karten werden jeden Tag
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Am Campus angekommen, gehen wir zu Marias erster Veranstaltung des Tages. Dabei erzählt sie, dass sie Erzieherin werden möchte. Erst durch ihre eigenen Kinder sei dieser Berufswunsch entstanden. Sie habe sich damals erst nach ausgiebiger Recherche für die FU entschieden, weil nur der hiesige Abschluss einer Erzieher*innenausbildung gleichwertig sei.
Seit Betreten des Unigebäudes scheint Maria eine neue Leichtigkeit gewonnen zu haben. Sie wirkt jetzt freier, jünger, irgendwie gelöster. Nur das Herz auf ihrem Handgelenk erinnert noch an die morgendliche Szene mit ihren Söhnen.
Nach den Seminaren, in denen ihre Leidenscha für ihr Studium deutlich geworden ist, setzen wir uns zusammen mit Tabea in die Mensa. Dort erzählt sie, wie es ihr mit dem Studieren als Mutter ergeht. Dass ihre Kinder schon zur Schule gehen würden, erleichtere vieles. Außerdem sei ihr Partner eine große Stütze. »Keine Ahnung, wie Alleinerziehende das hinkriegen«, sagt Tabea bewundernd. Wir sprechen auch über diverse Hilfsangebote der Uni, auf die beide schon zurückgegri en haben. So bietet der Family Service der FU beispielsweise neun über den Campus verteilte Eltern-Kind-Räume mit Laptops für Eltern und Spielsachen für ihre Kinder. Zusätzlich ermöglicht eine Vorab-Quote Studierenden mit besonderen Umständen noch vor allen anderen frühzeitig Präferenzen für Lehrveranstaltungen anzugeben. Neben Eltern wie Maria und Tabea pro tieren davon auch Studierende mit Behinderungen oder solche, die Verwandte p egen. Diese Angebote der Uni, gepaart mit institutioneller Kinderbetreuung, sind für die beiden Mütter essenziell.
Nach dem letzten Seminar stehen wir erneut an der Bushaltestelle – jetzt werden die Kinder abgeholt. Vor der Kita hebt Maria die Jungs in den Buggy und verstaut dann ihren Rucksack in der Gepäckablage. Mit Abstreifen des Rucksacks wechselt sie heute zum mittlerweile dritten Mal ihre Rolle: Von der Studentin zurück zur Mutter.
Beim Abendessen reden wir über die Unsichtbarkeit von Care-Arbeit – de niert von der Bundeszentrale für politische Bildung als »Tätigkeit des Sorgens und Sichkümmerns«. Dies umfasst nicht zuletzt auch alle Bereiche der Elternscha : Gute-Nacht-Geschichten lesen, Wunden heilepusten, Spiele er nden. Maria ist gerne Mutter. Das sagt sie und das merkt man auch. Daran, wie sie mit und wie sie über ihre Jungs redet. Sie ist auch gerne
Studentin. Und gerne einfach nur Maria. In einem System, das Care-Arbeit nicht entlohnt, ist sie jedoch gezwungen, diese drei Rollen immer gleichzeitig zu erfüllen. Zu versuchen, allen möglichst gerecht zu werden und daran nicht kaputt zu gehen. Wünschen würde sie sich daher ein anderes Modell: Die Anerkennung von CareArbeit als eben genau das: Arbeit. Und damit beispielsweise die Möglichkeit, Elternscha bis zum sechsten Lebensjahr des Kindes als Vollzeitjob anerkennen zu lassen und staatlich entsprechend zu entlohnen. »Das wäre ein deutlich faireres Konzept von Elternscha und würde Eltern die Möglichkeit geben, selbstständig und ohne nanziellen Druck zu entscheiden, wie sie ihr Leben rund um Care- und Lohnarbeit konkret gestalten wollen.«
Auf die Frage, ob sie sich als Studentin mit Kind gesehen fühlt, antwortet Maria: »Ja, zu großen Teilen schon.« Sie räumt aber auch ein, dass sie sich von Lehrenden und anderen Studierenden manchmal mehr Verständnis wünscht. In der Konzeption der Lehrveranstaltungen beispielsweise, wenn es darum geht, schon zu Beginn des Semesters Prüfungsrelevantes herauszustellen, damit Menschen mit Doppelbelastungen sich bereits früher vorbereiten können.
Marias Fähigkeit, all ihre Aufgaben und Rollen parallel zu navigieren und ihnen bestmöglich gerecht zu werden, ist bewundernswert. Aber sie ist eben auch Konsequenz der Ignoranz eines politischen Systems, dass diese tägliche Spaltung des eigenen Ichs in diverse Rollen überhaupt erst erfordert. Besonders an Personen, die weiblich gelesen werden, werden durch das im Patriarchat etablierte Bild der sich aufopfernden Mutter hohe Erwartungen gestellt.
Die Entscheidung, private Einblicke in ihren Alltag als Studentin und als Mutter zu geben, hat Maria vor allem getro en, um die Sichtbarkeit für das Studieren mit Kind zu erhöhen. Sie selbst habe vor Beginn des Studiums viel im Internet nach Erfahrungsberichten anderer Eltern gesucht – ohne Erfolg. »Deswegen möchte ich anderen Suchenden zeigen: Ja, es ist schwer. Aber es ist machbar« , sagt sie zum Abschied. Ihr Blick ist fest: »Es ist zu scha en!«
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»Die Morgen und Abende als Familie sind für mich die schönste Zeit des Tages«
Seval Tekdal hat in ihrer Rolle als rasende Reporterin neue Systemwut entwickelt.
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* Anm. d. Red.: Der Name wurde geändert.
WAS SIEHST DU?
Das menschliche Sehsystem lässt sich leicht durch optische Illusionen täuschen. Ist nur ein Teil der Informationen vorhanden, ergänzt das Gehirn den Rest und kommt so schnell zu falschen Annahmen. Doppelbilder wechseln auf den zweiten Blick die Gestalt und machen zuerst Unsichtbares sichtbar. Eine Auswahl zum Gehirnjogging.
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Illustration Quirin Kasenbacher
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Quirin Kasenbacher gibt sich auch manchmal seinen Illusionen hin.
SCHATTENLOS
Eine Kurzgeschichte.
Ich kann mich nicht an den genauen Tag erinnern, an dem ich unsichtbar wurde. Ich habe es erst gar nicht bemerkt, es passierte sozusagen bei Nacht und Nebel. Nach vier Online-Semestern ging ich nun Tag für Tag in die Uni und versuchte, nicht aufzufallen. Während mein Gehirn das ›Dü-Düt‹, das ertönt, wenn eine Person dem Webex-Raum beitritt, subtil der Szenerie vor Ort hinzufügte, war ich wie gewohnt nur eine Kachel ohne Bild. Doch als der Dozent meinen Namen aus der Anwesenheitsliste vorlas und meine Meldung nicht sah, hatte ich eine O enbarung.
Vielleicht hätte ich einfach etwas sagen sollen. Ich bin schließlich unsichtbar — nicht unhörbar. Doch so ist es einfacher, niemand verurteilt mich. Ich schaue an mir herab und sehe nichts. Dieser Körper, der sich so falsch anfühlte, ist verschwunden. Jetzt fühle ich ihn nur noch, anders, aber nicht falsch. Zum ersten Mal ziehe ich nicht unbewusst meinen Bauch ein. Unsichtbar sein ist ein Schutzanzug vor fremden Blicken, aber auch vor meinen eigenen.
Ein Test. Charlie neben mir, den Namen habe ich aus Gesprächen aufgeschnappt, hat immer zwei Schokoriegel dabei. Bei Beginn der Vorlesung legt Charlie sie rechts parallel zueinander neben die Wasser asche. Ich verschiebe einen. Charlie merkt nichts. Das nächste Mal bin ich mutiger. Ich ö ne einen der Riegel. Als dies unbemerkt bleibt, beiße ich ab und lege ihn schnell zurück. Ein kleines Gefühl der Macht. Die Reaktion, als Charlie es bemerkt, löst bei mir einen Adrenalinkick aus. Der Gesichtsausdruck ist witzig, so süß irritiert und schwer beunruhigt. Ich kann den Gedankengang an der zuckenden Nase erkennen. Nervöse Finger iegen über die Tastatur. Charlie schreibt einer Freundin und beißt schließlich selbst ab.
Auch das Essen aus der Mensa schmeckt besser, wenn man es sich häppchenweise von den Tellern der von ihren Smartphones abgelenkten Studierenden zusammenklaut. Natürlich könnte ich auch mit einem voll beladenen Teller Nudelau auf an der Kasse vorbeischleichen und umsonst essen, aber wo bleibt da der Spaß?
Die nächste Woche. Langsam werde ich übermütig. Ich stelle mich mitten im Hörsaal auf einen Stuhl. Etliche Blicke, die mich durchbohren, und ich genieße es. Sie sehen durch mich hindurch, doch ich sehe in sie hinein. Nie war es so einfach, Menschen kennenzulernen ohne mich selbst einzubringen. Ich schreibe auf ein fremdes Blatt: »My non-existence gives me comfort.«
Es ist schon schräg. Seit ich unsichtbar bin,
fühle ich mich anderen Menschen so viel näher. Als hätte ich nur diesen Schutzanzug gebraucht, um endlich ihre Anziehung zu spüren. Ich hatte gedacht, unsichtbar zu sein, hieße, frei zu sein. Doch stattdessen binde ich die gelösten Fesseln an mein Herz und lasse mich ziehen. Erst jetzt ist mir klar geworden, dass ich vielleicht gar nicht frei sein will. Was ich wirklich will, ist, den Anderen nah zu sein. Jetzt werde ich wahrgenommen und das Verrückte ist: Es gefällt mir. Jetzt, wo niemand mich sieht, erschrecken sie bei meiner zarten Stimme neben ihren Ohren, die so tut, als wäre sie ihr Gewissen. Jetzt stellen sich ihre Nackenhaare auf. Ich bin wie die unerfüllten Träume ihrer Eltern, Laktose oder das Patriarchat. Ich habe Macht über ihre Körper. Ich habe nachgedacht und ich glaube, ich bin ein Poltergeist, der Streiche spielt und Menschen erschreckt. Ich entspreche nicht der typischen Vorstellung einer unsichtbaren Person. Es erregt mich einfach nicht, in Toiletten auf Genitalienjagd zu gehen. Es ist nicht der Reiz des Verbotenen, der mir mein Adrenalin verscha . Es ist mein Schatten, der verschwunden ist, seit ich unsichtbar bin. Nun ist jeder Sprung leicht. Und wäre mein Schatten noch da, ich hätte ihn längst überwunden.
Selbstbewusst streife ich durch den Hörsaal. Meine Hand gleitet die Stühle entlang. Ich habe in alle meine Initialen eingeritzt. Ich gehe einige Schritte weiter hoch, bis ich jeden Stuhl in der Reihe berührt habe, und schaue zurück. Mein Blick wandert zur Tür und dort stehe ich. Ich schaue mich an. Das bin nicht ich, das war ich. Das andere Ich schaut an mir vorbei, neben mich. Dort lässt Charlie gerade einen Sti fallen. Ich hebe ihn auf, ich schaue Charlie an, Charlie schaut mich an und sagt: »Danke«. Mein altes Ich verschwunden, unsichtbar.
Borda hat seinen eigenen Schatten noch nicht überwunden.
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Text
Illustration
Matthis Borda
Johanna Böker
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Matthis
LÜCKEN IM ARCHIV
Jeder Ort hat eine Geschichte zu erzählen. Ob daran erinnert wird und was gesellschaftlich sichtbar bleibt, ist immer auch eine Frage von Machtverhältnissen. Eine Spurensuche durch Berlin.
Text & Fotos
Ella Rendtorff
Laura von Welczeck
Ella Rendtorff
Früher Vormittag, die U3 in Richtung Krumme Lanke schließt mit einem Piepen die Türen und hinterlässt einen Schwarm von Studierenden auf dem Bahnsteig. In Gedanken schon bei der bevorstehenden Veranstaltung, strömen sie Richtung FU: von Dahlem-Dorf über die Takustraße bis zum Henry-FordBau, dann durch die Ihnestraße zum Hörsaal. Wege, die viele Studierende und Beschä igte der FU täglich gehen. Mit den Gedanken in der Gegenwart und den Blick gen Zukun gerichtet, bleibt die Vergangenheit der täglich passierten Gebäude und Straßen in den meisten Momenten unsichtbar.
Bei genauerem Hinsehen entdeckt man neben dem Haupteingang des Otto-Suhr-Instituts in der Ihnestraße 22 eine bronzefarbene Gedenktafel: »In diesem Gebäude befand sich von 1927 bis 1945 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik«, kurz KWI-A. Unter der Leitung von Eugen Fischer und Otmar von Verschuer wurden hier biomedizinische Forschungen und Versuche zur Legitimation einer vermeintlichen ›Rassenhygiene‹ unternommen, die in enger Verbindung mit dem nationalsozialistischen Regime und der deutschen Kolonialgeschichte stehen.
Die Forschenden des Projekts Geschichte der Ihnestraße 22 haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerung an die gewaltsame Vergangenheit der Wissenscha in Dahlem zu stärken. Politikstudentin Danna Marshall arbeitet im Rahmen des Projekts an der Konzeption einer Ausstellung mit, die im und um das Institutsgebäude installiert werden soll. Ziel sei es, die problematische Geschichte dieses Ortes sichtbar zu machen und die Erinnerung daran in den Studienalltag zu integrieren. An der Geschichte des Gebäudes zeigt sich, laut Danna, dass Verbindungen zwischen Kolonialgeschichte und Nationalsozialismus bestehen und welche historische Kontinuitäten es hier gibt.
An wen oder was erinnert wird und welche Perspektive sich über die Zeit festschreibt, hängt von gesellscha lichen Machtverhältnissen ab. Wie ein Umgang damit aussehen könnte, wird seit einigen Jahren in der Ö entlichkeit sowie in der Wissenscha diskutiert. FU-Historiker Marc Buggeln beschreibt das Bemühen um eine gleichwertige kollektive Erinnerung an verschiedene Ereignisse mit dem Begri der ›multidirektionalen Erinnerung‹. Dieser theoretische Ansatz solle es ermöglichen, »unterschiedliche Formen von Erinnerungen an historische Ereignisse in ihrer Verschränktheit zu denken«. Dies wird auch am KWI-A deutlich. Um die Erinnerung an vorbelastete Orte wachzurütteln, bedarf es aber nicht nur theoretischer Überlegungen: Letztendlich, so Marc Buggeln, hänge es davon ab, ob die Zivilgesellscha sich für die Geschichte eines Ortes interessiere und ob es Menschen gebe, die sich dafür stark machten, an diese zu erinnern.
Perspektivwechsel – zurück in die U3, ein Umstieg und dann mit der Ringbahn bis zum Treptower Park. Hier, zwischen dichten Bäumen und einem angelegten Teich, ist mithilfe von zivilgesellscha lichem Engagement ein solcher Erinnerungsort entstanden. Au auend auf einem Projekt der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland haben die Künstler*innen und Aktivist*innen Vincent Bababoutilabo und Joel Vogel einen interaktiven Hörspaziergang entwickelt. Dieser erinnert an die Geschichten von 106 Schwarzen Menschen, die sich 1896 aus den damaligen Kolonien für die erste deutsche Kolonialausstellung auf den Weg nach Berlin machten. Einen Sommer lang sollten sie im Treptower Park in eigens dafür errichteten Kulissendörfern leben und arbeiten. Als Schausteller*innen wurden sie dafür engagiert, den Besuchenden eine koloniale Inszenierung des Lebens
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und der Bräuche aus ihren Herkun sländern zu bieten. Dabei wurden die Menschen sowohl auf exotisierende Weise zur Schau gestellt, als auch rassistischen anthropologischen Untersuchungen unterzogen. Im Hörspaziergang zurückERZÄHLT stellen Vincent und Joel die archivarisch übermittelte Geschichte auf den Kopf. Anstatt rassistisches Archivmaterial zu reproduzieren, werden hier individuelle Biographien laut. Der Hörspaziergang vermittelt so nicht nur historisch-koloniale Lebensrealität, sondern erzählt vielmehr eine Geschichte des Au egehrens.
Was haben die Schausteller*innen in diesem Sommer erlebt, gesehen, gefühlt? Um diese individuellen Erinnerungen aus dem Schleier des kolonialen Archivmaterials zu befreien, haben Joel und Vincent auf die Methode des ›kritischen Fabulierens‹ zurückgegri en. Entwickelt von der Historikerin und Literaturwissenscha lerin Saidiya Hartmann, geht es hier darum, Lücken im historischen Material bewusst zu nutzen und so Raum für unerzählte Geschichte(n) zu scha en. Angeleitet von der spekulativen Leitfrage ›Was wäre, wenn…?‹ werden überlieferte Puzzlestücke der Geschichte neu zusammengesetzt und weitergesponnen. Durch die Recherche für den Hörspaziergang konnten viele kleine und große Widerstandsakte der 106 Menschen rekonstruiert werden.
Die beiden erzählen eine der so entstandenen Geschichten: Die Materialien zur Kolonialausstellung im Treptower Park belegen, dass sich 1896 eine Gruppe von Menschen von Papua-Neuguinea aus per Schi auf den Weg nach Berlin machte, um dort auf der Ausstellung zu arbeiten. Tatsächlich angekommen sind nur die Männer, die Frauen sind unterwegs umgekehrt. Was ist geschehen? Was lässt sich in dieser Lücke nden? Joel und Vincent haben recherchiert: O enbar wurden Besitz und Erbe traditionell über die mütterliche Seite der Familie weitergegeben. Allerdings kam es wohl zu Deals zwischen Männern vom Schi und Kolonialist*innen über diesen Landbesitz. An dieser Stelle beginnen Joel und Vincent mit der kritischen Fabulation: Was wäre also, wenn es zu einem kollektiven Au egehren der Frauen an Bord gekommen ist? Gut möglich, dass es auf dem Schi zu einem Protest, einem feministischen Akt des Widerstands kam.
»Wir haben nicht so viel Angst vor Fantasie«, sagt Joel im Gespräch. Indem zurückERZÄHLT neben belegten Fakten auch ktive Momente erzählerisch au ereitet, werden die Zuhörenden nicht nur informiert, sondern auch involviert. In dieser künstlerischen Auseinandersetzung mit kolonialer Erinnerung sehen Joel und Vincent einen klaren Vorteil: »Was wir eine Milliarde mal besser können als jede Wissenscha , ist Vermittlung.« Über das Hören werde die augenscheinlich unsichtbare Geschichte des Treptower Parks in der Vorstellungskra der Zuhörenden sichtbar gemacht.
es hier viel Potential für kritische Re exion.
Nicht nur die Ihnestraße 22 ist Schauplatz erinnerungspolitischer Kämpfe an der FU. Die Namensgebung des Henry-FordBaus wird schon lange diskutiert und für die Iltis-, Taku- und Lansstraße fordern Initiativen ebenfalls Umbenennungen. Im Hörspaziergang heißt es: »Jeder Ort hat eine Geschichte zu erzählen. Nein, nicht eine, sondern viele.« Was wäre, wenn in Zukun die Vergangenheit des heutigen Otto-Suhr-Instituts und anderer Gebäude in Dahlem sichtbarer wäre? Würden wir unser wissenscha liches und politisches Handeln anders betrachten?
Für Joel und Vincent ist der Blick zurück in die Geschichte »auch ein Blick nach vorne«. Denn die Kämpfe von gestern seien nicht abgeschlossen, sondern würden marginalisierte Gruppen auch heute noch dazu ermutigen, für gleiche Rechte und mehr Sichtbarkeit in der Gesellscha von morgen einzustehen.
Zurück zur FU, in die Ihnestraße, in Dannas Büro. Danna macht deutlich, dass wissenscha liche und menschenfeindliche Praxis in der Vergangenheit o zusammenhingen. Daher sei es besonders wichtig, ethische Aspekte in der Wissensproduktion mitzudenken. Man müsse wachsam sein und die Objektivität von Forschung auch rückwirkend immer wieder aufs Neue hinterfragen. Gerade das KWI-A sei »ein gutes Beispiel für die ambivalenten Beziehungen zwischen Wissenscha und Politik, aber auch die Ver echtungen zwischen Rassismus, Antisemitismus sowie Ableismus«. Besonders weil die FU und das Otto-Suhr-Institut noch immer Orte der Forschung seien, gebe
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»Die Leerstellen als Ausgangspunkt für Geschichten zu nehmen, war für mich mit der stärkste Moment«
Vincent Bababoutilabo
»Schau mal: Das Wasser, es ist immer da [...]. Es verbindet hier und drüben,das Jetzt und die Geschichte, um die es hier geht.« zurückERZÄHLT
Laura von Welczeck möchte jetzt öfter aufmerksam in Lücken hineinhorchen. UN/SICHTBAR FURIOS 28 UN/SICHTBAR UN/SICHTBAR FURIOS 28 UN/SICHTBAR
Ella Rendtorff kennt jetzt jeden Stolperstein in Dahlem.
UNSICHTBARE SUPERHELD*INNEN
Text
Illustration Design
Malin Krahn
Laura von Welczeck
Friedrich Klingenhage
Schnapp‘ dir deine Freund*innen und einen Würfel oder eine Würfel-App und navigiert eure Wege durch das Spielfeld bis hin zu eurer*eurem Superheld*in. Bei manchen Feldern führt dich deine Antwort zum nächsten Feld, bei anderen musst du würfeln. Aber Obacht: Es lauern unsichtbare Gefahren!
Violet Parr Großen Menschenmengen und sozialen Interaktionen gehst du lieber aus dem Weg. Dein Go-To in solchen Situationen: Kop örer rein, Haare vors Gesicht und schon hast du dich à la Violet Parr unsichtbar gemacht.
VP
Mit viel Milch und Zucker!
WIE TRINKST DU DEINEN KAFFEE?
Schwarz. Ich trink‘ lieber Mate.
AS
Arya Stark Du liebst es, dich zu verkleiden und unterschiedliche Seiten von dir zu zeigen. Auch wenn du deine Gesichter noch nicht ganz so mühelos wechseln kannst wie Arya, funktioniert das o trotzdem so gut, dass du auf den ersten Blick gar nicht wiederzuerkennen bist.
START: WÜRDEST DU ALS SUPERHELD*IN EINEN UMHANG TRAGEN?
Ja, klar! Das ist der wichtigste Teil des Outfits!
„No Capes!“
! Du hast Rückenwind, würfle nochmal!
Wenn ich die Plichtlektüre nicht gelesen habe und aufgerufen werde.
IN WELCHEN SITUATIONEN WÜRDEST DU DICH GERNE UNSICHTBAR MACHEN?
meine der der spieler*in-
Um geheime Orte zu erkunden.
In Notsituationen
Um bei Klausuren zu spicken. mutige
! Die unsichtbare Hand des Marktes hat dich erwischt. Du musst Weggeld bezahlen: Gehe 3 Felder zurück.
! Aus dem Nichts kommt ein Tornado und wirbelt dich 6 Felder zurück.
GLAUBST DU AN GOTT/GÖTT*INNEN?
Nein! Ja!
Gruselig!
WARST DU AN HALLOWEEN VERKLEIDET?
Natürlich!
! Huch! Ein Flaschengeist hat sich vor dir entkorkt! Schnell, flüchte zwei Felder nach vorn, bevor er dich einnebelt.
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AS
! ! !
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Ich wähle meine Romcom nach der Hotness der Schauspieler*innen aus.
WAS GUCKST DU AM LIEBSTEN?
WIE ARBEITEST DU LIEBER?
Im Team.
Allein.
Ja, auf jeden Fall!
WÜRDEST DU DICH ALS FAMILIÄRE PERSON BESCHREIBEN?
DS
Ne, eher nicht so.
Eine starke, mutige Protagonistin.
Hauptsache lustig!
Extrovertiert.
WAS BIST DU EHER?
Irgendwas dazwischen.
Introvertriert.
Ja, natürlich!
Bunt, viele Muster, etc. –Thrift-Queen.
WAS BESCHREIBT DEINEN KLEIDERSCHRANK AM BESTEN?
Schwarz.
! Nebelgefahr –schlechte Sicht. Würfle eine 6, um weiter zukommen.
Invisible String von Taylor Swift.
Doktor Strange Du bist eine sehr fantasievolle Person und tauchst gerne in andere Welten ab. Wenn du mal wieder in ein anderes Universum abdri est, in welchem deine Klamotten zum Leben erwachen, kann es schon mal passieren, dass du die Wirklichkeit vergisst und ein paar Runden mit der Ringbahn drehst.
WÄGST DU ALLE OPTIONEN AB, BEVOR DU EINE EINTSCHEIDUNG TRIFFST?
Ne, ich verlass‘ mich eher auf mein Bauchgefühl.
Loki Du nimmst das Leben nicht zu ernst und würdest deine Superkra wie der Gott des Schabernacks vor allem dafür nutzen, dir den einen oder anderen Spaß zu erlauben. Unter deinen Freund*innen bist du auch jetzt schon als Spaßvogel bekannt. Dein Verhältnis zu deinen Geschwistern könnte man als durchwachsen bezeichnen, wenn es aber drauf ankommt, seid ihr füreinander da.
HINTER DIESER TÜR SCHLUMMERT FLUFFY, DER 3-KÖPFIGE HUND, WELCHES LIED SPIELST DU IHM VOR?
Unsichtbar von Farin Urlaub.
HP HP
Harry Potter Du scheinst Abenteuer magisch anzuziehen. Deine Neugier treibt dich immer wieder dazu, neue Orte zu entdecken. Wie Harry würdest du den Tarnumhang dafür nutzen, verbotene Orte zu erkunden und für das Gute in der Welt zu kämpfen. Am liebsten sti est du natürlich deine Freund*innen dazu an, mitzukommen!
Malin Krahn ist noch auf der Suche nach ihrer unsichtbaren Superkraft.
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L
Ne…
! Du rennst gegen eine Glastür, setzte eine Runde aus.
! ! ! ! FURIOS 28 UN/SICHTBAR UN/SICHTBAR FURIOS 28 UN/SICHTBAR
! Du wurdest von deinem Schwarm geghostet. Iss zwei Becher Eiscreme und geh‘ zum Romcom-Feld.
CHATGESPENSTER
Alle finden Ghosting blöd, machen’s aber selber. Egal ob auf Tinder oder in der Referatsgruppe – Ghosts verflüchtigen sich inzwischen überall. Ein Plädoyer für das Ende der Doppelmoral.
Julia Schmit
Malin Krahn
Es ist das Jahr eins Prä-Corona, ich bin auf Bumble unterwegs und stoße auf das Pro l von einem süßen Dude, nennen wir ihn Bob. Wir matchen, wir tre en uns, wir knutschen ein bisschen rum. Nach ein paar Tre en antwortet er jedoch nicht mehr auf meine Nachrichten. Kein Anruf, keine Erklärung, keine
kündigte Kontaktabbruch einer Person. Wie ein Geist, der abrupt unsichtbar wird, verschwindet jemand aus deinem Leben. Seinen Ursprung hat der Begri im Online-Dating, inzwischen kann dich jede*r ghosten: dein Dealer, deine Professorin, das BAföG-Amt. Ghosting ist in aller Munde: Zahllose Artikel, Podcasts und Videos widmen sich der ematik. Sogar Krankenkassen wie die AOK verö entlichen auf ihren Webseiten Tipps für Ghosting-Opfer und machen auf negative Folgen für die psychische Gesundheit aufmerksam.
Dating-Apps und soziale Netzwerke haben unsere Kommunikation im letzten Jahrzehnt grundlegend verändert. Man kann mit hunderten Menschen gleichzeitig in Kontakt stehen. Mit genauso vielen kann man den Kontakt aber auch abbrechen – und das kann wehtun. Sind Tinder, Hinge und Co. Schuld an diesem Phänomen? Oder ist Ghosting nur ein neuer Name für ein altes Muster? Wenn Elif aus der Parallelklasse mich auf dem Pausenhof nicht mehr grüßte oder mein Opa meine Oma nicht zum Tanztee abholte, wurden wir dann geghostet?
Laut einer nicht-repräsentativen Umfrage in meinem Freund*innenkreis wurden 80 Prozent der Berliner Studierenden schon einmal geghostet; die meisten von üchtigen Bekanntscha en oder ver ossenen Lovern. Es gibt auch noch schlimmere Fälle, zum Beispiel enge Freund*innen, die sich nach jahrelanger Beziehung plötzlich nicht mehr melden. Jedes Ghosting hinterlässt ein ungutes Gefühl. Man fühlt sich austauschbar und hintergangen. Danach kommen die quälenden Fragen: Habe ich etwas falsch gemacht? Das Selbstwertgefühl rutscht in den Keller.
So weit, so unschön. Aber ich muss beichten: Auch ich bin ein Ghost. Auch ich gehe unangenehmen Gesprächen lieber aus dem Weg und ziehe mich ghostend aus der A äre. Anstatt der penetranten Kollegin zu sagen, dass ich an privatem Kontakt kein Interesse habe, ignoriere ich ihre Nachrichten und ho e, dass sie es von alleine kapiert. Gute und ehrliche Kommunikation ist nun mal schwer und anstrengend – meine Kon iktscheue tut ihr Übriges. Obwohl ich weiß, wie schlecht es sich anfühlt, geghostet zu werden, mache ich es selbst nicht besser. Damit bin ich nicht alleine, denn meine Umfrage bestätigt eine Vermutung: Fast alle, die schon mal geghostet wurden, fanden es unfair oder verletzend, aber ghosten selbst eißig weiter.
Ghosting wird o als Symptom von emotionaler Unreife gesehen. Ghosts wissen nicht, wie sie ihre Bedürfnisse und Gefühle adäquat mitteilen können. Stattdessen verschwinden sie aus dem Leben ihrer Opfer und spuken nur noch in deren Erinnerungen herum. Sind Ghosts also feige und es? Ganz so eindeutig ist es nicht, denn auch sie haben ambivalente Gefühle. Psycholog*innen am St. Mary’s College in Maryland haben unlängst herausgefunden, dass viele Ghosts nach dem Kontaktabbruch zwar Erleichterung, allerdings auch quälende Schuldgefühle emp nden.
Lange dachte ich, es sei netter, jemandem einfach nicht mehr zu schreiben, als zu erklären, warum ich mich distanziere. Heute sehe ich das anders. Es ist Zeit, den toxischen Ghosting-Teufelskreis zu durchbrechen! Unsichtbarwerden kann auch respektvoll angekündigt werden – im Sinne empowernden Datings und gegenseitiger Wertschätzung. Diese eine Nachricht zu schreiben, dauert nur einen Augenblick und führt zu einer faireren und verantwortungsvolleren Kommunikation. Wenn Bob bei Sonnenaufgang nicht neben mir liegt, ist das okay. Aber ich sollte wissen, wieso.
Aussprache. Die blauen Häkchen auf WhatsApp starren mich an und üstern: »Er mag dich nicht mehr.« Bob hat mich geghostet.
Ghosting ist der plötzliche und unange-
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Julia Schmit wird gerade von ihrer Katze geghostet.
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WARUM UND FÜR WEN?
Für Nicht-Wissenschaftler*innen ist Forschung oft ein Buch mit sieben Siegeln. Wissenschaftskommunikation will das ändern und versucht zu vermitteln – mit unterschiedlichsten Formaten von Science Slams bis Twitterthreads. Was und wer dennoch unsichtbar bleibt, erzählt Liliann Fischer im Interview.
Im Kontext der Pandemie war immer wieder von einem mangelhaften Vertrauen in die Wissenschaft die Rede. Gibt es eine Vertrauenskrise?
Laute Stimmen, gerade von Querdenkenden und Wissenscha sleugnenden, lassen eine Krise vermuten. Doch Daten, die Wissenscha im Dialog jährlich im Rahmen des Wissenscha sbarometers erhebt, zeigen, dass das nicht der Fall ist. Zu Beginn der Pandemie gab es einen enormen Anstieg des Vertrauens in die Wissenscha . Dieses sinkt zwar wieder, ist aber immer noch höher als vor der Pandemie – 2021 gaben 61 Prozent der Befragten an in Wissenscha und Forschung zu vertrauen, 2017 war es nur knapp die Häl e der Bevölkerung.
Sollten alle Wissenschaftler*innen ihre Erkenntnisse an die nicht-akademische Öffentlichkeit tragen?
Liliann Fischer ist Projektleiterin und wissenscha liche Mitarbeiterin der Transfer Unit bei Wissenscha im Dialog, wo sie daran arbeitet, Forschung und Praxis der Wissenscha skommunikation zusammenzubringen. Das Verbundprojekt in Kooperation mit der Berlin-Branden-
FURIOS: Liliann, welche Bereiche der Forschung werden durch Wissenschaftskommunikation besonders sichtbar?
LILIANN FISCHER: Ein starker Fokus liegt traditionell auf dem MINT-Bereich. Hier soll so insbesondere weiblicher Nachwuchs gefördert werden. Naturwissenscha liche emen gelten außerdem o als leichter vermittelbar – jede*r ndet beispielsweise den Weltraum cool. Mittlerweile wächst aber das Bewusstsein dafür, dass auch Sozial- und Geisteswissenscha en präsenter werden müssen.
Was wird kommuniziert: Dinge, die die Forschenden selbst spannend finden, oder solche, die für die Öffentlichkeit von Interesse sind?
Diese Frage wird in der Wissenscha skommunikation noch zu selten gestellt. Es muss beachtet werden, wer die Zielgruppen sind und was diese brauchen. Es gibt aktuell eine starke Fixierung auf Formate: Alle wollen plötzlich einen Podcast oder einen YouTube-Channel, ohne sich über ihre Ziele im Klaren zu sein.
Welche Zielgruppen bleiben für die Kommunikation unsichtbar?
Wissenscha skommunikation wird schwerer je weniger Berührungspunkte mit Forschung existieren. Eine riesige Herausforderung ist es, Menschen zu erreichen, die das Gefühl haben, dass Wissenscha für sie nicht relevant und verständlich sein kann. Insgesamt gibt es einen starken Bias, denn vornehmlich wird ein sozioökonomisch gut gestelltes und hochgebildetes Publikum angesprochen. Dies ist ein großes Problem – Lösungsansätze spielen sowohl in der Forschung, als auch in der Praxis eine wichtige Rolle.
Wie können bislang unsichtbare Gruppen erreicht werden?
Es gibt kein generelles Erfolgsrezept. Die zentrale Frage ist immer, an wen ich mich richte und was ich erreichen möchte. Eine Möglichkeit ist, an Orte zu gehen, wo die Leute ohnehin sind und mit ihnen zu sprechen, um Bedürfnisse zu klären.
Alle sollten die Möglichkeit bekommen. Wer kommunizieren möchte, sollte nicht daran scheitern, dass er*sie kein Training bekommt, keine Unterstützung von der Institution erfährt oder keine Zeit ndet. Es gibt noch viel zu tun, sowohl institutionell als auch im akademischen System. Wissenscha skommunikation bedeutet o keinen Reputationsgewinn und führt teilweise sogar zu Nachteilen: So bleibt weniger Zeit für Publikationen innerhalb des Wissenscha sbetriebs. Dabei kann der Prozess für das Verständnis der eigenen Arbeit interessant sein und Raum für außerakademisches Feedback bieten. So schottet sich die akademische ›Bubble‹ nicht ab. Trotzdem müssen nicht alle Forschenden permanent kommunizieren. Wem Wissenscha skommunikation keinen Spaß bringt, sollte auch nicht dazu gezwungen werden. Wichtig ist vielmehr, überhaupt darüber nachzudenken.
Im Studium werden die wenigsten dazu angeregt, sich mit Wissenschaftskommunikation zu beschäftigen. Sollte sich das ändern?
Ja, dann könnten Studierende sich ausprobieren. Es ist besonders wichtig, strategische Herangehensweisen zu vermitteln. Das Ziel sollte sein, nicht einfach irgendwie zu kommunizieren, sondern erst einen Schritt zurückzugehen und sich zu fragen: Warum und für wen mache ich das?
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Interview Foto Mariya Martiyenko, Dune Korth Dune Korth
Mariya Martiyenko wüsste gerne, wie sich effektiv mit Wissenschaftsleugnenden reden lässt.
Dune Korth wird durch die ganze Fragerei vor eine Kommunikationskrise gestellt.
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burgischen Akademie der Wissenscha en wird vom BMBF gefördert.
VOM FALSCHEN VERSPRECHEN DER FREIHEIT
Der liberale Geist: Viele denken an Crémanturinierende und Lacoste-transpirierende Jungunterunternehmer*innen. Doch das liberalistische Grundrauschen durchzieht alle Bereiche unserer Gesellschaft, auch die Hochschulen. So geraten systematische Chancenungleichheiten aus dem Blick und gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein unter die Räder. Ein Essay.
Text
Illustration
von Bildungserfolg und -misserfolg. Stattdessen werden mögliche Folgen dieser strukturellen Ungleichheit in die Sphäre individueller Verantwortung verschoben.
Leonard Wunderlich
Ric Sander Bohmann
Das Postulat der Freiheit ist nicht nur Gründungsethos der Freien Universität Berlin, sondern verleiht ihr auch den Namen. Im Berlin der Nachkriegsjahre standen sich die Alliierten im ideologischen Kon ikt gegenüber – der liberale Westen dem kommunistischen Ostblock. Letzterer nahm zunehmend stärkeren Ein uss auf das Bildungswesen, verurteilte unbequeme Studierende und Dozierende zu Zwangsarbeit. Die Forderung nach einer freien Universität wurde laut und schließlich unter amerikanischer Schirmherrscha in West-Berlin verwirklicht. Seitdem hat die FU eine Maxime: die Freiheit. Dieser liberale Geist prägt – wenn auch nur selten deutlich sichtbar – bis heute nicht nur die FU, sondern das gesamte Bildungssystem. Doch stehen Liberalismus und individuelle Freiheit an so mancher Stelle in Spannung. Das ideengeschichtliche Erbe jenes liberalen Selbstverständnisses reicht weit in die europäische Au lärung zurück. Die Philosophie der Moderne setzt den Menschen frei und das Individuum in den Mittelpunkt, erklärt es zum autonomen, das Selbst und die Welt gestaltenden Wesen. Seine Handlungs- und Entscheidungsfreiheit ist demnach weder durch einen teleologischen, also zielgerichteten Gang der Geschichte, noch durch eine natur- oder gottgegebene Herrscha mancher über andere oder durch eine metaphysische Determination seines Wesens beschränkt. Der Liberalismus erhebt die absolute Freiheit des Individuums zur Grundnorm jeder menschlichen Gesellscha – und droht gerade dabei, die Sehkra für so manche gesellschalichen Zwänge und Machtgefüge einzubüßen.
Im Bildungswesen weist fundamental-liberales Denken dem Individuum somit uneingeschränkte Eigenverantwortung für den Verlauf und Erfolg des eigenen Bildungsweges zu. Mehr noch: Zur erfolgreichen Umsetzung der persönlichen Entscheidungen seien allein Fleiß, Biss, Disziplin und Durchhaltevermögen nötig. Jeder Misserfolg fällt so unweigerlich auf den*die ureigenverantwortliche*n Einzelne*n zurück. Doch diese Sicht verzerrt reale Verhältnisse und fußt auf falschen Prämissen. In ihrer Konsequenz nimmt sich die Gesellscha vollständig aus der Verantwortung, Chancengerechtigkeit sicherzustellen.
Der Hochschulbildungsreport 2020 1 zeigt jedoch: Individuelle Bildungschancen hängen wesentlich von sozio-ökonomischer und familiärer Herkun ab. Der liberale Eigenverantwortungsimperativ ist hingegen blind für solche ungleichen Startbedingungen und die wesentliche Prädetermination
Die Bologna-Reform für eine internationale Vergleichbarkeit von Studienabschlüssen, die Ausrichtung der Universität auf die Nöte des Arbeitsmarktes und der Abbau studentischer Tutorien und Mentor*innenprogramme erhöhen sowohl den Druck im Studium als auch die Eintrittsschwelle. Wurden Menschen mit nicht-akademischem Hintergrund durch studentische Tutorien und Mentor*innen in die universitäre Welt, ihre Lehren und Gebärden eingeführt, sehen sie sich heute vielmehr mit einem System konfrontiert, das an die Stelle der Akklimatisation weitgehend die Karriereplanung und -beschleunigung stellt. Sind Tutorien noch vorhanden, zielen sie vor allem darauf, möglichst zeite zient die Prüfungsordnung zu absolvieren und den eigenen Lebenslauf voranzutreiben.
Diese Tendenzen sind Resultat jenes unsichtbaren liberalen Geistes, der nach Individuation, Selbstverwirklichung und persönlicher Befreiung strebt, nicht selten jedoch Hürden und Mauern dort errichtet, wo der*die Einzelne stattdessen eine Hand zu greifen sucht. Ein Bildungswesen, ebenso eine Universität, haben nur verdient frei genannt zu werden, wenn sie nicht die Augen vor klassenspezi scher Chancenungleichheit verschließen. Stattdessen bedarf es eines Bewusstseins für die sozialen Schranken der persönlichen Entscheidungs ndung sowie für Wege ihrer Überwindung, um das Individuum wirklich zu befreien.
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Leonhard Wunderlich holt jetzt mal tief Luft.
HÜRDENLAUF ZUM STUDIENABSCHLUSS
Rund jede*r zweite Studierende ist Erstakademiker*in. Das spiegelt nicht Chancengleichheit, sondern ein klares Ungleichgewicht wider – Kinder aus akademischem Elternhaus studieren dreimal häufiger. Welche Hürden im Studium warten und was sich ändern muss, erzählen drei Betroffene. Text &
Unbezahlbare Wohnungen, Konkurrenzdruck bei der Bewerbung fürs Wunschpraktikum und die ständige Frage nach der Regelstudienzeit. Viele Studierende kennen diese Probleme. Gerade für Erstakademiker*innen sind Herausforderungen aber häu g auch an die soziale Herkun gekoppelt. Das legt der Hochschulbildungsreport 2020 2 nahe: Nur 27 von 100 Grundschüler*innen mit Eltern ohne Hochschulabschluss beginnen später ein Studium. Bei ihren privilegierten Klassenkamerad*innen sind es dagegen 79. Die Gründe dafür sind vielfältig und beispielsweise an den Zugang zu Netzwerken und nanziellen Ressourcen geknüp .
»Meine Erfahrung als Erstakademikerin reicht länger zurück als mein Bewusstsein dafür«, erzählt Andrea Binder, Dozentin für Politikwissenscha an der FU. Nach ihrem Bruder war sie die erste in ihrer Familie, die studierte. Sie erzählt, was es bedeuten kann, wenn die eigenen Eltern bei vielen Dingen nicht helfen können: Eigentlich wollte sie gerne Materialwissenscha en studieren. Bei der Studienberatung sei ihr davon abgeraten worden, Sozialwissenscha en würden für sie »als Frau« besser passen. »Meine Eltern kannten sich nicht genug aus, um zu sagen: ›Nein, studier’ mal, was du willst‹.«
Wäre es nach Annas 2 Familie gegangen,
hätte sie eine Ausbildung gemacht – »als Finanzgrundlage«. Anna wollte jedoch Ärztin werden. Bei der Bundeswehr verp ichtete sie sich für 17 Jahre. Das ermöglichte ihr ein NC-freies Medizinstudium und ein gesichertes monatliches Gehalt. Dass ihre Familie manchmal keine Vorstellung von ihrem Studium hatte, wurde Anna nach dem ersten Semester deutlich. Während ihre Kommiliton*innen von ihren Eltern mit dem typischen Skelett fürs Wohnzimmer beschenkt wurden, wusste Annas Mutter nichts von diesem Brauch. »Rückblickend ist das Quatsch, aber in dem Moment hätte ich mir das gewünscht, das gehörte irgendwie dazu.«
Für Jasmin 2 waren Abitur und Studium fern von jeglicher Vorstellung, schon rein nanziell: »Ich wurde einfach nicht so sozialisiert.« Mittlerweile studiert sie auf dem zweiten Bildungsweg Sozial- und Kulturanthropologie an der FU. Damit gehen neue Hürden einher: »Zum Beispiel werden studienbegleitende Praktika vorausgesetzt. Für mich ist das schwierig: Die sind meist unbezahlt.«
Auch als Dozentin merkt Andrea Binder, wie strukturelle Diskriminierung ihre Studierenden beein usst. Besonders gravierend sei es, wenn es um wichtige Karriereschritte, wie beispielsweise eine Stelle als studentische Hilfskra gehe. An der FU werden dafür »aussagekrä ige Bewerbungsunterlagen« gefordert. »Woher sollen Erstakademiker*innen und ausländische Studierende wissen, was der Standard ist?«, fragt sie. Diese vorgelagerte Hürde verwehre vielen Menschen den Zugang. Anna hätte sich gewünscht, schon früher ein realistisches Bild einer akademischen Karriere zu bekommen. Ohne Vorbilder in der Familie blieb ihr nur der Besuch ihrer Schulklasse in den Berliner Unis – und hier wurden die für sie relevanten Fragen nicht beantwortet. Umso wichtiger sei laut Andrea Binder ein Netzwerk, das den Austausch mit neuen Kontakten und Vorbildern ermöglicht. Doch je weiter man die Karriereleiter erklimmt, desto weniger Erstakademiker*innen als potenzielle Mentor*innen gibt es, vor allem FLINTA*. Von den 27 Studienanfänger*innen ohne akademisches Elternhaus machen laut Hochschulbildungsreport nur 11 ihren Masterabschluss und nur 2 promovieren.
Jasmins Netzwerk besteht vor allem aus Schulfreund*innen. Deshalb habe sie sich im Studienalltag selten klassistisch diskriminiert gefühlt. Trotzdem hil ihr die Auseinandersetzung mit ihrer Position als Erstakademikerin: »Es sind ungerechte Strukturen und nicht meine Schuld.« Andrea Binder rät, den Fokus trotzdem nicht nur auf die Schwierigkeiten zu legen, sondern Verbündete zu suchen: In ihrer Twitter-Bio steht # rstgen, »damit Menschen auf mich zukommen können.«
nicht für 17 Jahre verpflichten mussten.
1 Nach: Middendor et al. 2017, Kracke et al. 2018, Autorengruppe Bildungsberichterstattung
2020, DZHW 2019, Stat. Bundesamt 2021, ISTAT-KOAB 2021, Konsortium Bundesbericht Wissenscha licher Nachwuchs. (Gra k nach ebd.)
2 Anm. d Redaktion: Name wurde von der Redaktion geändert.
Studienanfänger*innen Bachelorabsolvent*innen Masterabsolvent*innen Promotionsabsolvent*innen Nichtakademikerkinder Akademikerkinder In der Stufe zw. Studienanfänger*innen und Bachelorabsolvent*innen ändert sich die Berechnungsgrundlage.
Grundschüler*innen
Bildungstrichter: Grundschule – Studium – Promotion1 100 100 79 27 64 20 43 11 6 2 21
Anzahl der Grundschulkindern von 100 Grundschulkindern, die die nächste Bildungsstufe erreichen, nach Bildungshintergrund der Eltern.
Dune Korth, Laura von Welczeck
Anna-Lena Schmierer
Anna-Lena Schmierer, Dune Korth und Laura von Welczeck sind froh, dass sie sich ihren Studiengängen
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UNSICHTBAR –
ZU WELCHEM PREIS?
Unsichtbar werden – geht das wirklich? Neueste Techniken zeigen: Ja, es ist möglich! In der Forschung und der Dual-Use Debatte wird das Thema jedoch heiß diskutiert.
werden, müssen also die Eigenscha en des Objekts so verändert werden, dass Licht weder re ektiert noch absorbiert wird.
Seit Jahrhunderten sind Menschen von Unsichtbarkeit fasziniert. Sich unsichtbar machen zu können, verscha Vorteile, die sogar überlebensnotwendig sein können. Wer unentdeckt und im Geheimen agiert, hat beispielsweise bei einem Kampf den Überraschunges ekt auf der eigenen Seite. Menschen orientieren sich an den Tarnstrategien von Tieren, um durch optisch täuschende Muster mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Ein typisches Beispiel sind die Camou age-Uniformen der Bundeswehr. Wirklich unsichtbar sind sie dadurch nicht. Anders dagegen Harry Potter: Sein Unsichtbarkeitsumhang wird zur direkten Wa e im Kampf gegen Voldemort. Dennoch ist echte Unsichtbarkeit längst nicht mehr nur Teil von Science-Fiction und Fantasy-Romanen. Forschende arbeiten seit Jahren an der Konzipierung eines Unsichtbarkeitsumhangs.
Welche physikalische Bescha enheit ein solcher Umhang bräuchte, beschreibt John Howell, Professor für Physik an der University of Rochester, auf dem News-Portal der Universität: »Es gibt viele High-Tech-Ansätze zum Tarnen und die Grundidee dahinter ist, Licht zu nehmen und es um etwas herumgehen zu lassen, als ob es nicht da wäre, o unter Verwendung von High-Tech- oder exotischen Materialien« Das menschliche Auge benötigt Licht zum Sehen. Wenn dieses auf ein Objekt tri , wird es auf der Netzhaut absorbiert und vom Sehnerv ins Gehirn geleitet, um verarbeitet zu werden. Durch die Re ektion oder Absorption von Licht wird es möglich, Formen und Farben zu erkennen und zu unterscheiden. Soll ein Objekt unsichtbar gemacht
An der Duke University wird an einem Ansatz für ein Material mit diesen Eigenscha en geforscht. 2006 wurden dort erstmals sogenannte Metamaterialien konzipiert. Diese haben physikalische Eigenscha en, die in der Natur sonst nicht vorkommen – zum Beispiel einen negativen Brechungsindex. In der Natur vorkommende Materialien haben meist positive Werte. Durch diesen sind die Metamaterialien im Stande, Licht um Objekte herumzuleiten. Das Licht verhält sich dann wie Wasser, das um einen Stein herum ießt und lässt das Objekt für das menschliche Auge unsichtbar werden. Die meisten Metamaterialien bestehen aus sehr dünnen Silber- und Kieselerde-Drähten. Diese sind jedoch unbeweglich und kostspielig, so dass sich bisher noch kein Unsichtbarkeitsumhang daraus herstellen lässt.
Die Forschung zur Unsichtbarmachung ist ethisch keinesfalls unbedenklich. Eine Entdeckung oder Er ndung kann auch immer zu anderen Zwecken als dem eigentlichen Forschungsgrund missbraucht werden. Diese Problematik ist auch unter dem Begri Dual-Use bekannt. Lisanna Kelz studiert am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenscha der FU und leitet ein studentisches Forschungsseminar, ein sogenanntes X-Tutorial, zu Ambivalenzen der (Berliner) Wissenscha en und unsere Verantwortung als Forschende. Sie erklärt, der Begri des Dual-Use beschreibe in der Wissenscha jene Forschung, die »für zivile Zwecke durchgeführt wird, deren Ergebnisse jedoch militärisch zweckentfremdet werden können.« Das X-Tutorial frage nach einem potenziellen Risiko durch eine Zweckentfremdung von Forschungsergebnissen, wobei hierbei die Vor- und Nachteile abgewogen
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Text Illustration Lena Stein Ric Sander Bohmann
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würden. »In einem weiter gefassten Dual-Use-Verständnis würde man sich eher die Frage nach guter Wissenscha stellen und Forschung danach unterteilen, ob sie nützlich oder schädlich für die Gesellscha ist.« Eine explizite De nition des Begri es gebe es dennoch nicht.
Nach Lisannas Einschätzung könnte die Forschung zur Unsichtbarkeit einen klassischen Fall von Dual-Use darstellen, da »die Ergebnisse zum Einsatz von Gewalt, zum Beispiel militärischer oder terroristischer Natur, zweckentfremdet werden und dabei großen Schaden nach sich ziehen könnten.«
Ein Beispiel dafür, welche Vorteile es bringen kann, Objekte unsichtbar zu machen, zeigt ein Forschungsergebnis der University of Rochester. Dort gelang es John Howell und Joseph Choi mit vier normalen Glaslinsen durch Objekte hindurchzuschauen. Das Licht wird so umgeleitet, dass der Hintergrund optisch ungestört bleibt. So könnten Chirurg*innen beispielsweise durch ihre Finger hindurchsehen, während sie operieren. Diese Methode ist im Gegensatz zu Metamaterialien günstig und mit Alltagsgegenständen aus dem Labor realisierbar, dennoch hat auch sie ihre Grenzen.
Eine andere Möglichkeit, Objekte für alle Blickwinkel verschwinden zu lassen und die Statik zu umgehen, kommt aus der Tierwelt: Chamäleons ändern ihre Hautfarbe, indem sie die Umgebung auf der anderen Seite nachahmen, sodass sie scheinbar unsichtbar werden. Durch kleine Sensoren und winzige Linsen kann der Mensch diese Methode bereits anwenden. Die Sensoren projizieren hierbei ihren Hintergrund auf die Linsen, die diesen dann auf die Vorderseite spiegeln. Hier zeigt sich die Problematik des Dual-Use: Auch das britische Militär ist an der Methode interessiert. Durch sie könnte es bereits in wenigen Jahren möglich sein, Panzer unsichtbar zu machen.
Lisanna erklärt, wie ihrer Meinung nach mit einer solchen Ambivalenz umgegangen werden sollte: »Nutzen und Schaden werden gegenübergestellt. Aber wenn eine bestimmte Grenze überschritten ist, also ein bestimmter Grad an potenziellen katastrophalen Folgen erwartbar ist, spielt der Nutzen, ganz gleich wie hoch, keine Rolle mehr.« Dabei müsse man fragen, was Schaden überhaupt sei und wer die Deutungshoheit besitze, Schaden als Schaden zu deklarieren. Im allgemeinen Verständnis beschreibe Schaden jene Konsequenzen, die gegen (Menschen-)Rechte verstoßen oder einen enormen Nachteil für Menschen, Tiere oder Umwelt darstellen.
Schäden können durch freiwillig eingeführte Zivilklauseln und Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung (KEF) vorgebeugt werden. Diese bewerten anhand verschiedener Fragen, ob die Forschungsprojekte ethisch vertretbar sind oder nicht. An der FU gibt es dafür eine eigene KEF-Stelle, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzt. Eine Zivilklausel, wie an der TU bereits seit 1991 und an der HU seit 2013, gibt es an der FU nicht. Seit Jahren fordern unterschiedliche Hochschulgruppen die Einführung einer umfassenden Zivilklausel an der FU. Auch in diesem Jahr hat die Hochschulgruppe Klasse gegen Klasse die Forderung in ihr Wahlprogramm für das Studierendenparlament aufgenommen. Ob die FU dies zeitnah umsetzen wird, bleibt o en.
Liebe allein reicht hier nicht.*
*aus: »Kindheitsarchive« von Caroline Guiela Nguyen
Regie: Caroline Guiela Nguyen
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Lena Stein hat auch schon mal Schaden angerichtet.
FOTOSTRECKE: UNKONKRET
Die Spur einer Ahnung
Von Anwesenheit
Verliert sich im Nebel
Der Abwesenheit
Ein Fuß auf der Schwelle
Der Realität
Verwischte Konturen
Unkonkret
Substanz löst sich auf Was bleibt, was vergeht?
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Fotos & Gedicht Ella Rendtorff
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Ella Rendtorff stand zwar noch nie vor versteckter Kamera, würde sich hinter der Kamera aber manchmal gerne unsichtbar machen.
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AUGEN ZU VOR DER KATASTROPHE
Den drohenden Klimakollaps wird unsere Generation hautnah erleben. Was wir jetzt dagegen unternehmen oder nicht, entscheidet darüber, wie schlimm es wird. Trotzdem verdrängen viele die Klimakrise immer wieder. Warum ist das so? Ein Kommentar.
Wir leben in einem System, das ein klimaverträgliches Leben gar nicht zulässt. Laut UN-Bericht kann daher nur ein »dringender Systemwandel« die drohende Klimakatastrophe verhindern.
Das kapitalistische System zerstört nicht nur unsere Lebensgrundlage, es verdrängt auch die Klimakrise von den Titelseiten. News zu Promis klicken sich eben besser als News zum Klima. Wenn Medien aber unzureichend berichten, bleibt das ema systematisch unsichtbar.
Nun gibt es die einen, die auf individuellen Verzicht setzen und die anderen, die sich irgendwo zwischen Ohnmacht und Fatalismus bewegen. Ja, es ist wichtig, dass Menschen nachhaltig einkaufen. Doch es wäre sehr naiv, darauf zu vertrauen, ein individueller Lebenswandel allein könnte die Klimakatastrophe verhindern. Außerdem ist ein Wocheneinkauf im Biomarkt für viele einfach nicht drin – vor allem nicht für Studierende, von denen laut Statistischem Bundesamt Ende 2021 über drei viertel armutsgefährdet waren.
Die Lage ist ernst. Laut dem aktuellen Klimabericht der Vereinten Nationen steuern wir auf eine durchschnittliche globale Erderwärmung zwischen 2,4 und 2,8 Grad zu. Forschende gehen im Bericht World Scientists’ Warning of a Climate Emergency 2022 sogar von einer Erwärmung von 3 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts aus. Das war’s dann mit dem 1,5-Grad-Ziel. Statt über nichts anderes als die Klimakatastrophe zu sprechen, wird sie kollektiv verdrängt. Wieso?
Die naheliegende Erklärung: Die Klimakrise ist in Europa nicht sichtbar genug. Fluten und Waldbrände scheinen zu vereinzelt aufzutreten, um uns in Alarmbereitscha zu versetzen. Leider ist es nur zu spät, wenn all das zum unübersehbaren Dauerzustand geworden ist. Diese eurozentrische Perspektive verkennt aber auch die Realität von Millionen von Menschen, die bereits jetzt leiden.
In den reichen Industriestaaten herrscht eine Illusion der Unverwundbarkeit. Man könne sich ja anpassen, wenn es so weit sei. Wir jungen Menschen sollten doch optimistisch sein – so hieß es neulich bei Markus Lanz. Dabei müssen wir dringend auf die Wissenscha hören statt auf naiven Optimismus zu setzen.
Bereits jetzt sterben auch in Deutschland Tausende an den Folgen der Klimakrise. Und dazu gehören nicht nur diejenigen, die in einer Flut wie im Ahrtal 2021 ihr Leben verloren haben, sondern auch immer mehr Hitzetote. Laut einer Studie des Robert Koch-Instituts, des Umweltbundesamtes und des Deutschen Wetterdienstes waren das von 2018 bis 2020 rund 19.300 Menschen – eine Übersterblichkeit im Vergleich zu Vorjahren. Weil der Tod durch Hitze meist Alte und Kranke betri , bleibt auch das unsichtbar.
Klar könnte man dieses gesellscha liche Versagen damit erklären, dass Menschen nun einmal so seien – dass ihnen der Tod anderer schlicht egal sei, solange es sich dabei um eine abstrakte Zahl in der Statistik handele. Doch die Verdrängung der Klimakrise beruht vielmehr auf systemischen Ursachen als auf der ideologischen Annahme, der Mensch sei von Natur aus schlecht.
Aber wie kommt es dazu, dass die Fatalismus-Fraktion den drohenden Klimakollaps verdrängt? Politiker*innen, die verantwortlich sind, ein klimaverträgliches System zu scha en, kümmern sich nicht ausreichend. Das sorgt für Frust, ein Gefühl von Machtlosigkeit – besonders bei jungen Menschen, deren Ängste einfach ignoriert werden – und führt unweigerlich zu Verdrängung.
Auch Konzerne lenken mit Greenwashing und Desinformationskampagnen von der eigenen Verantwortung ab. Dabei sind 20 Konzerne allein für 35 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen zwischen 1965 und 2017 verantwortlich. Das zeigt eine Studie des amerikanischen Climate Accountability Institutes. Aber Hauptsache, wir hinterfragen unser eigenes Verhalten.
Ja, wir können darüber streiten, wie gut es ist, in den Urlaub zu iegen. Fingerzeigen sorgt aber nur dafür, dass Menschen Angst bekommen, sich zur Klimakrise zu äußern. Damit geht die politische Kra verloren, die dafür sorgt, dass wir gemeinsam auf die Straße gehen und einen Systemwandel fordern.
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Anja Keinath Lily Henning
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Anja Keinath musste für diesen Kommentar mehr Zeichen schmelzen lassen als Gletscher in der Arktis.
TICKETS FÜR STUDENT:INNEN
9 Euro auf allen Plätzen deutschestheater.de
Foto: Arno Declair ANZEIGE
Szene aus Minna von Barnhelm von Gotthold Ephraim Lessing Regie: Anne Lenk
DER ZAUBER DES VERBORGENEN
Der Blick in die ungewisse Zukunft durch Weissagungen, das Auspendeln wichtiger Entscheidungen oder Gespräche mit Geistern durch Gläserrücken – Esoterik ist für viele nicht nur Spielerei, sondern Kommunikation mit verborgenen Mächten. Wie lässt sich der Zauber dieses Trends entschlüsseln?
Lucie Schrage
Ric Sander Bohmann
Allen Waagen raten die Sterne für 2023 zu mehr Mut und Selbstvertrauen, für Skorpione kommt der Erfolg nicht immer plötzlich und auf Löwen wartet im Mai eine schicksalha e Begegnung. Doch deine kurvenreiche Herzlinie verspricht für die Liebe sowieso keine rosigen Aussichten, auch deine Schicksalslinie zeigt zu viele Unterbrechungen.
Horoskope sind längst nicht mehr nur auf der vorletzten Seite in Zeitschri en versteckt. Inzwischen kann man sich seine Karten auch über TikTok legen lassen oder ein eigenes Set neben Klamotten im Sale bei Urban Outtters abstauben. Esoterische Praktiken sind so vielfältig wie die Personen, die sie anbieten und die Preise, die man für ›professionelle‹ Durchführungen ausgeben kann.
All das scheint wie ein großer, geheimnisvoller Hokuspokus. Aber was hat es mit den unsichtbaren Krä en eigentlich auf sich? Esoterik und Okkultismus haben dieselbe Bedeutung, erklärt Hartmut Zinser, pensionierter Professor für Religionswissenscha an der FU. »Beide beschreiben die Beschä igung mit den verborgenen, noch geheimen Dingen in der Welt.« Neben den großen Weltreligionen beschä igt Zinser sich auch mit der Esoterik und ihrer Verbreitung. Kaum jemand bestreite die Existenz von verborgenen Dingen, diese würden jedoch erst durch okkulte Interpretationen in ein bestimmtes Weltbild gerückt.
Interpretation ist hier das Zauberwort, denn im Gegensatz zur Wissenscha unterscheidet der Okkultismus nicht zwischen Wahrnehmung und Deutung. Die empirischen Wissenscha en benutzen verschiedene Methoden wie beispielsweise Experimente mit Kontrollgruppen, um Erkenntnisse abzuleiten und Verzerrungen, die durch subjektive Wahrnehmung entstehen können, zu vermeiden. Der große Unterschied zwischen Esoterik und Wissenscha : Magische Praktiken wie Weissagungen können nicht wiederholt werden. Das würde ja den Zauber nehmen. Esoterische Praktiken können als Phänomen erforscht und widerlegt werden, erklärt Zinser. Beim Pendeln könne eine unbewusste Steuerung beobachtet werden, der sogenannte Carpentere ekt. Die ausgeführten Bewegungen würden automatisch, wenn
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auch unbewusst, durch die Wörter, an die wir denken, gesteuert. Dies gelte auch für das Gläserrücken: »Die entstandenen Wörter werden durch eine unterbewusste Handbewegung der Menschen gebildet. Sie wissen es nur nicht.« So faszinierend Geschichten und Filme über esoterische Praktiken auch sein mögen, bislang gibt es keinen einzigen naturwissenscha lichen Beweis von übernatürlichen Vorkommnissen, auch wenn Serien wie X-Factor es so darstellen. Es sind und bleiben Zufälle, Sinnestäuschungen und bereits voreingenommene Interpretationen, wie die Esoterikforschung belegt.
Dennoch liegt in der Esoterik eine Wirkungsmacht, da sie als Verborgenes stilisiert wird. Als etwas, das die Auseinandersetzung mit unsichtbaren Dingen möglich macht. »Um etwas Verborgenes begrei ar zu machen, müssen Esoteriker*innen Macht haben«, erläutert Zinser die Anziehungskra dieser Praktiken. Die Vorstellung, dass es hinter der sichtbaren Welt noch eine unsichtbare gibt, wecke Neugier und die Aussicht, Antworten auf dringende Fragen zu erhalten. Beispielsweise Antworten auf die Frage nach der großen Liebe oder die Wahl von Ausbildungsstellen. Magier*innen und mit der Geisterwelt kommunizierende Medien versprechen dabei zu helfen. So erscheinen sie mächtig, denn »die Macht färbt auf diejenigen ab, die vorgeben, Zugang zum Verborgenen zu haben.«
Zinser erklärt, dass nicht allein die Suche nach Antworten Menschen zu Hellseher*innen gehen lasse. Vielmehr gebe es Situationen, in denen weder der eigenen Vernun noch den Emotionen geglaubt werde. Der Zwang, unter einer Unmenge an immer komplexer werdenden Informationen eine Entscheidung zu tre en, vergrößere den Willen, diese von sich zu schieben, erläutert Zinser. Auch die entsprechende Verantwortung werde an ein Orakel abgegeben: »Dann ist das Pendel verantwortlich und nicht jede*r selbst.«
Schon in der Antike wurden Entscheidungen ausgependelt. Nach einer Verschwörung gegen den römischen Kaiser Valens (364 bis 379) sollte sein Nachfolger auf magische Weise ermittelt werden. Esoterik ist also keine Er ndung der Moderne. Die Verbreitung und die Zugänge der Esoterik haben sich aller-
dings verändert. Heute wird Okkultes nicht mehr nur durch Schri en oder persönliche Gespräche vermittelt, sondern durch Esoterikportale, Podcasts, Videos oder Apps. Überall und zu jeder Zeit ist es möglich, anhand von esoterischen Praktiken einen Blick in die Zukun zu werfen. Dass die Beschä igung mit Esoterik auch belustigend sein kann, erläutert Zinser abschließend mit einer Anekdote: Aus einer Zeitschri schnitt er ein Horoskop aus, kopierte den Text und verteilte ihn in einem geschlossenen Umschlag an alle Studierenden in seinem Seminar. Der Großteil im Kurs stimmte mit dem Geschriebenen überein und als jemand den Text vorlas, ngen alle an zu lachen. Denn alle hatten denselben Text erhalten und sich darin wiedergefunden. Alles mithilfe des ›Zaubers‹ ihrer Interpretationen.
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Lucie Schrage besitzt keine Tarotkarten, aber liest anderen die Zukunft aus der Hand.
LAYOUT, FOTO, ILLUSTRATION
IMPRESSUM
HERAUSGEGEBEN VON
Freundeskreis Furios e.V.
REDAKTIONSSCHLUSS
22.01.2023
ERSCHEINUNGSDATUM
01.02.2023
AUFLAGE
4000
REDAKTION AUSGABE 28
Caroline Blazy, Johanna Böker, Matthis Borda, Anja Keinath, Dune Korth, Malin Krahn, Mariya Martiyenko, Ella Rendtorff, Dominique Riedel, Anna-Lena Schmierer, Julia Schmit, Lucie Schrage, Lena Stein, Seval Tekdal, Laura von Welczeck, Leonard
Wunderlich
COVER
Johanna Böker
SATZ UND GESTALTUNG
Friedrich Klingenhage
AUTOR*INNENFOTOS
Dominique Riedel
CHEF*INNEN VOM DIENST
Dune Korth, Anna-Lena Schmierer
LEKTORAT
Caroline Blazy, Dune Korth, AnnaLena Schmierer, Laura von Welczeck ISSN
2191-6047
CHEFREDAKTION
Dune Korth, Anna-Lena Schmierer, Laura von Welczeck
(V.i.S.d.P., Freie Universität Berlin, JK 28/106, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin)
POLITIKRESSORT
Lena Stein, Leonard Wunderlich CAMPUSRESSORT
Dominique Riedel, Julia Schmit
KULTURRESSORT
Anja Keinath, Seval Tekdal
WISSENSCHAFTSRESSORT
Mariya Martiyenko, Lucie Schrage COMMUNITYRESSORT
Anja Keinath
BILDRESSORT
Johanna Böker, Malin Krahn
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redaktion@furios-campus.de
Jede*r Autor*in ist im Sinne des Pressegesetzes für den Inhalt ihres*seines Textes selbst verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansicht der Redaktion wider. Gemäß dem Urheberrecht liegen die Rechte an den einzelnen Werken bei den jeweiligen Autor*innen.
Laura von Welczeck hat den Großteil ihrer Bildung aus den nächtlichen Doku-Sessions während des Illustrierens.
Lily Henning hätte fast die Deadline für die Illustration zum Thema Verdrängung verdrängt.
Noa Kreutz hat beim Illustrieren die ein oder andere Netflix-Serie gebinged.
Ric Sander Bohmann entflieht aus manch öder Vorlesung in die Welt der Kritzeleien.
Malin Krahn hat beim Illustrieren Dance Academy gerewatched und hofft, nie wieder dem Wort amazeballs zu begegnen.
Johanna Böker hat alles aus ihrem Blender-Kurs vergessen und deshalb zur Heißklebepistole gegriffen.
Kristin Lahn hatte den Eindruck, dass ihr ein paar unsichtbare Geister während des Illustrierens über die Schulter gesehen haben.
Tim Gassauer freut sich noch immer über spontane Fotoanfragen.
Ella Rendtorff stand zwar noch nie vor versteckter Kamera, würde sich hinter der Kamera aber manchmal gerne unsichtbar machen.
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Friedrich Klingenhage hat den Texten, Bildern und Illustrationen in diesem Heft zur Sichtbarkeit verholfen.
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9 TO 5 AN DER FU
Über den Alltag der Beschäftigten
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